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Wandlungen im Herrschaftssystem und Verfassungsrecht der Sowjetunion | APuZ 43/1964 | bpb.de

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APuZ 43/1964 Wandlungen im Herrschaftssystem und Verfassungsrecht der Sowjetunion

Wandlungen im Herrschaftssystem und Verfassungsrecht der Sowjetunion

Boris Meissner

Seit dem Tode Stalins haben zahlreiche Veränderungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens der Sowjetunion stattgefunden. Ihre Anfänge lassen sich teilweise bereits zu Lebzeiten Stalins feststellen Einen wesentlidien Einfluß auf diese Entwicklung haben seine beiden Schriften von 1950 („Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft") und 1952 („Ökonomische Probleme des Sozialismus") ausgeübt. Für die Beurteilung des politischen und rechtlichen Charakters dieser Veränderungen ist von entscheidender Bedeutung, daß sie sich bisher im Rahmen eines im wesentlichen intakten totalitären Herrschaftssystems voll-zogen haben. Damit sind den Wandlungen der politischen Gesamtverfassung und der Sozialstruktur der Sowjetunion von vornherein feste Grenzen gesetzt worden. Die „Entstalinisierung" hat zwar eine begrenzte Auflockerung und Modernisierung des von Stalin übernommenen Herrschaftssystems bewirkt, die totalitäre Substanz aber im wesentlichen unangetastet gelassen. Die Wandlungen im Herrschaftssystem haben größtenteils in der materiellen Rechtsverfassung, weniger dagegen in der formellen Rechtsverfassung, das heißt im geschriebenen Grundgesetz, ihren normativen Niederschlag gefunden.

I. Die Wandlungen im totalitären Herrschaftssystem der Sowjetunion

Volkswirtschaftsrat der UdSSR (SNCh SSSR) (Stand vom 31. Dezember 1963) Präsidium 12 Mitglieder Ministerrat der UdSSR Oberster Volkswirtschaftsrat (WSNCh SSSR) 11 Ministerien 12 Staats-komitees und Zentral-verwaltungen 1 Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Außenhandel, Seeschiffahrt, Verkehrswesen, Finanzen, Landwirtschaft, Nachrichtenwesen, Hochschulund mittl. Fachschulbildung, Kultur, Gesundheitswesen. Staatliches Plan-komitee (GOSPLAN SSSR) 13 Staatskomitees Schwarz-und Buntmetallindustrie, Brennstoffindustrie, Chemische-und Erdölindustrie, Maschinenbau, Schwer-, Energie-und Transportmaschinenbau, Chemischen und Olverarbeitungsmaschinenbau, Gerätebau-, Automatisierungsmittel und Verwaltungssysteme, Auto-, Traktoren-und Landmaschinenbau, Elektrotechnik, Leichtindustrie, Lebensmittelindustrie, Holz-, Papier-und Holzverarbeitungsindustrie, Berufstechnische Bildung 1 Staats-komitee Fisch-wirtschaft Staats-komitee

für Bau-wesen (GOSSTROJ SSSR) 1 Partei-und Staatskontrolle, Staats-sicherheit, Arbeits-und Lohnfragen, Handel, Beschaffung, Rundfunk und Fernsehen, Filmwesen, Druck (Verlags-wesen), Wirtschaft!. Beziehungen mit dem Ausland, Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, Staatsbank der UdSSR, Statistische Zentralverwaltung Staats-komitee

zur Koordinierung der wiss. Forschungstätigkeit 6 Staatskomitees und staatl. Produktionskomitees Transportbauwesen, Bau-, Wegebau-und Kommunal-maschinenbau, Montage-und Spezialbauarbeiten, Bauwesen des mittelasiatischen Wirtschaftsbezirks, Baustoffindustrie, Zivilwohnungsbau und Architektur 15 Ministerpräsidenten der Unionsrepubliken 15 Staatskomitees, Staatl. Produktionskomitees und Zentralverwaltungen Mittlerer Maschinenbau (Kernwaffen), Rüstungstechnik, Luftfahrttechnik, Schiffbau, Radioelektronik, Elektronentechnik, Nutzung der Atomenergie, Energie-und Elektrizitätswirtschaft, Gasindustrie, Geologie, Bodenschätze, Erfindungen und Entdeckungen, Standards, Maße und Gewichte, Unionsbank für Finanzierung von Kapitalanlagen, Verkauf von Landmaschinen Staatl. Produktions-komitee für Bewässerungsackerbau und Wasser-wirtschaft 1 Staatskomitee 1 Zentralverwaltung Baumwollindustrie Mittel-asiens, Bewässerungsan-lagen und Sonderbauten in Mittelasien

Das sowjetische Herrschaftssystem geht in seinen Grundzügen auf die Oktoberrevolution und damit auf Lenin zurück. Es ist durch die bolschewistische Einparteiherrschaft gekennzeichnet, die in die äußeren Formen eines „Sowjetföderalismus“ und einer „Sowjetdemokratie" gekleidet ist

Seine totalitäre Gestalt hat es aber erst als Folge der Stalinschen „Revolution von oben" ab 1928 und der „Großen Säuberung“ der dreißiger Jahre gewonnen.

Die unbeschränkte Selbstherrschaft Stalins beruhte auf dem Gleichgewicht von mehreren Herrschaftsinstitutionen: dem Parteiapparat, dem Staatsapparat (einschließlich der Wirtschaftsverwaltung), der Staatspolizei und der Wehrmacht. Die Koordination dieser vier Machtsäulen, unter denen das MGB-MWD einen bildete, „Staat im wurde durch das Privatsekretariat des „Woshdj“ (Führers) bewirkt, das in stärkerem Maße als das ZK-überarbeiteteFassung eines Referates, das auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde im April 1964 in Münster vorgelegt worden ist. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer Verlags, Stuttgart, der die Referate der Tagung Anfang 1965 in zwei Bänden herausgeben wird.

Sekretariat die eigentliche Schaltstelle der Macht bildete.

Nach dem Tode Stalins 1953 hat es Chruschtschow verstanden, eine Machtquelle nach der anderen wieder der Kontrolle der Partei und damit des hauptamtlichen Parteiapparats zu unterwerfen. An die Stelle des Stalinschen Systems eines persönlich bestimmten Staats-absolutismus ist so ein auf dem „kollektiven Führungsprinzip" beruhender Parteiabsolutismus getreten, der Chruschtschow von der Parteibürokratie viel abhängiger gemacht hat, als es bei Stalin jemals der Fall war.

Dies hat man auf dem März-Plenum 1962 des Zentralkomitees der KPdSU sehr deutlich gesehen, wo Chruschtschow mit seinem Versuch, die Wirtschaftspolitik im Sinne des von ihm angestrebten Kurses des „Wohlfahrtskommunismus" zu ändern, nicht durchkam

Neben dieser Wiederherstellung der Einparteiherrschaft läßt sich unter Chruschtschow eine Verminderung des Terrors und eine stärkere Begünstigung der gesellschaftlichen Spontaneität feststellen. Im übrigen ist das totalitäre Herrschaftssystem in seinen Grundzügen erhalten geblieben.

Von Löwenthal ist die „permanente Revolution von oben" als besonderes Merkmal des totalitären Herrschaftssystems hervorgehoben worden Unter der „Revolution von oben" verstand aber Stalin, wie aus dem von ihm selbst gebrauchten Beispiel der Zwangskollektivierung hervorgeht, einen tiefgehenden Eingriff mit Hilfe der Staatsgewalt, der qualitative Veränderungen in der Sozialstruktur herbeiführte, ohne daß damit eine „Explosion", das heißt eine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse verbunden war.

In Stalins Lehre von der „Revolution von oben" war mit diesem neuen Revolutionstyp ein evolutionärer Aspekt verbunden, der in seinem Spätwerk aus dem Jahre 1952 sehr deutlich zum Ausdruck kam. In ihm hieß es: „Es handelt sich darum, daß unter unseren sozialistischen Verhältnissen die wirtschaftliche Entwicklung nicht auf dem Wege von geht, sondern Umwälzungen vor sich auf dem Wege Veränderungen, wobei das allmählicher Alte nicht einfach beseitigt wird, sondern seine Natur unter Anpassung an das Neue verändert und dabei lediglich seine Form bewahrt, das Neue aber das Alte nicht einfach vernichtet, sondern das Alte durchdringt, seine Natur und seine Funktionen verändert, dabei seine Form nicht zerbricht, sondern diese für die Entwicklung des Neuen ausnutzt."

Stalin trat somit am Vorabend seines Todes für eine Politik ein, bei der sich Reformen mit einzelnen revolutionären Eingriffen „von oben" abwechseln sollten Diese Reformpolitikwar in ihrer Zielsetzung ebenso wie diejenige Chruschtschows revolutionär gemeint, sie läßt sich aber kaum als „permanente Revolution von oben" charakterisieren.

Von wesentlicher Bedeutung waren dagegen drei andere Merkmale des totalitären Herr-s-3, die sich unter Stalin herausge hatten: Erstens die permanente Diktatur, die unter Stalin den Charakter einer persönlichen Autokratie besaß. Zweitens eine totale Kontrolle, die auf einer terroristischen Grundlage beruhte. Drittens eine auf den sozialen Strukturwandel „von oben" gerichtete Planung, die zunächst einen stärker revolutionären Aspekt aufwies.

Die despotischen Herrschaftsmethoden Stalins haben dazu geführt, daß die Bedeutung des Massenterrors im Rahmen eines totalitären Systems überschätzt worden ist Ein totalitäres System wird niemals auf die Furcht und damit auf den Terror als Mittel zur gesellschaftlichen Integration ganz verzichten aber können. Es ist auf den Massenterror nicht angewiesen. Nicht die extensive Form des Terrors, sondern eine alle Lebensbereiche der Gesellschaft umfassende Funktions-und Gedankenkontrolle, die in bestimmten neuralgischen zum Beispiel der Wirtschaft, einem mit „legalisierten Terror“ auf strafgesetzlicher Grundlage verbunden ist, dürfte als das eigentlich wesentliche Merkmal des Totalitarismus anzusehen sein.

Ein totalitäres Herrschaftssystem sowjetischen Typs weist somit drei entscheidende Elemente auf, die auch unter den Nachfolgern Stalins erhalten geblieben sind: 1. Die unbeschränkte Parteiautokratie In der Sowjetunion ist eine Partei Träger der permanenten Diktatur, die Staatspartei und Zentrum einer weltweiten Bewegung zugleich ist. Sie beruht auf totalitären Organisationsprinzipien, die von Lenin entwickelt worden sind Sie sind von Stalin in die Praxis umgesetzt und auf das Staatsganze übertragen worden. Aus der „Partei neuen Typus“, die sich im Besitz eines unbeschränkten Machtmonopols befand, entwickelte sich so der „Staat neuen Typus“.

Für den bolschewistischen Einparteistaat war von vornherein charakteristisch, daß die Herrschaft über die Massen mit Hilfe sozialer Großorganisationen, die von Stalin als „Transmissionen" oder „Hebel" bezeichnet wurden, ausgeübt worden ist.

Diese „Massenorganisationen" haben die Aufgabe, den Willen der Partei auf die einzel-nen Teile der Bevölkerung zu übertragen sowie zur gleichen Zeit die Vorstellung zu erwecken, als ob die Partei vom Vertrauen der Massen getragen sei. Dieses System sozialer Großorganisationen unter Einschluß der elitären Parteiorganisation bildet den „Gesamtmechanismus der Diktatur“ und damit den Gesamtstaat Die Sowjets als Staatsapparat, dessen institutioneller Aufbau in der geltenden Bundesverfassung von 1936 festgelegt ist, bilden im Rahmen der gesamtstaatlichen Organisation eine der vielen Transmissionen. Die Partei ist nach Stalin der „Kern der Macht", ist jedoch mit der Staatsmacht nicht gleichzusetzen.

An diesem System der permanenten Partei-diktatur hat sich auch unter den Nachfolgern Stalins nichts geändert. In dem staatsrechtlichen Schrifttum der Sowjetunion wird die „ungeteilte Führung“ der „regierenden Partei" betont und nachdrücklich hervorgehoben, daß die „führende Rolle“ der komunistischen Partei in bezug auf alle Organisationen der sowjetischen Gesellschaft — der gesellschaftlichen wie der staatlichen — in der Verfassung der UdSSR gesetzlich verankert ist.

Wie ist mit dieser unbeschränkten Selbst-herrschaft der Partei, die im neuen Parteiprogramm der KPdSU von 1961 aufgestellte Behauptung von Chruschtschow zu vereinbaren, daß sich die Sowjetunion im Innern aus einer „Diktatur des Proletariats" in einen Volksstaat „allgemeinen “ verwandelt habe? Worin äußert sich das Absterben der Diktatur und die Zunahme des demokratischen Gehalts des Sowjetstaats beim „Übergang zum Kommunismus"?

Vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Staatslehre war es bisher unzulässig, zwischen der „Diktatur" und dem Staat zu unterscheiden Jeder Staat bildete bis zu seinem völligen Absterben eine politische Klassenorganisation und damit eine diktatorische Herrschaftsordnung. Abbau der Diktatur im Sinne der Lehre vom „absterbenden Staat", die Lenin von Marx und Engels übernommen hatte, bedeutete die Beseitigung der staatlichen Zwangsgewalt und zugleich Abbau der gesamtstaatlichen Organisation.

Chruschtschow begründete seine Abweichung damit, daß sich die KPdSU aus einer „Avantgarde des Proletariats" in eine „allgemeine Volkspartei" verwandelt habe und daß zugleich der Klassenkampf in der Sowjetunion sein Ende gefunden habe.

Auf Grund der bisherigen Lehre ergab sich aus dieser Feststellung die Folgerung, daß die Partei als Herrschaftsorganisation zusammen mit dem Staat „absterben" mußte und daß vom veränderten Klasseninhalt her der Abbau von Partei und Staat zu beschleunigen war.

Chruschtschow versuchte der Forderung nach dem „Absterben des Staates" dadurch zu entsprechen, daß er auf dem XXL Parteikongreß der KPdSU im Januar/Februar 1959 für eine Übertragung von staatlichen Aufgaben von den Sowjets, damit vom Staatsapparat, auf die „gesellschaftlichen Organisationen", das heißt die Partei und die übrigen Massenorganisationen, eintrat Aus seinen Ausführungen wurde der äußerst begrenzte Charakter der von ihm angestrebten Veränderungen deutlich. Die von ihm genannten Beispiele bezogen sich auf die kulturelle Betreuung, das Gesundheitswesen, den Sport und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Gesundheitswesen gedachte Chruschtschow in den Städten an die Gewerkschaften und auf dem Lande an die lokalen Sowjets, den Sport an freiwillige Verbände zu übertragen. Auf dem Aufrechterhaltung Gebiet der der öffentlichen Sicherheit, das eindeutig staatshoheitlichen Charakter besitzt, trat Chruschtschow für die Übertragung bestimmter Ordnungsfunktionen an eine Volksmiliz und Kameradschaftsgerichte ein. Die Gerichte, die Polizei und die Staatsanwaltschaft sollten in Zukunft nur noch „parallel" mit diesen gesellschaftlichen Organisationen den Schutz der öffentlichen Ordnung wahrnehmen. Ihnen sollte die Aufgabe zufallen, „auf Personen einzuwirken, die sich böswillig den Normen der sozialistischen Gesellschaft nicht fügen und sich nicht erziehen lassen.“ Auf das Problem, wie sich alle diese Einrichtungen, zu denen noch die „Allgemeinen Bürgerversammlungen" der Parasitengesetze hinzu kamen, auf die Stabilität der sowjetischen Rechtsordnung auswirken mußten, ging Chruschtschow nicht ein. Ihm schien auch nicht bewußt zu sein, daß zwischen dem von ihm angestrebten Ideal einer „gesellschaftlichen Rechtspflege" und dem im Rahmen der Rechtsreformen nach dem Tode Stalins wiederhergestellten Monopolanspruch der ordentlichen Gerichte ein unüberbrückbarer Widerspruch bestand. Chruschtschow wandte sich entschieden dagegen, das Absterben des Staates auf Grund seiner Vorschläge mit einer „Art Blätterfall im Herbst" gleichzusetzen, „bei dem nur die kahlen Äste übrigbleiben" würden. Der Über-gang einzelner Funktionen von den Staats-organen auf die „gesellschaftlichen Organisationen" würde keineswegs eine Schwächung der Rolle des sozialistischen Staates beim Aufbau des Kommunismus bedeuten.

Die inzwischen größtenteils verwirklichten Vorschläge Chruschtschows bedeuten keinen Abbau der gesamtstaatlichen Organisation, sondern nur eine Umverteilung von Zuständigkeiten innerhalb des „Mechanismus der Diktatur". Es besteht kein Zweifel, daß sich an der autokratischen Herrschaftsordnung auch dann nichts ändern würde, wenn alle Staatsfunktionen an die Partei und die von ihr abhängigen Massenorganisationen übertragen werden würden, da diese in politisch-soziologischer Hinsicht Herrschaftsorganisationen darstellen. Selbst Stalin hat nie daran gezweifelt, daß die Partei mit dem Staat absterben werde. Die These von der „Unsterblichkeit der Partei", die von Chruschtschow zuerst 1958 aufgestellt wurde, bedeutet eine entscheidende Abweichung vom Ursprungskonzept. Sie besagt, daß sich die „Klassenlose Gesellschaft" — unabhängig von ihrem utopischen Charakter — niemals herstellen lassen wird, da die Herrschaftslosigkeit nach Marx die Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der kommunistischen Endgesellschaft bildet.

Die Unterscheidung zwischen politischen und gesellschaftlichen Funktionen ist zu fadenscheinig, um nicht die Absicht Chruschtschows zu erkennen, die Partei als Herrschaftsorganisation für alle Zeiten zu erhalten.

Bei dieser tiefgehenden Revision der bisherigen marxistisch-leninistischen Staatslehre ist es nur konsequent, wenn in einem Aufsatz der führenden sowjetischen Rechtszeitschrift davon gesprochen wird, daß es im Voll-kommunismus nicht nur eine Verwaltung von Sachen, sondern auch von Personen geben würde

Da die Doppelfunktion der Sowjets als Staatsapparat und „gesellschaftliche Organisation" neuerdings besonders hervorgehoben wird, bedeutet dies, daß auch das Rätesystem an der Seite der Partei und der übrigen Massenorganisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften, Komsomol usw.) erhalten bleiben soll. Eine Veränderung in der Zusammensetzung des „Mechanismus der Diktatur“ tritt somit nicht ein.

Auch die bisherigen Maßnahmen zur Stärkung der „Sowjetdemokratie" sind so geringfügig, daß von einem Absterben der Diktatur vor dem Staat nicht die Rede sein kann. Das „kollegiale Führungsprinzip" und das Turnus-system, die auf Grund des Parteiprogramms und der Parteisatzung Bestandteile der materiellen Rechtsverfassung geworden sind, bedeuten nur eine stärkere Hervorkehrung der oligarchischen Züge der autokratischen Herrschaftsordnung. Der Demokratisierungsprozeß kann durch diese Entwicklung, zu der noch die Verringerung der hauptamtlichen Funktionäre tritt, gefördert werden. Dieser Prozeß ist aber bisher nirgends richtig in Gang gekommen. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Sowjets, die auch unter Stalin regelmäßig zusammentraten, sondern auch für die Partei, wo in den letzten Jahren soviel von „innerparteilicher Demokratie" die Rede war. Auch von dem veränderten Klasseninhalt, der sich bereits unter Stalin in den dreißiger Jahren herausgebildet hatte, kann nicht ohne weiteres auf eine Einschränkung der Partei-diktatur geschlossen werden.

Der autokratische Aufbau der Partei ist unter Chruschtschow ebenso erhalten geblieben wie die totalitären Organisationsprinzipien, die ihm zugrunde lagen.

Alle Vorschläge, die auf eine Abschaffung des Organisationsprinzips der „monolithischen Einheit" und damit auf die Zulassung einer Fraktionsbildung innerhalb der Partei gerichtet waren, sind entschieden zurückgewiesen worden. Das Turnussystem, das einen Teil der Führungskader in bestimmten Zeitabständen auswechselt, gilt nicht für die Hierarchie der Parteisekretäre, die den Kern der Parteibürokratie darstellen, der als der eigentliche Träger der permanenten Parteidiktatur anzusehen ist. Die Parteiautokratie hat ihren unbeschränkten Charakter nicht verloren. Ihr ist lediglich mit der Bezeichnung „allgemeiner Volksstaat" ein neues Etikett umgehängt worden

Der Zuständigkeitsbereich der Partei hat sich auf Grund der Verwaltungsreform von Chruschtschow vergrößert und nicht verringert. Der größte Teil der Rechtsfunktionen des Sowjetstaates, und nicht nur die Teilfunktion der Regierung, werden jetzt von der Partei und ihren Organen permanent ausgeübt. Andererseits sind mit dem Führerkult auch gewisse despotische Entartungserscheinungen des Spätstalinismus von Chruschtschow beseitigt worden. Auch eine begrenzte Dezentralisierung der Parteiverwaltung ist zugelassen worden. Für die wesentlich ausgebaute Parteiautokratie ist bezeichnend, daß trotz der dominierenden Stellung Chruschtschows die Fülle der Entscheidungsgewalt wie in den zwanziger Jahren in den Händen eines „Führerkollektivs" liegt, das sich faktisch selbst durch Kooptation ergänzt. Nicht nur alle politischen Entscheidungen, sondern auch die Steuerung des gesellschaftlichen Integrationsund Umwandlungsprozesses liegt in den Händen dieser kleinen Führungsgruppe, welche die Schlüsselstellungen in den Vollzugsorganen des Zentralkomitees (Präsidium, Sekretariat) und des Ministerrats der UdSSR inne hat. Die für die Parteiautokratie seit Lenin bezeichnenden alten Führungsgremien sind, wenn auch teilweise unter anderem Namen, geblieben.

Weggefallen sind lediglich zwei Institutionen, die für den stalinistischen Führerstaat bezeichnend waren: das Führeramt, das niemals verfassungsrechtlich verankert war, und das Privatsekretariat des „Woshdj" (Führers) mit Poskrjobyschew, dem „Schildknappen" Stalins, an der Spitze.

Die Führungsspitze weist auf Grund ihres vorwiegend oligarchischen Charakters eine größere Labilität und zugleich auch eine größere Abhängigkeit von den im Zentralkomitee vertretenen Kräften auf.

Zu der Beschränkung der Parteiautokratie „von oben", wie sie im stalinistischen Führerstaat vorlag, ist so eine Beschränkung „von unten" getreten, welche eine Abkehr vom Totalitarismus begünstigt.

Das entscheidende Element, das Stalin — abgesehen von seiner persönlichen Selbstherrschaft — zur Parteiautokratie hinzugefügt hat, war eine totale soziale Kontrolle „von oben". Sie erstreckte sich nicht nur auf alle gesellschaftlichen Organisationen, sondern auch auf alle Massenmedien und die damit verbundenen Informationsmöglichkeiten. Im Rahmen eines vielgestaltigen Kontrollsystems fiel der Staatspolizei, die seit der „Großen Säuberung" 1934— 38 unmittelbar der „Führerkanzlei" unterstand, in der Stalin-Ära eine besondere Bedeutung zu. 2. Die totale Kontrolle Der Massenterror diente hauptsächlich dazu, die Eflektivität des Kontrollapparats unter Beweis zu stellen.

Die totale Form der Kontrolle, die jede Initiative abtötete, hat wesentlich zu einer Stagnation auf vielen Gebieten der Kultur und Geisteswissenschaft geführt. Dieser Stillstand machte sich in den letzten Lebensjahren Stalins auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet bemerkbar und verursachte zunehmende innere Spannungen.

Die Tendenz zum Ständestaat, die sich aus diesem Streben nach totaler Kontrolle aller Lebensbereiche entwickelte, ließ das schöpferische Leben immer mehr erstarren. Der Verlust an sozialer Mobilität und persönlicher Initiative konnte durch die Disziplinierung des Sozialkörpers, die Stalin mit einem ausgeklügelten Rangklassensystem anstrebte, nicht ausgewogen werden.

Die Entwicklung der letzten Jahre ist durch das Bestreben Chruschtschows gekennzeichnet, die totalitäre Einparteienherrschaft unter Beibehaltung der umfassenden sozialen Kontrolle an die veränderte innere Situation anzupassen und dabei einen bestimmten Grad gesellschaftlicher Spontaneität zuzulassen. Chruschtschow ist durchaus bewußt, daß ohne gesellschaftliche Spontaneität sozialer Fortschritt nicht möglich ist. Er versucht diese Spontaneität zu wecken und sie zugleich zu kanalisieren und zu regulieren. Auf die Dauer wird sich die totale Kontrolle, die unter Chruschtschow in Gestalt einer einheitlichen Partei-und Staatskontrolle und durch Übertragung von Kontrollfunktionen an „gesellschaftliche Organe" ausgebaut worden ist mit der Förderung gesellschaftlicher Spontaneität nicht vereinen lassen.

Das Hin und Her der Verwaltungsreformen Chruschtschows läßt erkennen, wie schwer es dem sowjetischen Partei-und Regierungschef fällt, eine bestimmte Relation zwischen den organisatorischen Maßnahmen der Führungsspitze und den sich immer neu bildenden spontanen Prozessen innerhalb der Gesellschaft herzustellen. 3. Die totale Planung Auch das Element der totalen Planung, das für das totalitäre Herrschaftssystem in der Sowjetunion konstitutiven Charakter besitzt, ist hauptsächlich von Stalin entwickelt worden. Er hat es mit dem Gedanken der Erziehungsdiktatur verbunden, der bei Lenin wesentlich ausgeprägter war als bei Marx und Engels.

Die Planung ist in der Sowjetunion an der ideologischen Zielsetzung der Staatspartei ausgerichtet und damit durch die Integration politischer Wertmaßstäbe bedingt.

Sie erfaßt nicht nur über den Plan den wirtschaftlichen und kulturellen Bereich, sondern über die jeweilige Generallinie der Partei, die sich im Parteiprogramm orientiert, auch den politischen Bereich.

Das Parteiprogramm ist wiederum an dem in der Theorie festgelegten eschatologischen Endziel ausgerichtet.

Die totale Planung ist auf die planmäßige Umformung der bestehenden sozialistischen Gesellschaft, die nur als Durchgangsstadium zum Vollkommunismus gesehen wird, und auf die Schaffung eines neuen, kommunistischen Menschen entsprechend dem ideologischen Leitbild ausgerichtet. Der permanente soziale Struktur-wandel erfolgt vorwiegend auf evolutionärem Wege, das heißt mit Hilfe ideologischer Lenkung und erzieherischer Mittel Revolutionäre Eingriffe „von oben" sind nur ausnahmsweise vorgesehen. Gemeinsam ist allen sozialen Umgestaltungen ihr planmäßiger Charakter. Insofern ist die auf das Endziel ausgerichtete totale Planung und nicht so sehr ein neuer Revolutionstyp das besondere Merkmal des totalitären Systems In dem permanenten sozialen Strukturwandel, der durch die totale Planung bewirkt wird, liegt die Rechtfertigung für das unbeschränkte Machtmonopol der Partei und die von ihr ausgeübte totale soziale Kontrolle.

Würde die Sowjetführung das Endziel preisgeben, so würde damit die Begründung für den totalitären Charakter der Einparteiherrschaft wegfallen. Daher ist es zu verstehen, daß Chruschtschow mit solcher Inbrunst am Endziel festhält und sogar das Risiko auf sich genommen hat, den genauen Termin für den Eintritt des Kommunismus in der Sowjetunion im neuen Parteiprogramm festzulegen.

Auf Grund dieser systembedingten Logik ist auch der Zwanzigjahresplan, der zur Erreichung dieses Ziels dient, in das Parteiprogramm ausgenommen worden. Der Zwanzigjahresplan ist somit ebenso wie der laufende Siebenjahresplan nicht als formelles Gesetz ergangen, sondern von dem formal höchsten Organ der KPdSU, dem Parteikongreß, beschlossen worden.

Die eingehenden Ausführungen nicht nur über die kommende kommunistische Endgesellschaft, sondern auch über die Charakterzüge des neuen, kommunistischen Menschen, lassen in Verbindung mit der umfassenden Planung auf dem Bildungssektor deutlich die Verbindung von Plan-und Erziehungsdiktatur erkennen. Die „Reideologisierung von oben", die von den sowjetischen Parteiideologen seit dem XXII. Parteikongreß der KPdSU im Oktober 1961 in verstärktem Maße betrieben wird läßt deutlich erkennen, daß Chruschtschow an dem totalitären Herrschaftssystem unbeirrt festzuhalten gedenkt.

II. Die Verwaltungsreformen Chruschtschows

Industrieverwaltung Parteiverwaltung Agrarverwaltung

Das sowjetische Herrschaftssystem beruhte in der Stalin-Ära seiner Verwaltungsstruktur nach auf vier Organisationsprinzipien:

1.der Gewaltenvereinigung, 2.dem „demokratischen Zentralismus", 3.der planmäßigen Leitung, 4.der einheitlichen Befehlsgewalt.

Die „einheitliche Befehlsgewalt“ (Jedinonatschalije), die der Wehrreform von 1924 zugrunde lag, war in Gestalt des Direktorialprinzips 1929 in der Industrieverwaltung ein-geführt worden. Im politischen Bereich wirkte sich die Einmannleitung ab 1934 als „Führerprinzip" aus.

Die Verwirklichung dieses Prinzips in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ließ den bolschewistischen Einparteistaat in zunehmendem Maße zu einem „Führerstaat" werden An dem Prinzip der „einheitlichen Befehls-gewalt“ wird in der Wirtschaftsverwaltung auch heute festgehalten, während es im politischen Bereich durch das bereits früher erwähnte „kollektive Führungsprinzip" ersetzt worden ist.

Auf Grund der obengenannten Organisationsprinzipien ist der Sowjetstaat unter Chruschtschow ebenso wie unter Stalin als ein zentralisierter Verwaltungsstaat und zugleich als ein totaler Planstaat anzusehen. Aus dieser besonderen Verwaltungsstruktur des Sowjetstaates ergibt sich zweierlei:

a) Für eine Auflockerung des totalitären Herrschaftssystems ist ohne Beschränkung des aufgeblähten Verwaltungs-und Planungsapparats nur ein begrenzter Spielraum vorhanden. Einer „Liberalisierung" sind somit einerseits von dieser Struktur her, andererseits durch den absoluten Charakter der Parteidiktatür feste Grenzen gesetzt; b) im Rahmen der sowjetischen Staats-, Wirtschafts-und Parteiverwaltung ist nur ein sehr begrenzter Grad von Dezentralisierung möglich. Wenn in der Stalin-Ära von „Dezentralisation" der Verwaltung gesprochen wurde, handelte es sich in Wirklichkeit nur um eine Dekonzentration.

Ansätze zu einer wirklichen Dezentralisierung, bei der den regionalen und lokalen Instanzen wesentliche Entscheidungbefugnisse übertragen worden sind, machten sich erst in der Verwaltungsreform Chruschtschows von 1957 bemerkbar Auch in der Verwaltungsreform von 1962 finden sich diese Ansätze, die in einer größeren Betriebsautonomie (die auf Grund eines Betriebsgesetzes gewährt werden soll) und in den erweiterten Planungsbefugnissen der Unionsrepubliken zum Ausdruck kommen. Diese Dezentralisierungstendenzen werden aber durch Maßnahmen einer verstärkten Zentralisierung der Wirtschaftsführung überschattet, die im ländlichen Bereich primär der Partei zugewiesen wird, der auch weitgehende Kontrollbefugnisse über den Wirtschaftsprozeß übertragen werden.

Zwei Fragen haben bei den sowjetischen Verwaltungsreformen, unabhängig von der jeweils stärkeren oder schwächeren Tendenz zur Zentralisierung, immer eine besondere Rolle gespielt. Auf der einen Seite stand dem Prinzip der Spezialisierung nach Verwaltungszweigen das Prinzip der Spezialisierung nach Verwaltungsfunktionen („Funkzionalka") gegenüber. Auf der anderen Seite handelte es sich um die Frage, ob die Verwaltungsorganisation auf der Grundlage des Territorial-oder des Produktionsprinzips aufgebaut werden sollte. Die Reform Stalins von 1934 bedeutete eine Entscheidung zugunsten Spezialisierung Verwaltungszweigen nach und zugleich einen gewissen Kompromiß zwischen dem Territorial-und Produktionsprinzip

Alle Institutionen, auf denen die sowjetische Staats-und Gesellschaftsordnung seit der Vollsozialisierung beruhte, wurden auf dem produktions-territorialen Prinzip aufgebaut, das von 1934 bis 1962 für den Parteiaufbau bestimmend war. Es ist mit einer geringfügigen Änderung, die sich auf die Partei-organisation von geschlossenen Arbeitssiedlungen und Wohnblocks bezog, auch in die von Koslow vorgelegte neue Parteisatzung von 1961 ausgenommen worden.

Das produktions-territoriale Prinzip, verbunden mit der Spezialisierung nach Verwaltungszweigen, ermöglichte bei einer klaren organisatorischen Scheidung von Partei und Staat die unmittelbare Führung bestimmter produktionswirtschaftlich und territorial klar umrissener Verwaltungseinheiten durch die Zentrale.

Der Aufbau der Parteiorganisation entsprach dabei dem territorialen Aufbau der gesamtstaatlichen Organisation. Die einzige Ausnahme bildeten die Parteigrundorganisationen, die ausschließlich auf dem Produktionsprinzip aufgebaut waren. Es gab somit Parteizellen in Industriebetrieben, Kolchosen und Sowchosen sowie sonstige Dienststellen, nicht aber eine Parteiorganisation in der Dorfgemeinde (Sel’sowjet), der untersten Stufe der Staatsverwaltung auf dem Lande.

Durch die Reform im Frühjahr 1957 wurde die Verwaltung des Industrie-und Bauwesens, durch die organisatorischen Maßnahmen des März-Plenums 1962 die Agrarverwaltung weitgehend verselbständigt.

Durch die im Mai 1957 gebildeten Volkswirtschaftsräte (Sownarchose), für die teilweise Gebietsorganisationen der Partei zuständig waren, wurde das Territorialprinzip im Verhältnis zum Produktionsprinzip gestärkt. Das vertikale Leistungssystem der Ministerien wurde gleichzeitig weitgehend durch das horizontale Leistungssystem der regionalen Volkswirtschaftsräte ersetzt.

Die Reformen von 1962 ließen eine entgegengesetzte Richtung erkennen Die Wirtschaftsverwaltung wurde unter Wiederherstellung des durchgehenden vertikalen Aufbaus wieder enger mit der Staatsverwaltung verbunden, zugleich aber der unmittelbaren Befehlsgewalt der Partei unterstellt. An Stelle des Dualismus von Partei und Staat der StalinÄra und den Ansätzen zu einem Trialismus von Partei, Staat und Wirtschaft in der Reform von 1957 machte sich eine starke Tendenz zum Monismus bemerkbar, die in der teilwei-sen Verschmelzung der Partei-, Staats-und Wirtschaftsverwaltung zum Ausdruck kam. Gleichzeitig trat im Parteiaufbau und teilweise auch im Aufbau der Staatsverwaltung das territoriale Prinzip gegenüber dem Produktionsprinzip zurück.

Im Unterschied zu 1957 ist durch die Reform-maßnahmen, die auf dem November-Plenum des Zentralkomitees 1962 beschlossen wurden, auch die Parteiverwaltung erfaßt worden. Bei der großen Verwaltungsreform handelt es sich um die tiefgehendste Umgestaltung der organisatorischen Struktur der Partei seit der Oktoberrevolution.

Die Partei wird bis zur Gebietsebene einschließlich in zwei Kolonnen von ungleicher Stärke aufgeteilt. Die eine bildet vorwiegend eine Arbeiter-und Intelligenzlerpartei von 7, 5 Mill., die andere eine Bauernpartei von 2, 5 Mill. Parteikommunisten.

Auf der unionsrepublikanischen Ebene treffen die beiden Kolonnen wieder zusammen. Durch die Zweiteilung und das Produktionsprinzip sollen die Vollzugsorgane der Partei auf allen Verwaltungsstufen in die Lage versetzt werden, die unmittelbare Leitung der Industrie-und Landwirtschaftsproduktion zu übernehmen.

Die Partei soll sich nicht mehr mit einem durch die organisatorische Trennung begrenzten Weisungsrecht begnügen, sondern soll die operative Verwaltung selbst in die Hand nehmen.

Durch die Beseitigung der bisherigen klaren Abgrenzung zwischen der Partei-und Staatsverwaltung verstößt Chruschtschow gegen eine grundlegende Forderung Lenins, die bisher ein allgemein gültiges Axiom des Staatsrechts und der Verwaltungslehre der Sowjetunion gebildet hatte. Die Partei hatte die Arbeit der staatlichen Verwaltungsorgane zu leiten. Sie hatte aber ihre operative Arbeit nicht zu ersetzen.

Die Partei war im Sinne der bisherigen Grund-konzeption vor allem Träger der Regierungsund Organisationsgewalt, das heißt der eigentlichen politischen Gewalt des Staates.

Die Verwaltung, als derjenige Teil der Exekutive, der in erster Linie der technischen Durchführung diente, gehörte dagegen fast ausschließlich zur Zuständigkeit der Sowjets, das heißt des Staatsapparates im engeren Sinne.

Nunmehr soll die Partei sich auch an der Ausübung der Verwaltungsfunktion des Staates im Bereich der Wirtschaft permanent beteiligen. Die Verparteilichung des Staates, die durch diesen Prozeß herbeigeführt wird, hat gleichzeitig eine stärkere Verstaatlichung der Partei zur Folge. Indem Chruschtschow die Partei versachlicht und unmittelbar an der Verwaltungsfront einsetzt, entzieht er sie aber ihrer eigentlichen Aufgabe, Motor der Staats-maschinerie und Hüter des revolutionären Sendungsbewußtseins zugleich zu sein. Der Verschleiß, dem die Partei durch die tägliche Verwaltungsarbeit ausgesetzt wird, muß sich zwangsläufig auf ihre Fähigkeiten auswirken, nicht nur die führende und lenkende, sondern auch die beseelende Kraft des Sowjetsystems zu bilden. Die Verantwortung, die sie bisher in der praktischen Arbeit auf andere Institutionen abwälzen konnte, fällt nunmehr auf sie zurück.

Die Absicht, der Partei die Leitung der gesamten Wirtschaftsverwaltung zu übertragen, war bei der Großen Verwaltungsretorm von vornherein mit zwei entgegengesetzten Tendenzen verbunden.

Auf der einen Seite war eine verstärkte Zentralisierung der Wirtschaftsführung bei gleichzeitiger räumlicher Konzentration der Wirtschaftsverwaltung feststellbar. Auf der anderen Seite ließen die Ausführungen Chruschtschows auf die Absicht schließen, die Planungsbefugnisse der Unionsrepubliken wesentlich zu erweitern und den Betrieben eine größere Autonomie bei der Aufstellung und Verwirklichung der laufenden Pläne zu gewähren. Die Sowjetwirtschaft bedurfte dringend einer solchen Stärkung der örtlichen Initiative, nachdem die dem November-Plenum vorangegangene Liberman-Diskussion die Schwächen einer ausgesprochenen Befehls-wirtschaft aufgedeckt hatte.

Wenn andere Anreize in ausreichendem Maße nicht zur Verfügung standen, war die Dezentralisierung das einzige Mittel, um eine begrenzte Produktivitätssteigerung und zugleich mehr Informationen für eine kontinuierliche Planung, wie sie von sowjetischer Seite immer dringender angestrebt wird, zu erzielen.

Die Sowjetführung war sich der Gefahren, die sich aus dieser größeren örtlichen Autonomie für das System ergeben konnten, durchaus bewußt. Die schrittweise Rückkehr zum durchgehenden vertikalen Leistungssystem, unter Einbau der regionalen Volkswirtschaftsräte, ebenso wie die stärkere Einschaltung der Partei in den Wirtschaftsprozeß waren dazu bestimmt, einer solchen Entwicklung vorzubeugen. Diese Maßnahmen trugen aber dazu bei, die zwiespältigen Züge der Verwaltungsreform zu verstärken. Diese wies von vornherein einen uneinheitlichen und unfertigen Charakter auf. Weder lag eine genaue Kompetenzabgrenzung zwi-sehen dem Bund und den Unionsrepubliken auf dem Gebiet der Planung vor, noch war das Verhältnis der Partei zu den neuen Organen der staatlichen Industrie-und Bauverwaltung hinreichend geklärt.

Die weitere Behandlung dieser beiden offenen Fragen ermöglichte es den Befürwortern eines härteren innenpolitischen Kurses, der Verwaltungsreform eine Wendung zu geben, wie sie von Chruschtschow ursprünglich nicht beabsichtigt war.

Sie ist in der Verwaltungsreform vom 13. März 1963 zum Ausdruck gekommen durch die ein Oberster Volkswirtschaftsrat der UdSSR (WSNCh), gleichsam als ein Wirtschaftskabinett, gebildet worden ist. Außerdem sind die auf Grund der November-Beschlüsse geschaffenen neuen Befehlsstellen für die Industrie und das Bauwesen erneut in ihrer Struktur verändert worden.

Durch die Verwaltungsreform vom 13. März 1963 wird die Zentralisierung der Sowjetwirtschaft ohne Rücksicht auf den föderativen Aufbau der Sowjetunion auf die Spitze getrieben. Die sachliche Verwaltungskonzentration, die zur Bildung des Obersten Volkswirtschaftsrates der UdSSR geführt hat, verbindet sich mit einer weiteren territorialen Konzentration, die in der Umwandlung der dem WSNCh unterstellten Verwaltungsorgane zum Ausdruck kommt.

Die Sowjetregierung wies auf Grund dieser institutioneilen Veränderungen am 31. Dezember 1963 die auf Seite 12 skizzierte Struktur auf

Mit Dekret vom 27. Juli 1964 ist ein besonderes Ministerium für Zivile Luftfahrt gebildet worden. Damit hat sich die Zahl der Ministerien auf zwölf erhöht. Neu errichtet wurde im Januar 1964 ein Staatskomitee für Olverarbeitungs-und Olchemische Industrie, das offenbar vom Staatskomitee für Chemische und Erdölindustrie abgetrennt worden ist. Damit vergrößerte sich die Gesamtzahl der dem Staatlichen Plankomitee der UdSSR unterstellten Staatskomitees auf 14.

Die gesamte Rüstungsindustrie ist im Rahmen der Reform vom 13. März 1963 dem Obersten Volkswirtschaftsrat der UdSSR unmittelbar unterstellt worden. Seine Leitung ist von Lfstinow, einem unter Stalin großgewordenen Rüstungsspezialisten, im Range eines Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten der UdSSR übernommen worden. Auch sonst ist das Gewicht der Wehrwirtschaftsführer gestärkt worden.

Auf Grund des gegenwärtigen Standes der Verwaltungsreform besteht zwischen der Partei-und Agrarverwaltung, nicht aber zwischen der Partei-und Industrieverwaltung eine so enge Bindung, daß von einer unmittelbaren Produktionsleitung der Partei gesprochen werden kann (s. Schaubild S. 13). Es scheint, daß Chruschtschow gerade diese Verschmelzung von Partei-und Agrarverwaltung besonders am Herzen gelegen hat. Er hat sich mit der ländlich-agrarischen Parteiorganisation, die ein Viertel der Gesamtpartei ausmacht — ähnlich wie einst Zar Iwan der IV., der Schrekliche, mit seiner „Opritschnina-Politik —, einen seiner Befehlsgewalt unmittelbar unterworfenen Staat im Staate aufgebaut. Die neue Verwaltungsstruktur ermöglicht es der Partei, sich auf die Landwirtschaftsproduktion zu konzentrieren. Das gleiche kann in bezug auf die Industrieproduktion nicht gesagt werden. Hier ist durch die Reform vom 13. März 1963 der staatliche und nicht der parteiliche Einfluß auf die Wirtschaftsverwaltung verstärkt worden.

Die Parteireform läßt deutlich drei Motive Chruschtschows erkennen

1. Den Glauben, daß eine rationelle Verwaltungsorganisation in Verbindung mit dem richtigen Einsatz der in den einzelnen Bereichen vorhandenen qualifizierten Führungskader zu einer wesentlichen Steigerung der Industrie-und Landwirtschaftsproduktion und damit zu einer Überwindung der meisten wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen kann;

2. die Überzeugung, daß die Partei ihre Daseinsberechtigung in einer sich weiter entwickelnden Industriegesellschaft nur durch die Übernahme der Verantwortung für die wirtschaftliche Leistungssteigerung legitimieren kann;

3. die Absicht, die bürokratischen Erstarrungstendenzen im Parteiapparat und die stali-nistischen Trägheitswiderstände in der gesamten Bürokratie, vor allem in ihren mittleren Rängen, zu überwinden, um damit die Machtbasis der reaktionären Kräfte zu erschüttern.

An die Stelle des allround-Funktionärs, das heißt des an den „heiligen Schriften" des Marxismus-Leninismus geschulten und blind der jeweiligen Parteilinie folgenden Partei-Mandarins, sollten politisch flexible und mit wirtschaftlichem Sachverstand ausgestattete Parteifunktionäre treten.

Von ihnen erhoffte sich Chruschtschow offenbar eine Verstärkung der fortschrittlichen Kräfte in der Parteiführung, die ihm sowohl in der Innen-als auch in der Außenpolitik mehr Bewegungsfreiheit gewähren würden. Bisher scheint Chruschtschow allerdings die Ziele, die er mit seinem " coup de parti" (Löwenthal) verfolgte, nicht erreicht zu haben. Offenbar sind seine Gegner geschickter oder auch schwerer faßbar, als es bei der „AntiPartei-Gruppe" unter Führung Molotows und Malenkows im Jahre 1957 der Fall war.

III. Die Wandlungen im formellen Verfassungsrecht der Sowjetunion

8. 13. ZK-Sekretariat 6. Schelepin Iljitschow Demitschew (Stand vom 31. Juli 1964) Chruschtschow ZK-Präsidium (Politbüro) 6. 8. MR-Präsidium (Regierung) M. A. Lessetschko Dymschiz Die sowjetische Partei-und Staatsführung 'Vollmilglieder Kandidaten 1. Chruschtschow (Erster Sekretär) 2. Koslow (Zweiter Sekretär) 3. Breshnew 4. Susslow 5. Podgornyj (Vors. d. Komitees f. Partei-und Staatskontrolle) 7. Titow (Vors. d. Kommission f.

Organisations-u. Partei-fragen) (Vors. d. Ideologischen Kommission) 9. Ponomarjow (Leiter d. Ausländsabteilung West)

10. Andropow (Leiter der Ausländsabteilung Ost)

11. Rudakow (Vors. d. ZK-Büros f.

Industrie und Bauwesen)

12. Poljakow (Vors. d. ZK-Büros f.

Landwirtschaft) (Vors. d. ZK-Büros f. Chemische u. Leichtindustrie) 1. Chruschtschow (zugleich Vorsitzender d.

ZK-Büros d. RSFSR)

2. Koslow 3. Breshnew 4. Susslow 5. Podgornyj 6. Mikojan (Vors.des Präsidiums d. Obersten Sowjets der UdSSR)

7. Kossygin 8. Poljanskij 9. Woronow (Min. präs. d. RSFSR, Erster Stellv. Vors.

d. ZK-Büros d. RSFSR) 10. Kirilenko (Erster Stellv. Vors. d.

ZK-Büros der RSFSR) 11. Schwernik (Vors. d. Parteikommis.) 12. L. N. Jefremow Erster Sekretär d.

Gebietskomitees Gorkij) 13. Grischin (Vors. d. Sowjetgewerkschaften) 14. Schelest Erster ZK-Sekretär d.

KP Ukraine)

15. Masurow Erster ZK-Sekretär d. KP Weißrußland) 16. Mshawanadse Erster ZK-Sekretär d. KP Georgiens)

17. Raschidow (Erster ZK-Sekretär d. KP Usbekistans) 1. Chruschtschow (Ministerpräsident der UdSSR) 2. Kossygin (Erster Stellv.

Ministerpräsident der UdSSR)

3. Poljanskij 4. Schelepin (Vors. d. Komitees f.

Partei-u. Staatskontrolle) 5. D. F. Ustinow (Erster Stellv.

Min. präs. d. UdSSR)

Vors. d. Obersten Volkswirtschaftsrats (Vors. d. Kommission d.

MR-Präsidiums für außen-wirtschaftliche Fragen)

7. Lomako (Vors. d. Gosplan) (Vors. d. Volkswirtschaftsrats der UdSSR)

9. I. T. Nowikow (Vors. d. Gosstroj) 10. Rudnjow (Vors. d. Staatskomitees f Koordinierung wiss.

Forschungsarbeiten)

11. L. W. Smirnow (Rüstungsindustrie)

Die formelle Rechtsverfassung der UdSSR, das heißt das geschriebene Grundgesetz, ist seit dem Tode Stalins insgesamt achtundzwanzig Mal geändert worden Die Verfassungsänderungsgesetze betrafen meist den organisatorisch-institutionellen Teil der geltenden Bundesverfassung von 1936 und waren mit entsprechenden Änderungen der Verfassungen der Unionsrepubliken und Autonomen Republiken verbunden. Sie sind in starkem Maße durch die Verwaltungsreformen von 1953, 1957, 1960 und 1962/63 bestimmt worden. Es fällt auf, daß die Teil-reform vom 13. März 1963, die offenbar gegen den Willen Chruschtschows durchgesetzt wurde, erst im Verfassungsänderungsgesetz vom 19. Dezember 1963 (AOS UdSSR 1963, Nr. 52, Artikel 551) ihren Niederschlag gefunden hat.

Die Verfassungsänderungen lassen sich in die folgenden vier Gruppen einteilen, auf die kurz eingegangen werden soll:

1. Änderungen in der administrativ-territorialen Gliederung der UdSSR Diese Änderungen hängen teils mit der veränderten Nationalitätenpolitik Chruschtschows, teils mit der Schaffung von Wirtschaftsverwaltungsbezirken als der territorialen Grundlage für die Volkswirtschaftsräte (Sownarchose) zusammen. Teilweise machen sich bei ihnen die Grenzstreitigkeiten mit der Volksrepublik China bemerkbar.

Chruschtschow hat die kleineren Nationalitäten im nordkaukasischen Raum, die von Stalin auf Grund ihrer Zusammenarbeit mit den Deutschen nach Sowjetasien verschickt worden waren, rehabilitiert: Durch Dekrete vom 9. und 11. Januar 1957, die durch das Verfassungsänderungsgesetz vom 11. Februar 1957 (AOS UdSSR 1957, Nr. 4, Artikel 78) bestätigt wurden, ist die nationale Autonomie für die Völker der Balkaren, Tschetschenen, Inguschen, Karatschajer und Kalmücken wiederhergestellt worden. Damit wurde im Rahmen der RSFSR die Kabardinische ASSR wieder in eine Kabardino-Balkarische ASSR umgebildet, die Tschetscheno-Inguschische ASSR wiederhergestellt, ein Kalmückisches Autonomes Gebiet gebildet und das Tscherkessische Autonome Gebiet in ein Karatschajer-Tscherkessisches Autonomes Gebiet umgewandelt. Mit Dekret vom 26. Juni 1958, das durch das Verfassungsänderungsgesetz vom 25. November 1958 (AOS UdSSR 1959, Nr. 1, Artikel 18) bestätigt wurde, ist das Kalmückische Autonome Gebiet wieder in eine Kalmückische ASSR umgewandelt worden. Von der Wiederherstellung des selbständigen Karatschajer Autonomen Gebiets wurde dagegen abgesehen.

Nur bei den größten Volksgruppen, die unter Stalin deportiert worden waren, den Wolga-Deutschen und den Krim-Tartaren hat es Chruschtschow aus Rücksicht auf großrussische und ukrainische Interessen unterlassen, das begangene Unrecht wiedergutzumachen.

Die Krim ist mit Dekret vom 19. Februar 1954, das durch das Verfassungsänderungsgesetz vom 26. April 1954 (AOS UdSSR 1954, Nr. 10, Artikel 211) bestätigt wurde, von der RSFSR an die Ukrainische SSR übertragen worden. Die RSFSR erhielt im Ausgleich die Karelo-Finnische Unionsrepublik, die auf Grund des Verfassungsänderungsgesetzes vom 16. Juli 1956 (AOS UdSSR 1956, Nr. 15, Artikel 332) in eine Karelo-Finnische ASSR umgewandelt wurde.

Der chinesisch-sowjetische Konflikt veranlaßte die Umbenennung der Burjät-Mongolischen ASSR in eine Burjätische ASSR auf Grund des Dekrets vom 7. Juli 1958. Ferner wurde das Tuwinische Autonome Gebiet mit Dekret vom 10. Oktober 1961 in eine Tuwinische ASSR umgewandelt. Die beiden Dekrete wurden durch die Verfassungsänderungsgesetze vom 25. Dezember 1958 (AOS UdSSR 1959, Nr. 1, Artikel 18) und 8. Dezember 1961 (AOS UdSSR 1961, Nr. 50, Artikel 506) bestätigt. Auf Grund dieser Veränderungen hat sich die Zahl der Autonomen Republiken in der RSFSR, das heißt der Groß-russischen Unionsrepublik, von 12 auf 16 vergrößert. Die Zahl der autonomen Gebiete wuchs zunächst von sechs auf sieben an und verminderte sich dann auf fünf.

Bei einzelnen Unionsrepubliken haben außerdem Gebietsveränderungen stattgefunden, auf die hier nicht näher einzugehen ist. 2. Erweiterung der Rechte der Unionsrepubliken Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung, die mit den Dezentralisierungsbestrebungen Chruschtschows zusammenfielen, bildete das Dekret vom 31. Mai 1956 (AOS UdSSR 1956, Nr. 12, Artikel 250), durch welches das Justizministerium der UdSSR aufgelöst wurde, um — wie es im Vorspruch — „die -hieß über flüssige Zentralisation in der Leitung der Tätigkeit der Gerichte und Justizorgane der Unionsrepubliken zu beseitigen und deren Rolle in diesem Sektor zu stärken."

Mit der Auflösung des Justizministeriums der UdSSR gingen seine Funktionen, soweit sie die Leitung der Tätigkeit der unionsrepublikanischen Justiz-und Gerichtsorgane betrafen, auf die Justizministerien über Die „gericht-liehe Verwaltung" der Sondergerichte der UdSSR wurde an das Oberste Gericht der UdSSR übertragen. Für die Kodifizierung und Systematisierung des Sowjetrechts wurde eine besondere „Juristische Kommission" beim Ministerrat der UdSSR errichtet. Durch ein zweites Dekret vom 4. August 1956 (AOS UdSSR 1956, Nr. 16, Artikel 356) wurden die Rechte der Gau-und Gebietsgerichte erweitert, indem ihnen die zweite Teilfunktion der „gerichtlichen Verwaltung", soweit sie sich auf die Kontrolle über die Volksgerichte und Notariatsbehörden bezog, übertragen wurde. Die Verwaltungen der Justizministerien der Unionsrepubliken bei den Gau-und Gebiets-sowjets wurden aufgelöst. Das Verfassungsänderungsgesetz vom 11. Februar 1957 (AOS UdSSR 1957, Nr. 4, Artikel 63) brachte eine Neuregelung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern. Durch das Gesetz wurde unter Abänderung der Verfassung der UdSSR die seit 1936 ausschließlich dem Bundesgesetzgeber zustehende Gesetzgebungsbefugnis über den Aufbau der Gerichte und Erlaß von Zivil-, Straf-und Prozeßgesetzbüchern an die Unionsrepubliken übertragen.

Nach dem neugefaßten Artikel 14 Ziffer u der Verfassung der UdSSR verblieb in der Kompetenz der Union lediglich die Festlegung der „Grundsätze" für eine solche Gesetzgebung.

Wesentliche Änderungen der Gerichtsverfassung brachten zwei Gesetze vom 11. und 12. Februar 1957 (AOS UdSSR 1957, Nr. 4, Artikel 72 und 80) 31). Durch die neue Ordnung des Obersten Gerichts der UdSSR, die entsprechende Änderungen der Verfassung der UdSSR (Artikel 104, 105) notwendig machte, wurde die Zuständigkeit des Obersten Gerichts der UdSSR wesentlich beschränkt. Während das OG UdSSR bisher auf Grund der Verfassung von 1936 und des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1938 die Aufsicht über die gerichtliche Tätigkeit aller Gerichtsorgane der UdSSR und der Unionsrepubliken im vollen Umfange ausübte, sollte es jetzt nur in Ausnahmefällen die in die Zuständigkeit der Obersten Gerichte der Unionsrepubliken fallenden Rechtssachen im Wege des gerichtlichen Aufsichtsverfahrens überprüfen. Diese Ausnahmefälle waren gegeben, wenn die Entscheidung des Obersten Gerichts einer Unionsrepublik der Bundesgesetzgebung widersprach oder die Interessen anderer Unionsrepubliken verletzt wurden. Innerhalb des bundesstaatlichen Gerichts-systems, bei dem lediglich die sogenannten Transportgerichte in Fortfall kamen, blieb es bei der bisherigen Regelung im Aufsichtsverfahren. Die Kompetenz des OG UdSSR als Gericht erster Instanz in Fällen „von außerordentlicher Bedeutung, die ihm durch Gesetz übertragen sind", blieb unverändert erhalten.

Durch das zweite Gesetz wurden die Gerichte des Eisenbahn-und Wassertransports, das heißt die oben erwähnten sogenannten Transportgerichte, auf der Unionsebene aufgelöst und ihre Zuständigkeit auf die Gerichtsorgane der Unionsrepubliken übertragen. Im bundesstaatlichen Gerichtssystemverblieben somit an Sondergerichten nur noch die Militärtribunale. Die Erweiterung der Rechte der Unionsrepubliken sollte sich auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung allein nicht beschränken. Durch ein Gesetz vom 11. Februar 1957 (AOS UdSSR 1957, Nr. 4, Art. 80), das ebenfalls mit einer entsprechenden Änderung der Verfassung verbunden war, wurde den Unionsrepubliken die Befugnis übertragen, Fragen des administrativ-territorialenAufbaus der Gaue und Gebiete selbst zu entscheiden. Damit wurde die Zahl der Verfassungsänderungen auf der Bundesebene, soweit sie die administrativ-territoriale Gliederung der UdSSR betrafen, wesentlich verringert. Die Art. 23, 29, 29 a und 29 b der Bundesverfassung wurden aufgehoben. Auch das Bundesgesetz über die Verwaltungsreform vom 10. Mai 1957 (AOS UdSSR 1957, Nr. 11, Art. 275) und das damit verbundene Verfassungsänderungsgesetz (AOS UdSSR 1957 Nr. 11, Art. 276) bedeuteten eine Stärkung des föderalistischen Gedankens. Diesem Zweck diente auch die Errichtung einer besonderen „Wirtschaftskommission" beim Nationalitätenrat des Obersten Sowjets der UdSSR durch Beschluß vom 11. Februar 1957 (AOS UdSSR 1957 Nr. 4, Art. 89).

Durch die 1960 erfolgte Schaffung von republikanischen Volkswirtschaftsräten in Unionsrepubliken mit einer Vielzahl von regionalen Volkswirtschaftsräten, die im Verfassungsänderungsgesetz vom 22. Dezember 1960 (AOS UdSSR 1960, Nr. 51, Art. 488) ihren Niederschlag fand, wurden die Rechte der Unionsrepubliken nicht beeinträchtigt. Trotzdem bildete diese Modifizierung der Verwaltungsreform von 1957 den Ausgangspunkt einer Entwicklung, die zu einer erneuten Aushöhlung des Sowjetföderalismus führen sollte. Dies ist in der Großen Verwaltungsreform von 1962 und vor allem in der Teilreform vom 13. März sehr deutlich geworden. Die Bildung eines für die vier turkestanischen Unionsrepubliken zuständigen mittelasiatischen Volkswirtschaftsbezirks (AOS UdSSR 1963, Nr. 7, Art. 22), dessen Sownarchos dem Volkswirtschaftsrat der UdSSR unmittelbar unterstellt ist, steht zweifellos im Widerspruch zum Wortlaut und Geist der Bundesverfassung. 3. Änderungen bei den Staatsorganen Die Neubildung, Vereinigung, Statusänderung und Auflösung von Ministerien, Staatskomitees und sonstigen Bundesorganen und die damit verbundenen institutionellen Veränderungen machten seit 1953 ebenso wie in der Stalin-Ära den Großteil der Verfassungsänderungen aus Eine Institution ist dabei besonders zu erwähnen, die als Kollegium in der Verfassung selbst nicht aufgeführt wird. Es ist das Präsidium des Ministerrats der UdSSR, das in Gestalt eines „Kleinen Ministerrats" bereits unter Stalin bestand und zum ersten Mal im gemeinsamen Beschluß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, des Ministerrats der UdSSR und des Zentralkomitees der KPdSU vom 6. März 1953 aufgeführt wurde Bei dem Präsidium des Ministerrats der UdSSR handelt es sich um das Gremium der Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden und gewöhnlichen Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR. Das Amt eines Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten der UdSSR ist beim Bund durch das Verfassungsänderungsgesetz vom 15. Mai 1953 (AOS UdSSR 1953, Nr. 3) eingeführt worden. Bei den Unionsrepubliken ist es inzwischen wieder abgeschafft worden. 4. Änderungen im Grundrechtsteil Die auf dem XIX. Parteikongreß der KPdSU im Oktober 1952 beschlossene Namensänderung der Partei — KPSS statt WKP (b). — hat zur Änderung des Art. 126 auf Grund des Verfassungsänderungsgesetzes vom 8. August 1953 (AOS UdSSR 1953, Nr. 7) geführt Die Arbeitszeitverkürzung, die Aufhebung des 1940 im Widerspruch zur Verfassung eingeführten Schulgeldzwanges für die Oberschulen und die Bildungsreform Chruschtschows von 1958 hatten die Neufassung der Art. 119 (AOS UdSSR 1960, Nr. 18, Art. 140) und 121 (AOS UdSSR 1956, Nr. 15, Art. 315; AOS UdSSR 1959, Nr. 1, Art. 17) zur Folge

IV. Chruschtschows Plan einer Verfassungsreform

Eine Reform der sowjetischen Bundesverfassung ist von Chruschtschow bereits auf dem XXI, Parteikongreß der KPdSU im Januar 1959 angekündigt worden Er begründete sie mit der Notwendigkeit, die gewaltigen Veränderungen, die sich seit 1956 im inneren Leben der Sowjetunion und in der Weltpolitik vollzogen hatten, in der Staatsverfassung zu fixieren. Unter diesen Veränderungen hob er die Bildung des Ostblocks und den Beginn des Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaft in der Sowjetunion besonders hervor. In dem neuen Parteiprogramm der KPdSU von 1961 sind zahlreiche Änderungen in der sowjetischen Staats-und Gesellschaftsordnung erwähnt worden, die in der neuen Bundesverfassung festgehalten werden sollen

So ist das bei den Führungskadern der Partei auf Grund der neuen Parteisatzung von 1961 eingeführte Turnussystem auch bei den Sowjets und den Massenorganisationen vorgesehen. Das Parteiprogramm sieht die pauschale Erneuerung des Bestandes der Sowjets um ein Drittel in jeder Legislaturperiode vor. Die leitenden Staatsfunktionäre sollen in der Regel nur dreimal hintereinander gewählt werden. Bei besonders qualifizierten Funktionären ist eine Wiederwahl mit Dreiviertelmehrheit zulässig. Die Organe des Obersten Sowjets der UdSSR werden im Zusammenhang mit dieser Regelung nicht erwähnt. Sie beschränkt sich auch nur auf die gewählten Sowjetfunktionäre, nicht auf die hauptamtlichen Verwaltungsstellen. Im Programm ist lediglich vorgesehen, daß das Prinzip der Wählbarkeit und Rechenschaftspflicht allmählich auf alle „führenden Funktionäre“ der Staatsorgane ausgedehnt werden soll. Der hauptamtliche Staatsapparat soll wesentlich eingeschränkt werden.

Die allmähliche Eliminierung von Berufsfunktionären wird bezeichnenderweise nur als Ziel bei den Sowjets, nicht aber bei der Partei aufgestellt.

Chruschtschow hat sich in letzter Zeit darum bemüht, eine stärkere ehrenamtliche Beteiligung der Bevölkerung an der Verwaltungstätigkeit der Sowjets zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Bemühungen, die meist in Verwaltungszweigen von geringer politischer Bedeutung, so auf dem Gebiet der Bildung, des Handels und des Wohnungswesens angestellt wurden, scheinen allerdings nicht sehr ermutigend ausgefallen zu sein.

Das Parteiprogramm sieht vor, daß die Befugnisse der ständigen Kommissionen der Sowjetlegislative und der lokalen Sowjets wesentlich vergrößert werden sollen. Auch von einer weiteren Stärkung der Unionsrepubliken ist die Rede. Allerdings ist die im Programm vorgesehene und im Rahmen der Großen Verwaltungsreform teilweise verwirklichte Bildung von einheitlichen Wirtschaftsorganen für mehrere Republiken kaum geeignet, dies herbeizuführen. Der Gedanke, auf der Bezirks(Rayon-) ebene ein einheitliches Organ zu schaffen, das für die Verwaltung aller auf dieser Ebene tätigen Betriebe, Organisationen und Institutionen tätig sein soll, ist inzwischen fallengelassen worden. Die Rolle der Massenorganisationen (Gewerkschaften, Komsomol usw.) dürfte durch die Übertragung des Rechts der Gesetzesinitiative kaum wesentlich gesteigert werden. Für besonders wichtige Gesetzesentwürfe ist im Parteiprogramm die Einführung eines allgemeinen Volksentscheides vorgesehen.

Chruschtschow hat sich auf der I. Tagung des neugewählten Obersten Sowjets der UdSSR der 6. Legislaturperiode mit der geplanten Verfassungsreform näher befaßt.

In einer Erklärung „zur Ausarbeitung des Entwurfs einer neuen Verfassung der UdSSR“ vom 25. April 1962 forderte er die Errichtung eines neuen Verfassungsgebäudes, das dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Sowjetunion entsprechen würde.

Nach der Vollendung und Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung sei die Sowjetunion in die Periode des entfalteten Aufbaus des Kommunismus eingetreten. Damit habe sich der Staat der „Diktatur des Proletariats“ in einen „sozialistischen Volksstaat“ und die „proletarische Demokratie" in eine „Demokratie des gesamten Volkes" gewandelt. Die Sowjetunion würde sich nicht mehr in der „kapitalistischen Einkreisung" befinden, sondern den Mittelpunkt eines kommunistischen Staatensystems bilden.

Die Verfassung habe die jeweilige Etappe der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung widerzuspiegeln. Daher sei die Annahme einer neuen, zeitgemäßen Verfassung notwendig. Mit begrenzten Änderungen der geltenden Bundesverfassung könne man sich nicht mehr begnügen. Die neue Verfassung soll nach Chruschtschow im Geiste der Ideen Lenins und unter Zugrundelegung der im neuen Par-teiprogramm verankerten „Leninschen Prinzipien des gesellschaftlich-politischen Lebens, der Organisation und der Tätigkeit des sozialistischen Staates" ausgearbeitet werden. Sie soll einer Weiterentwicklung der „sozialistischen Demokratie", einem besseren Schutz der Grundrechte und Freiheiten, einer genaueren Befolgung der „sozialistischen Gesetzlichkeit" und dem allmählichen Übergang zu einer gesellschaftlichen kommunistischen Selbstverwaltung dienen.

Außerdem sollen der Grundsatz der „friedlichen Koexistenz", der „neue Typ gegenseitiger Beziehungen" der kommunistischen Länder und die Eigenart der Beziehungen zu den früheren Kolonialländern in der Verfassung ihren Niederschlag finden. Die Äußerungen Chruschtschows lassen erkennen, daß die Verfassungsreform in einem engen Zusammenhang mit seinen vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus höchst anfechtbaren ideologischen Thesen gesehen werden muß, die bereits im Parteiprogramm ihren Niederschlag gefunden haben.

Auf Grund des Berichts von Chruschtschow und des damit verbundenen Vorschlags des Zentralkomitees wurde vom Obersten Sowjet durch Beschluß vom 25. April 1962 (AOS UdSSR 1962, Nr. 17, Art. 182) eine „Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer neuen Verfassung der UdSSR" gebildet. Der Vorsitz der Kommission, die 96 Mitglieder aufweist, wurde Chruschtschow übertragen. Am 15. Juni 1962 fand die erste Sitzung der Kommission statt, auf der insgesamt neun Unterkommissionen gebildet wurden Die Vorarbeiten der Verfassungskommission und ihrer Unterkommissionen scheinen, wie aus einem Bericht über die jüngste Sitzung der Kommission unter Vorsitz Chruschtschows hervorgeht, nicht sehr weit gediehen zu sein Von den beiden sowjetischen Staatsrechtlern, die der Verfassungskommission angehören, hat sich Romaschkin bereits im Oktober 1960 ausführlich über den Inhalt der geplanten Unionsverfassung geäußert

Bei der neuen Unionsverfassung ist ebenso wie bei den Verfassungen der Lenin-Zeit eine Präambel vorgesehen, in der die von Chruschtschow genannten Grundsätze verankert werden sollen. Die Konstruktion des „allgemeinen Volksstaats" soll in der Umbenennung der Sowjets ihren Ausdruck finden. Sie sollen jetzt als Sowjets der Deputierten des „Volkes" und nicht mehr der „Werktätigen" bezeichnet werden. Es ist anzunehmen, daß die „Intelligenz" nach dem Vorbild der im Parteistatut der KPdSU von 1939 getroffenen Formulierung und im Einklang mit der neuen Verfassung der CSSR von 1960 als gleichberechtigte soziale Gruppe neben den Arbeitern und Bauern erwähnt werden wird. Vor allem soll aber die besondere Rolle der Partei, die in den ersten sowjetischen Verfassungen mit Stillschweigen übergangen wurde und in der Stalinschen Verfassung nur an einer Stelle (Art. 126) erwähnt wird, besonders hervorgehoben werden. Auch hierbei dürfte die neue Verfassung der CSSR als Vorbild dienen. An drei Stellen soll gemäß Romaschkin auf die führende Rolle der KPdSU im Sowjetstaat eingegangen werden. Die Partei soll im Mittelpunkt der Präambel stehen. Außerdem sollen sich die anschließenden Kapitel über die Gesellschaftsordnung sowie über die Grundrechte und Pflichten mit ihr befassen. In dem Kapitel über die Gesellschaftsordnung soll der Prozeß der allmählichen Angleichung der beiden Formen des „sozialistischen Eigentums", des Staatseigentums und des kollektivwirtschaftlich-genossenschaftlichen Eigentums, beschrieben werden. Außerdem sollen die Abschaffung der Einkommensteuer, die Arbeitszeitverkürzung, die gesellschaftlichen Fonds und die moralischen Antriebe bei der Arbeit behandelt werden.

Die Bestimmungen über die Grundrechte und Pflichten der Sowjetbürger sollen wesentlich erweitert werden. Die Bedeutung des Grundrechtsteils soll dadurch hervorgehoben werden, daß er unmittelbar nach der Gesellschaftsordnung aufgeführt wird. Der von Chruschtschow „Wohlfahrtskommunismus" in Gestalt erhöhter Sozialleistungen soll hier verankert werden; desgleichen die Forderung, die junge Generation im Geiste der kommunistischen Moral und im Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen Pflicht zu erziehen. Ferner soll auf die Erziehung der Völker der Sowjetunion im Geiste des Sowjetpatriotismus und des „sozialistischen Internationalismus" eingegangen werden.

Zwischen die folgenden Kapitel über den Staatsaufbau und die Staatsorgane soll das bisher vorletzte Kapitel über das Wahlsystem eingefügt werden. Die Befugnisse der Unionsrepubliken sollen im Einklang mit den Versprechungen des Parteiprogramms erweitert und ihre „Soveränität" soll gefestigt werden. Die Bemerkungen von Romaschkin lassen ebenso wie die Äußerungen Chruschtschows erkennen, daß von einer wirklichen „Demokratisierung" oder gar einer Tendenz zur Rechtsstaatlichkeit auf Grund der Chruschtschow-sehen Verfassung keine Rede sein kann.

Der programmatisch-propagandistische Cha-rakter der geplanten Verfassung könnte dazu beitragen, die für den Sowjetstaat bezeichnende Kluft zwischen Verfassungsform und Verfassungswirklichkeit dem einzelnen Sowjetbürger und der Außenwelt noch stärker als bisher bewußt werden zu lassen.

V. Die Wandlungen im materiellen Verfassungsrecht der Sowjetunion

Die sowjetische Verfassungswirklichkeit spiegelt sich vor allem in jenem Teil der materiellen Rechtsverfassung wider, die durch das formelle Verfassungsrecht nicht erfaßt wird. Zu den Rechtsquellen, die außerhalb des geschriebenen Grundgesetzes den Rang materiellen Verfassungsrechts besitzen, gehören vor allem die Satzungen der „gesellschaftlichen Organisationen“, die als Bestandteile des „Mechanismus der Diktatur" anzusehen sind. Zu ihnen ist ferner die Kolchos-Mustersatzung von 1935 zu zählen, die durch Verordnung vom 6. März 1956 geändert worden ist; desgleichen die Normen, welche die Struktur der Staatsbehörden und Staatsbetriebe näher bestimmen. Dem in Aussicht gestellten „Betriebsgesetz" käme als Quelle des materiellen Verfassungsrechts eine besondere Bedeutung zu. Die folgende Darstellung, die dem Parteirecht gewidmet ist, beschränkt sich somit nur auf einen, wenn auch sehr wichtigen Ausschnitt des materiellen Verfassungsrechts. Sie befaßt sich dabei hauptsächlich mit den Änderungen der Parteisatzung, die als Kernstück der materiellen Rechtsverfassung der UdSSR anzusehen ist

Zum Unterschied vom Staatsapparat, der von Sowjets verkörpert wird, ist der Parteiapparat nicht nach föderativen Gesichtspunkten aufgebaut. Die kommunistischen Parteien in den vierzehn nicht-russischen Unionsrepubliken bilden lediglich größere regionale Einheiten der straff zentralisierten Gesamtpartei. Diese trägt seit der Begründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken die Bezeichnung „Kommunistische Partei der Sowjetunion". Der in Klammern gesetzte Zusatz „Bolschewiki" ist auf dem XIX. Parteikongreß der KPdSU im Oktober 1952 fortgefallen.

Die Satzung der KPdSU von 1925, die erste Parteifassung im Rahmen der Union, ist 1934, 1939 und 1952 nicht nur geändert, sondern auch neu gefaßt worden Auf dem XX. Parteikongreß der KPdSU im Februar 1956 wurde nur eine geringfügige Änderung der Satzung von 1952 vorgenommen Die Vorbereitung des neuen Parteiprogramms der KPdSU machte eine Neufassung der Partei-satzung notwendig. Vom XXII. Parteikongreß der KPdSU im Oktober 1961 wurde mit dem Parteiprogramm auch die fünfte Parteiverfassung der KPdSU angenommen

Bei der Änderung der Parteisatzung auf dem letzten Parteitag unter Stalin war die Präambel des Parteistatuts fortgefallen. Das Wesen und die Eigenart der Partei wurden im Art. 1 neu definiert. Jetzt ist wieder eine ausführliche Präambel dem neuen Parteistatut vorangestellt worden, die auf der Konzeption von der „allgemeinen Volkspartei“ beruht. Der Begriff des Sowjetpatriotismus ist erstmalig in die Parteisatzung ausgenommen worden. Daneben wurden die Verpflichtungen aus dem „proletarischen Internationalismus'besonders betont. Neu ist auch die ausdrückliche Festlegung des „kollektiven Führungsprinzips“, und zwar nicht nur in der Präambel, sondern auch in Art. 28.

An den Organisationsprinzipien des „demokratischen Zentralismus“ und der „monolithischen Einheit“ wird unverändert festgehalten, desgleichen an der Forderung nach „eiserner Disziplin".

Der Katalog der Grundrechte und Grundpflichten der Parteimitglieder ist nach der Pflichtenseite hin wesentlich erweitert und durch einen Moralkodex ergänzt worden.

Die politisch wichtigsten Ergänzungen und Änderungen der geltenden Parteiverfassung finden sich im Kapitel III, das bisher schon dem organisatorischen Aufbau der Partei und der „innerparteilichen Demokratie“ gewidmet war. Sie betreffen einerseits die Organisations-Prinzipien der Partei, die teilweise bereits schon in der Präambel behandelt worden waren, und die Frage der Erneuerung der Führungskader. Bei dem produktions-territorialen Aufbauprinzip lag die Betonung auf Grund der neuen Satzung eindeutig beim territorialen Element. Chruschtschow sollte dagegen seine Reform der Parteiverwaltung 1962 auf dem Produktionsprinzip aufbauen.

Das „kollektive Führungsprinzip“ wird im neuen Art. 28 als „höchstes Prinzip der Parteiführung“ und zugleich als die Grundvoraussetzung für eine Verwirklichung der „innerparteilichen Demokratie" bezeichnet. Jeglicher „Personenkult" und damit auch das für den Spätstalinismus charakteristische Führerprinzip werden mit den „Leninschen Prinzipien des Parteilebens" als unvereinbar erklärt.

Die Ausführungen über die Parteiwahlen und die Diskussionsfreiheit der Parteimitglieder folgen dabei, von einigen wenigen Nuancen abgesehen, im wesentlichen dem Wortlaut der bisherigen Satzung und lassen erkennen, daß sich zumindest in der Formulierung der Grundsätze der sogenannten „innerparteilichen Demokratie“ seit der Stalin-Ära nur wenig geändert hat.

Die Regie bei den Parteiwahlen scheint heute nicht immer zu klappen. In einem Leitartikel in der „Partijnaja Shisnj" vom September 1957 und in einigen späteren Artikeln wurde der Unmut der Parteiführung darüber geäußert, daß die Wahlen hauptsächlich unter einer „formalistischen, falschen" Auffassung einiger „nicht genügend erzogener“ Genossen zu leiden hätten. Diese würden in unrichtiger Vorstellung von der inneren Parteidemokratie „hartnäckig fordern, daß in die Kandidatenlisten mehr Kandidaturen eingetragen werden als gewählt werden müssen", wodurch in der geheimen Wahl dann oft zum Leidwesen des Parteiapparats „tüchtige und wertvolle Funktionäre nicht gewählt werden, obgleich sie nur wenige Gegenstimmen erhielten.“ Oft handelte es sich um die bisherigen Sekretäre. Wenn an die Parteifunktionäre die Mahnung gerichtet wird, „die Wahlen müssen geschickt gelenkt werden und dürfen nicht dem Selbst-lauf überlassen werden", und die Parteikommunisten von höherer Stelle aufgefordert werden, „sich aufmerksam zur Meinung übergeordneter Parteikomitees zu verhalten", so ist dies ein deutliches Zeichen dafür, daß in den Grundeinheiten eine gewisse Tendenz zu eigenständiger politischer Willensbildung vorhanden ist.

Als einzige wirkliche Neuerung zur Gewährleistung der „innerpolitischen Demokratie" ist das neue Verfahren anzusehen, das einer ständigen systematischen Erneuerung der Führungskader dienen soll (Art. 25).

Beim Zentralkomitee der KPdSU und seinem Präsidium soll bei jeden ordentlichen Wahlen mindestens ein Viertel, bei den Zentralkomitees der Kommunistischen Parteien der Unionsrepubliken, den Gau-und Gebietskomitees mindestens ein Drittel und den Kreis-, Stadt-, Bezirkskomitees sowie den Vollzugsorganen der Grundorganisationen mindestens die Hälfte des Bestandes erneuert werden. In der Regel dürfen die Angehörigen der Führungskader nacheinander nur dreimal gewählt werden. Ausnahmen sind bei besonders qualifizierten Funktionären über diesen Zeitraum hinaus möglich. Eine Wiederwahl erfordert jedoch drei Viertel der abgegebenen Stimmen.

Scheidet ein Funktionär turnusgemäß aus, so kann er bei späteren Wahlen wiedergewählt werden.

Das neu eingeführte Verfahren zur Erneuerung der Kader, das gemäß dem neuen Parteiprogramm nicht nur für den Partei-, sondern auch Staatsapparat gelten soll, weist keinen sensationellen Charakter auf. Durch dieses Verfahren wird im Grunde genommen das von Stalin eingeführte „Kreislaufsystem der Apparatschiki“ das eine laufende Erneuerung der Führungskader und ihre abwechselnde Verwendung in verschiedenen Verwaltungsbereichen ermöglichte, nachträglich legalisiert. Dieses „Kreislaufsystem" war horizontal (Übergang zum und vom Sowjet-, Wirtschafts-und Wehrmachtsapparat, Abkommandierung zu Schulungskursen) und vertikal (Aufstieg und Abstieg innerhalb der Parteihierarchie) wirksam.

Es trug wesentlich dazu bei, die beim autokratischen Herrschaftssystem zwangsläufige bürokratische Erstarrung der Verwaltung zu verhindern, die Elastizität des Apparats zu erhalten und die dynamische Schwungkraft des Vollzugs zu sichern.

Jetzt wird dem „Kreislaufsystem" ein fester verfassungsmäßiger Rahmen gesetzt und es gleichzeitig in viel stärkerem Maße als unter Stalin — von der Ausnahmesituation der Großen Säuberung abgesehen — auf die obersten Führungsgremien ausgedehnt.

Im Grunde genommen hat es die Hierarchie der hauptamtlichen Parteisekretäre, wie im Falle der Aufstellung von Kandidaten für die Parteiwahlen, völlig in der Hand, diejenigen Parteifunktionäre zu benennen, die in Ver-bindung mit den jeweiligen Wahlen automatisch auszuscheiden haben. Das Monopol über die Kandidatenaufstellung schließt die Möglichkeit, daß die Parteiführung die Kontrolle über die neue Einrichtung verliert, aus. Die einzige Ungewißheit betrifft im Rahmen des neuen Verfahrens lediglich die Frage der Wiederwahl der Spitzenfunktionäre nach Ablauf von drei Wahlperioden. Bei einer strengen Handhabung des Wahlgeheimnisses kann hier leicht eine Überraschung passieren.

Das alte Kreislaufsystem Stalins beruhte auf einer terroristischen Grundlage. Das neue Turnussystem ersetzt die diskriminierende und teilweise lebensgefährliche Säuberungsaktion, man denke nur an den Fall Wosnessenskij, durch die zivilisierte Form der Versetzung in den zeitweiligen Ruhestand beziehungsweise der Verwendung in einem anderen Bereich.

Das neue System erleichtert der jeweiligen Parteiführung die Aufgaben nicht nur der Erneuerung, sondern auch der Verjüngung der Kader. Sie bedeutete auch eine gewisse Rückversicherung für diejenigen Spitzenfunktionäre, die als Folge des Machtkampfes oder einer möglichen Panne bei der Wiederwahl zum Ausscheiden gezwungen sind.

Die neue Reform trägt somit zu einer gewissen Auflockerung des totalitären Systems bei, wenn sie auch weniger als Maßnahme einer „Demokratisierung" des Parteilebens, als vielmehr der Rationalisierung der Parteidiktatur zu beurteilen ist.

Die Frage nach dem Aufbau und den Befugnissen der Obersten Parteiorgane wird im Kapitel IV behandelt, das gegenüber der bisherigen Fassung nur geringfügige Änderungen aufweist. Diese dienen vor allem der genaueren Festlegung der Funktionen der höchsten Parteigremien.

Durch einige Ergänzungen und Neuformulierungen sowie durch eine Umstellung in der Reihenfolge der Artikel wird der formale Vorrang der großen Parteigremien (Parteikongreß, Zentralkomitee, Zentrale Revisionskommission) gegenüber den eigentlich entscheidenden Vollzugsorganen des Zentralkomitees (Präsidium, Sekretariat, Komitee für Parteikontrolle) in der neuen Parteisatzung stärker betont.

Dem Parteikongreß wird jetzt ausdrücklich das Recht zugestanden, das Programm und Statut nicht nur zu „überprüfen" und zu „ändern“, sondern auch zu „bestätigen" (Art. 33 Ziff. b). Die wichtige Funktion der Festlegung der Politischen Generallinie hat im neu gefaßten Art. 33, Ziff. c, eine Präzisierung erfahren.

Die Befugnisse des Komitees für Parteikontrolle waren seit 1956 eingeschränkt worden. Durch die Schaffung einer einheitlichen Partei- und Staatskontrolle ist von Chruschtschow im Rahmen der Großen Verwaltungsreform ein entgegengesetzter Weg eingeschlagen worden. Im Unterschied zum bisherigen Komitee für Parteikontrolle (KPK), das als „Parteikommission" auf die Funktionen eines Partei-gerichts beschränkt worden ist, verfügt die Partei-und Staatskontrolle über einen hierarchisch gegliederten Apparat, der bis zu den Staatsorganisationen und den Kolchos-Sowchos-Produktionsverwaltungen hinunterreicht.

Die regionalen und lokalen Parteiorganisationen sind seit 1956 wesentlich ausgebaut und ihre Rechte erweitert worden. Die wichtigsten Reformmaßnahmen haben in den Kapiteln V und VI der neuen Satzung ihren Niederschlag gefunden. Durch die Beschlüsse des November-Plenums 1962 sind erneute tiefgehende Umgestaltungen vor allem der unteren Parteiorganisationen ohne Rücksicht auf die Parteiverfassung durchgeführt worden, auf die bereits früher eingegangen worden ist.

Von Chruschtschow sind im Rahmen der Großen Verwaltungsreform 1962 so tiefgehende Veränderungen des Parteiaufbaus vorgenommen worden, wie sie auf Grund der geltenden Parteisatzung nur ein Parteitag anordnen durfte.

An die Bestimmungen der Staatsverfassung hat er sich ebenfalls nicht gehalten. Es genügte ihm, daß er sich für diese Maßnahmen, die eine Durchbrechung der Rechtsverfassung der UdSSR bedeuteten, auf die Billigung des

VI. Die Veränderungen in der Obersten Parteiführung der KPdSU

Zentralkomitees und seiner Vollzugsorgane stützen konnte. Dies läßt erkennen, daß von einer rechtlichen Bindung der Parteiautokratie heute ebensowenig die Rede sein kann wie unter Stalin. Nach wie vor kommt einer Analyse der Machtstruktur der Obersten Parteiführung, die sich mit juristischen Methoden allein nicht mehr durchführen läßt, für die Beurteilung der politischen Gesamtverfassung der Sowjetunion eine entscheidende Bedeutung zu. Nach dem Tode Stalins ist, wie wir bereits sahen, das kollektive Führungsprinzip anstelle des bis dahin geltenden Führerprinzips zum tragenden Organisationsprinzip von Partei und Staat erhoben worden. Bis zum Juni-Plenum 1957 fand dieses Prinzip seinen Ausdruck in einer Direktorialverfassung, die auf der Schlüsselstellung des ZK-Präsidiums im Rahmen der Parteiexekutive und auf dem Dualismus von Partei und Staat beruhte. Mit dem Appel an das Zentralkomitee gegen die Präsidiumsmehrheit durchbrach Chruschtschow im Juni 1957 diese Direktorialverfassung. Er setzte sich gleichzeitig zugunsten des Partei-apparats über das bisherige Gleichgewicht zwischen Partei und Staat hinweg, wie es in dem Appell an das Zentralkomitee gegen die der Duumvirats-Konstruktion (MalenkowChruschtschow; Bulganin-Chruschtschow seit 1953 symbolisch zum Ausdruck gekommen war. Diese Entwicklung, die in ihren verfassungspolitischen Auswirkungen einem Staatsstreich gleichzusetzen war, wurde vom XXI. Parteitag nachträglich legalisiert. Dort zeigten sich auch die ersten Anfänge eines Personenkults, der diesmal Chruschtschow und nicht Stalin galt und der zu einer weiteren Aushöhlung des kollektiven Führungsprinzips beitrug.

Wenn der Personenkult um Chruschtschow auf dem XXII. Parteitag noch offenkundiger in Erscheinung so läßt sich doch nicht übersehen, daß seit dem Frühjahr 1960 eine wesentliche Stärkung des oligarchischen Elements und damit eine Minderung der tatsächlichen Macht Chruschtschows stattgefunden hat

Wendung Diese wurde einerseits durch eine personelle des -Konzentrierung Parteipräsidi ums und den Ausbau des Regierungspräsidiums, andererseits durch die Verkleinerung des ZK-Sekretariats und die personelle Verselbständigung des ZK-Büros für die RSFSR erreicht. Durch diesen Vorgang wurde das Gleichgewicht, das bis zum Staatsstreich Chruschtschows zwischen den Obersten Führungsgremien bestand, weitgehend wiederhergestellt. Garanten dieses Gleichgewichts waren Koslow, für den auf dem XXII. Parteitag extra die Stelle eines Zweiten Sekretärs geschaffen wurde, und Susslow, der dem ZK-Sekretariat seit 1957 ununterbrochen angehört hat.

Die zunehmende Abhängigkeit Chruschtschows als Repräsentanten des monokratischen Elements kam in der verfassungsmäßigen Fixierung des kollektiven Führungsprinzips auf dem XXII. Parteitag und ferner dadurch zum Ausdruck, daß er in mehreren wichtigen Fällen seinen Willen nicht durchsetzen konnte 4S).

Auf diese Abhängigkeit hat Chruschtschow selbst in seiner dritten Parteitagrede hingewiesen, in der er sich gegen eine Verherrlichung seiner Person mit der Begründung wandte, daß alle wesentlichen politischen Maßnahmen das Ergebnis kollektiver Entscheidungen darstellen würden. Diese Feststellung, deren Richtigkeit das März-Plenum 1962 unter Beweis gestellt hat bedeutet keine Beeinträchtigung der dominierenden Stellung Chruschtschows als Partei-und Regierungschef. Sie besagt lediglich, daß Chruschtschow im Gegensatz zu Stalin wichtige politische Entscheidungen nicht allein fällen kann. Er ist auf die Zustimmung seiner maßgebenden Kollegen und damit auf eine Beratung mit den beiden höchsten Führungsgremien, dem ZK-Präsidium und dem ZK-Sekretariat, angewiesen. Daneben fällt dem Oberkommando der sowjetischen Wehrmacht und dem Obersten Volkswirtschaftsrat der UdSSR die Funktion von gewichtigen Veto-Gruppen zu.

Die Große Verwaltungsreform mag in ihrer ursprünglichen Form von Chruschtschow als Mittel gedacht worden sein, sich aus dieser Abhängigkeit von der Hochbürokratie zu befreien. Dies ist ihm, wie die Ergebnisse der Teilreform vom 13. März 1963 zeigen, nicht gelungen. Die von Breshnew und Podgornyj Ernennung zu ZK-Sekretären, die auf dem Juni-Plenum 1963 aus gesundheitlichen nachdem Koslow Gründen ausgefallen war, hat bisher keine wesentlichen Änderungen in der Politik ergeben, obwohl seine Chruschtschows Machtstellung dadurch zweifellos gestärkt worden ist. Die Übernahme des Amtes eines Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR durch den bisherigen Ersten Stellv. Ministerpräsidenten der UdSSR Mikojan, im Juli 1964, ermöglicht es Breshnew, sich ganz auf die Arbeit im Zentralkomitee zu konzentrieren.

Die personellen Veränderungen in der Obersten Parteiführung (s. Schaubild S. 23) und die damit verbundenen Vorgänge weisen auf die Austragung eines ständigen Machtkampfes hin, der nicht nur einen persönlichen, sondern auch sachlichen Charakter besitzt. Teilweise handelt es sich um Positionskämpfe, die den Auftakt in der Auseinandersetzung um die Nachfolge Chruschtschows bilden, der heute bereits mit 70 Jahren der drittälteste Herrscher ist, den Rußland je gehabt hat. In einem Herrschaftssystem, in dem es an einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten der obersten Machtorgane und einer gesetzlichen Regelung der Nadifolgefrage fehlt, wird es immer Machtkämpfe geben. Dies ist eine politisch-soziologische Tatsache, die sich aus der historischen Erfahrung ergibt. Erst recht muß dies für eine totalitäre Einparteiherrschaft gelten, in der eine so starke Diskrepanz zwischen Verfassungsform und Verfassungswirklichkeit besteht, wie das in der Sowjetunion der Fall ist.

VII. Totaler Staat und sozialer Wandel in der Sowjetunion

Unsere Untersuchung hat gezeigt, daß die juristische und politische Verfassung der Sowjetunion trotz aller Wandlungen, die sich seit dem Tode Stalins vollzogen haben, durch die Wirklichkeit des totalen Staates bestimmt wird. Die „Entstalinisierung“ hat zu einer Auflockerung und Modernisierung des autokratisch-totalitären Herrschaftssystems geführt, die entscheidende Abkehr vom Totalitarismus aber nicht bewirkt. Dies liegt erstens daran, daß sich Chruschtschow nicht von den Schatten der stalinistischen Vergangenheit lösen kann. Täte er dies, dann müßte er auch die Gegner Stalins unter den Helden der Oktoberrevolution und ihre Anhänger rehabilitieren. Dann müßten aber er und eine Reihe anderer Sowjetführer, die zu dem engeren Kreise um Stalin gehörten, auch Rede und Antwort stehen wegen der Vernichtung der linken und rechten Opposition, also von Männern wie Trotzkij, Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Rykow und Tomskij.

Dies ist auch der Grund, warum die Führungsgruppe um Chruschtschow an der These von der Kontinuität der Parteigeschichte trotz Verurteilung der Auswüchse des Stalinismus festhält.

Von einem System bei dem stalinistischen die Wesenszüge überwiegen, sind einer „Liberalisierung“, wie wir bereits sahen, enge Grenzen gesetzt. Vom ursprünglichen System aus, wie es unter Lenin bestand, könnte die „Liberalisierung“, wie das Beispiel Tito-Jugoslawiens zeigt, wesentlich weiter gehen. Der Übergang von einem totalitären zu einem autoritären Herrschaftssystem würde zwar keine „Demokratisierung “ bedeuten, wäre aber vom Standpunkt der Sowjetgesellschaft ein wirklicher Fortschritt.

Auf der anderen Seite sind die gesellschaftlichen Kräfte, welche die begrenzte Abkehr vom Stalinismus erreicht haben, noch zu schwach, um größere Veränderungen herbei-zuführen. Ihre Stärke in der Sowjetgesellschaft nimmt aber ständig zu, während sich die Parteidiktatur abnutzt. Immer mehr Sowjet-bürger werden sich bestimmter menschlicher Werte bewußt, deren absoluter Charakter von der marxistisch-leninistischen Ideologie geleugnet wird. Es machen sich außerdem die ersten Ansätze einer „öffentlichen Meinung" in der Sowjetunion bemerkbar, durch die der Druck auf die Herrschenden verstärkt wird. Als Sprecher der fortschrittlichen Kräfte, die den sozialen Wandel beschleunigen wollen, treten vor allem Sowjetliteraten als Vertreter der „twortscheskaja intelligenzija“, der „ schöpferischen Intelligenz", in Erscheinung Aber auch die „technische Intelligenz" ist, wie die Liberman-Diskussion zeigt, in Bewegung geraten. Die Sowjetgesellschaft ist komplizierter und in soziologischer Hinsicht dichter geworden. Sie steht heute in zunehmendem Maße vor Problemen, die sich mit organisatorischen Mitteln allein, welche die Partei anzubieten hat, nicht bewältigen lassen. Diese Erkenntnis scheint sich gerade bei der „technischen Intelligenz" immer stärker durchzusetzen. Die sowjetische Verfassungswirklichkeit von heute wird durch diese Auseinandersetzung zwischen den fortschrittlichen rückschrittlichen Kräften in der Sowjetgesellschaft nicht minder stark bestimmt als durch den im wesentlichen intakten autokratisch-totalitären Herrschaftsapparat. Nicht umsonst setzt sich die Führungsgruppe um Chruschtschow vor allem mit denjenigen Schriftstellern auseinander, die das und für Wahrheits-Freiheitsproblem im Mittelpunkt ihres Schaffens steht. Das Wahrheitsproblem ist mit der Bewältigung der Vergangenheit verbunden. Die Beschäftigung mit dem Freiheitsproblem richtet eich auf die Zukunft. Beides wirkt sich aber in Verbindung mit der Kritik an den sozialen Mißständen als eine Forderung aus, die Gegenwart, die diesen ethischen Maßstäben nicht entspricht, entscheidend zu verändern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Meissner, B.: Rußland im Umbruch. Der Wandel in der Herrschaftsordnung und sozialen Struktur der Sowjetunion, Frankfurt/Main 1951.

  2. Vgl. Dennewitz, B., Meissner, B.: Die Verfassungen der modernen Staaten, Bd. 1, Hamburg 1947, S. 129 ff.

  3. Vgl. Meissner, B.: Die Große Verwaltungsreform Chruschtschows, Osteuropa, 13. Jg., 1963, S. 82 ff.

  4. Vgl. Löwenthal, R.: Stalins Vermächtnis, Der Monat, April 1953, S. 16 ff.

  5. Vgl. Meissner, Rußland im Umbruch, a. a. O., S. 17 ff.

  6. Stalin, J. W.: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Stuttgart 1962, S. 53. Mit diesem Zitat, das in der „Antwort an Genossen Alexander Iljitsch Notkin" enthalten ist, wird das dritte Engelssche „Gesetz der Negation" umschrieben. Dieses „dialektische Gesetz“, das zur ideologischen Begründung der Reformpolitik im Zeichen der „Entstalinisierung“ dienen sollte, findet sich somit — was meist übersehen wird — bereits im Spät-werk Stahns. Zur Bedeutung des „Gesetzes der Negation“ vgl. Wetter, G.: Der dialektische Materialismus, 1. Ausl., Freiburg i. Br. 1952, S. 426 ff.

  7. Auf Stalins Bereitschaft zu Reformen hat Erik Boettcher in seinem Buch „Die sowjetische Wirtschaftspolitik am Scheidewege", Tübingen 1959, S. 245 ff., zutreffend hingewiesen.

  8. Dies gilt vor allem für Autoren wie Hannah Arendt, Carl G. Friedrich und Zbigniew K. Brzezinski. Zur Frage der Totalitarismusforschung vgl.den Sonderdruck aus Soziale Welt, Bd. 12, 1961, Heft 2, mit Beiträgen von O. Stammer, G. Schulz und P. Chr. Ludz.

  9. Vgl. Schapiro, L.: Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Frankfurt a. M/Hamburg 1961.

  10. Vgl. Meissner, B.: Die Rechtsstellung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Jb. für Ost-recht, 11/2, 1961, S. 11 ff.

  11. Wortlaut und Kommentar bei Meissner, B.: Das Parteiprogramm der KPdSU 1903 bis 1961, Köln 1961.

  12. Vgl. Westen, K.: Die rechtstheoretischen und rechtspolitischen Ansichten Josef Stalins, Lindau/Konstanz 1959, S. 120 ff.; Meissner, B.: Sowetdemokratie und bolschewistische Parteidiktatur, in: Löwenthal, R. (Hrsg.): Die Demokratie im Wandel der Gesellschaft, Berlin 1963, S. 140 ff.

  13. Vgl Meissner, B.: Rußland unter Chruschtschow, München 1960, S. 257 ff.

  14. Vgl. Belych, A. K.: O dialektike otmiranija gosudarstva (über die Dialektik des Absterbens des Staates), Sovetskoe gosudarstvo i pravo (Sowjetrußland und Recht), 1963, Nr. 1, S. 19.

  15. F Chr. Schroeder: Inhalt und Entwicklung von Staat und Recht nach dem neuen Parteiprogramm (I), Jb. f. Ostrecht, III/l 1963, S. 52 spricht mit Recht von einem . Etikettenschwindel“.

  16. Vgl. Meissner, Große Verwaltungsreform Chruschtschows, a. a. O., S. 101, Schroeder (I), a. a. O S. 59 ff.

  17. Vgl. Anweiler, O.: Totalitäre Erziehung? Gesellschaft-Staat-Erziehung, 1964, S. 185 ff.

  18. R. Löwenthal: Totalitäre und demokratische Revolution, Der Monat, November 1960, S. 4, spricht zutreffend von „planmäßigen Wandlungen, die einer Gesellschaft auferlegt werden“. Indem er die planmäßige Umformung der Gesellschaft mit einem neuen totalitären Revolutionstyp („permanente Revolution von oben") gleichsetzt, verwischt er den Unterschied zwischen der revolutionären und evolutionären Seite des sozialen Umgestaltungsprozesses.

  19. Vgl Meissner, B.: Der Zweifrontenkampf der KPdSU, Osteuropa, 13. Jg , 1963, S. 590.

  20. Vgl. Dennewitz-Meissner, Bd. I, a. a. O„ S. 151: Meissner, Rußland im Umbruch, S. 3.

  21. Vgl. Meissner, Rußland unter Chruschtschow, a. a. O„ S. 20 ff. und 25 ff.

  22. Vgl. Meissner, Rußland im Umbruch, a. a. O., S. 20.

  23. Vgl. Meissner, Große Verwaltungsreform Chruschtschows, a. a. O., S. 87 ff.

  24. Vgl. Meissner, Zweifrontenkampf der KPdSU, a. a. O., S. 573 ff.

  25. Quelle: Ekonomiceskaja gazeta (Wirtschaftszeitung) vom 4. Januar 1964, S. 34; Meissner, Zweifrontenkampf der KPdSU, a. a. O., S. 581 ff. In der Aufstellung der Ekonomiceskaja gazeta ist das Staatskomitee für Chemischen und Olverarbeitungsbau vergessen worden. Dagegen wird das Staatskomitee für Maschinenbau aufgeführt, das offenbar nicht aufgelöst worden ist. Die Zentral-verwaltungen beim Ministerrat der UdSSR, die in der Bundesverfassung (Art. 76) nicht verzeichnet sind, wurden in das Schema nicht ausgenommen. Zur Struktur des Ministerrats der UdSSR am 31. Dezember 1962 vgl. Meissner, Große Verwaltungsreform Chruschtschows, a. a. O., S. 102 ff.

  26. Vgl. Löwenthal, R.: Chruschtschows unblutiger Staatsstreich, Der Monat, März 1963, S. 7 ff.; Meissner, Große Verwaltungsreform Chruschtschows, a. a. O„ S. 104 ff.

  27. Zur Verfassungsentwicklung des bolschewistischen Rußland von der Oktoberrevolution bis zum Tode Stalins vgl. Dennewitz-Meissner, Bd. I, a. a O , S. 119 ff., -Meissner, B.: Die Verfassungsentwicklung der Sowjetunion seit dem Zweiten Weltkrieg, Jb. f. int. u. ausl. öff. Recht, 1. Jg., 1948, Bd. I, S. 160— 169; 2. Jg., 1949, S. 766— 787; Derselbe: Die verfassungsändernde Gesetzgebung des Obersten Sowjets der UdSSR und die Entwicklung der Ministerien 1947— 1949, Europa-Archiv, 4. Jg., 1949, S. 2301— 2306, 2351— 2354; Die gesetzgeberische Tätigkeit des Obersten Sowjets der UdSSR und die Entwicklung der Sowjetexekutive von 1949 bih 1953, Europa-Archiv, 8. Jg., 1953, S. 5693 bis 5714.

  28. Wortlaut der Fassung von 1941 und der Verfassungsänderungsgesetze von 1944 und 1947 bei Dennewitz-Meissner, Bd. I, a. a. O., S. 191 ff.; der Verfassungsnovellen von 1948 bis 1953 bei Meissner, Europa-Archiv, 4. Jg., 1949, S. 2315 ff.; 8. Jg., 1953, S. 5711; Wortlaut der Fassung von 1955 nebst ausführlichem Kommentar bei Maurach, R.: Handbuch der Sowjetverfassung, München 1955, S. 45 ff.

  29. Quelle: Vedomosti Verchovnogo Soveta SSSR = Anzeiger des Obersten Sowjets der UdSSR (abgekürzt; AOS UdSSR).

  30. Vgl. Dirnecker, B.: Die Entwicklung des sowjetischen Strafverfahrens-und Justizverfassungsrechts seit Stalins Tod, Recht in Ost und West, L Jg„ S. 232.

  31. Vgl. die Berichterstattung des Verfassers im „Europa-Archiv” und in „Osteuropa" N. F.

  32. Wortlaut: Russischer Urtext: Prawda vom 7. März 1953; deutsche Übersetzung: Meissner, Europa-Archiv, 8. Jg„ 1953, S. 5693/5694, Derselbe: Die Kommunistische Partei der Sowjetunion vor und nach dem Tode Stalins, Frankfurt a. M., 1954, S. 19/20.

  33. Zu den Motiven dieser Namensänderung vgl. Meissner, Kommunistische Partei der Sowjetunion, a. a. O., S. 8.

  34. Zur Bildungsreform vgl. Anweiler, O.: Meyer, K.: Die sowjetische Bildungspolitik seit 1917, Heidelberg 1961, S. 44 ff.; Meissner, Rußland unter Chruschtschow, a. a. O., S. 115 ff.; S. 226 ff.

  35. Vgl a. a. O„ S 259.

  36. Vql. Meissner, S. 107 ff. Meissner, Rußland unter Chruschtschow, Parteiprogramm der KPdSU,

  37. Wortlaut: Prawda vom 26. April 1962.

  38. Vgl. Bericht im: AOS UdSSR 1962, Nr. 25, S. 277.

  39. Vgl. die TASS-Meldung vom 16. Juli 1964 und den Bericht im: AOS UdSSR 1964, Nr. 24, S. 563 ff.

  40. Vgl. Romaskin, P. S.: Novyj etap razvitii Sovetskogo gosudarstva (Eine neue Entwicklungsphase des Sowjetstaats), Sovetskoe gosudarstvo i pravo (Sowjetstaat und Recht), 1960, Nr. 10, S. 35 ff.

  41. Zur Entwicklung der Parteisatzung seit 1903 vgl. Meder, W.: Die Verfassung der bolschewisti-schen Partei, Europa-Archiv, 5. Jg., 1949, S. 1941 bis 1955; Meissner, Kommunistische Partei der Sowjetunion, a. a. O., S. 9 ff., Derselbe: Das Ende des Stalin-Mythos, Frankfurt a. M„ 1956, S. 16 ff.; Derselbe: Parteiführung und Parteiorganisation, Osteuropa, 11. Jg., 1961, S. 687 ff.

  42. Wortlaut der Parteisatzungen von 1939 und 1952 bei Meder, a. a. O., S. 1961 ff., und Meissner, Kommunistische Partei der Sowjetunion, a. a. O., S. 56 ff.

  43. Wortlaut: Meissner, Ende des Stalin-Mythos, a. a. O., S. 16/17.

  44. Wortlaut: Gasteyger, C. W.: Perspektiven der sowjetischen Politik, Köln/Berlin 1962, S. 269 ff; Vergleiche der Satzungstexte von 1952 und 1961 bei Meissner, B.: Das neue Parteistatut der KPdSU, Osteuropa, 11. Jg., 1961, S. 869 ff.

  45. Otetno-vybornye partijnye sobranija 1 konferencij (Rechenschafts-Wahlversammlungen und Konferenzen der Partei), Partinaja is, 1957, Nr. 18.

  46. Vgl. Meissner, Rußland unter Chruschtschow, a. a. O., S. 199 ff.

  47. Vgl. Meissner, B.: Die Innenpolitik Chruschtschows, Osteuropa, 11. Jg., 1961, S. 83 ff.; Derselbe: Die Ergebnisse des XXII. Parteikongresses der KPdSU, Europa-Archiv, 17. Jg., 1962, S. 76 ff., S. 83 ff.

  48. Vgl. die Beispiele bei Burg, D.: Wiles, P.: Chruschtschows Machtstellung als „Polyzentrismus" innerhalb der Sowjetführung, Osteuropa, 12. Jg , S. 503 ff.

  49. Vgl. Meissner, Große Verwaltungsreform Chruschtschows, a. a. O., S. 83 ff.

  50. Unter dem autoritären Staatstyp wird vom Verfasser eine Diktatur verstanden, die sich mit der Zentralisation der politischen Macht und einer Kontrolle über Teilbereiche der Gesellschaft begnügt sowie eine Beschränkung der totalen Planung im Rahmen einer kommunistischen Herrschaftsordnung zuläßt

  51. Vgl. Meissner, B.: Bilanz der Entstalinisierung, Die Politische Meinung, 8. Jg., 1963, S. 30 ff.; Derselbe: Zweifrontenkampf der KPdSU, a. a. 0., S. 585 ff.

Weitere Inhalte

Boris Meissner, Dr. jur., Dipl. -Volkswirt, o. Professor und Direktor des Instituts für Ostrecht der Universität Köln, Vorsitzender des Direktoriums des Bundesinstituts zur Erforschung des Marxismus-Leninismus (Institut für Sowjetologie), Köln, Mitglied des Direktoriums des Ostkollegs der Bundeszentrale für politische Bildung, Köln, geb. 10. August 1915 in Pleskau. Veröffentlichungen u. a.: Rußland im Umbruch, Frankfurt/Main 1951; Rußland, die Westmächte und Deutschland, Hamburg 1953; Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, Köln 1956; Rußland unter Chruschtschow, München 1960; Sowjetunion und Selbstbestimmungsrecht, Köln 1962; Sowjetunion und Völkerrecht 1917 bis 1962, Köln 1963.