Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung | APuZ 21/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 21/1966 Artikel 1 Eigentum als soziale Ordnungsinstitution Mitbestimmung und evangelische Sozialethik Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Hansheinrich Schmidt

Ausgleich der Interessen

Im Mittelpunkt jeglicher Diskussion um eine freiheitliche Gesellschaftsordnung muß der Mensch stehen, seine ihm eigene Würde, deren Bestand und Unverletzlichkeit es zu wahren und zu schützen gilt. Sie kann also nur Bestrebungen zum Inhalt haben, die darauf zielen, unter Wahrung der durch das Zusammenleben gebotenen Grenzen dem einzelnen den Freiheitsraum zu schaffen und zu erhalten, der ihm erlaubt, seinen Lebensinhalt in eigener Verantwortung zu gestalten.

Es muß also versucht werden, ihn aus tatsächlichen und vermeintlichen Abhängigkeiten herauszulösen, soweit diese seine freie Entscheidungsmöglichkeit einengen oder gar verhindern. Es wird hierbei jedoch nicht nur eine Emanzipation angesprochen, gleichzeitig muß die Integration in eine klassenlose Gesellschaft einsetzen. Eine klassenlose Gesellschaft kann keine konformistische Gesellschaft sein, in der natürliche Gegensätze und Konfliktsituationen nicht mehr in fairer, sachlicher Weise ausgetragen und ausgeglichen, sondern einfach unterdrückt werden, schöpferische Impulse also nicht mehr erfolgen können. In dieser — das Beispiel lehrt es — kann die Freiheit des einzelnen keinen spürbaren, seiner Würde gemäßen Raum mehr finden. Also heißt eine klassenlose Gesellschaft eine offene Gesellschaft, die anstelle von Konformismus oder totaler Gleichschaltung im freien Spiel der Kräfte auf dem Ausgleich der Interessen der sich in ihr integrierenden Gruppen im Sinne echter Partnerschaft beruht.

Die Forderung nach Partnerschaft gilt nun vornehmlich auch im betrieblichen Bereich, das heißt im Verhältnis von Arbeitnehmer und Unternehmer zueinander. Daß sie hier trotz wesentlicher sozialer Fortschritte in der Entwicklung der letzten 100 Jahre (vom Manchestertum zum Betriebsverfassungsgesetz) noch nicht in wünschenswertem Ausmaß besteht, mag an einem fehlerhaften Selbstverständnis des Arbeitnehmers liegen. Er wird aus der von ihm empfundenen Objektsituation in die ihm zustehende Subjektstellung hineinwachsen im Zuge seiner eigenen Persönlichkeitsentfaltung. Partnerschaft im Betrieb setzt gegenseitige Achtung und Vertrauen voraus. Dazu bedarf es jedoch auch einer Wandlung des Selbstverständnisses vieler Unternehmer. Echte Partnerschaft ist unvereinbar mit der noch aus dem Obrigkeitsgedanken überkommenen patriarchalischen Geisteshaltung des Herr-im-Hause-Standpunktes.

Eine Entwicklung in der angezeigten Richtung wird wohl kaum die angemessene Beschleunigung erfahren und nicht von selbst in Bewegung kommen. Es müssen also Impulse von verschiedenen Seiten erfolgen.

Mitbestimmung unvereinbar mit den Prinzipien der freien Marktwirtschaft

Da gibt es nun die gewerkschaftliche Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der wirtschaftlichen Unternehmensführung. Wir halten diesen, vom DGB vorgelegten Plan nicht für geeignet, in irgendeiner Weise die Situation des einzelnen Arbeitnehmers zu dessen Gunsten zu verändern. Die anzustrebende Integration der Arbeitnehmer im Betrieb und Unternehmen wird durch die Institutionalisierung einer kollektiven Vertretung in der Unternehmensführung nicht erreicht werden. Die wirtschaftliche Mitbestimmung wird an der Struktur des Betriebes nichts ändern können. Hier wird, bedingt durch die Funktionsweise und Zielsetzung, immer eine hierarchische Ordnung vorgegeben sein, das heißt, soll der Betriebszweck erreicht werden, so muß das Bestriebsgeschehen einem einheitlichen Willen untergeordnet sein; für dessen Durchführung ergibt sich zwangsläufig eine abgestufte Ein-und Unterordnung der einzelnen Mitarbeiter. Dieses Ordnungsschema ist allein nach sachlichen, nicht nach persönlichen Gesichtspunkten ausgerichtet. Eine fingierte Beteiligung des Arbeitnehmers am Zustandekommen der unternehmerischen Entscheidung — die in ihren Zusammenhängen für den einzelnen unüberschaubar bleibt — wird nicht dazu beitragen, ihn aus seiner Objektsituation herauszuführen.

Im übrigen scheint uns, als sei das System der wirtschaftlichen Mitbestimmung im Sinne der verhandenen vielfältigen und verschwommenen Vorschläge mit den Prinzipien der freien Marktwirtschaft als der Basis unserer freiheitlichen Ordnung unvereinbar. Wenn die Unternehmensspitze weiterhin nach markt-gesetzlichen und kaufmännischen Gesichtspunkten entscheiden können soll, dann ist Mitbestimmung unnötig. Sollte die Mitbestimmung aber dazu führen, daß betriebsfremde, von außen gesteuerte Maßnahmen getroffen werden, dann wird sie dem Betrieb, seinen Arbeitnehmern und deren sozialer Sicherheit und somit der gesamten Gesellschaft auch schwer schaden können.

Das System der freien Marktwirtschaft verträgt keine Aushöhlung durch planwirtschaftliche Tendenzen, die bei der Realisierung der überbetrieblichen Mitbestimmung die praktische Folge wären.

Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum

Das Recht auf Eigentum beinhaltet auch das Recht auf freie Verfügung über dessen Einsatz. Verwaltung und Entscheidung über den Einsatz kann zwar delegiert werden, aber der Eigentümer muß frei darüber entscheiden können, welche Personen und Institutionen seines Vertrauens er mit der Wahrung seiner Interessen beauftragen will. Auch dies gehört zu den Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung. Mitbestimmung über den Einsatz von Kapital, die nicht dadurch oder durch Miteigentum legitimiert ist, bedeutet somit einen Eingriff in das auch zur Menschenwürde und zur freiheitlichen Ordnung gehörende Grundrecht auf Eigentum.

Es hieße aber schlechte Gesellschaftspolitik betreiben, wollte man Emanzipierung und Integrierung einer Gruppe dadurch erreichen, daß man eine andere Gruppe in ihre Abhängigkeit bringt. Wir können darin keinen Ansatz zu einer Partnerschaft erblicken. Reste der Vergangenheit angehörenden Privilegien kann man nicht durch Schaffung neuer Privilegien beseitigen.

Aus diesen Gründen lehnen wir die Forderung nach Mitbestimmung im wirtschaftlichen Bereich ab und können uns auch nicht zu irgendwelchen Konzessionen in dieser Richtung bereitfinden, selbst wenn wir davon absehen, daß die paritätische Mitbestimmung überdies den Gewerkschaften Kontrollfunktionen einräumen soll, die nur dem Staat zukommen können.

Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes

Mitbestimmung im wirtschaftlichen Bereich muß also abgelehnt werden; eine Wirtschaftsdemokratie der vorgeschlagenen Form ist per se nicht realisierbar. Soll der Begriff Demokratisierung dennoch einen Sinn haben, so den, daß die Arbeitnehmer oder deren Beauftragte zur Mitwirkung an den Entscheidungen herangezogen werden, die ihre unmittelbaren Interessen berühren, welche aus ihrem Arbeitsverhältnis erwachsen. So sollten zum Beispiel die Fragen der Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Unfallschutzes im gegegenseitigen Einvernehmen entschieden werden. Auch sollte vor Entscheidungen über etwaige Stillegungen die Arbeitnehmervertretung gehört werden, um daraus erwachsende soziale Härten mildern zu können. Ebenso sollten generell die Betriebskrankenkassen und die Fonds der betrieblichen Altersversorgung unter gemeinsamer Aufsicht stehen.

Durch das Betriebsverfassungsgesetz ist der Rahmen hierzu in weitem Maße gegeben. Leider lehrt die Erfahrung, daß dessen Möglichkeiten von beiden Seiten nicht voll ausgeschöpft werden. Man muß natürlich sehen, daß Konfliktsituationen innerhalb einer Gemeinschaft nicht allein durch Institutionen und gesetzliche Normierung gelöst werden können. Diese bieten jedoch eine wirksame Hilfe, um das Gefühl von Rechtssicherheit und Unabhängigkeit des einzelnen zu stärken.

Diese aufgezeigten Maßnahmen indes können nur Hilfen zur Integrierung und Emanzipierung bieten, über den Erfolg wird die Mit-wirkung des Arbeitnehmers selbst entscheiden. Er muß bereit sein, sich selbst zu integrieren. Es geschieht dies durch seine eigene, bewußte und gewollte Leistung am Arbeitsplatz, kurz durch die Entfaltung seiner Persönlichkeit. Soweit die Gegebenheiten innerhalb des Betriebes.

Chancen durch Bildung und Ausbildung

Aufgabe der Gesellschaft, die die freiheitliche Ordnung zu ihrem Prinzip erhoben hat, ist es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder einzelne ohne Rücksicht auf seine Herkunft die Chance hat, entsprechend seiner Fähigkeiten und seines Leistungsengagements Zugang zu allen Bereichen zu erhalten.

Naturgemäß handelt es sich dabei zunächst um die Frage von Bildung und Ausbildung. Nur der hinreichend Ausgebildete wird in der Lage sein, seinen Freiheitsraum zu nutzen, ihn in Selbstverantwortung zu gestalten. Die völlige Integrierung aller Schichten unserer Gesellschaft hängt also ab von der Höhe des allgemeinen Bildungsund Ausbildungsgrades. Ihn gilt es zu heben. Der Staat darf keine Anstrengungen unterlassen, dies Ziel zu erreichen.

Aber damit allein ist es nicht getan. In unmittelbarer Ergänzung hierzu gilt es, das Berufs-, Fort-und Weiterbildungswesen entscheidend auf-und auszubauen. Es ist dies nicht Aufgabe des Staates allein, sondern hinzutreten muß die Initiative aller dazu befähigten Körperschaften. Denkbar wären dabei auch gemeinsame Einrichtungen der Sozialpartner, die Ausbildungsziele und Methoden gemeinsam erörtern und bestimmen könnten. Dies hätte wiederum eine speziell integrierende Wirkung für die Arbeitnehmerschaft.

Ein höherer Bildungsgrad allein vermag noch nicht die Selbstentfaltung und Verantwortung zu fördern. Dazu gehört in gleichem Maße die Sicherung einer menschenwürdigen und befriedigenden Existenz. Existenznot wird einen erheblichen hemmenden Einfluß auf den einzelnen, dessen Persönlichkeit und Integrierung bewirken. Wirtschaft und Politik müssen also alles Erforderliche unternehmen, um die Erhaltung der Vollbeschäftigung und die Sicherung des Lebensabends zu bewirken. Dabei sind wir zum einen wieder beim Ausgangspunkt angelangt. Die freie Marktwirtschaft als Garantin von Wohlstand und gesunder wirtschaftlicher Weiterentwicklung vermag, gestützt auf die freie unternehmerische Privat-initiative, die Vollbeschäftigung zu sichern. Zur Sicherung des Lebensabends zum anderen gehört eine vernünftige Sozialgesetzgebung, die ein überschaubares System der Rentenversicherung an die Stelle der überalterten und den Erfordernissen unserer Zeit nicht mehr gerecht werdenden heutigen Form setzt. Zur Existenzsicherung gehören aber noch weitere staatliche Maßnahmen. So die Sicherung des Geldes und die Stabilisierung seines Wertes, was seinerseits wiederum Einfluß auf die Beschäftigungslage hat. Weiter gehören dazu Anpassungs-und Umschulungshilfen, die gerade auch im Hinblick auf die einsetzende Automatisierung von wesentlicher Bedeutung für die Existenz und die Sicherung des Lebensstandards freiwerdender Arbeitnehmer sein wird.

Verminderung der Abhängigkeit durch Eigentumsbildung

Zur Integrierung des Arbeitnehmers gehört letztlich noch ein Drittes: nämlich die Bildung von privatem Vermögen. Durch individuelles Eigentum wird das Bewußtsein einer gewissen Unabhängigkeit verstärkt. Es erleichtert somit in besonderer Weise die Entfaltung der Persönlichkeit. Daraus ergeben sich positive Auswirkungen auf den beruflichen Alltag. Die berufliche Abhängigkeit kann nicht mehr so leicht zur Existenzfrage werden.

Unabdingbare Voraussetzung zur Eigentumsbildung ist die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Sparen, was wiederum die Bereitschaft zu zeitweiligem freiwilligem Konsumverzicht voraussetzt. Aufgabe des Staates ist es, dazu entsprechende Anreize zu geben. Dies geschieht vornehmlich durch familien-und einkommensgerecht gestaffelte Förderungsmaßnahmen. Im Sparprämiengesetz und in der Wohnungsbauförderung sind sinnvolle Ansätze gemacht. Auch die Förderung des Aktiensparens sollte dazu dienen und deswegen ausgebaut werden.

Ein Zwangssparen jedoch oder Vermögens-bildung durch Umverteilung von nicht selbst Erarbeitetem dagegen erscheint wenig sinnvoll. Es wird dem erklärten Ziel der Integrierung nicht dienlich sein. Im Gegenteil wird es die geforderte Mündigkeit des einzelnen einschränken, anstatt sie zu entwickeln.

Ein weiterer gangbarer Weg scheint die Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmens-erfolg durch betriebsindividuelle Vereinbarungen zu sein. Diese Möglichkeit sollte wesentlich besser genutzt werden, als dies bisher geschieht. Durch solche Regelungen wird das Verhältnis von Arbeitnehmer und Unternehmer auf eine recht solide Basis, das gemeinsame Gewinnstreben nämlich, gestellt. Verschiedene Arten der Ausschüttung sind hierbei denkbar. Einmal könnte sie in Form von besonderen individuellen Leistungszuschlägen nach Maßgabe des Anteils am erzielten Gewinn erfolgen. Andererseits könnten auch Gesellschaftsverträge geschlossen werden, die bei zunächst einzubringender Eigenleistung den Gewinnanteil in Form von erschwert veräußerlichen Belegschaftsaktien erteilen. Eine solche Form der Eigentumsbildung würde'naturgemäß in besonderem Maße betriebs-integrierend wirken, überdies ließe sidi auf diesem Wege durch Miteigentum eine legale Mitbestimmung der Betriebsbelegschaft in der Aktionärsversammlung erreichen; eine Form der Mitbestimmung, gegen die keine Einwände zu erheben wären.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hansheinrich Schmidt, MdB (FDP), Oberlehrer, seit 1957 Kreisvorsitzender des FDP-Kreisverbandes Kempten, Mitglied des Landeskulturausschusses, seit 1958 stellvertretender Bezirksvorsitzender des FDP-Bezirksverbandes Schwaben, Mitglied des Landeshauptausschusses der FDP Bayern und der Bundesversammlung der FDP, geboren 6. September 1922 in Leipzig.