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Die Zukunft des Menschen als Problem und Aufgabe heute | APuZ 51-52/1968 | bpb.de

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APuZ 51-52/1968 Die Zukunft des Menschen als Problem und Aufgabe heute

Die Zukunft des Menschen als Problem und Aufgabe heute

Richard Schwarz

Was ist das für eine Welt, in der wir leben? Wohin führt der Weg? Es gibt offenbar nur zwei Richtungen an dem Wegkreuz: den Weg n die Selbstzerstörung, in die „gemachte" Apokalypse der Menschheit — oder den Weg n ein Zusammen, der allerdings das Bewußtsein um eine mehr als nur zivilisatorische Zusammengehörigkeit der Menschen in aller Welt voraussetzt. Aber gibt es überhaupt ein solches globales Menschheitsbewußtsein? Ist das „Prinzip Hoffnung" nur eine kompensatorische Reaktion als Lebenstrieb und Lebenser-naltung, gegen die bessere Einsicht, die den selbstzerstörerischen Untergang der Menschneit durch die physikalische und genetische Manipulation befürchtet? Ist das derzeitige fast hektische Gespräch, der Menschen in der Welt untereinander letzthin doch nur aus der Angst geboren, einen bewaffneten Waffenstillstand, „ein Gleichgewicht des Schreckens", was heute Frieden heißt, zu erhalten, wobei die Motivation oft genug nur in der Angst vor der eigenen Selbstzerstörung liegt? Oder aber hat das Hoffen auf ein Morgen und übermorgen noch einen gültigen Anhalt, der nicht nur aus der Furcht und der seelischen Depression geboren ist? Was soll das heute dann heißen, was das apokalyptische Christentum mit dem Neuen Himmel und der Neuen Erde eschatologisch verkündet?

Im Grunde zentrieren heute die Fragen nach einer Neuen Welt in den Problemkreisen einer fast bedrohlich auf uns zukommenden „Zukunft" dieser Neuen Welt, worüber eine kaum noch übersehbare Diskussion entstanden ist, die sich freilich seltener mit den für uns eigentlichen, das heißt den inneren, existentiellen Problemen befaßt. Es sollen daher in unserer Thematik die Fragen über die Bevölkerungsund Ernährungssituation ebenso wie die gewichtige Diskussion über Zukunft und Frieden außer Betracht bleiben. Für die geschichtsphilosophischen Aspekte darf auf eine frühere Veröffentlichung verwiesen werden

I. Die Zukunft als Realität und Mythos

I.

II. III. IV. V. VI.

VII. VIII.

IX. X.

XI.

XII. XIII. XIV.

XV. XVI. XVII. XVIII.

XIX.

XX. INHALT Einleitung Die Zukunft als Realität und Mythos Der Griff nach der globalen Welt Die pluralistischen Humanismen Asiatische und westliche Denkformen Die Zukunft als Fortschritt oder Verhängnis in westlicher und asiatischer Sicht Gibt es die eine Menschennatur?

Weltstaat und Weltreligion Weltzivilisation als Zwangsprozeß?

Siegt der Westen über das asiatische Menschentum? ʕ

Zukunft ist heute ein realer Begriff geworden. Zukunftsforschung, Zukunftswissenschaft, Fu-

urologie üben eine fast magische Kraft aus. Zukunft wurde zum Wertbegriff, ja zum Wertmaßstab, zum Lebensbegriff schlechthin, wobei nur eine andere Realität als unreal verdrängt wird — wir meinen den Tod, das Ende auch der Existenz des einzelnen Menschen, sofern er nicht im hoffenden Glauben auf eine religiös vorgestellte Zukunft steht. Könnte aber die säkularisierte Mythisierung der Zukunft neben den realen modernen wissenschaftlichen und technischen Anhalten nicht auch in einer höchst unwissenschaftlichen Begründung erhoben werden, nämlich als Fluchthaltung, als „Flucht nach vorn", weil man dem Hier und Jetzt, dem Menschsein im letztgültigen Bezug keinen Sinn mehr abzugewinnen vermag? Ist die Flucht in die Zukunft eine Folge der Selbst-entfremdung des heutigen Menschen?

Auch heute gibt es Wunschvorstellungen und Angstträume im Hinblick auf die Zukunft wie in früheren Utopien vom Idealstaat und vom apokalyptischen Endgericht. Mit dem Unterschied jedoch, daß diese heutigen Vorstellungen realer geworden und von qualitativ anderer Art und anderem Inhalt sind, obschon oft nicht weniger bedrängend. Hoffnung und Unbehagen bis zur Angst zeichnen eine ambivalente Bewußtseinslage, die heute typisch ist.

Die Zukunftsperspektiven steigern sich bis zur prometheischen Gottähnlichkeit oder zum selbst-und weltzerstörenden Inferno. Auch heute scheiden sich die optimistischen Propheten von den pessimistischen Kulturkritikern. Die Menschheit werde sich nach dem „Prinzip Hoffnung" im Verständnis von Ernst Bloch und dem Divinationsprozeß des Teiihard de Chardin zu einer durchgeistigten „Noosphäre" emporschwingen können. Andere Stimmen prophezeien, daß der Menschengeist am Ende seiner Möglichkeiten sei; er werde von diesem Planeten verschwinden. Von daher datieren die Programme zur Planifikation in geradezu beschwörender Weise: „Wenn es uns nicht gelingt, unser Wirtschaftssystem zu kontrollieren, erschöpfen wir unsere Hilfsquellen. Wenn es uns nicht gelingt, die Bevölkerungsexplosion einzudämmen, vernichten wir unsere Heimat und unsere Kultur. Wenn es uns nicht gelingt, den Atomkrieg zu verhindern, zerstören wir unsere Zivilisation."

Die gegenwärtige Diskussion darüber, wo wir heute stehen, ob unsere Zeit eine „Spätzeit" ist, die mit den Kategorien von Fortschritt und Entfremdung, mit dem Verlust des Wirklichkeitsbewußtseins der neuzeitlichen Elemente der Natur, der Persönlichkeit, der Kultur das Ende der Neuzeit markiert ob wir also an einer nur selten in der Menschheitsgeschichte feststellbaren „weltgeschichtlichen Zäsur"

uns befinden oder aber ob diese unsere Zeit zwar eine Krisenzeit ist, doch — wie jede andere Zeit — als „Übergang", als „zwischen den Zeiten", zu bestimmen bleibt, wie eben jede Zeit sich als „Krise" erfährt, — hier gegen die Meinungen weit auseinander. Nichtsdestoweniger aber liegt in dieser Fragestellung auch schon implicite die Antwort auf die fundamentale Frage beschlossen: ob diese Zeit eine „Krise" oder eine „Erfüllung" heute und in der Zukunft bzw. durch die Zukunft anzuzeigen vermag.

Der Übergang zum Industriesystem wird als Spätphase der abendländischen Kulturentwicklung begriffen, als das Ende der Hochkulturbildungen und damit als das Ende des „Kulturzeitalters" als eine „Kulturschwelle", wie es sie nur selten in der Geschichte der Menschheit gibt, als ein alle fünf-oder zehntausend Jahre hereinbrechendes Großereignis, als epochale Veränderung analog dem Übergang der Menschheit zur Seßhaftigkeit im Neolithikum. Die Entdeckung solcher weltgeschichtlicher Kulturschwellen hat man mit Mutationen vergleichen wollen, die die gesamte Existenz des Menschen auf ein neues Niveau zu erheben imstande sind. Danach sollte die gegenwärtige Situation als „Interferenz" zwischen grundverschiedenen weltgeschichtlichen Rhythmen gedeutet werden.

Richtig ist gewiß, daß jede Zeit als „Übergangszeit" betrachtet werden muß. Man denke nur an die Erfahrung des „Neuen Lebens" in Renaissance und Humanismus, aber auch schon an den tiefgreifenden Wandel des Kultur-und Lebensverständnisses im Übergang vom romanischen zum gotischen Zeitalter. 6a) Richtig aber ist gewiß auch, daß unser Zeitalter sich als ein fast mutationsmäßiger Umbruch erfährt. Diese Erfahrung ist dabei ein Betroffensein von ganz anderen, umwälzenden naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen und angewandten Ergebnissen. Dies meint nicht nur den Zerfall des Atoms, dies meint ebenso die noch nicht absehbaren Möglichkeiten der Humangenetik, der Medizin, der tiefenpsychologischen Prozesse und nicht zuletzt der Änderungen des Lebensgefühls, des Selbstverständnisses durch Änderung der Bewußtseinsstruktur, der „Triebökonomie" des Menschen.

II. Der Griff nach der globalen Welt

Die Welt ist kleiner geworden, und mit den sich enger fügenden Kulturen und Nationen wuchs die Frage nach einer „globalen" Menschheit, nach einer Weltzivilisation, einer Welt-kultur, einer Weltreligion ebenso wie die noch Übergreifendere Frage nach einer „globalen" Wwwawität. Die Vielheit, der Glaubens-und Lebensüberzeugungen, der Ideologien und Traditionen ist in einer immer enger werdenden Welt zum Problem geworden. Noch sind es offenbar verschiedene Welten, in denen die Menschen der verschiedenen Kulturen und Gesellschaftsverfassungen wohnen. Doch jenes Problem drängt sich auf, wird existentiell, das heißt, es rückt uns buchstäblich „auf den Leib".

Die Frage einer „Globalität" der Menschheit stellt sich unter sehr verschiedenen Aspekten dar, die in diesem Zusammenhang nur in Umrissen behandelt werden können. Dennoch sind es jene Anliegen, die uns allen heute eine persönliche Entscheidung abfordern. Es handelt sich um grundsätzliche Probleme, die mit den folgenden Fragenkreisen zu benennen sind: 1. Gibt es eine Möglichkeit einer existentiellen Integration verschiedener menschlicher Grundbefindlichkeiten, so etwa des westlichen, asiatischen, afrikanischen Menschentums und seiner kulturellen Manifestationen? Dies würde die Beantwortung der Frage voraussetzen, ob es eine geschichtliche Konstanz der menschlichen Natur gibt, die im Grunde als anima naturaliter humana immer dieselbe ist. 2. Gibt es eine Absolutheit der Wahrheiten und der Werte angesichts der behaupteten Pluralität der verschiedenen „Wahrheiten" und „Werte", nämlich als Relativismen der menschlichen Natur, der gesellschaftlichen Struktur, der historischen Situation? 3. Gibt es eine Vereinbarkeit der offenkundigen Pluralität der Kulturen mit der behaupteten Absolutheit eines moralischen Gesetzes und einer möglichen Einheit des sittlichen und religiösen Bewußtseins der Menschheit? 4. Gibt es eine Weltreligion, die alle Inhalte, Formen und Riten aller Religionen umfaßt? 5. Gibt es die Absolutheit der christlichen Religion angesichts des Pluralismus der Religio-nen, die uns heute in einer planetarischen Kommunikation der Weltanschauungen und Lebenssituationen unmittelbar beteiligt, was ebenso für Judentum und Islam gilt? Weiter wäre hier zu fragen: 6. Gibt es eine Weltzivilisation, die nicht nur technisch-ökonomisch, sondern zuerst menschlich strukturiert sein müßte, wobei wiederum die Vielheit nicht durch diese Einheit zerstört werden dürfte? Ist ein Weltstadt und ist eine Weltregierung denkbar, die nicht letzthin nur in eine machtpolitische Diktatur verweisen? Besitzt schließlich die in der antiken und christlichen Tradition begründete abendländische Idee des Menschentums für dieses Abendland selbst noch eine normative Gültigkeit und kann sie für die ganze Menschheit einen universalen Bedeutungsanspruch fordern?

Die jeweiligen Antworten auf diese Fragen sind mit wissenschaftlichen Methoden allein nicht erhebbar und begründbar. Sie schließen vielmehr als fundamentale Vorentscheidungen auch schon die jeweilige Wesens-und Bedeutungsansicht über die Weltreligion, Weltzivilisation, Welthumanität, einen Weltstaat notwendig ein. Hier können nur einige Grundlinien zu den Themen Welthumanität, Welt-zivilisation und Weltreligion bezeichnet werden.

Gibt es also ein Gemeinsames, das oberhalb und unterhalb aller Religionen und Weltanschauungen alle Menschen bindet und verbindet?

III. Die pluralistischen Humanismen

Der überkommene Humanismus mit seinem Grundcharakter eines kultursoziologischen Monismus abendländischer Dominanz erscheint heute nicht mehr haltbar angesichts jener planetarischen Vielheit der Kulturen. Kann uns hier nicht ein Schuldbewußtsein überkommen, daß wir Abendländer gar oft nur uns selbst zum Welt-und Wertmaßstab nahmen — kulturell, religiös-kirchlich, politisch? Erst heute wissen wir, daß die indischen Upanishaden ihren Platz neben der griechischen Metaphysik haben, daß wissenschaftliche Begriffe allein niemals einen existentiellen Sinn verbürgen, daß die Echtheit des Wesens vor der wissenschaftlichen Erkenntnis steht, ja daß es verschiedene Möglichkeiten gibt, ein humaner Mensch zu sein. Auch Asien hat ein spezifisches Menschentum, eine spezifische Humanitätsidee oder — besser gesagt — differente spezifische Humanitätsideen. Gewiß sind diese von jener durch Antike und Christentum geprägten europäischen Menschen-und Kultur-idee verschieden, wie eben das Daseinsverständnis überhaupt von einem ganz anderen Lebensgefühl und Selbstverständnis getragen wird. Ungeachtet dieser kategorialen Anders-artigkeit besteht die Auffassung, daß jenes asiatische Menschenbild, das wiederum nach seinen religiösen Voraussetzungen und Vorbestimmtheiten vielschichtig ist, einen besonderen Rang neben dem abendländischen zu behaupten vermag. Es mehren sich die Stimmen, daß jenes asiatische Bild vom Menschen „nach Wesen, Anspruch, geschichtlicher Funktion und geistigem Rang" dem europäischen „durchaus ebenbürtig" sei 7). In zunehmendem Maße will man also neben dem abendländischen Maßstab für ein Menschen-und Weltbild auf gleicher Ebene auch andere Menschenbilder gelten lassen.

Mit Recht ist gesagt worden, die Asiaten hätten seit alters her mehr vom Menschen gewußt als wir, wir dagegen mehr von der Natur. Uns gewährt dieses asiatische Menschentum auch Möglichkeiten der Ergänzung und des Ausgleichs unserer Mängel und Einseitigkeiten. So kommt man mehr und mehr zu der selbstverständlichen, aber noch nie ernsthaft realisierten Auffassung, daß erst beide Kultur-hälften, die abendländische und die asiatische, die westliche und die östliche, in ihrer Polarität die ganze Kulturmenschheit ausmachen. Denn Morgenland und Abendland sind nicht nur geographische oder politische oder wirtschaftliche Begriffe. Es sind letzthin seelische Begriffe, menschliche Wirklichkeiten 8). Erst in der Begegnung mit asiatischer Geistigkeit wird uns heute deutlich, daß die Grundhaltungen des Abendlandes nur als partikulares Ethos zu werten sind, daß es durchaus noch andere „humane" Haltungen zu Mensch und Leben gibt. Doch damit gewinnt erst die Frage nach der Einen Welt ihre besonderen Konturen. Können die differenten seelisch-geistig-kulturellen, also die menschlichen Andersartigkeiten sich in einer gelebten Synthese finden, die nicht nur eine virtuelle oder zivilisatorische oder politische, sondern zuerst eine reale, das heißt im Tiefengrund des Menschseins gegründete Einheit der Menschheit bildet?

IV. Asiatische und westliche Denkformen

Die Frage, ob Europa und Asien ein Gemeinsames verbindet oder aber ob sich Orient und Okzident niemals „verstehen" werden, weil sie sich nicht verstehen können, ist sehr verschieden beantwortet worden. Die Andersartigkeit der Denkformen, der Erlebnis-und Fühlweisen wird oft hervorgehoben. So hat man von „zwei Welten" sprechen wollen, die als Europa und Asien aufeinandertreffen Teilweise hat man diese Gegensätzlichkeit von Orient und Okzident in einer antinomischen Typologie fixieren wollen, indem man von den Merkmalen der Aktivität, der Freiheit, des Schöpferischen für die westliche Kultur, von den Merkmalen der Passivität, der Knechtschaft, des „Tragenden" für die östliche Kultur sprechen wollte. Es ist dabei von dem Willen zum Raum, zur Souveränität des Ich und zur Gestaltung und Beherrschung des Raumes durch das Ich für den westlichen Menschen die Rede. Junyu Kitayama hat bemerkt, daß in Ostasien der Mensch, das Ich, nicht das Zentrum der Welt ist. Er ist auch nicht ein Gott, ein vor allen anderen Kreaturen bevorzugtes Geschöpf, sondern wie alle anderen Träger des Wandels. Das Schicksal der Welt ist auch sein Schicksal. Er steht nicht abgesondert von der Natur, in der das Gesetz des Wandels waltet. Innerstes Gesetz des Menschen ist: sich wandeln. Er ist weder ewig, wie der Raum, noch vergänglich, wie die Zeit. Deshalb ist die Freiheit des Ich für ihn kein Problem.

Im Westen bedeuten neuzeitliches Denken und Wissen einen Angriff auf die Außenwelt — ein welteroberndes Denken. Die Wirklichkeit wird objektiviert. Selbst der Mensch wird zum Objekt. Das Objekt wird im Denken über das Subjekt gestellt. Im Osten bedeutet dagegen Denken: „Ein unmittelbares Sich-Ausdrücken geistiger Wirklichkeit. . ., die Gedanken des Morgenlandes . . . wollen im al'gemeinen kein Objekt überhaupt verständlich machen, sondern ein von der Außenwelt unabhängiges Sein unmittelbar zum Ausdruck bringen." Zur westlichen Denkform gehört die Subjekt-Objekt-Dualität, zur östlichen nur die Handlung, in die Subjekt und Objekt einbezogen sind. Wissen bedeutet dem abendländischen Menschen im neuzeitlichen Verständnis ein aus dem Angriff auf die Wirklichkeit (der Außenwelt) errungenes und erfahrenes, kritisch-methodisches, das heißt wissenschaftliches Wissen. Dem asiatischen Menschen wird Wissen in der Versenkung in die Tiefen der Seele und des Kosmos geschenkt, wie dies auch eine fast verklungene abendländische Tradition als Weisheit erfuhr. Dem prometheischen An-sich-reißen der Wirklichkeit steht jene in Ehrfurcht hinhörende und empfangene Haltung gegenüber, wie sie noch mit dem Bildnis der Herabkunft des Heiligen Geistes mit den Gaben des Wissens über dem Portal der Alten Universität zu Würzburg im Gegensatz zum Bilde des Prometheus an der Neuen Würzburger Universität sich abzeichnet. Unter Vernunft wird in Asien nichts Verstandesmäßiges begriffen, auch nicht etwa die Vernunft im Sinne Hegels, sondern der mystische Begriff von Vernunft, der in diesem Sinne mit Wahrheit und Erkenntnis gleichgesetzt werden kann. „Der ostasiatische Mensch denkt nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch" woher auch zuweilen seine unbestimmten Denkgebilde anstelle von klaren Begriffen zu erklären sind. Sein bedeutet für den westlichen Menschen „Ins-Dasein-gerufenSein", um sich darin ein Reich des Glücks aufzubauen, oder aber Sein bedeutet die letztgültige Realität unter-oder oberhalb der Gottheit. Für den östlichen Menschen ist dagegen Sein eine Täuschung, ein Schein, der durch Aufhebung der Ichhaftigkeit überwunden werden muß. Der westliche Mensch erblickt seine Unheilssituation in der Erlösungsbedürftigkeit von Sünde und Tod, der östliche Mensch in dem Leiden, dem Prozeß des Werdens und Vergehens, in der Kausalität des „Karma". Vollkommenheit heißt für den westlichen Menschen Erfüllung der Individualität, für den östlichen, hier den indischen Menschen ist das „höchste Glück, der Erdenkinder" das Auslöschen des Ich und ein Aufgehen im Nirvana. Die Entwertung des Individuellen zeigt der Brahmaismus mit seiner Metaphysik des absoluten Seins, mit der Samsaraund Karma-Lehre, die als wesenhaft indisch zu kennzeichnen wäre, deutlich an. Die Upanishaden und die Vedanta wissen von einem Begriff des Selbst, des Atman, der einer Negation des Ich als Aufhebung des Ich gleichkommt. Denn das Ich ist eine Täuschung, wie das einzelne Lebewesen eine Welle auf dem Meer des Unendlich-Einen ist. Das Individuelle tritt völlig zurück hinter dem Ganzen. Im Buddhismus wird schließlich ganz deutlich, daß der Mensch, das Einzelwesen, nichts anderes sein kann als der Schnittpunkt von Strömungen, die zur Aufhebung, zur Ruhe zu bringen, das einzige Ziel alles Sehnens sein muß. Das Ich und die Lebensphasen Geburt, Alter, Tod sind Schein Der abendländische Mensch versteht sich als „Gegenüber zu Gott", der Asiate denkt von der All-Einheit des Seins aus. Dementsprechend ist auch die Auffassung von der Geschichte im abendländischen Denken linear, im östlichen Denken ein „Vorgang innerhalb des Seins", ein Prozeß, der immer wieder in sich selbst einmündet im ewigen Kreislauf. Das Christentum und die von ihm aus datierende Geschichtsauffassung beruhen auf der zeitlichen Abfolge geschichtlicher Fakten, die östlichen Religionen auf Spiritualität Indessen ist Asien ebensowenig eine Einheit wie der Westen. Es gibt auch hier eine Pluralität von Weltauffassungen Uber dem Hintergründe einer quietistischen Mystik kennt Laotse keine Sonderstellung für den Menschen im Bereich des Seienden. Erlösung heißt: In den Urgrund zurückfallen, aus dem alles, auch der Mensch kommt. Der Weg dahin ist die Negation des Handelns und jeglicher Aktivität. Ganz im Gegensatz dazu steht Konfuzius. Bei aller Zurückhaltung in metaphysischen Fragen wird der Mensch in einer typischen „chinesischen Nüchternheit" zum eigentlichen Anliegen. Fast aristotelisch wirkt seine Tugendlehre, wonach der Mensch mit vernünftiger Einsicht zum Ideal des Edlen (Hsün-tse) gelangen kann. Vollkommenheit bedeutet hier ebenso die Ausformung des Wesens, wozu der Mensch angelegt ist.

Die Beurteilung der „Andersartigkeit" des asiatischen Menschen gegenüber dem westlichen ist bis heute in manchen Veröffentlichungen von einer Wertnegation begleitet gewesen. So z. B., wenn es bei Percival Lowell über die Seele des fernöstlichen Menschen heißt: „Man kann von ihnen sagen, sie sind die erwachsene Form eines niedrigen geistigen Typus." Friedrich Kleemann erklärt in einem analogen Verständnis: „Die ostasiatischen Rassen sind zu allen Zeiten nicht so weit fortgeschritten gewesen wie die europäischen." Solche Urteile sind Werturteile, die „europazentrisch" begründet werden. Doch kann man wirklich — so bleibt zu fragen — noch mit Theodor Erismann den Begriff des „Kulturmenschen" jenen vorbehalten, die den „Denkmethoden der Schlußlehre huldigen", während die „praelogischen" als „Naturmenschen" klassifiziert werden?

Solche Thesen sollten hier nur noch benannt werden, um zu erweisen, daß es heute durchaus anderer, nicht nur europazentrischer Maßstäbe bedarf, um der vielschichtig bestimmbaren Menschennatur gerecht zu werden. „Wenn man nicht die Gefahr der Vergröberung fürchtet, könnte man sagen, daß das europäische Denken humanistisch und das indisch-asiatische naturalistisch sei. Das erstere denkt auch das Kosmische nach dem Modell des menschlichen Tuns. Das letztere versteht sogar die menschliche Tätigkeit nach dem Modell des Naturgeschehens — die Natur wird dabei freilich anders aufgefaßt als im Abend-and." Wie fundamental andersartig das asiatische Lebensverständnis sich von dem westlichen abhebt, belegt eine buddhistische Äußerung: „Die Erlösung aller Menschen anzustreben bedeutet nicht, daß man sich zum . Erretter der Menschheit'aufwerfen soll, sondern daß man seine persönliche geistige und ethische Vervollkommnung , sub specie aeter-nitatis'betrachten und sie in den Dienst der Menschheitsentwicklung stellen soll."

V. Zukunft als Fortschritt oder Verhängnis in westlicher und asiatischer Sicht

Fortschritt ist nach Georges SorOl „das magische Wort des Zeitalters". Die vorausgeworfene Zukunft und das Wissen um das apriorische Prinzip des Fortschritts gelten als Sinn der Geschichte, die hier und heute beginnt. Dabei wird Geschichte als vollendbar gedacht, sie ist „an ihrer in die Zukunft vorausgeworfenen Vollendung aufgehängt" Der Plan und die Ordnung, in denen sich die Geschichte der Menschheit vollenden wird, sind bekannt. Der Kampf der Gruppen und der Streit der Meinungen entbrannte darüber, wer und was den Fortschritt repräsentiert. Dieser Streit ist heute in das Spannungsfeld eines Welt-und Wertstreites getreten.

In der Idee des Fortschritts liegt für das moderne westliche Denken noch der einzige Ansatz zur Lösung des Geschichtsproblems. Seit der Aufklärung war man sich bewußt, daß die Zeit der Freiheit in der Vernunft, der wahren Menschlichkeit angebrochen ist, daß es eine Erziehung des Menschengeschlechts zur wahren Menschlichkeit gibt. Neben diese Fortschrittsidee trat der Gedanke der Entwicklung, womit die bis dahin negativ beurteilte geschichtliche Vergangenheit unter der Perspektive der anthropologischen Entwicklung und Reifung ihre relative Wertigkeit fand. Daß dieser Aspekt den Ansatz für die Eigenwertigkeit jeder Zeitepoche und jedes Volkes bedeutete, ja schließlich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sei nur angemerkt. Fortschritt, Entwicklung, Gesetzmäßigkeit und Natur bilden seither die fundamentalen Kategorien, unter denen sich neuzeitliches Geschichtsdenken zu begreifen sucht.

Der Weg in die Zukunft ist für das westliche Denken befestigt von Markierungen, die end-* gültig fixiert zu sein scheinen. Solche Denk modelte sind der durch zweckgerechte Planifi-kation anzusteuernde Fortschritt zu einer technischen und sozialen Perfektion, zu einer Lebensmöglichkeit als Glücksbefriedigung durch Absage an die Tradition, durch den Glauben an die Omnipotenz der Wissenschaft zur Herstellung aller nur möglichen „Projekte", durch Anpassung an den Sozialprozeß in jedweder Beziehung, durch sachgerechte Ausschaltung emotionaler Bezüge und aller Sinnfragen letzter Gültigkeit, womit auch das Religiöse zur erklärten „Illusion" wird.

Aus der Perspektive des asiatischen Kulturraumes stellt sich die Frage nach dem Fortschritt des Menschen und der Menschheit in einer ganz anderen Weise. Hier wird nicht nach dem äußeren Fortschritt, dem technischen Fortschritt gefragt, sondern nach dem menschlichen Fortschritt im Sinne der Vervollkommnung seiner religiösen und moralischen Qualitäten. Daher wird dann die westliche Fortschrittsidee bereits grundsätzlich zum Problem, wenn eine Stimme aus dem Buddhismus fragt: „Gibt es überhaupt so etwas wie eine Menschheitsentwicklung im Sinne wesentlicher menschlicher Qualitäten und nicht nur in der Technik und im intellektuellen Wissen? Trotz der riesigen Vermehrung dieses Wissens und trotz aller zivilisatorischen Fortschritte sind wir bis zum heutigen Tage noch keinen Schritt über die Weisheit eines Buddha, eines Laotse, eines Plato, eines Christus oder auch Mohammed hinausgekommen. . ." Von Menschheitsentwicklung im Sinne eines geistigen Fortschritts können wir nur insoweit reden, als die einzelnen Religionen durch den Kulturaustausch gezwungen werden, „sich auf das Wesentliche ihres religiösen Lebens und Erlebens zu besinnen und sich von den Krusten dogmatischer Verhärtungen und zeitbedingter Begriffsformen zu befreien." In ähnlicher Weise kontrastiert mit einem pessimistischen Grundzug der Hinduismus die beiden differenten Auffassungen von dem, was West und Ost Fortschritt nennen. Es habe in der Welt zweifellos technischen und kulturellen Fortschritt gegeben, das natürliche menschliche Glücksverlangen habe aber den wissenschaftlichen Fortschritt dazu benützt, um mehr Dinge des Vergnügens zu schaffen. B. H. Bon Maharaj bemerkt hierzu: „Der Mensch ist nicht edler geworden". Ja, es wird eher ein negatives Urteil gefällt, da der westliche Fortschritt dem Menschen in bezug auf seine eigentliche Menschlichkeit und seine religiöse Beziehung zum Verhängnis wurde. „Was der Mensch Fortschritt im materiellen Sinne nennt, ist vielleicht ein rückläufiger Niedergang, fort von Gott zu tiefstem Elend. .. Die Welt hat ein sehr dürftiges Protokoll über den Fortschritt von Menschlichkeit und wahrer Weisheit vorzuweisen. .. Der Mensch ist durch sich selbst verpflichtet, nicht durch Gott. Das Antlitz der Welt könnte sich ändern, wenn der Mensch sich Gott zuwenden würde, ehrlich und aufrichtig."

Doch auch im Westen gibt es ein breite Front der Skepsis, die dem Attribut „fortschrittlich" oder „progressiv" nicht schon an sich ein positives Werturteil zuerkennen will. Dieses Negativum bezieht sich besonders auf die moderne Naturwissenschaft, die in solchem Verständnis geradezu als „eine traditionsverändernde und zerstörende Macht" erfahren wird. Indem sie ständig fortschreitet, läßt sie nichts Bestehendes stehen. Die Geschichte ist für uns nicht mehr ein wechselvolles Geschehen einer von Natur aus geordneten Welt, sondern alles was für uns Welt ist, wird in diesen Prozeß der Geschichte einbezogen und in ihn hineingezogen Deshalb sei kein Standort in der Geschichte mehr möglich. Da das moderne Bewußtsein in der Physik und anderswo nicht mehr nur eine gegebene Natur den Menschen nutzbar machen will, sondern ein „künstliches Kräftefeld" erschafft, wird der Fortschritt als Verhängnis erfahren: „Der Fortschritt ist nun über uns verhängt, er ist uns zum Verhängnis geworden." Der Ursprung dieses naturwissenschaftlich-technologischen Verhängnisses wird dabei in der mißverstandenen Interpretation der Biblischen Schöpfungsgeschichte gesehen, wonach die Natur für den Menschen da sei

In Asien und zunehmend auch in Afrika hat der Marxismus die Funktion des Fortschritts übernommen, und zwar ebenso des wissenschaftlich-technischen wie des weltanschaulichen Fortschritts im Sinne der westlichen Aufklärung. Für diese Länder bedeutet Kommunismus „die Inkarnation einer Art säkularer Fortschrittsreligion"

Die Kritik der Fortschrittsideologie hat sich im Hinblick auf Teilhard de Chardin besonders auf die Identifizierung von Evolution und Fortschritt konzentriert, wie ebenso auch in solchem Zusammenhang die Identifikation von Evolution und Geschichte in Frage gestellt wurde Solche Kritik findet sich im Gegensatz zu einer Theorie der „Planifikation", der Vorausberechenbarkeit des geschichtlichen Prozesses, da immer noch ein Rest von Freiheit und Verantwortung bleibt — jenes Unberechenbare, das Geschichte von der determinierten Prozeßgesetzlichkeit der Evolution unterscheidet. Es darf noch angemerkt werden, daß objektive „Entwicklung" und „Fortschritt" sich oft dann als notwendige Denkschemata einstellten, „wenn das Bedürfnis entsteht, dem religiös entleerten Ablauf des Menschenschicksals einen diesseitigen und dennoch objektiven , Sinn'zu verleihen"

Ist also Fortschritt als sittlicher Fortschritt, als Fortschritt des Menschlichen zu konstatieren? Trotz aller Fortschritte in den modernen Wissenschaften und Techniken sind die von Her-der, Schiller und Kant erhofften Fortschritte in der wahren Menschlichkeit ausgeblieben. Die modernen Handlungen der Unmenschlichkeiten und sonstige charakterologische Befunde stehen den viel gerügten mittelalterlichen Grausamkeiten nicht nach. Nur die Methoden haben sich geändert. „Die Illusion der Selbstsicher -heit als der Weltsicherheit auf Grund von Wissenssicherheit" beherrscht als Anonym den Aspekt unserer Welt, aber erzeugt gleichzeitig jene „ohnmächtigen Träume eines nie gestillten Mangels" Gewiß wurden Fortschritte gemacht, Institutionen zur gegenseitigen Sicherung wurden gegründet oder Einrichtungen zur Hilfeleistung, die ebenso auf dem Prinzip der Allseitigkeit und Gegenseitigkeit beruhen. Fortschritte also, welche die eigentlich humanen Bezirke betreffen. Es möge dabei nicht unbemerkt bleiben, daß inmitten aller Lieblosigkeit und Schrecknisse der Verbrechen und der Untaten gegen die Menschlichkeit dennoch auch ganz andere Kapitel des Mitfühlens, der personalen Hilfe, der brüderlichen Anteilnahme, des opfernden Einsatzes der persönlichen Existenz für diese Menschlichkeit durch die Welt gehen. Wer wollte dies übersehen?

Diese duldende und handlungsbereite Hingabe von Menschen für den Menschen?

Allein dies alles umfängt zumeist die Stille, die selbstverständliche gute Tat des Herzens. Die „Publicity" weiß von alledem wenig — diese Öffentlichkeit will oft genug Sensation, lebt von „Einsätzen", die selten allein um der Sache willen geschehen oder auch selten nur aus diesen Motiven publiziert werden. Dies dann könnte als ein Merkmal der Unterscheidung aller wahrhaft humanen Gesinnung und Tat gelten: Nur was ein Mensch unter Absehen von seiner Person für eine Sache, eine Idee, einen Menschen, eine Gruppe usf. zu tun bereit ist, könnte auch den charakterologischen Wert seiner Persönlichkeit, seines Menschentums, seiner Humanität anzeigen. Dies gilt für alle Bereiche des Lebens, für den religiösen Bezirk ebenso wie für den politischen, für den beruflichen ebenso wie für den privaten Lebensbezug. Und dies könnte auch den Weg zu einem gültigen Fortschritt der Menschlichkeit anzeigen.

VI. Gibt es die eine Menschennatur?

Hier stellt sich uns die zentrale Frage, ob es überzeitliche Grundwerte aller Völker gibt. Gibt es also „einen gemeinsamen Fundus in den Überzeugungen und Gefühlen über den Wert" Gibt es die gemeinsame structure of man Oder ist der Begriff „Menschliche Natur" eine „offene Größe", weil sie geschichtlichen Veränderungen unterliegt?

Im Westen wird das östliche Menschentum zumeist als fremdartig empfunden. Fremdartig aber erscheinen auch wir dem östlichen Menschen. Dennoch mehren sich die Stimmen aus dem Orient, welche die Unterschiede nicht als prinzipiell aufgefaßt wissen möchten. Hierfür ein Zeugnis von Sarvapalli Radhakrishnan „Es gibt keinen Grund, an fundamentale Unterschiede zwischen Ost und West zu glauben. Menschliche Wesen sind überall menschlich und halten an denselben tiefsten Werten fest. Die Unterschiede, die zweifellos auffallend sind, sind auf die äußerlichen, zeitbedingten sozialen Bedingungen zurückzuführen und sind mit ihnen veränderlich. . . . . . Ost und West sind relative Begriffe. Es sind geographische Ausdrücke und keine kulturellen Kennzeichnungen. Die Unterschiede zwischen Ländern wie China, Japan und Indien sind ebenso auffallend wie die zwischen europäischen und amerikanischen Ländern. Spezifische kulturelle Verhaltensmuster mit unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen und Sitten entwickeln sich in verschiedenen Religionen, die relativ voneinander isoliert sind... ... Die Menschheit hat einen einzigen Ursprung, aus dem sie sich in vielen Formen entfaltet hat. Sie kämpft nun um die Wiedervereinigung dessen, was aufgespalten wurde. Die Geschichte der neuen Welt, der einen Welt, hat begonnen." Ist diese Eine Welt aber auch eine gemeinsame Welt der Menschen und des Menschlichen, also des Eigentlich-Menschlichen?

Wenn man die großen Religionen nach den gemeinsamen Grundwerten der Menschheit befragt, so herrscht die Einsicht vor, daß es solche Grundwerte gibt, wenn auch mit grundsätzlich verschiedenen Akzenten und Begründungen. Nach Karl Rahner ist das Grundwesen des Menschen überall das gleiche. Daher halte sich auch in den sittlichen Grundhaltungen der verschiedenen Völker „ein Bestand an sittlichen Grundmaximen durch", die jedoch, von ein paar letzten Prinzipien abgesehen (Tue das Gute, meide das Böse), „noch einmal geschichtlich konkret und daher verschieden ausgeformt sein mögen". Es gäbe danach die Möglichkeit zu einem Katalog von Grundrechten und entsprechenden Grundpflichten des Menschen. Diese gemeinsamen Werte seien mit dem Wesen des Menschen gegeben und verdankten ihre Geschichtsgestalt auch dem Christentum. Es gibt danach „ewige Prinzipien", wie das Recht auf Leben, auf Gewissensfreiheit, auf Wahrheit, auf Respektierung der sittlichen Persönlichkeit, auf einen Möglichkeitsraum personaler Entfaltung usf. Daher wird von einer bestimmten, aber doch je geschichtlichen Form gesprochen.

Gerade hier jedoch erscheint uns ein fundamentales Problem, das mit Konstatierungen nicht einfachhin beruhigt zu werden vermag: Inwieweit nämlich durch die Geschichtlichkeit des Menschen, durch die geschichtliche Konkretisierung die „bestimmte" Form in ihrem Bedeutungscharakter verändert wird. Schließlich bliebe zu fragen, worauf sich das unbedingte Postulat von dem gleichen Grundwesen des Menschen stützt, und schließlich: inwieweit bei einer solchen absoluten und zugleich geschichtlichen Sicht nicht doch nur die Prinzipien des Christentums zu Weltprinzipien des Lebensverständnisses und der sittlichen Normierung erhoben bzw. schon vorausgesetzt werden. Es kann hier nur angemerkt werden, daß bestimmte Thesen des Existentialismus, die eine absolute Geschichtlichkeit des Menschen als Wandel der Menschennatur selbst vertreten, in die Konsequenz des Relativismus und damit in die Relativierung der Wahrheit und der Werte zielen müssen.

Indessen finden wir ähnliche Auffassungen über mögliche gemeinsame Grundwerte auch in der Sicht anderer Weltreligionen. Der Islam glaubt daran, daß viele ethische Werte wie Aufrichtigkeit, Freundlichkeit, Gerechtigkeit u. a. von den meisten Gemeinschaften und Einzelmenschen als wahr und allgemein verbindlich betrachtet werden. Die UN-Charta sei von solchen „allgemein gültigen Normen" abgeleitet worden.

Auch in der Sicht des Hinduismus gibt es gewisse sittliche Werte im Leben, die von Nationen und einzelnen als verpflichtend anerkannt werden, wie dies B. H. Bon Maharaj verstehen will. Dazu gehören z. B. die Achtung vor der sozialen Ordnung, das Gefühl für Selbstachtung in bezug auf sinnliche Begierden, menschliche Übereinkommen, gegenseitige Achtung. So würde sich dann also ein internationaler ethischer Kodex sittlich in derselben Weise herausbilden, wie das internationale Recht Gestalt gewonnen hat und an Kraft zunimmt.

Wie Gustav Mensching von der religionswissenschaftlichen Seite einen prinzipiellen Unterschied von Gut und Böse im Glauben der Völker nicht erkennt, spricht Fritz-Joachim von Rintelen über einer breiten abendländischen philosophischen Tradition von einem „überindividuellen Wertsinn", aber ebenso von einer „Variationsbreite der realisierten menschlichen Grundwerte". Heinrich Dumoulin will von einer „konkret greifbar gewordenen Universalität der Menschennatur, ihrer Kontinuität im Wandel und letzten Ausrichtung auf Transzendenz" sprechen.

Damit aber greift unser Anliegen noch über die Wertfrage hinaus in jenen Bezirk, der mit der „structure of man", der menschlichen Wesensnatur, bezeichnet wurde. Wenn wir mit Wert auch einen Sinnbezug postulieren, so betrifft die Frage nach der Gemeinsamkeit des Menschen letzthin die Frage nach den „letzten Stellungnahmen". Hier freilich scheint die „Variationsbreite" schon fundamentale Differenzen anzuzeigen, die das Selbst-, Welt-und Lebensgefühl des Menschen betreffen. Das Problem der Rangordnung der Werte kann nicht ausgelassen werden, wenn man nach dem je-weiligen Lebensbezug als Lebensziel fragt. Und hier finden wir gravierende Unterschiede, so in der Wertung des Individuellen, des Personalen, des Kulturellen, des Pragmatischen, der Lebenseinstellung als vita activa und vita contemplativa, nicht zuletzt aber des Lebenszieles und des Lebenswertes selbst. Es mag gültig sein, daß bestimmte Unterschiede nicht nur Rassen, Völker, Kulturen zuzuschreiben sind, sondern sich — um mit dem Inder Poolla T. Raju zu sprechen — „quer durch die ganze Menschheit ziehen". Daß es dennoch markierende typologische, die menschliche Existenz in der Tiefe fixierende und nur aus dieser Tiefe zu erhebende Unterschiede etwa zwischen Asien und dem Westen gibt, die nicht als „relative Begriffe" oder „geographische Ausdrücke" bestimmt werden können, erscheint uns ebenso evident.

So könnte wohl gelten, daß die menschliche Wesensnatur insofern als eine allgemein identische bestimmt werden kann, als sie der Möglichkeit nach auf bestimmte Werthaltungen hin angelegt ist. Hierzu zählen etwa die Unterscheidung von Gut und Böse, das „Gefühl" als das Organ für die Transzendenz, die Ehrfurcht vor dem Leben, die Hilfe in der Not, die Verantwortlichkeit für das Handeln, wie ebenso aber auch das Streben nach Selbsterhaltung in den verschiedenen Varianten Liebe, Haß und Neid. Umstritten ist, ob jeder Mensch, also der „Wesensbestand" der Menschennatur schlechthin, das „Organ" für die Kategorie des Heiligen besitzt, wie dies allerdings ethnologische und religionswissenschaftliche Forschungen nahelegen. Umstritten aber ist vor allem zwischen Nativismus und Empirismus die allgemeine Naturgegebenheit des Gewissens und damit auch das „Organ" für die Wahrhaftigkeit als charakterologische Wesens-und Wertmitte.

Bestimmte Merkmale, die — wie auch immer der Mensch anthropologisch bestimmt werden mag — offenbar zur Wesensnatur des Menschen gehören, erhalten jedoch ihre besondere Akzentuierung, ihre Richtungsbestimmtheit, ihren Bedeutungscharakter immer erst von jeweiligen Begründungen und Motivationen und ihren Verpflichtungscharakter von den fundierenden Sinn-und Werthaltungen des Mensch-seins überhaupt. Diese sind wiederum in der noch tiefer liegenden Lebensgrundschicht als „Lebensgefühl", Lebensverständnis und Lebensbewältigung verwurzelt. Insofern können dieselben Werthaltungen durchaus verschiedene Bedeutungsakzente und Kolorite der existentiellen „Gewichtigkeit" erhalten und dadurch bei gleichen Begriffsinhalten dennoch different bleiben.

Die Völker und Kulturen und Rassen der Welt können einander begegnen, im Dialog sich selbst und die anderen „diagnostizieren", Achtung bezeugen, sie tolerieren, sich gegenseitig bereichern und am Gegenüber zu sich selber finden. Doch im Lebensgefühl, im Weltgefühl und auch in den Wertbezügen scheint der Sinn-und Bedeutungscharakter, besonders also zwischen Asien und dem Westen, different zu bleiben.

Man hat Ansätze für einen planetarischen Stil auch in der modernen Kunst feststellen wollen. Er zeigt sich danach in der Ersetzung des gegenständlichen, im Konkreten, Nationalen, Kulturellen, Menschlichen verwurzelten Stils durch ein „System von gegenstandsfreien Formen und Farben, die nun nicht mehr Träger einer sachlichen Aussage, sondern Ausdruck einer psychischen Situation sind" 38a). Damit wird jener Zustand der Heimatlosigkeit und funktionellen Substanzlosigkeit erreicht, der planetarische Gültigkeit haben soll. Die Ent-sinnlichung und Mathematisierung unseres gesamten Daseins mit „abstrakten Leitstrukturen" kommt einer „planetarischen Mutation" gleich.

Hat dann jene These wohl recht, wonach die fortschreitende erzieherische Aufgabe der Wissenschaft die Hoffnung auf ein allen Völkern gemeinsames Weltnaturrecht erzeugt? Führen die wissenschaftlichen Denkformen wirklich zur Klärung der allen Menschen gemeinsamen Grundwertungen und zu einem darunter begründeten Rechtsbewußtsein? Gibt es mit Teilhard de Chardin ein „kollektives Bewußtsein der sich entwickelnden Menschheit"? Oder ist die Verwurzelung der Religionen und Philosophien im Verständnis von Carl Gustav Jung in dem kollektiven Unbewußten der Menschheit begründet, wodurch die Einheit der inneren Geschichte der Menschheit künftig bestimmt sein wird?

VII. Weltstaat und Weltreligion

Der Weltstaat ist heute nach optimistischer Auffassung nicht mehr nur ein Wunschgebilde, eine Zielvorstellung. Seine Konturen sind schon zu erkennen. „Die planetarische Ordnung ist", wie es bei Ernst Jünger heißt, „sowohl dem Typus wie der Ausstattung nach bereits vollzogen. Es fehlt nur noch ihre Anerkennung, ihre Deklaration." Aber könnte dann wirklich „der menschliche Organismus als das eigentliche Humane, vom Zwang der Organisation befreit, reiner hervortreten"? Oder könnte dies nicht auch ebenso und eher die Erdrükkung des Organismus, des Humanum, durch diese perfektionierte Organisation bedeuten?

Man spricht von einem „realen Weltbürgertum" das alle Religionen und Weltanschauungen in den Vorhof des „Provinzialismus" verweist, sofern sich eine neue globale Humanität nicht darüber erhebt — eine globale Humanität, die paradoxerweise die metaphysischen Glaubenssysteme anerkennen, aber sich doch zugleich von ihnen distanzieren soll Also so etwas wie eine globalisierte Vernunftreligion der Aufklärung mit dem Ferment des technischen und gesellschaftlichen Szientismus und Perfektionismus?

Bestimmte Vorstellungen einer Einheitsreligion, einer Weltreligion, der „Vereinten Religionen", bestehen nicht ohne überzeugende Kritik. Kurt Wilhelm spricht aus jüdischer Sicht von der akuten Gefahr einer Pseudo-Menschheitsreligion, von einer Einheits-Religion der Vernunft. Muhammed Asad

stellt im islamischen Verständnis die heute in der Welt sichtbar werdende Tendenz zur Vereinheitlichung der Lebensvorstellungen in die

Kritik, da sie weniger eine „Folge der Annäherung in bezug auf positive ethische Werte als vielmehr einer wachsenden Anbahnung materieller, letzten Endes nicht-ethischer Werte" sei. „Von diesem Standpunkt aus gesehen, bedeutet die sichtbar zunehmende Vereinheitlichung der Vorstellungen tatsächlich eine Gefahr — und zwar eine Gefahr nicht etwa nur für diese oder jene Religion, sondern für die religiöse Weltschau an sich." Auch B. H. Bon Maharaj stellt aus der Welt des Hinduismus die Frage, ob Vereinheitlichung nicht nur äußere Gleichförmigkeit sei. Denn die zunehmende Gleichförmigkeit heute geltender Werte und Vorstellungen „vom guten Leben" erbringe mit den Fortschritten von Wissenschaft und Technik keine Gleichförmigkeit verschiedener Glaubensrichtungen in derselben Religion oder gar in verschiedenen Religionen.

Auch eine Weltreligion ist niemals nur formal zu bestimmen. Auch eine Weltreligion könnte ohne eine inhaltlich fixierte Dogmatik und Morallehre kein Leben haben. Weltreligion als Synthese der verschiedensten Religionsformen der Menschheit ist nur als ein blasser Synkretismus zu denken. Dem steht allein schon der exklusive Absolutheitsanspruch von Judentum, Christentum und Islam entgegen. Zu den fundamentalen Voraussetzungen dieser Religionen als Heilsbotschaften gehört die These, daß die Wahrheit unteilbar ist. Uber die allgemeinen religionspsychologischen Grunderfahrungen hinaus beanspruchen alle Hochreligionen die Einzigartigkeit, ja teilweise die göttliche Verbürgtheit ihrer Botschaften an alle Menschen, nicht nur den allein gültigen als den allein wahren Weg anzuzeigen, sondern auch die umschriebenen Mysterien für die Erlösung des Menschen in jedweder Hinsicht zu verkündigen.

Man sollte sich aber auch darin nicht täuschen, daß die asiatischen Religionen, trotz ihres differenten organischen Wahrheitsbegriffs, mit der Akzeptierung aller Religionen als Erschei-nungsformen des einen, religiösen göttlichen Wirklichkeitsgrundes doch ebenso noch mit großer Entschiedenheit das Gewicht auf ihren eigenen Weg als den wahren Weg legen. Der Unterschied von religiös-metaphysischen Religionsbegründungen, die mit weitgehendem Verzicht auf inhaltliche Fixierungen allein an der religiösen Erfahrung und ihrer Praktizierung ihre Begründung haben, und den religiös-geschichtlichen Heilsverkündigungen kann in einer gemeinsamen Weltreligion nicht überbrückt werden, selbst wenn alle anderen Religionen relational, etwa in bezug auf die christliche Offenbarung hin, zu verstehen sind. Auch mit der „potentiellen Christlichkeit" aller außerchristlichen Religiosität im Sinne der dem Tertullian zugeschriebenen anima naturaliter Christiana, wonach also die Seele aller Menschen zum Christlichen hin angelegt sei, ist grundsätzlich keine andere Feststellung möglich.

So wird eine Weltreligion als institutionelle Religion keine Möglichkeit zur Realisierung finden, eine Idee, die doch auch besonders nur von jenen Kreisen propagiert wurde, die in keiner bekenntnisgebundenen Hochreligion ihre Lebensüberzeugung wiederfinden. Die andere Frage nach der Opportunität einer solchen Universalreligion, wodurch der Reichtum der Mannigfaltigkeit der religiösen Formen leiden würde, ist dann von sekundärer Bedeutung.

VIII. Weltzivilisation als Zwangsprozeß?

Das Neue des neuen Zeitalters, in dem wir leben, wird als Beginn eines Weltzivilisationsprozesses betrachtet, worin alle Lebensbereiche, einschließlich der Religion, verflochten sind Die eigentliche Aktualität erreicht die Frage nach einem Weltzivilisationsprozeß, nach der Möglichkeit einer einheitlichen globalen Humanitätsidee, in der Perspektive der zwangsmäßigen Vereinheitlichung der Erde durch die Prozesse der „Rationalisierung". Es steht außer Zweifel, daß diese Vereinheitlichung der Welt durch das Zusammenwirken der rationalen, technischen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen, ja auch der militärischen und religiösen Kräfte und Mächte in stetem Fortschreiten ist. Durch die moderne Nachrichtentechnik wird eine Kommunikation und Information erreicht, die alle Grenzen überwindet. Der wissenschaftlich-technologische Universalismus weist auf eine „unaufhaltsame Totalisation der Menschheit" im Sinne von Teilhard de Chardin. Und wenn auch eine Kritik an seinen Zukunftsvisionen durchaus angezeigt erscheint, so bleibt doch die grundsätz-liehe These von der zunehmenden Vereinheitlichung unserer Erde eine nicht zu bestreitende Tatsache. Die andere unsere Thematik betreffende Frage bleibt jedoch dann ebenso offen: Die Frage nämlich, ob eine „globale Humanität" der Menschheit von Ost und West tatsächlich und wirklich eine notwendige Folge jener bezeichneten Einheitsprozesse bedeuten kann und muß und vor allem bedeuten soll.

Die naturwissenschaftlich-technische Dimension und Denkmethode bzw. Lebensform ist nicht die einzige Möglichkeit, trifft dazu nicht die ganze Wirklichkeit des menschlichen Bereichs. Wenn überhaupt, so wird hier die Übertragung naturwissenschaftlicher Denkweisen auf den Menschen schlechthin in ihre Fragwürdigkeit gestellt. Ist denn der Mensch wirklich nicht mehr als ein Wesen, das in einem globalen Rationalisierungsprozeß gesteuert und verplant wird, zum Funktionär eines uniformen, technischen Zivilisationsmechanismus werden muß? Eine „globale Humanität" im Sinne einer Weltzivilisation wird nicht nur als ein zivilisatorisches Problem Gültigkeit haben können.

An-formung ist noch nicht An-eignung oder existentielle Integration. Globale Flugzeug-, Auto-und Raketentypen oder eine konformistische Lebensstilistik leihen noch keinen tragenden „Einheitsgrund" für die Tiefenbezirke der menschlichen Existenz selbst. Dasselbe gilt auch von wirtschaftlichen Zweckbünden und militärischen Notbünden, was doch nicht übersehen werden sollte.

Jener Optimismus, der von einer „globalen Humanität" spricht, kann seine Zuversicht aber doch allein von dem Glauben hernehmen, daß sich aus der modernen technologischen Wissenschaft zwangsläufig eine neue Weltanschauung ergeben müsse, die sich aus dem so-genannten „höheren Gesichtspunkt" über allen Religionen und Lebensüberzeugungen herleitet. Ob jedoch die Menschheit auch existentiell, das heißt in ihren tiefsten, eigentlichen, fundamentalen Grundbefindlichkeiten des Mensch-seins, des Selbst-, Welt-und Transzendenzverständnisses, jemals zu einer „Uniformität" gebracht werden kann, muß schon aus sehr nahe-liegenden Gründen verneint werden. Die Geschichte lehrt, daß Lebensauffassungen, Weltanschauungen und Glaubensüberzeugungen in einem Kulturkreis, in einer Nation, ja selbst noch in einer Sippe oft über Jahrzehnte nebeneinander leben, leben also, was weit mehr ist als technologische und zivilisatorische Konformation, ohne daß eine Vereinheitlichung beobachtet werden konnte. Die Frage einer Welt-zivilisation verweist auf eine nicht nur zivilisatorische „Vereinigung" von Orient und Okzident einschließlich des afrikanischen Kontinents, das heißt auf die innere Einung des Menschentums, der Lebensüberzeugungen, der Lebensform, der Lebensstilistik, der „letzten Stellungnahmen". Wir wissen aber, daß überall noch die überkommenen angestammten Traditionen lebendige Wirkkraft besitzen, auch dort, wo diese als solche nicht mehr bestimmend in Erscheinung treten. Dies gilt für Asien, selbst noch für Japan, ebenso wie für das christlich inspirierte Abendland. Auch wo hier offenbar nur noch eine Signifizierung des christlichen Erbes blieb, lebt man von diesen Relikten, die bis heute trotz allem eine fundamentale Wirkkraft besitzen, zumindest in Auseinandersetzung oder in Abhebung von jenen Gestaltungsfaktoren.

Eine tagesgerechte aktuelle Ansteuerung welt-uniformer Bezüge hat ihre unüberschreitbaren Grenzen, auch wenn diese These nicht so unbedingt mit Beifall bedacht werden sollte. Müßte es nicht dazu eine Verarmung der Welt bedeuten, wenn auch die menschliche Differenziertheit der Völker und Kulturen aufgehoben und als Weltkonformismus organisiert werden könnte und sollte? Cicero behält auch heute noch recht, daß der Weg zur Welt über die Nation führt. Solange es Nationen und Kulturen gibt, wird es auch ein Bewußtsein der nationalen und kulturellen Verwurzelung und Verantwortung geben. Zu einer gültigen und fundierten „Politischen Bildung" gehören deshalb notwendig die Begriffe Heimat, Vaterland und Nation. Die moderne Mobilität des Menschen darf nicht zur gesteuerten völligen Entwurzelung aus seinen heimatlichen, vaterländischen Verhaftungen führen, die zum Wesens-bestand des Menschen selbst gehören. Uniformierung und Egalisierung und die notwendig folgende Totalisierung müßten nicht nur das Ende der Kulturen, sondern auch das Ende der Kultur überhaupt bedeuten, die durch eine technische Zivilisation der Zahlen, der Zeichen und des alles Ursprüngliche zersetzenden Getriebes und Betriebes niemals ersetzt werden kann.

Dies besagt nichts gegen die notwendigen Bemühungen um eine äußere und — was viel schwieriger ist — um eine innere Begegnung, um kulturell, geschichtlich und geographisch bedingte „Integrationen", wie dies etwa der europäische Gedanke nahelegt, der allerdings über eine äußere, von wirtschaftlichen und militärischen Interessen diktierte „Einheit" noch kaum hinausgekommen ist und daher unsere benannten Bedenken nur zu bestätigen vermag. Unsere eigentliche Aufgabe heute steht aber demnach gewiß in der Verantwortung, verbindende und verbindliche gemeinsame Grundhaltungen im nationalen und übernationalen Bereich zu suchen. „Global" meint doch nicht nur „Welt" als Umwelt und Mitwelt. „Welt" meint immer auch primär ein „Sinngefüge des Geistes", womit sich „Welt" mit Kultur und Menschentum berührt. Global meint auch, daß ein neuer, über die Teilaspekte der Kulturen, auch wenn sie als „Sinntotalität" gefaßt werden, hinausgehender Sinnbezug des Ganzen, also aller Kulturen und Weisen des Menschseins, erstrebt und verwirklicht werden könnte. Niemand vermag heute zu sagen, ob ein solcher globaler, alle Weisen des menschlichen Selbst-und Weltverständnisses überhöhender und damit diese zugleich teilweise aufhebender bzw. nivellierender Sinnbezug ein Positivum bedeuten würde, sofern er möglich wäre. Dies muß bezweifelt werden, da die Unterschiede von Orient und Okzident eher als faktische, irreal bedingte Gegensätze oder zumindest Anders-artigkeiten zu betrachten sind, wenn auch diese östliche Welt jene „Überfremdung“ durch den Westen geradezu als heilbringende Beglückung aufnimmt. Doch auch jetzt bliebe dem tiefer dringenden Blick nicht verborgen, daß eine Europäisierung Asiens infolge der grundsätzlichen Andersartigkeit der seelischen Strukturen nur an der Oberfläche gelingen könnte ja daß im Grunde bis heute die westliche Welt durch den steten Anstoß, Auf-bruch, die Drohung des Ostens in Atem gehalten wird, eines Ostens, der sich bewußt der westlichen Denkmethoden und Kampfmittel bedient.

IX. Siegt der Westen über das asiatische Menschentum?

Wohin also wird der Weg des Menschen und der Menschlichkeit in Ost und West führen? „In der Zukunft wie in der Vergangenheit wird der gemeinsame geistige Gehalt der historisch überlieferten Religionen der Leitstern der Menschheit sein. Wenn alle Ideologien erschöpft sein werden, wenn der so lange ungestillte Hunger des Menschen nach materiellen Gütern gestillt sein wird und wenn der Mensch auch von seiner vorübergehenden Überfütterung durch die Sättigung geheilt ist, dann, meine ich, werden die Ideale und Gebote, die in den historischen Religionen enthalten sind, endlich zu ihrem Recht kommen." Ob Arnold J. Toynbee mit einer solchen Perspektive wirklich recht behalten wird?

Doch kann und soll der Weg des Westens denn überhaupt der Weg der Welt werden? Die Idee der personalistischen Menschlichkeit, wie sie abendländischem Bewußtsein eigen ist, könnte, wie es heißt, „als unverlierbar gewordene Konstante der menschlichen Natur, als Wesenszug der Menschlichkeit der kommenden Epoche zugehören". Aber haben wir selbst denn noch diese personalistische Idee vom Menschen als Menschlichkeit? Und zum anderen: Kann diese abendländisch-christliche Idee zum Weltprinzip erhoben werden auch dort, wo im asiatischen Raum und anderswo eine ganz andere angestammte Natur und religiöse und gesellschaftliche Grundweisen des Menschseins aufgewiesen werden könnten?

Dem ganzheitlichen Menschenbild verbindet sich in Asien eine ganzheitliche Denkweise des intuitiven Erkennens, ein Ganzheitsdenken. Dem dualistischen Menschenbild des Abendlandes und auch der platonisch-christlichen Tradition entspricht ein abstrakt begriffliches analytisch-methodisches Denken. Dies sind keine sekundären Unterschiede, dies sind fundamentale Unterschiede des Menschseins überhaupt. Und es muß sehr vereinfacht erscheinen, wenn man meint, beide Formen und Weisen des Menschseins müßten sich verbinden, damit die universale, das heißt hier die sich jeweils ergänzende globale Welt entsteht. Heinrich Dumoulin

hat mit Recht als den Kern der heutigen Problematik die Frage benannt: „Gibt es keine Verbindung zwischen dem Kosmos der modernen Naturwissenschaft und dem in hohem Maße vergeistigten Kosmos der fernöstlichen Kultur?" Mit anderen Worten: Es wird nach der Möglichkeit echter Spiritualität für den naturwissenschaftlich denkenden modernen Menschen gefragt. Es wäre hier auf Teilhard de Chardin zu verweisen, der zwar die neue Weltkultur in ihrem „Aufstieg vom Westen her" datiert, doch auch der fernöstlichen Spiritualität „eine unentbehrliche Rolle und verantwortliche Funktion" in diesem Aufbauprozeß über die Stadien der Kosmogenese, Biogenese und Noogenese mit dem Ziel der höchsten persönlichen geistigen Wirklichkeit in Christus zuschreibt. Aber doch „auf der westlichen Straße" fortschreitend sollen Ost und West zu einer universalen Weit-sicht und Menschheitskultur gelangen, wozu die christliche Interpretation des letzten Sinnes der moderenen Naturwissenschaft verhelfen soll.

Die Konturen dieser Synthese des neuen Welt-menschen wären also eine innere Integration zumindest jener beiden gekennzeichneten Grundhaltungen. Allein hier genau erscheint uns die Fragwürdigkeit einer solchen Zielsetzung. Daß beide Geistes-und Seelenhaltungen sich ergänzen und befruchten sollen, ist ein langgehegtes Bemühen. Doch gilt nicht auch, zumal in diesem Bezug, das Gesetz der Grenze, der „Enge des Bewußtseins"? Sind also jene beiden menschlichen Existenzweisen, die in ihrem tiefsten Grunde als menschliche „Ansätze" eben andersartig verwurzelt sind, überhaupt möglich und realisierbar? Umfaßt die Plastizität der menschlichen Grundmöglichkeiten wirklich jene Spannweite, die beide „Lebensformen" integrieren könnte? Wir meinen, daß dies zwar angestrebt werden könnte, vielleicht auch angestrebt werden sollte, daß aber doch die unüberschreitbare Schranke menschlicher Kontingenz nicht außer acht gelassen werden dürfte.

Schließlich aber greift diese Frage in die tiefste Lebensentscheidung überhaupt. Auf jene Frage von Heinrich Dumoulin, ob es keine Verbindung der modernen Naturwissenschaft mit dem geistigen Kosmos der Asiaten gebe, bleibt zu antworten: Nein — es sei denn um den Preis der Aufgabe der einen oder der anderen Grundposition des Lebensverständnisses. Dann freilich scheint es doch nur den einen Weg zu der neuen Einen Welt zu geben: daß die „Straße des Westens", der mathematischen Methode, des kritisch-analytischen Denkens, der mit der technischen Welt offenbar notwendig verbundenen Extravertierung aller menschlichen Lebensbezüge, zur Straße der Welt wird. Die Entscheidung, ob dies erstrebenswert wäre, hängt von den Maßstäben und Gewichten ab, mit denen man die Wert-und Sinnbezüge der menschlichen Existenz bewertet. Uns möchte scheinen, daß der Mensch, bei aller Anerkennung der technischen Perfektion und ihrer positiven Folgerungen, im letzten Grunde ohne den Motor sinnvoll existieren könnte — nicht aber ohne die Frage nach dem Einen, was nottut, nicht also ohne die Lebensfrage nach dem Sinn der menschlichen Bestimmung, des Schicksals, des Leids, der Schuld, des Todes. Vom europäischen Leistungswissen ist jedenfalls Heil und Unheil über die Menschheit gekommen.

Man hat bemerkt, daß die europäische Expansion nach dem Osten wie ein Kreuzzug begann Das Kreuz wurde längst verloren. An seine Stelle traten der machtpolitische und wirtschaftliche Profit und dann der Motor, die Retorte, das Atom, die moderne technokratische Wissenschaftsreligion mit ihren ebenso fortschrittlichen und aufgeklärten wie nihilistischen und atheistischen Konsequenzen. Hier genau erscheinen die Konturen einer globalen Welt, sofern sie ausschließlich von einer solchen „Westströmung" überflutet würde. Doch wo liegt heute die Grenzlinie zwischen Asien und dem Westen? Nach der irdischen und Gott-Kaisers in Japan, nach der Kulturrevolution und der Zündung der Wasserstoffbombe in China, ist der Westen auch in Asien. Das Zeitalter der globalen Weltzivilisation erhebt sich weithin tatsächlich über der „Straße des Westens". Daß der Satan als die Vollmacht des Bösen und Menschenwidrigen aus der Paralyse des Abendlandes bzw.des Westens geboren wird, — darüber waren sich die asiatischen und slawischen Völker einig. Der technisierte Mensch des Westens, der nach jener These über dem Gewinn seiner rationalen Erfahrungen und technischen Naturbeherrschung sich selbst, das heißt sein eigenstes, den Menschen in seiner menschlichen Würde auszeichnendes Seelentum verloren hat, darf auch heute noch weithin und trotz aller Übernahme westlicher Fortschritte als der Leitgedanke des Orients gelten 51a). Wohin führt also die Straße des Westens als die Straße der Welt? Ist sie eine Todesstraße für die Welt und das Menschentum?

Wenn Arnold J. Toynbee die Aufgabe des Westens heute darin erblicken will, jetzt „der gute Engel des Ostens" zu werden, — reicht hierzu eine technologische, ökonomische, machtpolitische „Heilsmission" schon aus? Bliebe hier nicht zuerst die unerläßliche Voraussetzung, daß nach den eigentlichen Motiven dieser gewiß auch ethisch akzentuierten Heilsbringerschaft gefragt wird, daß also das gefeierte Selbstbestimmungsrecht der Völker und die personale Würde ihrer Menschen allein um ihrer selbst willen respektiert und verwirklicht würden, auch und besonders dann, wenn diese oder jene sogenannten „höheren Interessen" auf dem Spiele stehen? Jene Auffassung, man könnte die Völker in Asien, Afrika und anderswo mit finanziellen Zuwendungen kaufen oder militärisch „befreien", erfährt sich immer mehr als einen verhängnisvollen Irrtum. Der Verrat der Humanität und auch bisweilen der nationalen Verpflichtung um den Preis eigennütziger und wirtschaftlicher Interessen, wie dies im internationalen Raum — auch unter dem oft unglaubwürdigen Signum eines Kampfes für die „Freiheiten" der Humanität — beobachtet werden kann, erscheint uns als eine ernste Sorge.

Wenn also dieser Westen dort eine existentielle „Lebenshilfe" leihen müßte, — haben wir selbst noch diese hohen Werte der Freien Welt? Leben wir also diese Werthaltungen noch als verpflichtende, das heißt transzendent verankerte Lebensgrundlagen? Sind Menschenrechte also nicht nur menschliche Rechte, sondern in einer Ewigkeitsbindung fundierte Garantien, ohne die letzthin auch die Natur-rechte unverbindlich bleiben könnten? Oder aber blieben diese seit ihrem Ursprung immer und je religiös verwurzelten Menschenrechte mit dem Verfall des Gottesglaubens als höchster Lebensnorm nur noch als zwischenmenschliche Verkehrszeichen in Geltung, die konventionell, vertraglich oder wissenschaftlich gesichert werden sollen?

Was soll eigentlich Freiheit in der westlichen Welt bedeuten? Wie frei ist diese Freiheit? Ist nicht Freiheit „in der großen Politik ganz offensichtlich und allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz nur ein wenig ehrliches Synonym für das Recht des Stärkeren" Ist gar das Schwinden der Freiheit — trotz aller Beschwörungen der Freiheiten — ein durch Technik, Wirtschaft, Massendasein bedingter fortschreitender Weltprozeßl Prozeß also, nicht nur eine zeitbedingte Tendenz? Eine noch nie dagewesene Verschränkung des Einzelschicksals mit dem Gesamtschicksal nicht nur der Nation, sondern der Welt, birgt die tödliche Gefahr: daß das Massendasein eines technologischen, ökonomischen, zivilisatorischen Kollektivs auch den Bezirk personaler Freiheit verschlingt.

Sollte wohl Nikolai Berdjajew doch recht behalten für eine Zukunft sub specie Antichristi venturi-. „Die Welt hat eine Barbarisierung zu gewärtigen. Der Mensch ist Schöpfer nicht nur im Namen Gottes, sondern auch des Teufels"? Doch gilt dieses Zeichen nicht ebenso für die westliche wie für die östliche Welt? Für jenen „homo Creator", der sich an die Stelle Gottes setzte? Wurde das Fanal der modernen Unmenschlichkeit, wurde die erste Atombombe nicht von einer westlichen Macht abgeworfen? Wird für die westliche Welt eine Zeit kommen, in der sie überflutet wird von der Vitalität Asiens und des schwarzen Erdteils? Wurde nicht der „narzißtische Intellektualismus", die Spaltung zwischen Geist und Natur, Ratio und Bios, Denken und Wollen mit dem Sinnverlust der eigentlich menschlichen Lebensbezüge zur Gefahr jener modernen, wesenhaft abendländischen Krankheit, der Neurose?

Welcher Stellenwert, welcher Lebens-und Kulturwert werden überhaupt in einer Welt-kultur bzw. Weltzivilisation angesichts der „offenkundigen Tendenz zum Weltbewußtsein" dem abendländischen Existenzverständnis und seinen von Antike und Christentum fundierten Traditionen noch zukommen? Werden diese „Humanismen" noch eine Dominante bedeuten? Oder werden andere, auch außer-europäische geistesgeschichtliche Voraussetzungen, Ideen, Ideologien und Lebensformen für die Konstituierung dieser neuen Welt und dieser neuen Menschen bestimmend werden? Solche also, die nicht mit den Griechen und Römern, dem germanischen und dem christlichen Geistesraum verbunden sind? Heinrich Hahne spricht das aus, was viele sich heute nicht eingestehen wollen: „Auf dem Wege zu einer Weltintegration geraten wir jedoch aus der Mitte unserer selbst. Nichts ist mehr selbstverständlich. Niemandem wird an der Bewahrung des abendländischen Humanismus gelegen sein, wenn wir uns selbst mit ihm aufgeben. Und da die Neigung zum Selbst-verlust bei uns heute stärker ist als der Wille zur Bewahrung, und da der Druck von außen, zum Beispiel aus Asien und Afrika, zunimmt, wird man auch den simplen Bemühungen, die in den Schulen um die Erhaltung unserer Herkunft aufgebracht werden, keine große Bedeutung mehr einräumen. ... So sind wir, wie vor uns andere, dabei, stumm in der Integration der Weltkräfte zu verschwinden, und uns ohne subjektive Gesittung und unter Aufgabe der objektiven Überlieferung einem anderen spurlos zu unterwerfen. . .. Obwohl die Antike zum Wesentlichen unserer Herkunft gehört, wird man sich damit abfinden, daß die Zukunft des Ganzen ohne spezifische Einwirkung des abendländischen Humanismus gedacht werden muß." „Globales Menschentum" könnte nur sinnvoll sein, wenn der Mensch als Mensch nicht zerstört wird zugunsten der Superstrukturen einer seelenlosen Konformität und einer neuen weltweiten globalen Sklaverei des gesellschaftlich, staatlich und in seiner Lebensnorm und Lebensform, in seinem seelisch-geistigen Tiefengrund manipulierten Roboters. Richtig und wertvoll ist, daß über die unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Positionen hinweg ein Gespräch begonnen hat. Man nennt es Dialog und Diskussion. Was im Ziel steht, ist die Ausarbeitung eines „Humanismus schlechthin", der immer und überall gültig wäre und „den anzunehmen... die religiöse Synthese gezwungen wäre, indem sie ihm dadurch eine neue Bedeutung verleiht" Gerade darum aber ging es uns bei dem Konzept und der Veröffentlichung des bereits benannten Werkes „Menschliche Existenz und moderne Welt". Hier wurde deutlich, und zwar auf Grund von authentischen Dokumentationen aus der ganzen Welt mit den Stimmen aus 21 Nationen, daß es diesen „Humanismus überhaupt" jedenfalls in jenem Sinne nicht geben kann, wie man ihn heute bisweilen sehr postulatorisch und spekulativ beschwört. Der jeweilige Bedeutungsakzent, der strukturell den jeweiligen Humanismus trägt, steht eben nicht, wie wir nachzuweisen versuchten am Ende, sondern — weil strukturell — im Ursprungsfeld der jeweiligen weltanschaulichen Lebensvorstellung. Trotz aller globalen „Charten" können die durchaus differenten Ursprungsfelder, die fundamental andersartigen Ansatzgebundenheiten mit ihrem spezifisch differenten Bedeutungscharakter, etwa in Asien und westlichen Lebensformen als Ausdruck menschlichen Selbst-und Welt-verständnisses, nicht retouchiert werden. Dialoge sind fruchtbar. Aber man sollte von „Weltgesprächen" nichts Unmögliches erwarten: daß man sich „zusammen-diskutiert". Die Chancen des Verstehen-Könnens von Orient und Okzident sind doch „von Natur aus" immer nur begrenzt, und dies besonders in fundamentalen Bedeutungsakzenten, die den Lebensbezügen zugemessen werden, wovon schon die Rede war.

Gibt es also einen globalen Humanismus und eine gemeinsam-verbindliche globale Humanität?

Humanismus und Humanität stehen im Welt-horizont im Zeichen eines höchst differenten Anspruchs, je nach ihren weltanschaulichen Voraussetzungen und Begründungen. In die-sem Bezug kann es keine Verständigung und Harmonisierung geben. Ein „freischwebender" Humanismus muß ebenso eine Illusion bleiben wie es eine Humanität ohne eine je bestimmte religiöse oder weltanschauliche Verhaftung nicht gibt Was uns aber möglich erscheinen und angestrebt werden sollte, ist die Verständigung über die Anerkennung bestimmter Merkmale und Haltungen, welche fixierte sittliche Forderungen und soziale Verhaltensweisen umschreiben, die als Humanität Gültigkeit haben können, unabhängig von ihren jeweiligen Verwurzelungen, Begründungen und Motivationen. Hierfür könnten jene Bestimmungen einer Humanitätsgesinnung zum Anspruch erhoben werden, die als besondere Kennzeichen solcher Gesinnung zu bezeichnen wären. Wie schwierig es auch sein mag, die Idee der Menschlichkeit heute gültig zu fixieren so gehören gewiß zu den grundlegenden Momenten die Selbstbesinnung, Selbstachtung, Selbstkritik, die Gewissensbildung und das Bewußtsein um Verantwortung für andere und für eine humane, das heißt hier geistig bestimmte Rangordnung der Werte, wie insbesondere jene liebende Haltung, die liebt, ohne zu wägen und ohne zu fragen. Als Merkmale der Menschlichkeit sollen ebenso gelten: die schamhafte Zurückhaltung vor der Innerlichkeit des Menschen, die Ehrfurcht vor allem, was ihm heilig ist, die tiefe Duldsamkeit für fremde Eigenart und fremde Meinung Albert Schweitzer will in der liebenden Zuwendung zum Mitmenschen den Kern der Humanität überhaupt finden: „Überall, wo die Idee des Mitempfindens und der Liebe ist, ist Humanitätsgesinnung im Werden begriffen. Humanitätsgesinnung ist diejenige, die dem Wesen des Menschen, seinem höheren Wesen, das ihn über alle Kreatur erhebt, entspricht." Wenn dabei die inhaltlichen Bedeutungsverschiedenheiten auf Grund jeweilig verschiedener Verwurzelung dieser Tafeln oft nur noch formale Richtbilder zu belassen vermögen, so werden sie doch noch von hoher Bedeutung sein können. Eine solche Bemühung sollte nicht nur den abendländischen Raum, sondern ebenso jene Kultur-welt einbeziehen, die diesen Tafeln eine menschliche oder gar eine entsprechende religiöse bzw. weltanschauliche Disposition zu leihen vermag.

Die Überzeugung, daß alle Menschen Brüder seien, die einen gemeinsamen Gott zum Vater haben, ist stoischen Ursprungs. Danach wurde die Lehre von einem Gemeinsamen des Menschentums metaphysisch-religiös begründet. Jene Paulinische, von Araton übernommene Konzeption, daß der Mensch „göttlichen Geschlechts" sei, wurde mit der Verkündigung des christlichen Evangeliums, daß alle Menschen gleich seien vor Gott, als Programm zur Gründungsurkunde der gleichen Würde und Wertigkeit aller Menschen. Die Bedeutung der Religionen für den Menschheitsgedanken hat indessen die Religionswissenschaft zum unbestrittenen Forschungsergebnis erheben können. In solchem Verständnis wird Humanitas in einem dreifachen Sinne verstanden: als Menschenfreundlichkeit (Philanthropia, Verständnis, Hilfsbereitschaft, Güte), als edle Bildung und als Menschheit in ihrer Gesamtheit Es ist gezeigt worden, daß in den prophetischen Religionen die Menschheitsidee ihre Wurzeln in der universalen Gotteserfahrung und Gottesliebe hat, in den mystischen Religionsformen dagegen das Bewußtsein der Einheit der Menschheit aus der Idee der immanenten Gegenwärtigkeit des Göttlichen in allen Daseinsformen erwachsen ist. Dies bedeutet, daß auch in den nichtchristlichen hohen Religionen sittliche Tafeln menschlichen Verhaltens auffindbar sind, die im jüdisch-christlichen Raum eine Entsprechung finden, was auch belegbar ist — unbeschadet späterer jeweils andersartiger Motivationen und Begründungen.

Es muß uns jedoch — trotz zu beobachtender Tendenzen der Liberalisierung im Buddhismus und Hinduismus — zweifelhaft erscheinen, ob durch eine von der westlichen Welt bewirkte Säkularisierung in Asien eine dem Westen analoge Wendung der Welt vollzogen werden kann. Neue Anforderungen an die Religionen setzen gewiß oft neue Einsichten frei Doch ob fundamentale Metamorphosen der asiatischen Religionen möglich wären, bleibt uns eine eher zu verneinende Frage. Jedenfalls vermögen die Äußerungen von Denkern und Staatsmännern, die selbst, wie etwa Nehru und Radhakrishnan, nicht ohne den westlichen Geistesraum geprägt wurden, noch keinen Anhalt für eine andere Auffassung zu bieten. Wenn sich im Verständnis von Harvey Cox ein neuer Stil von weltweiter Säkula-rität mit den Kennzeichen der Pragmatik und Profanität auch im Hinblick auf die asiatischen Religionen herausbilden sollte, so könnte man für diese Religionen sicher nicht mehr nur von „Konzessionen" sprechen, sondern von neuen Formen des Selbst-und Weltverständnisses, die jedenfalls den ursprünglichen Seelenhaltungen von Buddhismus und Hinduismus geradezu entgegenstehen müßten. Eine nur „strukturale Homogenität der zukünftigen Gesellschaft" bedeutet jedoch nicht mehr als eine formale, das heißt das Eigentliche aussparende These.

Andererseits aber sollte ebenso entschieden Stellung genommen werden gegen jeden Absolutheitsanspruch einer mit der Konstituierung der neuzeitlichen Humanitätsidee eng verbundenen Grundhaltung des Menschen zu sich selbst, zur Welt und zu einer möglichen Transzendenz als der gültigen Humanität schlechthin. Dies bedeutet die Ablehnung jedes autonomen Anspruches der Humanitätsidee als einer übergeordneten Weltanschauung, als Humanitätsreligion, als Naturreligion die sich ebenso als Vernunftreligion oder als Wissenschafts-Religion versteht, mit einer Minimalisierung und oft auch Simplifizierung von als verbindlich konstituierten Grundwahrheiten über dem Hintergründe der verschiedenen Synkretismen. Dies bedeutet ebenso die Ablehnung der Humanitäts-Religion als einer Weltanschauung, als eines „hu-Wahrheits-, Wert-und Heilssphäre erheben dürfen. Dasselbe gilt auch für die Idee einer globalen wissenschaftlich-technischen Welt-zivilisation als einer „absoluten" Ideologie. Eine solche Ideologie hätte ebensowenig all-in erhöhtem Maße auch für die Behauptung der wissenschaftlichen Begründung solcher Ansprüche aus einer determinatorischbestimmten soziologischen, technologischen oder auch kosmischen Gesetzlichkeit.

XL Der Zwang zum Plan

Eine zentrale Bedeutung gewinnt dann in der Frage einer zukünftigen Einen Welt die Planung, die als „Planifikation" eine jeweils eigene Zielsetzung, Methode und Weltanschauung bzw. Ideologie hervorgebracht hat. Planung ist heute anstelle der geschichtsphilosophischen Begriffe der Prognose, der Prophetie und der Utopie getreten. Jede Planung aber steht immer in der Gefahr der Verplanung. Hierher gehören alle jene modernen Mittel und Methoden einer Manipulierung durch die vielseitigen Kommunikationsmittel, durch Drogen und sonstige Einflüsse, die „Überfremdung" der gewachsenen Überzeugung durch gesteuerte Erzeugung von konformistischen Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen. Im selben Maße aber, wie der Einfluß traditioneller weltanschaulicher Gebundenheit sich abschwächt, kann die diese Schwächung ohnehin beabsichtigende Steuerung an Wirkungskraft gewinnen. Dann wird der Stil zur Mode, das natürliche Bedürfnis zum standardisierten Konsum, die persönliche Lebensansicht zum unmodernen „schizophrenen" Anachronismus. Hier aber zeigt sich auch die eminente Gefahr jener „Globalität" an: die Nivellierung und damit die Herrschaft der Mittelmäßigkeit, das Auslöschen originaler, das heißt ursprungshaft echter Denkweisen und Lebensformen.

Es wird von einem Planungszwang gesprochen, unter dem die Menschheit heute steht, wenn sie überleben will, von einer „Rettung durch Planung". Planen und Planung gab es schon immer. Doch die heutige Argumentation greift tiefer. Es besteht die geschichtsphilosophische These, daß wir auch alles planen können in einem Prozeß, der allein vom Menschen her auf die Zukunft entworfen wird. Doch ereignet sich dies nicht als ein Welt-Prozeß, der sich unter Mitwirkung des Menschen determinatorisch erfüllt, wie dies der Diamat glaubt; auch nicht als ein Welt-Geschehen, das sich — wie im christlichen Verständnis — ebenso mit Notwendigkeit eschatologisch erfüllt, auch unter Mitwirkung des Menschen. Beide Entwürfe stehen unter einer Gesetzlichkeit, sei es als materieller und ökonomischer Prozeß oder als Lenkung durch einen göttlichen Willen. In beiden wird die Freiheit des Menschen zum Problem: „Wirket euer Heil in Furcht und Zittern. Denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen wirket nach seinem Wohlgefallen." Diese Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit ist nicht auflösbar — hier nicht und dort nicht! Dies sollte auch nicht retouchiert werden. Ganz anders aber verhält es sich mit der These der radikalen „Planifikation" in einem Prozeß, der allein vom Menschen auf die Zukunft hin geplant und gesteuert und zur Erfüllung gebracht werden kann. Freiheit soll danach nur in und durch die Planung künftig noch möglich sein.

Wer aber sind diese Planer der Planifikation? Wird der Weg in eine solche Zukunft unter Ausschaltung der freien Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen nicht auch zu einem Zwangsprozeß einer vordisponierten und regulierten Funktion einer Modell-Welt, nur daß hierbei keine Materie und kein Gott, sondern die Funktionäre und Manager mit den vielfältigen ober-und unterschwelligen Steuerungssystemen die Menschen „modellieren"? Wo ist das Regulativ, das Kriterium, der Maßstab, die Legitimation für jene, die die Modelle einer zukünftigen Welt planen, zumal wenn es um existentielle Bezüge des Menschen und des Menschlichen geht? Die Frage, wie jene, die durch die Massenmedien usf. die Menschen und die Öffentlichkeit steuern, selbst zu „steuern" sind, welche Normenkontrolle für die Maßstäbe ihrer Verantwortlichkeit für ihre menschliche, geistige und moralische Potenz* möglich erscheint, bleibt noch die unbewältigte Frage unserer sogenannten freien Gesellschaft. Diese Frage betrifft genau jene Tatsache, daß auch in freiheitlich-demokratischen Regierungs-und Lebensformen der Versuch zur psychologisch-gezielten, affektiv-unbewußten Unterwanderung des Menschen zum Zwecke seiner gesteuerten In-Besitznahme seiner Motivationen und Kräfte ein wesentliches Moment unserer Lebensstilistik ausmacht.

Mit dem Wandel der Welt hat sich auch ein Wandel im Begriff der Elite vollzogen. Es gibt heute keine umschriebene Gesellschaftsschicht mehr, von der der geistige und kulturelle Lebenshorizont bestimmt würde. Früher gab es jeweils eine Elite von Stand, heute ist es „eine soziologisch nicht mehr bestimmbare Auswahl einzelner, die sich selber wählen” die aber wiederum abhängig sind von den Managern und Programmierern in der öffentlichen Meinung und in den technologischen Datierungen und verwalteten Bürokratien.

Die Planungshybris führt zum Traum vom „Übermenschen" zum „letzten Menschen", der als Erfinder des „Glücks" in Friedrich Nietzsches Vorrede zum Zarathustra erschütternd gezeichnet wird: „Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. Man arbeitet noch, denn die Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, daß die Unterhaltung nicht angreife. .. . Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus. , Ehemals war alle Welt irre'— sagen die Fernsten und blinzeln............ Wir haben das Glück erfunden'— sagen die letzten Menschen und blinzeln."

Die Zukunft sei kybernetisch bestimmbar — das heißt, „es gibt Rückkoppelungskreise, es wirkt das, was heute geschieht, auf das zurück, was morgen geschehen wird" Dabei wird die „eugenische Ingenieurtechnik" und „Chromosomenchirurgie" zum genetischen Operationsfeld der Zukunft. Gewisse moderne Genetiker betrachten es als einen geschichtlichen Auftrag, „das ganze menschliche Protoplasma radikal umzuformen, um einen künstlichen Menschen von Grund auf herzustellen" Die Gefahr der Manipulation und Automation liegt schließlich nicht in ihr selbst, sondern in dem Versuch bestimmter Kybernetiker, ihre Wissenschaft in eine Ideologie umzufälschen.

Zum ersten Male ist die Existenz des Menschen bedroht. Denn wir sind die ersten Menschen, „die die Apokalypse beherrschen" Der Mensch aber kann die Zukunft so gestalten, wie er nur will Er ist danach als homo Creator der Schöpfer einer Neuen Welt im eigentlichen Sinne. Was dabei verlorenging, ist die Orientierung und das Gefühl des Zurückverwiesenseins auf Maßstäbe, die den Menschen und das Menschliche betreffen und die als verbindlich erfahrene ethische Richtungspunkte erkannt und anerkannt werden müßten.

Die Ambivalenz des technischen, insbesondere des kybernetischen Phänomens sowie der noch nicht absehbaren humangenetischen bzw. biochemischen Perspektiven mit ihren Steuerungs- und Planungsmöglichkeiten stellt das Humanum, das eben, was der Mensch als Mensch sei, in ganz neue schockierende Aspekte. Ist dieser „Ultra-Mensch“ noch Mensch in unserem Verständnis? Oder gibt es absolute Grenzen, die im Hinblick auf die Machbarkeit aller Dinge und des Menschen selbst nicht überschritten werden dürfen, wenn der Mensch noch dieser Mensch bleiben soll? Oder aber bedingen neue Strukturen der Technisierung, Automatisierung, Rationalisierung, Zivilisierung und die damit verbundene Umschichtung unserer gesamten Bewußtseinsstruktur ebenso „automatisch" auch die entsprechenden neuen Strukturen, eine prinzipiell veränderte Qualifikation und Definition dessen, was Menschsein heißt? Und dies durch eine eher unbewußte, das heißt absolute Anpassung an jene neuen Funktionen, Strukturen und Gegebenheiten? Aber wirkt dann die Rede vom „geistigen Menschen" nicht fast antiquiert, wenn „Geist" nur noch technische Intelligenz, Handeln nur noch plangerechte Erfüllung von vorgefertigten und gesteuerten Ablaufsmechanismen bedeuten soll, ja nur noch bedeuten kann? Dann eben, wenn die weder Beziehung den Menschen als „Objekt" in einen gesteuerten Sach-, Meinungsund Gesinnungszusammenhang stellen könnte? Solche Perspektiven zielen ebenso in die Planungsmaschinerie des beruflichen und des privaten Lebens durch die Lochkartenapparatur wie mehr noch durch die affektiv-unbewußte Unterwanderung des Menschen zum Zwecke der In-Besitznahme seiner Motivationen und Zielsetzungen, ja seines Grundgestimmtseins tiefster Lebensgrundschichten überhaupt. Die Umschichtung der Persönlichkeitsstruktur durch chemische, physikalische, medizinische und übermorgen vielleicht durch biochemisch-genetische Mittel steht jedenfalls auch am Horizont einer Zukunft, die offenbar mit einer gewissen Gesetzlichkeit auf uns zukommt — doch offenbar nicht mehr in unserem freien Belieben steht.

Von hierher datiert die Besorgnis, daß unsere Kultur nur überleben wird, wenn es gelingt, „das den Menschen eigentümliche Wertsystem in letzter Stunde zu rehabilitieren" Solche Stimmen stammen nicht aus antiquierten Religionen oder Philosophien, sondern aus Kreisen der Naturwissenschaft. Ebenso erfuhr Eduard Spranger„daß der Zeitpunkt erreicht sei, in dem gar gerade die industriell technische Gesellschaft darum kämpfen muß, den Menschen gegenüber der Sachwelt zu erhalten, und es ist nicht zuletzt die Sorge um den Fortbestand dieser Gesellschaft."

Darüber hinaus kann jedoch die eigentliche bedrängende Erfahrung nicht außer acht bleiben, ob und inwieweit dieser heutige Mensch nicht selbst notwendig schon so weit „technisiert" ist, also in den Wandlungsprozeß dieser neuen gemachten Welt schon so weit strukturell einbezogen, umstrukturiert wurde, daß er dann zu dieser kritischen Entscheidung, möglicherweise zu einem „Umdenken", gar nicht mehr imstande sein könnte. Kann der Mensch sich wirklich nur in den Grenzen seiner Anlagen wandeln? Aber was sind denn seine Anlagen? Bleibt er nicht, wie er erschaffen ist, wie er „im Anfang" schon immer war? Was wissen wir denn wirklich, „wie weit das Feld menschlichkeit reicht"?

Eine weite Existenzkritik hat dabei auf das Ungenügen der sekundären Systeme hingewiesen, da hierin wesentliche Züge des Menschseins nicht begründet, ja auch nicht eingebunden werden können. Das industrielle System der „Planifikation" hat doch seine Grenzen dort, wo es um den eigentlich menschlichen Bezirk geht. Das Menschliche kann man nicht organisieren. Trotz aller Planungen bleibt das Eigentliche immer noch offen: die Möglichkeiten, die nicht dem Gesetz gehorchen.

Man kann „Glück nicht planen, Treue nicht absolut sichern, Verantwortung nicht machen lassen" Trost spendet Hans Freyer mit dem Hinweis, daß das sekundäre System „nur die Hohlformen des Verhaltens" liefert, aber die „menschliche Erfüllung" freigibt. Doch dem ist nicht zuzustimmen. Mit jenen Systemen wird doch auch der Mensch selbst schon „systematisiert". Denn das ist doch unsere geistige Situation: „daß das technische Zeitalter unsere Denkungsart selber hat technisch werden lassen" Dies also ist der Sachverhalt: daß wir offenbar selbst von der Struktur der „Sy-, steme" strukturiert bzw. umstrukturiert werden; mit anderen Worten, daß wir andere Menschen werden — bis in unsere Bewußtseinsgehalte, Denkformen und unser Lebensgefühl hinein. Damit offenbart sich in der Tat die eigentlichste und zentralste Frage an die Zukunft unseres Menschseins, zugleich mit der geheimen Angst vor einem determinatorischen Prozeß, der uns nur zu Mitspielern degradiert.

Die Verwissenschaftlichung könnte als „ein Teil einer unaufhaltsamen, gewissermaßen automatischen Entwicklung der menschlichen Kultur" erscheinen, als ein „Zwangsablauf", der die Freiheit der menschlichen Möglichkei-ten zwar in eminentem Maße steigert, aber wiederum auch ebenso notwendig begrenzt. Wenn die These vertreten wird, daß die Entideologisierung der menschlichen Beziehungen eine dringende Notwendigkeit in der heutigen Welt sei, die aber nur mit Hilfe der Wissenschaft erfolgen kann, ist dem zuzustimmen, jedoch mit der Einschränkung, daß für eine befreite wissenschaftliche Welt und Öffentlichkeit die Wissenschaft selbst zur Ideologie geworden ist, daß an die Stelle der wissenschaftskritischen eine fakten-und dokumentationsgläubige Wissenschaft mit omnipotentem Anspruch getreten ist. Damit soll die ausschließliche Heilsmission der Wissenschaft für den Menschen heute und in der Zukunft betont in Frage gestellt werden. Wenn behauptet wird, daß sich auf die Dauer nichts halten könne, „was mit der Kausalgesetzlichkeit und der logischen Gesetzlichkeit der Welt nicht übereinstimmt, denn die Welt ist ja auch logisch geordnet" so steht dem entgegen: daß der Mensch immer noch ein Mehr ist als Gesetzlichkeit und Logik — auch der heutige homo sapiens. Und welche Logik unter den Logiken ist denn gemeint? Und welche Gesetzmäßigkeit wäre heute nicht auch schon durch Mutation und statistische Gesetzlichkeiten usf. in Frage gestellt? Hat uns aber die wissenschaftstechnische Kultur, in der wir leben, wirklich einen Weg zur Sinn-Orientierung unseres Selbst leihen können?

XII. Die totalitäre Gefahr

Unsere Weltzeit steht in ganz besonderem Maße in der Gefahr des Totalitarismus. Mit der offenbar determinatorisch „verhängten" Technisierung, Vermassung und Globalisierung geht auf allen Seiten eine notwendige Totalisierung aller menschlichen, institutioneilen, technischen, ökonomischen Bezüge einher. Dies bewirkt ebenso notwendig eine Totalisierung in der Lebenskonformität unter Aufhebung und Einebnung individueller Lebens-befindlichkeiten. Eine solche Konsequenz wird entweder heute kaum bemerkt oder aber bewußt angesteuert und eingeplant. In solche Perspektiven verweisen die „Zwangskollektivierungen" kosmologischer Art, wenn Teilhard de ChardinSi) von der „absoluten, tief verwurzelten Unfähigkeit der in Individuen gespaltenen Menschheit" spricht, sich den Mächten entgegenzustellen, die dahin wirken, sie organisch zusammenzufassen.

Die heutige Situation versteht sich als Antizipation der Welt von morgen. Die Gesellschaft von morgen wird allein von der technologischen Wissenschaft bestimmt sein, wobei eine Minderheit Wissenschaft produziert, alle anderen Konsumenten der Wissenschaft sind. Der aus der Wissenschaft erwachsene Zivilisationsapparat braucht „Menscheningenieure", die das „Kunststück" vollbringen, „Freiheitsbewußtsein zu konservieren und irreguläre Freiheitsakte abzuschaffen, die Menschen auf ein Normalmaß der Lebensansprüche festzu-legen und das Glück aller in durchschnittlicher Befriedigung zu organisieren ..." Ein solches rationales System fordert Arbeitspflicht für alle, Berufsausübung als zugewiesene Dienstleistung, den Aufenthaltszwang, die Überwachung aller Populationsvorgänge Das sind keine unbekannten Perspektiven. Wie jedoch diesem System dann noch der Charakter der totalen Verstaatlichung abgesprochen werden kann, ist allerdings nicht mehr nachvollziehbar. Die besondere Hegel-Modifikation verrät sich nach allen Seiten, bis zur „List der Vernunft", wenn als eigentliche Aufgabe des Menschen bestimmt wird „die Herstellung der Vernunftform des Daseins im Vernunftstaat", der versuchen muß, „aus dem zähen, trüben, in Gier und Dumpfheit dahin vegetierenden Menschenmaterial durch Gewalt, Überredung oder Belehrung ein Staatsvolk zu formen in Richtung auf den vernünftigen Staat".

Doch nur ein „Vernunftstaat"? Gab es noch keine Erfahrungen in der Geschichte? Lehrt nicht ebenso die Geschichte des Menschen-geschlechts, daß die Triebkräfte seines Handelns nicht nur aus der Vernunft erwuchsen, auch nicht aus der wissenschaftlichen Vernunft, sondern eher aus der Tiefe und Breite der „Triebökonomie", den Wünschen, Strebungen, Leidenschaften?

Jene Thesen sollten hier zur Geltung gebracht werden, um die Konsequenzen und die Gren-zen eines rationalen perfektionistischen Zivilisationsprozesses zum Bewußtsein zu bringen.

Es wird dabei die Auffassung vertreten von dem derzeitigen „Übergang von einer personalistischen zu einer gesellschaftlich-kollektiven Kultur" als einem Wegweiser von signifikanter Eindringlichkeit. Der Weg des Menschen-geschlechts dränge über die Persönlichkeitskultur hinaus. „Warum soll denn alles, was wert-haft und wesenhaft ist im Menschenland, durch das Individuum, durch die Geistperson des Einzelnen ausgedrückt werden?" Der Zuschnitt des Individuums sei heute zu eng Der Mensch wurde als Geschöpf Gottes, als Geschöpf seiner selbst, als Produkt der Natur, der Kultur, der Geschichte oder aber der Gesellschaft bestimmt. Mensch als Produkt der Gesellschaft bedeutet, daß er „weder vom freien Willen oder von einem in bezug auf die Gesellschaft heterogenen Willen eines höheren Wesens bewerkstelligt" wird. Für den Sozialistischen Humanismus sind dafür die gesellschaftlichen Verhältnisse allein maßgebend, „welche vom Menschen geschaffen werden und zugleich den Menschen schaffen" Im Grunde zentriert sich heute die gesamte Problematik der menschlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen in der Frage der strukturalen Akzentuierung der personalen und der sozialen Existenz.

Der Mensch ist weithin ein Produkt der Gesellschaft. Es kann nicht mehr übersehen werden, daß seine Haltungen und Handlungen, ja selbst seine sittlichen Grunderfahrungen, sein gesamtseelisches Gestimmtsein, auch der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe entspringt, der er eben gesamtmenschlich zugehört. Es ist schon so, daß in bestimmten fundamentalen Grunderfahrungen das soziale Sein dem Bewußtsein, dem Grundgestimmtsein vorausgeht. Allein hier genau erscheint das Wegkreuz der Markierungen: Ob das Personale nur ein Produkt des Sozialen ist, das Soziale aber die ausschließliche Ziel-und Zweckbestimmung zu erheben vermag: Ob es also heute und morgen in notwendiger Ablösung vom personalen Denken des Menschen und über den Menschen nur noch so etwas wie eine „kollektive Persönlichkeit" geben wird, die nicht mehr ihr Zentrum in der geistigen Selbständigkeit und der Selbstwerdung, in der individualen Reifung zu einer je höchst persönlichen „Mitte" finden soll. Ob es vielmehr eher auf den „Selbst-Stand der Menschheit, d. h. auf die gesellschaftliche Freiheit" ankommt. Die Gegenfrage würde lauten: Ob auch die soziale Faktizität letzthin ihren Sinn und ihre Geltung nicht ebenso nur in der Person findet. Danach wäre die sinnvolle Existenz der Person „der einzige Zweck, der einzige wirkliche Daseins-grund der sozialen Faktizität. Wer die Person vollständig in der sozialen Faktizität aufgehen läßt, vernichtet schließlich die soziale Faktizität selbst" Damit also sind die Weichen gestellt. Auch die „gesellschaftlich-kollektive Kultur" hat nur ihr Leben an der sinnerfüllten Personalität der Person. Hier genau also erscheinen die Wirklichkeit und zugleich die Grenze der Sozialität, mit der Fixierung, worin der Sinn der Person und der gesellschaftlich-kollektiven Kultur jeweils bestimmbar ist. Totalität des Gesellschaftlichen muß dabei keineswegs immer politischen Totalitarismus bedeuten. Hierbei gibt es viele Spielarten von Totalitarismus, auch in staatlichen, bürokratischen und religiös-institutionellen Systemen.

Ist es Zufall oder Notwendigkeit, daß die Epoche der absoluten Selbstmächtigkeit des Menschen auch den Staatstotalitarismus hervorbringt? Es macht aber für den Ruin der Persönlichkeit keinen Unterschied, „ob die Konstruktion des absoluten Staates im Namen des Geistes oder der Materie erfolgt, wenn die Person nichts anderes mehr sein soll als ein vergängliches Moment im fluktuierenden allgemeinen Naturgeschehen. . . . Der Mensch gehört dann dem apokalyptischen Tier des Kollektivs, dem Cäsarismus, dem gottabspenstigen Weltstaat." In solchem Verständnis bemerkt Alfred von Martin „Da man nicht mehr glaubt an , das Ewige im Menschen', glaubt man auch nicht mehr an , den Menschen als solchen': man leugnet seinen humanen Wert und seine humanistische Würde."

Daß Totalitarismus kein Zufallsprodukt der Geschichte eines einzelnen Landes ist, vielmehr mit der Krise der modernen Industriegesellschaften aufs engste zusammenhängt, ist offensichtlich. Denn der Totalitarismus wird durch diese Gesellschaftskrise der Gegenwart insofern verursacht, als er mit der Zersetzung eines überkommenen Wert-und Ideensystems den Weg für eine Infragestellung aller Ordnung bewirkt hat. „Es ist längst klar geworden, daß er weniger einen leeren Magen als eine leere Seele voraussetzt, und es ist die Kulturkrisis unserer Zeit, die für die Entleerung der Seelen kräftig gesorgt hat und weiterhin sorgt." Zudem muß die Wandlung zur Massengesellschaft den natürlichen Zusammenhang der Menschen zugunsten des Zusammenhaltes durch den Zwang des Staates als Polizei-, Militär-, Wohlstands-und Lenkungsstaat immer mehr zerstören. Dies dann mußte zur „Unterintegration", also zu einem Defizit an Gemeinschaftsbindung, zur Vereinzelung, zur Kontaktlosigkeit und Entwurzelung, ja in zunehmendem Maße zum Gefühl der „Ausstoßung aus der Geborgenheit" führen

Die totalitären Bewegungen sprechen ein tief-sitzendes Streben an, mit dem der Mensch der Freiheit, die er sich in der modernen Welt errungen hat, zu entsprechen sucht. Denn trotz der Befreiung von den mittelalterlichen Bindungen war der moderne Mensch nicht frei geworden, um ein sinnvolles Leben auf der Grundlage von Vernunft und Liebe aufzubauen, weil andere zumindest ebenso starke neue Bindungen ihn gefangennahmen. Daher datiert das Streben nach neuer Sicherheit, die Überantwortung an das Kollektiv, die Gesellschaft, die Tagesgeschäftigkeit oder die Unterwerfung unter einen Führer, eine Rasse, einen Staat. Selbst die Lebensformen der Demokratie des 20. Jahrhunderts sind — wie man gesagt hat — als Flucht vor der Furcht zu verstehen, in deren Mittelpunkt die Selbstentfremdung steht. Entsprechend der Denkungsart des Behaviorismus, wonach der Fähigkeit des social adjustment, der restlosen Einfügung in das Funktionssystem der Gesellschaft unter der Bedingung steigender industrieller Produktivität, hohe Bedeutung zukommt, verbürgt diese Einordnung des einzelnen in die Sozialstruktur auch seine vollkommene Glückseligkeit. Es war schon davon die Rede, daß der einzelne, sofern er sich dieser vollkommenen Einordnung widersetzt, zum Außenseiter, das heißt hier zum psychopathologischen „Fall" wird. Der stete gesellschaftliche Erfolg ist das Entscheidende. Dieser Erfolg wird zum Garant für das Humanum. Denn nur unter jenen Voraussetzungen vermag „jene naive Zuordnung von kollektiver Anpassung, Industrialisierung, Humanität und Prozeß die in ihr enthaltene Gefahr des Umschlages in die Barbarei zu bannen" Dies gilt für alle gesellschaftlich-totalen Systeme, nicht nur für die sogenannten totalitären.

XIII. Wissenschaft und ethische Verantwortung

Wissenschaft ist heute zur Grundlage unseres Lebens, ja unseres Lebensverständnisses geworden. Unsere Lebensform selbst hat sich der wissenschaftlichen Denkform angepaßt, sie wurde von ihr geprägt. So wurde insbesondere die Naturwissenschaft, die weithin heute allein als gültige Wissenschaft angesehen wird, mit ihrer technologischen Anwendung zum Schicksal unserer Existenz. Dies ist in einem zweifachen Sinne zu verstehen: im äußeren Sinne als eine ökonomische Nutznießung und eine militärische Zerstörungstechnik, aber auch in einem inneren Sinne als Verwandlung unseres Lebens-und Denkstils, unseres gesellschaftlichen Gefüges, ja unseres Existenz-und Daseinsverständnisses überhaupt. Die positivistische Forschung mit ihrer unbefragten Zerspaltenheit in sinn-und wertneutrale Fortschritte erscheint als die notwendige Folge einer ebenso zerspaltenen menschlichen Existenzsituation, als Ausdruck einer menschlichen Existenzleere in letzten Sinn-und Wert-bezügen. Die Problematik des menschlichen Tuns betrifft doch nicht nur die Frage der Verflechtung von Wissenschaft und Praxis, sondern zuerst die Frage eines existentiellen* Verflochtenseins von " Wissenschaft und menschlicher Existenz

Damit ist jene zentrale Frage benannt, die als das Problem von Wissenschaft, näher hier: Naturwissenschaft und Ethik, die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit unmittelbar berührt. Wenn in Thesen und Hypothesen die Notwendigkeit der „Kontrolle" für die technologische Anwendung diskutiert wird, so erreichen wir ebenso jene Thematik: Wer oder was kontrolliert? Und welche Kontrollmaßnahmen sollen dann gelten?

Wissenschaft kann in entscheidendem Maße zur Gefährdung des Menschen werden. Die vom Menschen erzeugte Wissenschaft wurde eine Macht, die den Menschen selbst bedroht und als Mittel für seine eigene Vernichtung gelten kann, sofern dieser Mensch nicht „Herr der Situation" bleibt. Hier aber erreichen wir jene Erwägung, ob denn die Wissenschaft selbst ihren eigenen Sinn und ihre „Sicherung" aus sich selbst zu konstatieren vermag. Der Wissenschaftler ist nicht nur Forscher, er ist auch Mensch, wovon er nicht dispensiert werden kann. Und hier erscheint dann jene Problematik, die unserer Generation, insbesondere in der Antinomie von Atomphysik und Ethik, Humanbiologie und Ethik, als Gewissenskonflikt der Verantwortung aufgegeben ist. Die Frage der Verhältnisbeziehung von Macht und Geist wird heute in einer ganz neuen Prägnanz zur Entscheidung gestellt, wie diese Konfliktsituation von Albert Einstein in seiner Botschaft nach Lucca im Jahre 1950 so eindringlich als „die Erniedrigung des wissenschaftlichen Menschen" benannt wurde, da der moderne Forscher selbst „die Mittel zu seiner äußeren Versklavung und zu seiner Vernichtung von Innen her geschaffen hat". Er muß sich „von den Trägern der politischen Macht einen Maulkorb anhängen lassen . . ., er erniedrigt sich sogar so weit, daß er auf Befehl die Mittel für die allgemeine Vernichtung der Menschheit weiter zu vervollkommnen hilft". Der große Naturforscher setzt dem sein Bekenntnis entgegen, daß man einen innerlich freien und gewissenhaften Menschen zwar vernichten, aber nicht zum Sklaven machen kann. Kraft der unvernichtbaren Freiheit könne allein die allgemein bedrohende Lage noch gebessert werden. Den Gelehrten aber in jene „Dienerrolle" zu verweisen, konnte nur gelingen durch die Erniedrigung des Wissens zur pragmatischen Größe im Verein mit jener sinnentleerten Wissenschaftsauffassung und mit dem Übergewicht einer bestimmten öffentlichen Spielregel, wonach der Mensch nicht mehr als Mensch, als selbstverantwortliche Persönlichkeit in Geltung steht, sondern als Funktionär in einem politischen, ökonomischen und juridischen Organisationsmechanismus, also als brauchbarer, „versierter" Funktionsträger beansprucht wird. Auch der Forscher wurde zum „Produzent(en) brauchbarer Richtigkeit", sofern die Wahrheit sich in Brauchbarkeit umfälscht Der Dozent „neuen Stils" scheint heute in bestimmten lebensnahen Disziplinen fortschreitend in den Sog eines massenpsychologisch und massen-soziologisch bestimmten Managertums zu geraten. An die Stelle des fundierten und in langjähriger Bemühung gewachsenen und gereiften „Werkes" tritt oft genug der Hang nach „Publicity" und konjunkturpolitischer Tages-gerechtigkeit.

Hat also Wissen noch mit Gewissen zu tun? Aber erfährt sich der Wissenschaftler nicht selbst nur noch als Funktionär, die Wissenschaft als die Funktion eines Prozesses, dem er zum „Fortschreiten" verhilft, den er selbst aber gar nicht mehr zu steuern vermag? Trotz der fortschreitenden Vorherrschaft eines positivistischen Forschungsdenkens in sich selbst stehender, fragloser wissenschaftlicher „Fortschritte" kann jedoch der Wissenschaftler in seinem noch möglichen Raum nicht entbunden werden von der Verpflichtung zur Verantwortung nicht nur für seine Forschung, sondern auch für die Zielrichtung und die Tragweite seiner Forschungsergebnisse, wodurch die Frage nach der Verhältnisbeziehung von Wissenschaft und Politik in eine ganz neue Beleuchtung rückt: Eine Auslieferung des Forschens und Wissens als einer nur noch pragmatischen Größe an schwerlich noch von ihm kontrollierbare Kräfte und Mächte und Zielsetzungen? Es gibt doch nicht nur eine Verpflichtung des Forschers zur Erkenntnis. Es gibt eben auch noch die Verpflichtung des Wissenschaftlers für das „Heil" seines Bemü-hens, was ihm keine Macht der Welt abzunehmen vermag. Dies gilt ebenso für die Forschungsergebnisse der physikalischen und chemischen wie der humanbiologischen Ebenen. Der Warnung von J. Robert Oppenheimer

vor den unkontrollierten und unkontrollierbaren Perspektiven und Mächten der modernen Gesellschaft wäre noch ein ernster Sachverhalt anzufügen, wonach sich die moderne Forschung gewissermaßen in Klausur hinter verschlossenen Türen vollzieht, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, also ohne eine „humanitäre Normenkontrolle" Dies ist schon deswegen notwendig, weil die breitere Öffentlichkeit ohnedies keinen fachlichen Zugang zu jenen Forschungsebenen gewinnen kann. Mit der herkömmlichen Rollenverteilung von „Beratung" und „handelnder politischer Entscheidung" wird sich jedoch dieses Problem allein künftig kaum noch lösen lassen.

Es erscheint bemerkenswert, daß eine solche Auffassung von einer möglichen Gefährdung der menschlichen Existenz durch eine sich selbst omnipotent setzende und durch eine unkritische, das heißt vermeintlich wertfreie, nur der Richtigkeit, nicht aber mehr der Wahrheit sich verpflichtende Wissenschaft und ihre technischen Anwendungen gerade von führenden Naturwissenschaftlern — im Gegensatz zu gewissen Avantgardisten im soziologischen, philosophischen, psychologisch-statistischen, pädagogischen und auch theologischen Bereich — gestützt wird. So von dem Nobelpreisträger Werner Heisenberg dessen Ausführungen wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung hier ausführlich zur Geltung gebracht werden sollen: „Die moderne Naturwissenschaft vermittelt also Erkenntnisse, deren Richtigkeit im ganzen nicht bezweifelt werden kann; und die aus ihr entspringende Technik gestattet, diese Erkenntnisse zur Verwirklichung auch weitgesteckter Ziele einzusetzen. Aber ob der so erreichte Fortschritt wertvoll sei, wird damit überhaupt nicht entschieden. Das entscheidet sich erst mit den Wertvorstellungen, von denen sich die Menschen beim Setzen der Ziele leiten lassen. Diese Wertvorstellungen aber können nicht aus der Wissenschaft selbst kommen; jedenfalls kommen sie einstweilen nicht daher. . . . Unum, bonum, verum, das Eine, Gute, Wahre'war für Goethe, wie für die alten Philosophen der einzig mögliche Kompaß, nach dem die Menschheit sich beim Suchen ihres Weges durch die Jahrhunderte richten konnte. Eine Wissenschaft aber, die nur noch richtig ist, in der sich die Begriffe . Richtigkeit'und Wahrheit'getrennt haben, in der also die göttliche Ordnung nicht mehr von selbst, die Richtung bestimmt, ist zu gefährdet, sie ist, um wieder an Goethes Faust zu denken, dem Zugriff des Teufels ausgesetzt. ... In einer verdunkelten Welt, die vom Lichte dieser Mitte, des unum, bonum, verum nicht mehr erhellt wird, sind, wie Erich Heller es in diesem Zusammenhang einmal ausgedrückt hat, die technischen Fortschritte kaum etwas anderes als verzweifelte Versuche, die Hölle zu einem angenehmen Aufenthalt zu machen. Das muß besonders jenen gegenüber betont werden, die glauben, mit der Verbreitung der technisch-naturwissenschaftlichen Zivilisation, auch auf die entlegensten Gebiete der Erde, alle wesentlichen Voraussetzungen für ein goldenes Zeitalter schaffen zu können. So leicht kann man dem Teufel nicht begegnen. . .. Gleichzeitig sind die Gefahren so bedrohlich geworden, wie Goethe es vorausgesehen hat. Wir denken etwa an die Entseelung, die Entpersönlichung der Arbeit, an das Absurde der modernen Waffen oder an die Flucht in den Wahn, der die Form einer politischen Bewegung angenommen hatte. Der Teufel ist ein mächtiger Herr."

In besonderem Maße wird gerade von Seiten der Humanbiologie, der Biochemie und Biophysik, so etwa von Adolf Butenandt auf die „unermeßlichen Gefahren" hingewiesen, der sich die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten angesichts der noch gar nicht absehbaren Forschungsergebnisse gegenübersehen wird. Damit ist das eigentliche Problem der Ethik im naturwissenschaftlichen Zeitalter angesprochen, eine Frage, die zunächst an die Wissenschaft, an die Forscher selbst zu stellen wäre Wie weit reicht ihre Verpflichtung zur Forschung auch dort, wo möglicherweise unhumane, den Menschen und das Menschliche bedrohende Perspektiven sich schon im Experiment und in der Hypothese abzeichnen sollten? Wie weit ist hier eine humane oder ethische Möglichkeitsgrenze ge-setzt? Kann und darf alles Machbare gemacht werden! Aber was soll dann die Rede von einer neuen naturwissenschaftlichen Ethik bedeuten, die doch im Grunde keine andere sein kann, als die dem Menschenwesen allgemein gemäße Verhaltensweise? Sollen hier ethische Ausnahme-Muster konstruiert werden, analog etwa den Ausnahmegesetzen für die Kunst und den Künstler? Und worin sollen die Kriterien für jene Möglichkeiten und Grenzen erhoben werden? Soll diese neue Ethik nur als Muster der jeweiligen Anpassung deklariert werden? Stellt doch die unbesehene Anbetung alles dessen, was wissenschaftlich (oder auch noch staatlich) ist, den naturwissenschaftlichen und technischen Forschungen und Anwendungen von der Physik bis zur Biologie, Chemie, Pharmazie und Medizin geradezu fast einen „Freibrief" aus, oft genug das Richtbild des Menschen als ethische Maxime außer acht zu lassen. Solange eine positivistische Wissenschaftsauffassung und ein macht-und wirtschaftspolitischer Utilitarismus das Feld beherrschen, kann kein Anhalt für eine solche neue Ethik erfahren werden, die im gültigen Sinne menschlich und an der Menschlichkeit orientiert bleiben müßte. Doch die Laudationes der sogenannten reinen Objektivität und nur in sich bezogenen Forschung finden ihre Grenze dort, wo es um den Menschen und das Menschliche geht. Die These von Hans MohrUii), das wissenschaftliche Ethos mit den Prinzipien der Objektivität und der absoluten intellektuellen Redlichkeit sei ein „Partialethos", das im allgemeinen nicht identisch sei mit den Determinanten der privaten Existenz, wird dann problematisch, wenn das Mensch-sein des Forschers und des Privatmannes auf zwei differenten Ebenen gesehen wird. In welche Ebene fällt dann die menschliche und die gesellschaftliche Verantwortung des Forschers für seine Forschung? Kann und darf es hier einen Rückzug auf die „schizophrene"

Lösung geben, daß der Forscher für die Ergebnisse seiner Forschung bzw.deren Anwendung überhaupt keine Verantwortung trägt, da er ja als Wissenschaftler nur jenem „Partialethos"

verpflichtet sei? Freiheit und Verantwortung des Wissenschaftlers können jedoch dann nur in dem Recht und in der Verpflichtung seines Gewissensbezuges gesehen werden. Die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Forschung und der Lehre belassen doch ohnedies bei aller gültigen Verpflichtung für die Gesellschaft keine Möglichkeit für wissenschaftliehe Institutionen, die nur als Weisungsempfänger für Forschungsobjekte zu betrachten wären. Dies gilt zumindest heute noch für den Status von Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen

Jene Auffassung aber setzt voraus, daß es eben trotz allem Anschein und Anspruch keine Bestimmung dessen, was Wissenschaft gültig ist, geben kann, die in der reinen „Kastration" aller Wert-und Sinnbezüge besteht. Und dies um so weniger, als auch diese sogenannte wertneutrale Wissenschaftsidee gar nicht so vorzeichenlos datiert ist, vielmehr ebenso über dem Grunde einer immer fixiert zu erhebenden weltanschaulichen Position existiert

Schon im Jahre 1923 hat V/erner Jaeger diese bedrängende Frage erhoben: „Wozu erhalten wir den menschlichen Leib, wozu bauen wir Maschinen und häufen Mittel über Mittel, wenn wir an den Zweck selbst nicht mehr glauben, an die Entfaltung des höheren Lebens im Menschen?" Hiermit erreichen wir aber auch die heutige Wegmarkierung. Denn die Frage lautet doch nicht, ob der Mensch nur dem Fortschritt der Wissenschaft zu dienen hat, sondern ob die Wissenschaft der echten Entfaltung des Menschen zu dienen vermag. Diese Vorentscheidung ist unerläßlich, wenn nicht die Rollen vertauscht und damit die Wissenschaft und der Mensch selbst in Frage gestellt werden sollen. Ob dieser Mensch heute aber zu einer solchen Achsendrehung noch fähig ist?

Wenn in der Gegenwart der Verlust der inneren Einheit des Menschen als seelische und charakterologische Ganzheit im Hinblick auf die Sinn-und Lebenszusammenhänge als das bezeichnendste Phänomen angesprochen wird, so wollte Helmut Thielicke von einem „geistigen Existenzminimum der Hochschullehrer" hinsichtlich „ihrer universellen Fundierung" heute sprechen. Dem entspricht auf Seiten der Studierenden die Erfahrung, daß sie kaum je über ihr spezialisiertes Fachstudium hinaus in ihren menschlichen Bezügen beteiligt worden sind, was keineswegs allein mit dem Massenstudium erklärt werden kann. Jene idealistische These von der alleinigen und selbständigen Bildungskrait der Wissenschaft ist doch ein katastrophales Mißverständnis. Denn Wissenschaft „an sich" leiht niemals Maßstäbe für die Richtungsbestimmtheit ihrer selbst und ihrer Ergebnisse. Die eigentlich menschliche Perspektive der Wissenschaft könnte eher dahin umschrieben werden, daß wahre geistige Existenz doch nur dann gegeben ist, wenn der innere Abstand genügend groß ist, um die Horizontfragen als übergreifende Sinn-und Wertfragen zu erreichen. Dies aber wird niemals ohne die bewußte, wenn auch kritische Einschaltung der menschlichen Existentialität möglich sein. Ohne das zentrale Bewußtsein um den sinngebundenen, nicht nur den methodologischen oder „kooperativen" Ort einer Fachwissenschaft im ganzen der wissenschaftlichen „Universitas“ gibt es wohl hohe Gelehrsamkeit, aber keine eigentlich geistigen Bezüge. Daher gilt hier die Einsicht, daß wissenschaftliche Forschung und Lehre nur sinnvoll, das heißt doch auch dem Wesen des Menschen entsprechend werden kann unter einem gültigen Richtbild als einer tragenden Sinnrichtung für alle Erkenntnisse der einzelnen Forschungszweige. Der Mensch, das Menschliche dürfen aus der Forschung nicht ausgeklammert werden, das, was ebenso Josef Pieper

die „Offenheit für das Ganze“, für den „Gesamtzusammenhang der Existenz überhaupt" genannt hat. Hier dann erscheint auch die besondere Merkmaligkeit der Verhältnisbeziehung von Wissenschaft und menschlicher Existenz als jener existentiellen Grundentscheidung über den Stellenwert des Wissenschaftlichen und des Menschlichen überhaupt.

Ob dieses Bewußtsein noch Gültigkeit haben kann, davon wird die Zukunft der Menschheit und der Menschlichkeit, Segen oder Fluch der Wissenschaft über den Menschen abhängen. Dies besagt nichts anderes, als daß die Naturwissenschaften und die Technologie, denen die Sinn-und Zweckfrage weithin fremd ist, diese Leerstelle bewußt und betont als die übergreifende Frage nach dem Sinnbezug des Menschen überhaupt einzubeziehen hätten, sollen wir nicht Sklaven unserer großen wissenschaftlichen Fortschritte werden. Das Bewußtsein um die Grenze einer wissenschaftlichen Omnipotenz fixiert dabei den Kern der Problematik der Verhältnisbeziehung von Wissenschaft und menschlicher Existenz mit der Einsicht, daß der Mensch doch im letzten Grunde auch aus Sinn-und Werthaltungen, ja auch aus Emotionen lebt, nicht nur aus Begriffen. Ob dann Aldous Huxley wirklich richtig gesehen hat mit seiner Bemerkung: „Nicht Rationalität und Vernunft sind schuld an der Krise der Wissenschaft, sondern gerade der Abfall von ihnen"?

Die wesensgemäße Aufgabe der Wissenschaft wird in einer restlosen „Entirrationalisierung" (Max Bense) gesehen. Doch dabei bleibt eben eine fundamentale Voraussetzung unberücksichtigt: daß der Mensch gar nicht nur als Zerebralsystem existiert. Nicht was man wünscht und will, auch was man auf Grund der vorfindlichen Bedingtheiten kann, müßte doch im Zeichen der Kalkulation der reinen Vernunft nur als Realfaktor von Aufgabenstellungen erkannt werden. Andernfalls wäre schon die Illusion über das, was der Mensch seinem Wesen nach ist, ein fataler Irrationalismus. Da aber ein solcher anthropologischer Irrationalismus völlig unkontrolliert weil unkritisch erscheint, zielt er in die Linie einer Ideologie.

Ohne Wertgesichtspunkte gibt es keine sinn-bestimmte Wissenschaft, wie eben alle Tatsachen immer schon von einem je bestimmten Gesichtspunkt aus gedeutete Tatsachen sind. Diese Vorentschiedenheit einer je bestimmten und bestimmenden Selbst-und Welt-ansicht gilt notwendig und unüberschreitbar für jeden Forscher und seine Sinn-und Wert-bezüge, die sich durch keine wissenschaftliche Methode restlos ausschalten lassen. Dies gilt ebenso für die weltanschauliche Basis des Liberalismus, des Positivismus, des Materialismus, des Pragmatismus und aller anderen Ismen. Das ist es, was auch Eduard Spranger meint: „Vermutlich ist die Legitimierung von Normen und Ordnungen des Lebens nicht möglich ohne Rückgriff ins Metaphysische und Religiöse. Nun wohl! überwinden wir auch diese Scheu, zumal da es immer eine Selbsttäuschung gewesen ist, daß es irgendein Wissen ohne verschwiegene metaphysische Grundentscheidungen gegeben habe und geben könne!" Sein Gedanke, daß „in den letzten Prinzipien der Wissenschaftsansätze alte reli-giöse Grundhaltungen weiterwirken" wäre einer ernsthaften Erwägung wert. Eine solche Aufhellung könnte für die Wesens-bestimmung der Wissenschaft und ihre Verhältnisbeziehung zur menschlichen Existenz mit ihren immer je wert-und sinnbestimmten Vorentscheidungen geradezu alarmierend wirken. Von hier aus wird auch seine These verständlich, „daß eine Wissenschaft ... nur in der Richtung geläuterte und durchgeformte Weltanschauung zurückgeben kann, die keim-haft schon in ihrem Ansatz vorhanden war" In eine analoge Auffassung verweist Erich Rothacker „Es gibt kein anderes Mittel, die geisteswissenschaftlichen Begriffe und Methoden voll zu verstehen, als dies: sie in ihre weltanschaulichen Ursprünge zurückzuverfolgen." Ob aber Ferdinand Sauer-bruch

wirklich recht hat mit seiner These: „Heute haben die Wissenschaften und insbesondere auch die Medizin ihre Grenzen wiederentdeckt, und beide suchen nach Fäden, die sie mit einer übergeordneten Weltanschauung verbinden"? Und er fährt fort: „Hier liegt eine Aufgabe, deren Lösung höher zu werten ist als alle Fachleistungen."

Doch erscheint hier nicht die Tragödie dieser neuzeitlichen Wissenschaftsidee, die glaubte, im Namen der „reinen" Wissenschaftlichkeit den Menschen und das Menschliche ausklammern zu können? Jeder Lebensversuch aus zwei Händen — aus dieser entmenschlichten Wissenschaftshaltung und aus dem existentiellen Lebensverständnis — muß Spaltung bewirken. In diesem Positivismus erscheint der „Fall Mensch" dann nur noch als getestet und statistisch errechnet und einsetzbar in das anonyme Räderwerk des gesellschaftlichen Kollektivs. Eine solche Haltung trägt im Grunde die Schuld an jener unheilvollen Entzweiung von Forschung und verantwortlicher Lebenshandlung, an jener typischen existentiellen Gespaltenheit mit ihren tragischen un-humanen Folgen einer Unechtheit des Lebensstiles und einer flächigen Abtötung aller tieferen Lebensbezüge. Die Fixierung und Reduzierung dessen, was Wissenschaft sei, auf die exakt-naturwissenschaftlichen Merkmaligkeiten, erscheint uns aber ebenso einseitig wie unbegründbar. Und dies um so weniger, als das Problem des Positivismus gar nicht in der Wahl zwischen Wissen und Glauben liegt, sondern in der „Wahl zwischen zwei Glaubensarten" Ein solcher Dezisionismus ist heute für die Naturwissenschaften kaum noch bestreitbar. Die „reine" Objektivität ist doch auch hier eine Fiktion, die nur aus unkritischer Haltung noch übersehen werden kann. Ebenso gilt dies: Nicht nur philosophische und weltanschauliche „Wahrheiten" wurden und werden weithin überholt. Dies galt und gilt doch auch noch für exakt-naturwissenschaftliche, das heißt objektiv-verifizierbare Ergebnisse. Sollen heute wirklich fundamentale philosophische, das heißt die menschliche Existenz in ihren Sinn-und Wertbezügen angehende Gesichtspunkte als mit der Wissenschaftlichkeit nicht vereinbar gelten? Dann freilich müßte ein Jahrtausend abendländischer Wissenschaftstradition gestrichen werden zugunsten einer empirisch-technologischen Registriermethode.

Mit Recht ist bemerkt worden, daß zwar die Archive der Wissenschaft heute unvergleichlich mehr vom Menschen wissen, nur aber nicht der Mensch von sich selbst. „Was heute einzelne Naturwissenschaftler über das Wesen des Menschen, über Person und Individualität aussagen, ist gegenüber früheren Zeiten von erschütternder Primitivität." Hiervon sind auch bestimmte anthropologische Wissenschaften, so eine bestimmte Psychologie und vergleichende Verhaltensforschung nicht auszunehmen, wenn etwa von der „Rattenebenbildlichkeit" des Menschen die Rede ist. Es scheint uns, als wäre heute die Stunde der Entscheidung reif — Entscheidung auch über Heil oder Unheil der neuzeitlichen Wissenschaft.

Wir alle wissen, in welchem fundamentalen Umbruch heute die Sinn-und Werttafeln der ganzen Menschheit, nicht nur des Abendlandes, stehen. Was aber bedeutet dies im Zusammenhang mit den Fragen um die Wissenschaft und den Menschen? Friedrich Nietzsche hat die Abhängigkeit des abendländischen Wissenschattsbegriffs von der Moral, vom Glauben an den unbedingten Wert der Wahrheit richtig gesehen. Die eigentliche Krisis der modernen Wissenschaft scheint ihm mit dem Verlöschen dieser Gläubigkeit zusam-menzuhängen. Es könnten unsere Worte sein an die heutige Situation: „Damit, daß jetzt in der Wissenschaft streng gearbeitet wird, ist schlechterdings nicht bewiesen, daß die Wissenschaft als Ganzes heute ein Ziel, einen Willen, ein Ideal, eine Leidenschaft des großen Glaubens hat." Er sieht dabei aber zugleich, „daß auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von einem Brande nehmen, das ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat". Auch die moderne Wissenschaft fragt noch insgeheim nach ihrem gültigen Sinn, ihrem Wert — trotz aller gegenläufigen Beteuerungen und Außenansichten eines offenbar selbstgenügsamen, in sich verlorenen Denkens in spezialisierten „Fortschritten". Denn jene Frage läßt sich auf die Dauer nicht einklammern oder ausklammern, ebenso wie die Grenzsituationen des Menschen und des Menschlichen, so etwa der Tod, das Leid, das Schicksal, auf die Dauer nicht totgeschwiegen werden können. Weithin gilt heute: Nur was wissenschaftlich ausgewiesen ist, steht in Geltung. Doch wer will im Ernste mit der wissenschaftlichen „Offenheit" letzter Fragwürdigkeiten allein sinnvoll leben oder gar sinnerfüllt sterben? Das Selbstverständnis des heutigen Menschen wird durch die Wissenschaft in einem grandiosen Umkreis erweitert und vertieft. Kann es jedoch durch die Wissenschaft allein erhoben, beantwortet und beruhigt werden? Es erscheint als ein typisches Paradoxon unserer Zeit: Noch keine Zeit zuvor hat so viel an wissenschaftlichen Bestandsaufnahmen und Tatsachenerhebungen vom Menschen und seiner neuen Welt erbracht wie diese unsere Zeit. Aber ebenso gab es noch keine Zeit, die in den Fragen einer letzten existentiellen Bestimmung, einem gültigen Sinnbezug des Menschen in dieser Welt, sich selbst so fragwürdig und in verzweifelnder Verlorenheit erschien, wie eben diese unsere Zeit. Hier aber erreichen wir auch zugleich die Schwelle zur eigentlichen Problematik um den Zusammenhang von Wissenschaft und menschlicher Existenz, von Wissenschaft und Ethik mit der Einsicht, daß es kein Dasein ohne Glauben geben kann — auch nicht als ein „rein" wissenschaftliches Dasein, das wohl in anderer Weise, aber letzthin doch ebenso einer vorgegebenen Glaubenshaltung verhaftet bleibt. Man sollte doch das tiefe Wort von Walther Rathenau zumindest einer ernsten Erwägung wert finden: „Wenn trotz der Demokratisierung des Geistes die Welt arm bleibt, so geschieht es, weil die wahren Probleme nicht die Probleme des Denkens sind."

XIV. Bildung als Kategorie der Zukunft

Bildung ist heute zu einem Schicksalsbegriff geworden. Von der Möglichkeit, der Menschheit in ihrer Gesamtheit eine höhere Bildung zu vermitteln, hängt in einer wissenschaftlich orientierten Gesellschaft, die zumindest aus zweiter oder dritter Hand von diesen wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Fixierungen lebt, das Schicksal der Gesellschaft und ihrer Zukunft ab. Es müßte freilich hier schon angemerkt werden, daß Bildung in einem solchen verbreiteten Mißverständnis eher die Ausbildung des Menschen in Kenntnissen und Fertigkeiten meint. Daher nehmen die Anliegen zur Bildungsplanung einen zentralen Raum ein in allen Staaten, die in West und Ost in jener Zivilisationswelt leben. Ebenso aber gehören Bildung und demokratische Lebensform zusammen, sofern mit Bildung auch die Erziehung zur Mündigkeit des Staatsbürgers als zu seiner verantwortungsbewußten Entscheidungsmöglichkeit gemeint ist. Es bedarf keiner Begründung, wieweit jedoch auch in westlichen Deklamationen das, was hier als „Bildung", „Menschenbildung" deklariert wird, oft genug ohne wesenhafte Hintergrundperspektiven nur als Transparent für ein längst verlorenes Bewußtsein genommen wird, als Phantom für ein „höheres Menschentum" und eine höhere Kulturauffassung, eben in der katastrophalen Verwechslung von Bildung und Ausbildung.

Zeiten der inneren und äußeren Existenz-unsicherheit sind immer auch Zeiten der Bildungskrisen. Der Mensch und seine Bildung sind ihrer gesicherten Positionen beraubt. Die Geltung der Tradition, der Wahrheitsund Wertnormen ist in Frage gestellt. Das Leitbild des Funktionärs trat an die Stelle des selbst-verantwortlichen Menschen. Die Zerspaltenheit in eine technische Arbeitswelt und in eine Privatsphäre ist heute zum Symptom geworden. In solcher Situation wird die Bildungsfrage zur zentralen menschlichen Entscheidungsfrage überhaupt. Was soll „Oben" und „Unten" sein im Lebensregister? Welche Ziele und Leitbilder sollen noch gelten? Soll die pragmatische Lebensansicht mit der nur Plansoll-Erfüllung des Gebrauchs-und Verbrauchsstandpunktes das letzte Wort sein?

Planungen in die Zukunft sind notwendig. Doch vor und über allen berufskundlichen Ausbildungen zu Kenntnissen und Fertigkeiten müßte die Besinnung stehen über jene Maßstäbe, die den Menschen als Menschen betreffen. Hier ist der Ort der Verantwortung für die Bildung des Menschen, also seiner sinnvollen Lebensorientierung. Eine Gesellschaft, die nur dem Tagesbedürfnis lebt, gibt sich selbst auf. Dem theoretischen, aber weltanschaulich fundierten Atheismus des Ostens entspricht ein zumindest praktischer und geheimer „pluralistischer" Atheismus oder Nihilismus im Westen. Soll hier wie dort nur studiert werden, damit mehr produziert wird? Ob unsere Bildung noch eine Zukunft hat, weist auf eine letzte Frage zurück: Ob dieser Mensch noch fähig sein wird, mit echten Über-zeugungen dem Sog einer kollektivistischen Lebensauffassung wirksam zu begegnen. Das Ziel ist die Rettung der freien Personwürde, auch vor den unterschwelligen „Erziehungsmächten", die nicht zuletzt über die Massenmedien die eigene Meinungsbildung zu steuern vermögen.

Bildung bedeutet uns die Gewinnung eines kritischen, formenden Bewußtseins der Persönlichkeit für den Maßstab der Dinge, für einen verbindlichen Beziehungsmittelpunht für das Denken und das gesellschaftliche Handeln, das Leben. Eine neue „Lerngesellschaft"? Lernen Umlernen sind unerläßlich, und heute doch gewichtiger noch erscheint die Frage nach dem Sinn des Lernens im Gesamt des Lebensprozesses. Didaktik und Unterrichtsmethodik sind wichtig. Doch gewichtiger noch erscheint die Frage nach dem „Stoff“, dem Inhalt dessen, was gelehrt werden soll in seinen letzthin anthropologischen Bezügen. Nicht der Lernstoff, so wird erklärt sondern die Lehrund Lernmethoden seien für den heutigen Studenten entscheidend. Hier scheinen bei aller Reverenz für die Wichtigkeit der didaktischen Methoden doch die Maßstäbe völlig in Verwirrung geraten zu sein. Ein solcher Hinweis ist im Bildungsjournal der Glorifizierung und Mythisierung des Didaktischen heute gewiß nicht überflüssig.

Im Grunde markiert gegenwärtig auch die Bildungsfrage mit der Spannung zwischen Personalismus und Kollektivismus ein zentrales Anliegen, das geradezu als Angelpunkt unserer existentiellen und politischen Situation bezeichnet werden kann.

Jene nicht erst heute zudringliche Frage, ob man den Menschen in der modernen Gesellschaft zugleich in seiner Individualität und in seiner Funktion in der Gesellschaft bilden muß, kann doch nicht dahin gehend beantwortet werden, daß dies nicht mehr möglich sei, daß nur die unlösbaren Spannungen ausgehalten werden müßten Eine solche Spannungsideologie über offenen Horizonten mag dem einzelnen unbenommen bleiben. In den Ebenen der Erziehung, der Bildung und der Schule müßte sie das Ende einer konkreten Bildung bedeuten mit dem Auslöschen der personalen Merkmaligkeit des Menschen und des Menschlichen zugunsten eines wie immer auch gedachten Gesellschaftsprozesses.

Jene noch tiefer greifende Frage, ob das Individuum in unserer konformistischen Gesellschaft überhaupt noch dazu fähig ist, ob das geistig-seelische „Instrumentarium der Person" überhaupt noch hierzu ausreicht angesichts der unübersehbaren neuen Dimensionen der Wirklichkeit, ja, ob überhaupt die Person ihre traditionell verbürgte Höherwertigkeit gegenüber den Zwängen eines Kollektivs zu behaupten noch imstande ist, betrifft ein fundamentales Lebensproblem unserer Zeit, das nicht nur die Bildung angeht. Dies aber hieße die Frage erheben, ob Bildung, die über die Jahrtausende trotz ihrer gesellschaftlichen Bindungen im abendländischen Kulturraum mit der „Emanzipation des Einzelmenschen" identifiziert wurde, in der Zukunft etwa nur noch als überindividuelle, überpersonale, kollektive beziehungsweise kollektivierte Bildung verstanden werden könnte, wie dies deklariert wird Unter solchen Voraussetzungen wird auch verständlich, aus welchen Gründen derzeit die so aktuelle und auch entscheidende Bildungsfrage weithin zur Domäne von Interessengruppen werden konnte, die von dem eigentlichen Bildungsverständnis der wissenschaftlich-pädagogischen Relevanz im Sinne überkommener und gegenwärtiger Bemühungen kaum noch berührt sind. Daß dabei Gehalt und Gestalt nicht unbedingt von hohem Rang als Transparente der verkündeten neuen Bildungsideologien in Frage stehen müssen, ergibt sich schon daraus, daß eine solche Rang-höhe in einem nivellierenden Tagesbedürfnis gar nicht gefragt ist und auch gar nicht ankäme, worauf aber doch heute alles ankommt. Denn der Mensch und seine Angebote gelten weithin doch nur so viel, wie sie gelten, das heißt in der ölfentlichen Meinung an Macht-und Bedeutungscharakter zu gewinnen vermögen. Dies gilt auch noch für die Bildungsebene. Es bedarf jedoch dabei kaum einer besonderen Begründung, daß auch diese neuen Bildungsideologien, wie ebenso viele Bildungsideen der Neuzeit, im Bedeutungsgewicht von neuen Heilslehren für den Menschen stehen. Denn dies hat unsere heutige Bildungsbemühung mit der Pädagogik der Neuzeit — von Comenius über Rousseau, Goethe bis zu Makarenko — gemeinsam, nämlich den Versuch, anstelle des christlichen Erlösungsglaubens der Menschheit einen neuen Heilsweg zu begründen, der durch Bildung und Erziehung erreicht werden soll. In dem Mythos vom NEUEN MENSCHEN, wie auch immer seine Konturen in West und Ost fixiert werden mögen, sollen heute neue Maßstäbe aufgerichtet werden.

In der heutigen Erziehungs-und Bildungsebene wird die allgemeine Krise unserer existentiellen Siuation zudringlich, da in dieser Ebene konkrete Entscheidungen abverlangt werden. Die Eltern, die von ihrem Kinde eine oft von der Schule oder anderswo auferlegte Verhaltensweise erwarten müssen, selbst aber oft nicht mehr in dieser Lebenshaltung stehen, geraten in eine bedrängende Konfliktsituation ihres Gewissens, zumindest aber ihrer eigenen Verhaltensweisen, sofern nicht einfachhin um der opportunen Sorge für das Fortkommen des Kindes willen eine geheime Lebenslüge in Kauf genommen wird. Dasselbe gilt von den Lehrern. Echte, das heißt für das Kind überzeugende Erziehung ist aber ohne konkrete Positionslixierung fundamentaler Lebensentscheidungen nicht möglich, die immer notwendig auch und zuerst noch in der geschichtlich überkommenen Substanz gründen, für jene, die die Verantwortung tragen. So werden dann oft die erzieherische Begegnung wie auch die lebensgemeinschaftlichen Verhaltensweisen zur charakterologischen Unechtheit verurteilt. Andernfalls aber wird der Versuch unternommen, Erziehung unter Ausschluß dieser letztgültigen menschlichen Perspektiven zum Prozeß des Erwerbs von technischen Fertigkeiten und von zeitorientierendem Wissen — als sogenannte „vorletzte Bezüge" — zu degradieren. Dies geschieht dann freilich notwendig um den Preis des Verlustes eines richtunggebenden Orientierungspunktes überhaupt. Bildung und Erziehung der Jugend kann nur gelingen, wenn die Erwachsenen, die Erzieher, nicht in Skepsis, Apathie und Unentschiedenheit verharren. Nur wer selbst im Ringen um letztgültige Lebensüberzeugungen „existiert“, wird auch andere zu Weggefährten zu „erwekken“ und seinen Weg zu markieren vermögen. Der Lehrer, der Erwachsene wirkt ja nicht zuerst durch sein Wort — er wirkt durch sein Sein, seine Existenz, durch sein Vorbild, das durch keine Manipulation ersetzt werden kann. Aber kann diese Welt der Erwachsenen heute wirklich noch Bild und Vorbild bereitstellen? Ist sie imstande, überzeugende Lebenstafeln vorzuleben, die nicht nur im Pragmatischen verhaftet bleiben? Doch will denn diese unsere Jugend überhaupt noch Vorbilder akzeptieren? Will sie sich nicht selbst nur als „Vorbild" in die Zukunft projizieren? Müßte nicht die Konsequenz eines solchen Schemas sein, daß die Kinder die eigentlichen Lehrmeister sind, die Eltern als die „Älteren" nur noch als Nachzügler, als die Noch-nicht-Nachgekommenen gelten könnten? gend muß durch Jugend geführt werden" verliert dort seine Geltung, wo es um ein sinnvolles Bildungsund Erziehungsgeschehen geht, das eben weder von Kindern noch von Jugendlichen wissens-und reifungsmäßig entschieden und übernommen werden kann. Die Gründe, die für den heutigen Schwund der Autorität bezeichnet werden können, sind vielschichtig. Sie sind einerseits gewiß in der berechtigten Ablehnung einer unglaubwürdig gewordenen, unechten bürgerlichen Konvention mit ihren unwahren Lebensdaten zu suchen. Ebenso aber liegen die Gründe in der „fortschrittlichen" radikalen Verneinung aller Tradition und des alten Menschen. Vor allem aber tritt doch heute eine snobistische Destruktion zu Tage von allem, was — im Wort Friedlich Nietzsches — „bis dahin geheiligt" worden war. Was soll der Ruf nach Autorität, wenn eine Gesellschaft oft genug doch alles tut, um den Restbestand von Achtung und Ehrfurcht vor gewachsenen Geistes-und Lebensgehalten einer nihilistischen Desillusionierung und Diskreditierung preiszugeben?

Zu den Merkwürdigkeiten unserer an Paradoxien nicht armen Zeit gehört die programmatische Bemühung um eine Erziehung zur Menschlichkeit mit der gleichzeitigen massenmäßigen Verbreitung von Kriminal-und Gangster-geschichten in Buch, Bild und Funk, zugleich mit der serienweisen Deklarierung von Lüge, Verschlagenheit und Verbrechen. Muß der Ruf zur „Persönlichkeitsbildung" dann aber nicht absurd erscheinen, wenn derselbe öffentliche Raum alle nur möglichen Unterwelts-und Unmenschlichkeitsperspektiven im Namen der spannenden Unterhaltung oder gar — wie es hier fast ironisch heißt — zur erzieherischen Abschreckung salonfähig zu machen sich bemüht? Man denke zudem an die Millionen-Auflagen von bestimmten Wochenzeitschriften, deren offenbar geschäftlich bestimmtes Anliegen darin besteht, in einer „rechten Mischung" jeweils das zu „bringen", was anfällt, was auffällt, was gefällt, was der „Durchschnitt" offenbar wünscht. Doch hier wird ebenso deutlich, daß das Diktat von Masseninstinkten und eine radikale „Anpassung" Bildung und Erziehung wie auch jede höhere Kulturgesinnung aufs äußerste gefährden muß.

Unsere Thematik bedarf aber auch noch einer weiteren desillusionierenden Bemerkung. Wenn Elite einen gültigen, das heißt nicht einen ständischen, soziologischen, ökonominur bestimmte intellektuelle, sondern auch bestimmte existentielle Voraussetzungen besitzt, so ist eine solche „Auswahl" zahlenmäßig gewiß nicht hoch. Eine solche Elite war zu allen Zeiten eine kleine Minderheit gegen über jenen Massen, die in der Genügsamkeit des Vitalbedürfnisses dahinleben. Dies ist kaum anders geworden. Die quantitative Vermehrung jener, die eine umfassendere Ausbildung in Kenntnissen und Fertigkeiten besitzen, bedeutet doch noch gar nichts im Hinblick auf jene eigentliche Elite. Dies schließt auch zahlreiche „Akademiker" nicht aus, die doch oft genug auch nur ein hochschulmäßig angelerntes „Werk" berufsmäßig oder gewerblich betreiben.

Vor einem solchen Hintergründe wird die Frage nach der Breitenmöglichkeit einer Bildungsverwirklichung, wie wir diese verstanden, auch heute — und zumal heute — äußerst problematisch. Hierbei sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Denn Bildung ist allein mit fachlichen Ausweisen doch nicht zu bestimmen, wohl aber mit dem existentiellen Vermögen, dem charakterologischen Habitus und vor allem mit dem Sich-angerufen-Fühlen zu fundamentalen Fragestellungen des Mensch-seins überhaupt. Offensichtlich aber ist der „Stellenwert" eines solchen Menschentums in zunehmender Weise auch gar nicht mehr gefragt, wird in seiner Ranghöhe gar nicht mehr als Wertziel des Menschseins erfahren. Scheint doch gerade jene zentrale Frage der Merkmaligkeit aller Bildung, die Frage nach dem Sinnbezug des Menschen, des Selbstverständnisses in dieser inneren und äußeren Welt, die Frage also nach unserer eigentlichen Bestimmung in letzten Bezügen, kaum noch einen echten „Kurswert" zu erreichen.

Der bewußt gesteuerte Ansturm der Massen auf die höhere Bildung muß notwendig Niveausenkung und Mittelmäßigkeit bewirken. Nur benannt werden kann hier eine weittragende Problematik, ob Bildung wirklich als „Massenware" angeboten und „konsumiert" werden kann. Aber meint „Allgemeinbildung" nicht die Vereinfachung der wissenschaftlichen Denkformen oder besser ihrer praktizierten Anwendungen „aus zweiter Hand"? Allgemeinbildung ist „zu einem Stück der allgemeinen Konsumkultur" geworden (David Ries-man). Solche „Bildung" geschieht heute aber nicht mehr durch aktive „Aneignung" und existentielle Begegnung, sondern durch pas-sive Annahme von nicht zuletzt durch die Kommunikationsmittel überspielten Informationen und Dokumentationen.

Was aber soll dann das Gerede von der Bildung, ihrer Krise und ihren Möglichkeiten? Wir werden uns mit dem Charakter eines Richtbildes begnügen müssen, das letzthin doch Ausnahmecharakter besitzen wird. Aber an diesen „Ausnahmen" hat der Rang einer Kultur, einer Gesellschaft, eines Volkes sein Leben. Der demokratische Grundsatz der „Gleichheit" wäre fatal mißverstanden, wenn er eine nivellierende Mittelmäßigkeit bezeichnen sollte. Ohne eine Aristokratie des Geistes und des geistigen Menschen gibt es keine hohe Kultur, aber auch kein hohes Menschentum, höchstens noch technologische Funktion oder zivilisatorische Organisation. Dies besagt jedoch wiederum nicht, daß nicht für die Gesamtheit ein breiter Bildungs-und Ausbildungsstatus angestrebt werden muß, soweit dies eben aufgrund der freilich unerläßlichen persönlichen Voraussetzungen möglich erscheint.

Danach könnten folgende Gesichtspunkte gelten: 1. Die Bildungsfrage ist nicht zuerst eine politische und kulturpolitische und gesellschaftliche Frage. Das ist sie gewiß auch. Sie ist zuerst eine existentielle, sinn-und sachgebundene Frage des Menschen als Menschen, der eben mehr ist als nur eine Funktion der Gesellschaft oder der Wirtschaft, des Staates oder irgendwelcher machtpolitischer Interessen.

2. Klare Unterscheidung zwischen Bildung und Ausbildung. Bildung ist sinnvolle Lebensorientierung. Ausbildung ist Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten. Diese Integrierung ist heute das Anliegen.

3. Revision der neuhumanistischen Bildungsidee angesichts der neuen Existenzsituation und der Erfordernisse der veränderten Arbeitswelt. 4. Weckung des Sinnes für die Rangordnung der Werte, wobei das Geistige auch heute über dem Nützlichen und dem Brauchbaren steht. Ablehnung eines wissenschaftlichen und bildungstheoretischen Perfektionismus und Pragmatismus, sofern sie fast als Formen einer modernen Ersatzreligion Anspruch erheben. 5. Respektierung der Gewissensentscheidung von einzelnen und Gruppen als letzter Instanz in Bildungsund Schulfragen und als Fundament demokratischer Lebensformen, wobei Mündigkeit und Reife des Urteils als Bildungsziele zu gelten haben. 6. Bindung der Politischen Bildung an das Ethos als an die sittlichen Grunderfahrungen. 7. Erstellung eines organisch und organisatorisch fundierten Bildungskonzeptes für sämtliche Bildungsinstitutionen unter dem betonten Aspekt der Menschenbildung vor der und durch die Berufs-Ausbildung.

8. Die verantwortliche Kompetenz für prinzipielle Bildungsfragen sollte bei jenen liegen, die selbst den Nachweis für eine sach-und funktionsgerechte Behandlung dieses Gegenstandes erbracht haben. Dies gilt auch für die aktuellen Fragen einer Hochschulreform. Es ist überraschend, welche Stellen und Gruppen — außer den unmittelbar Betroffenen — sich hierfür kompetent fühlen. Gilt im Zeitalter der Hochschätzung der „Erfahrung" als Grundlage der Erkenntnis und des Urteils hie. r nicht mehr die These von den sachgerechten Voraussetzungen'? 9. Gewinnung von noch möglichen gemeinsamen Grundüberzeugungen als Minimalkodex in den öffentlichen Bildungsvorstellungen als Grundlage einer gemeinsamen Schulbildung, und der Respektierung und toleranter Achtung differenter Lebensverständnisse.

10. Weckung des Bewußtseins für die gemeinsame Verantwortung der Lehrer aller Schul-und Hochschulformen für Jugend und Gesellschaft und Heranbildung aller Lehrerkategorien im Rahmen der Universität unter Wahrung der je spezifischen Merkmaligkeiten. 11. Grundsätzliche Chancengleichheit für alle wirklich Begabten und alle differenzierten Begabungen.

12. Wissenschaftliche Pädagogik ist als Grundstudium aller Lehrer, auch der Lehrer an Höheren Schulen, zu fordern. 13. Verstärkung des Verständnisses für naturwissenschaftliche Perspektiven im Bildungsganzen. Strukturelle Einbeziehung von Naturwissenschaft und Technik in das Gesamt unseres Lebensbezuges, jedoch unter der fundamentalen Voraussetzung, daß die menschlichen Wert-und Sinnbezirke nicht primär aus jenen Bereichen gewonnen werden können. 14. Die pädagogische Verantwortung erstreckt sich auch auf die Steuerungen der öffentlichen Meinung durch nicht hinreichend kontrollierbare Einflüsse von Massenmedien. Bildung und Erziehung sind nicht mehr ohne den entscheidenden Einfluß jener dritten Kräfte', die funktional und intentional den Menschen, zumal den jungen Menschen, zu „formen" vermögen. Wenn heute Bildungs-und Erziehungsverantwortung noch eine wirksame Bedeutung haben soll, so bleibt die Frage: Gibt es die Möglichkeit einer „sozialen Kontrolle", die gegen die Diktatur der Überfremdung, gegen „Verführung und Suggestion" schützen könnte? Gibt es also nur das notwendige Grundrecht der Freiheit für jene Initiatoren? Sollte es nicht auch notwendig ein weit wirksameres Grundrecht des Schutzes des einzelnen, des Ehrbezirks der Person, der Gesellschaft vor jenen Initiatoren geben müssen? Wenn aber schon eine sozial-sittliche Normen-kontrolle, — nach welchen sozial-ethischen Maßstäben sollte dann in einer weltanschaulich, dies besagt doch auch sozial-ethisch pluralistischen Gesellschaft gemessen und „kontrolliert" werden? 15. Bewahrung der Universität als freien Geistesraumes gegenüber allen dirigistischen oder autoritären Versuchen aus Staat und Gesellschaft, wie diese derzeit in Form von neuen Hochschulgesetzen angestrebt werden. Dann erst wird ein gültiger Dienst an der Gesellschaft möglich werden, das heißt: Wieder-gewinnung der Universität als menschlicher Bildungsstätte, nicht nur als Ort zur Ausbildung von funktionalen Berufsgruppen. Wissenschaft und Bildung sind zu ökonomischen Größen erhoben und dadurch in ihrem eigentlichen Wesen zerstört worden. An einer unabhängigen Wissenschaft sind im Grunde die kapitalistische und die totalitäre Gesellschaft in gleicher Weise nicht interessiert. Sie sind auf die Produktion der Forschung über den Weg der direkten oder indirekten Auftrags-weisungen angewiesen. Was als Freiheit in Forschung und Lehre grundgesetzlich verbürgt ist, betrifft doch eine ganz andere, eben nur die persönliche Ebene, die freilich durch neue hochschulgesetzliche Maßnahmen eingeschränkt oder gar praktisch aufgehoben werden könnte, sofern der Dozent u. a. im Hinblick auf Lehrstoff und Prüfungen an die staatlichen Weisungen gebunden würde. Dennoch aber wird die heutige wie die künftige Universität — bei aller gebotenen Verpflichtung für die Gesellschaft — freie Stätte des freien Geistes sein müssen, und zwar in existentiel lem und organistorischem Bezug, oder aber die Universität der Zukunft wird zur Schulungsburg für gelenkte Berufe mit gelenkten, das heißt direkt oder indirekt weisungsgebundenen Ideologien. Die moderne Universität soll sich dem Dienst an der Gesellschaft verpflichtet fühlen, ohne jedoch nur eine Funktion der Gesellschaft, nur ein „Befehlsempfänger" von politischen und gesellschaftlichen Gruppen und Mächten zu sein. Universität ist keine Institution nach Art eines industriellen Groß-betriebes, der nur mit den Kategorien von Angebot und Nachfrage massenmäßige Fertigungsmethoden zu entwickeln hätte, womit ihr Wesen, wie es heute weithin scheint, gründlich mißverstanden würde Fachhochschulen neuen Stils können nur in einem gültigen wissenschaftlichen Status bestehen, soll nicht eine Inflation von Quasi-Hochschulen die Wissenschaft diskreditieren. 16. Trennung von Ausbildungskursen für funktionale Berufsgruppen von der wissenschaftlichen Forschungsarbeit an der Universität bei gleichzeitiger Wahrung der wissenschaftlichen Merkmaligkeit der berufsbezogenen Lehre. 17. Die Gestaltung der Freizeit muß als pädagogisches Problem erster Ordnung angenommen werden. 18. Tradition und Fortschritt sind immer aufeinander bezogene Perspektiven. Es gibt keine Tradition, die nicht überschritten werden könnte. Es gibt aber auch keinen echten Fortschritt ohne die Wurzeln der Tradition.

XV. Wer oder was ist falsch programmiert?

Was heute noch völlig unbewältigt blieb, ist die Spannung zwischen Humanismus und Technizismus, wenn diese Typologie erlaubt erscheint Hier aber bedrängt im besonderen Maße die infolge des Fehlens eines tragenden Kriteriums für das Lebensverständnis noch unbewältigte Frage nach dem, was aus der Tradition an Bildungsgehalten noch gültig sein soll und was als überholt eliminiert werden muß. Es ist einsichtig, daß das Kriterium für diese Bildungsgüter und damit für die Lehrpläne von Schulen und Hochschulen allein in der Lebensüberzeugung des einzelnen unter dem Signum der existentiellen Verbindlichkeit erfahren werden kann. Dies jedoch ist in einer weltanschaulich so vielschichtigen Gesellschaft noch mit einer besonderen Problematik über die möglichen „gemeinsamen Grundüberzeugungen" belastet.

C. P. Snow hat mit seiner bedeutsamen Rede „The Two Cultures: and A Second Look" eine zwar schon traditionelle, aber für die Gegenwart und die Zukunft des Menschen, seine Kultur und Gesellschaft, seine Bildung und seine Lebensform fundamentale Thematik über dem Hintergründe unserer gegenwärtigen Situation ins Bewußtsein gerufen. Die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft als zwei sich nicht mehr verstehende Welten ist zu Recht als ein Schicksals-problem des Westens verstanden worden. Doch dieses Problem wäre mißverstanden, wollte man es auf die zwei Welten der „Literatur" und der „naturwissenschaftlichen Revolution" verkürzen. Geisteswissenschaft, jene andere Welt also, die der Wissenschaft von den Naturvorgängen und deren technischer Inanspruchnahme, der „scientific culture", tatsächlich heute weithin gegenübersteht, ist mehr als „Literatur". In diese Welt gehören doch zuerst alle Bemühungen um eine Antwort auf letzte Fragestellungen der menschlichen Existenz, wie sie über Jahrhunderte von den Philosophien, Religionen und den großen Künsten, eben der „Überlieferung", der „traditional culture", erbracht wurden, immer jedoch unter dem wesenhaft menschlichen Aspekt der Sinn-und Wertzusammenhänge standen. Sicher ist „literarische Kultur" nicht gleichzusetzen mit den „Intellektuellen", wie auch die Problematik um „Geist" und „technische Intelligenz" einer Klärung bedürfte. Sicher ist auch, daß die überkommene Kultur die westliche Welt noch dirigiert „in einem Ausmaß, das durch das Auftreten der naturwissenschaftlichen Kultur erstaunlich wenig geschmälert wird" Schließlich ist auch ebenso gewiß, daß seitens der Naturwissenschaften revolutionäre Erkenntnisse erbracht worden sind, welche jene existentielle Fragestellung des Menschen und ihre möglichen Antworten teilweise fundamental berühren und zu beeinflussen vermögen.

Sind wir also „falsch programmiert“? Sind unsere Bildungsziele, die ja immer auch zugleich Lebensziele sind, und damit die Bildungssysteme und die ihr zugrunde liegenden Lebensauffassungen falsch programmiert? Wäre es nicht längst an der Zeit, die „literarische Kultur", das heißt schlechthin unsere abendländische geistesgeschichtliche Tradition abzulösen durch eine „naturwissenschaftliche Kultur", die dann die richtige Programmierung des künftigen Menschen wäre?

Kann man wohl einfachhin zwischen einer „literarischen Kultur", die mit „Lust", und einer „szientifischen Kultur", die mit „Erfolg" zu tun hat differenzieren oder gar das Spannungsfeld der menschlichen Problematik schon aufgelöst sehen, indem man sich mit naturwissenschaftlichen Perspektiven und Denkformen zufrieden gibt? Wenn auch gewiß viele noch kein entsprechendes Verständnis für die Perspektiven der modernen Naturwissenschaft haben, so muß es doch ebenso bedenklich erscheinen, wenn die Nachrichtentechnik für ihre Anklage gegen die „Hinterwelt" auch keinen Ausweis dieses Verständnisses bisher erbracht hat und dennoch hierüber polemisch zu Gericht sitzt. Was Stein-buch der sogenannten „Hinterwelt" vorwirft, daß man ihr zutraut, „aus nicht oder falsch verstandenen Tatsachen die richtigen Schlüsse zu ziehen", dies gilt zumindest ebenso für die offenbar mangelhaften Voraussetzungen, die auch Naturwissenschaftler heute für die Beurteilung der Welt im ganzen, das heißt für die fundamentalen Probleme der menschlichen Existenz mitzubringen scheinen. Wenn man die Sprache beim Wort nimmt, so steht jenem äußerst verschwommenen Begriff „Hinterwelt", über deren Fragwürdigkeit und Brüchigkeit noch viel Gültigeres kritisch zu sagen bliebe, eine höchst vordergründige „Vorderwelt" gegenüber. Hier wird gegenüber der „wertfreien Korrektheit" des Computers zwar auch von „human" und von „Wert“ gesprochen. „Es gibt kaum eine andere Disziplin, welche für die grundsätzliche Beurteilung der Wertsysteme zuständiger ist, als die Kybernetik, und zwar ihr spezieller Zweig, der sich mit der Organisation und dem Verhalten adaptiver Systeme beschäftigt." Denn jede neuere Informationstheorie müsse die Frage untersuchen, „welchen Wert eine Information für ein Empfangssystem hat" Was hier als „Wert" benannt wird, sind vorentschiedene Maßstäbe und Gesichtspunkte, die jedoch wertvoll nur als fruchtbar und brauchbar verstehen. Eine andere Wertskala scheint in dieser „Vorderwelt" nicht auf. Was aber soll bei solchen Voraussetzungen dann „human" bedeuten? Es bleibt uns also die Frage: Was ist das Maß dieser Werte und worauf gründen sich diese Maßstäbe? Gibt es außer oder über dem Einkommen, dem Fortkommen, dem Auskommen, den gesellschaftlichen Fortschritten, worin die ungeschriebenen Zielvorstellungen derzeitiger sogenannter Bildungsbemühungen sich weithin zu erschöpfen scheinen, noch andere Werttafeln, welche die „Neue Welt" und den „Neuen Menschen" kennzeichnen oder gar tragen sollten? Wenn dann hier von neuen Moralen gesprochen wird, die ein neues Zeitalter notwendig fordern, worin sollen ihre Grundbezüge, mehr noch ihr Verpflichtungscharakter für den Menschen erhoben und begründet werden? Gilt hier das im Trend der fortschrittlichen Zukunft und ihrer veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse Notwendige als das kritisch-rational Vernünftige? Was aber ist verbindlich notwendig und was ist allgemein verbindlich vernünftig? Etwa und offenbar doch nur das Nützliche? „Human" ist auch in der Bildungsfrage nicht ohne Bezug zur Sinnfrage der Existenz. Wie auch immer mit Recht eine nur traditionsgeleitete und ohne existentiellen Bezug bleibende „Hinterwelt" in die Kritik zu stellen ist — allein mit Zahl und Gewicht wird sich keine sinnhafte Existenz begründen lassen, auch für die Zukunft des Menschen nicht, wenn nicht das Maß hinzutritt, das freilich nicht allein quantitativ oder wert-relativ oder „vorderweltlich" zugemessen werden kann. Damit ist die eigentliche Thematik berührt: daß nämlich die Übertragung naturwissenschaftlicher Denkmethoden und Modelle auf die existentielle Fragestellung des Menschen, auf geisteswissenschaftliche Denkmethoden oder gar Denkstrukturen, nicht möglich erscheint, eben weil der Mensch immer noch ein Mehr ist als die Summe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Ergebnisse. Doch hier gelangen wir in die für beide „Welten" jeweils fundamental zugrunde liegenden „Vorzeichen" von anthropologischen Vorentscheidungen. Und hierüber allein sollte von beiden Perspektiven her eine Diskussion fruchtbar geführt werden, eben über die Frage nach dem Wesen des Menschen und des Menschlichen.

XVI. Das große Unbehagen an der neuen Welt

Genau hier wäre der Ort, jene Unruhe, das große Unbehagen, die eine ganze Welt erfaßt haben, die in den Unruhen und Gewalttätigkeiten der jungen Generation ihren Ausdruck finden, zur Frage zu erheben. Frontstellung gegen gesellschaftliche und bürokratische Zustände, gegen das Unrecht der sich immer weiter verbreiternden Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Hunger und Überfluß, gegen die Unglaubwürdigkeit, im Namen der Freiheit Kriege zu führen, nicht zuletzt gegen die charakterologische Unechtheit und Verflachung einer Generation, die über Wohlstand, Konkurrenzneid, über einen bestimmten Kaufmanns-und Ingenieurgeist, über die „geheiligten", oft freilich gar nicht mehr existentiell fundierten Rechte und Ordnungen hinaus weithin keine „Ideale" mehr kennt. Das schließt ebenso noch in jene Argumentation die christlichen Kirchen ein, die über dem institutioneilen Heilsgeschäft oft genug ihren zentralen Auftrag ver-gessen haben. Dies erscheint um so gültiger, weil ein kapitalistisches System als Lebens-und. Wirtschaftsform mit dem genuin Christlichen nicht aufgeht, ja geradezu als eine Verkehrung des Christlichen erfahren werden müßte. Dies um so mehr, als die traditionelle Verbindung des kirchlichen Christentums mit Besitz und Kapital und Macht den Weg zur Verwirklichung dieses Evangeliums mit den Kennzeichen der Hilfe und der Selbstverleugnung oft genug verstellte. Das Versagen der Christenheit ist in diesem Bezug eine tragische Bilanz in einer Welt, wo Not und Armut weithin gar nicht bemerkt werden, in einer Welt, in der eine Minderheit von 15 0/0 der Menschheit 85 °/o des gesamten Kapitals der Menschheit in Besitz hält. Und dies nicht zuletzt in christlich firmierten Nationen. Die Verbindung des Kirchenchristentums mit der alten Feudalherrschaft und dem neuzeitlichen Kapitalismus erscheint uns als eines der tragischsten Mißverständnisse seines eigentlichen Wesens und seines eindeutig anders lautenden Auftrages. Doch ist die Anerkennung der Lebensansprüche des Proletariats den Kirchen praktisch nicht erst durch den marxistischen Sozialismus abgetrotzt worden? Der offene Dialog mit den sozialen und sozialistischen Lehren und Gruppen ist nicht mehr zu vertagen. Man wird sich Rechenschaft zu geben haben, inwieweit Kirche und christliche Existenz selbst mit die Schuld tragen an der geschichtlichen Verbindung von Armut, Not, Klassenkampf, Kirchenfeindlichkeit und Atheismus.

Wir leben in einer spätkapitalistischen Feudal-gesellschaft — nur die Träger der Besitztümer und der Herrschaftstitel sind verändert worden. Die Kluft zwischen bestimmten neuen ökonomischen Managern, großbetrieblichen Funktionären, industriellen Grandseigneuren wie auch einer breiten Geschäftswelt und jenen halben Habenichtsen, welche — wie es heißt — die kulturell-geistige Welt noch repräsentieren sollen, ja welche teilweise jene neuen Besitztümern erst ermöglichten, eben etwa den Wissenschaftlern, den Lehrern, den Beamten usf., ist fast unerträglich geworden. Soziale Gerechtigkeit ist nicht ohne die diskussionsreife Problematik um den „Verteilerschlüssel" von Besitz, Eigentum, Gewinn im Hinblick auf die Gesellschaft und das Gemeinwesen, nicht zuletzt aber im Hinblick auf das Verhältnis von tatsächlicher qualifizierter Arbeitsleistung und Gewinn, wobei etwa der geistigen „Produktion" nicht weiterhin mehr nur ein Randwert zugemessen werden kann. Soziale Gerechtigkeit unterliegt immer sehr relativen Maßstäben, gewiß aber dann, wenn die astronomischen Gewinnzahlen der einen der „ordnungsgemäßen" Genügsamkeit eines — wie es heißt — schließlich doch immerhin erhöhten Lebensstandards der vielen anderen wie selbstverständlich gegenüberstehen. Damit aber wurden auch die Maßstäbe des persönlichen und des gesellschaftlichen Lebens verkehrt, wenn das Bankkonto die Persönlichkeit macht, der Wagentyp den gesellschaftlichen Standard anzeigt und die Publicity den öffentlichen Wertrang des Menschen zu bestimmen vermag. Schließlich ist die Verbindung von Kapital und Freiheit eines der dunkelsten Kapitel. Denn gegen die Ungleichheit der Person vor dem Recht, wonach der Reiche sich durch eine Kaution von der Untersuchungshaft freikaufen kann, der Arme aber hinter Gittern verbleiben muß, ist noch kein grundgesetzliches oder kirchliches Wort ergangen.

Was bliebe hierzu zu sagen? Jene Sachverhalte stehen für uns weithin außer Frage. Nur möchte es scheinen, als ob jenes Unbehagen, das bei den nicht nur oberflächenbezogenen Naturen oft genug mit Lebensunlust, Resignation und dem Gefühl der inneren Leere des ganzen Welt-Getriebes einhergeht, noch weit tiefere Wurzeln hat. Der fast hektische Ruf nach „Reformen" meint tatsächlich immer mehr als nur Veränderungen. Es ist der Ruf zum revolutionären Ausbruch aus einer Welt, die im ganzen fragwürdig geworden ist. Es ist die Rebellion des menschlichen Wesens selbst gegen eine Welt, die mit unkontrollierbaren und teils monopolistisch gesteuerten massenmedialen Programmierungen der Meinungen und der Lebensstile, mit technischen Perfektionen und der plangerechten Ausschaltung aller nicht mehr in Zahl und Gewicht ausgehenden menschlichen Bezüge eine Diktatur über alle Lebensvollzüge aufzurichten die Macht anstrebt oder auch schon besitzt. Mit anderen Worten: Was gegenwärtig mit innerer und äußerer Gewalt aufbricht, ist die drängende Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz überhaupt, die vielen durch die gesellschaftlichen und staatlichen, die kulturellen und kirchlichen Institutionen ebensowenig glaubwürdig verbürgt erscheint wie durch das Lebensgetriebe moderner technischer Zivilisationen und Fortschritte. Was der Jugend fehlt, sind überzeugende Leitbilder und Muster eines menschlichen Verhaltens. Will jedoch diese Jugend — eine Wohlstands-generation ohne persönliche Erfahrung der Not und eines weltweiten Leids — überhaupt noch Vorbilder akzeptieren, wenn die Alteren zur „Tradition", das heißt zur überholten Vergan-genheit gehören, die — wie es heißt — von Selbstsucht und Korruption in ihren Institutionen bestimmt war. Daher sei von der Welt der Erwachsenen, die als Welt der Heuchelei, des Imperialismus, der Ausbeutung des Volkes, des Krieges, des Kapitalismus, des Rassenkampfes gekennzeichnet wird, keine Hoffnung auf Rettung der Zivilisation mehr zu erwarten.

Diese Jugend ist weithin in einem existentiellen Chaos zur Welt gekommen, und die heutige Welt hat ihr wenig zu bieten, was Halt und Erfüllung innerer oder äußerer Geborgenheit geben könnte. Vaterland, Nation, Rechtsordnung und Autorität haben in diesem neuen Vokabularium keinen oder einen durchaus veränderten Stellenwert erhalten, übernationale oder weltbürgerliche Ideale aber haben in einer Welt, die in die Kriegslager einer Freund-Feind-Beziehung zerspalten ist, keine reale Wirkmächtigkeit finden können. Doch dies betrifft und trifft doch nicht nur die junge Generation, dies gilt ebenso auch für alle jene, die den Zusammenbruch nach dem Zweiten Weltkrieg als Bruch bisheriger Ordnungsgefüge erlebten, was als ein internationales Phänomen angesprochen werden muß.

Dies alles besagt also weit mehr als jenes frühere „Unbehagen an der Kultur”. Es zielt auf jenes „existentielle Vakuum", auf jene Leerstelle im Menschen, die — wenn meist auch unbewußt — nach dem persönlichen und dem geschichtlichen Sinn selbst fragt. Hier läßt man sich zu Recht nicht mehr beruhigen mit der Predigt von der „Humanität", die alles und nichts besagen kann, weil gerade das Humane existentiell, das heißt persönlich sinnvoll fundiert und übernommen werden muß, — sollen die humanitären oder gar nur sanitären Humanismen nicht nur gesellschaftliches oder gar weltbürgerliches Gerede bleiben, hinter dem sich freilich beängstigende oder höchst intolerante Machtgruppierungen verbergen könnten.

Hier ist besonders anzumerken, daß der Reformdrang der Studenten sich im Grunde zu Recht gegen eine Neutralisation des fachwissenschaftlichen Universitätsbetriebes wendet. Was vielen Protesten der Studenten heute im letzten Bezug zugrunde liegt, ist die betroffene Erfahrung, daß zwar viel Fachwissen produziert wird, daß aber der Bezug zum Menschen und zum Menschlichen dabei oft genug bewußt oder aus Unvermögen außer acht gelassen wurde. Und dies deshalb, weil der Bezug zur existentiellen oder auch berufspraktischen Wirklichkeit auf Grund einer ebenso noch verbreiteten wie falschen Wissenschaftsauffassung den Wissenschaftscharakter der Wissenschaft zerstören müßte. Das in dieser Form unqualifizierte Wort vom „Fach-Idioten" ist von hier her nicht ohne jede Berechtigung zu verstehen. Eine isolierte virtuose Fach-Spezialität verdeckt doch oft genug eine mangelnde menschliche Substanz. Die weltweite Unruhe unter der studentischen Jugend entspringt nicht nur — wie man meint — einer überholten Gesellschaftsordnung und ihrer bürgerlichen Unechtheit des Lebensstiles. Die Quelle dieser Unruhe ist vor allem und zuerst in der bedrängenden Erfahrung einer inneren menschlichen Leere, einem seelischen existentiellen Vakuum zu suchen. Die lange Zeiten übergangene und bewußt totgeschwiegene Frage nach dem Sinn des wissenschaftlichen Tuns in Forschung und Lehre, eben nach dem Sinn der Wissenschaft selbst im Gesamt unserer menschlichen Lebensbezüge ist dieser Jugend fragwürdig geworden.

Hier ist jedenfalls ein Grund des heutigen jugendlichen Protestes zu erheben] Terror-Methoden des Protestes richten sich jedoch von selbst, ja sie muten oft wie verspätete Formen der Pubertät an, wie auch das Verhältnis zur Macht, das proklamierte Widerstandsrecht bei Demonstrationen, die einseitige Inanspruchnahme des Rechts auf Gewalt sehr fragwürdig erscheinen müssen. Doch das Anliegen dieser Jugend, sofern es ihr wirklich um jene Sinnfragen geht, ist als eine positive Reaktion zu werten. Die moderne Großmacht „Wissenschaft" soll menschlich, das heißt im Sinnbezug auf und für den Menschen da sein — eine Forderung, die vom Verfasser bereits seit Jahrzehnten immer wieder und wieder erhoben wurde Ob allerdings ein solches Anliegen allein mit Postulaten der „Demokratisierung" oder „Mitbestimmung" wirklich erreicht werden kann, erscheint uns zweifelhaft, weil Mitbestimmung nicht ohne Mit-verantwortung zu rechtfertigen ist. Die Befähigung hierzu aber bedarf des funktionsgerechten Ausweises! Der gegenwärtige Verhaltens-stil vermag diesen keineswegs immer zu garantieren. Denn die „Vermenschlichung" der Wissenschaft ist nicht zuerst eine politische oder gesellschaftliche Frage, sondern ein existentielles Problem, wofür nicht nur Methoden der Organisation, sondern das Lebens-und Wissenschaftsverständnis der Dozenten und Studenten selbst entscheidende Voraussetzungen bleiben. Diese Maßstäbe sollten doch nicht verwechselt werden, wenn das Ganze nicht nur an revolutionären Oberflächen verbleiben soll.

Niemand könnte im Ernst bestreiten, daß vieles an der heutigen Universität brüchig, unecht und reformbedürftig ist. Dies betrifft ebenso den Studienbetrieb wie auch den strukturellen Aufbau. Allein mit organisatorischen Maßnahmen ist da wenig getan. Dies bleibt nur am Rande. Diskussionen sind notwendig und nützlich. Zuerst aber muß ein Fundus an menschlicher Reife und Wissen erworben und begründet werden, wenn nicht nur substanzleeres Gerede — womöglich nur als machtpolitisches Engagement — das Feld beherrschen soll. Es darf dabei jedoch ebenso nicht übersehen werden, daß die große Mehrzahl der Studierenden gar keine Intentionen und Wünsche nach einem Studium verspürt, die über das jeweilige Fach und seine möglichst schnelle und möglichst vereinfachte Examensbewältigung hinausweisen. Dies sollte also ebenso ganz deutlich gesehen und eingestanden werden!

Kritik ist Anfang und Ende aller wissenschaftlichen Haltung. Doch Kritik ohne ein hinreichend begründetes und begründbares Kriterium der Kritik ist fruchtlos und primitiv. Die Diktatur einer bestimmten radikalen Minderheit mit ihren verschwommenen utopischen oder auch politisch fixierten autoritären Vorstellungen hat mit der toleranten Achtung vor den Überzeugungen anderer gar nichts mehr zu tun. Demokratischer Lebensstil ist doch etwas ganz anderes. Bei allem Respekt vor dem Anstoß und dem Anliegen mancher „Reformer" wäre es gut, wenn man den Nimbus der missionarischen Heilsbringerschaft allein gültiger Parolen ablegen wollte. Mit dem Sturz von Herrschaftsformen ist doch noch kein neuer tragender Sinnbezug von Wissenschaft und Bildung, von Gesellschaft und persönlichem Daseinssinn erfunden worden! Neue Werte wachsen nicht auf der Straße. Wo aber sind diese neuen Ideen, die mehr sind als programmatische Postulate, ja teilweise auch mehr sind als Ausprägungen nihilistischer oder gar anarchistischer Komplexe? Machtanreicherung bestimmter Gruppen verbürgt auch in der Universität doch noch keinen neuen Sinn der Universität, der weder allein gesellschaftlich noch politisch oder ökonomisch begründbar wäre.

Man polemisiert gegen die Universität, aber man meint die gesellschaftlichen Zustände überhaupt. Hier dann wurde die Forderung nach der „kritischen Rationalität" fast schon zur Parole, das heißt zur unbefragten Selbstverständlichkeit, obschon sich uns dabei große Fragezeichen anmelden. Welches Kriterium soll also für diese Kritik gelten? Jeder Kritik liegen ja ganz bestimmte Vorentscheidungen über die Gesichtspunkte und die Maßstäbe voraus, unter denen wir kritisch urteilen und entscheiden können. Oder sollte jene kritische Rationalität aus dem Glauben erwachsen, daß es tatsächlich die eine Ratio gäbe, die bei allen Menschen denselben Bedeutungscharakter hat? Einem solchen Glauben an eine aufgeklärte Aufklärungsvernunft vermöchten wir freilich nicht beizutreten, ja jene These müßte uns vordergründig und unkritisch erscheinen. Auch jene andere, an das psychotherapeutische Sprechzimmer gemahnende Auffassung, wonach die Entfremdung zwischen Mensch und Wirklichkeit, wie sie heute durch die Diskrepanz der neuen Wirklichkeit, einer neuen gesellschaftlich-technischen Welt und dem angestammten Lebensglauben charakterisiert wird, durch Erhebung dieses Zustandes ins Bewußtsein überwunden werden könne, vermag nicht zu beruhigen. Kann Einsicht, auch kritische Einsicht, schon einen sinnvollen Bezug verbürgen? Uber allem aber bleibt die Zielvorstellung eines neuen gesellschaftlichen Zustandes zumeist verschwommen. Eine „permanente Revolution" mit dem Glauben an eine gesellschaftliche Erfüllung als Freiheit und Gerechtigkeit durch rational-kritische Bewußtwerdung scheitert aber allein schon an den Schranken, welche hierfür unüberschreitbar gesetzt sind.

Auf der anderen Seite zeichnet ein entideologisierter Humanismus des radikalen persönlichen Disengagement und der sterilen Vordergründigkeit eine verbreitete Situation ab. Eine Haltung, der nichts mehr heilig, wertvoll, sinnvoll ist. Der gewollt geistreiche und alles ironisierende, in die Plattheit des „Knüllers", der „Story", der effektvollen Unechtheit herabziehende Snobismus ist die „Illusion des Nullpunktes" der Avantgardisten und ihrer Epigonen, ein Fluidum, das uns eine Halbintelligenz, die nichts mehr wirklich ernst zu nehmen vermag, als Lebensinterpretation anzubieten die Macht und die Möglichkeit hat — eine Haltung, die nur noch in einem Leben des Als-ob in Dichtung, Kunst, Philosophie, Religion, in Konvention und Sitte und nicht zuletzt im emo-tionalen und gesellschaftlichen Bereich ihre Komplexe des Unbehagens, der Fadheit, der Langeweile abzureagieren und zu kompensieren bemüht ist. Beide bezeichneten Aspekte verbleiben jedoch keinesfalls nur im jugendlichen Raum.

XVII. Wandel der Moralauffassungen

In der Sorge um solche Zukunftsperspektiven wird heute eine neue Ethik diskutiert, eine Ethik des Atomzeitalters, die dem gewandelten neuen, durch die Wissenschaft und die Rationalisierung geprägten Welt-und Menschenbild und dem dadurch wiederum gewandelten neuen Lebensverständnis angepaßt sein soll. Aber woher sollten solche Maximen genommen werden, wenn eine verbreitete mechanistische Anthropologie, eine positivistisch-wert-neutrale Wissenschaftsidee und ein sanktioniertes System des wirtschaftspolitischen Egoismus und Utilitarismus heute weithin das Feld beherrschen? Die Maschinisierung aller Lebenszüge, selbst des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, allein mit dem Maßstab des Leistungsprinzips muß das Menschliche zerstören und damit auch ein Ethos illusorisch machen.

Diese neue Ethik des Atomzeitalters soll frei sein von den traditionellen und konventionellen Bindungen des Lebensverständnisses, wie es durch eine leib-und weltabwertende Grundeinstellung gegeben sei. Gefordert wird die Aufhebung der sexuellen Tabus mit der Auflösung der „Scham" als der zivilisatorisch bedingten Schranke einer „natürlichen" Beziehung der Geschlechter, die biologisch bestimmte Natürlichkeit, die lebenszweckliche Sachgemäßheit der Lebensnormen und der Lebensformen. Sachgemäßheit und nüchterne Zweckdienlichkeit markieren dabei die Richtungsbestimmtheit, in der die neuen Tafeln der Sitte und der Verhaltensweisen als Verhaltensnormen gesucht und gefunden werden sollen. Die glückhafte Befriedigung der Bedürfnisse eines meist sensualistischen, biologischen und pragmatischen Glücksstrebens gilt als Richtbild. Das Sexualverhalten wird primär unter dem Aspekt des Natürlichen und nicht mehr des Pathologischen gesehen, was doch längst hätte als selbstverständlich gelten sollen. In dieser Auffassung haben bisher gültige moralische und gesellschaftliche Tabus, wie sie bislang teilweise in einer durchaus unechten Konvention begründet waren, keinen Raum mehr Inwieweit wir freilich von einer massenkommunikationsmäßig und geschäftstüchtig gesteuerten Diktatur der Pansexualisierung des privaten und öffentlichen Lebens sprechen müßten, bleibt eine ganz andere Frage. Die verbreitete sexuelle Aufklärungswelle entspricht nur zum geringen Teil natürlichen, lauteren oder erzieherischen Tendenzen und Bedürfnissen. Weithin erscheint sie als gemachte und gesteuerte Konsumwerbung für nackte und pikante Tatsachen. Der zur Mode gewordene seriös-wissenschaftliche Anstrich in Wochen-magazinen und anderswo gilt doch zumeist nur der Erhöhung des Werbungsreizes und damit den Gewinnspannen für Autor und Erzeugnis.

Charakteristisch für die neue Ethik ist, daß ihre Maximen grundsätzlich ohne Bezug zu einer Transzendenz bleiben, aus den natürlichen Triebbedürfnissen erhoben werden und der Gesellschaft nur das geben, was notwendig ist, damit das größte Glück und die größtmögliche Freizügigkeit des einzelnen gewährleistet bleiben. Andere wollen die Maximen für die Verhaltensweisen aus dem Willen der Gesellschaft selbst ableiten, der durch die Feststellung des Willens der Mehrheit „repräsentativ" eruiert werden kann. Die Entscheidung über Gut und Böse liegt dann in dem, was alle wollen, ohne zu fragen, was alle sollen. Denn das Wollen ist die Norm für das Sollen, es sei denn, das Sollen wird aus den Naturtrieben und den natürlichen Bedürfnissen hergeleitet. Dabei erscheint heute die „sexuelle Revolution", wie sie von führenden angelsächsischen Sexualwissenschaftlern ausgeht, jedoch nicht nur als ein Rückgriff auf die Natur und das Natürliche oder auf das Gesellschaftliche, sondern auch als „ein Akt der Selbstbefreiung von der völligen Reglementierung unserer sozialen Existenz". Wieder andere glauben, neue ethische Maßstäbe könnten aus der Wissenschaft abgeleitet und durch ihre Autorität verbindlich aufgestellt werden obwohl die moderne Wissenschaft selber der Maßstäbe für ihr eigenes Tun weithin entbehrt und zudem für die Fixierung von sittlichen Sollensforderungen selbst überfordert wäre.

Sitte und Gesittung waren und sind immer gewachsene Lebensformen. Man kann sie nicht „machen" und organisieren, nur konstatieren und womöglich auch in die Kritik stellen. Sittliche Gebote, die die Menschheit annahm, hatten immer irgendwie einen numinosen Charakter. Sie trugen das Zeichen einer göttlichen oder von einer Realität des „Heiligen" her inspirierten Verbürgung. Dies gilt für die Sittengesetze der Religionen ebenso wie für die ursprüngliche Integration von Religion und Recht, Religion und Macht. Daher stammte ihre Glaubwürdigkeit, ihre Verbindlichkeit und damit die Legitimation, Verpflichtung und Verantwortung abzufordern. Allein hier erscheint die Frage nach der moralbildenden Kraft in einem Zeitalter, das keine transzendente Verbürgung mehr kennt und anerkennt — außer der Selbstgesetzlichkeit der Vernunft, der Natur, der Gesellschaft, des Gewissens.

Doch was ist heute Natur und natürlich in einer Situation, in der die technische „gemachte" Natur das Naturhaft-Ursprüngliche und organisch Gewachsene überall verdrängt und artefaktisch mechanisiert hat? Gibt es denn noch das „Organ" für die unberührte, nicht „vergewaltigte" Natur? Oder kann solche „dirigierte" Natur nur noch das Abbild der menschlichen Verformung bedeuten? Mit der Frage nach dem Bedeutungscharakter von „Natur" ist die Frage nach Gültigkeit und Tragweite des Naturrechts angesprochen. Hierüber ist in letzter Zeit auch im katholischen Raum eine ernste Diskussion entstanden, zumal die naturrechtliche Tradition keineswegs einen überzeugenden Anhalt für das Naturbild als Richtbild, sei es der Moralen oder auch der Staats-und Gesellschaftsordnungen, zu leihen vermag. Im Namen des Naturrechts sind ebenso Sklaverei, Kinderarbeit, Zensur, Absolutismus, die Polygamie und die Kastration zwecks Erlangung „süßer Singstimmen zum Lobe Gottes" gerechtfertigt worden. „Natur" bedarf immer eines Kriteriums dafür, was natürlich ist. Die „Manipulierbarkeit" des Bedeutungscha-* rakters der „Natur" lag und liegt sonst zumindest immer nahe

Ein bezeichnendes Merkmal, wie problematisch heute solche Begründungen erscheinen, ist die weltweite Diskussion um das Für und Wider der Geburtenregelung. Was sollen hier „pastorale Anweisungen" nach einer eindeutigen Entscheidung, wie sie mit der Enzyklika „Humanae vitae" gefällt worden ist? Daß der darin zugrunde gelegte Natur-Begriff zwar mit der Antike, aber nicht mehr mit der modernen Auffassung von der Natur, auch nicht mit der Naturerfahrung des Evangeliums zu identifizieren ist, wurde bereits oft genug benannt. Vor allem aber muß uns jener, seit vielen Jahrzehnten gelehrte und praktizierte und nun wieder von neuem fixierte „geheime Vorbehalt" berühren, der eine überkommene Moral-auffassung nochmals bestätigt. Dennoch bleibt es dabei: Sofern die fragwürdige Ansicht besteht, daß der sexuelle Akt nur im Hinblick auf die Tendenz zum Kinde gerechtfertigt wird, so kann dies auch nicht mit Berechnungen eines „Kalendariums" geändert bzw. sanktioniert werden. Wenn jene Enzyklika behauptet, wer in die Gesetze des Zeugungsablaufs eingreife, mache sich zum Herrn über den Ursprung des menschlichen Lebens, so besteht doch die Frage: ob dies nicht auch dann gelte, wenn vorsätzlich — gewissermaßen durch eine buchstäbliche „Überlistung" der Natur — die unfruchtbaren Perioden für den Geschlechtsakt benutzt werden. Ein solches Verhalten müßte uns nicht nur als fragwürdig, sondern geradezu als unwahrhaftig erscheinen. Wenn man an der Gesinnungsrichtung als Merkmaligkeit von Gut und Böse rüttelt, dann bedeutet dies einen Rückfall in jene Auffassungen und Methoden, die der Kasuistik und dem wohltemperierten Verhalten unechter Moralen entsprechen. Gesinnung und Gesittung sind doch nicht zu trennen, es sei denn um den Preis charakterologischer Echtheit.

Worum es uns geht, ist nicht eine Auseinandersetzung über Sinn und Bedeutung des sexuellen Aktes, sondern der Ausweis einer Inkonsequenz. Welch eine Auffassung vom Liebes-bezug der Geschlechter muß dann zugrunde liegen, wenn man diesen mathematisch errechnen und damit im Grunde Schuld und Sünde „manipulieren" kann! Bedeutet dann nicht manche ärztliche Kunst (etwa die Organ-Transplantation) — neben ihrer Hilfefunktion — auch einen Eingriff in die Natur, in einen ebenso vom Schöpfer gesetzten jeweiligen Naturprozeß? Wann darf „Natur" manipuliert werden — und wann nicht? Was diese Zeit benötigt, ist nicht ein befreiter oder verdrängter oder berechneter Sexus, sondern ein in den Liebesbezug des Personalen integrierter Sexus, der allerdings im freien Gewissensstand sich aufgehoben weiß.

Mehr aber als jene benannte Frage der Empfängnisverhütung müßte die doch schon als überholt geltende ebenso hintergründige wie fundamentale Grundauffassung Bestürzung hervorrufen, die wiederum die alte Gleichung von sexuellem Akt, Konkupiszenz, Sinnenlust und Sündhaftigkeit, ja von Leib, Weib, Geschlechtlichkeit und Tod in der christlichen Anthropologie verfestigen könnte. Und es möge dabei nicht übersehen werden, daß jene breite Front, die heute mit dem Postulat der Aufhebung der sexuellen Tabus gegen ein so verstandenes Christentum steht, nicht ohne begründeten Anhalt bleibt. Es ist bekannt, daß unter dem Zeichen des christlich-religiösen Lebens bis zur Stunde im ebenso unterschwelligen wie oft auch dominierenden Strom ein Ethos des Leibes, des Weibes, der Ehepraxis usf. eingebrochen ist, das zumindest weithin von außerchristlichen Quellen der Gnosis, des Manichäismus, aus bestimmten von dort her infizierten Konkupiszenzlehren genährt wurde. Diese Verkehrung hat dann im christlichen Lebensraum Menschen erzogen, denen zwar von der Heiligkeit des Leibes gepredigt wurde, die zugleich jedoch den Leib auch als etwas „eigentlich" Minderwertiges, Unheiliges empfinden mußten, zumal das zölibatäre Ideal der Ehelosigkeit als das vollkommene Ideal für eine Lebenserfüllung im katholischen Verständnis gilt. Unter solchen Vorzeichen wird zwar auch ein Eheleben geführt, aber alles geschieht „eigentlich" wieder nur mit schlechtem Gewissen. Man hat schon häufig genug von der existentiellen Andersartigkeit der leib-seelischen Existenz des Menschen in Gnosis und Manichäismus gegenüber dem Evangelium gesprochen Diese Unterscheidungen sind gültig. Doch inwieweit solche fundamentalen Perspektiven auch in den Schriften des Neuen Testaments selbst einen nachhaltigen Anhalt zu finden vermögen, ist dabei bisher ebenso häufig exegetisch und moraltheologisch retou-chiert worden Häufig genug finden sich Menschen in einem solchen Lebensraum kirchlicher Praxis nicht mehr beheimatet, weil ihre Vitalsphäre, ihre naturhafte „Tiefenperson" nicht entsprechend angenommen wurde Es steht außer Zweifel, daß die Verdrängung dieser Perspektiven, eben auch der Sexualsphäre als sündhafte Konkupiszenz, im abendländischen Raum unheilvolle Wirkungen haben mußte.

Dabei aber gerät die eigentliche heutige Problematik der Moral, die Verhältnisbeziehung von Autorität, Gehorsam und Gewissen, in die Zerreißprobe. Ein Gewissen mit schlechtem Gewissen zu haben, bedeutet den Tod des Gewissens. Der Anspruch auf unbedingten Gehorsam, ja der Anspruch auf „totale Treue" gegenüber einer Autorität bedeutet nichts weniger als die Forderung nach Aufgabe der Würde und der Selbstverantwortung der menschlichen Person bzw. — kulturell-ethisch gesprochen — der menschlichen Persönlichkeit. Die Persönlichkeit steht und fällt mit dem Freiheitsraum ihrer gewissentlichen Entscheidungen Doch jene These von der Mündigkeit kann heute nicht länger Hypothese bleiben, womit der Gewissensentscheid womöglich dem Schuldkonto zugeschrieben wird. Die Zukunft der kirchlichen Institution wird weithin davon abhängen, inwieweit die vielbesprochene Mündigkeit des Menschen, das heißt das Gewissen, zur zentralen Entscheidungsmitte genommen, aber auch gültig angenommen wird. Damit soll weder in relativistischer Konsequenz einem nur situationsbedingten Handeln das Wort geredet sein, noch sollen die Tugenden des Gehorsams, der Treue, der Ehrerbietung gegenüber Autoritäten als überholt abgetan werden, wie dies heute zur Mode geworden ist. Solche Haltungen gab und gibt es doch nicht nur als Ausdruck absolutistischer oder feudalistischer Sozialgefüge!

Gibt es also gegenwärtig einen Wandel der Sittlichkeit, ein neues Kriterium dafür, was sittlich ist? Oder gibt es nur einen Wandel des „Organs" für je bestimmte sittliche Werte? Daß es geschichtliche Differenzen im Wertempfinden gibt, eine partielle Unempfänglichkeit für sittliche Werte bzw. ihre verschiedene Bedeutungsakzentuierung, kann nicht geleugnet werden. Der Wandel des abendländischen Tugendsystems dient hierfür als Beweis Dabei können die Bedingungen für die Veränderung des Moralverhaltens sehr vielschichtig sein. Heute findet man sie in den „technischen und anatomischen Wandlungen des Menschen" bestimmt. Die „Individualisierung" der sittlichen Normen ist dabei ein durchgehendes Symptom, zugleich mit dem Unbehagen an kasuistischer Sterilität und Werkgerechtigkeit.

Was heute sich bezeugt, ist nicht nur eine „Umwertung" der traditionellen Werte, sondern mehr noch des Wertgefühls, des Wertbewußtseins überhaupt, das im Zeichen nicht nur der Befreiung von der Last der christlichen Tradition, sondern ebenso von einer nicht mehr zeitgerechten Konvention steht. Gerhard Szczesny und andere wollen das ethische Dilemma unserer Zeit geradezu mit der Begründung des Ethos aus dem christlichen Glauben erklären. Dieser Glaube gelte zwar theoretisch noch überall dort, wo er als Glaube gar nicht mehr wirklich ist. Diese Situation muß eine Art Schizophrenie bewirken, da ethische Norm und Leben dann auseinanderfallen müssen.

Formen der Lebensführung, der Leitbilder und moralischen Verhaltensnormen haben oft, ebenso wie Bildungsideale, eine Lebenskraft auch dann noch, wenn die ihnen zugrunde liegenden Glaubensformen schon nicht mehr gelten bzw. nicht mehr übernommen werden. Hier dann erscheint jener Zustand als eine Notsituation des Menschen, der noch aus dem Gestern lebt, der der Brüchigkeit seiner zunehmend nicht mehr als funktionsgerecht erfahrenen Wertvorstellungen sich zwar bewußt wird — aber dennoch aus und nach ihnen lebt. Man spricht heute von einem „Tugendvakuum", ohne daß jedoch immer damit zugleich die fundamentale Frage nach dem existentiellen Vakuum des Menschen angesprochen wird. Dem Wandel der Wertordnungen, der Normen und Verhaltensweisen liegen gewiß nicht zuletzt jeweils Wandlungen der Sozialstruktur zugrunde. Doch die wesentliche Frage, die hier zu stellen bleibt, zielt auf die Wesensbestimmung dessen, was „Tugenden" sind. Sind Tugenden nur „gesellschaftlich geformte und bekundete Verhaltensweisen, die als moralisch empfunden werden und die unentbehrliche Stützen jeder Gesellschaftsordnung sind"

Ist also die Gesellschaft das Letzte? Und sind alle Weltanschauungen, Glaubenshaltungen, Religionen, die moralbildend waren bzw. sind, nur Funktionsweisen der jeweiligen Gesellschaft? Was also ist dieses Gesellschaftliche?

Gibt es noch Faktoren, Triebkräfte, Motivationen, die auch die Gesellschaft tragen und möglicherweise als mehr oder minder selbst determiniert und wiederum determinierend zu bestimmen wären?

Bestimmte neue formulierte „Tugenden", wie die „Wachheit", „das zeitgeschichtliche Verständnis zu futurologischer Voraussicht und gesellschaftspolitischer Arbeit, also zur globalen Demokratie" verbleiben im Rahmen von „innerweltlichen Grenzsituationen", im Gegensatz zu den existentiellen Grenzsituationen von Tod, Leid, Schicksal usf. Was jedoch dabei nottut, ist nicht nur die Deklarierung von neuen Tugenden bzw. Werthaltungen, sondern der Ausweis ihrer Verankerung und die überzeugende Fundierung ihres Verpflichtungscharakters inmitten der Brüchigkeit unse-einer in ihrem Tietenbezirk doch weithin „bodenlosen" Gesellschaft. Ob hierfür Appelle und Grundgesetze im Hinblick auf die gesellschaftliche Verpflichtung usf. in einer auf Gewinn und Profit und Glücksbefriedigung vordergründig ausgerichteten Lebensform wirklich ausreichen können?

Gewisse Bestimmungen einer neuen Moral mit dem Postulat eines „abstrakten Ethos" müssen wir allerdings nicht nur als mit den „herrschenden pädagogischen Anschauungen", sondern — was schwerer wiegt — als mit den charakterologischen Maßstäben und zentralen Merkmalen, die bis dahin die Menschlichkeit des Menschen und seiner Wertbestimmung anzeigten, im unbedingten Gegensatz erkennen. Heute werden jene überkommenen Tafeln, wonach die Echtheit des Wesens — und nicht der Rollenwechsel — den Wertrang markiert, wonach der Mensch erst insoweit sein Leben zu gewinnen vermag, als er es zu verlieren bereit ist, dem Anachronismus überantwortet. Die Rationalisierung und Mechanisierung und Verzweckung der Lebensbezüge als moralische Maximen muß aber notwendig die abendländische Menschheit auf den Status von nunmehr „abstrakten“, „organisierten“ Primitivreaktionen zurückführen. Wir fühlen uns bestimmt, solchen Maximen, die oft genug im Namen des zeitgerechten Fortschritts auftreten, im Namen der Menschlichkeit unbedingt zu widersprechen!

Die eigentliche Diskussion aber entzündet sich an der Frage, ob es eine Ethik ohne Religion geben könne. Flier stehen die Fronten, wonach es „im Menschen selbst eine sichere Basis für ein humanes Verhalten gibt", wogegen andere Auffassungen dem „Immoralismus Vorschub"

leisten der These gegenüber, daß alle Moralsysteme religiösen Ursprungs sind. So etwa der Islamit Muhammed AsadliG): „In allen geschichtlichen Zeiten war der religiöse Glaube die einzige Quelle der Moral und Ethik." Die positiven ethischen und moralischen Überzeugungen unserer atheistischen Zeitgenossen sind danach in sehr hohem Maße „ein unbewußtes Erbe, von jenen zahllosen Generationen herstammend, deren Weltanschauung auf Willen berunte . Lles Detrare aucn aie soge-nannte „einfache Sittlichkeit", die ebenso als Relikt des christlichen Glaubens-und Sittenbewußtseins angesprochen werden konnte.

Damit stellt sich die schon oben benannte Frage nach einer natürlichen Ethik, die sich mit natürlichen Erkenntnismitteln aus einer Analyse der menschlichen Wesensnatur erheben ließe. Von ihr her sei die Aufschau zu einem ethischen Wert-und Normenbewußtsein wie die Bestimmung des Menschen in seinem Verhältnis zu anderem Seienden sinnvoll zu entwickeln. Aristoteles und Nicolai Hart-mann werden als Beispiele genannt, daß es eine natürliche Ethik ohne Religion geben könne, daß es aber keine Ethik ohne metaphysische Verankerung gebe, die in eine religiöse Verankerung übergehe, daß schließlich „schon zum natürlichen Bewußtsein . . .der religiöse Bezug des Menschen zu Gott" gehöre Allein jene Frage, ob die Ethik in die Religion einmündet oder einmünden muß, trifft nicht das Eigentliche. Ob es vielmehr eine „rein" natürliche Begründung der Ethik gibt oder ob jede natürliche Ethik immer schon über dem traditionellen Hintergründe einer Religion bzw. einer religiösen Verwurzelung — auch unbewußt — besteht, dies steht zur Entscheidung. Wenn es richtig gesehen ist, daß heute ein geheimer Nihilismus oder Atheismus — zumindest aus der Gegensatzstellung zu traditionellen christlichen und anderen Lebensauffassungen — fast ein durchgehender Grundzug unserer Stunde ist, so erhebt sich die Frage nach einer möglichen atheistischen Moral bzw. Moralbegründung. Es handelt sich dann darum, eine „weltliche Moral" zu entwerfen, die nicht aus einer Gegenstellung zu einer religiösen Moral, gewissermaßen als deren Gegenüber, gewonnen wurde. Flier stellt sich die Frage: Ist dies wirklich heute — oder heute schon — möglich?

Jedenfalls konnte bisher der Beweis für eine Moral, die derzeit nur aus der Menschennatur selbst, ohne traditionelle „Belastungen" stammt, nicht angetreten werden. Dies war schon deshalb nicht möglich, weil die geschichtlichen Ursprünge und traditionalen 'Wirkmächtigkeiten im Hinblick auf unsere heutigen Moralvorstellungen und unser „Wertgefühl" nicht restlos erhoben und damit ausgeschaltet werden können. Die These von der Wandelbarkeit der sittlichen Normen auf Grund neuer Lebensverhältnisse, neuer gesellschaftlicher Wandlungen, neuer anthropologischer und psychologischer Erkenntnisse und die dadurch mitbedingten Bewußtseinsverfassungen als ein je neues Existenzverständnis, als Selbst-und Weltverständnis, umschreibt eine zentrale und fundamentale, ja gegenwärtig die eigentliche Problematik. Daß es einen Wandel der Wertvorstellungen gibt, muß der Wandel der Lebensformen und Lebensordnungen nahelegen. Im Grunde wäre dann die eigentliche Konsequenz in der These des Wertrelativismus zu erblikken, der jedoch nicht nur geschichtlich, sondern auch soziologisch und nicht zuletzt individuell bzw. „konstitutionell" zu erheben wäre. Die immer wieder angegangene Problematik liegt dann in einem noch möglichen „dritten Weg", der jedoch weder mit einer „relativen Absolutheit" noch mit einer nur zeitgerechten Verbindlichkeit der je an der Zeit seienden Normen noch mit der Rückverlegung des statischen und des dynamischen „Prinzips" in das „Sein" selbst, aber auch nicht mehr mit einer nur statischen Seins-und Wertordnung gültig zu einer Lösung führen kann.

So vermag unsere gegenwärtige geistige Situation angesichts dieser höchst differenten Thesen keinen Anhalt dafür zu leihen, daß von einer philosophisch begründbaren verbindlichen „Wertwelt" gesprochen werden könnte, die allgemein bindenden Charakter trägt. Wer die heute sich widersprechende Vielschichtigkeit der Theorien und Praktiken in Fragen anthropologischer und ethischer Positionen übersieht, dem bleibt nur der Rückbezug auf bestimmte „angestammte" Formen und Weisen des Ethos, der Gesittung, die — mit oder ohne bewußte Erhellung — doch noch aus dem offenen oder verkappten, dem ebenso christlich-gezeichneten wie abendländisch-komplexen „Werthorizont" stammen. Ohne diese trotz allem noch immer unser persönliches und unser gesellschaftliches Dasein, die Sitte, das Recht, die konventionellen Verhaltensweisen tragenden Lebensformen und Lebensordnungen wäre heute die menschliche Existenz auch in der modernen Welt kaum denkbar. Dies gilt selbst noch für die im Widerpart stehenden Positionen, die auch daran ihr Leben haben.

Die „Pluralen" des Pluralismus und der offenen Horizonte bieten ebensowenig einem der geistigen und gesellschaftlichen Anarchie zustrebenden Selbst-und Weltverständnis einen möglichen Traggrund für ein sinnvolles Dasein, wie jene Historismen und Relativismen, sofern sie den Halt nur in sich selber suchen. Mit der Auskunft des Scheitern-Müssens auf die Frage nach der Selbstverwirklichung des Menschen kann der Mensch ebensowenig sinnvoll leben wie mit dem Anruf zum Selbst-Aufschließen gegenüber einem „Sein" und dem Appell zur „Eigentlichkeit", die in ihrem konkret befragten Sinnbezug letzthin inhaltslos verbleibt.

Dies sind keine Werturteile, dies sind kritische Feststellungen über eine Faktizität, die als typische Symptomatik gelten kann: Wo wir im abendländischen Geistesraum und darüber hinaus heute wirklich stehen, wenn nach den geltenden und gültigen Maßstäben gefragt wird.

XVIII. Zwischen Hoffnung und Resignation

Das letzte Wort aller existenz-und kulturphilosophischen Bemühung gilt heute wie ehedem der Frage nach dem Sinn unserer Existenz und unserer Kulturleistungen. Wohin also führt, der Weg der Zukunft? Worin also kann der Sinn des einzelnen und des Ganzen erhoben werden? Hier stehen wir wirklich an der „Schwelle", aber nicht nur von Zeitaltern, sondern von unseren eigenen „Gezeiten" — eine Frage, die zwar heute nicht tagesgerecht erscheint, dennoch aber nicht ausgelassen werden kann, wenn nicht alle hochgezüchteten Bemühungen für die Zukunft in Technik und Planung in jedweder Hinsicht sinnlos, das heißt ohne eine alle vorletzten Bezüge überschrei-tende bzw. diese schon tragende Bedeutung bleiben sollen. Diese Zeit lebt aus dem Bewußtsein der Vollkommenheit aller Mittel wie ebenso aus der Ziellosigkeit in der menschlichen Lebensfrage überhaupt. Erst wenn man hierhin „durchstößt", könnte der Blick dafür geöffnet werden, daß nicht nur Maßnahmen den künftigen Weltlauf bestimmen werden, auch also nicht nur Planungen und Organisationen, sondern Gesinnungen und sinnleihende Bestimmungen, eben weil das Maß, das Maß-nehmen, sich nur an der sich besinnenden Gesinnung zu orientieren vermag, wenn der Mensch sich nicht nur einem prozeßgerechten Getriebensein aussetzen will. kens und Lebens ist, zumal auch von der naturwissenschaftlichen Seite, als der Mangel erfahren worden. Während das Gesamtwissen ins Unermeßliche steigt, weiß der einzelne relativ immer weniger. Er weiß vor allem nichts mehr über den Sinn des Ganzen seines Wissens. „So kann sehr wohl", bemerkt Max Born „das gigantische Wissen der Gesamtheit mit einer Verdummung und Verflachung der Individuen parallel gehen. Anzeichen sind leider genug vorhanden." Es geht heute um die Überwindung der Kluft zwischen den Natur-und Geisteswissenschaften. Von beiden Seiten wird eine neue Sicht vorangetragen, indem das Problem der Methode zurücksteht hinter dem Bewußtsein, daß es um ein neues Wirklichkeitsbild geht, das weder allein von der naturwissenschaftlichen noch allein von der geisteswissenschaftlichen Seite her erhellt werden kann. Es wächst die Erkenntnis, daß es in aller Wissenschaft um das eine selbe Problem geht: um die Erhellung der Wirklichkeit als einer Frage des Menschen. Das Ungenügen an der „reinen" Naturwissenschaft ist bei ihren führenden Vertretern schon eine fundamentale Erfahrung. Der philosophische Aspekt als die Frage nach den letzten Gründen und Begründungen des Seins und des Werdens wird unumgänglich. Dies gilt ebenso für die Physik wie für Medizin und Biologie. „Das organische Leben stellt mit seiner offenbaren immanenten Zielstrebigkeit, Ganzheitlichkeit und Sinnfülle die ausschließlich an quantitativ fixierbaren Geschehensabläufen orientierte Wissenschaft von vornherein vor unlösbare Probleme." Doch diese Grenze bleibt auch hier wie immer unüberschreitbar: daß der letzte gültige Sinn-aspekt des Menschseins nicht allein und nicht zuerst von der wissenschaftlichen Erkenntnis her gewonnen werden kann, wovon bereits in früherem Zusammenhang näher die Rede war. Könnte man sich wohl dabei beruhigen, was Friedrich Nietzsche als letztes Wort erkennt: „Welchen Sinn hätte unser Dasein, wenn nicht den, daß in uns jener Wille zur Wahrheit sich selbst als Problem zum Bewußtsein gekommen wäre"? Wenn sich mit Hans Freyer in unserer heutigen geschichtlichen Existenz „der reine Fall irdischen Daseins" abzeichnen soll, wonach wir nur einen Weg ge-ist Und der „bestimmt" nicht zu einem endgültigen Ziel führt, daß aber dennoch der Glaube, dieser Weg führe vorwärts, nicht sinnlos sei, so fragen wir: wo bleibt hier die Logik unserer Existenzfragen? Ein sinnhafter Glaube wider den Sinn? Jedenfalls aber doch auch ein Glaube, ein sehr bestimmtes weltanschauliches Bekenntnis als Voraussetzung und als letztes Wort für die „Wissenschaft im 20. Jahrhundert", was ihre letztgültige Befragung angeht. Doch worin gründet dieser Glaube für jenes „vorwärts"? Es bedarf des Mutes zu dem Eingeständnis, daß wir dann in dem modernen, durch die Wissenschaften bestimmten Dasein wirklich im Leeren stehen, weil wir keinen Boden mehr unter uns finden, der uns noch Orientierungszeichen für ein fundiertes sinnvolles Leben zu leihen imstande wäre.

Es ist heute ebenso ungewöhnlich wie wichtig, daß über allen wissenschaftlichen und künstlerischen Bemühungen immer wieder die fundamentale, letzthin ganz einfache Frage nach dem letzten Sinn, der eigentlichen Bestimmung des Menschenlebens sehr konkret gestellt wird. Dann fallen oft wie hohle Transparente die subtilsten wissenschaftlichen und philosophischen Denksysteme, künstlerischen Ausdrucks-versuche, ja auch manche theologisch-wissenschaftlichen Doktrinen zusammen in überraschende und angesichts ihres Anspruches oft schockierende Antworten oder Eingeständnisse. Dann aber erscheinen die Antworten der Religionen kaum noch in einer so primitiven Perspektive, in die man sie von bestimmten Seiten oft genug verweisen möchte Doch „soweit wir echte Kinder der Zeit sind, haben wir alle Anteil an der verzweifelten Situation des Menschen, stehen wir alle in einer Sinn-krise und unter dem Drang der Anforderungen der technologischen Gesellschaft. Als Kinder unserer Zeit sind wir alle versucht, Persönlichkeit statt Person zu sein; und wir alle, wenn wir ehrlich sind und die Zeichen der Zeit sehen, stehen im Zweifel, der heute wie noch nie zuvor der Schatten des Glaubens ist — des echten Glaubens."

Echter Glaube? Nur noch am Rande sei erwähnt, daß die Kraft und die Möglichkeit zu einem solchen echten Glauben als sinnhafte Übernahme der menschlichen Existenz oft genug grundsätzlich bestritten worden ist. Man ist der Ansicht, daß die Grundwirklichkeit gar nicht der Glaube an den Sinn war und ist, vielmehr die eigentliche Grundwirklichkeit des abendländischen Menschen der Nihilismus gewesen ist, der durch die philosophischen, künstlerischen, politischen, technischen Leistungen überdeckt wird, gleichsam wie mit einer Isolierschicht, eben weil niemand die Konfrontation mit dem Nichts aushält. Damit aber erreichen wir ebenso schockierende wie aufschlußreiche Fragestellungen anthropologischer, ja insbesondere tiefenpsychologischer Perspektiven. Hat Gottfried Benn dann wirklich recht mit der These: „Alle großen Geister der weißen Völker haben nur die eine Aufgabe empfunden, ihren Nihilismus schöpferisch zu überdecken"? Oder aber gab und gibt es nicht neben der Erfahrung der Seinsverlorenheit — diesen Terminus im allgemeinen Sinne verstanden — auch ein Seinsvertrauen, das ebenso ursprünglich und echt erscheinen kann?

Wenn es richtig ist, daß ohne die Verantwortung die Kultur abstirbt, Verantwortung aber nur aus einer sittlichen Verpflichtung heraus konstituiert werden kann, so wird die Zukunft der Menschheit soviel Chancen des „überlebens" haben, wieviel Gewicht sie ihren sittlichen Maßstäben zumißt.

Ein technologisches, ökonomisches oder gesellschaftliches, ein abstraktes oder autonomes Ethos?

Längst schon zeigt sich, daß Sachdenken ohne Sinndenken nicht ausreicht, daß die Richtbilder für das menschliche Tun nicht von den Reaktionsweisen einer individuellen oder kollektiven Psyche, nicht von der Retorte oder dem Atomkern, auch nicht von Mehrheitsbefragungen der Gesellschaft gewonnen werden können: daß fachkundliches Wissen — auch in der Wissenschaft — nicht ausreicht, daß vielmehr das Gewissen beschworen werden muß, und zwar nicht nur das Wahrheitsgewissen, sondern ebenso das Wertgewissen für letztgültige Sinnzusammenhänge.

Doch wenn auch dieses Gewissen selbst schon der „Umstrukturierung" unterlegen wäre? Schon Eduard Spranger hat daher ein Gewissen des Gewissens gefordert. — Darüber hinaus kann nur noch ein Vertrauen bestehen, das freilich auch heute noch nicht „gemacht" werden kann. Was soll das „Prinzip Hoffnung" bedeuten, wenn kein Realgrund gegeben wird, woraufhin zu hoffen ist? Wenn es richtig ist, daß Hoffnung Zuversicht einschließt daß Floffnung „freudige Erwartung" sei, so fragen wir nach dem „Grund" und dem „Ziel" der Hoffnung. Kann man Herbert Plügge wohl zustimmen, wenn er im Unterschied zu den Hoffnungen von der fundamentalen Hoffnung spricht, die sich nicht auf das richtet, was man „haben" kann, sondern das einbezieht, was man „ist", die „Selbstverwirklichung in der Zukunft" und das „Heil-sein der Person"? Ist dies wirklich realisierbar? Gibt es eine Hoffnung als das Vertrauen auf die Zukunft hin, das als Lebensvertrauen, Seinsgläubigkeit, Seinsvertrauen, Seinsgeborgenheit charakterisiert wird, ohne daß hierfür ein „Grund" außerhalb der menschlichen Verfassung selbst erfahren würde, ein „Grund", der also nur aus dem „Stimmungsboden", aus einem „Urvertrauen", aus einem Sich-Offnen der Außenwelt gegenüber erwachsen könnte? Für Otto Friedrich Bollnow stellt sich als das dringendste Problem, ob und in welcher Weise es dem Menschen möglich wäre, „die Fesseln der existentiellen Einsamkeit zu sprengen und den tragenden Bezug zu einer Realität außerhalb des Menschen wiederzugewinnen". Wenn Vertrauen umschrieben wird als „das tragende Verhältnis, das über die Gegenwart hinaus das Verhältnis zum Seinsgrund bestimmt und das etwas völlig anderes und unendlich viel tieferes ist als das leichtfertige Vertrauen auf einen günstigen Zufall", wenn dann von einer „tragenden Realität" gesprochen wird, die — nicht ohne die Voraussetzung der Bedeutung des Glaubens bei Sören Kierkegaard — bestimmt wird als „verläßlicher Halt, auf den sich der Mensch stützen kann, ein fester (archimedischer) Punkt außer ihm, der das eigene Leben allererst ermöglicht" so bleibt wiederum die Frage nach dem „Grund" dieses Seinsgrundes als „Realität außerhalb des Menschen" das eigentlich offene Problem. Aus solchen Voraussetzungen kann nur schwerlich das Gefühl einer „Geborgenheit" oder gar die Verbürgung einer sinnhaften Existenz erwachsen oder abgeleitet werden. Jedenfalls erscheint sprechenden menschlichen Grundvoraussetzungen nachvollziehbar. Wenn dabei auf einen analogen „Entwurf einer Phänomenologie und Metaphysik der Hoffnung" bei Gabriel Marcel verwiesen wird, der Hoffnung bezeichnet als den „Akt, durch den diese Versuchung (zur Verzweiflung) aktiv und siegreich überwunden wird", so sollte die differente weltanschaulich-religiöse Voraussetzung als „Vorgriff" dieses anderen Welt-und Lebensverständnisses nicht übersehen werden.

Die Alternative des Existentialismus und damit aller Lebens-Möglichkeiten wird gültig bezeichnet: „Entweder muß man anerkennen, daß ein sinnvolles menschliches Dasein unmöglich ist, und dann auch alle Konsequenzen daraus ziehen, oder aber: man muß annehmen, daß ein sinnvolles menschliches Dasein trotz aller bedrängenden existentiellen Erfahrungen dennoch möglich ist. Dann aber muß man die Voraussetzung dieser Möglichkeit des menschlichen Lebens anerkennen und von hier aus zur Überwindung des Existentialismus ansetzen." Damit ist das Wesentliche gesagt, jedoch mit unserem Vorbehalt, daß diese Anerkennung und diese Annahme nicht allein über die Reflexion erreicht werden kann, sondern nur über einen jeweiligen Glauben — dieser oder jener Richtungsbestimmtheit: einen Glauben, der niemals nur selbst gesetzt oder erzwungen werden kann, einen Glauben also, der „da" ist, als „Geschenk", als naturgegebene „Mitgift" oder als gottgegebene Gnade: Niemand kann Gott zuvorkommen. Niemand kann Gott suchen, er hätte ihn denn schon gefunden Genau um diese Ansatzgebundenheit und Verbundenheit geht es ehedem wie heute. Nicht erst Max Scheler, schon die augustinische Tradition hat davon gewußt, daß die Liebe der Erkenntnis vorausgeht, sie bedingt.

Gewiß gibt es auch ein Hoffen wider alle Hoffnung, was aber doch eher aus der Verzweiflung geboren ist. Unsere Zeit lebt geradezu in diesem Schwebezustand zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Und wird nicht das „Prinzip Hoffnung" dabei oft nur aus der Kompensation erwachsen, noch einen „Halt" zu einer Lebensmöglichkeit zu finden, nachdem die Tradition weithin nicht mehr tragen?

Es könnte sich wieder die Frage erheben, ob das „Instrumentarium des menschlichen Lebenszuschnitts" nicht auch einer „Enge“ der menschlichen Möglichkeiten unterliegt, ob die Kräfte in unserer Zeit dazu gar nicht mehr ausreichen könnten, um uns selbst noch sinnhaft zu erfahren und zu behaupten. Der Mensch sucht daher „Sinn" in Teilgebieten des Lebens Die Hingabe an den Beruf, an das Werk, an eine öffentliche Tätigkeit, an die Familie, den Staat, die Gesellschaft ersetzen und verbürgen zugleich den „Lebenssinn", der nicht mehr in und aus den organischen Bezügen zur ganzen Wirklichkeit gefunden wird, sondern wie eine „Insel" (Dillhey), eine „Enklave" (Jaspers) nur noch ein vordergründiges bzw. vorletztes Teil-gebiet als „inselhafte Weltanschauung" (von Gebsatlel) umschließt und möglicherweise absolut setzt, das heißt auch ideologisiert. Und werden an der Verlegenheit um seine eigentliche Bestimmung in dieser Welt Weltraum-techniker etwas ändern? Was nützt es dem Menschen dieser Erde, wenn er den ganzen Weltraum gewinnt, aber darüber seine Seele, seinen Maßstab, seine menschlich-freiheitliche Würde, sein humanes Menschentum verlieren sollte? Sollen etwa die Weltraumtechniker oder Sozialingenieure oder Kultursoziologen ihm sagen, wo seine Wertziele liegen, die ihm ein sinnvolles Leben verbürgen? „Die westliche Welt ist in einer Sackgasse. Sie hat viele ihrer ökonomischen Ziele erreicht und den Sinn für das Ziel des Lebens verloren."

Dem Tod Gottes folgte der Tod des Menschen. Dies ist unsere Situation, die an der Schwelle zur Zukunft den Weg markiert: „Das Problem des 19. Jahrhunderts war, daß Gott tot sei; das des 20. Jahrhunderts, daß der Mensch tot ist. Im 19. Jahrhundert bedeutet Unmenschlichkeit soviel wie Grausamkeit; im 20. Jahrhundert besteht die Inhumanität in schizoider Seibstenttremdung. Die einstige Gefahr war, daß der Mensch zum Sklaven werde; die künftige ist: daß Menschen zu Robotern wer-den." Es gibt namhafte Physiker, wie Max Born und Walter Gerlach, welche die Weltraumeroberung als unsinnig und für den Astronauten selbst als unmenschlich abgelehnt haben. Ist es nur der Wissensdrang, das Erkenntnisstreben? Oder ist es nicht zuerst und gewichtig das Streben nach machtpolitischen, militärtechnischen „Stützpunkten" im Weltall, hier „unten" aber der Kampf um das Prestige, das Weltprestige?

Die Welt wird konformiert durch Uniformierung der Daseinsformen und Daseinsnormen, vor allem aber durch die allgemeinen technologischen Denkmethoden und Lebenspraktiken. Der homo globalis ist der Neue Mensch, der vollkommene Mensch, der sein Menschentum aus der Hand des Weltbürgertums empfängt, das als konventionelle Kristallisation auch die ethischen, die sozialen und rechtlichen Normen „errechnet", fixiert und allen Menschen zu glauben vorstellt und sie dazu anhält. Am Horizont der Geschichte erscheint die Vision „einer fertig gewordenen, von Managern größten Formats geleiteten Welt". Doch scheint eine solche Welt mit einer fabrizierten Umwelt, einer durchorganisierten Produktion, einem vollkommen zivilisierten Menschen und einer zentral verwalteten Erde „eher einer Hölle" zu gleichen als dem Paradies Die Planungsfreudigkeit steigt ins Ungemessene, wobei das Thema der Überwachung und Beherrschung der Erde von einem künstlich geschaffenen Mond aus heute — trotz aller Weltraumverträge — als ein letztes, fast in greifbare Nähe gerücktes Endziel erscheint. Hyper, Super, Fortschrittlich, Neu sind die Parolen eines revolutionären Reformismus im Stil der Neuen Zeit.

Die Frage nach den Möglichkeiten des Mensch-seins in der Zukunft, also die Frage, woher überhaupt die Möglichkeiten geschöpft werden können, „auf die sich das Dasein faktisch entwirft", ist heute sehr umstritten. Der Rückgriff auf die Vergangenheit, die Tradition, scheint für viele kaum noch eine Wirklichkeit zu bedeuten. Aber auch ein neuer überstieg zur Transzendenz läßt keine realen Anhalte erkennen. Was heute im Kurswert steht, ist der Vorgriff auf die Zukunft. Diese Zukunft als die Schöne neue Welt ereignet sich nach jenen Vorstellungen wie ein Prozeß, der nicht aufhaltbar ist, nachdem das Fortschrittsverlangen und die technische Perfektion wie eine brennende Leidenschaft den Menschen über-kamen. Solche Bestimmungen betreiien den Westen ebenso wie den Osten. Und auch selbst im asiatischen Raum und anderswo gewinnt dieser Prozeß Macht über jenes im Grunde ganz anders geartete Menschentum. In der chinesischen „Kulturrevolution" geschieht derzeit im Prinzip nichts anderes, als was in der westlichen Welt und dann auch etwa in Japan geschah: die Ablösung einer traditionellen Lebensauffassung und Lebenshaltung durch ein neues Bild vom Menschen, der Gesellschaft und der Welt überhaupt. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß die „Kulturrevolution" einen Prozeß, der anderswo sich über Zeiträume von Jahrhunderten erstreckte, eben als Prozeß der „Säkularisierung", radikal zu erfüllen versucht.

Hier erscheint dann jene heute spezifische Lebensfrage des Menschen und der Menschlichkeit, ob es in einer Massengesellschaft überhaupt noch Individualität geben könne. Aber ist denn wirklich, wie schon früher gefragt, die Anonymität des Individuellen und Persönlichen nicht geradezu ein Symptom für diese Menschen? „Sie blicken uns eigentlich nicht an, sondern wenden uns in ihrem stechenden Blick oder in der Blicklosigkeit ihre leeren Augen zu. Sie sind als sie selbst gar nicht da. Es redet durch sie, sie selbst sprechen nicht. Es ist eine Gewaltsamkeit des Fraglosen oder ein Lächeln der Geläufigkeit. Es bietet sich eine jederzeit austauschbare, persönlich-menschlich unzuverlässige Kameradschaft an. Man unterwirft sich in dem Terror dem, was als Linie befohlen wird, oder in der Konvention dem, was alle tun und zu glauben scheinen."

Im Grunde beinhaltet die Thematik „Masse und Ich" drei Fragen. Die einen lauten, ob der Mensch heute angesichts der Zudringlichkeiten seiner Lebenswelt noch ein Einzelner sein will bzw.sein und bleiben kann. Die andere Frage aber greift noch tiefer: ob dieser Mensch ein menschliches Ich überhaupt noch zu bilden fähig ist, das heißt doch, ob er imstande ist, „einen Kern seiner Person, welcher Dauer und Geschichte hat und sich nicht von Situation zu Situation auflöst oder sich von Erlebnis zu Erlebnis neu konstituiert", neu zu fixieren. Denn ein Massenmensch, so konnte man definieren, ist „ein Mensch im Zustand der Ichlosigkeit, ohne daß er weiß, was im fehlt oder was er verloren hat. .. Um Teilhaber eines Massenbewußtseins zu werden, das stellvertretend denkt, muß man das eigene Bewußtsein aufgeben, zumindest einen Teil des Ichs, der diesem Bewußtsein die persönliche Weitsicht verleiht." Unter solchen Voraussetzungen gewinnt die heute so unbeschwert bemühte Forderung nach Formung und Selbstformung der „Persönlichkeit" eine äußerst vielschichtige und bedrängende Perspektive.

Ob aber Michael Plliegler wirklich recht hat, daß es heute eine neue Glaubensoffenheit und Glaubensbereitschaft gibt? „Sie ist", so heißt es, „zunächst eine jenseits aller Erwartungen und aller Wünsche und allem Widerstreben liegende Atmosphäre. In ihr leben wir alle, die Menschen des Glaubens, die Menschen der Sehnsucht nach ihm und die Menschen des Unglaubens." Wer wollte dies gültig entscheiden? Gibt es tatsächlich in der Breite ein Irre-werden an der alleinigen Herrschaft der Vernunft, ein Irrewerden am Fortschrittsglauben als Heilsgeschehen? Ob man wohl wirklich der Auffassung beitreten könnte, daß der neuzeitliche Mensch sich „müde geschleppt" hat an seiner Antinomie und Diesseitigkeit, daß wir heute in einer Krise des Immanenzgedankens und seiner Konseguenz stehen? Das große Unbehagen inmitten aller Fortschrittserfahrung hat Karl Jaspers zu deuten gesucht als die fast paradoxe Angst vor dem Ende: „In der Rationalisierung und Universalisierung der Daseinsordnung ist gleichzeitig mit ihrem phantastischen Erfolg das Bewußtsein des Ruins gewachsen bis zur Angst vor dem Ende dessen, worum zu leben es sich lohnt."

Ein Ende des prometheischen Verhaltens, das an eine Omnipotenz des Machens und des Machbaren glaubt, da das Unheil unserer Zeit in der Selbstherrlichkeit des Menschen liegt Ein Ende der Alleinherrschaft des rechnenden und vorstehenden Denkens, weil eine „Kehre" zu einem neuen Denken notwendig sei? Ein Ende der Selbstgewißheit der Vernunft zugunsten der Erfahrung des Seins Martin Heideggers These vom „Seinsgeschick" des heutigen Menschen, das in Anlehnung an Nietzsche und Hölderlin als Einbuße der Kraft und Geltung der übersinnlichen Welt, der Ideen Gottes, des Sittengesetzes, der Vernunftautorität, des Fortschritts, der Kultur benannt wird, das aber nicht das letzte sei, verbleibt nur in Andeutungen. Seine Prophetie, daß nach der technisch verfestigten „Weltnacht" ein neuer Tag, ein neues Weltalter verborgen liege, bleibt ohne bestimmte Konturen. Was soll heißen, daß der neuzeitliche Mensch „in die Weite seines Wesensraumes zurückfinden" muß, damit sich ein Wesensverhältnis zwischen Mensch und Technik stifte Wie weit ist dieser Wesensraum des Menschen und welche Kriterien liegen bereit, um diesen Wesensraum zu bestimmen? Was gehört zu seinem Wesen? Gehört dazu auch die Verwurzelung in den naturhaften Ursprüngen, die, gerade durch die Technik ihrer Lebens-bedeutung enthoben, das menschliche Bewußtsein aber dadurch umstrukturieren könnte, so daß jene „neue Stiftung" gar nicht möglich wäre? Oder gibt es einen strukturalen Wesenswandel des Menschen?

Bedeutet es uns heute einen nachvollziehbaren Weg, wenn Ludwig Binswanger dem Inder-Welt-Sein als Sorge und der Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit im Verständnis von Martin Heidegger das „Beheimatetsein als Liebe", die „Ewigkeit der Liebe", das „Miteinandersein von Mir und Dir", die „Wirheit in Liebe" gegenüberstellt?

Kann die These von Arnold Gehlen vom Menschen als „Mängelwesen", als „Zuchtwesen", das sich selbst und seine Umwelt so gestaltet, daß es leben kann, mit dem anthropologisch-biologischen Fazit, der Mensch müsse erkennen, um tätig zu sein, und er müsse tätig sein, um leben zu können, morgen leben zu können, uns beruhigen?

Oder hat Konrad Lorenz recht, daß der wahrhaft humane Mensch erst ein Zielbild in der Entwicklung des Menschen ist, wir aber nur Zwischenglieder zwischen dem Tier und jenem Ziel?

Ein Ende des technischen Zeitalters? Anbruch einer neuen Zeit, die mit dem Atomzeitalter begonnen hat und nur eine „Expansion nach innen" bedeuten kann, wie dies Georg Siebers verstehen will? Ob es wohl wirklich begründbar wäre, daß „eine neue Welt" und ein neues Weltbild, deren Kerngehalt Frieden und Menschlichkeit bilden, sich zusammenfügen, wenn eine Katastrophe vermieden wird

Das sind Postulate, für die jedoch keine hinreichenden Anhalte bereitliegen. Es erscheint uns daher fraglich, ob es überhaupt noch um Willensimpulse künftig gehen kann, ob nicht vielmehr auch der künftige Kulturprozeß nicht lenkbar ist, wie eben alle früheren nicht lenkbar waren, nur retrospektiv interpretiert wurden. Doch damit rühren wir an die tiefste, aber ebenso unlösbare Problematik um Gesetz und Freiheit in der Geistesgeschichte

Im Grunde zeigt sich die Signatur eines Zeitalters daran an, was seine „Zeitgenossen" glauben. Die Geistesgeschichte der Menschheit ist eine Geschichte ihrer Weltanschauungen, die wiederum als eine Geschichte ihrer Glaubenshaltungen zu bestimmen und zu erheben ist

Gibt es ein tragendes Gemeinsamkeitsbewußtsein eines Zeitalters? Doch gab es nicht selbst im christlichen Mittelalter nur eine virtuelle Einheit? Immer gibt es eine „dynamisch-antinomische Einheit", da innerhalb einer Epoche die vorhandenen Polaritäten sich aneinander orientieren und die verschiedenen Standorte wirklich erst verstehbar sind, wenn man sie als „die verschieden gearteten Versuche der Bewältigung desselben Schicksals und der dazugehörigen sozialen und geistigen Problematik zu erfassen imstande ist"

Für unsere Thematik hieße dies zu fragen: ob für die menschliche Existenz in der modernen Welt ein durchgehendes Strukturprinzip erkennbar sein könnte. Formal ließe sich ein solches Strukturprinzip gegenwärtig fast in einem „Weltprinzip" erheben. Es ist die betroifene Erfahrung eines progressiven Sinnverlustes mit dem Zweifel an der Möglichkeit eines sinnvollen Daseins inmitten einer als Realität ebenso oft angenommenen wie verworfenen neuen „gemachten“ Welt mit den verschiedenen Reaktionen und Fluchthaltungen. Die äußere Unsicherheit und die innere Ungeborgenheit heutigen Menschseins — selbst unter der Decke absolut fortschrittlicher Ideologien — bedrängen alle Welt. Die ängstigende Sorge um den Hort und Halt einer sinn-verbürgenden Lebensantwort ist zu einer, ja zu der Weltfrage geworden. Das Bewußtsein, im Wandel eines Weltprozesses zu existieren, dessen Weg und Ziel unbekannt sind, der uns „überkommt", dem wir ausgeliefert sind, spricht aus vielen Zeugnissen des Selbstverständnisses in der heutigen Welt

Es betrifft schließlich die tiefste, nochmals zu erinnernde Problematik, wenn nach der Freiheit des Menschen und ihrer Möglichkeit im gesellschaftlichen Raum überhaupt gefragt wurde. War der Mensch denn je frei? Etwa in der statischen Gesellschaft, die seinen inneren und äußeren Lebensraum mit den konstanten Sozial-und Bewußtseinsstrukturen wie selbstverständlich umfing? War nicht auch der traditionsbestimmte Mensch in diesem „Gehäuse" seiner eigenen Entscheidungen weithin enthoben, ja entlastet? Waren nicht Sitte, Konvention, Religion diesem Menschen immer jeweils überkommen als geheiligte Mächte, ohne daß er sich dieser kritisch noch bewußt werden konnte? War also der Mensch nicht immer schon „gebunden", niemals ganz er selbst? Und ist der Mensch heute frei? Kann er frei sein angesichts der offenbaren Superstrukturierung seines Lebens, seiner Lebensmöglichkeiten Es bleibt uns dann nur noch die Erfahrung jenes Geheimnisses, daß menschliche Freiheit immer und nur in der bewußten gewissentlichen Bindung möglich wird, daß es niemals ein Dasein ohne Glauben geben kann, sei es, daß diese Bindung als Überantwortung an eine göttliche Macht oder als eine Auslieferung an einen anonymen „Prozeß“ in der menschlichen Konstitution selbst, in der Natur, in der Kultur, in der Gesellschaft, in der Geschichte verstanden wird.

XIX. Hat die Religion noch eine Zukunft?

Extrem widersprechend sind die Prognosen, die sich auf die Zukunft der Religion beziehen. C. W. Ceram prophezeit in seinen „Provokatorischen Notizen", daß das Zeitalter der Hochreligionen dem Ende entgegengehe infolge des naturwissenschaftlichen Einflusses. Die gesamte abendländische Zivilisation werde von den Völkern Asiens und Afrikas übernommen, nur nicht das Christentum, da dies tot sei. Doch der abendländische Raum bilde ebenso keinen Raum für die Hochreligionen, die dann mit dem Christentum sterben. Die Gefährdung der Weltreligionen wird mit dem Wandel des Lebensgefühls, der neuen kritischen Einstellung zur Autorität und den religiösen Institutionen begründet. Es soll daher als sicher gelten, „daß die Religionen in ihren alten Formen nicht unverändert weiterbestehen können" Andererseits soll sich die Konkurrenzfähigkeit der Religion der Zukunft an bestimmten Merkmalen erweisen: Sie muß transzendental, universal, realistisch und historisch gewachsen sein, und dies sei allein das Christentum

Alfred Weber hat mit der Unterscheidung von drei historischen Zeitschichten mit einem je bestimmten Menschentyp und schließlich einer vierten Schicht, die in der Entwicklung begriffen ist und in die Zukunft weist, eine besondere Kulturanthropologie benannt. Am Beginn steht der gebundene Mensch. Dem in den Hochkulturen sich entwickelnden Menschen folge der an Freiheit und Gerechtigkeit orientierte abendländische neuzeitliche Mensch mit der Ausbildung von „Sozialreligionen"

demokratisch-sozialistischer Art. Heute ist der vierte Mensch im Kommen, der bei der zunehmenden technischen und organisatorischen Gestaltung des Daseins mit den Apparaturen, Großräumigkeiten, Großorganisationen, Spezialisierungen und Rationalisierungen nur noch als Funktionär ökonomischer und technischer Vorgänge zu existieren vermag. Alfred Weber sieht die Gefahr einer Spaltung der Pesön-lichkeit in ein relativ gutartiges Menschentum und in ein unpersönliches Funktionärstum mit mechanisiertem Intellekt und Willen. Die Frage Webers gilt den heute noch das Dasein gestaltenden und umfangenden „Spontaneitätsfaktoren" als den großen „Sozialreligionen", wie sie der bedrohenden Entpersönlichung, Funktionalisierung und Enthumanisierung begegnen wollen, um das gefährdete Menschentum zu retten.

Auch die Stunde, unter die die Christen dieser Zeit gestellt sind, lebt von der Zukunft her. Der moderne Zukunftsmythos mit seinen evolutionistischen und fortschrittlichen Perspektiven hat auch teilweise die christliche Theologie und ihre Interpreten nicht unbeteiligt gelassen. Teilhard de Chardin ist ein bekanntes Zeugnis für den Versuch, die biologische, geistige, technische, bewußtseins-geschichtliche Entwicklung der Menschheit auf die Zukunft hin christlich zu interpretieren und zu systematisieren. Hier liegt jedoch die Gefahr nahe, christliche Kategorien der Endzeiterwartung mit immanent datierten und nur so „entwickelten" und begründeten Evolutionsgesetzen zu harmonisieren, den Schöpfer-und Erlösergott zu einer Welt-Prozeß-Entelechie — fast in Analogie zu deistischen Vorstellungen — zu degradieren

Das Christentum wird als „die Religion der absoluten Zukunft" bestimmt. „Das Christentum ist eine Hoffnung der Zukunft. Es versteht sich und läßt sich verstehen nur von der Zukunft her, die es als absolute auf den einzelnen Menschen und die Menschheit zukommen weiß. Seine Deutung der Vergangenheit geschieht in der und durch die fortschreitende Enthüllung der sich nähernden Zukunft, und der Sinn und die Bedeutung der Gegenwart ist für den Christen begründet in der hoffenden Offenheit des Näherkommens der absoluten Zukunft." Doch ist diese eschatologische Perspektive wirklich so neu? Lebte nicht auch der mittelalterliche Christ sub specie aeternitatis? Was freilich heute in einer Zukunftstheologie noch nicht befriedigend beantwortet wurde, ist jenes mittelalterliche zentrale Kulturproblem der Existenz: Wenn das Ende als der neue Anfang alles ist, — wie kann dann gültig die geheime Weltflucht vermieden werden? Es wird alles darauf ankommen, daß christliches Selbstverständnis die rechte Ordnung findet. Nicht, daß jeder Tag, mit dem man sich vom „Anfang", dem Evangelium, zeitlich weiter entfernt, auch als eine Entfernung vom Eigentlich-Christlichen, als „De-Christifika-tion", erfahren wird, wie dies einem betont konservativen Verständnis eigen war. Ebenso problematisch wäre es, die christliche Existenz allein von der Eschatologie her zu begreifen. In dieser Antinomie zwischen Ursprung und Ende findet sich die christliche Existenz gegenwärtig fast dramatisch eingespannt.

In den großen christlichen Kirchen stehen sich heute jene beiden Fronten, die konservativ-traditionelle und die existentielle Theologie, wie feindliche Brüder gegenüber. Was heute betroffen ist, sind nicht mehr „sekundäre Merkmale", es sind die tragenden Mysterien der christlichen Botschaft selbst, zugleich aber auch die Strukturen und Kriterien dafür, was Kir-chentum dann noch bedeuten kann und soll. Es geht nicht nur um pastorale Probleme der Religion in der modernen Industriegesellschaft. Es geht um die Glaubwürdigkeit des Evangeliums selbst: Wer war dieser Jesus Christus?

So findet sich heute die protestantische The logie in der Spannung zwischen der Verkündigung eines „Zeitalters nach dem Tode Gottes" und dem reformatorischen Bekenntnis-glauben in einer nicht mehr zu überbrückenden Krise. Ebenso hat man schon von einem verhängnisvollen Riß in der katholischen Weltkirche gesprochen — zwischen den Traditionalisten und den Progressisten. Und was bisher für den Protestantismus zum zersetzenden Problem wurde — die Einheit und der innere Friede der Kirche —, das wurde nun auch zum sorgenvollen Anliegen in der katholischen Weltkirche. Freisetzung von Möglichkeiten durch das letzte Vaticanum bedeutet auch Freisetzung sprengender Tendenzen, die nun im Namen jener neuen Freiheiten sich zur Geltung zu bringen suchen. Genau hier aber gewinnt die fundamentale Frage, inwieweit Einheit in Glaubens-und Lebensfragen ohne autoritative Systemgebundenheit — auch eine Gebundenheit durch eine mit göttlicher Verbürgung signierte Autoritas — bewahrt und gewahrt werden kann, ihren zentralen Stellenwert. Auch die Geschichte dieser Kirche kennt Schismen und erbitterte Glaubenskämpfe — auch intra muros. Doch zuletzt wurde die Einheit durch die Anerkennung der kirchlichen Autorität immer wieder garantiert. Heute ist eine ganz neue Situation erkennbar. Denn gerade diese verbindliche Autorität wird durch die Freisetzung des Gewissensentscheids des einzelnen in Frage gestellt, was mit einer grundsätzlich veränderten Haltung gegenüber der Autorität überhaupt und einem anderen Bezug zum Gehorsam, zum Dienst und zur personalen Reifung und Verantwortung einhergeht.

Wir stehen vor dem eigentlichen Problem der Gegenwart: Ob die Abstoßung des Christus-glaubens aufzuhalten ist oder nicht. Es wird die ernste Frage erhoben, ob die Menschheit einem religionslosen Zeitalter entgegengeht. Georg Vicedom bemerkt hierzu, daß die Massen letztlich vom Christentum oder von den Kirchen keine Antwort mehr auf ihre Fragen und keine Lebenshilfe mehr erwarten. Die Kirchen aber seien andererseits mit einem nominellen ihnen Christentum zufrieden. ist nicht gelungen, die mangelnde Bereitschaft des Menschen, auf den Anruf Gottes zu hören, zu durchbrechen." Was heute herrscht, ist ein „konturenloser Glaube ohne Bekenntnis zu Gott und seiner Gemeinde". Der moderne Mensch fragt nach dem Nützlichkeitsgehalt, nicht nach dem Wahrheitsgehalt der Religion, die er nur noch im Zeichen des Sicherheitsbedürfnisses und der Eindämmung der Lebensangst zu beurteilen vermag. Was aber auch die sogenannten „Gebildeten" über die Religion auszusagen wissen, ist von erschütternder Unkenntnis und „säkularer Primitivität" Die religiösen Fragen gehören einem Bezirk an, der gar nicht mehr im Bewußtsein steht, als Randzone nicht beachtet wird, aber auch gar nicht beachtet werden muß, weil der Wertcharakter der Religion nicht nur im öffentlichen Leben, sondern ebenso auch im Haushalt der Privatperson praktisch ausfällt. Die religiöse Sphäre als ist unwissenschaftlich und unsachlich und -unmo dern nicht mehr Man empfindet gar existent.

es daher durchaus nicht als Mangel oder gar als „Bildungslücke", wenn man darüber nicht „informiert" ist.

Wenn die Welt „zu einem geschlossenen System funktionierender Zusammenhänge" geworden ist, „die der Mensch wissenschaftlich übersehen und technisch bewältigen kann" so bleibt für einen Gott hier kein Raum mehr. Die bisherigen Formen des Gottesumgangs in der Natur, der Metaphysik, in der personalen Begegnung, in der mitmenschlichen Beziehung der Hilfe und des Mit-Leidens sind heute für viele ebenso fragwürdig geworden wie der Gott der Güte, der Barmherzigkeit, der Erlösung oder gar der Gott des Zornes, der Strafe, der Rache, der Vergeltung. In jenem System der menschlichen Errungenschaften, der Planungen und Manipulationen ist ein göttliches „Walten" überflüssig geworden. Wenn überhaupt, so sucht man das Gottesbild im christlichen Raum zu „funktionalisieren" mit dem Rückgriff auf die Schöpfungsidee, wobei der Mensch zum Partner Gottes in der evolutionären schöpferischen Gestaltung des Menschen selbst und seiner Welt wird. Allein auch die Erfahrung der „Grenzsituationen", des Schicksals, des Leids, des Todes vermögen weithin nicht mehr den Anstoß zu einer Antwort auf die Frage von Kurt Tucholski zu intendieren: „Wer ist das eigentlich — Gott?" Was solcher Erfahrung der fortschrittlichen permanenten Schöpfung am ehesten entgegensteht, eben als das katastrophale Ende, als das notwendige Scheitern, nämlich die Grenze des Todes, wird in solchen Systemen nicht mehr angenommen. Er wird eingeklammert, neutralisiert, er wird zu dem Störungsfaktor im Funktionszusammenhang des Organisationsmechanismus und der manipulierten Zukunft. Hier scheint uns die eigentliche Inkonsequenz bestimmter Fortschrittsideologien schlechthin zu liegen, eine Inkonsequenz, ja ein „Komplex", dessen tiefenpsychologische Aufschlüsselung für eine solche menschliche Daseinsverfassung und ihre mögliche psychopathologische Befindlichkeit geradezu alarmierend wirken könnte.

Doch mit dem Schwund des Gottesglaubens im christlichen Verständnis wuchs die wesenhaft neuzeitliche Erfahrung des Menschen: daß der Mensch ohne die Hilfe eines Gottes so recht eigentlich Mensch sein wollte, daß also das Heil des Menschen von ihm selbst und seiner Welt erwartet wird — nicht aber von einem Gott als Befreiung von Sünde und Schuld. Wenn es ein Zeichen dieser neuen Befindlichkeit des Menschseins ist, die Tragik selbst aus der Welt zu schaffen, so kann es keine Sünde und Schuld mehr geben, es sei denn das Böse und die Schuld entstammen nur der mangelnden Einsicht in die aus Vernunft und Natur und Gesellschaft zu erhebenden Lebensgesetze des Menschen. Erlösung bedeutet dann Einsicht in diese Lebensgesetze, Erlösung aus den dunklen Verstrickungen noch ungeklärter, das heißt heute tragischer Hintergründe unserer Existenz. Erlösung aber heißt immer auch Erlösung von der Lebensangst, welche die menschliche Existenz als ein „Existential" wesenhaft bestimmt und bedrängt. Damit aber wurde die Angst zum zentralen Problem eines Selbstverständnisses, in dem ein Gott keinen Raum mehr hat, zumal die Religion selbst erklärt wird aus Angstpsychosen, aus der Lebensangst vor dem Tode. Erst als der Mensch sich ängstigte, gab es danach Religionen. Die christliche Lehre von dem Endgericht habe aber als Sündenangst, als Angst vor der ewigen Verdammnis und damit vor dem Tod, die Angst noch in besonderem Maße gesteigert. Erlösung meint dann heute vor allem: Befreiung von der Angst, sei es durch Überantwortung an den kollektiven determinatorischen Welt-und Gesellschaftsprozeß im Dialektischen Materialismus, sei es durch Erhebung unbewußter Reaktionen ins klärende Licht des psychotherapeutischen Sprechzimmers u. a. Damit wird Religion zum Relikt vergangener Zeiten oder noch zum zweckbedingten Mittelwert, wie auch die modernen Werttafeln eher noch als Verkehrszeichen für ein mögliches Zusam-menleben betrachtet und begründet werden. Ein verbreiteter Atheistischer oder Evolutionärer Humanismus meint die Ersetzung der Religion und Metaphysik durch ein Ethos raionaler menschlicher Sekurität und der rationalen Kategorie der Präzision unter Ablehnung jedes Irrationalismus Das Göttliche wird heute in verbreiteten Systemen höchstens noch als die soziale Wirklichkeit verstanden und damit verflüchtigt. Oder hat Sigmund Freud recht, wenn er mit seiner These von dem religiösen Erlebnis als eines illusionären Überbaues des Trieblebens das „Zerrbild der Religion" entlarven wollte? Oder aber besteht ein Anhalt für die Einsicht des anglikanischen Bischofs J. A. T. Robinson wonach ein Mensch, der ganz und gar unserer Zeit angehört, ein Atheist sein muß oder zumindest sein darf, bevor er Christ sein kann? Karl Jaspers sieht für die Masse „eine Welt vollkommener Glaubenslosigkeit, in ihr die Maschinenmenschen, die sich und ihre Gottheit verloren haben", heraufziehen.

Die moderne Gesellschaft beruht im westlichen Raum nicht mehr auf dem christlichen Glauben. Es stellt sich die Frage, ob wohl diese Gesellschaft in ihrer Struktur areligiös angelegt ist. Im Grunde bestimmt heute ein mit dem Glauben an die Omnipotenz der Wissenschaft oder auch verbreiteten Ersatzformen der Religion einhergehender ofiener oder geheimer Atheismus die Struktur der zivilisierten Welt, eine Merkmaligkeit, die den Westen und den Osten weithin bestimmt — und verbindet.

Hier wäre ein weites Feld zu beschreiben, das von den vielschichtigen Formen der modernen Ersatzreligionen als Heilsbestätigungen ausgefüllt wird. Sie reichen von der perfektionellen Technokratie als Ersatzziel der Welterlösung, von der Wissenschaft, die an die Stelle der Religion trat, bis zu der Massensuggestion des Sports, der sexuellen Triebbefriedigung und einer bestimmten Psychoanalyse als Formen der Selbsterlösung

Hat also die Religion noch eine Zukunft?

Nicht nur das Christentum, auch die Religionen Asiens und Afrikas wurden in den existentiellen Kulturwandel der Neuen Welt einbezogen, deren künftige Konturen noch niemand abzusehen vermag — trotz aller futurologischen Berechnungen und Modellvorstellungen. Darüber hinaus gibt es keine begründeten Anhalte für eine Prognose, eben weil wir nichts darüber wissen, ob der künftige Mensch in seiner Bewußtseinsstruktur fundamental verändert und „umstrukturiert" sein wird, so daß Dostojewski mit seiner Frage in den „Dämonen" das eigentliche Problem benannte: ob dieser moderne technisierte Mensch überhaupt noch glauben bzw. religiös sein kann Wir haben noch keine Erfahrungen darüber, ob sich auch künftig — wie man bisher etwa mit Rudolf Otto 198a) annahm — die These von der aprioristischen Anlagebedingtheit der Religion als Kategorie des Heiligen, als sensus numinis als gültig erweist. Wenn Goethe mit seinem Wort an Eckermann meinte, „die Menschen sind nur solange produktiv, als sie religiös sind, dann werden sie nur noch nachahmend und wiederholend", so scheint heute eine breite wissenschaftliche, soziokulturelle, lebensstilistische und auch künstlerische Orientierung gerade die Umkehrung einer solchen Einsicht zu bestätigen. Dann also sind die Menschen nur solange produktiv, als sie auf sich selber stehen, das Religiöse aber höchstens als Hypothese, vielleicht noch als das „ganz andere", als das Funktional-Hintergründige gelten lassen. Echte Sinnhaltungen werden geboren in der persönlichen Belastung, in der Not, in der Bedrängnis und — was so ganz abhanden kam — in der Stille einsamer Begegnung mit dem Ich, dem Geschick, dem Innenraum seelischer Versenkung. Was uns heute an neuer Geborgenheit, an neuen ethischen Tafeln und an neuen Tragflächen für die Existenz angeboten wird, leidet doch zumeist an seelisch-geistiger Kurzatmigkeit und trägt das Signum verdrängter Verzweiflung und Ausweglosigkeit gar zu deutlich zutage. Sollten seelische Vertiefung, menschliche Reife, humane Gesinnung wirklich auch wieder nur noch aus notvoller äußerer und innerer Bedrängnis erwachsen können, welche die betroffene Erfahrung zu leihen vermögen, daß der Mensch doch mehr ist als das Kollektiv, als „Ingenieurgeist", als Lebensstandard, Tourismus und Glücks-und Triebbefriedigung in Wohlstandsgesellschaften? Ist es nicht bestürzend, wenn ein Historiker von Rang wie Arnold Toynbee die These vertritt: Jede Höhe der Kultur wird gesprengt durch ein inneres Proletariat, das nicht teilnimmt an den Kulturschöpfungen, die nur von einer Minderheit geschaffen und genossen werden — können. Die nächste Stufe sei der Ansturm eines äußeren Proletariats, der Barbaren.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß der heutige Mensch bei und trotz der rasanten und fundamental umwälzenden Entwicklungen in den naturwissenschaftlichen und existentiellen Bereichen sich an das umwälzend Neue, was ihm gestern noch als unvorstellbar galt, ein-fachhin gewöhnt. Ständig stehen wir in der Erwartung der Verwirklichung eines uns bis dahin kaum noch Vorstellbaren — und dies ohne besondere Schockreaktionen. Es wird fast wie ein selbstverständliches Faktum hingenommen. Dabei scheint es ebenso evident, daß diese „Hinnahme" nicht ohne psychische Reaktionen bleiben kann, die letzthin doch mit einer Änderung unserer gesamten Bewußtseinsstruktur unser persönlichstes Lebenszentrum selbst beteiligt und unterschwellig verändert — bis in unsere Grundbezüge zu Maßstäben der Lebensauffassung, der Lebensführung, des Lebensstils, der Moralen usf. Der Mensch ist jedenfalls — offenbar seit Jahr-hunderten — darauf vorbereitet, daß die „Natur" uns nicht nur trägt, wir ihr nicht nur ausgeliefert sind, sondern daß wir sie in unseren Griff bekommen können. Dies gilt schließlich auch für die eigentliche Revolution dieses Jahrhunderts: für die gezielte Planungsmöglichkeit der menschlichen Gene, der Erbsubstanz. Eine solche totale Manipulierbarkeit des Menschen als Menschen, wie sie angestrebt wird, würde in ihren Auswirkungen noch weit über die atomaren Perspektiven und Schrecknisse hinausgreifen.

Unter den Konturen des modernen Selbst-

und Weltverständnisses gewinnt dieses Lebensverständnis zugleich eine fast tragische Perspektive. „Der moderne areligiöse Mensch nimmt . . . eine neue existentielle Situation auf sich: Er betrachtet sich nur als Subjekt und Agens der Geschichte. . .; er akzeptiert keine Art von Menschlichkeit außerhalb der menschlichen Verfassung, wie sie sich in den verschiedenen geschichtlichen Situationen erkennen läßt. Der Mensch macht sich selbst, und er kann sich nur wirklich selbst machen in dem Maß, als er sich selbst und die Welt desakralisiert. ... Er kann nicht wirklich frei sein, ehe er nicht den letzten Gott getötet hat." Dennoch aber verfügt er über eine ganze „verkappte Mythologie" und viele „abgesunkene Ritualismen"; er bewahrt immer noch Spuren vom Verhalten des religiösen Menschen, wenn auch diese Spuren ihrer religiösen Bedeutung entkleidet sind. Wir wissen um die Paradoxie, die sich für diesen modernen Menschen daraus ergab, daß er sich zwar augenscheinlich befreien konnte aus den Fesseln transzendenter Mächte und Kräfte, daß er aber zugleich in eine noch zudringlichere Abhängigkeit von anderen menschlichen, übermenschlichen und außermenschlichen Gewalten geriet, in die Abhängigkeit von dem Geschichts-, Gesellschafts-und Zivilisationsprozeß. Er geriet in das determinatorische Eingespanntsein in eine technologische Sozialstruktur, die seine erkämpfte Freiheit nunmehr radikal zu ertöten imstande sein kann mit seiner soziologischen, geistigen, seelischen, ökonomischen, technologischen, sittlichen, sozialen Versklavung. Die eigentliche Paradoxie heutigen Selbstverständnisses findet sich je-menleben betrachtet und begründet werden. Ein verbreiteter Atheistischer oder Evolutionärer Humanismus meint die Ersetzung der Religion und Metaphysik durch ein Ethos rationaler menschlicher Sekurität und der rationalen Kategorie der Präzision unter Ablehnung jedes Irrationalismus Das Göttliche wird heute in verbreiteten Systemen höchstens noch als die soziale Wirklichkeit verstanden und damit verflüchtigt. Oder hat Sigmund Freud recht, wenn er mit seiner These von dem religiösen Erlebnis als eines illusionären Überbaues des Trieblebens das „Zerrbild der Religion" entlarven wollte? Oder aber besteht ein Anhalt für die Einsicht des anglikanischen Bischofs J. A. T. Robinson wonach ein Mensch, der ganz und gar unserer Zeit angehört, ein Atheist sein muß oder zumindest sein darf, bevor er Christ sein kann? Karl Jaspers sieht für die Masse „eine Welt vollkommener Glaubenslosigkeit, in ihr die Maschinenmenschen, die sich und ihre Gottheit verloren haben", heraufziehen.

Die moderne Gesellschaft beruht im westlichen Raum nicht mehr auf dem christlichen Glauben. Es stellt sich die Frage, ob wohl diese Gesellschaft in ihrer Struktur areligiös angelegt ist. Im Grunde bestimmt heute ein mit dem Glauben an die Omnipotenz der Wissenschaft oder auch verbreiteten Ersatzformen der Religion einhergehender offener oder geheimer Atheismus die Struktur der zivilisierten Welt, eine Merkmaligkeit, die den Westen und den Osten weithin bestimmt — und verbindet.

Hier wäre ein weites Feld zu beschreiben, das von den vielschichtigen Formen der modernen Ersatzreligionen als Heilsbestätigungen ausgefüllt wird. Sie reichen von der perfektioneilen Technokratie als Ersatzziel der Welterlösung, von der Wissenschaft, die an die Stelle der Religion trat, bis zu der Massensuggestion des Sports, der sexuellen Triebbefriedigung und einer bestimmten Psychoanalyse als Formen der Selbsterlösung

Hat also die Religion noch eine Zukunft?

Nicht nur das Christentum, auch die Religionen Asiens und Afrikas wurden in den existentiellen Kulturwandel der Neuen Welt einbezogen, deren künftige Konturen noch niemand abzusehen vermag — trotz aller futurologischen Berechnungen und Modellvorstellungen. Darüber hinaus gibt es keine begründeten Anhalte für eine Prognose, eben weil wir nichts darüber wissen, ob der künftige Mensch in seiner Bewußtseinsstruktur fundamental verändert und „umstrukturiert" sein wird, so daß Dostojewski mit seiner Frage in den „Dämonen" das eigentliche Problem benannte: ob dieser moderne technisierte Mensch überhaupt noch glauben bzw. religiös sein kann Wir haben noch keine Erfahrungen darüber, ob sich auch künftig — wie man bisher etwa mit Rudolf Otto 198a) annahm — die These von der aprioristischen Anlagebedingtheit der Religion als Kategorie des Heiligen, als sensus numinis als gültig erweist. Wenn Goethe mit seinem Wort an Eckermann meinte, „die Menschen sind nur solange produktiv, als sie religiös sind, dann werden sie nur noch nachahmend und wiederholend", so scheint heute eine breite wissenschaftliche, soziokulturelle, lebensstilistische und auch künstlerische Orientierung gerade die Umkehrung einer solchen Einsicht zu bestätigen. Dann also sind die Menschen nur solange produktiv, als sie auf sich selber stehen, das Religiöse aber höchstens als Hypothese, vielleicht noch als das „ganz andere", als das Funktional-Hintergründige gelten lassen.

XX. Die Zukunft des Menschen — Krise oder Erfüllung?

Echte Sinnhaltungen werden geboren in der persönlichen Belastung, in der Not, in der Bedrängnis und — was so ganz abhanden kam — in der Stille einsamer Begegnung mit dem Ich, dem Geschick, dem Innenraum seelischer Versenkung. Was uns heute an neuer Geborgenheit, an neuen ethischen Tafeln und an neuen Tragflächen für die Existenz angeboten wird, leidet doch zumeist an seelisch-geistiger Kurzatmigkeit und trägt das Signum verdrängter Verzweiflung und Ausweglosigkeit gar zu deutlich zutage. Sollten seelische Vertiefung, menschliche Reife, humane Gesinnung wirklich auch wieder nur noch aus notvoller äußerer und innerer Bedrängnis erwachsen können, welche die betroffene Erfahrung zu leihen vermögen, daß der Mensch doch mehr ist als das Kollektiv, als „Ingenieurgeist", als Lebensstandard, Tourismus und Glücks-und Triebbefriedigung in Wohlstandsgesellschaften?

Ist es nicht bestürzend, wenn ein Historiker von Rang wie Arnold Toynbee die These vertritt: Jede Höhe der Kultur wird gesprengt durch ein inneres Proletariat, das nicht teilnimmt an den Kulturschöpfungen, die nur von einer Minderheit geschaffen und genossen werden — können. Die nächste Stufe sei der Ansturm eines äußeren Proletariats, der Barbaren.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß der heutige Mensch bei und trotz der rasanten und fundamental umwälzenden Entwicklungen in den naturwissenschaftlichen und existentiellen Bereichen sich an das umwälzend Neue, was ihm gestern noch als unvorstellbar galt, ein-fachhin gewöhnt. Ständig stehen wir in der Erwartung der Verwirklichung eines uns bis dahin kaum noch Vorstellbaren — und dies ohne besondere Schockreaktionen. Es wird fast wie ein selbstverständliches Faktum hingenommen. Dabei scheint es ebenso evident, daß diese „Hinnahme" nicht ohne psychische Reaktionen bleiben kann, die letzthin doch mit einer Änderung unserer gesamten Bewußtseinsstruktur unser persönlichstes Lebenszentrum selbst beteiligt und unterschwellig verändert — bis in unsere Grundbezüge zu Maßstäben der Lebensauffassung, der Lebensführung, des Lebensstils, der Moralen usf. Der Mensch ist jedenfalls — offenbar seit Jahr-hunderten — darauf vorbereitet, daß die „Natur" uns nicht nur trägt, wir ihr nicht nur ausgeliefert sind, sondern daß wir sie in unseren Griff bekommen können. Dies gilt schließlich auch für die eigentliche Revolution dieses Jahrhunderts: für die gezielte Planungsmöglichkeit der menschlichen Gene, der Erbsubstanz. Eine solche totale Manipulierbarkeit des Menschen als Menschen, wie sie angestrebt wird, würde in ihren Auswirkungen noch weit über die atomaren Perspektiven und Schrecknisse hinausgreifen.

Unter den Konturen des modernen Selbst-

und Weltverständnisses gewinnt dieses Lebensverständnis zugleich eine fast tragische Perspektive. „Der moderne areligiöse Mensch nimmt . . . eine neue existentielle Situation auf sich: Er betrachtet sich nur als Subjekt und Agens der Geschichte. . er akzeptiert keine Art von Menschlichkeit außerhalb der menschlichen Verfassung, wie sie sich in den verschiedenen geschichtlichen Situationen erkennen läßt. Der Mensch macht sich selbst, und er kann sich nur wirklich selbst machen in dem Maß, als er sich selbst und die Welt desakralisiert. ... Er kann nicht wirklich frei sein, ehe er nicht den letzten Gott getötet hat." Dennoch aber verfügt er über eine ganze „verkappte Mythologie" und viele „abgesunkene Ritualismen"; er bewahrt immer noch Spuren vom Verhalten des religiösen Menschen, wenn auch diese Spuren ihrer religiösen Bedeutung entkleidet sind. Wir wissen um die Paradoxie, die sich für diesen modernen Menschen daraus ergab, daß er sich zwar augenscheinlich befreien konnte aus den Fesseln transzendenter Mächte und Kräfte, daß er aber zugleich in eine noch zudringlichere Abhängigkeit von anderen menschlichen, übermenschlichen und außermenschlichen Gewalten geriet, in die Abhängigkeit von dem Ge-schichts-, Gesellschafts-und Zivilisationsprozeß. Er geriet in das determinatorische Eingespanntsein in eine technologische Sozialstruktur, die seine erkämpfte Freiheit nunmehr radikal zu ertöten imstande sein kann mit seiner soziologischen, geistigen, seelischen, ökonomischen, technologischen, sittlichen, sozialen Versklavung. Die eigentliche Paradoxie heutigen Selbstverständnisses findet sich je-

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. R. Schwarz, Die christliche Friedensidee als Erbe und Aufgabe, in: Wissenschaft und Weltbild, Jg. 12 (1959); R. Schneider, Der Friede der Welt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, vom 28. 12. 1956; K. E. Reismann, Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, a. a. O., vom 31. 12. 1957; K. v. Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance (1957); A. Schweitzer, Das Problem des Friedens, in: Wo stehen wir heute?, hrsg. von H. W. Bähr (41961) S. 23 ff.

  2. Vgl. R. Schwarz, Die Frage nach dem Sinn der Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, a. a. O., vom 21. 12. 1966. — Den folgenden Ausführungen liegen teilweise Gedanken zugrunde, die vom Verfasser in dem von ihm herausgegebenen und mitverfaßten Werk „Menschliche Existenz und moderne Welt. Ein internationales Symposium zum Selbstverständnis des heutigen Menschen", Teil I

  3. J. Huxley auf dem CIBA-Kongreß in London 1962 „Der Mensch und seine Zukunft". Vgl., Das umstrittene Experiment: Der Mensch, in: Modelle für eine neue Welt, hrsg. von R. Jungk und H. J. Mundt (1966); vgl. auch O. K. Flechtheim, Warum Futurologie?, in: Futurum Jg. 1 (1/1968).

  4. R. Guardini, Das Ende der Neuzeit (71959); zur Kritik G. Krüger, Unsere geschichtliche Zukunft (o. J.) S. 83 ff.: Unsere Zeit ist die Vollendungsperiode der Neuzeit in der autonomen Subjektivität. Vgl. auch R. Guardini, Kultur als Werk und Gefährdung, in: Die Sorge um den Menschen I (21963).

  5. Vgl. FI. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (1955) S. 81; A. Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter (1957) S. 71; ders., Urzeit und Spätkultur (1956) S. 194.

  6. A. Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie (1951) S. 144.

  7. D. Seckel, „Weltgeschichte" ohne Asien?, in: Die Sammlung (6/1954) S. 293 ff.

  8. Kritisch vgl. W. Schubart, Europa und die Seele des Ostens (o. J.) S. 36 f., bes. auch Th. J. G. Locher, Die Überwindung des europäozentrischen Geschichtsbildes (1954).

  9. W. Schwarz und H. Schliewen, Indien und Europa. Zwei Welten in Briefen (1961).

  10. West-Östliche Begegnung. Japans Kultur und Tradition (21954) S. 19 ff.

  11. H. Kayserling, Schöpferische Erkenntnis (1922) S. 6 ff.

  12. L. Abegg, Ostasien denkt anders (1949) S. 23 ff., 48 f., 101; vgl. bes. W. S. Haas, östliches und Westliches Denken. Eine Kulturmorphologie (dt. übers. 1967).

  13. J. Wach, Typen religiöser Anthropologie (1932) S. 33.

  14. G. Vicedom, Europa als Spannungsfeld alter und neuer Religionen, in: Die Gefährdung der Religionen, hrsg. von R. Italiaander (1966). Vgl. dazu ausführlich auch für die Literatur R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 729 ff.

  15. J. Kitayama, a. a. O., S. 210 ff. Neben der These „Ganz Asien ist eins" findet sich hier die konträre Einstellung: „Es gibt chinesische und indische Kultur, aber es gibt keine asiatische Kultur, die die beiden in sich schließt."

  16. Die Seele des Fernen Ostens (1911) S. 6 ff.

  17. Europäer und Ostasiaten und die Verschiedenheit ihres Intellekts (1957). Vgl. dagegen J. Hil-ges-Hesse, Das asiazentrische Geschichtsbild der Indonesier, in: Saeculum Jg. 15 (1964) S. 344 ff.

  18. Allgemeine Psychologie (1959) S. 238; vgl. dazu W. Hildebrandt, Siegt Asien in Asien? (1966); H. Herbert, Asien. Denken und Lebensformen der östlichen Welt (1959).

  19. F. Sakaguchi, Der Begriff der Weisheit in den Hauptwerken Bonaventuras (Diss. München 1966) S. 288.

  20. A. Govinda, in: Die Antwort der Religionen, hrsg. von G. Szczesny (1964) S. 164.

  21. H. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (1955) S. 74.

  22. A. Govinda, in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 164.

  23. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 162.

  24. Vgl. W. Heisenberg, Das Naturbild der heutigen Physik (1963).

  25. K. Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts, in: Vorträge und Abhandlungen. Zur Kritik der christlichen Überlieferung (1966) S. 153.

  26. K. Löwith, a. a. O., S. 146. Vgl. auch A. Th. van Leeuwen, Christentum in der Weltgeschichte. Das Heil und die Säkularisation (1967) S. 317: „Die nicht-christlichen Religionen können tatsächlich durch eine technokratische Ideologie ersetzt werden, — aber nicht durch ein corpus Christianum."

  27. J. Pieper, Hoffnung und Geschichte (1967); H. -E. Hengstenberg, Moderner Fortschrittsglaube und Geschichtlichkeit, in: Menschliche Existenz und moderne Welt I, a. a. O . S. 462 ff. — Nach E. Benz, Schöpfungsglaube und Endzeiterwartung (1965) S. 135 ff., besteht dagegen ein unmittelbarer enger Zusammenhang zwischen der christlichen Schöpfungs-und Reichsgottesidee und der Entwicklung der modernen Technik, zwischen der christlichen Schöpfung und der technischen Zukunftsutopie.

  28. Max Weber, W. L. 33, A 2.

  29. W. Kamlah, Vollendung inmitten der Welt des Wissens, in: Mensch und Menschlichkeit (1956) S. 63.

  30. G. Mäynez, nach Fr. -J. von Rintelen, Westliches und asiatisches Denken im Gespräch, in: Giornale di Metafisica Jg. 17 (1962) No. 1— 2.

  31. V. C. Aldrich, nach Fr. -J. von Rintelen, Der europäische Mensch und die Begegnung unter den Völkern, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 407; vgl. auch Philosophy and Culture — East and West. East-West Philosophy in practical Perspective, hrsg. von C. Moore (1962); vgl. dazu ausführlich R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 734 ff.

  32. The Indian Approach to the Religious Problem, in: Philosophy and Culture — East and West, a. a. O., S. 255.

  33. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 260 f.

  34. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 263.

  35. Gut und Böse im Glauben der Völker (21951).

  36. Der europäische Mensch und die Begegnung unter den Völkern, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 393- 410.

  37. Die religiöse Geistigkeit des fernöstlichen Menschen im Gegenüber mit der westlichen Zivilisation, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 340- 357.

  38. Vgl. P. T. Raju, in: S. Radhakrishnan und P. T. Raju, The Concept of Man (o. J.); vgl. ferner S. Radhakrishnan, Menschsein als Idee und Verwirklichung in Indien, und P. T. Raju, Das Selbstverständnis des Menschen in der neuzeitlichen abendländischen und in der indischen Philosophie, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 436— 466, außerdem auch in diesem Symposion die entsprechenden Beiträge von T. M. P. Mahadevan, B. H. Bon Maharaj, C. A. Qadir, G. -K. Kindermann, T. T. Hang, K. Ezawa, S. T. Alisjahbana, S. K. Saksena, Swami Nikhilananda.

  39. F. S. C. Northrop, Einführung in die Probleme der Naturphilosophie (Ullstein) S. 197.

  40. Der Weltstaat — Organismus und Organisation, in: Wo stehen wir heute?, hrsg. von H. W. Bähr (41961) S. 177 f.; vgl. auch R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 762 ff.

  41. H. Schelsky, Bildung in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt, hrsg. von H. Kuhn und Fr. Wiedmann (1964) S. 135.

  42. H. Schelsky, a. a. O., S. 126.

  43. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 265.

  44. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 267.

  45. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O.

  46. H. Fries, Das Christentum und die Weltreligionen, in: Das Christentum und die Weltreligionen. (1965) S. 33; vgl. R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 764 ff., wo auch die These von einer „strukturalen Verchristlichung der Welt" im Sinne von J. B. Metz (Christliche Anthropozentrik, 1962) und H. R. Schlette (Colloquium salutatis — Christen und Nichtchristen heute, 1965) als nicht haltbar in die Kritik gestellt wird.

  47. Vgl. u. a. A. Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie (1951) S. 144.

  48. R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 742— 752: Kulturwandel als existentielles Problem. Vgl. auch im selben Symposion außer den schon benannten asiatischen Autoren bes. L. S. Senghor, Die Negritude ist ein Humanismus des 20. Jahrhunderts.

  49. Die Zukunft des Westens (1964) S. 176.

  50. Die geistige Vorbereitung des Abendlandes für den Dialog mit Asien, in: Stimmen der Zeit Jg. 177 (1966) S. 286 f.

  51. K. M. Panikkar, Asien und die Herrschaft des Westens (1955) S. 430.

  52. Asiens Rückstoß, in: Merkur Jg. 6 (1952).

  53. H. Thielicke, Die Neuentdeckung der Welt, in: Wo stehen wir heute?, a. a. O., S. 64.

  54. Der Sinn der Geschichte (o. J.).

  55. Zukunft ohne Latein und Griechisch?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 73 vom 27. 3. 1965.

  56. J. Girardi, Überlegungen zur Begründung einer weltlichen Moral, in: Moderner Atheismus und Moral (Weltgespräche V, 1968) S. 49.

  57. R. Schwarz, Humanismus und Humanität in der modernen Welt (Urban-Bücher 89) 1965.

  58. R. Schwarz, a. a. O., bes. S. 121 ff.

  59. Vgl. auch Maulana A. K. Azad, Das Menschenbild der Philosophie des Ostens und des Westens, in Universitas Jg. 11 (1956) S. 469; dagegen: A. T. Imamichi, Die Idee des Humanismus im Osten und im Westen, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O„ S. 411 ff.

  60. Vgl. dazu E. Spranger, Erziehung zur Menschlichkeit, in: Die berufliche Ausbildung IV (1953) S. 145 ff.; Fr. Medicus, Menschlichkeit (1951) S. 300 ff.

  61. O. Fr. Bollnow, Die Forderung der Menschlichkeit (1961) S. 11 ff.

  62. Die Kraft der Humanitätsgesinnung, in: Mensch und Menschlichkeit (KTA 1956) S. 126.

  63. Fr. Heiler, Die Bedeutung der Religionen für die Entwicklung des Menschheitsund Friedensgedankens, in: ökumenische Einheit Jg. 2 (1/1951) S. 1 ff.; vgl, auch G. Mensching, Menschheit und Menschlichkeit, in: Studium generale Jg. 15 (1962).

  64. R. Panikkar, Religionen und die Religion (1965) S. 128.

  65. The secular City. Secularization and Urbanization in Theological Perspective, (London 1905) deutsch: Stadt ohne Gott (1966) S. 60 ff. sieht die Verweltlichung und Urbanisierung mit den Kennzeichen der Anonymität und Mobilität als positives Zeichen dafür an, was Gott in der Welt heute tut.

  66. H. R. Schlette, Christen als Humanisten (1967) S. 70 ff.

  67. Vgl. u. a. K. Leese, Recht und Grenze der natürlichen Religion (1954); E. Heimann, Vernunftglaube und Religion in der modernen Gesellschaft. Liberalismus, Marxismus, Demokratie (1955).

  68. H. Haas, Manipulierbarkeit des Menschen durch Pharmaka, in: Universitas Jg. 22 (1967) S. 11 ff. Auch die Traumwelt-Fabrikation in Wochenzeitungen gehört hierher!

  69. Phil. 2, 13; vgl. J. Bernhart, Sein und Sinn der Geschichte, in: Lebendiges Zeugnis (2/1959) S. 12 ff.

  70. K. Jaspers, Das Kollektiv und der Einzelne, in: Mensch und Menschlichkeit, a. a. O., S. 74.

  71. vgl. E. Benz (Hrsg.), Der Übermensch (1961).

  72. Also sprach Zarathustra, Zarathustras Vorrede.

  73. H. Schäfer, in: Der Mensch und seine Zukunft (Darmstädter Gespräch 1967).

  74. Vgl. H. Mislin, Die Krise der Naturwissenschaften (vor allem Biologie), in: Die Krise des Zeitalters der Wissenschaften (1964) S. 135.

  75. G. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (1961) S. 242.

  76. H. J. Müller, Die Zukunft des Menschen, in: Der Evolutionäre Humanismus, hrsg. von J. Huxley (1964) S. 256.

  77. L. von Bertalanffy, Neue Wege biologisch-medizinischen Denkens, in: Ärztliche Mitteilungen (1961) Heft 42.

  78. Zur Bildungsproblematik in der Kultur der Gegenwart, in: E. Spranger/E. Haag, Der Sinn des altsprachlichen Gymnasiums in der Gegenwart (1960) S. 14.

  79. G. Kraemer, Wandelt die Technik den Menschen?, in: Das ist der Mensch (KTA 1959) S. 88; P. Luchtenberg, Vom Anteil der Technik an den Wandlungen des Menschenbildes, in: Pädagogisches Denken in Geschichte und Gegenwart (1964) S. 315 ff.

  80. J. Kaltschmid, Menschsein in der industriellen Gesellschaft. Eine kritische Bestandsaufnahme (1965) S. 240.

  81. Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (1955) S. 233.

  82. K. Jaspers, Wo stehen wir heute?, in: Wo stehen wir heute?, a. a. O., S. 44; B. Thum, Die Selbsttechnisierung des Denkens; N. A. Luyten, Technik und Selbstverständnis des Menschen, in: Naturwissenschaft und Theologie (9/1967).

  83. B. Rensch, in: Der Mensch und seine Zukunft (Darmstädter Gespräch 1967) S. 25.

  84. Die Entstehung des Menschen (31963) S. 115.

  85. E. Fink, Der Mensch und seine Zukunft (Vortrag im SWF, 1966).

  86. E. Fink, a. a. O.

  87. E. Fink, Zur Bildungstheorie der technischen Bildung (Ms.des SWF, 1959).

  88. A. Schaff, Marx oder Sartre? Versuch einer Philosophie des Menschen (Dt. übers. 1966) S. 158.

  89. R. C. Kwant, Soziale und personale Existenz. Phänomenologie eines Spannungsbereichs (Dt. übers. 1967) S. 216; Der Mensch als soziales und personales Wesen. Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation, hrsg. von G. Wurzbacher (1963); H. Kalven jr., Das Problem der privaten Sphäre im Jahr 2000, in: Der Weg ins Jahr 2000 (Modelle für eine neue Welt), hrsg. von R. Jungk und H. J. Mundt (1967) S. 275 ff.

  90. J. Bernhart, Problematik der Humanitas, in: Hochland Jg. 39 (1946) S. 112.

  91. Die Menschlichkeit des Christenmenschen, in: Hochland Jg. 40 (1948) S. 58.

  92. W. Röpke, Zwischen Furcht und Hoffnung, in: Wo stehen wir heute?, a. a. O., S. 78 f.

  93. W. Röpke, a. a. O„ S. 79.

  94. E. Fromm, Die Furcht vor der Freiheit (1945); ders., Der moderne Mensch und seine Zukunft (1955).

  95. H. -J. Heydorn, Realer Humanismus und Humanistisches Gymnasium, in: E. Schütte/H. -J. Heydorn/S. Lauffer, Humanistische Bildung in unserer Zeit (1965) S. 19 f.

  96. Zu dieser fundamentalen wissenschafts-und erkenntnistheoretischen Fragestellung vgl. R. Schwarz, Wissenschaft und menschliche Existenz, in: Menschliche Existenz und moderne Welt I, a. a. O, S. 87 ff.

  97. Zit. nach R. Schneider, Der Friede der Welt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, vom 28. 12. 1956, S. 833.

  98. R. Guardini, Die Verantwortung des Studenten für die Kultur, in: Die Verantwortung der Universität (1954).

  99. Atomkraft und menschliche Freiheit (1957); ders., Wissenschaft und allgemeines Denken (1955).

  100. Th. Regau, Menschen nach Maß (1965) S. 21.

  101. Das Naturbild Goethes und die technisch-naturwissenschaftliche Welt (Vortrag), in: Südd. Ztg. Nr. 122 vom 23. 5. 1967.

  102. Bericht der Südd. Ztg. vom 28. 6. 1965.

  103. Vgl. auch W. Heitler, Der Mensch und die naturwissenschaftliche Erkenntnis (21962) S. 72; ders., Ethik des naturwissenschaftlichen Zeitalters, in: Universitas Jg. 19 (1964).

  104. Wissenschaft und menschliche Existenz (1967) S. 70 f.

  105. Vgl. R. Schwarz, Freiheit und Verantwortung des Hochschullehrers, in: Integritas. Geistige Wandlung und menschliche Wirklichkeit, hrsg. von D. Stolte und R. Wisser (1966) S. 480 ff.

  106. Vgl. R. Schwarz, Wissenschaft und Bildung (1957) und andernorts.

  107. Stellung und Aufgabe der Universität in der Gegenwart, in: Humanistische Reden und Vorträge (21960) S. 86.

  108. Das Schlagwort von der Hochschulreform (Ms.des NWDR, 1956) S. 3.

  109. Offenheit für das Ganze — Die Chance der Universität (1963).

  110. Schöne neue Welt, Fischer-Bücherei (1960).

  111. Forschung, Berufsbildung und Menschenbildung in der gegenwärtigen deutschen Universität, in: Kulturfragen der Gegenwart (1953) S. 11.

  112. E. Spranger, Der Sinn der Voraussetzungslosigkeit in den Geisteswissenschaften, Sitz. -Ber. d. Preuß. Akad. d. Wissenschaften, Phil. -Hist. Klasse (1929) S. 7.

  113. E. Spranger, a. a. O.

  114. Logik und Systematik der Geisteswissenschaften (21948) S. 37.

  115. Das war mein Leben (1956) S. 447 f.

  116. J. Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik, in: Zeugnisse, Festschr. f. Th. W. Adorno, hrsg. von K. Horkheimer (1963) S. 487.

  117. Th. Regau, a. a. O„ S. 19, 17.

  118. WA 7, 467; 275.

  119. Von kommenden Dingen (1925); ders., Zur Kritik der Zeit (1912); ders., Zur Mechanik des Geistes (1913); Ph. Lersch, Der Mensch in der Gegenwart (21955) S. 88 f. A. Portmann spricht von einer „Hypertrophie des Intellekts" gegenüber dem primären Welterleben, jener „prälogischen Primitivität", die nicht nur als Rückstand anzusehen sei, sondern als ein Weltverhalten, das uns zum Schaden verlorenging (Südd. Ztg. vom 14. 7. 1965).

  120. Fr. Leonhardt, nach G. Bauer, Technischer Fortschritt und Studienreform, in: Hochschuldienst Jg. 21 (1, 2/1968) S. 5.

  121. Th. W. Adorno H. Becker, Erziehung wozu?, in: Neue Sammlung Jg. 7 (1/1967) S. 10 (Adorno).

  122. E. Fink, Bildungstheorie der technischen Bildung (Ms.des Südwestfunks vom 18. 10. und 25. 10. 1959) S. 26. Vgl. eingehend zum Ganzen R. Schwarz, Wissenschaft und Bildung (1957); ders., Prinzipien der Bildung in der gegenwärtigen Situation, in: Markierungen, hrsg, von P. Hastenteufel (1964); ders., Bildung als Problem und Aufgabe heute, in: Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit, hrsg. von H. Röhrs (1964); ders., Bildungskrise und menschliche Existenz, in: Menschliche Existenz und moderne Welt I, a. a. O., S. 351— 399.

  123. Zu der bisher vernachlässigten Frage der Erwachsenenbildung vgl. bes. das aufschlußreiche Werk von F. Pöggeler, Der Mensch in Mündigkeit und Reife. Anthropologie des Erwachsenen (1964).

  124. R. Schwarz, Idee und Verantwortung der Universität, in: Universität und moderne Welt. Ein internationales Symposion (Bildung/Kultur/Existenz Bd. 1, hrsg. von R. Schwarz) Berlin 1962, spanische Ausgabe 1968; vgl.ders., Situation und Krise der heutigen Universität, in: Deutsche Universitätszeitung Jg. 20 (1/1965); ders., in Band 1 der „Nuova Serie" der Zeitschrift „Studi Sassaresi", hrsg. von der Universität Sassari/Italien (1968). Wenn etwa nach K. Möckel, Thesen zur Hochschule und Gesellschaft, in: Revolution oder Reform? (1968) S. 141, Aufgabe der Universität ist, die „Lieferung qualifizierter akademischer Arbeitskräfte für die Industriegesellschaft", die „Vermittlung von technologisch verwertbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen", dann ist die Unterscheidung von Ost und West gefallen, dann ist die Rede, die Universität sorge für „Kulturkontinuität", für die „Berufsethiken" nur ein Gerede. Was soll hier noch „Kultur" heißen? Und woher bezieht eine solche Lieferfirma Universität ihr spezifisches Ethos?

  125. Vgl. auch für die Literatur: R. Schwarz, Wissenschaft und Bildung (1957) S. 144 ff.; ders., Humanismus und Humanität in der modernen Welt (1965); bes. auch Th. Litt, Technisches Denken und menschliche Bildung (1957); ders., Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt (1955); H. Weinstock, Arbeit und Bildung (1954); E. Hiller, Humanismus und Technik (1966).

  126. London (1959); dt.: Die Zwei Kulturen (1967).

  127. C. P. Snow, a. a. O., S. 18, der ebenso wie H. Mohr, Wissenschaft und menschliche Existenz (1967), bereits vor Steinbuch entsprechende Gedankengänge vertreten hat.

  128. K. Steinbuch, Falsch programmiert (1968) S. 72. Vgl. zur Kritik von St. auch H. Zemanek, in: Merkur Jg. 22 (8/1968) S. 751 ff.

  129. a. a. O., S. 27.

  130. a. a. O., S. 174.

  131. a. a. O., S. 27.

  132. Vgl. R. Schwarz, Wissenschaft und Bildung (1957). Es darf bemerkt werden, daß die von derzeitigen Hochschulreformern als modern entdeckte interdisziplinäre Kooperation in der Wissenschaft vom Verfasser bereits vor 12 Jahren nachdrücklich gefordert und begründet wurde: „Was dabei heute als eine dringende Aufgabenstellung gelten kann, ist die bewußte Grenzüberschreitung der Disziplinen in der Forschungsebene, wonach bei Wahrung der spezifischen methodologischen Besonderheiten der Fachgebiete die Grenzfragen zu den eigentlichen thematischen Forschungsproblemen erhoben würden." (a. a. O., S. 130).

  133. Vgl. aus der fast unübersehbaren Literatur G. Paloczi-Horvath, Sex — Umsturz der Tabus (1968).

  134. H. Mohr, Die Zukunft des Menschen (die biologischen Aspekte), (Darmstädter Gespräch 1967) S. 9: „Lediglich die Wissenschaft ist in der Lage, zuverlässiges Wissen und ein verbindliches Ethos zu gewährleisten."

  135. Vgl. u. a. A. M. Knoll, Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht (21968); A. G. M. van Meisen, Ethik und Naturwissenschaft. Eine Besinnung auf den Zusammenhang von Natur und Sittlichkeit (1967) S. 165 vertritt die Auffassung: „daß die vorzufindenden Naturformationen als solche nie eine Norm sein können, an die wir uns sittlich zu halten haben." — F. Böckle, Das Naturrecht im Disput (1966).

  136. Vgl. R. Schwarz, Das Problem einer christlichen Philosophie, in: Philos. Jb. Jg. 60 (1950); ders., Die leib-seelische Existenz bei Aurelius Augustinus, in: Philos. Jb. Jg. 65 (1955) S. 342 ff.; J. Hessen, Pla

  137. Für den Nachweis dieser einschlägigen Schrift-stellen vgl. J. Kahl, Das Elend des Christentums (1968) S. 49 ff.

  138. Vgl. R. Schwarz, Vom christlichen Sinn des Leibes, in: Pädagogische Rundschau Jg. 6 (1951/52) S. 443 ff.; J. Goldbrunner, Heiligkeit und Gesundheit (1964) S. 26 f.; V. E. v. Gebsattel, Anthropologie der Angst, in: Prolegomena einer medizinischen Anthropologie (1954).

  139. Vgl. u. a. H. Schomerus, Das befreite Gewissen (1967); P. Matussek, Die Moral der Gegenwart in psychotherapeutischer Sicht, in: Stimmen der Zeit Jg. 91 (1966) S. 427 ff.

  140. Vgl. O Fr. Bollnow, Wesen und Wandel der Tugenden (1958).

  141. Die Entmythologisierung von Angst und Hoffnung, in: Neue Rundschau Jg. 1964, S. 250 ff.; ders., Die Zukunft des Unglaubens. Betrachtungen eines Nichtchristen (21965) ; vgl. auch K. Monat, Leben in dieser Welt. Philosophie und Moral eines nichtchristlichen Humanismus (1964) S. 142 ff.

  142. R. F. Behrendt, Die Tugenden von gestern und von morgen, in: Futurum Jg. 1 (1/1968) S. 38.

  143. R. F. Behrendt, a. a. O., S. 47.

  144. A. Gehlen, Soziologie (1955).

  145. G. Szczesny, Die Entmythologisierung von Angst und Hoffnung, a. a. O.

  146. in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 234; vgl. E. Wolf, in: Die Antwort der Religionen, a. a. O., S. 241: Jeder außerchristliche Humanismus trägt religiösen Charakter, da er durch ein bestimmtes Leitbild bei seinen Verwirklichungsversuchen gelenkt wird.

  147. H. Meyer, Systematische Philosophie III (1960) S. 44 f.

  148. Die Physik in der Problematik unseres Zeitalters, in: Wo stehen wir heute?, a. a. O., S. 224.

  149. H. Conrad-Martius, Naturwissenschaftlich-metaphysische Perspektiven (1948) S. 7.

  150. Zit. nach K. Löwith, Max Weber und Karl Marx, in: Gesammelte Abhandlungen. Zur Kritik der geschichtlichen Existenz (1960) S. 10.

  151. Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts und die Idee des Humanismus, in: Merkur Jg. 15 (1961) S. 117.

  152. R. C. Chalmers/J. A. Irving, Der Sinn des Lebens nach den fünf Weltreligionen (1967).

  153. D. Oberndorfer, Von der Einsamkeit des Menschen in der modernen amerikanischen Gesellschaft (21961) S. 58.

  154. E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, I und II (1959) S. 16, 26.

  155. J. Pieper, Hoffnung und Geschichte (1967) S. 8.

  156. J. Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (21955) S. 304.

  157. Wohlbefinden und Mißbefinden. Beiträge zu einer medizinischen Anthropologie (1962).

  158. Neue Geborgenheit (1955) S. 18.

  159. O. Fr. Bollnow, Das Problem einer Überwindung des Existentialismus, in: Universitas Jg. 8 (1953) S. 461 ff.; ders., Das Wesen der Stimmungen (21943).

  160. Homo viator (Dt. übers. 1949).

  161. O. Fr. Bollnow, Das Problem einer Überwindung des Existentialismus, a. a. O.

  162. Nach Augustinus vgl. Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo 7, ed. Watkin W. Williams, Cambridge (1926) S. 41: „nemo te querere valet, nisi qui prius invenerit".

  163. Vgl. R. Guardini, Der unvollständige Mensch und die Macht, in: Sorge um den Menschen I (21963) S. 62 f. „Der neuzeitliche Mensch ist der Verantwortung für das Ganze des Daseins entlaufen. Er hat sich den einzelnen Verantwortungen wissenschaftlicher, künstlerischer, politischer, technischer Art in einer Weise ergeben, daß er darüber die für das Leben überhaupt vergessen hat."

  164. E. Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft. Eine sozialpsychologische Untersuchung (1960) S. 323.

  165. E. Fromm, a. a. O. S. 320.

  166. H. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (1955) S. 78.

  167. K. Jaspers, Das Kollektiv und der Einzelne, in: Mensch und Menschlichkeit (1956) S. 73.

  168. J. Bodamer, Der Mensch ohne Ich (1958) S. 42 f.

  169. Die religiöse Situation (1948) S. 219.

  170. Die geistige Situation der Zeit (1931) S. 55.

  171. A. Jores, Das Wort des Mediziners, in: Wo stehen wir heute?, a. a. O., S. 244.

  172. A. Mayer, Betriebspsychologie und industrielle Gesellschaft, in: Zeitschr. für Betriebswirtsch. Jg. 25 (1955) S. 79.

  173. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre (1962) S. 39.

  174. Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins (41964) S. 23, 69, 123.

  175. Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (61958) S. 54, 64.

  176. Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression (1963).

  177. Das Ende des technischen Zeitalters (1963) u a. S. 230 f.; vgl. auch den Deutungsversuch von I. M. Hollenbach, Der Mensch der Zukunft. Anthropologische Besinnung in der Weltwende (1959).

  178. A. Buchholz, Die große Transformation (1968) S. 9.

  179. Vgl. bes. B. Schwarz, Ewige Philosophie, Gesetz und Freiheit in der Geistesgeschichte (1937).

  180. Vgl. in diesem Sinne auch A. Müller-Armack, Das Jahrhundert ohne Gott (1948) S. 120: „Die eigentlichen Mächte unseres Jahrhunderts sind säkularisierte Glaubensbewegungen."

  181. K. Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kölner Vjschr. für Sozialwiss. (1928) S. 23. Zu der These, wonach alle Seiten einer Epoche auf ein geistiges und seelisches Prinzip, eine Seelenverfassung zurückgehen und miteinander in Einklang

  182. Vgl. Menschliche Existenz und moderne Welt I und II, a. a. O.

  183. Zum Begriff der Freiheit u. a. M. Horkheimer/K. Rahner/C. Fr. von Weizsäcker, Uber die Freiheit (1965).

  184. Provokatorische Notizen (1960).

  185. St. C. Neill, Sind die Weltreligionen gefährdet, in: Die Gefährdung der Religionen, hrsg. von R. Italiaander (1966) S. 23. — Für eine künftige Religion wird gefordert, daß sie nicht im Widerspruch zur Wissenschaft stehe, dem menschlichen Leben angemessen sei, das Böse in der Welt bekämpfe, das Gefühl für den Sinn des Lebens wiedergebe, eine Hoffnung gegen die Verzweiflung und auf Meisterung des Lebens leihe (S. 11 ff.).

  186. K. Rahner, Die Chancen des Christentums, in: Das freie Wort der Kirche (1955) S. 60; vgl. St. C. Neill, a. a. O., S. 32 f.

  187. Der Dritte und der Vierte Mensch. Vom Sinn des geschichtlichen Daseins (1953).

  188. Vgl. u. a. die Beiträge in: Concilium Jg. 3 (6, 7/1967).

  189. K. Rahner, Experiment Mensch, in: Die Frage nach dem Menschen, Festschr. M. Müller (1966) S. 62 u. a.; J. Moltmann, Theologie der Hoffnung (-1965); J. B. Metz, Der christliche Glaube und die Zukunft, in: Ausblicke auf die Zukunft (1968) S. 79 ff.

  190. Europa als Spannungsfeld alter und neuer Religionen, in: Die Gefährdung der Religionen, a. a. O., S. 36; H. J. Schultz (Hrsg.), Wer ist das eigentlich — Gott? (1969).

  191. G. Vicedom, a. a. O., S. 39.

  192. A. Auer, Gottesherrschaft im Planungszeitalter, in: Wer ist das eigentlich — Gott?, a. a. O., S. 249.

  193. Vgl. M. Bense, Warum man Atheist sein muß, in: Jb. für kritische Aufklärung „Club Voltaire"; (1963) S. 71; G. Szczesny, Die Zukunft des Unglaubens, Zeitgenössische Betrachtungen eines Nihilisten (1958) S. 82 ff.

  194. Vgl. dazu W. Gruehn, Die Frömmigkeit der Gegenwart. Grundtatsachen der empirischen Psychologie (1956) S. 39.

  195. Gott ist anders (1965).

  196. Zit. nach H. Weigert, Die Kunst am Ende der Neuzeit (1965) S. 206.

  197. R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 827 ff.; J. Hasenfuß, Soziologismus und Existentialismus als Religionsersatz (1965).

  198. Zur Frage der heutigen existenzpsychologischen Situation des Atheismus und der Krise des christlichen Existenzbewußtseins vgl. ausführlich R. Schwarz, a. a. O., S. 639— 709; ders., Bildung als Problem und Aufgabe in der heutigen existentiellen. und religiösen Situation, in: Atti del IV convegno internazionale di studi italo-tedeschi Merano 1963 (1967) S. 59— 83.

  199. A Study of History, 6 Bde (1932 ff.).

  200. M. Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen (1957) S. 120; vgl. auch W. Kamlah, Der Mensch in der Profanität (1949).

  201. Vgl. M. Bense, Warum man Atheist sein muß, in: Jb. für kritische Aufklärung „Club Voltaire"; (1963) S. 71; G. Szczesny, Die Zukunft des Unglaubens, Zeitgenössische Betrachtungen eines Nihilisten (1958) S. 82 ff.

  202. Vgl. dazu W. Gruehn, Die Frömmigkeit der Gegenwart. Grundtatsachen der empirischen Psychologie (1956) S. 39.

  203. Gott ist anders (1965).

  204. Zit. nach H. Weigert, Die Kunst am Ende der Neuzeit (1965) S. 206.

  205. R. Schwarz, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz, in: Menschliche Existenz und moderne Welt II, a. a. O., S. 827 ff.; J. Hasenfuß, Soziologismus und Existentialismus als Religionsersatz (1965).

  206. Zur Frage der heutigen existenzpsychologischen Situation des Atheismus und der Krise des christlichen Existenzbewußtseins vgl. ausführlich R. Schwarz, a. a. O., S. 639— 709; ders., Bildung als Problem und Aufgabe in der heutigen existentiellen, und religiösen Situation, in: Atti del IV convegno internazionale di studi italo-tedeschi Merano 1963 (1967) S. 59— 83.

  207. A Study of History, 6 Bde (1932 ff.).

  208. M. Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen (1957) S. 120; vgl. auch W. Kamlah, Der Mensch in der Profanität (1949).

Weitere Inhalte

Richard Schwarz, Dr. phil., geb. 29. Mai 1910 in Hagenau/Elsaß, deutsche und österreichische Staatsangehörigkeit. Akademische Daten: Privatdozent der Philosophie an der Universität Würzburg (1949), ordentl. Professor der Psychologie und Pädagogik an der Staatl. Phil. -Theol. Hochschule Bamberg (1951), ordentl. Professor der Pädagogik und Kulturphilosophie und Vorstand des Instituts für Pädagogik an der Universität Wien (1958), ordentl. Professor der Pädagogik und Vorstand des Instituts für Pädagogik I an der Universität München (1963), Vorsitzender des Schulausschusses der Österreichischen Rektorenkonferenz (1961) und der Bayerischen Schulkommission (1964), zeitw. Mitglied der österreichischen UNESCO-Kommission, Gastvorlesungen an Universitäten in Fribourg, Tokio, Uppsala, Fifth East-West Philosophers’ Conference, Universität Honolulu, Hawaii (1969). Träger des Dr. -Ludwig-Gebhard-Wissenschafts-preises (Bayreuth 1957).