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Die kubanische Revolution 1959-1976. Darstellung und Analyse | APuZ 13/1979 | bpb.de

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APuZ 13/1979 Artikel 1 Entwicklungsperspektiven und Entwicklungspole Lateinamerikas Die kubanische Revolution 1959-1976. Darstellung und Analyse

Die kubanische Revolution 1959-1976. Darstellung und Analyse

Boris Goldenberg

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die kubanische Revolution, die nach einem Prolog der im Dezember 1956 mit der Landung Castros auf Kuba begann, im Januar 1959 voll einsetzte, endete 1976/77 mit ihrer „Institutionalisierung". Sie ist einzigartig und paßt in keines der traditionellen Interpretationsschemata — am wenigsten in ein marxistisches. Sie kann weder als „bürgerliche" noch als „Bauern-" noch als proletarische noch auch als „antiimperialistische" Revolution begriffen werden. Der folgende Beitrag versucht ihr „Wesen" zu deuten; dabei unterscheidet er zwei große Perioden: 1. Die — ganz vom subjektiven Willen des Führers Castro bestimmte — „charismatische" Periode, die in mehreren Phasen verlief und die mit der Katastrophe der Zuckerernte von 1970 endete. 2. Die Periode der „Veralltäglichung des Charisma" in Gestalt einer Institutionalisierung nach sowjetischem Muster. Zum Schluß wird versucht, eine Bilanz der Gesamtentwicklung zu ziehen, aus der hervorgeht, wie sehr das Ergebnis der Umwälzung von den ursprünglichen Erwartungen der Revolutionäre und ihrer Sympathisanten abweicht. — Ein Nachtrag, in dem der Verfasser das Anfang 1979 in Paris erschienene Buch von Armando Valladares „Prisonnier de Castro" vorstellt, wirft einiges Licht auf jene Kehrseite der kubanischen Wirklichkeit, von dem die Besucher der revolutionären Insel nichts wissen bzw. nichts wissen wollen.

Jede Revolution ist ein Wandlungen durchlaufender, historischer Prozeß, dessen zeitliche Begrenzung weitgehend vom Willen des Betrachters abhängt.

Auf Kuba begann der bewaffnete, vor allem mit terroristischen Mitteln geführte Kampf gegen die 1952 durch einen Putsch an die Macht gelangte Batista-Regierung lange vor dem Dezember 1956, als Fidel Castro gemeinsam mit 82 Genossen auf der Yacht Granma, aus Mexiko kommend, landete. Die Batista-Luftwaffe griff die Besatzung der Granina an, und Castro zog mit den am Leben gebliebenen Gefährten in die Sierra Maestra. Kurz darauf begann der Partisanenkampf, der Ende 1958 mit dem Sturz des Diktators — und einige Tage später mit dem Einzug Castros in Havanna — endete.

Diese zweijährige Periode soll hier als Prolog dargestellt werden. Anschließend wird sich die Arbeit der Revolution selbst zuwenden, die in zwei große Perioden eingeteilt werden kann:

Als Castro nach Kuba aufbrach, hatte er nicht: die Absicht, einen lange währenden Partisanenkampf zu beginnen. Die Ankunft sollte vielmehr mit einem Aufstand zusammenfallen, den eine Gruppe seiner Anhänger in der Stadt Santiago plante. Doch kam die Granma erst an, als der Aufstand bereits niedergeschlagen war und landete am falschen Ort, einem sumpfigen Küstenstrich, wo sie sofort entdeckt, von den Streitkräften angegriffen und fast völlig vernichtet wurde. So kam es, daß sich Castro einige Tage nach einer Landung mit

I. Einleitung

a) die charismatische, vom Willen des einen Führers geprägte Periode (1959 bis 1969/70); b) die Zeit der Normalisierung, um mit Max Weber zu reden, der „ Veralltäglichung des Charismas", oder der Institutionalisierung der Revolution unter sowjetischem Einfluß und nach sowjetischem Muster, deren Ansatz auf den August 1968 zurückgeht, die aber selbst erst 1970/71 ins Werk gesetzt wurde und 1976 den Abschluß fand.

Im folgenden wird vor allem auf den ersten Abschnitt der Revolution eingegangen, ihre einzelnen Phasen geschildert und anschließend eine Analyse dieser historisch einzigartigen Entwicklung versucht.

Danach soll dann eine kurze Darstellung der Normalisierungsperiode und der wichtigsten, während ihres Verlaufs geschaffenen Institutionen folgen. Die Arbeit wird mit einer unvermeidlicherweise subjektiven Bewertung der Ergebnisse der kubanischen Revolution enden

II. Prolog: Der Kampf um die Macht

einer winzigen Schar Getreuer (angeblich waren es zwölf) wiederfand und beschloß, einen aussichtslos scheinenden Guerillakrieg zu beginnen.

Die Batista-Regierung hatte noch im Dezember 1956 offiziell mitgeteilt, Castros Expedition sei kurz nach ihrer Landung gänzlich aufgerieben worden; sie behauptete noch zwei Monate später, es gäbe keine Partisanen in den Bergen. Doch im Februar 1957 gelangte der nordamerikanische Journalist und Korrespondent der New York Times, Herbert Matthews, von Castro-Anhängern aus Havanna in die Sierra Maestra geführt, zu den Partisanen. Deren Gesamtzahl belief sich auf 18, doch gelang es Castro, dem gutgläubigen Nordamerikaner vorzuspiegeln, es handle sich bei diesen 18 nur um einen kleinen Teil seiner Kämpfer. Matthews'Bericht, am 24. Februar 1957 in New York veröffentlicht, wurde sofort auf Kuba bekannt. Dieser Publicity-Erfolg brachte den Durchbruch, Castro erlangte Weltberühmtheit, während Batista als Lügner entlarvt wurde. Im Mai 1957 kamen zwei nordamerikanische Fernsehkorrespondenten nach Kuba und drehten einen Film, der von der CBS noch im selben Monat gezeigt wurde. Die inzwischen 127 Mann zählenden Partisanen konnten ihr erstes kleines Gefecht gewinnen: Sie überwältigten ein kleineres Militärlager in den Bergen, wobei sechs Angreifer und 14 Soldaten ihr Leben verloren. Gleichwohl gab es noch Mitte 1958 weniger als 300 Guerilleros, deren Zahl jedoch in den letzten Wochen vor dem Sturz Batistas rapide zunahm

Wie aber vermochte eine so kleine Schar eine Armee von über 30 000 Soldaten zu besiegen? Zunächst einmal, weil es neben Castros „Bewegung des 26. Juli" noch andere aktive Oppositionsgruppen gab; zweitens wegen des Terrors und des Kampfes in den Städten; zum dritten, weil Batista infolge der Korruption seiner Regierung und des von seiner Polizei entfachten konterrevolutionären Terrors nicht nur die Sympathien der Kubaner, sondern auch die der nordamerikanischen Regierung verloren hatte, die im März 1958 ein Waffenembargo für Lieferungen an Kuba verhängte; schließlich, weil die seit eh und je nicht sonderlich kampfwillige, von ebenso korrupten wie unfähigen Offizieren geführte Armee durch die wachsende Antipathie der kubanischen Bevölkerung wie auch durch das Washingtoner Waffenembargo völlig demoralisiiert wurde und sich aufzulösen begann. Hugh Thomas hatte so unrecht nicht, als er schrieb, die Gründe für den Fall Batistas seien weniger in der Sierra Maestra als in den Straßen Havannas und Santiagos sowie in Washington zu suchen Niemand weiß genau, wie hoch die Zahl der Todesopfer war, die der zwei Jahre dauernde Kampf in den Bergen und Städten auf beiden Seiten gekostet hat. Sie mag ungefähr zwischen 1 000 und 2 500 gelegen haben, war aber gewiß geringer als die Zahl der Opfer des nur zwei Wochen währenden Bürgerkrieges, der im September 1978 in Nicaragua geführt wurde.

III. Die charismatische Revolution

1. Die „humanistische" Phase Als Fidel Castro unter dem Jubel der Massen in Havanna einzog, war er so frei, wie kaum ein revolutionärer Führer vor ihm es je gewesen war: Armee und Polizei existierten nicht mehr, der Rest des Staatsapparats bestand aus Opportunisten, von denen viele mit der Revolution sympathisierten. Die alten politischen Parteien waren desorganisiert und größtenteils kompromittiert. Die einzige von ihnen, die tatsächlich existierte und über Kader verfügte, war die kommunistische Partido Socia-lista Populär, die zwar Castro als kleinbürgerlichen Putschisten kritisiert hatte und von diesem wegen ihres Opportunismus verachtet wurde, sich nun aber gern bereit erklärte, an der Revolution mitzuwirken. Die Mehrheit der bürgerlichen Schichten, der Techniker, Intellektuellen und Wirtschaftler, deren Söhne zu den Hauptopfern des Polizeiterrors gezählt hatten, war demokratisch eingestellt, reformfreudig und bereit, Castro auf dem Weg einer tiefgehenden demokratischen Revolution, deren Notwendigkeit er selbst immer wieder proklamiert hatte, aktiv beizustehen.

Auch die Mehrheit der Nordamerikaner, sogar die Regierung, bezeugte Sympathien für den romantischen Robin Hood, der Freiheit und Legalität wiederherstellen und die Lage der unteren Volksschichten verbessern wollte. Die „Massen" jubelten, weil sie von Erwartungen erfüllt waren, die nichts mit einem etwaigen Aufbau des Sozialismus zu tun hatten, was Castro wohl von Anfang an klar erkannte: „Das Volk war für die Revolution", erklärte er 1968 in einem Privatgespräch mit K. S. Karol, „weil es von ihr höhere Löhne, mehr Konsumgüter und Wohlstand für alle erhoffte und all dies sofort verwirklicht sehen wollte. Was uns selbst betraf, so kannten wir die realen Möglichkeiten des Landes kaum und verfügten auch über keine machtvolle politische Organisation. Wir mußten alles lernen und beim Nullpunkt beginnen." Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man bekanntlich klüger, als wenn man hineingeht. Castro wuß-te tatsächlich damals nicht, wieviel Wissen und Können ihm und seinen Gefährten fehlte und gab sich dem „Prinzip Hoffnung" hin. Er wußte aber, daß Kuba ein — im Verhältnis zu anderen unterentwickelten Ländern — reiches Land war, daß es nach der günstigen Entwicklung der Jahre 1956— 1958 trotz der Revolution über eine intakte Wirtschaft verfügte, so daß er imstande sein würde, aus dem Vollen zu schöpfen.

In zahlreichen Reden auf Plätzen, Straßen, im Radio und im Fernsehen trat er immer wieder als Demokrat auf, versprach baldige Parlamentswahlen, die Abschaffung jeglicher Pressezensur, das Ende aller Verfolgung politisch Andersdenkender und wandte sich — wie vor ihm schon alle linken Parteien auf Kuba — sowohl gegen den Kapitalismus als auch gegen den Kommunismus. „Der Kapitalismus nimmt den Menschen das Brot, der Kommunismus beraubt sie der Freiheit." Er versprach die Bestrafung der Batista-Schergen, die Konfiszierung des „unrechtmäßig erworbenen" Eigentums und eine Agrarreform, die all jenen Land geben würde, die es bearbeiteten

Er ernannte den demokratischen Richter Urrutia zum Präsidenten der Republik und setzte aus bürgerlichen Schichten stammende Minister ein, die als Gegner Batistas und Anhänger sozialer Reformen bekannt waren. Im April 1959 besuchte er die USA, wo er herzlich, wenn auch von einigen mit Mißtrauen empfangen wurde. Das Angebot einiger prominenter Nordamerikaner an die ihn begleitenden Wirtschaftsexperten, die Revolution finanziell zu unterstützen, lehnte Castro ab

Castro war also frei in dem, was er zu tun gedachte, aber auch von Anfang an radikaler, als er zu sein vorgab.

So begann die charismatische, ganz vom Willen und Hoffen ihres Führers bestimmte dynamische und immer radikaler werdende Revolution — eine Revolution, die die mit ihr sympathisierenden Spezialisten und Fachleute bald enttäuschte und sich von ihnen befreite, ohne sie wirklich ersetzen zu können — eine Revolution, die auf objektive Gegebenheiten keine Rücksicht nehmen wollte und die bereits in der Mitte des Jahres 1959 ihre erste demokratische, oft als „humanistisch" charakterisierte Phase durchlaufen hatte. 2. Antikommunismus = Konterrevolution Bereits im Juni 1959 begannen sich Demokraten — auch und vor allem Anhänger des „ 26. Juli" — über die Erstarkung des kommunistischen Einflusses und das Eindringen von Kommunisten in die neu entstehende Verwaltung Sorgen zu machen, und Ökonomen klagten über die rapiden Veränderungen, die auf Befehl Castros die kubanische Wirtschaft umwälzten. Anfang Juli erklärte Präsident Urrutia, die Revolution müsse sich vor den Kommunisten in acht nehmen, worauf Castro mit seinem Rücktritt als Ministerpräsident drohte. Das rief einen Proteststurm in der Bevölkerung hervor, der ihn zum Widerruf seines nie ernst gemeinten Rücktrittsangebots veranlaßte und Präsident Urrutia sein Amt kostete; er mußte in der venezolanischen Botschaft Asyl suchen, während die Minister, einer nach dem anderen, demissionierten und durch neue, „wirklich revolutionäre" ersetzt wurden. Jede Kritik an Kommunisten wurde nun als konterrevolutionär gebrandmarkt. Die „Bewegung des 26. Juli" begann sich zu zersetzen und wurde einer ersten Säuberung unterzogen. Das bekannteste Opfer dieser „Säuberung" war der Major der Rebellenarmee, Huber Matos, den Castro zum Gouverneur der Provinz Camaguey ernannt hatte. Anfang Oktober schrieb Matos einen Brief an Castro, in dem er gegen den wachsenden Einfluß der Kommunisten Einspruch erhob und — als Zeichen seines Protests — sein Amt als Provinz-gouverneur niederlegte. Castro ließ ihn daraufhin verhaften und stellte ihn im Dezember 1959 vor ein revolutionäres Tribunal, das ihn nach einer langen Anklagerede Castros, die keinerlei konkrete Beschuldigungen enthielt, zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren (sic!)

verurteilte

Im November wurde die in der Freiheit neu erstandene Gewerkschaftsbewegung gleichgeschaltet. Die kurz zuvor gewählte Führung, an deren Spitze als Vertreter der „Bewegung des 26. Juli" David Salvador stand, wurde des Antikommunismus beschuldigt, auf dem Gewerkschaftskongreß nach einem persönlichen Eingreifen Castros abgesetzt und gegen eine neue, prokommunistische Leitung ausgetauscht. David Salvador versuchte einige Wochen später, aus Kuba zu fliehen, wurde aber dabei gefaßt und inhaftiert.

Im Verlauf der Jahre 1959 und 1960 fanden ökonomische Veränderungen statt, die in den Unterschichten Begeisterung, in den Mittel-und Oberschichten größte Sorge hervorriefen. Bereits Ende 1959 setzte eine Massenflucht aus Kuba ein.

Die Besitzungen der Anhänger Batistas und „unrechtmäßig erworbenes" Eigentum wurden konfisziert, wobei Castro allein entschied, wer bzw. was in diese Kategorien fiel.

Infolgedessen entstand innerhalb kurzer Zeit ein gewaltiger heterogener staatlicher Wirtschaftssektor, der aus Banken, Landgütern, Privathäusern, Industrieunternehmen, Handelsfirmen, Läden und Hotels bestand. Er dehnte sich aus, nachdem Castro alle Mieten um die Hälfte kürzte und die Bodenpreise drastisch senkte, was zum Zusammenbruch des Hypothekenmarktes und zum Stillstand des gesamten privaten Wohnungsbaus führte, so daß der Bausektor verstaatlicht werden mußte. Ferner trat im Dezember 1959 ein Dekret in Kraft, das den Staat ermächtigte, Firmen zu enteignen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren oder ihre Produktion vermindert hatten. Dazu gesellte sich noch die Konfiszierung der Besitzungen all jener, die das Land ohne Genehmigung der Regierung verlassen hatten.

Gleichzeitig wurden die vormals den Reichen vorbehaltenen privaten Klubs dem Volke geöffnet, wurden moderne „Musterdörfer" mit asphaltierten Straßen gebaut, Wohnhäuser errichtet, die außerordentlich komfortabel eingerichtet waren; Kinderkrippen, Schulen und Krankenstationen entstanden, und Parks für das Volk wurden angelegt. Im Dezember 1960 erklärte Guevara, der zunächst zum Chef der Nationalbank, dann zum Leiter des neuge-schaffenen „Nationalen Instituts für Agrarreform" (INRA) ernannt worden war: „Wir verlangsamen bewußt unsere Entwicklung. Wir schaffen Klubs für das Volk, eröffnen Kinderheime und bauen Tausende von Häusern, obwohl wir wissen, daß es — vom wirtschaftlichen Standpunkt betrachtet — besser wäre, Fabriken zu errichten. Aber wir wollen im Volk das Gefühl erzeugen, daß unsere Revolution im Interesse und für das Wohl der großen Mehrheit verwirklicht wird."

Diese Politik entsprach nicht der wirtschaftlichen, wohl aber der politischen Vernunft, da die Revolutionsführung die Volksmassen für sich gewinnen wollte, noch bevor sie über einen vollausgebauten und funktionsfähigen Herrschaftsapparat verfügte.

Dieser Apparat wurde ab 1959 geschaffen. Die Rebellenarmee wurde „gesäubert", diszipliniert und mit neuen Waffen ausgerüstet. Neben ihr entstanden bewaffnete und im Zustand permanenter Mobilisierung gehaltene Volksmilizen. In allen Dörfern, in jedem Häuserblock der Städte wurden „Komitees zum Schutz der Revolution" gegründet, deren Aufgabe vor allem darin bestand, jeden Bürger zu beobachten. Darüber hinaus wurde eine neue, von treuen Anhängern Castros geführte politische Polizei, die „G. 2.", aufgebaut. Im Verlauf des Jahres 1960 verschwand auch die Pressefreiheit; alle unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch solche, die zu Zeiten Batistas offen ihre Sympathien für die Revolution zum Ausdruck gebracht hatten, mußten ihr Erscheinen einstellen oder wurden von neuen, castro-treuen Redakteuren übernommen. 3. Antiimperialismus und Sozialismus Während im Verlauf des Jahres 1960 auch eine wachsende Zahl nordamerikanischer Firmen unter den verschiedensten Vorwänden der Konfiskation verfiel, begann auf Kuba eine von Castro geleitete und inszenierte, immer schärfer werdende, gegen die USA gerichtete anti-imperialistische Kampagne.

Als die von der Radikalisierung der kubanischen Revolution überraschte Eisenhower-Regierung, die seit Mai 1960 immer wieder vergeblich versucht hatte, mit Castro Verhandlungen aufzunehmen, als Antwort auf die Beschlagnahme von nordamerikanischen Unternehmen ein Embargo auf die meisten für Kuba bestimmten Exporte verhängte, ließ Castro im Oktober 1960, nachdem er bereits die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit der UdSSR gelegt hatte, sämtliche noch in nordamerikanischem Besitz verbliebenen Firmen verstaatlichen. Washington verhängte daraufhin einen Boykott aller Lieferungen nach Kuba und stoppte auch den Ankauf kubanischen Zuckers. Dieser Boykott verwandelte sich in Castros Propaganda in eine Blockade der revolutionären Insel. Dieser Ausdruck wurde sofort von der gesamten Linken der westlichen Welt aufgegriffen, obwohl ein bloßer Blick in ein Wörterbuch genügt hätte, um die demagogische Entstellung des wirklichen Sachverhalts zu enthüllen. Tatsächlich konnten ja damals — wie auch im Verlauf der folgenden Jahre — alle Schiffe aus dem Ostblock und auch aus „kapitalistischen" Ländern kubanische Häfen ungehindert anlaufen, ihre Ladungen löschen und kubanische Erzeugnisse laden. Der Bruch mit den USA wurde erst möglich, als die Sowjetunion sich dazu verpflichtete, Kuba zu helfen, es mit allen notwendigen Produkten zu versorgen und den kubanischen Zucker abzunehmen.

Es waren also nicht die Nordamerikaner, die Kuba angegriffen und in die Arme des Ostblocks getrieben hatten; ursächlich für die Hinwendung Kubas zur Sowjetunion war — so unglaublich dies auch scheinen mag — der kubanische David selbst, der den benachbarten Goliath herausforderte, vielleicht weil, wie Castro es ausdrückte, jede wirkliche Revolution einen Feind brauche, um ihren Elan nicht zu verlieren.

Als dann im April 1961 ein von Nordamerikanern ausgebildetes und bewaffnetes Expeditionskorps von Exilkubanern versuchte, auf Kuba zu landen, war Castro gerüstet. In der „Schweinebucht" (Playa Girön) erlitten die Angreifer eine vernichtende Niederlage, nicht zuletzt deshalb, weil der neue US-Präsident Kennedy sich weigerte, sie aus der Luft zu unterstützen oder gar nordamerikanische Truppen einzusetzen. Der Sieg in der Schweinebucht verschaffte Castro gewaltiges internationales Prestige und entfachte im kubanischen Volk einen neuen Nationalstolz, der alle Kritik an den bereits vorhandenen wirtschaftlichen Nöten zum Verstummen brachte. Nun wurde auch zum ersten Male der sozialistische Charakter der kubanischen Revolution offiziell verkündet. Weit größeres Aufsehen und Staunen erweckte dann eine Rede, die Castro im Dezember 1961 hielt und in der er erklärte, schon seit langem Marxist-Leninist gewesen zu sein, überrascht waren sowohl die kubanischen Kommunisten als auch die Sowjetführer, die jedoch beide aus diesem unerwarteten Bekenntnis Vorteile zu ziehen gedachten: die Kommunisten Kubas, weil sie nun gewiß waren, die Leitung der geplanten neuen revolutionären Partei, der ORI (Organizaciönes Re-volucionarias Integradas), die aus einer Verschmelzung der „Bewegung des 26. Juli", des „Revolutionären Direktoriums" (einer Organisation, die unabhängig von Castro gegen Batista gekämpft hatte) und der kommunistischen P. S. P. gebildet werden sollte, übernehmen zu können; die Sowjets, weil sie sich nun der Solidarität eines revolutionären Staates, der sich unter das Banner des Marxismus-Leninismus gestellt hatte, sicher wähnten. 4. Die doppelte Enttäuschung von 1962 Doch bereits das Jahr 1962 bescherte sowohl den kubanischen Kommunisten als auch Moskau eine bittere Enttäuschung. Im März, nur wenige Tage nachdem die Führung der ORI (in der die P. S. P. ausschlaggebenden Einfluß hatte) benannt worden war, wandte sich Castro in einer Rede gegen deren wichtigsten Repräsentanten, Anibal Escalante, der Organisationssekretär in der P. S. P. gewesen war und das gleiche Amt auch in der ORI übernommen hatte. Castro warf ihm Sektierertum vor, beschuldigte ihn, eine Diktatur der Kommunisten errichten zu wollen und ließ ihn kurzerhand absetzen. Einige prominente Kommunisten versuchten sofort, von Escalante abzurücken, was ihnen jedoch wenig half. Der Stern der Altkommunisten begann zu sinken. Viele von ihnen verloren ihre Posten, die sie in Wirtschaft und Verwaltung innegehabt hatten, manche verschwanden gänzlich von der politischen Szene und mußten ins Ausland gehen.

Hierbei handelt es sich um einen Machtkampf innerhalb der revolutionären Führung, der auch wirtschaftliche Ursachen hatte. Die Versorgungslage der kubanischen Bevölkerung hatte sich bereits seit Ende 1961 rapide verschlechtert. Am 13. März 1962 wurde eine drakonische Rationierung eingeführt, die fast alle Produkte — Nahrungsmittel, Textilien, Kosmetika, Reinigungsmittel — umfaßte.

Im Herbst desselben Jahres brach die „Raketenkrise" aus. Chruschtschow mußte sich unter dem Druck Kennedys dazu verpflichten, die nach Kuba gelieferten und dort bereits aufgebauten Interkontinental-Raketen wieder abzubauen und öffentlich — unter amerikanischer Kontrolle — nach Rußland zurückzutransportieren, was sowohl bei der kubanischen Führung wie auch im kubanischen Volk offen geäußerte Empörung hervorrief. Die Chinesen griffen Chruschtschows „Abenteurerpolitik" an, seine Stellung in der KPdSU wurde geschwächt, während die Lage der Altkommunisten auf Kuba sich weiter verschlechterte. Um die Kubaner zu beschwichtigen, wurde im November 1962 Mikoyan von Moskau nach Havanna beordert. Er blieb insgesamt 24 Tage dort und wurde während der ersten Woche seines Aufenthaltes von keinem kubanischen Führer empfangen; schließlich vermochte er aber das Klima zwischen beiden Ländern zu verbessern, nachdem er eine weitere und stärkere Wirtschaftshilfe zugesagt hatte. 5. Ein Zwischenspiel — 1963 bis 1964 Der sowjetisch-kubanische Konflikt mußte beigelegt werden, weil beide Staaten einander brauchten, auch wenn in den führenden Kreisen beider Länder Kritik am Partner laut wurde. Die Kubaner — vor allem Guevara — beklagten die zurückgebliebene Technologie der osteuropäischen Länder und die geringe Qualität der oft unbrauchbaren und unpünktlich gelieferten sowjetischen und tschechischen Maschinen und Anlagen. Die Russen wiederum bemängelten die auf Kuba herrschende Desorganisation und machten sich über die ständig wachsende Verschuldung der Kubaner ernsthafte Sorgen. Aber keine der beiden Seiten konnte auf die andere verzichten, und die Kubaner mußten ihre Kritik an den Russen entschärfen. So schien sich 1963 eine endgültige Beilegung des Konflikts abzuzeichnen. Castro wurde in die UdSSR eingeladen, fuhr im April 1963 nach Moskau und kam erst am 3. Juni — vom großartigen Empfang der Russen begeistert — nach Havanna zurück. Ein neues Abkommen, das die Wirtschaftspolitik Kubas gänzlich verändern sollte, war in der sowjetischen Hauptstadt unterzeichnet worden. Von nun an wurde auf eine schnelle Industrialisierung verzichtet und das entscheidende Gewicht auf den raschen Ausbau und die Modernisierung der kubanischen Landwirtschaft gelegt. Die Produktion von Zucker, Kaffee und Tabak sollte gesteigert und der Viehzucht besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die Russen versprachen, dabei mit Technikern und neuen Maschinen zu helfen und die kubanischen Produkte zu hohen Preisen abzunehmen. Eine zweite, aber diesmal kürzere Moskau-Reise Castros folgte im Januar 1964. Nach seiner Rückkehr kündigte Castro in einer Rede (24. Januar) die baldige Lieferung neuartiger, eigens für Kuba entwickelter Maschinen zum Schneiden des Zukerrohres an und sprach zum erstenmal davon, daß Kuba 1970 eine Ernte von zehn Millionen Tonnen Zucker erreichen würde.

Angesichts der neuen Freundschaft mit Moskau wandte sich Castro bereits ab 1963 gegen diejenigen seiner Anhänger, die die Sowjets und auch die einheimischen Kommunisten allzu scharf kritisiert hatten. Der Chefredakteur des offiziellen Organs der „Bewegung des 26. Juli", Revoluciön, der zu diesen Kritikern gehört hatte, wurde abgesetzt. Revoluciön und das Organ der Kommunistischen Partei, Hoy, wurden 1964 zu einer Tageszeitung verschmolzen, die dann unter dem Titel Granma erschien. In der Führung der neugeschaffenen revolutionären Einheitspartei PURS (Partido Unido de la Revoluciön Socialista), die auf die ORI folgte, erhielten die Altkommunisten einige, wenn auch nur wenige Posten.

Doch das Blatt sollte sich wieder — und das noch im gleichen Jahr — wenden. Im November 1964 wurde der prominente Altkommunist Joaquin Ordqu, bis dahin Mitglied des Zentralkomites der PURS und stellvertretender Verteidigungsminister, seiner Ämter enthoben und kurz darauf, gemeinsam mit seiner Frau, die eine bedeutende Rolle in der alten P. S. P. gespielt hatte und bis Ende 1964 verantwortlich für die Kulturarbeit war und der Leitung der PURS angehört hatte, verhaftet und verurteilt.

Einer der wenigen Altkommunisten, die von da ab in der kubanischen Politik noch eine Rolle spielten, war der Ökonom Carlos Rafael Rodriguez, der auch als einziges prominentes P. S. P. -Mitglied 1958 in die Sierra Maestra gekommen und für Castro eingetreten war. 6. Von der kubanischen „Häresie" zum Ende der charismatischen Phase der Revolution (1965— 1970)

Als K. S. Karol 1967 bei seinem dritten Besuch auf Kuba den damaligen Präsidenten der Republik, Dorticös, nach dem Ziel der Revolution fragte, erhielt er eine erstaunliche Antwort: „Es besteht nicht darin, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, sondern darin, in kürzestmöglicher Zeit zum Kommunismus zu gelangen." Mit einem Lächeln habe Dorticös hinzugefügt: „Gewiß vertreten wir so eine kleine Häresie", aber es gebe eben zwischen der kubanischen und der sowjetischen Auffassung gewisse Divergenzen

Doch die „Häresie" der Kubaner beschränkte sich nicht auf das Problem des Kommunismus, auf die Beseitigung aller materiellen Produktionsanreize und die in Aussicht gestellte Abschaffung des Geldes. Sie ging weiter, reichte tiefer und wirkte sich auch im Bereich der Institutionen aus.

Es gab auf Kuba keine Verfassung, die die bestehende Ordnung als „Diktatur des Proletariats" oder als „Volksdemokratie", als „Staat des realen Sozialismus" oder sonstwie definiert hätte. Es gab kein Parlament, keine Sowjets und es fanden auch keine noch so manipulierten Wahlen statt. Die „Komitees zum Schutz der Revolution", die Milizen und die Gewerkschaften bestanden zwar weiter, doch hatten sie alle Autonomie verloren und viel von ihrer Bedeutung eingebüßt. Selbst von einer herrschenden kommunistischen Partei konnte im Ernst nicht gesprochen werden. Zwar gab es seit 1965 ein Gebilde, das den Namen Kommunistische Partei trug. Aber diese „Partei" hatte nie einen Gründungskongreß abgehalten, sich nie ein Programm gegeben. Es gab zwar ein Zentralkomitee dieser merkwürdigen Organisation, das auch die Tageszeitung Granma als ihr Organ herausgab, doch es trat selten zusammen und bestand nicht aus gewählten Funktionären, sondern aus Leuten, die Castro persönlich ausgewählt und ernannt hatte. Seit 1967, als die Zeitschrift Cuba Socialista ohne Angabe von Gründen ihr Erscheinen eingestellt hatte, gab es kein theoretisches Organ der kubanischen Kommunisten. Anfang 1968 wurden die erst kurz zuvor geschaffenen „Kaderschulen" aufgelöst, und mit ihnen verschwand auch die Zeitschrift Teona y Practica. Einer theoretischen Zeitschrift kam Verde Olivo noch am nächsten, doch wurde sie nicht von der Partei oder einer der Partei unterstellten Organisation, sondern von der Armee herausgegeben, was auf die große Bedeutung der Streitkräfte und die weitgehende Verschmelzung ihrer Kader mit denen der Partei hinweist.

Die zahlreichen kubafreundlichen, aber kritischen Beobachter, die 1968/69 das Fehlen fester Institutionen als zentralen Mangel des Systems bezeichneten hatten dabei nicht ganz recht. Denn es gab die starke, gut geschulte und ausgerüstete Armee, die — ohne politische Eigenständigkeit — als williges Werkzeug der Brüder Castro das Land beherrschte, seine Wirtschaft leitete und die Aufgabe hatte, das kubanische Volk zum Sozialismus zu erziehen, das heißt den neüen „sozialistischen Menschen", auf den es vor allem Guevara ankam, „von oben und außen" zu schaffen. Nicht zu Unrecht kennzeichnete der französische Agronom Rene Dumont, der lange Zeit auf Kuba verbracht und auch Castro selbst beraten hatte, Kuba in seinem 1970 erschienenen Buch als „eine in der Welt einmalige militärische Gesellschaft" (une societe militaire unique au monde)

Ab 1965 begannen sich die Beziehungen zwischen den „Castristen" einerseits, Moskau und den von den Sowjets abhängigen lateinamerikanischen kommunistischen Parteien andererseits rapide zu verschlechtern: Einmal, weil die Kubaner Umfang und Art der von den Sowjets geleisteten Wirtschaftshilfe sehr bemängelten, zum anderen, weil sich wachsende strategische Differenzen zwischen den Neukommunisten in Havanna und den orthodoxen Altkommunisten des übrigen Iberoamerika zeigten. In einer am 25. Februar 1965 in Algier gehaltenen Rede, die beachtliches Aufsehen erregte, beschuldigte Guevara die Sowjets, sich zusammen mit den Imperialisten an der Ausbeu-tung der Dritten Welt zu beteiligen, während es ihre Pflicht sei, unterentwickelten Ländern den Weg zu Freiheit und Sozialismus zu finanzieren und für dieses Ziel Opfer zu bringen.

Im Februar 1967 veröffentlichte Granina eine anonyme Studie über die Gefahr der Bürokratisierung sozialistischer Systeme mit einer eindeutigen Spitze gegen die UdSSR.

Wichtiger noch waren die strategischen Difierenzen in bezug auf den Weg, den die Revolution in Lateinamerika zu nehmen hatte. Die Kubaner legten entschiedenen Wert auf den Partisanenkampf und griffen ihre Bruder-parteien an, die entweder nichts für die Entfaltung der Guerillakämpfe taten oder aber — wie in Venezuela — solche Kämpfe abbrachen.

Ihren klarsten theoretischen Ausdruck fanden diese in schroffem Gegensatz zum Marxismus-Leninismus stehenden Auffassungen in dem 1966 verfaßten und 1967 in Havanna publizierten Buch des Franzosen Regis Debray: Revolution in der Revolution?

In den Jahren 1966, 1967 und 1968 fanden in Havanna drei internationale Kongresse statt, die weder Moskau noch die orthodoxen Kommunisten gewollt hatten und auch nicht kontrollieren konnten: die „Trikontinentale Konferenz" vom Januar 1966, die Konferenz der neugeschaffenen Organisation Lateinamerikanischer Solidarität (OLAS) im August 1967 und der „Kulturkongreß" vom Januar 1968. Sie dienten vor allem dazu, die „orthodoxen" Kommunisten als Helfer der Konterrevolution anzuprangern und die Strategie des Partisanenkampfes zu propagieren. Am Vorabend der OLAS-Konferenz, am 30. Juli 1967, erschien in der Moskauer Prawda ein umfangreicher, von Corvalän, dem Führer der chile-nischen KP, verfaßter Artikel, der den Castrismus kritisch unter die Lupe nahm: „Zwischen den revolutionären Strömungen, die sich im Proletariat und denen, die sich innerhalb des Kleinbürgertums entwickeln, besteht ein Band der Einheit und des gemeinsamen Kampfes. Vieles eint sie, aber einiges trennt sie auch voneinander. Die aus dem Kleinbürgertum hervorgegangenen Strömungen unterschätzen meist das Proletariat und die kommunistischen Parteien. Sie neigen zum Neutralismus, zum Abenteurertum, zum Terrorismus und dulden gelegentlich den Antikommunismus und den Antisowjetismus. Zwischen diesen beiden Strömungen vollzieht sich ein Kampf um die Führung der Bewegung und — bis zu einem gewissen Grade auch — ein ideologischer Kampf."

Weiter wollten die Sowjets nicht gehen, um einen Bruch mit Kuba zu vermeiden und um Castro nicht etwa noch in die Arme der Chinesen zu treiben. Guevaras tragischer Tod in den Bergen Boliviens übte auf Castro kaum mäßigenden Einfluß aus. Im Gegenteil — er schien den Radikalismus der kubanischen Revolution und ihren Haß auf die orthodoxen Kommunisten noch zu steigern. Auf dem Kulturkongreß im Januar 1968 wurden letztere von Castro selbst geradezu lächerlich gemacht, zugleich teilte er den Anwesenden auch mit, man hätte auf Kuba eine gefährliche, offenbar für Moskau arbeitende „Mikrofraktion" entlarvt und zerschlagen. An ihrer Spitze hatte wieder Anibal Escalante gestanden, der zusammen mit anderen Altkommunisten nun verhaftet und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Auch in der Wirtschaftsund Sozialpolitik wurde der Kurs verschärft: Arbeitspässe wurden eingeführt, Gesetze gegen Faulenzerei erlassen, die das unentschuldigte Fehlen vom Arbeitsplatz jetzt mit harten Gefängnisstrafen belegten. Man startete eine Kampagne gegen „bürgerliche Laster", zu denen z. B. die Homosexualität gehörte. Die Gefängnisse, die Arbeits-und „Umerziehungs" -Lager füllten sich. 1967 beschloß Castro, um Havanna herum einen „landwirtschaftlichen Gürtel" anlegen zu lassen, in dem vor allem Kaffee gepflanzt werden sollte. Anfangs wurde das Ziel auf acht Millionen Sträucher festgesetzt, nur einige Tage später aber auf 20 Millionen Stauden erhöht, und wenige Wochen darauf sogar auf 64 Millionen. Aber keines der gesetzten Ziele wurde erreicht. 1969 beobachtete Dumont, daß viele der angepflanzten Stauden verkommen waren und wieder ausgerissen werden mußten 1968 wurde zum Jahr der großen „revolutionären Offensive" erklärt, deren Ziel es war, alle noch in Privatbesitz befindlichen Betriebe zu verstaatlichen. Tatsächlich wurden binnen weniger Tage 58 000 kleine und kleinste Geschäfte — vom Friseurladen bis zum Straßen-kiosk — konfisziert und verstaatlicht. Einer der führenden Castristen, Armando Hart, behauptete nach Abschluß dieser Aktion mit Stolz, Kuba sei nun das sozialistischste Land der Welt geworden! 1969 wurde das Volk für die „große Zucker-ernte" mobilisiert, die 1970 eingebracht werden sollte und auf zehn Millionen Tonnen festgesetzt wurde — diese Zahl wurde zum Fetisch gemacht. Castro erklärte öffentlich, es gehe hier um die Ehre des gesamten Volkes und seiner Revolution — eine Ehre, die verspielt werden würde, sollte in diesen zehn Millionen Tonnen auch nur ein einziges Kilogramm fehlen!

Es fehlten schließlich eineinhalb Millionen Tonnen. Um aber dieses Ergebnis zu erreichen, hatte Castro die restliche Wirtschaft des Landes lahmgelegt und dem Volk ungeheure neue Opfer aufgebürdet. Kuba befand sich am Rande einer Hungersnot. Eine grundlegende Änderung des Systems war unvermeidlich geworden. Die „charismatische" Phase der Revolution war zu Ende.

IV. Analyse der kubanischen Revolution

In seinem 1974 erschienenen — bemerkenswerten und brillanten — Buch La Critique des Armes schreibt Regis Debray: „Die Entstehung des kubanischen Sozialismus ist eine Revolution, die allen Regeln des gesunden Menschenverstandes und allen anerkannten Gesetzen widerspricht." Insofern, als Debray mit „anerkannten Gesetzen" jene des Marxismus meint, entspricht seine Behauptung jenen Bemerkungen Fidel Castros, die dieser 1968 in einem Gespräch mit K. S. Karol ganz nebenbei machte: „Ich weiß wohl, daß dies dem Schema von Karl Marx nicht entspricht. Mit unserer Revolution haben wir die Gesetze der Geschichte verletzt. Hätten wir sie deshalb nicht durchführen sollen?"

Marxisten und vom Marxismus beeinflußte Historiker und Journalisten pflegen Revolutionen nach deren „Klassencharakter" zu beschreiben und einzuteilen. Ein solches Ver-fahren ist freilich aus zwei Gründen problematisch: zum ersten, weil der Begriff der sozialen Klasse auch bei Marx vage ist, und zum zweiten, weil — wie Barrington Moore jr. zu Recht bemerkt—, „jene, die einer Revolution die breite Unterstützung geben, jene, die sie führen, und jene, die von ihr profitieren, ganz unterschiedliche Menschengruppen sind" Um welche Revolution hat es sich nun auf Kuba gehandelt? Wem es nicht genügt, sie als charismatisch zu kennzeichnen, möchte sie vielleicht — in Anlehnung an Leo Trotzki — als permanente Revolution charakterisieren, die also als bürgerliche und nationale begonnen, dann ihren Charakter geändert hat und zur sozialistischen und internationalistischen Revolution geworden ist. Gleichwohl sagt eine solche These nicht sehr viel aus. Handelte es sich — zumindest in ihrer ersten Phase — etwa um eine bürgerliche Revolution, deren Charakter in der Überwindung von „Absolutismus" und „Feudalismus" (zwei Begriffe, die einander übrigens widersprechen) und im Übergang der Macht an die Bourgeoisie bestehen soll? Die parlamentarisch verbrämte, von bürgerlichen Gruppen unterstützte Diktatur Batistas stellte indes keinen „Absolutismus" dar, und ebensowenig gab es auf Kuba einen „Feudalismus". (Die großen kubanischen Landgüter waren kapitalistische Unternehmen, die kaum etwas mit den haciendas anderer iberoamerikanischer Länder gemein hatten.) Somit konnte man 1959 nicht von der Errichtung der Macht der „Bourgeoisie" sprechen. Es war auch keine Bauernrevolution: Erstens, weil die „Bauern" nur eine Minderheit der in der kubanischen Landwirtschaft tätigen Bevölkerung ausmachten, die in ihrer Mehrheit aus Landarbeitern bestand; zweitens, weil die Bauern zum Teil recht wohlhabende Pächter (colo-nos) waren, die durch Gesetzte vor Kündigung und Vertreibung geschützt waren und deren Einkommen vom Zuckerpreis abhing; drittens, weil die „Squatters", jene Minderheit marginaler bäuerlicher Existenzen, die hauptsächlich in den Berggebieten der Sierra Maestra anzutreffen waren und die keinerlei Rechtsschutz gegen Vertreibung genossen, sich zwar zu einem kleinen Teil Castros Partisanen anschlossen, aber durchaus nicht revolutionär oder gar sozialistisch gesinnt waren, was Guevara 1961 offen zugab: Sie seien von kleinbürgerlichem Geist erfüllt, darauf bedacht, eigenen Boden zu besitzen, ihn frei zu vererben und sich durch den Verkauf ihrer Produkte bereichern zu können Gerade diese Bauern wurden zu Opiern der Revolution, als diese „Staatsfarmen" schuf und die übrigen Kleinbauern strikter Kontrolle unterstellte.

Noch weniger handelte es sich um eine proletarische Revolution weder in ihrer ersten Phase noch im Verlauf ihrer Radikalisierung. Von allen Schichten der kubanischen Bevölkerung war das kubanische Proletariat am wenigsten an der Revolution beteiligt, weil es — wie die Kommunisten sagten — vom Geist des „Ökonomismus" getragen war. In starken, oft von korrupten Funktionären geführten Gewerkschaften organisiert, waren die Arbeiter bereit, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, aber nicht für eine sozialistische Revolution in den Kampf zu ziehen. Während der Jahre, in denen Castro von den Bergen aus um die Macht kämpfte, fand ein einziger größerer Streik statt, der Streik der Zuckerarbeiter von 1958, der für rein ökonomische Ziele geführt und — übrigens durch Eingreifen Batistas — von den Gewerkschaften gewonnen wurde. Der im April 1958 von den Castristen unternommene Versuch eines politischen Streiks gegen das Batista-Regime, der von den Kommunisten abgelehnt worden war, trat vor allem in terroristischen Akten zutage, kostete zahlreiche Todesopfer und scheiterte kläglich.

Nach dem Sieg Castros waren es vor allem Arbeitergruppen (z. B. die hochbezahlten Elektrizitätsarbeiter), die gegen Maßnahmen der revolutionären Regierung protestierten, und schon im November 1959 wurde die Gewerkschaftsbewegung, wie bereits erwähnt, gleichgeschaltet.

In dem oben zitierten Gespräch mit Karol erklärte Castro 1965: „Die Arbeiterklasse war — wie das ganze Volk — für die Revolution, aber sie war keine revolutionäre Klasse, hatte keinerlei sozialistische Vision ihrer Zukunft und konnte also keine Hebamme einer neuen Gesellschaft sein. Der Sozialismus konnte nicht durch eine Diktatur des Proletariats errichtet werden."

Abgesehen davon, daß „Diktaturen des Proletariats" sich in der Geschichte als „Diktatur über das Proletariat" herauszustellen pflegten, muß die Feststellung Castros all jenen peinlich sein, die an der These einer proletarischen oder sozialistischen Revolution auf Kuba festhalten. Peinlich, aber nicht hoffnungslos, wenn man nur den Mut aufbringt, zu den Methoden jener „marxistisch-leninistischen" Alchemie zu greifen, von der Debray in den folgenden Zeilen Gebrauch macht: „Daß eine fortschrittliche Fraktion des Klein-bürgertums sich an die Stelle des Proletariats setzt, um die historischen Aufgaben der proletarischen Revolution durchzuführen, ist recht merkwürdig. Was für den orthodoxen Marxisten die kubanische Revolution zum Problem werden läßt, ist die Art und Weise, in der die proletarische Hegemonie sich nach und nach unter einer politischen Führung festigen konnte, die zu Beginn des Prozesses weder in ihrer Ideologie noch ihrer klassenmäßigen Herkunft nach proletarisch war."

Die Art, wie Debray die Frage stellt, macht eine befriedigende Antwort unmöglich. Zunächst wird jenes System, das auf Kuba (oder in einem Land des Ostblocks) entstand, als „sozialistisch" definiert, was zumindest problematisch ist. Dann wird dieser Sozialismus dem Proletariat zugeschrieben und als Ausdruck der historischen Interessen dieser Klasse erklärt. Dann wird behauptet, die nicht proletarische und ohne revolutionäre Ideologie angetretene „kleinbürgerliche" Avantgarde habe schließlich die proletarische Hegemonie verwirklicht.

• Das Proletariat, von dem hier die Rede ist, besteht nicht aus konkret existierenden Menschen, sondern ist eine metaphysische Konstruktion, die den Hirnen von Intellektuellen entspringt, um eine von vornherein festste-* hende Konzeption unter dem Motto: „Um so schlimmer für die Tatsachen!" zu beweisen. Debray (und Castro) geben zu, daß in ihrem Sinn die wirklichen Proletarier Kubas nicht revolutionär waren. Sie hätten gemurrt und protestiert. Doch um wieviel stärker wären diese Proteste erst ausgefallen, hätten sie geahnt, daß sie bald des Streikrechts beraubt und gezwungen sein würden, nicht nur den Gürtel enger zu schnallen, sondern auch die Einführung von Arbeitsbüchern und die Inkraftsetzung drakonischer „Gesetze gegen Faulenzerei" mitzuerleben.

Die kubanische Revolution war also weder eine Klassen- noch eine Massenrevolution: Die Massen spielten in ihr nur jene Rolle, die in der griechischen Tragödie dem Chor zufällt: Sie murrten oder spendeten Beifall, sie klagten oder sie jubelten — aber sie kämpften nicht für die Revolution und bestimmten auch nie ihren Kurs. Schließlich kann diese Revolution nicht aus dem Anti-Imperialismus erklärt und als nationale Befreiungsrevolution angesehen werden. Bis 1933 stand zwar vor allem die kubanische Mittelschicht den Vereinigten Staaten feindlich gegenüber. Das änderte sich jedoch ab 1934 mit der von Roosevelt betriebenen „Politik der guten Nachbarschaft", mit der Einführung von Schutzzöllen für die entstehende kubanische Industrie, der Schaffung einer kubanischen Nationalbank, der wachsenden Bedeutung des nordamerikanischen Tourismus, der zunehmenden „Nordamerikanisierung" des kubanischen Lebens und — last not least — dank der hohen Löhne und Gehälter, die nordamerikanische Firmen auf Kuba ihren Arbeitern und Angestellten zahlten.

Obwohl die Insel ökonomisch von den USA abhing und politisch de facto zu einem nordamerikanischen Protektorat geworden war, war der Anti-Imperialismus in Kuba schwächer als in den meisten lateinamerikanischen Ländern. Es war also nicht etwa ein starker und verbreiteter, gegen die USA gerichteter Anti-Imperialismus, der Castro antrieb, sondern es war Castro, der den Anti-Imperialismus im Volk „von oben" anheizte. Später gab er das selbst in einer Rede zu, die er am 26. Juli 1970 hielt. Die revolutionäre Vorhut, so sagte er, habe auch in bezug auf die USA und die nationale Unabhängigkeit in den Massen erst ein „richtiges Bewußtsein" schaffen müssen. Wörtlich fügte er hinzu: „Vergessen wir nicht, daß wir anfangs in unseren Gefühlen revolutionär waren, daß aber die Mehrheit unseres Volkes in den ersten Monaten des Jahres 1959 nicht einmal antiimperialistisch gesinnt war!"

Die kubanische Revolution war also von Anfang bis Ende das Werk einer vom charismatischen Führer Fidel Castro beherrschten Minderheit, die nicht einmal als Partei organisiert war. Denn die „Bewegung des 26. Juli" war eine persönliche Schöpfung Castros, die nie einen Gründungskongreß abgehalten, nie ein Programm angenommen hatte und die aus durchaus heterogenen Elementen bestand. Castro selbst verfügte weder über eine Theorie noch über konkrete Pläne. Erst im dialektischen Wechselspiel mit der Wirklichkeit, deren Natur er durch die seinem subjektiven Willen entspringenden Maßnahmen radikal veränderte, radikalisierten sich seine Ideen weiter, bis er zum „Marxisten-Leninisten" wurde — ohne Marx je ernsthaft studiert zu haben.

Große Teile des Volkes — vor allem der Mittelschicht — verließen Kuba sehr bald, um in die USA zu flüchten. Die Massen der Unter-schicht aber blieben ihm treu, weil sie an das Charisma dieses ungemein begabten Demagogen glaubten, so daß er, wie Theodore Draper es 1965 ausdrückte, seine Ideen ändern konnte, ohne seinen Massenanhang zu verlieren In ständigem Kontakt mit dem Volk, dem er in der ersten Zeit auf Kosten der Zukunft viele materielle Vorteile bot, wurde er in seinen Reden zu einem jener „großen Vereinfacher", deren Zeitalter Burckhardt prophezeit hatte. Als die Zeit der materiellen Beglückung vergangen war und sich wirtschaftliche Nöte zeigten, fand er im Imperialismus den Sündenbock, den er brauchte, um dem Volk Opfer abverlangen und erklären zu können, weswegen die großen Segnungen, die er immer aufs neue versprach, nicht Wirklichkeit wurden. Während der ganzen Zeit wand-te Castro auch die Methode einer semantischen Manipulation an, die er wohl instinktiv entdeckt hatte und die auf der absichtlichen Mehrdeutigkeit der von ihm in seinen Reden verwendeten Begriffe, auf der Verkündung bloßer Etappenziele als Endziele, auf Vernebelung und Verschweigen seiner Absichten sowie auf Wortschöpfungen beruhte. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, hier Beispiele dieser Methode zu geben. Es mag genügen, zwei Zitate anzuführen, von denen das erste vom damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kubas (P. S. P.), Blas Roca, das zweite vom damaligen Präsidenten der Republik, Oswaldo Dorticös, der nach der Beseitigung Urrutias von Castro eingesetzt worden war, stammt.

Blas Roca sagte während der nationalen Versammlung seiner Partei in Havanna im August 1960: „Viele Dinge, die auf Kuba geschehen, werden mit neuen, ungewohnten Namen bezeichnet. Wenn diese Dinge klar beim Namen genannt worden wären, bevor sich unsere Kräfte konsolidiert hatten, hätte nichts erreicht werden können. Die List der Geschichte, der Revolution, besteht darin, neue Namen und Methoden zu erfinden, um die notwendigen Aufgaben zu verwirklichen."

In gleichem Sinne äußerte sich im Juni 1961 Präsident Dorticös: „Es war vor allem aus strategischen Gründen, daß bei uns keine vollendete revolutionäre Theorie formuliert wurde. Das hätte große Anstrengungen erfordert und eine ideologische Indoktrinierung vorausgesetzt, die vermieden werden konnte, bis das kubanische Volk durch die Tatsachen selbst erzogen worden war."

Zu alledem gesellte sich die totalitäre Regime kennzeichnende Mischung von permanenter Mobilisierung der Massen, Sozialisierung der Menschen, d. h. Aufhebung bzw. Einschränkung der Privatsphäre der Individuen, ständiger Überwachung jedes einzelnen und Repression

V. Die Normalisierung

Bereits Ende August 1968 tat Castro den ersten Schritt, um die Gunst der Sowjetführer zurückzuerobern. Er sprach sich öffentlich für den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR aus Moskau schien nicht gleich begriffen zu haben, daß es sich hier um ein Signal, um den Beginn einer neuen Politik der Kubaner handelte, denn Castros Reden wurden in der sowjetischen Presse kaum erwähnt. Am 21. November 1968 unterschrieb Castro jedoch bereits ein Kommunique, in dem er sich gemeinsam mit einer Delegation der DDR gegen Revisionismus und Opportunismus wandte.

• Im Juni 1969 wurde Carlos Rafael Rodriguez als kubanischer Gastdelegierter zur Weltkonferenz der kommunistischen Parteien nach Moskau entsandt, wo er erklärte, sein Land sei von der Notwendigkeit der absoluten Solidarität mit der Sowjetunion überzeugt.

Im Juli desselben Jahres wurde Kuba erstmals von einem sowjetischen Flottengeschwader besucht, dessen Besatzung sich symbolisch an der kubanischen Zuckerernte beteiligte.

Im November schließlich stattete Marschall Gretschko Kuba einen offiziellen Besuch ab. 1970, noch vor der Katastrophe der „großen Zuckerernte", begann Castro auch mit der ideologischen Umrüstung, der Kritik an den von Kuba in der Vergangenheit verübten idealistischen Fehlern und einer Glorifizierung der UdSSR.

Im September 1970 sagte er, es sei unmöglich, objektiv unvermeidliche Entwicklungsstufen zu überspringen, und fügte wörtlich hinzu: „Unser größter idealistischer Fehler hat darin bestanden, zu glauben, daß eine Gesellschaft, die sich gerade erst vom Kapitalismus befreit hatte, sich nun, mit einem Sprung, in eine Gesellschaft verwandeln könne, in der sich jeder nach den Gesetzen der Moral verhalten würde.“

Im Mai 1971 erklärte er, für die Entwicklung zum Kommunismus bedürfe es nicht allein eines richtigen Bewußtseins, sondern einer hinreichenden Entwicklung der materiellen Produktivkräfte. Es hieße, dem Idealismus zu verfallen, wenn man meine, die Voraussetzungen für den Sozialismus seien auf Kuba bereits gegeben

Ende 1971 bemerkte Präsident Dorticös bei einem Besuch in Moskau, Kuba sei erst dabei, die Grundlagen für den Sozialismus zu legen, während die Sowjetunion den Sozialismus bereits verwirklicht habe und dabei sei, den Kommunismus aufzubauen. Und Castro verkündete am 26. Juli 1973, Kuba sei für den Kommunismus noch nicht reif: „Wir müssen den Mut aufbringen, die idealistischen Fehler, die wir begangen haben, zu korrigieren." 1970 waren in Frankreich die kritischen Bücher von Dumont und Karol erschienen, was Castro zum Anlaß nahm, eine Kampagne gegen die beiden Autoren und ihre kubanischen Freunde und Informanten zu starten. Sie erreichte ihren Höhepunkt in der „Affäre Padilla". Der kubanische Dichter hatte für sein Buch Fuera de Juego den ersten Preis einer internationalen, in Havanna tagenden Jury erhalten. Im März 1971 verdammte Castro dieses Buch, ließ Padilla als Konterrevolutionär mit der Begründung verhaften, er habe unter anderem Karol mit Informationen versorgt. Als diese Verhaftung vor allem in Europa und Lateinamerika in linken intellektuellen Kreisen Empörung und Kritik hervorrief, wurde Padilla im April 1971 zu einer öf-fentlichen Selbstkritik veranlaßt — ein Verfahren, das an die Stalin-Prozesse erinnert. Er gestand seine „Fehler" ein, versprach, sich zu bessern und „bestätigte", Dumont und Karol seien „Agenten der CIA". Padilla wurde daraufhin begnadigt. Von da an aber wurden in Kuba alle Reste kultureller Freiheit beseitigt-

I 1971 wurde eine ständige sowjetisch-kubanische Kommission geschaffen, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder organisieren und einen ersten kubanischen Fünf-Jahres-Plan für die Jahre 1976 — 1980 ausarbeiten sollte. Zahlreiche Spezialisten aus den Ostblockländern kamen als Wirtschaftsund Militärberater nach Kuba. 1972 trat Kuba dem COMECON bei, 1973 begann eine Umorganisierung der kubanischen Streitkräfte, die erst 1976 beendet war. Die Volksmilizen verloren an Bedeutung und wurden zur Reserve der Armee erklärt. Andere Uniformen wurden eingeführt, die Streitkräfte erweitert, mit neuen Waffen ausgerüstet und hierarchisch nach sowjetischem Muster gegliedert: An ihrer Spitze standen nun zwei Vier-Sterne-Generale, die beiden Brüder Castro; sie befehligten eine in Korps, Divisionen, Brigaden etc. gegliederte Armee.

Leonid Breschnew wurde 1974 bei seinem Besuch in Havanna stürmisch gefeiert. Im Dezember 1975 trat endlich der erste Kongreß der neuen Kommunistischen Partei Kubas zusammen, der Statuten beschloß, eine Parteiführung wählte, den ihm vorgelegten Entwurf einer Verfassung und den inzwischen erarbeiteten ersten Fünf-Jahres-Plan billigte. Dem zweiten, für 1980 geplanten Parteitag soll es Vorbehalten bleiben, das Programm der Partei zu beschließen. In seiner Rede auf dem Parteitag übte Castro nochmals Selbstkritik und sagte u. a.: „Revolutionen durchlaufen meist utopische Perioden, in deren Verlauf ihre Protagonisten glauben, daß historische Ziele schnell verwirklicht werden können und daß der Wille, die Absichten und die Wünsche der Menschen unabhängig von der objektiven Bedingungen alles vollbringen können. Manchmal werden solche utopischen Meinungen von einer Verachtung gegenüber den von anderen gemachten Erfahrungen begleitet. Die kubanische Revolution hatte von Anfang an darauf verzichtet, aus den reichen Erfahrungen anderer Völker zu lernen, die mit dem Aufbau des Sozialismus seit langem begonnen hatten. Wären wir weniger eingebildet gewesen, so hätten wir begriffen, daß die revolutionäre Theorie in unserem Lande nicht voll entwik-kelt war und daß es uns an geschulten Ökonomen und marxistischen Wissenschaftlern fehlte, die allein in der Lage gewesen wären, wesentliche Beiträge zur Theorie und Praxis des Sozialismus zu leisten."

Das Land wurde in 14 (vorher fünf) Provinzen und diese wiederum in insgesamt 169 Gemeinden bzw. Stadtbereiche aufgeteilt, in denen aufgrund von Vorschlägen aus der Partei lokale „Organe der Volksmacht" gewählt wurden, die ihrerseits wiederum ihnen übergeordnete „Organe der Volksmacht" auf Provinzebene wählten. Aus diesen ging das oberste „Organ der Volksmacht" hervor, die Nationalversammlung, die aus 481 Delegierten besteht und zweimal im Jahr zusammentreten soll. Die Nationalversammlung entspricht also dem Moskauer Obersten Sowjet.

Die Nationalversammlung wählt aus ihrer Mitte einen aus Mitgliedern bestehenden Staatsrat, dessen Vorsitzender zugleich Staatsoberhaupt und Präsident des Ministerrates ist. Die Verfassung wurde 1976 in einem Referendum vom Volk gebilligt. Es ist nicht nur eine Verfassung nach sowjetischem Vorbild, sondern auch das einzige Dokument seiner Art in der Welt, das in seiner Präambel die sowjetische Verfassung als ihr Vorbild erwähnt und die ein Drittel ihrer Artikel aus diesem Vorbild direkt übernimmt 31).

Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, alle 1977 vorhandenen Institutionen und ihre Kompetenzen auch nur aufzählen. Wer Anfang Januar 1979 am Fernsehschirm jene Ausschnitte des Films gesehen hat, in dem die kubanische Truppenparade zu Ehren des 20. Jahrestages der Machtergreifung Castros gezeigt wurde kann zum Teil schon ermessen, wie verschieden das heutige Kuba von dem ist, das zu Beginn seiner Revolution viele, vor allem junge Intellektuelle im Westen faszinierte. Was geblieben ist, ist freilich nicht allein die kubanische. Landschaft, sondern auch die gewaltige festgeschriebene Zusammenballung der Macht in der Hand Fidel Castros, der nun die Funktionen und Ämter des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei, des Vorsitzenden des Staatsrats, des Staatsoberhaupts und des Oberbefehlshabers der kubanischen Streitkräfte innehat. Doch sind seiner Macht mittlerweile Grenzen gesetzt. Denn inzwischen sind in allen Bereichen des öffentlichen Lebens feste, mit Kompetenzen und eigenen Apparaten versehene Institutionen entstanden, die selbst Castro nicht mehr sprengen könnte, auch wenn er es wollte.

VI. Versuch einer Wertung

Was hat die kubanische Revolution nun erreicht? Die positive oder negative Bewertung ihrer Errungenschaften hängt von dem Maßstab ab, den der Betrachter anlegt, und von den Fakten, die für ihn relevant sind. Allerdings würde er sich seine Aufgabe zu leicht machen, wenn er die Realität von 1977/78 an den von Castro 1959 proklamierten Zielen messen und so zu einem eindeutig negativen Ergebnis kommen wollte: denn diese Ziele waren zu einem beträchtlichen Teil utopisch und sind vom Initiator und Führer der Revolution selbst als „idealistische Fehler" charakterisiert worden. Zu leicht macht es sich aber auch jener, die Entwicklung positiv beurteilende Betrachter, der von der endgültigen Beseitigung der Korruption und der Über-windung der Arbeitslosigkeit spricht, die das vorrevolutionäre Kuba geprägt hatten „Korruption" kann viele, auf den ersten Blick nicht sichtbare Formen, z. B.der „Vetternwirtschaft", annehmen. Ferner erreichen zwar alle (oder fast alle) Systeme, die sich sozialistisch nennen, eine Vollbeschäftigung; deren Realisierung bedingt jedoch oft eine große Ausweitung der Bürokratie und führt fast immer zu einem starken Absinken der Produkti-vität Selbst wenn es heute auf Kuba keine Korruption gäbe, wie sie z. B. in der UdSSR grassiert die noch nicht konsolidierte Oberschicht über keinerlei materielle Privilegien verfügte und alle „Erwerbsfähigen" tatsächlich auch Arbeitsplätze hätten, würde dies nicht allzuviel über die soziale und wirtschaftliche Realität des Landes aussagen.

Worin liegen aber die wesentlichen Unterschiede zwischen dem heutigen Kuba und dem der vorrevolutionären Epoche? Zunächst darin, daß die Revolution einen kleinen, von knapp zehn Millionen Menschen bevölkerten Staat zu einem wichtigen Machtfaktor der Weltpolitik gemacht hat. Das revolutionäre Kuba vermochte dem Druck der USA zu widerstehen und den mächtigen Nachbarn zu „friedlicher Koexistenz" zu zwingen, auch nachdem Kuba begonnen hatte, revolutionären Bewegungen und Staaten in Afrika massiv mit Waffen, Soldaten und Spezialisten zu helfen eine Hilfe, die nicht nur sowjetischen Wünschen, sondern auch dem Willen der kubanischen Führung entspricht, die schon in den sechziger Jahren begonnen hatte, auf dem schwarzen Kontinent aktiv zu werden.

Kuba war imstande, diese expansive Politik zu treiben, weil es der Führung gelang, den wirtschaftlichen Zusammenbruch, der 1970 drohte, zu vermeiden, das materielle Lebens-niveau des Volkes seit 1968/70 zu heben, und weil sie die zahlenmäßig am über stärksten, besten ausgebildeten und ausgerüsteten Streitkräfte Iberoamerikas verfügt. Freilich verdankt Kuba seine militärische Macht und seine wirtschaftliche Gesundung der aktiven Unterstützung der Sowjetunion und der Ostblockstaaten, ohne deren Hilfe die Revolution nicht hätte überleben können, und der sie ihre ehemalige „häretische" Ideologie opferte.

Seit seinem Beitritt zum COMECON gehört Kuba zum Ostblock, obzwar Castro nach wie vor behauptet, zu den „Blockfreien" zu zählen. Die vor der Revolution angestrebte „nationale Unabhängigkeit" ist also nicht erreicht worden, schon deshalb nicht, weil ein solches Ziel in unserer Welt utopisch wäre. Tatsächlich ist Kuba gegenwärtig vom Ostblock weit abhängiger, als es dies je von den USA war, auch wenn diese Abhängigkeit aus ideologischen Gründen eher verherrlicht als gebrandmarkt wird. Sie wird jedoch bereits von beiden Partnern — der UdSSR und Kuba — vor allem wegen der daraus erwachsenden Kosten als allzu groß betrachtet. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Versuche der Kubaner, ihre Beziehungen auch zu den Vereinigten Staaten zu „normalisieren", sowohl als im Interesse der Kubaner wie auch der Sowjetunion liegend zu verstehen — ebenso wie die begonnene Öffnung Kubas für nordamerikanische Touristen und sogar für Vertreter multinationaler Firmen wie Alcan, ICI, Westinghouse, Gulf-Oil, Nestle oder Mitsubishi, die im Herbst 1977 nach Havanna kamen, um geheime Verhandlungen mit verantwortlichen kubanischen Stellen zu führen.

In wirtschaftlicher Hinsicht kann die Entwicklung nicht als sonderlich positiv angesehen werden. Wer die wohl nicht immer zuverlässigen offiziellen Statistiken der Kubaner liest, die in einigen, aber durchaus nicht in allen Sparten beträchtliche Produktionssteigerungen aufweisen, darf weder vergessen, daß Kuba 1959 nicht eines der ärmsten, sondern das viertreichste Land Lateinamerikas war und daß seine Bevölkerung in den letzten zwei Jahrzehnten um etwa 60 Prozent zugenommen hat. Beginnt man, die Produktionszahlen auf Pro-Kopf-Basis umzurechnen und — wo es möglich ist — mit denen des Jahres 1958 zu vergleichen, wird man feststellen, Zuwächse vielen die in Produktionsbereichen gering sind oder ganz fehlen. „Wir können uns in materieller Hinsicht keine ehrgeizigen Ziele setzen und sollten versuchen, im Verlauf der nächsten zehn Jahre ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von sechs Prozent pro Jahr zu erreichen," erklärte Castro mit ungewohnter Bescheidenheit am 26. Juli 1973 Tatsächlich sieht der erste Fünf-Jahres-Plan (1976 bis 1980) ein solches Wachstum vor. Auch wenn er mit Erfolg verwirklicht werden sollte, woran manche Fachleute wegen der schlechten Ergebnisse der Jahre 1976/77 zweifeln, wird Kuba zu Beginn des nächsten Jahrzehnts weder seine Abhängigkeit vom Zucker noch seine Unterentwicklung überwunden haben. Die größten Erfolge hat die Revolution auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und der öffentlichen Erziehung zu verzeichnen. Allerdings sollten auch die Fortschritte bei der Erziehung nicht überbewertet werden. Abgesehen davon, daß rein quantitative Kriterien nicht ausreichen, um Erfolge im kulturellen Bereich festzustellen, nehmen auf Kuba bei weitem nicht alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen auch tatsächlich am Unterricht teil; viele, die zur Schule gehen, lernen wenig und werden von unzureichend qualifizierten Lehrern unterrichtet; sie verlassen die Schule ohne. Abschluß. Viele der neugegründeten Fachschulen werden nur von sehr wenigen Schülern besucht

Der dritte Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes stellte bereits im April 1972 fest, die Jugend sei „ideologisch schwach und ungenügend diszipliniert"; ihr Verantwortungsbewußtsein sei unterentwickelt, die Bewunderung für ausländische Produkte und die Sehnsucht nach Luxus nach wie vor groß Die in London erscheinende Wochenschrift Latin America berichtete Mitte 1978, die kubanischen Behörden hätten der wachsenden Jugendkriminalität den Krieg erklärt. Zwar sei die Kriminalität geringer und die Straßen der kubanischen Städte nachts sicherer als in anderen Ländern Lateinamerikas; andererseits aber habe der für die Polizei zuständige General Enio Leiva der Nationalversammlung berichtet, Delikte wie Diebstahl und Raub hätten seit 1972 zugenommen und andere, die man überwunden geglaubt hatte, z. B. die Prostitution, seien wieder aufgetaucht Es ist Castro also nicht gelungen, einen neuen Menschen zu schaffen; aber warum sollten die Kubaner in 20 Jahren das erreichen, was die Russen in 60 Jahren und die Chinesen in 30 Jahren nicht fertiggebracht haben?

Die Erringung einer internationalen Machtstellung, die zumindest seit 1970 eingetretene Verbesserung der Versorgung des Volkes, die (vermutlich) gerechtere Verteilung des Sozialprodukts, die Herabsetzung der Analphabetenrate von ehemals 24 auf vier Prozent, die Ausweitung der allgemeinen Schulpflicht, die Eröffnung neuer Schulen, die Fortschritte auf dem Gebiet des Gesundheitswesens sind gewiß positive Leistungen der Revolution. Welches aber ist der Preis, den das kubanische Volk dafür zahlen mußte? Die Errichtung einer totalitären Diktatur, die keine legale Opposition gestattet, keine Presse-, Versammlungs-oder Koalitionsfreiheit und auch keine von der Exekutive getrennte richterliche Gewalt kennt; ein System, in dem Kunst und Literatur strikter Kontrolle unterworfen sind, in dem es die Todesstrafe nicht nur weiter gibt, sondern die auch an 16jährigen vollzogen werden darf; in dem jeder Bürger überwacht und in dem selbst „bürgerliche Laster" wie Homosexualität bestraft werden, in dem Willkür an die Stelle von Gesetzen getreten ist und Tausende, zuweilen Zehntausende in Gefängnisse oder Umerziehungslager gesteckt werden, in denen grauenvolle Zustände herrschen.

Der Preis erscheint reichlich hoch . . .

Die totalitäre Diktatur mag schärfer oder milder werden, sie kann sich aber schon deshalb nicht in eine Demokratie verwandeln, weil die kubanische Führung das, was wir mit Demokratie meinen, als rein formal und verlogen ansieht, während sie die UdSSR als ideales Modell des „sozialistischen Staats" verherrlicht.

Peinlich bleibt freilich, daß Castro selbst bis 1959 dem Volk versprochen hatte, eben diese von ihm heute als verlogen und formalistisch verfemte pluralistische Demokratie zu verwirklichen, nachdem er den Kampf gegen Batista auch unter diesem Banner geführt hatte.

Weil er etwas anderes geschaffen hat als das, was er versprochen hatte, kann die kubanische Revolution als weiteres Exempel jenes allgemeinen Gesetzes aller Revolutionen gelten, das der britische Autor D. W. Brogan 1951 in seinem Buch Der Preis der Revolution ganz nebenbei formulierte: „Keine Revolution führt das durch, was sie in ihrem Programm verspricht. Sie mag mehr erreichen oder weniger weit gehen. Gewiß aber wird sie vieles vollbringen, was ihre Führer weder versprochen noch gewollt haben."

Als dieser Beitrag bereits im Satz war, erhielt ich das Buch von Armando Valladares, Prison-nier de Castro, ed. Grasset, Paris 1979. Diese erschütternde Publikation wirft ein neues Licht auf den kubanischen „Archipel Gulag" und die Lage seiner Insassen.

Der Kern des Buches besteht aus herausgeschmuggelten Gedichten und Briefen eines gläubigen Christen, der sich am Kampf gegen Batista beteiligt hatte, jedoch bereits im Dezember 1960 als Antikommunist verhaftet und 'ohne ordentliche Gerichtsverhandlung zu 30 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde.

Seit 1974 ist Valladares wegen der in der Haft erlittenen Behandlung an den Rollstuhl gefesselt und fristet sein Leben in einem engen, heißen, fast lichtlosen Kerker. Seine ins Französische übersetzten Gedichte schildern seine Gefühle und Erlebnisse, unter anderem die Grausamkeiten der Wächter, die Mitgefangene erschossen, mit Bajonetten erstochen, mit Knüppeln erschlagen oder auch totgetrampelt haben.

Das Buch wird von Pierre Golendorf (der Valladares 1963 in einem kubanischen Gefängnis kennengelernt hatte) eingeleitet und ist mit einem Nachwort des ukrainischen dissidenten Wissenschaftlers Leonid Pliochtch versehen, Ider aufgrund einer Intervention der KP Frankreichs aus der UdSSR ausreisen konnte.

Golendorf zählt 23, zum Teil neu erbaute Gefängnisse und 56 namentlich aufgeführte Konzentrationslager auf. Diejenigen politischen Gefangenen (etwa 20 000), die bereit sind, sich „umerziehen" zu lassen, tragen blaue Sträflingsanzüge, und diejenigen, die sich nicht „umerziehen" lassen, gelbe Sträflings-anzüge. Eine dritte Kategorie, der harte Kern der Unbelehrbaren, ist nur mit Unterwäsche bekleidet.

Diese „calzoncillos" dürfen weder Post noch Besuche empfangen. Die meisten von ihnen (aber auch die „Gelben) haben praktisch keine Chance, je wieder die Freiheit zu erlangen, obwohl sie zu Strafen von „nur" zehn, 20 oder 25 Jahren verurteilt wurden. „Amnesty International" scheint von alledem keinerlei Kenntnis zu nehmen, obschon auch Valladares in Briefen an einen prominenten Vertreter dieser Organisation diese grauenvollen Zustände schilderte und Carlos Montaner, ein entflohener politischer Gefangener, das gleiche in einem in spanischer Sprache erschienenen Buch (das Golendorf auszugsweise zitiert) ausführlich beschreibt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine Gesamtdarstellung der kubanischen Geschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte der sechziger Jahre im 20. Jahrhundert kann der interessierte Leser in dem umfangreichen Buch des britischen Historikers Hugh Thomas, Cuba or the Pursuit of Freedom, London 1971, finden. Für die Geschichte der kubanischen Revolution verweise ich auf mein Buch „Lateinamerika und die kubanische Revolution", Köln—Berlin (1963), während die Guerilla-Bewegung und die besondere

  2. Nach Angaben von Castro, die er in einer Rede Anfang Dezember 1961 machte, hatten sich Mitte 1958 etwa 300 Partisanen in der Sierra Maestra um ihn geschart. S. die Tageszeitung El Mundo, La Habana, 2. Dezember 1961. K. S. Karol schreibt, daß es zu keiner Zeit in der Sierra Maestra mehr als 280 Partisanen gegeben hat. Auch wenn man großzügig sein will und die Rekruten einbezieht, die sich in der letzten Phase des Kampfes in sehr großer Zahl den Rebellen anschlossen, hat ihre Gesamtzahl 2 000 nie überschritten. „Von Anfang bis Ende bildeten die in den Städten rekrutierten Kämpfer mindestens 60 Prozent, anderen Schätzungen zufolge sogar 80 Prozent der Gesamtzahl." S. Karol, a. a. O., S 167. — Ähnliche Zahlen nennt auch Hugh Thomas, a. a. O„ S. 1042.

  3. Hugh Thomas, a. a. O., S. 941.

  4. K. S. Karol, a. a. O., S. 476.

  5. Für Belege und Zitate s. B. Goldenberg, Lateinamerika und die kubanische Revolution, a. a. O., S. 255 f.

  6. Ebd., S. 264.

  7. Unter Batista war Castro, der am 26. Juli 1953 einen Putschversuch unternommen hatte, zu 15 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, aber bereits 1955 amnestiert worden.

  8. Obra Revolucionaria, La Habana 25. Januar 1961, S. 6.

  9. K. S. Karol, a. a. O., S. 356.

  10. Dieses Fehlen fester Institutionen, die dem „Führer" Grenzen setzen, stellt ein wesentliches Charakteristikum „charismatischer Herrschaft" dar. Bezüglich der Parallelen zu Hitler siehe: Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 1978, S. 57— 59: „Hitler hatte keinen Nachfolger, und es gab keine Verfassung, nach der ein Nachfolger hätte gewählt werden können, und keine Institution, die das ... Recht und die Macht gehabt hätte, einen zu stellen. Die Weimarer Verfassung gilt längst nicht mehr, sie war aber auch nie durch eine andere ersetzt worden. Dem Staat fehlten folglich die Organe, durch die er sich ein neues Ober-haupt hätte geben können. Die möglichen Nachfolge-Kandidaten stützten sich jeder auf einen Staat im Staate: Göring auf die Luftwaffe, Himmler auf die SS, Hess auf die Partei (... die eigentlich fast schon so funktionslos geworden war wie die SA), und dann gab es ja auch noch das Heer ... Alles in allem ein staatliches Chaos, das nur durch die Person Hitlers zusammengehalten und verdeckt wurde ... Und dieses Chaos war Hitlers Schöpfung. — Das Dritte Reich hatte spätestens seit dem Herbst 1934 weder eine geschriebene, noch eine ungeschriebene Verfassung, weder kannte und achtete es Grundrechte, die die Staatsmacht gegenüber dem Bürger beschränkten, noch besaß es auch nur das

  11. Dumont, a. a. O., S. 137.

  12. Laut Debray würde die sozialistische Revolution nicht in den Städten begonnen und nicht von einer auf das städtische Proletariat gestützten, unvermeidlicherweise „verbürgerlichten" und opportunistischen Partei geführt werden. Sie müsse aus dem in ländlichen und vor allem Berggebieten agierenden Partisanenkampf erwachsen. Die ursprünglich schwachen „Partisanen-Herde" (focos) würden die neue Vorhut der Revolution bilden, aus denen sowohl eine revolutionäre Partei als auch eine revolutionäre Massenarmee hervorgehen würde. Näheres bei B. Goldenberg, Kommunismus in Lateinamerika, a. a. O., S. 379 — 384, und Wolfgang Berner, Der Evangelist des Castro-Guevarismus, Velbert und Kettwig 1969.

  13. Golendorf, a. a. O., S. 108, und Dumont, a. a. O., S. 84.

  14. Regis Debray, La Critique des Armes, Paris 1974, voll, S. 248.

  15. Karol, a. a. O., S. 477.

  16. Barrington Moore jr., Social Origins of Dicatorship and Democracy, New York 1966, S. 427.

  17. Wie problematisch es ist, die große Französische Revolution als „bürgerlich" zu charakterisieren, geht aus dem Buch von Alfred Cobban, The Social Interpretation of the French Revolution, Cambridge University Press, 1971, hervor.

  18. Genaues Zitat in: Goldenberg, Lateinamerika und die kubanische Revolution, a. a. O., S. 322.

  19. War die Russische Oktoberrevolution proletarisch? Wohl kaum. Der Autor neigt eher dazu, Maxim Gorki recht zu geben, der sie als „Werk einer zahlenmäßig winzigen Gruppe von Intellektuellen" charakterisierte, die ein paar Tausend von

  20. Carol, a. a. O„ S. 476.

  21. Debray, a. a. O., S. 57.

  22. Th. Draper, a. a. O., S. 127.

  23. VIII Asamblea Nacional del P. S. P., La Habana 1960, S. 308.

  24. Verde Olivo, La Habana, 21. Juni 1961.

  25. S. dazu auch S. Haffner, a. a. O., S. 50 f.

  26. Das bemerkenswerte Fehlen aller ideologischen Unterstützung der Pariser Rebellen vom Mai 1968, auf die die kubanische Presse nur kurz und kommentarlos einging, kann wohl nicht als Schritt in Richtung auf die UdSSR gewertet werden. Erstaunlicher aber als die kubanische Gleichgültigkeit gegenüber den Mai-Ereignissen in Frankreich war die Haltung gegenüber der Studentenrebellion 1968 in Mexiko: Die Ereignisse riefen keine kubanische Reaktion hervor. Castro blieb stumm — einmal aus Gründen der Opportunität, denn Mexiko war jener iberoamerikanisehe Staat, der die besten Beziehungen zu Kuba unterhielt; zweitens, weil Castro es aufgegeben hatte, an den Partisanenkampf in Lateinamerika zu glauben, weswegen er auch noch aktive Guerilla-Gruppen in Guatemala (Cesar Montes) und Venezuela (Douglas Bravo) fallenließ.

  27. C. Mesa-Lago, a. a. O., S. 26.

  28. Ebd., S. 26.

  29. Ebd., S. 28/29.

  30. Ebd., S. 55.

  31. Ebd., S. 73/73.

  32. Obgleich die modernen Waffen von den Russen zum größten Teil „gratis" geliefert wurden, gab Kuba im Jahr 1970 (!) bereits mehr für das Mili-

  33. Einer Untersuchung zufolge, die 1957 von Sozialwissenschaftlern und Statistikern durchgeführt wurde, waren 16, 4 Prozent aller Erwerbstätigen ständig arbeitslos und 6, 1 Prozent ständig unterbeschäftigt. S. Goldenberg, Lateinamerika, a. a. O., S. 194.

  34. Es könnte durchaus sein, daß es auch heute für die kubanische Wirtschaft durchaus charakteristisch ist, was ein Nationalökonom als Krebsübel der prärevolutionären Wirtschaft feststellte, nämlich eine „geradezu phantastische Vergeudung von Produktionsfaktoren". Julio Alienis y Urosa, Caracteristicas fundamentales de la Economia Cu-bana, La Habana 1959, S. 129.

  35. Siehe dazu Hedrick Smith, Die Russen, Bern-München 1976.

  36. Zur Afrikapolitik der Russen siehe Wolf Grabendorf, Kubas Engagement in Afrika, Stiftung Wissenschaft und Politik, München, Dezember 1978.

  37. Näheres bei Goldenberg, Lateinamerika, a. a. O., S. 175 ff.

  38. C. Mesa-Lago, a. a. O., S. 60.

  39. Ebd., S. 102— 106.

  40. Ebd., S. 103/4.

  41. Latin America — Political Report, vol. XII, Nr. 28, 21. Juli 1978, S. 219.

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Boris Goldenberg, Dr. phil., geb. 1905 in St. Petersburg (Leningrad); 1914— 1933 in Deutschland (Berlin), 1933— 1941 in Frankreich, 1941— 1960 auf Kuba; ab 1949 Lehrer an kubanisch-nordamerikanischen Oberschulen; 1960— 1963 in London als freier Schriftsteller; 1964— 1971 Leiter der Lateinamerika-Redaktion der Deutschen Welle, Köln. Veröffentlichungen u. a.: Karl Marx. Ausgewählte Schriften (hrsg. u. eingel.), München 1963; Gewerkschaften in Lateinamerika, Hannover 1963; Lateinamerika und die Kubanische Revolution, Köln—Berlin 1963; Kommunismus in Lateinamerika, Stuttgart 1971; Lateinamerika, in: Jahrbücher der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik 1958— 1960, 1962, 1963, 1966— 1967, 1968— 1969, München—Wien 1971 ff.