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Die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in Deutschland Ursachen, Bilanz, Perspektiven | APuZ 23/1995 | bpb.de

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APuZ 23/1995 Kriminalität und Sicherheitsbedürfnis Zur Bedrohung durch Gewalt und Kriminalität in Deutschland Die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in Deutschland Ursachen, Bilanz, Perspektiven Europol: Chance für eine Verbesserung der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union Wirtschaftskriminalität Eine Bedrohung für Staat und Gesellschaft

Die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in Deutschland Ursachen, Bilanz, Perspektiven

Hans-Ludwig Zachert

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Neben einer Allgemeinkriminalität auf hohem Niveau gewinnt in Deutschland -wie in anderen Staaten Europas -die Organisierte Kriminalität (OK) an Bedeutung. Für deutsche OK typische Straftäterverflechtungen teilen sich vor allem mit italienischen, osteuropäischen, russischen, westafrikanischen, südamerikanischen und ostasiatischen Tätergruppierungen einen lukrativen Markt. Deutschland bietet dank seiner Wirtschafts-und Infrastruktur und seiner Stellung als Drehscheibe in Europa eine Fülle an Tatgelegenheiten und Tatanreizen. Rauschgift-und Falschgeldkriminalität, Menschenhandel und Kraftfahrzeugdiebstahl, Waffenhandel, vielfältige Betrugsdelikte und im Einzelfall die Einflußnahme auf Entscheidungsträger sind eine Herausforderung für Polizei-und Justizbehörden. Einerseits sind Ressourcen knapp, andererseits fehlen wichtige Aspekte gesetzlicher Eingriffsbefugnisse, um gegen die konspirativen Verhaltensweisen der OK-Täter effektiv vorgehen zu können. Obwohl mittlerweile eine Vielzahl von Kooperationsformen und Vereinbarungen insbesondere mit den Staaten der EU und mit osteuropäischen Staaten existieren, stößt zudem die staatenübergreifende Bekämpfung der international operierenden OK weiterhin auf Probleme, die es zu lösen gilt. Durch Förderung des Problembewußtseins gegenüber der Organisierten Kriminalität, gezielte Präventionsmaßnahmen und Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur nationalen und internationalen Zusammenarbeit muß versucht werden, die Ausweitung ihres Einflusses einzudämmen, bevor die Organisierte Kriminalität das Rechts-und Wirtschaftssystem der von ihr betroffenen Staaten zu ihren Gunsten unterwandert und dank der illegal erworbenen finanziellen Potenz ihrer Protagonisten unangreifbar wird.

L Einleitung

Fast täglich werden die Bürger unseres Landes mit Meldungen konfrontiert, in denen auf die wachsende Kriminalitätsbelastung in Deutschland, insbesondere durch die Organisierte Kriminalität, kurz als OK bezeichnet, hingewiesen wird. Das Gefühl der Bedrohung durch Kriminalität, das belegen Umfrageergebnisse eindeutig, ist in der Bevölkerung seit Beginn der neunziger Jahre erheblich gewachsen.

Die Kriminalitätsstruktur in Deutschland wird im wesentlichen von der Alltagskriminalität mit den sogenannten „Massendelikten“ und hier insbesondere von der Diebstahlskriminalität bestimmt. Gerade in diesem Deliktbereich aber treten mittlerweile häufig mehr oder weniger durchorganisierte Tätergruppen auf, die der Alltagskriminalität eine qualitativ neue Dimension hinzufügen. Ein Beispiel macht dies deutlich: Im Jahre 1994 blieb von mehr als 140000 entwendeten Kraftfahrzeugen über ein Drittel auf Dauer verschwunden. Verschiebung und Absatz solcher Mengen rechtswidrig erlangter Fahrzeuge setzt Planung, Arbeitsteilung, organisierte Strukturen und Logistik voraus. Eine so hohe Anzahl dauerhaft abhanden gekommener Pkws ist deshalb ein Indikator dafür, daß Kfz-Diebstähle von organisierten Tätergruppen ausgeführt werden.

OK-Täter haben ihre Aktivitäten inzwischen auf weitere Bereiche der Massenkriminalität wie etwa Einbruchsdiebstahl und Betrugsdelikte ausgedehnt und sehen hier in Deutschland durchaus einen „Wachstumsmarkt“.

Angesichts der Gefährdung weiter Bereiche der Gesellschaft ist das organisierte Verbrechen, vor allem aber die international organisierte Kriminalität zu einem bestimmenden Thema der Inneren Sicherheit nicht nur in Deutschland geworden. Polizei, Justiz, Politik und Medien haben das Phänomen OK in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Mit wachsendem Informations-stand über Ausmaß und Bedrohungspotential der OK werden angemessene Forderungen nach verbesserten Bekämpfungsinstrumentarien erhoben. „Waffengleichheit“ zwischen Tätern und Strafverfolgern heißt die Formel, die gerade im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität immer wieder angeführt wird. Ziel der Erweiterung von Möglichkeiten zur Reaktion auf OK kann aber letztlich nicht Waffengleichheit, sondern nur Überlegenheit gegenüber den Möglichkeiten der Rechtsbrecher sein.

Organisierte Kriminalität löst zum Teil noch heute -wo sich eigentlich kaum noch jemand über die Ernsthaftigkeit des Problems im unklaren sein kann -zwiespältige Empfindungen und Reaktionen aus. Eine sachgerechte Abwägung widerstreitender Interessen -zum einen möglichst effektiver Schutz der Gesellschaft durch Verfolgung von Straftätern, zum anderen Schutz vor ungerechtfertigt erscheinenden Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger durch die Strafverfolgungsbehörden -setzt eine sorgfältige Bewertung der Quantität und Qualität Organisierter Kriminalität voraus. Dabei muß, insbesondere im Hinblick auf die Kriminalprävention, auch die Frage nach den spezifischen Entstehungsbedingungen gestellt werden.

II. Ursachen der Organisierten Kriminalität

Eine einheitliche, durchgängig plausible Begründung für die Entstehung von Organisierter Kriminalität gibt es ebensowenig wie für einzelne Erscheinungsformen der „Allgemeinkriminalität“. Die Ursachenfrage für die in Deutschland erkennbaren Erscheinungsformen von OK ist differenziert zu betrachten. Spezifisch deutsche Organisierte Kriminalität dürfte auf andere Ausgangs-und Entwicklungsbedingungen zurückzuführen sein „als die osteuropäische, italienische oder die Organisierte Kriminalität ostasiatischen, westafrikanischen oder südamerikanischen Ursprungs. Gemeinsam ist all diesen Erscheinungsformen jedoch, daß die Akteure bestrebt sind, mit einem Minimum an Risiko höchstmögliche Gewinne zu erzielen. In einzelnen Fällen -hier ist etwa an die Mafia in Italien zu denken -geht es zudem um politischen Einfluß und Macht.

Organisierte Kriminalität entsteht gewissermaßen zwangsläufig in den Bereichen, in denen Einzeltäter angesichts der Komplexität der Sachverhalte und „Arbeitsabläufe“ schlicht „überfordert“ sind. Ein Beispiel dafür ist die Rauschgiftkriminalität. Hier sind Spezialisten erforderlich für die Produktion von Betäubungsmitteln, für den Transport, den Schmuggel und letztlich für die Verteilung. Die erforderliche Logistik muß aufgebaut und instand gehalten werden. Die finanzielle Grundausstattung muß beschafft werden, Gewinne sind zu verwalten und nutzbringend weiterzuverwenden. Für Hilfsdienste -Aktivitäten, die nicht immer strafbar sein müssen -ist ebenso Personal bereitzuhalten wie für die Aufrechterhaltung der organisationsinternen Disziplin, die Auseinandersetzung mit Konkurrenten oder die Betreuung inhaftierter Mitglieder der jeweiligen Gruppierung und ihrer Angehörigen.

Der Organisationsgrad einer Tätergruppierung erhöht sich tendenziell aber auch mit zunehmendem Verfolgungsdruck von Seiten der Polizei. Lernprozesse bei erfolgreichen Mitbewerbern beschleunigen die Professionalisierung der Täter und die Perfektionierung der Tatbegehungsweisen. Veränderungen im Rechtsbewußtsein -so die Betrachtung krimineller Verhaltensweisen als „Geschäft“ -und der Wegfall von Hemmschwellen bei bislang legal tätigen Geschäftsleuten, wenn es um die Frage der Konkurrenzfähigkeit und des geschäftlichen Über-lebens geht, spielen eine ebenso bedeutende Rolle wie marktwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Überlegungen oder die Perfektionierung der Verschleierungstechniken von Geschäften und Geldwegen durch ein intensives Zusammenspiel von illegalen und legalen Wirtschaftsstrukturen.

Eine Beschleunigung erfährt das OK-Wachstum möglicherweise auch durch erkennbare Folgenlosigkeit für die Täter. So könnte der Eindruck entstehen, daß (vor allem organisierte) Kriminalität sich lohnt. Angesichts dieser Erkenntnis könnten Täter von der ineffizienten „Alltagskriminalität“ zur lukrativeren OK hin abwandern. Die sukzessive Organisierung traditioneller Kriminalitätsbereiche trägt ihrerseits zur weiteren Ausbreitung von OK bei

Begünstigend wirkt sich zudem die den Strafverfolgungsbehörden oftmals nachgesagte Schwerfälligkeit der Reaktion auf neuartige Erscheinungsformen der Kriminalität aus. Die unbefriedigende Datenbasis zur Organisierten Kriminalität läßt die von ihr ausgehenden Gefahren abstrakt und ihre Bedeutung in manchen Bereichen gering erscheinen. Internationale Straftäterverflechtungen bleiben undurchsichtig für an nationalen Denkweisen ausgerichtete Strafverfolgungsbehörden. Ethnisch homogene Tätergruppierungen ziehen Nutzen aus ihrer Unzugänglichkeit für die Ermittler. Dies gilt insbesondere für ostasiatische und afrikanische Organisationen. Die angeführten Beispiele für Ursachen und Einflußfaktoren stellen mit Sicherheit keine abschließende Aufzählung dar. Organisierte Kriminalität hat sich, auch wegen der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen, einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung -so auch Längsschnittuntersuchungen zur historischen Entwicklung (zumindest in Deutschland) -bislang entzogen Nach Ansicht von Experten sind aber eine Reihe von Faktoren erkennbar, die gerade für die Ausbreitung der Organisierten Kriminalität in Deutschland von ausschlaggebender Bedeutung sein dürften. Dazu gehören beispielsweise -die günstigen Wirtschaftsstrukturen; insbesondere die Finanzzentren bilden Anreize für Straftaten und eine umfangreiche Palette an Tatgelegenheiten;

-die infrastrukturellen Gegebenheiten, hier vor allem die nationalen und internationalen Verkehrsverbindungen;

-die technologische Entwicklung und Infrastruktur, speziell auf dem Informations-und Kommunikationssektor. Dadurch ist es OK-Tätern etwa möglich, ihre Aktivitäten von ländlichen Gebieten aus zu steuern, wo der Verfolgungsdruck gering und die Bevölkerung noch wenig sensibel für OK ist;

-die Ballungsgebiete mit gewachsenen „Milieus“

als Brutstätten der OK;

-die Populationsdichte, hohe Fluktuation und Mobilität der Bevölkerung und die damit einhergehende Anonymität;

-das Vorhandensein ethnischer Bevölkerungsgruppen, die OK-Tätern gleicher ethnischer Zugehörigkeit Ruheräume bieten, ein Rekrutierungspotential darstellen, aber auch Reservoirs potentieller Opfer bilden;

-ambivalente Einstellungen in der Bevölkerung, z. B. zur Wirtschaftskriminalität. Oftmals fehlt die persönliche Betroffenheit; so wird eine Reihe auch schwerer Straftaten eher als Kavaliersdelikte angesehen;

-Veränderungen in der Sozialstruktur. Eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich kann einerseits das Rekrutierungspotential für OK vergrößern, andererseits entstehen weitere Märkte für deren Waren, Dienstleistungen und Kapital.

Von Interesse wäre auch die Klärung der Frage, inwieweit der Wirtschaft durch OK nicht nur Konkurrenz erwächst, sondern auch Profit zufließt, so beispielsweise durch Anlage illegal erworbenen Geldes in legalen Wirtschaftsbetrieben. Zurückhaltung bei der Anzeigeerstattung in (OK-) Verdachtsfällen trägt zur Vergrößerung des Dunkel-feldes bei.

III. Phänomenologie der Organisierten Kriminalität

Definition der Organisierten Kriminalität Seit Anfang der siebziger Jahre wurden umfassende Diskussionen über Existenz und spezifische Erscheinungsformen der OK in Deutschland geführt. Umfang und Gefährlichkeit der OK waren auch aus dem Grunde strittig, weil eine allseits anerkannte Definition dafür fehlte Nach vielfältigen Erklärungs-und Definitionsversuchen einigte sich im Jahre 1990 eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Justiz und Polizei auf folgende Definition: „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn-oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Zusammenwirken.“

Obwohl damit eine weitgehend praktikable Lösung vorliegt, steht eine als notwendig erachtete Legaldefinition weiterhin aus Zur eindeutigen Abgrenzung gegen Allgemein-und politisch motivierte Kriminalität (z. B. ,, RAF“ -Terrorismus) ist der Definition eine Indikatorenliste an die Seite gestellt worden, die OK-typische Verhaltensweisen in den Bereichen Tatvorbereitung/-planung, Tatausführung, Beuteverwertung, Geldwäsche, konspiratives Täterverhalten, Gruppenstruktur, Hilfe für Gruppenmitglieder, Korrumpierung, Monopolbildung und Öffentlichkeitsarbeit aufzeigt.

Grundformen der Organisierten Kriminalität Die Strukturen organisierter Straftätergruppen können erheblich variieren. Einer in den Jahren 1985 und 1986 durchgeführten empirischen Untersuchung des Bunaeskriminalamtes zufolge sind in Deutschland im wesentlichen zwei Grundformen Organisierter Kriminalität feststellbar 1. Mehr oder weniger lockere Straftäterverflechtungen, die schwerpunktmäßig in den Ballungsgebieten ansässig sind und in denen sich von Fall zu Fall Zweckgemeinschaften bilden. Diese vor allem für deutsche Täterkreise typische Form von organisatorischem Zusammenhalt setzt weitreichende, kriminell nutzbare Kontakte unter den Beteiligten voraus. In der Regel werden „Geschäfte“ abgewikkelt, die durchaus auch verschiedene (spezialisierte) Täterkreise einbeziehen können. Dieses Wesensmerkmal stellt in Strafverfahren wegen Verdachts der Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung eine außerordentliche Erschwernis für die Beweisführung dar. 2. Eigenständige Straftätergruppierungen mit einer eher gefestigten Personalstruktur und zum Teil streng hierarchischem Aufbau, die auch vom Ausland nach Deutschland hineinwirken. OK-typische Verhaltensmuster sind in Deutschland vor allem in den folgenden Deliktsbereichen feststellbar: -Rauschgiftkriminalität -Straftaten im Zusammenhang mit dem Nachtleben (z. B. illegales Glücksspiel, Förderung der Prostitution, Zuhälterei, Menschenhandel)

-Gewaltkriminalität (z. B. Schutzgelderpressung)

-Waffen-/Sprengstoffkriminalität -Eigentumskriminalität (z. B. Kfz-und Einbruchsdiebstähle mit zentraler Beuteverwertung;

Großhehlerei)

-Wirtschaftskriminalität (z. B. Fälschung/Mißbrauch unbarer Zahlungsmittel, illegale Arbeitnehmerüberlassung)

sowie -Falschgeldkriminalität.

IV. Lagebild der Organisierten Kriminalität

Konspiratives Verhalten, Abschottung und das Verbergen gewinnträchtiger geschäftlicher Vorgänge vor jeglicher Art von „Konkurrenz“ sorgen mit dafür, daß viele Aktivitäten der Straftäter im Verborgenen bleiben und ein derzeit nicht ein-schätzbares Dunkelfeld bilden. Erst allmählich tritt das Ausmaß der gesellschaftsumspannenden Bedrohung zutage, wobei deutlich wird, daß das Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität auch in den kommenden Jahren ohne Zweifel ein bedeutsamer Schwerpunkt der Arbeit von Polizei und Justiz sein wird

Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Organisierter Kriminalität und ihren Begleiterscheinungen ist eine möglichst umfassende Beurteilung der Lage. Läßt sich diese nach außen hin nicht eindeutig vermitteln so hängt die Einschätzung der Gefährlichkeit weitgehend vom ideologisehen Standort ab, von dem aus man OK-relevante Sachverhalte betrachten kann. Einsicht in die Notwendigkeit adäquater Gegenmaßnahmen ist dann unter Umständen nur schwer zu bewirken.

OK-Delikte sind überwiegend der sogenannten Kontrollkriminalität zuzurechnen. Je größer Ausmaß und Intensität polizeilicher Vorstöße in das Dunkelfeld sind, desto mehr Delikte werden erkannt und registriert. Daß dies so ist, hängt auch damit zusammen, daß OK-Täter vorzugsweise in Deliktsbereichen wie z. B. Rauschgift-und Falschgeldkriminalität tätig werden, in denen es „klassische Opfer“ nicht gibt und aus diesem Grunde eine Anzeigeerstattung selten ist. Den Strafverfolgungsbehörden vorliegende Daten beschränken sich daher weitgehend auf Hellfelderkenntnisse.

Einige Zahlen aus dem „Lagebericht Organisierte Kriminalität 1994“, in dem Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes, der Landeskriminalämter und des Bundesgrenzschutzes zusammengefaßt sind, erscheinen hilfreich, das Ausmaß und Bedrohungspotential der OK in Deutschland zu beleuchten. Ermittlungsverfahren und Delikte Insgesamt waren im Jahre 1994 in Deutschland 789 OK-Ermittlungsverfahren anhängig, die 97 877 Einzeldelikte umfaßten. 497 dieser Verfahren waren Erstmeldungen. Die quantitative Bewertung der OK ist jedoch zweitrangig, weil die tatsächliche Bedrohung für die Allgemeinheit in der Qualität eines Großteils der Straftaten sowie darin zu sehen ist, daß die kriminellen Täterstrukturen auf Dauer angelegt sind.

Wie bereits in den Vorjahren handelte es sich bei den bekanntgewordenen OK-Straftaten vorwiegend um Vermögensdelikte. Weitere bedeutende Deliktsbereiche sind die unter „sonstige Delikte“ zusammengefaßten, nicht weiter differenzierten Straftaten sowie Eigentumsdelikte, Rauschgiftkriminalität und Gewaltdelikte. Eine bedeutende Rolle spielten im Berichtsjahr Straftaten im unbaren Zahlungsverkehr, Delikte der Wirtschaftskriminalität (darunter Betrugsdelikte, Produktpiraterie, illegale Arbeitnehmerüberlassung und illegale Abfallentsorgung), Wohnungseinbrüche, Kraftfahrzeugdiebstähle, Menschenhandel und illegale Schleusung von Personen, aber auch -der spezifischen Gefährdung wegen -Fälle der Nuklearkriminalität, auch wenn in den in diesem Zusam-menhang durchgeführten Ermittlungsverfahren bisher noch keine OK-Bezüge konkret belegt werden konnten.

Internationalisierung der Organisierten Kriminalität Organisierte Kriminalität ist heutzutage überwiegend „grenzenlose“ Kriminalität. Rund zwei Drittel der Ermittlungsverfahren (66, 1%) wiesen internationale, weitere 13, 5 % überregionale und 20, 4 % lediglich regionale Bezüge auf. Die bereits in den Vorjahren festgestellte Tendenz zur internationalen Tatbegehung hat sich weiter verstärkt.

In 121 Verfahren konnten Verbindungen zu ausländischen Täterorganisationen festgestellt werden, darunter zur Mafia, zur Camorra, zur PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“), zur „russischen Mafia“ oder zu den südamerikanischen Rauschgift-„Kartellen“.

Tatverdächtige 1994 sind insgesamt 9256 Tatverdächtige ermittelt worden. Erneut ist der Anteil nichtdeutscher Tat-verdächtiger im OK-Bereich (zusammen 58, 7 %) im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtkriminalität (30, 1 %) auffallend hoch. Türken (14, 2%), Staatsangehörige aus Rest-Jugoslawien (7, 3 %), Italiener (4, 6 %) und Polen (3, 1 %) stellen die größten Kontingente. Weitere bedeutende Gruppen, deren Anteil in Zukunft möglicherweise noch wachsen wird, sind Vietnamesen (2, 9%), Nigerianer (2, 7 %), Rumänen (2, 6 %) und Russen (2, 2 %).

Bei den Tatbeteiligten wurden sowohl homogene Zusammensetzungen, d. h. bestehend aus Tätern einer Nationalität, als auch heterogene Gruppierungen festgestellt. In letzteren -ihr Anteil macht 67, 6 % aus -arbeiteten bis zu 22 unterschiedliche Nationalitäten zusammen. Homogene Strukturen ließen sich vor allem bei Deutschen, Türken, Vietnamesen, Italienern und Polen aufzeigen.

Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung Bei mehr als der Hälfte aller OK-Verfahren im Inland wurde 1994 die Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel festgestellt. Damit setzte sich der steigende Trend der Vorjahre fort (1992: 43, 1 %; 1993: 52, 8%; 1994: 57, 5 %). Die Formen der Gewaltanwendung sind vielfältig und reichen von subtilen Drohungen bis hin zu Tötungsdelikten.

Mit dieser Entwicklung geht eine sinkende Aussagebereitschaft von Zeugen einher, auch treten ernsthafte Probleme im Zusammenhang mit dem Einsatz von Dolmetschern in OK-Verfahren auf. Infolgedessen müssen zunehmend mehr langfristige und aufwendige Zeugenschutzmaßnahmen durchgeführt werden. 1994 wurden in 103 Verfahren Zeugenschutzmaßnahmen für insgesamt 187 Personen eingeleitet.

Schaden Der durch Organisierte Kriminalität im Jahre 1994 entstandene Schaden beläuft sich auf annähernd 3, 448 Milliarden DM. In einem einzigen Ermittlungskomplex wurde ein Schaden in Höhe von ca. 2, 5 Milliarden DM festgestellt. Hinzu kommt ein hoher, nicht quantifizierbarer materieller sowie immaterieller Schaden, z. B. durch Delikte wie Menschenhandel oder im Betäubungsmittelbereich. Der darüber hinaus erzielte Gewinn in Deliktbereichen, in denen nach polizeilichen Statistik-Konventionen kein Schaden im Sinne eines rechtswidrig erlangten Geldwertes feststellbar war, wurde auf rund 1, 231 Milliarden DM geschätzt. Hiervon entfallen allein ca. 400 Millionen DM auf ein einzelnes Verfahren.

Korruption Korruption bedroht den Staat, die Wirtschaft und letztlich die gesamte Gesellschaft, weil sie die Grundlage für Abhängigkeiten und Erpressung bildet. Sie dient OK-Tätern dazu, Einfluß auf Entscheidungen und Abläufe zu nehmen, Machtpositionen aufzubauen oder behördeninterne Informationen zu erlangen. Die damit einhergehende Gefährdung der betroffenen Bereiche läßt sich nur schwer bestimmen, darf jedoch angesichts des den Tätern zur Verfügung stehenden Kapitals auf keinen Fall unterschätzt werden.

Bei den im Jahre 1994 durchgeführten Ermittlungsverfahren gegen die Organisierte Kriminalität waren in 102 Verfahren (17, 9 % der Sachverhalte) Einflußnahmen auf Justiz, öffentliche Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Medien feststellbar. Den Schwerpunkt bildeten Einflußnahmen ausländischer Tätergruppen in ihren Heimatländern. In Einzelfällen ist inzwischen jedoch auch in Deutschland Korruption durch OK nachweisbar. Der OK-Lagebericht weist speziell 28 OK-Verfahren mit strafrechtlich relevanten Korruptionshandlungen aus. Dabei handelt es sich im einzelnen in 12 Fällen um Vorteilsgewährung, 26 Straftaten betrafen Vorteilsannahme, außerdem wurden 691 Bestechungsdelikte und 686 Fälle der Bestechlichkeit registriert.

V. Das Vorgehen gegen Organisierte Kriminalität

Reaktionen auf die vielfältigen Formen der Organisierten Kriminalität müssen sachgerecht auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Sie sollten gleichzeitig stattfinden und gut abgestimmt sein. Nur wenn alle erfolgversprechenden Ansätze zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten auf politischer, polizeilicher, justitieller und gesellschaftlicher Ebene, national und vor allem auch international, intensiv verfolgt werden, kann einem Ausufern der OK Einhalt geboten werden.

Im Rahmen einer solchen gesamtgesellschaftlich ausgerichteten Konzeption müssen -zum Beispiel auch durch praxisorientierte Forschung -Informationsdefizite beseitigt, das Problembewußtsein gefördert, aber auch übertriebene Ängste abgebaut werden. Neue Bekämpfungsmethoden sind zu entwickeln, Lücken im Netz gesetzlicher Instrumentarien zu schließen. Die Ausweitung und Intensivierung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden im nationalen, vor allem aber im internationalen Rahmen besitzt hohe Priorität.

Einige der aktuellen kriminalstrategischen Konzeptionen zur OK-Bekämpfung erfüllen bereits mehrere dieser Forderungen gleichzeitig. Als Beispiele seien folgende genannt: 1. Die Strategie der Vorverlagerung der Rauschgift-bekämpfung in die Anbau-, Produktions-und Transitländer. Durch die Entsendung von Verbindungsbeamten wird eine intensive Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden der Aufnahmestaaten organisiert. Weiterhin sollen Erkenntnisse über OK-relevante Täterstrukturen und Verhaltensweisen erlangt werden. Die Verbindungsbeamten erfüllen zugleich einen Beratungsauftrag, sammeln aber auch Erkenntnisse über Methoden der Rauschgift-und OK-Bekämpfung in den Aufnahmeländern. 2. Die Durchführung sogenannter Intelligence-Projekte. Sie befassen sich mit eingrenzbaren kriminalistischen Problemen, zu deren Lösung alle relevanten Informationsquellen erschlossen und neue Auswertungs-und Analysemethoden entwikkelt werden. Die Ergebnisse werden zielgruppen-gerecht aufbereitet, indem laufende Ermittlungsverfahren direkt unterstützt, aber auch neue Verfahren (deliktsorientierte und Strukturverfahren) initiiert werden. 3. Der sogenannte „verwertungsbezogene Ansatz“. Damit werden Geschäftsabläufe bei der Verwertung deliktisch erlangter Güter beleuchtet. So setzt z. B. die Verwertung großer Mengen gestohlener Objekte (z. B. Fahrzeuge, Schmuck) oder spezieller Güter mit eng begrenztem Absatzmarkt (z. B. Rohstoffe) umfangreiche Kenntnisse und Verbindungen voraus, die in der Regel nur bei organisierten Tätergruppen vorhanden sind. 4. Die Einrichtung projektbezogener Arbeitsgruppen, wie die Arbeitsgruppe Italienische Gruppierungen (AGIG), in der die Bundesländer, in denen in der Vergangenheit schwerpunktmäßig italienische OK-Täter in Erscheinung getreten sind, das Bundeskriminalamt sowie die italienische Anti-Mafia-Behörde DIA (Direzione Investigativa Antimafia mit Sitz in Rom) zusammenarbeiten. 5. Der Logistikansatz. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde festgestellt, daß in bestimmten Deliktsbereichen der OK in Deutschland „komplexe Tätergruppen mit Hilfe einer ausgefeilten Logistik geschäftsähnlich agieren und dadurch erhebliche Finanz-und Machtpositionen erreichen“ Für eine nachhaltige Bekämpfung der OK muß intensiv gegen die von der Organisation geschaffenen Logistikstrukturen und die genutzten Beschaffungs-und Absatzmärkte vorgegangen werden. Es reicht nicht aus, die ersetzbaren Hintermänner und Drahtzieher festzunehmen und abzuurteilen. Überlegungen zur Verbesserung der Erkenntnis-lage umfassen auch die beschleunigte Zusammen-führung und Umsetzung gewonnener Informationen. Dazu sollen DV-technische Systeme so weiterentwickelt werden, daß der Abgleich sowie die Aufbereitung von Informationen ohne Zeitverzug möglich werden. In Teilbereichen der Informationsverarbeitung sollten neue Auswertungskonzepte eingesetzt werden. Dabei ist vor allem an automatisierte Auswertungsprozesse zu denken, die dem Informationssystem das selbständige Erkennen und Melden neuer Entwicklungen und Tendenzen im OK-Bereich ermöglichen. Auch sind bereits EDV-gestützte Anwendungen entwikkelt worden, die einzelne Arbeitsabläufe automatisieren, beispielsweise die Visualisierung von Personen-und Geschäftsverbindungen im Bereich der Organisierten Kriminalität. Die bisher unternommenen Anstrengungen zeigen Wirkung: 1994 ist mehr als die Hälfte (55 %) der OK-Verfahren aufgrund polizeilicher Erkenntnisse (davon 16, 6 % mit aktiver Informationsbeschaffung) eingeleitet worden.

VI. Internationale Zusammenarbeit

Mit dem Wegfall der Grenzen in Europa muß es vorrangiges Ziel der Strafverfolgungsbehörden sein, es den Tätern zumindest gleichzutun und im gesamteuropäischen Rahmen zu agieren. Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität erfordert bereits die Zusammenarbeit über Kontinente hinweg. Die Mehrzahl der Herkunftsländer von Betäubungsmitteln liegt außerhalb Europas, die Transitwege für Rauschgifte umspannen den gesamten Erdball.

IKPO-Interpol Seit vielen Jahren gewährleistet die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO-Interpol) mit derzeit 176 angeschlossenen nationalen Polizei-und Justizbehörden die internationale Zusammenarbeit und den Informationsaustausch. Die umfassende, das gesamte Feld der Kriminalität abdeckende Aufgabenstellung von Interpol läßt strategische Auswertungen im speziellen Bereich der OK nur eingeschränkt zu. Dem Aspekt der Intelligence-Arbeit wird mit der Anfang 1994 erfolgten Einrichtung einer Organisationseinheit für kriminalpolizeiliche Erkenntnisauswertung (Analytical Criminal Intelligence Unit -ACIU) Rechnung getragen.

Artikel K 4 des Vertrages von Maastricht Ein weiterer Anlauf zu erfolgversprechender Intelligence-Zusammenarbeit auf europäischer Ebene wurde im Rahmen des Vertrages zur Gründung einer Europäischen Union (Vertrag von Maastricht) unternommen. Mit seinem Inkrafttreten wurde die europäische Zusammenarbeit auf ministerieller Ebene auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Gemäß Artikel K 4 des Vertrages gehören unter anderem die Bekämpfung der Drogenkriminalität und die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität zu den Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse.

Europol Das für die polizeiliche Bekämpfung der OK wesentliche Ergebnis dieses Vertrages ist die Schaffung von EUROPOL, das am 16. Februar 1994 in Den Haag seine Arbeit aufgenommen hat EUROPOL soll zunächst im Rahmen der internationalen Rauschgiftbekämpfung und zukünftig auch bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zwei Schwerpunkte wahrnehmen: die zentrale Sammlung und systematische Auswertung aller im nationalen und internationalen Bereich gewonnenen Erkenntnisse sowie die Umsetzung der Analysen und Lagebilder in Bekämpfungskonzepte und -maßnahmen bis hin zur Weitergabe von Ermittlungsansätzen an die Polizeibehörden der Mitgliedsstaaten. Eine weitere zentrale Aufgabe soll die Beratung und Unterstützung nationaler Polizeibehörden bei internationalen Ermittlungen werden.

Auch die Staaten Mittel-und Osteuropas werden sukzessive in gemeinsame Bekämpfungsstrategien eingebunden Seit Ende der achtziger Jahre sind mit der Mehrheit der osteuropäischen Staaten Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, speziell der Rauschgiftkriminalität, abgeschlossen worden, um die Kooperaton auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Des weiteren wurden Initiativen zur Aus-und Fortbildung ins Leben gerufen. Bi-und multilaterale Arbeitsgruppen sollen mit ihren Beratungsergebnissen die unmittelbare polizeiliche Kooperation fördern.

Zwischen dem allseits bekräftigten Ziel der gemeinsamen Bekämpfung der OK und dem erkennbaren Realisierungswillen sind noch teilweise erhebliche Diskrepanzen festzustellen. Erforderlich ist ein Mindestmaß an Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften und die Bereitschaft, auch Zugeständnisse in Souveränitätsfragen zu machen. Akzeptanzprobleme ergeben sich beispielsweise für Vorschläge, EUROPOL zukünftig auch eine Zuständigkeit im Ermittlungsbereich zuzuweisen. Diese Zuständigkeit könnte sich auf reine Koordinierungsaufgaben beschränken, aber auch Weisungsbefugnisse gegenüber den nationalen Polizeidienststellen bis hin zur Übernahme eigener Ermittlungen beinhalten.

VII. Das gesetzliche Instrumentarium

Probleme bei der Koordinierung unterschiedlicher nationaler Rechtssysteme und abweichende Organisationsstrukturen der für Organisierte Kriminalität zuständigen Strafverfolgungsbehörden erschweren die Bekämpfung der internationalen OK. Diese zieht ihrerseits aus den bestehenden Regelungsdefiziten ihren Nutzen. Fehlende Erfolge bei ihrer Bekämpfung können allerdings nicht nur an Defiziten im internationalen Bereich festgestellt werden. Es gilt, auch im nationalen Bereich alle Möglichkeiten einer effektiven Verbrechensbekämpfung auszuschöpfen. Die Erhöhung des Verfolgungsdrucks gegen OK hängt letztlich auch von einer Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ab, die derzeit im politischen und öffentlichen Diskussionsprozeß stehen Dazu zählen beispielsweise: 1. Die Ermächtigung des Bundeskriminalamtes zu Initiativermittlungen. Es ist beabsichtigt, das reaktive Vorgehen aufgrund ermittlungsauslösender Signale durch einen offensiven, initiativen Bekämpfungsansatz abzulösen. 2. Im Zusammenhang damit die Möglichkeit, die Identität des VE geheimzuhalten und eine Offenbarung über den engen Bereich der Polizei hinaus aus grundsätzlichen Erwägungen auszuschließen. 3. Der Einsatz technischer Mittel auch in Wohnungen, um gegen die Konspiration und Abschottung der OK-Straftäter vorgehen zu können. Enge Zulässigkeitsvoraussetzungen wie die Beschränkung auf schwerste Straftaten, Richtervorbehalte und Einschränkungen bei der Beweisverwertung sollten den „Ultima-ratio-Charakter“ dieses Einsatzmittels unterstreichen. 4. Gewinnabschöpfung, Beweislastumkehr und Verhinderung von Geldwäsche angesichts der Tatsache, daß Vermögenseinbußen für OK-Täter den Verlust von Macht und Einflußmöglichkeiten bedeuten. Der Erfolg der OK-Bekämpfung hängt entscheidend davon ab, ob es künftig gelingt, der OK in nennenswertem Umfang die kriminellen Gewinne zu entziehen Intensives Wahrnehmen der Ermächtigungen auf diesem Sektor dürfte zugleich Tatanreize vermindern und Gewinnerwartungen der Täter reduzieren. 1994 sind Maßnahmen der Gewinnabschöpfung in 54 OK-relevanten Verfahren durchgeführt worden. Dabei konnten mit 17, 5 Millionen DM in Form von Bargeld, Wertpapieren, Gegenständen und Immobilien nur rund 1, 4% der geschätzten kriminellen Gewinne abgeschöpft werden.

In 37 der für das Bundeslagebild 1994 analysierten OK-Verfahren ergaben sich Hinweise auf 115 Geldwäschedelikte. Insgesamt gab es bundesweit 3282 Geldwäsche-Verdachtsmeldungen, die zur Einleitung von 2738 Ermittlungsverfahren führten. Der Umfang der Transaktionen belief sich auf rund 1, 373 Milliarden DM. Der Verdacht der Geldwäsche konnte aber nur in 4 % der Verfahren bestätigt werden. Die Gesamtsumme der letztlich beschlagnahmten Vermögenswerte betrug annähernd nur 20 Millionen DM.

Die in der täglichen Anwendung auftretenden Probleme mit den neuen Regelungen haben die zuständigen Stellen dazu veranlaßt, deren Praxis-tauglichkeit einer intensiven Prüfung zu unterziehen und als dringlich erachtete Fragen wie etwa die Beweislastumkehr nochmals intensiv zur Diskussion zu stellen.

VIII. Ausblick

Wie die Bekämpfung der Kriminalität im allgemeinen ist auch das entschlossene Vorgehen gegen die weiter an Boden gewinnende Organisierte Kriminalität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe nicht nur zu propagieren, sondern auch zu praktizieren. Alle Beteiligten müssen sich beispielsweise darüber im klaren sein, daß OK nicht den gegenwärtigen Stellenwert einnehmen könnte, wenn nicht offensichtlich auch ein verbreitetes Bedürfnis nach gerade den Gütern und Dienstleistungen bestünde, welche die OK „effizienter“ und „kostengünstiger“ befriedigen kann als die legale Wirtschaft.

Hier eröffnet sich ein weites Feld für bisher möglicherweise vernachlässigte Präventionsansätze, durch welche die generalpräventive Wirkung einschlägiger Strafgesetze verstärkt werden könnte. Insbesondere die technische Prävention läßt hier für wichtige Bereiche der Massenkriminalität positive Ergebnisse erwarten, was etwa am Beispiel des Rückgangs der Diebstahlszahlen entsprechend gesicherter Kraftfahrzeuge nachvollziehbar wird.

Ein wichtiger Aspekt ist darüber hinaus die verstärkte wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung, um zusätzliche Erkenntnisse über Organisierte Kriminalität zu erlangen, aber auch, um

Rückwirkungen der Verbrechensbekämpfungsmaßnahmen auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu untersuchen. Zur daran anknüpfenden Umsetzung der Erkenntnisse ist eine verantwortungsbewußte Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die Organisierte Kriminalität kann nur dann wirkungsvoll eingedämmt werden, wenn der von einem breiten Konsens getragene Wille dazu besteht. Die in vorderster Linie beteiligten gesellschaftlichen Kräfte -unter ihnen nicht zuletzt die Medien -müssen alles tun, um die Akzeptanz für das offensichtlich Notwendige zu erreichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Uwe Dörmann/Karl-Friedrich Koch/Hedwig Risch/Werner Vahlenkamp, Organisierte Kriminalität -wie groß ist die Gefahr?, Wiesbaden 1990 (BKA-Forschungsreihe), S. 18.

  2. Vgl. Erich Rebscher/Werner Vahlenkamp, Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1988 (BKA-Forschungsreihe), S. 147.

  3. Vgl. Heinz-Josef Möhn, Ist der Begriff „Organisierte Kriminalität“ definierbar?, in: Kriminalistik, 48 (1994) 8-9, S. 534-536.

  4. Dieser Umstand liefert gelegentlich die Begründung für kriminalpolitische Untätigkeit oder zögerliches gesetzgeberisches wie kriminalstrategisches Handeln. Die gegenwärtige Situation bietet Kritikern viele Angriffsflächen und kann Anwender der Definition gelegentlich dazu verführen, ihre Merkmale allzu leichtfertig Straftatbeständen zuzuschreiben, was über den dann unumgänglichen Abnutzungseffekt zu einer ungewollten Verharmlosung der realen Gefahrenlage

  5. Vgl. E. Rebscher/W. Vahlenkamp (Anm. 2), S. 31.

  6. Zur der Antizipation zukünftigen Entwicklung insbesondere in Deutschland vgl. U. Dormann u. a. (Anm. 1).

  7. Vgl. hierzu z. B. Hans-Christoph Schaefer, Organisierte Kriminalität -eine kaum hilfreiche öffentliche Diskussion, in: Neue Juristische Wochenschrift, 47 (1994) 12, S. 774-775. Dort heißt es u. a. (S. 774): „Eine präzise Beschreibung dessen, was organisierte Kriminalität eigentlich ist, vor allem bei uns, erfährt man so gut wie nie. Wie soll aber sachgerecht über die geeigneten Bekämpfungsinstrumente diskutiert werden, wenn nicht genau feststeht, was eigentlich zu bekämpfen ist?“

  8. Dazu aktuell Willi Flormann, Rotlichtmilieu -Menschenhandel als Teilbereich der Organisierten Kriminalität, in: der kriminalist, 27 (1995) 4, S. 178-185.

  9. Vgl. Ulrich Sieber/Marion Bögel, Logistik der Organisierten Kriminalität, Wiesbaden 1993 (BKA-Forschungsreihe), S. 6.

  10. Zu EUROPOL vgl. Jürgen Storbeck, EUROPOL -Symbol ihrer Zeit, in: Kriminalistik, 48 (1994) 3, S. 201-204, sowie auch seinen Beitrag in diesem Heft.

  11. Zu Zusammenarbeitsfragen vgl. etwa Janos Fehervary, Innere Sicherheit in Europa. Grenzüberschreitende und internationale polizeiliche Zusammenarbeit, in: Die Neue Polizei, 49 (1995) 3, S. 123-127.

  12. Vgl. dazu H. -Chr. Schaefer (Anm. 7).

  13. Zur ökonomischen Bedeutung des OK-Kapitals vgl. z. B. Ekkehard Hetzke/Kai Hirschmann/Martin Potthoff, Die volkswirtschaftliche und politische Bedeutung „illegal erworbenen Geldes“ durch global operierende Organisierte Kriminalität, in: dies. (Hrsg.), Weltwirtschaft und Sicherheit 1994, Berlin u. a. 1994, S. 135-144.

  14. Dazu z. B. Winfried Hassemer, Aktuelle Perspektiven der Kriminalpolitik, in: Strafverteidiger, 14 (1994) 6, S. 333-337.

Weitere Inhalte

Hans-Ludwig Zachert, geb. 1937 in Japan; Studien der Rechtswissenschaften und Japanologie in Bonn; Fachbereichsleiter für Kriminalistik und Kriminologie an der Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup; Gruppenleiter des Arbeitsbereichs „Polizeiliche Spionagebekämpfung“; Leiter der Abteilung „Sicherungsgruppe“. Seit 1990 Präsident des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der Inneren Sicherheit.