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Von der Generation X zur Generation @. Leben im Informationszeitalter | APuZ 41/1999 | bpb.de

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APuZ 41/1999 WWW. Neugier und Vernetzung. Ein kulturgeschichtlicher Essay Von der Generation X zur Generation @. Leben im Informationszeitalter Politik im Unterhaltungsformat. Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen IT-Sicherheit und Schutzrechte im Internet

Von der Generation X zur Generation @. Leben im Informationszeitalter

Horst W. Opaschowski

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf der Basis aktueller Repräsentativerhebungen des BAT Freizeit-Forschungsinstituts bei 3 000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland beschreibt der Autor die sozialen Folgen der elektronischen Medienrevolution. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Auswirkungen die Informationstechnologie auf die Privatsphäre des Menschen hat: Wie sieht das Leben im Informationszeitalter aus? „Generation @" ist die Vision der nächsten Generation, die heute schon den Übergang von der Industrie-zur Informationsgesellschaft erlebt und aktiv gestaltet. „Generation @": das ist die Generation. die mit dem Computer aufwächst und eine neue Art zu leben übt. Über Computer kommuniziert.denkt und agiert sie. Wie wirkt sich diese Computerkultur auf ihr Wesen und ihr Sozialverhalten aus? So gesehen beschreibt „Generation ein Lebenskonzept und keine Jugendphase. Gemeint sind veränderte Lebensziele und Lebensstile, wie sie insbesondere (aber nicht nur) von den heute 14-bis 29jährigen „vorgelebt" werden. Das Leitbild des High-Tech-Zeitalters ist der flexible Mensch, ein beschleunigter elektronischer Nomade, der -getrieben von der Angst, etwas zu verpassen -zugleich auf der Suche nach Halt. Sinn und Orientierung ist. Erste Anzeichen lassen die Frage realistisch erscheinen: Hat der Trend zur Individualisierung seinen Zenit erreicht?

Jahrtausendwende: Generationenwechsel

Die Generation X ist in die Jahre gekommen: „Man wird so schnell alt! Die Zeit rast nur so dahin“, schrieb der kanadische Kultschriftsteller Douglas Coupland vor einem Jahrzehnt in seinem Roman „Generation X“ Coupland hatte damals die zwischen 1960 und 1970 Geborenen im Blick, die Nach-Baby-Boomer. Im Alter von 18 bis 29 Jahren waren etwa zwei Drittel von ihnen der Meinung, daß es für ihre Generation viel schwieriger geworden sei, ebenso angenehm zu leben wie vorausgegangene Generationen. Sie waren übersättigt -die meisten hatten nur mehr „zwei oder drei wahrhaft interessante Momente im Leben“, der Rest war „Füllmenge“.

Auf dem Höhepunkt der Wohlstandsentwicklung gaben sie sich als Minimalisten und Anhänger einer neuen Lebensstil-Taktik. Gereizt und gelangweilt vom Wohlstandskonsum erklärten sie das Nichtbesitzen von materiellen Gütern zum Statussymbol und zählten sich selbst zum Armut-Jet-Set als Zeichen von moralischer und intellektueller Überlegenheit: Back to the simply life! Das war Zynismus pur. Denn die Generation X fühlte sich in Wirklichkeit vom wirtschaftlichen Geschehen und gesellschaftlichen Leben weitgehend „eXcluded“, also ausgeschlossen und ausgegrenzt.

Die sich jetzt neu entwickelnde Generation a könnte eine erste konkrete Antwort auf das Phänomen jenes Empfindens von Exklusion sein: Sie schafft sich eine eigene (mediale) Lebenskultur, von der nun ihre Elterngeneration ausgegrenzt wird, weil sie mit dem Lebenstempo nicht mehr mitkommt. Die Elterngeneration von heute ist selbst zur Generation X geworden oder muß sich so fühlen, während die Generation @mit Tempo, Technik und Spaß davoneilt. Die einen drohen aui der Strecke zu bleiben -die anderen entwickelr sich zu den neuen Autoritäten im Computerzeital ter. Aber mit welchen Folgen?

Jahrtausendgefühl: Medienrevolution

Das Lebensgefühl zur Jahrtausendwende steht unter dem Zeichen von @(gesprochen: ett). @wird in der Computersprache respektlos als „Klammeraffe“ bezeichnet, weil es in den E-Mail-Adressen die Klammer zwischen dem Absender-namen und dem jeweiligen Online-Dienst (z. B. AOL, CompuServe, t-online) bildet. Die Kinder und Jugendlichen von heute wachsen ganz selbstverständlich mit der Computerisierung ihrer Lebenswelt auf: Computer im Auto, Handy, Fernsehen und in digitalen Kameras. Die PC-Weit ist Alltag für sie. Über Computer kommunizieren, denken und agieren sie.

Wie wirkt sich diese Computerkultur mit Tempo und Technik langfristig auf ihr Wesen und ihr Sozialverhalten aus? Kommt in Zukunft eine neue Generation rastloser Nomaden auf uns zu, die dann genauso schnell Kontakte knüpft und wieder aufgibt, wie sie heute im elektronischen Netz Informationen abruft und wieder löscht? Die Prognosen sind weitgehend bekannt: Der tiefgreifendste Wandel unserer Arbeitswelt seit der Industrialisierung steht uns bevor. Die multimediale Zukunft soll die Welt, die Gesellschaft und unser Leben verändern. Die Konsumenten werden dann zunehmend den Computer an-und den Fernseher ausschalten und mehr auf den Daten-Highways als auf richtigen Autobahnen pendeln. Die schöne neue Medienwelt wird sogar als die wichtigste Umwälzung für die Menschheit seit Nutzung des Feuers gewertet. Euphorie macht sich breit: „Die Rakete ist gezündet. Das beste Jahrhundert, das es je gab.“ Und: Wir waren dabei. Erinnerun-gen an George Orwell werden wach. 1948 schrieb er in seinem Roman „ 1984“: „Wir beschließen, uns rascher zu verbrauchen. Wir steigern einfach das Lebenstempo, bis die Menschen mit 30 senil sind.“ Was hat überhaupt noch Bestand in dieser schnelllebigen Kultur?

Es kündigt sich also eine neue Generation an, die nach der Jahrtausendwende das private und öffentliche Leben bestimmt: die Generation @, die Kinder der elektronischen Medienrevolution. Generation @ist die Vision der nächsten Generation. Im Frühjahr 1999 veröffentlichte Bill Gates in New York sein neues Buch „Business @“ Dabei interessierte Gates in erster Linie die Frage, welche Auswirkungen die Informationstechnologie auf die Geschäftswelt hat: Wie sieht der Wettbewerb im Informationszeitalter aus?

In den vorliegenden Ausführungen über den Wandel von der Generation X zur Generation @geht es hingegen primär um die Frage, welche Auswirkungen die Informationstechnologie auf die Privatsphäre des Menschen hat: Wie sieht das Leben im Informationszeitalter aus? Das Zeichen @, in der Computerwelt respektlos als „Klammeraffe“ bezeichnet, weil es in den E-mail-Adressen die Klammer zwischen dem Absendernamen und dem jeweiligen Online-Dienst (z. B. AOL, Compu-Serve, T-Online) bildet, stellt für Bill Gates eine Art digitales Nervensystem dar, das so schnell wie der menschliche Gedanke sein kann. Mit Hilfe von @sind Kommunikationsabläufe weltweit in Gedankenschnelle („speed of thought“) möglich.

Entwickelt die Generation @schon bald einen elektronischen Lebenstil, der ihren Alltag genauso revolutionär verändern wird wie vor über hundert Jahren die Erfindung, Verwendung und Verbreitung der Elektrizität? An der Schwelle zum dritten Jahrtausend entläßt die Medienrevolution ihre Kinder, für die die private Nutzung elektronisch vermittelter Nachrichten, Kommunikation, Unterhaltung und Bildung genauso natürlich werden kann wie der bisherige Griff zu Telefon und Fernbedienung. Generation @: Das ist die Generation, die im Informationszeitalter aufwächst, mit dem Computer spielt und lernt und eine neue Art zu leben praktiziert.

Die Bezeichnung „Generation @“ bezieht sich in erster Linie auf die jüngere Generation im Alter von 14 bis 29 Jahren, die in einer von elektroni-sehen Medien geprägten Umwelt aufgewachsen ist. Dazu gehören die nach 1970 Geborenen. Eine symbolische Zäsur zwischen 1970 und heute stellt beispielsweise das George-Orwell-Jahr 1984 in mehrfachem Sinne dar. Als besondere Ereignisse für das Jahr 1984 mit Symbolcharakter können gelten: -In Australien wird das erste . Tiefkühlbaby geboren. -Madonna, die erfolgreichste Popsängerin aller Zeiten, startet ihre Karriere mit der LP „Like A Virgin“. -In Deutschland wird 1984 das Privatfernsehen eingeführt, beginnt die Erfolgsgeschichte des Heimcomputers der Marken Schneider, Commodore und Atari und wird der „Chaos Computer Club“ (CCC) in Hamburg gegründet. -Der Science-fiction-Autor William Gibson veröffentlicht 1984 seine „Newromancer“ -Trilogie und beschreibt eine neue Welt, in der sich Menschen in eine gemeinsam erfahrbare Computersimulation (den „Cyberspace“) einklinken können. -George Orwells Roman 1984 beginnt mit den Worten: „Es war ein strahlend-kalter Apriltag und die Uhren schlugen dreizehn . . ,“

Generation Lebenskonzept des Übergangs

„Generation @“ beschreibt nicht die Jugend, sondern mehr eine Generation des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenleben. Die biographische Selbstdefinition dieser Generation entspricht durchaus diesem Übergangscharakter des „Nicht-Mehr“ und „Noch-Nicht“ und erlaubt somit Aussagen über zwei biologisch und entxyicklungspsychologisch relevante Lebensphasen.'Gemeint ist der Übergang -von der Kindheit in das Jugendalter (14-bis 17jährige) und -von der Jugend in das Erwachsenenalter (18-bis 29jährige). Die seit einem Vierteljahrhundert andauernde Massenarbeitslosigkeit hat auch die Jugendphase als eine Vorbereitungsphase auf das spätere (Erwerbs-) Leben fragwürdig werden lassen. Die Kategorie Jugend scheint sich mittlerweile beinahe aufzulösen. Denn das Jugend-Typische verschwimmt geradezu und geht im „allgemeinen Zeitgeist“ unter In Zeiten beschleunigten sozialen Wandels entwickeln sich ebenso spontane wie zeitgeistabhängige Lebensperspektiven. Dabei stellt der ständige Generationenwechsel fast eine Normalität dar.

So gesehen beschreibt Generation @ein Lebenskonzept und keine Jugendphase. Gemeint sind veränderte Lebensziele und Lebensstile, wie sie insbesondere (aber nicht nur) von den heute 14-bis 29jährigen erlebt, ja geradezu „vorgelebt“ werden. Private PC-User und Internet-Surfer können aber genausogut 34 oder 39 Jahre alt sein. Generation @ist also kein neues etikettierendes Schlagwort für die Jugend von heute. Generation @hat vielmehr die meist jüngeren PC-Pioniere im Blick, für die das Lernen und Leben im Informationszeitalter alltäglich ist. Sie sind in den siebziger bis neunziger Jahren aufgewachsen und in ihren Lebensgewohnheiten durch elektronische Medien nachhaltig geprägt.

Die Generation @erlebt und durchlebt zugleich auch den Übergang von der Industrie-zur Informationsgesellschaft. Diese Übergangsgeneration wird als Lebensstil-Pionier gesehen, die schon heute in Ansätzen ein Jahrtausendgefühl lebt. In der Informationsgesellschaft des Jahres 2010 werden die dann 25-bis 40jährigen den Ton angeben. Die Art, wie sie ihr Leben heute gestalten, wird prägend und zukunftsweisend für „die Zeit danach“, also nach der Jahrtausendwende, sein. Sie geben durch ihre Verhaltensweisen, ihre Einstellungen und ihre Erwartungen Antworten oder zumindest Hinweise darauf, wie wir in Zukunft leben werden und leben wollen.

Medienstreß: Kampf um das Zeitbudget

Die Medien haben die Lebensgewohnheiten der Menschen grundlegend verändert. Die Vielzahl und Vielfalt neuer Medien (Kabel-, Satelliten-programme, Privatsender, Video, Computer u. a.) droht fast das Zeitbudget zu sprengen. Für eine Sache bleibt immer weniger Zeit. Der gehetzte Medienkonsument lebt zunehmend nach der Devise „Mehr tun in gleicher Zeit“. Die alte Lebensregel „Eine Sache zu einer Zeit“ gerät nach der Jahrtausendwende wohl in Vergessenheit, so wie heute das Aus-dem-Fenster-Schauen zum Relikt vergangener Zeiten geworden ist.

Der Konkurrenzkampf der Anbieter um das Zeit-budget der Generation @wird immer härter. Das Zeitbudget wird in Zukunft mindestens so knapp und kostbar wie das Geldbudget sein. Die 14-bis 29jährigen wollen alles sehen, hören und erleben und vor allem im Leben nichts verpassen. Aus dem neuen Freizeit-Monitor des BAT-Freizeit-Forschungsinstituts geht hervor: Die jungen Leute nehmen sich genausoviel Zeit für das Fernsehen wie die übrige Bevölkerung auch (jeweils 89 Prozent). Zusätzlich und oft zeitgleich nutzen sie andere Medien in ihrer Freizeit: Sie sehen deutlich mehr Videofilme (45 Prozent -Gesamtbevölkerung: 23 Prozent) und nehmen sich auch mehr Zeit für das Hören von CD ’s und Musikkassetten (67 Prozent -Gesamtbevölkerung: 38 Prozent). Und dabei bleibt selbst für das Bücherlesen noch mehr Zeit (38 Prozent -Gesamtbevölkerung: 34 Prozent).

Zugleich stellen sie die Diskussion um einen möglichen Verfall der Lesekultur in einem anderen Lichte dar: Bestimmte Bücher werden von der jungen Generation nicht mehr nur gelesen, sondern auch „benutzt“: Jeder sechste Jugendliche (17 Prozent) greift regelmäßig während der Woche zum Lexikon oder Nachschlagewerk. Die öffentliche Kritik darüber, daß die meisten Jugendlichen heute kein „gutes Buch“ mehr lesen, hat eher die schöngeistige Literatur im Blick. Das Informationszeitalter fordert seinen Tribut. Die Einstellung zum Medium Buch wird pragmatischer und läßt unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten zu: Ein Buch muß nicht mehr nur gelesen, es darf ruhig auch „benutzt“, „gebraucht“ und „konsumiert“ werden. Die wachsende Bedeutung der Lexika, Nachschlagewerke, Sachbücher, Ratgeber-und Hobbyliteratur stellt die Leseforschung vor neue Aufgaben. Fast jeder dritte Jugendliche beschäftigt sich zudem mit dem Computer (31 Prozent -Gesamtbevölkerung: 16 Prozent) und jeder fünfte findet an Videospielen Gefallen (19 Prozent -Gesamtbevölkerung: 6 Prozent). Die Entwicklung neuer Technologien und die Verbreitung der elektronischen Medien haben viele Freizeitbeschäftigungen attraktiver gemacht, den Konsumenten zugleich aber Streß und Hektik beschert: Die Frage „Was zuerst?“ oder „Wieviel wovon?“ beantwortet die gestreßte Generation @in ihrer Zeitnot mit Zeit-management: In genausoviel Zeit werden mehr Aktivitäten „hineingepackt“ und untergebracht, schnell ausgeübt oder zeitgleich erledigt. Die Generation @agiert nicht alternativ, z. B. PC-Nutzung statt Bücherlesen oder Video statt Radio. Für sie heißt es eher: Video + Radio + Computer + Buch + Free TV + Pay TV + Teleshopping + Einkaufsbummel .. . Sie will alles und von allem möglichst noch mehr.

Computerkultur: Reiz des Online-Lebens

Diese Generation @wächst in einer Computerkultur auf und lernt, neu zu kommunizieren, mit und in virtuellen Welten zu leben. Sie setzt sich zusammen aus „Usern“, „Hackern“ und „Hobbyisten“ -Für die Hobbyisten ist der PC wie ein Spiezeug. Sie benutzen ihn gern und haben auch Spaß daran. -Die User interagieren auf manuelle Weise mit dem PC. Die Technik interessiert sie nur am Rande. Die Maschine ist für sie ein Werkzeug und technisches Hilfsmittel. -Die Hacker stellen das genaue Gegenteil der User dar: Sie wollen die Maschine selbst „beherrschen“. Das Hacken ist mit einem gewissen Nervenkitzel verbunden. Die Computerkultur übt also eine unterschiedliche Faszination auf die jungen Menschen aus. Mal ist der Computer für sie nur eine moderne Rechenmaschine und mal ein ganz persönliches Ausdrucksmittel: lebendig, beseelt, empfindungsfähig. Im letzteren Fall geht es weniger darum, was der Computer „leistet“, sondern was er „ist“. Eine Art Psychologisierung des Computers deutet sich hier an.

Die Generation @weiß natürlich, daß der Computer kein Bewußtsein besitzt, behandelt ihn aber dennoch in einer Weise, die die Grenze zwischen Dingen und Menschen verwischt -vom Kosenamen über die Funktion als Tagebuch und Spiegel bis zur Rolle als Freund, Gesprächspartner, Psychotherapeut und Selbsthilfeprogramm. Das Leben am Bildschirm bzw. das Leben im Netz macht es den Nutzern leicht, so die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, „sich als ein anderer darzustellen als der, der man im wirklichen Leben ist“ Das macht den Reiz des On-line-Lebens aus, das mehr einem On-line-Spiel gleicht, weil es Verwandlungen ermöglicht. Die Generation @weist schon heute Merkmale einer neuen Lebenskultur auf. Dazu gehören beispielsweise -Unabhängigkeit: Als Informationssuchende spielen sie eine weitgehend aktive Rolle und legen auf ihre kreative Autonomie besonderen Wert.

-Offenheit: Wer online geht, exponiert sich, gibt persönliche Gedanken preis und verhält sich emotional besonders offen.

-Toleranz: Die globale Kommunikation ist vorurteilsfrei.

Unterschiede wie jung/alt, arm/reich oder gesund/behindert verlieren an Bedeutung oder werden in ihrer Andersartigkeit akzeptiert.

-Meinungsfreiheit: Sie legen großen Wert auf den unzensierten Zugang zur neuen Internet-kultur und sehen die Möglichkeit, eigene Ansichten frei auszudrücken, geradezu als Grundrecht an.

-Unmittelbarkeit: Im Computerzeitalter erfolgen die persönlichen Reaktionen (z. B. beim Chatten)

unmittelbar. Die Generation @lebt in einer Live-Welt, in der alles sofort erledigt wird.

Leben im Netz: Die Welt als globales Dorf

Die Generation @macht den Bildschirm zum interaktiven Medium und die Welt zum globalen Dorf. Sie will nicht länger „nur“ in der passiven Rolle des Zuschauers verharren, sondern auch zum Akteur in einer digitalen Welt werden. Rezi-pieren, Konsumieren, Sichberieseln und -unterhalten lassen sterben deswegen nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die Generation @will möglichst alles -und auf nichts verzichten. Der Prognose des amerikanischen Computerwissenschaftlers Don Tapscott „Netz frißt Fernsehen“ setzt sie eine gelebte integrierte Medienkultur entgegen: PC + TV + ... Zwischen 1995 und 1999 nahm der Anteil der jugendlichen PC-Nutzer von 25 auf 31 Prozent zu, während gleichzeitig der Anteil der jungen TV-Zuschauer sogar noch geringfügig zunahm (von 88 auf 89 Prozent). Der mediale Verdrängungswettbewerb „PC statt TV“ findet bei der Generation @nicht statt. Das Netz ist für sie wie ein zusätzlicher neuer Medienkanal: Zu den TV-Ereignissen gesellen sich die Web-Ereignisse. Eine Abkehr vom Fernsehen ist nicht erkennbar.

Auch in Zukunft will die Generation @zwischen Anspannung und Entspannung leben, will sie Surfer, Mailer oder Chatter ebenso sein wie Zuhörer, Zuschauer oder Couch Potatoe, also passiver Genießer. Es ist ein viel zu idealisiertes Bild, zu glauben, die neue Mediengeneration werde sich vom Fernsehen abwenden und sich einer aktiven Gestaltung des Lebens zuwenden, so daß unsere Welt dadurch besser werden könnte. Nein -die schöne neue Medienwelt wird das Leben in Zukunft angenehmer, bequemer und abwechslungsreicher machen. Aber: Die Welt wird dadurch nicht besser.

Vor über dreißig Jahren hat der kanadische Medienforscher Marshall McLuhan die Formel von der Welt als globalem Dorf geprägt: In der von McLuhan beschriebenen „neuen Welt des globalen Dorfes“ würden die Menschen zu nomadischen Informationssammlern -so nomadisch und so informiert wie noch nie Mit der Globalisierung lösten sich zunehmend alte Gegensätze von Raum und Zeit, von Arbeit und Freizeit auf. Im elektronischen Zeitalter müßten die Menschen neu leben lernen, weil sich die Maßstäbe und das Tempo des Lebens grundlegend veränderten.

Jetzt ist es offensichtlich soweit. Computer und Medien, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik wachsen immer mehr zusammen. Der Einsatz der neuen Technologien, entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die Informations-und Telekommunikationsmärkte werden weltweit als Hoffnungsträger und Impuls-geber für Produktivitätszuwachs und mehr Beschäftigung angesehen. Alle müssen sich bewegen.

Neue Nomaden: Per Mausklick in die Heimatlosigkeit

Kinder und Jugendliche wachsen in einem Zeitalter der Telekommunikation auf, das Züge einer neuen Netzkultur trägt: Zwischen elektronischen Spielen und elektronischen Briefkästen, virtuellen Welten und virtuellen Gemeinschaften, Datenautobahnen und Computernetzwerken bewegen sie sich und werden selbst wieder zu Nomaden. Sie können sich von einem Punkt der Erde aus zu einem anderen bewegen -und gleichzeitig seßhaft sein und zu Hause bleiben.

Jeder fünfte PC-Nutzer (22 Prozent) ist davon überzeugt, daß das elektronische Surfen um die Welt am Ende heimatlos macht: „Internet-Surfer werden wie elektronische Nomaden überall in der Welt, aber nirgendwo zu Hause sein.“ Verliert die Generation @den festen Boden unter den Füßen?

Oder sehnt sie sich schon bald nach Halt: „Gib mir Wurzeln, denn ich habe keine?“ Die Generation @: ein neues Nömadentum. Früher gingen die Nomaden -je nach Jahreszeit und Niederschlag - auf Nahrungssuche. Die neuen Nomaden hingegen dringen in einen Raum des Wissens und der Fähigkeiten ein -in den lebendigen Raum einer „Menschheit, die sich soeben neu erfindet und sich ihre Welt erschafft“, wie der französische Medien-forscher Pierre Levy prognostiziert! \ Und die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft leben die Flexibilität auch noch täglich vor: „Ich will nicht sagen, daß wir Manager Vagabunden sind, die überall ihr Zelt aufschlagen können. Aber wir sind so flexibel, haben auch ein entsprechendes Einkommen, daß wir von einem Tag auf den anderen umziehen können.“ Alles vagabundiert -die Menschen, die Wirtschaft, die Unternehmen und das Geld. Kommen amerikanische Verhältnisse auf uns zu? Die Verweildauer an einem Wohnort liegt in den USA nur mehr bei fünf Jahren. Der amerikanische Traum zu gehen, wann und wohin man will, kann zum Alptraum werden: Der Verlust an Ortssinn und entsprechender Identität droht, ein Verlust an Wurzeln, die den Menschen helfen, sich selbst zu definieren. Moderne Nomaden verkünden gerne: „Wir blühen, wo wir gepflanzt sind.“ Nur: Kann man überhaupt noch wachsen, wenn man ständig umgepflanzt wird?

Das Leitbild des High-Tech-Zeitalters ist der flexible Mann, ein beschleunigter elektronischer Nomade, der -getrieben von der Angst, etwas zu verpassen -zugleich auf der Suche nach Halt, Sinn und Orientierung ist. Diesem nicht zur Ruhe kommenden Nomaden kann die „verinnerlichte Moral abhanden kommen“ Die Moralproduktion übernehmen dann der Markt und die Medien, während der Nomade sich durch die bereitgestellten Informations- und Unterhaltungswelten zappt. Auch die Erziehung geht zunehmend in die Regie von Markt und Medien über. In TV, PC und Internet eingebaute Software-Geräte sollen die Aufgabe übernehmen, Sex und Crime herauszufiltern: Sorgen in Zukunft „Cybersitter“ und „Net Nanny“ rührend für das Wohl unserer Kinder?

Der High-Tech-Typ des 21. Jahrhunderts hält sich für unbegrenzt beschleunigungsfähig: Orte und Optionen lassen sich ebenso schnell auswechseln wie Partner und Freunde. Die Generation @ist eine flexible Generation, die Flexibilität zum höchsten Lebensprinzip erhebt und zum Gradmesser für Fitness, Gesundheit und Erfolg im Berufs-und Privatleben macht. Flexibilität gilt geradezu als neue Tugend der Wandlungsfähigkeit. In den USA gibt es bereits erste Flexibilitätspraktika, in denen Menschen in der Wildnis zelten oder Bungeesprünge absolvieren lernen -eine Art Therapie gegen das „übersättigte Selbst“ Die Generation @setzt dagegen das flexible Selbst, das nach Belieben zwischen verschiedenen Lebenswelten hin-und herpendeln kann.

Jeder zweite PC-Nutzer (49 Prozent) muß allerdings bereits jetzt selbstkritisch eingestehen: „Die Kontakte im elektronischen Netz bleiben oberflächlich und können beständige Beziehungen nicht ersetzen.“ Das Beziehungsnetz wird immer vielfältiger, aber es kommt kaum zu einer Verknüpfung der Beziehungen, weil man sich auf Beziehungen ohne Bestand auch nicht verlassen kann. „Kein Anschluß unter dieser Verbindung“ -der Kontaktstreß hat kein Ziel. Wie; soll man sich in Zukunft mit der Flut von Kontaktpartnern abfinden, wenn man nicht einmal genug Zeit für die eigenen Freunde hat? Männer und Frauen haben mittlerweile ganz unterschiedliche Arbeits-und Freizeitbeziehungen. Und auch die sozialen Aktivitäten der Kinder sind über die Stadt und Region verstreut. Hinzu kommen abendliche oder Wochenendverpflichtungen in Verbindung mit ganz individuellen Sport-und Freizeithobbys. Die Folge ist: „Das Heim ist weniger ein Nest als ein Boxenstop.“ Und die ganze Familie wird -wenn sie überhaupt einmal zusammentrifft -zum Naherholungsgebiet auf Zeit. Oder wird die Familie zum Auslaufmodell? Die Generation @baut sich neue elektronische Beziehungen im Labyrinth von Chat-Boxen und E-Mails auf -freundschaftliche Netze, die frei von Verpflichtungen sind und trotzdem „fast“ den Halt einer Familie geben. Per Internet kann sie sich die Schwächen und Macken des Partners „besser vom Hals halten“ -ein pragmatisches Gebilde im Spannungsfeld von Moral und Nutzen Tauscht die Generation @die Sicherheit dauerhafter Verpflichtungen ein gegen das Vergnügen und den eigenen Lustgewinn? Ein Leben zwischen Fun-Moral und Spaß-Kultur? Gemeinschaftlichkeit wird offenbar zumindest durch temporäre Allianzen bzw. pragmatische Bindungen auf Zeit ersetzt.

Mögliche Trendwende: Wiederentdeckung der Familie

Die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre spricht zunächst nicht für eine Trendwende nach der Jahrtausendwende -immer weniger Ehen, immer weniger Kinder, immer weniger Familien in Deutschland: -Mehr als jeder dritte Privathaushalt ist ein Single-Haushalt (35 Prozent -in Großstädten: 44 Prozent). -Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist in den neunziger Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. -Im vergangenen Jahr gaben sich bundesweit nur mehr 417 000 Paare das Jawort (im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 1, 2 Prozent). -Uber elf Millionen Haushalte sind in Deutschland kinderlos. -1998 kamen 782 000 Kinder zur Welt -27 000 weniger als im Vorjahr. Lediglich in den neuen Bundesländern war ein geringer Anstieg um 1, 8 Prozent zu verzeichnen. Dagegen gab es in den alten Bundesländern einen Geburtenrückgang um 4, 2 Prozent. Werden die Deutschen immer heiratsmüder? Verlieren sie die Lust an der Familiengründung? Droht uns ein Nullwachstum der Bevölkerung oder gar ein Rückgang? -Deutschland hat bereits heute den geringsten Anteil junger Menschen unter 20 Jahren in der ganzen Welt -Im Jahr 2010 wird Deutschland einen der höchsten Altenanteile der Welt aufweisen.

Kehrt sich diese Entwicklung bald um? Im Zeit-vergleich der achtziger und neunziger Jahre deutet sich erstmals eine Trendwende an. Ein Jahrzehnt lang gebärdeten sich die jungen Leute im Alter von 14 bis 29 Jahren wie , Hegoisten'-waren also Hedonisten und Egoisten zugleich. Sie wollten frei und unabhängig sein und viel Zeit „für mich“ haben und einfach „glücklich leben“, ohne an Heiraten und Familie denken zu müssen. Die Über-zeugung machte sich breit: „Freunde, Sport, Hobbys und Urlaubsreisen sind mir wichtiger als Heiraten und eine Familie gründen“ (1985: 45 Prozent, 1988: 49 Prozent, 1994: 54 Prozent). Kurz vor der Jahrtausendwende zeichnet sich in Ansätzen ein Stimmungsumschwung ab. Eine Trendwende ist möglich. Nur mehr 53 Prozent votieren jetzt für den Lebens-und Konsumgenuß ohne Rücksicht auf Familie.

Hat der Trend zur Individualisierung seinen Zenit erreicht? Entdecken die jungen Leute den Wert von Ehe, Kindern und Familie wieder? Erkennen sie, daß die Sorge für die Familie und die eigenen Kinder auf Dauer mehr persönliche Lebenserfüllung gewährt, als wenn man nur an sich denkt? Skepsis bleibt sicher angebracht, weil sich ein solch grundlegender Einstellungswandel erst langsam entwickeln kann und sich nicht plötzlich von heute auf morgen ergibt. Dafür spricht auch, daß nach wie vor 60 Prozent der jungen Männer im Alter von 14 bis 29 Jahren gegen Heirat und Familiengründung eingestellt sind -in deutlichem Unterschied zu den jungen Frauen (46 Prozent). Von der Einstellungs-zur Verhaltensänderung ist sicher noch ein weiter Weg.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Douglas Coupland, Generation X. Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur („Generation X. Tales for an Accelerated Culture, 1991), Hamburg 1992, S. 44.

  2. Vgl. Horst Werner Opaschowski, Generation @. Die Medienrevolution entläßt ihre Kinder: Leben im Informationszeitalter, Hamburg -Ostfildern 1999.

  3. Douglas Coupland, Microsklaven („Microserfs“, 1995), Hamburg 1996, S. 108.

  4. George Orwell, 1984 („Nineteen Eighty-Four“, 1949), Frankfurt/M. -Berlin 1993, S. 271.

  5. Bill Gates, Business @. The Speed of Thought, New York 1999.

  6. G. Orwell (Anm. 4), S. 3.

  7. Vgl. K. Rainer Silbereisen u. a. (Hrsg.), Jungsein in Deutschland. Jugendliche und junge Erwachsene 1990 und 1996, Opladen 1996, S. 146.

  8. Richard Münchmeier, Jugend als Konstrukt, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, (1998) 1, S. 108 f.

  9. Vgl. BAT Freitzeit-Forschungsinstitut (FIrsg.), Freizeit-Monitor 2000. Die Freizeitaktivitäten der Deutschen, Hamburg 1999.

  10. Vgl. Sherry Turkle, Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet („Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet“, 1995), Reinbek b. Hamburg 1998, S. 46.

  11. Ebd., S. 369.

  12. Vgl. Don Tapscott, Net Kids. Die digitale Generation erobert Wirtschaft und Gesellschaft („Growing Up Digital: The Rise of the Net Generation“, 1998), Wiesbaden 1998, S. 103 ff.

  13. Ebd„ S. 49.

  14. Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle („Understanding Media“, 1964), 2. erweiterte Aufl., Dresden -Basel 1995, S. 538.

  15. Pierre L 6vy, Die kollektive Intelligenz. Für eine Anthropologie des Cyberspace („L’intelligence collective“, Paris 1994), Mannheim 1997, S. 13. 16 Werner Wiedeking, Die Welt tickt zu einseitig (Interview), in: Der Spiegel. 3/1999, S. 90.

  16. Reimer Gronemeyer, Alle Menschen bleiben Kinder, Düsseldorf -München 1996, S. 16.

  17. Vgl. Emily Martin. Flexible Bodies, Boston 1994.

  18. Vgl. Kenneth Gergen, Das übersättigte Selbst: Identitätsprobleme im heutigen Leben, Heidelberg 1996.

  19. Ebd., S. 120.

  20. Vgl. Johannes Goebel/Christoph Clermont, Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Berlin 19983, S. 103 ff.

  21. Vgl. Stefan Hradil, Die „Single-Gesellschaft“, München 1995.

Weitere Inhalte

Horst W. Opaschowski, Dr. phil., geb. 1941; Zukunftsforscher und Politikberater; Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg; wissenschaftlicher Leiter des BAT Freizeit-Forschungsinstituts seit dessen Gründung vor 20 Jahren. Jury-und Kuratoriumsmitglied der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover. Veröffentlichungen u. a.: Deutschland 2010. Wie wir morgen leben, Hamburg 1997; Feierabend? Von der Zukunft ohne Arbeit zur Arbeit mit Zukunft, Opladen 1998; Leben zwischen Muß und Muße. Die ältere Generation: Gestern. Heute. Morgen, Hamburg 1998; Generation @. Die Medienrevolution entläßt ihre Kinder: Leben im Informationszeitalter, Hamburg-Ostfildern 1999.