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Zwischen Leviathan und Kantischem Rechtszustand | Freiheit und Sicherheit | bpb.de

Freiheit und Sicherheit Editorial Zwischen Leviathan und Kantischem Rechtszustand. Über das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Dynamiken der Sicherheit. Sicherheit und Unsicherheit in historischer Perspektive Zwischen individueller Freiheit und staatlicher Sicherheitsgewähr. Wandlungen des Rechtsstaats in unsicheren Zeiten Der Pandemiestaat als nervöser Staat. Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in Krisenzeiten Politik der Inneren Sicherheit. Politisierungsdynamiken und Politikänderungen Im Zweifel für die Sicherheit. Haltungen der Bevölkerung zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit Illusion der Sicherheit. Warum wir uns mit der Freiheit so schwertun

Zwischen Leviathan und Kantischem Rechtszustand Über das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit

Herlinde Pauer-Studer

/ 13 Minuten zu lesen

Freiheit und Sicherheit gehen nur unter den Bedingungen des demokratischen Rechtsstaats zusammen. Gerät dieser in Krisenzeiten unter Druck, ist nicht der Hobbessche Leviathan die Lösung, sondern die Besinnung auf die Herstellung und Bewahrung eines Rechtszustands.

Was genau bedeutet es, frei zu sein? Welche politischen Rahmenbedingungen ermöglichen Freiheit? Und wie verhält es sich mit der Sicherheit? Welche normativen Konstellationen garantieren diese? Welche Freiheitszugeständnisse sind notwendig, um Sicherheit zu erlangen?

Die philosophische Bestimmung von Freiheit beruft sich auf die Begriffe der negativen und der positiven Freiheit. Freiheit besteht demnach einerseits in der Abwesenheit von Beschränkungen und Einmischungen (negative Freiheit), bedeutet andererseits aber auch, dass Personen ihre selbstgesetzten Ziele, Pläne und Projekte verfolgen können (positive Freiheit). In der Kombination der beiden Dimensionen bedeutet "Freiheit" also, dass eine Person frei von Beschränkungen ist, um Handlungen zu setzen und Optionen wahrzunehmen.

Aus der Geschichte wissen wir: Der Freiheit geht es gut in demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaaten und schlecht unter autoritären Regimen. Totalitäre Strukturen sind ihr Tod. Demokratien, so lautet zumindest der Anspruch, sichern die in der privaten Sphäre und im öffentlich-politischen Bereich gelebte Autonomie der Person: Menschen haben die Möglichkeit, einen selbst gewählten Lebensplan zu verfolgen; sie können ihre politischen Meinungen ohne Gefahr äußern; es ist ihnen überlassen, ihre Identität, ihre privaten Bindungen und ihre sexuelle Orientierung selbst zu bestimmen. Kurz gesagt: In Demokratien genießen Menschen verfassungsmäßig verbriefte Rechte, die ihre negative Freiheit schützen – Abwehrrechte gegen unbefugte Einmischungen des Staates –, sowie Rechte, die ihrer positiven Freiheit in Form einer aktiven Teilhabemöglichkeit am sozialen und politischen Leben Raum geben. In Demokratien gehen Freiheit und Sicherheit also prinzipiell zusammen.

Diese formalen Garantien fehlen in nicht-demokratischen Systemen. Der Machtanspruch von Diktatoren duldet wenig, meist gar keine politische Opposition. Falls Wahlen überhaupt noch stattfinden, sind sie häufig manipuliert und von einer Atmosphäre der Repression geprägt; negative und positive Freiheitsrechte werden nur stark eingeschränkt oder gar nicht gewährt.

Was aber, wenn die Zeiten dunkler werden und sich Demokratien den mehr oder weniger unverhohlenen Machtansprüchen von Autokraten gegenübersehen? Wie können sich Demokratien gegen solche Bedrohungen schützen, ohne ihr normatives Profil zu ändern? Wie genau sollen sich Demokratien verhalten, wenn etwa militärische Aufrüstung und Abschreckung wieder zum drängenden Thema werden? Wie verträgt sich das Projekt, staatliche Sicherheit vorrangig über militärische Mittel herzustellen, mit einer freien und offenen Gesellschaft, für die Kooperation und Frieden konstitutiv sind? Ein Blick in die Geschichte der politischen Philosophie, insbesondere auf die Theorien des Gesellschaftsvertrags, kann uns bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen helfen.

Sozialvertragskonzeptionen bei Hobbes, Rousseau und Kant

Welchem Gesellschaftsvertrag würden an ihrer Freiheit und Sicherheit interessierte Menschen zustimmen? Die Sozialvertragstheoretiker haben diese Frage zum Ausgangspunkt einer Rechtfertigung staatlicher Autorität und Macht gemacht. Die Antwort darauf, welche Art von Souveränität und staatlicher Ordnung die Zustimmung aller findet, hängt dabei von den jeweiligen Vorannahmen über den vorstaatlichen Zustand, den "Naturzustand", ab. Dieser Naturzustand ist nicht als faktisch-historischer Zustand zu verstehen, sondern als eine theoretische Annahme und als Ausgangssituation für die Rechtfertigung legitimer politischer Autorität. Er dient also in einer Art Gedankenexperiment der Legitimation staatlicher Macht.

Im Folgenden skizziere ich drei klassische Gesellschaftsvertragskonzeptionen: die rational-individualistische Vertragskonzeption von Thomas Hobbes (1588–1679) und die an eine universalistische normative Perspektive geknüpften Modelle von Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) und Immanuel Kant (1724–1804).

In seinem 1651 erschienenen Hauptwerk "Leviathan" entwickelt der englische Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes eine auf dem Interesse der Menschen an ihrer Sicherheit basierende Anerkennung staatlicher Herrschaft. Die Bürger unterwerfen sich freiwillig der Macht eines über erhebliche Befugnisse verfügenden Souveräns, um einem Zustand der permanenten Bedrohung zu entkommen.

Hobbes geht davon aus, dass die Menschen egoistische Wesen sind. Ihre Furcht vor dem Tod stellt ein wesentliches Motiv ihrer Handlungen dar. Infolge der menschlichen Neigung zu Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht und dem Streben nach größtmöglicher Güteraneignung sind, wie Hobbes betont, Konflikte unausweichlich. Da Hobbes zugleich eine natürliche Gleichheit der Menschen an Stärken und Fähigkeiten voraussetzt, resultiert aus der Knappheit der Güter im Naturzustand ein Kampf aller gegen alle mit dem Ziel, den anderen zu unterwerfen und gegebenenfalls zu vernichten. Die Menschen befinden sich ohne übergeordnete Macht "in einem Krieg eines jeden gegen jeden". In diesem Zustand gibt es "keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes – das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz".

Die einzige Möglichkeit, dieser Situation der permanenten Auseinandersetzung und Gefährdung, dieser Spirale wachsender Gewalt, zu entkommen, sieht Hobbes in einer Übereinkunft über Regeln des sozialen Zusammenlebens, die den Übergang vom anarchischen und bedrohlichen Naturzustand zum zivilen Zusammenleben in einem Staat markieren. Ein Vertrag der Bürger untereinander, der darauf abzielt, einem Souverän die Macht zu übertragen, über ihre Rechte und Pflichten zu wachen, liegt folgerichtig im Eigeninteresse aller.

In der folgenden Passage am Beginn des 17. Kapitels des Leviathan ("Von den Ursachen, der Erzeugung und der Definition eines Staates") bringt Hobbes die Logik im Zusammenspiel von Sicherheit und Freiheitseinschränkungen folgendermaßen auf den Punkt:

"Die Menschen, die von Natur aus Freiheit und Herrschaft über andere lieben, führten die Selbstbeschränkung, unter der sie, wie wir wissen, in Staaten leben, letztlich allein mit dem Ziel und der Absicht ein, dadurch für ihre Selbsterhaltung zu sorgen und ein zufriedeneres Leben zu führen – das heißt, dem elenden Kriegszustand zu entkommen, der (…) aus den natürlichen Leidenschaften der Menschen notwendig folgt, dann nämlich, wenn es keine sichtbare Gewalt gibt, die sie im Zaume zu halten und durch Furcht vor Strafe an die Erfüllung ihrer Gesetze und an die Beachtung der natürlichen Gesetze zu binden vermag."

Hobbes’ Vertragsmodell beruht also auf der Annahme, dass Sicherheit und (begrenzte) Freiheit nur im Rahmen eines mit absoluten Rechten ausgestatteten Staates möglich sind – und dass die Menschen aus wohlüberlegtem Eigeninteresse einem solchen Arrangement zustimmen würden.

Ein normativ anders gelagertes, nämlich nicht auf egoistischen Interessenserwägungen basierendes Modell des Sozialvertrags findet sich bei Rousseau und Kant. Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau nahm zwar ebenfalls an, dass der Wunsch nach dem Schutz ihrer Güter und ihres Lebens die Menschen zum Zusammenschluss in staatlichen Gemeinschaften zwingt. Doch für Rousseau geht der Übergang vom Naturzustand – den er weit friedlicher skizziert als Hobbes – zur Gesellschaft mit einer Transformation des Menschen von einem instinktgeleiteten Wesen zu einem moral- und vernunftfähigen Subjekt einher.

Mit der fiktiven normativen Annahme, dass die Menschen sich beim Eintritt in den Gesellschaftsvertrag all ihrer Ansprüche auf die im Naturzustand erworbenen Besitztümer entledigen, schafft Rousseau eine Ausgangsposition, in der alle Menschen gleich sind und niemand bevorzugt oder benachteiligt wird. Ein von diesen Voraussetzungen getragener gemeinschaftlicher Zusammenschluss geht damit deutlich über einen bloßen Kompromiss zwischen Partikularinteressen hinaus.

Rousseaus Transzendieren des individuellen Interessenstandpunkts wird nicht zuletzt an seiner berühmt gewordenen Unterscheidung von Gesamtwillen (volonté de tous) und Gemeinwillen (volonté générale) deutlich. Der Gesamtwille ist nicht mehr als die Summe der interessengebundenen Einzelwillen, während der Gemeinwille vom rein subjektiven Standpunkt abstrahiert und über eine geteilte Perspektive den Blick auf das gemeinschaftlich Gute ermöglicht. Und die mit dem Gemeinwillen verknüpfte Form der Selbstgesetzgebung führt zu einer Staatsform, in der die Freiheit und Gleichheit aller Anerkennung findet.

Immanuel Kant greift diese Idee der gemeinschaftlichen Selbstgesetzgebung in seiner Konzeption des Gesellschaftsvertrags auf: Für Kant ist es Pflicht, aus dem ungeregelten Naturzustand in den Rechtszustand überzugehen. Dieser bürgerlich-rechtliche Zustand ist durch den Grundsatz definiert, dass "Recht (…) die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann [ist], insofern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist". Der Rechtszustand basiert also auf den Prinzipien der Freiheit aller Menschen, ihrer Gleichheit mit allen anderen und ihrer Selbstständigkeit (Autonomie) als Bürger.

Das Kantische Rechtsprinzip definiert eine normative Ordnung, in der alle Gesellschaftsmitglieder über ihren Raum persönlicher Freiheit verfügen können, ohne Übergriffen durch andere ausgesetzt zu sein. Desgleichen sind die Menschen vor staatlicher Willkür geschützt, da der Staat Zwang nur dann ausüben darf, wenn dieser zur "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit" notwendig ist. Dem Staat obliegt also die Aufgabe, durch entsprechende Gesetze die äußere Freiheit der Menschen in einem geregelten Miteinander sicherzustellen. Auf die Gesinnungen der Menschen, also deren sogenannte innere Freiheit, darf der Staat nicht mit Zwangsmaßnahmen zugreifen. Nach Kant gebietet es die Vernunft, einem Gesellschaftsvertrag zuzustimmen, der Menschen das Recht auf Freiheit gewährt und ihre Gleichheit und Autonomie anerkennt.

Rationalitätskalküle und Vernunftgründe

Für Thomas Hobbes sind Personen strategische Rationalisten. Sie entschließen sich zur Unterwerfung unter staatliche Macht, weil ihnen Sicherheit und Schutz als vorrangige Ziele gelten. Folgerichtig schließen die Bürger unter sich einen Vertrag zur Einsetzung einer übergeordneten Instanz. Was aber bindet diese Individuen, wenn sie doch in die Position des Stärkeren geraten? Was geschieht, wenn sie doch über die Macht und Gelegenheit verfügen, andere zu bedrohen und zu unterwerfen, ohne selbst in Gefahr zu geraten?

Hobbes versucht, diese Lücke über die Verpflichtung der Gesellschaftsmitglieder auf natürliche Gesetze zu schließen. Das "erste und grundlegende Gesetz der Natur" besteht für ihn in der Forderung: "Suche Frieden und halte ihn ein." Niemand ist nach Hobbes verpflichtet, sich "selbst als Beute anzubieten". Doch jedermann hat, unter der wechselseitigen Versicherung, den Gesellschaftsvertrag einzuhalten, seine "Friedensbereitschaft zu zeigen". Dabei war sich Hobbes völlig im Klaren darüber, wie fragil Vereinbarungen sein können. "[D]ie Kraft von Worten" ist, wie er schreibt, "zu schwach (…), um die Menschen zur Erfüllung ihrer Verträge anzuhalten". Er setzt deshalb auf die Furcht vor den negativen sozialen Folgen von Vertragsbrüchen und auf den Wunsch der Menschen, "als jemand dazustehen, der einen Wortbruch nicht nötig hat".

Letztlich findet Hobbes damit aber keine befriedigende Lösung. Der Grund liegt in seiner vorteilsmaximierenden Rationalitätskonzeption. Dass Hobbes deren Schwächen sah, zeigt sich daran, wie ernst er das Problem des sogenannten Narren (des "Foole") nimmt, der ein Trittbrettfahrer ist und als solcher immer auf die Gelegenheit lauert, dass andere ihre Verbindlichkeiten erfüllen, während er selbst unbemerkt und sanktionsfrei seinen Verpflichtungen entgehen kann.

Dieses Problem ist die Achillesferse eines an subjektive Vorteilsmaximierung gebundenen Rationalitätsverständnisses. Wenn rationale Gründe per definitionem auf eigeninteressierte Zielsetzungen reduziert werden, dann ist es qua Rationalität geradezu geboten, normativen Forderungen auszuweichen, wenn dies ohne Gefährdung des Gesamtsystems normativer Regelungen möglich ist. Unterwerfe ich mich Normen nur aus egoistischen Vorteilsgründen, bin ich immer wieder versucht, gegen diese zu verstoßen, solange mir die anderen nicht gänzlich das Vertrauen entziehen – und dahinter steht nicht eine Ich-Schwäche, sondern ein Rationalitätspostulat.

Gefangen im Gefangenendilemma

Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich rationale Egoisten leicht in sogenannten Gefangenendilemma-Situationen verfangen. Ein Gefangenendilemma ist durch folgende Struktur definiert: Es gibt zwei Spieler, denen jeweils zwei Handlungsstrategien offenstehen – eine rein selbstinteressierte und eine kooperative. Die Auszahlungen sind so definiert, dass die Spieler einen gewissen Verlust in Kauf nehmen müssen, wenn sie kooperieren. In dieser Situation versucht jede Spielerin durch die Wahl der selbstinteressierten Strategie die für sie maximale Auszahlung zu erreichen, und zwar unabhängig davon, was die andere Spielerin tut (deren Strategie sie nicht kennt). Damit schneiden beide Spielerinnen im Ergebnis aber schlechter ab, als wenn sie kooperiert hätten. Die Situation macht es jeder Person unmöglich, das aus ihrer eigenen Sicht bestmögliche Ergebnis zu realisieren.

Der Ausweg scheint in Übereinkünften zu liegen, die von beiden Parteien Abstriche am erwarteten Nutzen verlangen, aber langfristig gesehen besser sind. Doch auch soziale Ordnungen, die auf ein aufgeklärtes Eigeninteresse gegründet sind, bedürfen der Absicherung durch die moralischen Haltungen aller Beteiligten. Die Stabilität von Gemeinwesen hängt zu einem bedeutenden Teil von der Wahrnehmung von moralischen Verbindlichkeiten ab.

Die Vertragstheorien von Rousseau und Kant tragen dem Rechnung, indem sie von einer Vernunftkonzeption ausgehen, die vernünftiges Handeln an die moralische Einsichtsfähigkeit der Gesellschaftsmitglieder bindet. Kant versucht, die Grundprinzipien des Rechtszustands über Vernunftgewissheiten abzusichern. Doch aus der Perspektive kritischen Denkens scheint es sinnvoller, den Argumenten und Gründen für die Anerkennung grundlegender normativer Prinzipien nachzugehen, als sich einfach auf die Kraft a priori gegebener Gesetzlichkeiten der Vernunft zu berufen.

Die normativen Gründe, den Prinzipien des Rechtszustandes zuzustimmen, scheinen offensichtlich: Dieser ermöglicht uns einen Status, in dem unsere persönlich-private und unsere politische Freiheit, ja unsere Würde als Menschen gesichert sind. Da wir nun einmal in einer mit anderen geteilten Welt leben, sind Prinzipien notwendig, die uns davor bewahren, von anderen instrumentalisiert, gedemütigt und bedroht zu werden.

Freiheit und Sicherheit in unruhigen Zeiten

Die philosophischen Entwürfe eines Gesellschaftsvertrags sind von den jeweils herrschenden historischen Gegebenheiten geprägt. So durchlebte Hobbes höchst unruhige politische Zeiten. Spätere Theoretiker, die das Glück hatten, in Perioden des Friedens und des ökonomischen Aufschwungs zu leben, standen der von Hobbes entworfenen politischen Ordnung entsprechend kritisch gegenüber.

David Hume (1711–1776), der nicht blind war für die wirtschaftlichen Vorteile der Vereinigung seines heimatlichen Schottlands mit England, kritisierte etwa, dass Hobbes’ Beschreibungen der Menschen als von Selbstsucht und völliger Rücksichtslosigkeit getriebene Wesen "von der Wahrheit ebenso weit entfernt sind als die Berichte über Ungeheuer, denen wir in Fabeln und Dichtungen begegnen". Und Kants philosophische Arbeiten sind, ungeachtet ihrer Blindstellen, Ausdruck einer Zeit, in der die Besinnung auf die Autonomie der Subjekte und deren Befreiung aus ihrer "selbstverschuldeten Unmündigkeit" zum zentralen Thema und Anliegen wurde.

Dass es den jeweiligen historischen Kontext zu berücksichtigen gilt, sollte uns nicht dazu verleiten, die Aussagekraft normativer Konstruktionen und philosophischer Theorien zu relativieren. Doch zweifellos ist es so, dass sich durch die Zeitumstände die Akzente in unseren Betrachtungen über Freiheit und Sicherheit verschieben.

Aktuell stehen wieder Fragen der Sicherheit durch militärische Aufrüstung und Abschreckung im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Die Problematik dieser Strategie ist bekannt: In einer Situation gegenseitigen Misstrauens wird es schwierig, die mit Aufrüstung und Abschreckung verbundene Dynamik zu durchbrechen. Darüber hinaus geht effektive Abschreckung mit einer nicht vermeidbaren moralischen Korruption der beteiligten Akteure einher. Denn um Abschreckung glaubhaft zu machen, müssen die Akteure die Intention ausbilden, auf kriegerische Aktionen der Gegenseite auch mit einem entsprechenden Gegenschlag zu reagieren. Doch im Wissen um die potenziell katastrophalen Folgen militärischer Aktionen (vor allem für die Zivilbevölkerung) können Akteure Gegenschläge nur dann intendieren, wenn sie zur moralischen Skrupellosigkeit tendieren und bereit sind, die sogenannten Kollateralschäden, den Tod vieler unschuldiger Menschen, in Kauf zu nehmen.

Freiheit ist nicht in allen Staatsformen gleichermaßen zu haben. Und Sicherheit steht und fällt mit der Verpflichtung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die von den Vertragstheoretikern vorgelegten Entwürfe zeigen uns deutlich, warum es geboten ist, Kriege zu vermeiden und, sollten sie dennoch eintreten, diese durch Vereinbarungen rasch und entschlossen zu beenden. Denn die Herstellung eines Rechtszustands – auch im Verhältnis der Staaten zueinander – ist das wirksamste Mittel, um Stabilität und Sicherheit zu erzielen. Der Prüfstein für politische Strategien und normative Konstruktionen sollte letztlich sein, ob die davon betroffenen Menschen, gemessen an ihren Verletzlichkeiten, Bedürfnissen, Empfindungen und elementaren Interessen, diesen zustimmen können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu dieser Definition von Freiheit siehe Gerald C. MacCallum, Jr., Negative and Positive Freedom, in: The Philosophical Review 3/1967, S. 312–334. In libertären Ansätzen hat die negative Freiheit Vorrang. Vgl. dazu F.A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971. Skeptisch gegenüber positiver Freiheit ist Isaiah Berlin; siehe Two Concepts of Liberty, in: ders., Four Essays on Liberty, Oxford 1969, S. 118–172. Zur Kritik an Berlins Einwänden gegenüber dem Konzept positiver Freiheit siehe Herlinde Pauer-Studer, Autonom Leben. Reflexionen über Freiheit und Gleichheit, Frankfurt/M. 2000, S. 18–24. Zur philosophischen Diskussion der Freiheit vgl. auch John Stuart Mill, Über die Freiheit, Stuttgart 1988.

  2. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. und eingeleitet von Iring Fetscher, Frankfurt/M. 1984 (1651).

  3. Ebd., S. 96.

  4. Ebd., S. 131.

  5. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, hrsg. von Hans Brockard, Stuttgart 1986 (1762).

  6. Entsprechend legt Rousseau auch fest, dass die Übereinkunft im Sozialvertrag "die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes" verlangt.

  7. Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: ders., Gesammelte Schriften, Akademieausgabe Bd. 8, Berlin 1923 (1793), S. 273–313, hier S. 289f.

  8. Kants genaue Formulierung des Rechtsprinzips lautet: "Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann." Ders., Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: ders., Gesammelte Schriften, Akademieausgabe Bd. 6, Berlin 1907 (1797), S. 203–492, hier S. 230.

  9. Hobbes (Anm. 2), S. 100.

  10. Ebd., S. 108, S. 134f.

  11. Der Philosoph John L. Mackie hat hierzu kritisch angemerkt, dass Hobbes’ Konstruktion "den Eindruck eines Kartenhauses" vermittele, "das zwar zum Stehen kommt, jedoch sehr schwankt", weil der Zusammenhalt der Teile nur durch die Macht des Souveräns geleistet wird. Vgl. John L. Mackie, Ethik. Auf der Suche nach dem Richtigen und Falschen, Stuttgart 1981, S. 142.

  12. Folgende Situation illustriert ein Gefangenendilemma: Zwei Gefangene sind eines schweren Bankraubs verdächtig. Außer einem leichteren Vergehen (unerlaubter Waffenbesitz) kann ihnen nichts nachgewiesen werden. Bei einem getrennten Verhör (eine Absprache zwischen den beiden ist ausgeschlossen) wird jeder für sich mit folgender Option konfrontiert: Bei einem Geständnis werden sie zum Kronzeugen und kommen frei, der andere wird zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Wenn beide gestehen, wird die Geständnisbereitschaft strafmildernd berücksichtigt, und sie kommen beide für sechs Jahre ins Gefängnis. Die vom Standpunkt individueller Nutzenmaximierung beste Strategie ist die Kronzeugen-Variante. Als rationale Egoisten werden beide Gefangene diese Alternative wählen, was bedeutet, dass sie beide zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt werden. Hätten sie geschwiegen, wären sie wegen unerlaubten Waffenbesitzes nur für ein Jahr ins Gefängnis gewandert.

  13. David Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch 3: Über Moral, hrsg. mit einem Kommentar von Herlinde Pauer-Studer, Frankfurt/M. 2007 (1740), S. 51. Hume vertraut deshalb auf Konventionen und Übereinkünfte, an die sich Menschen halten, weil diese in ihrem aufgeklärten Interesse liegen. Er lässt aber neben der Rechtsordnung (eine für Hume künstliche Tugend) auch natürliche Tugenden wie Wohlwollen und Anteilnahme am Schicksal anderer zu. Für Hume entspricht es einer Pervertierung ihrer Anlagen, wenn Menschen gleichgültig gegenüber dem Leid und Schmerz anderer sind. In seiner Begründung, warum wir die Rechtsordnung einführen und anerkennen, kombiniert Hume das Eigeninteresse mit moralischen Empfindungen. "So ist Eigennutz das ursprüngliche Motiv zur Festsetzung der Rechtsordnung, aber Sympathie für das Allgemeinwohl ist die Quelle der moralischen Anerkennung, die dieser Tugend gezollt wird." Ebd., S. 66. Hume war kein Theoretiker des Gesellschaftsvertrags; er stand dieser Konzeption kritisch gegenüber. Allerdings gehen seine Einwände, dass Gesellschaften nicht durch Verträge, sondern durch stillschweigende Übereinkünfte, die im Interesse der Beteiligten liegen, zustande kommen, am maßgeblichen philosophischen Punkt der Vertragstheorien vorbei.

  14. Dies betrifft zum Beispiel Kants Haltung gegenüber außereuropäischen Kulturen und Menschen, die nicht frei von kolonialistischen Untertönen ist.

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ist Professorin für Praktische Philosophie und Ethik an der Universität Wien.
E-Mail Link: herlinde.pauer-studer@univie.ac.at