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Im Transit zwischen gestern und morgen | Öffentlich-rechtlicher Rundfunk | bpb.de

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Editorial Vom Monopol zu komplizierter Konkurrenz. 75 Jahre öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwischen Recht und Politik Zu teuer, zu abhängig, zu irrelevant? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in internationaler Perspektive What next, Auntie Beeb? Die BBC vor ungewisser Zukunft "Wir müssen unbedingt debattenfähig bleiben". Ein Gespräch über Ausgewogenheit, "false balance" und falsche Vorstellungen von politischer Einflussnahme Medienvertrauen in Krisenzeiten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen Der Osten als Chance. Ostdeutsche Perspektiven auf die Reformdebatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Im Transit zwischen gestern und morgen. Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Im Transit zwischen gestern und morgen Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Christian Meier

/ 17 Minuten zu lesen

Die Öffentlich-Rechtlichen befinden sich in einer Transformationsphase zwischen Grundversorgungsauftrag und neuen digitalen Welten. Damit der Kern ihres Auftrags nicht verloren geht, muss diese Phase von Gesellschaft und Politik aktiv begleitet werden.

Das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ist Teil der Geschichte der deutschen Demokratie – und somit auch ein wichtiger Eckpfeiler dieser Erfolgsgeschichte. Dieser einleitende Satz könnte gut und gerne die These oder der Höhepunkt einer Ansprache des Bundespräsidenten sein: die Fallhöhe möglichst groß, nicht ohne einen Schuss Pathos. Und es ist ja auch etwas dran: Der Aufbau eines Rundfunksystems mit einer möglichst freien und unabhängigen Berichterstattung – im Fall der ARD zudem mit einer dezentralen und damit weniger angreifbaren Struktur –, hat zum Gelingen einer demokratisch verfassten Gesellschaft in dieser Republik beigetragen. Dieser historische Hintergrund sollte all denjenigen, die nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio verhandeln, bewusst sein.

Normalerweise müsste nun ein "allerdings" oder "trotzdem" folgen, geht es in diesem Text doch nicht darum, das Bestehende zu loben, sondern das Künftige konstruktiv zu entwerfen, was automatisch die Notwendigkeit einer Veränderung des Ist-Zustandes nach sich zieht. Dennoch folgt hier nicht ein "trotzdem", sondern ein "darum", ein "gerade deshalb". Denn, und das ist die These dieses Essays, der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) braucht eine Reform in der Gegenwart, um seinen Wesenskern in der Zukunft erhalten zu können. Dieser Wesenskern hat selbstverständlich auch mit Strukturen zu tun. Der eigentliche Kern der Rundfunkanstalten (ein ziemlich überholt klingender Begriff), ihr Zweck und ihre Legitimation, hat aber vor allem mit ihrem Auftrag zu tun. Wir müssen uns den beitragsfinanzierten Rundfunk als eine von Strukturen losgelöste Idee denken, um ihn zeitgemäß reformieren zu können.

Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk als Idee

Diese Idee ist, um es mit dem Zweiten Medienstaatsvertrag von 2022 auszudrücken, "allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft" zu ermöglichen "sowie die technische und inhaltliche Medienkompetenz aller Generationen und von Minderheiten" zu fördern; auch geht es um "die aktive Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an der Mediennutzung". Dies mag auf den ersten (und vielleicht auch auf den zweiten) Blick selbstverständlich erscheinen, wird der Rundfunkbeitrag doch vor allem von den Anstalten selbst mitunter als "Demokratieabgabe" bezeichnet, den alle Haushalte zahlen müssen, wenn sie nicht von der Zahlung befreit sind. Im Medienstaatsvertrag wird die Aufgabe, "für alle" da zu sein, mehrfach hervorgehoben – offensichtlich auch deshalb, weil etwa junge Zielgruppen in den vergangenen Jahrzehnten unterdurchschnittlich gut erreicht wurden. Es soll ja auch Beitragszahler geben, die sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht oder nicht mehr hinreichend angesprochen fühlen.

Eine Infratest dimap-Umfrage im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, die zum Jahreswechsel 2022/23 erstellt wurde, ließ einen Vertrauensverlust in die öffentlich-rechtlichen Sender erkennen. Immerhin 70 Prozent der Befragten antworteten zwar auf die Frage "Halten Sie politische Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Medien wie ARD und ZDF alles in allem für glaubwürdig oder für nicht glaubwürdig?" mit: "Ja, halte ich für glaubwürdig." Bei einer vergleichbaren Umfrage zum Jahreswechsel 2019/20 lag dieser Anteil aber noch bei 78 Prozent. Vor allem bei Menschen in Ostdeutschland sei die Zustimmung beziehungsweise das Vertrauen gesunken, heißt es in der Analyse. Kai Gniffke, SWR-Intendant und derzeit ARD-Vorsitzender, verwies in einem Interview mit der Fachzeitschrift "Journalist" kürzlich auf eine andere repräsentative Studie aus dem vergangenen Jahr, die deutlich positiver ausfiel – mit Zustimmungswerten von 81 Prozent in der Kategorie "gesellschaftliche Relevanz" und 78 Prozent in der Kategorie "Glaubwürdigkeit".

Solche Umfragen gilt es sorgfältig zu analysieren. Sie belegen, so viel lässt sich sagen, dass eine Mehrheit der Bürger die Sender weiter finanzieren will. Aber es gibt offenbar durchaus einen Akzeptanzschwund, dessen Ausmaß nicht genau zu beziffern ist, der aber doch mehr als nur eine zu vernachlässigende Größe darstellt. Allem Anschein nach geht es zwar nur einem "harten Kern" von Gegnern um die Forderung, das System komplett abzuschaffen. Aber daneben gibt es eine durchaus nennenswerte Anzahl von Kritikern und Skeptikern, die etwa den Rundfunkbeitrag nicht nur in seiner Höhe, sondern auch als Symbol problematisch finden, gerade in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage. Und mit Blick auf den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lässt sich durchaus die Position vertreten, dass zwar die Breite der Bevölkerung mit den Angeboten erreicht werden soll, dies aber nicht gleichzeitig bedeuten muss, auch das Angebot nach dem Motto "Viel hilft viel" so breit wie möglich aufzufächern.

Akzeptanzprobleme

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird gelegentlich mit öffentlicher Infrastruktur verglichen; diese werde ja auch von der Allgemeinheit getragen, auch wenn sie nicht permanent von allen Bürgern genutzt werde. An dem Argument ist etwas dran, wobei schon gefragt werden darf, ob damit auch gleich eine beliebige Größe der Anstalten oder ein beliebiger Umfang des Programms legitimiert werden kann. Zudem gibt es heute einen ungemein großen Informationsfluss, der gar nicht öffentlich-rechtlich finanziert ist – ein privates Straßennetz, auf das man bei Bedarf und Neigung ausweichen könnte, gibt es hingegen nicht. Heißt im Umkehrschluss: Die Feststellung, dass der ÖRR unverzichtbar ist, weil es nur dort die wichtigsten gesellschaftsrelevanten Inhalte gibt, muss jeden Tag aufs Neue bewiesen werden. Allein die Behauptung, dass dem so sei, weil es lange Zeit aufgrund des begrenzten medialen Angebots so war, ist nicht mehr überzeugend.

Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist daher nicht losgelöst von der Transformation des gesamten Mediensektors zu diskutieren. Jede strategische Entscheidung hat Auswirkungen auf alle Anbieter. Wer den Umbau des ÖRR also angehen will, muss sich schon fragen, wie viel öffentlich-rechtlichen Rundfunk es in Zukunft braucht. Die ARD organisierte 2021 einen groß angelegten "Zukunftsdialog", um mit Beitragszahlern ins Gespräch zu kommen. Viel war bei diesen Gesprächen von Information und Bildung als Kernkompetenzen zu hören – wenig indes dazu, dass die Anstalten ihren Status als mediale Vollversorger noch weiter ausbauen sollten. Das offensichtliche und von der amtierenden RBB-Intendantin Katrin Vernau festgestellte Missmanagement ihres Senders hat hier beispielhaft ein haushalterisches Problem offengelegt: Hätte der Sender so weitergewirtschaftet wie zuvor, so Vernau in einem Interview, hätte er Ende 2024 in einen "finanziellen Abgrund" geblickt.

Die Verwerfungen beim RBB haben die Reformdebatte um das öffentlich-rechtliche System insgesamt neu angefacht. Das ist im Ergebnis zu begrüßen, grundsätzlich aber auch problematisch, wenn das System nicht aus sich selbst heraus eine ausreichende Dynamik entwickeln kann, sich auch ohne Skandale zu verändern. In diesem Zusammenhang sorgte die bemerkenswerte Rede des damaligen ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow im November 2022 für Aufsehen. Der WDR-Intendant forderte eine ebenso selbstbewusste wie grundlegende Reform des beitragsfinanzierten Rundfunks – und schloss dabei, auch wenn er das nicht so deutlich sagte, selbst ein Zusammengehen von ARD und ZDF nicht aus. Er habe den "festen Eindruck", dass dies einer allgemeinen Stimmung entspreche: "Deutschland scheint uns in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang zu wollen – und auch finanzieren zu wollen – wie heute." Damit sprach sich der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator faktisch für eine geordnete Schrumpfung des Apparates aus – die Reaktionen von Buhrows Intendantenkollegen bei ARD und ZDF fielen entsprechend zurückhaltend aus. Eine Zukunft, in der die Sender sich selbst kleiner machen, als sie heute sind? Für manche schwer vorstellbar.

Digitalisierung

Noch wird eine Verkleinerung sprichwörtlich im Kleinen erörtert, zum Beispiel in Bezug auf eine Streichung linearer Spartensender wie ARD One oder ZDF Neo. Die große Frage zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aber lautet: Wie digital kann und muss der ÖRR werden? Grundsätzlich ist sicher richtig, dass sich das Angebot mit der digitalen Mediennutzung entwickeln und nicht auf dem vordigitalen Stand bleiben darf. Verändert sich die Rezeption von Medien, müssen alle Anbieter von Inhalten sich weiterentwickeln, im besten Fall sogar die Entwicklung antizipieren – auch wenn das meist nicht den etablierten Medien gelingt, sondern eher den jüngeren und "unbelasteten" Anbietern. Ein beitragsfinanzierter Rundfunk, der im Kern lineares Programm anbietet, würde sich sonst wie eine Tageszeitung verhalten, die ausschließlich gedruckt verfügbar ist – wobei der Anteil der Menschen, die weiterhin regelmäßig lineares Fernsehen schauen, weiterhin sehr groß ist. Doch das wird sich verändern, wie auch Kai Gniffke in erwähntem Interview betonte.

Allerdings muss die Medienpolitik hier einen Rahmen setzen, damit ein möglichst ausbalanciertes Verhältnis zu privatfinanzierten Medien nicht irreparablen Schaden nimmt. Während in einer vordigitalen Welt das Ökosystem aus beitragsfinanzierten und kommerziellen Sendern sowie Radiosendern und Tageszeitungen relativ gut zu regulieren war, weil die verschiedenen Sphären ohne große Überlappungen existieren konnten, hat das Internet die Grenzen aufgelöst und letztlich eine einzige große Mediensphäre geschaffen, in der alle Anbieter miteinander konkurrieren – und dies teilweise mit ganz ähnlichen Formaten.

Diese Entwicklung ist bekannt und erscheint aus heutiger Sicht fast schon banal, weil die Digitalisierung derart radikal in unsere Mediennutzung eingegriffen hat, dass wir die Konsequenzen daraus für gegeben und weitgehend unveränderbar, ja fast schicksalhaft halten. Möglicherweise ist dies so, trotzdem ist es zwingend erforderlich, die Frage nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht von der Frage zu trennen, wie alle anderen Anbieter im Medienmarkt ihre Strategien ausrichten können, um nachhaltig finanzierbar zu sein. Die gelegentlich zu vernehmende Antwort, dass der ÖRR ja gar kein Marktteilnehmer sei, ist so realitätsfremd wie potenziell existenzgefährdend für alle anderen Medienunternehmen. Tatsächlich verhalten sich die Sender von ARD und ZDF wie andere Marktteilnehmer auch, etwa bei der Produktion von Serien und Filmen, bei der Auswahl von Moderatoren, dem Angebot ausführlicher Textinhalte, der Entwicklung von Unterhaltungsformaten und nicht zuletzt beim Bieten um Sportrechte.

Zukunftsprojekte

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten planen eine ganze Reihe von Projekten, die zukünftig relevant werden. Ganz oben auf der Agenda steht sowohl bei der ARD als auch beim ZDF die Umschichtung von Budgets von linearen in non-lineare Kanäle, also in die bisher sogenannten Mediatheken, das Äquivalent zu den Streaming-Plattformen. Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke spricht gar davon, die ARD zum relevantesten Streaming-Anbieter in Deutschland machen zu wollen; es gehe darum, die Macht der Plattformen zu "brechen". Das klingt markig, ist aber auch als Legitimation der eigenen Rolle zu lesen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, im linearen Fernsehen beim Gesamtpublikum mit Marktanteilen führend vor Privatsendern wie RTL und ProSieben, soll gewissermaßen naturgemäß eine solche Stellung auch im digitalen Abruf einnehmen.

Dies entspricht freilich noch nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Streaming-Vorreiter sind in Deutschland wie auch in anderen Ländern die Angebote von Youtube, Netflix und Amazon Prime Video. Obwohl die Reichweiten der Mediatheken von ARD und ZDF deutlich zunehmen, kommen diese in der regelmäßigen Nutzung bisher nicht an die Werte der größten kommerziellen Anbieter heran – die ihrerseits durch Herausforderer wie Disney und Paramount unter Druck gesetzt werden. Netflix, Amazon und Co. führen den Wettkampf um die Vorherrschaft der globalen Streaming-Plattformen bereits seit Jahren mit großem finanziellen Aufwand – allein das Budget von Netflix für die Produktion von Inhalten lag für das Jahr 2022 bei knapp 17 Milliarden Dollar. Für die Angebote wird ein entsprechend hoher Marketingaufwand betrieben, und der damit einhergehende Zuspruch wirkt sich auch auf die Nutzung der etablierten Sender aus.

Die Privatsendergruppen RTL und ProSiebenSat.1 haben entsprechend reagiert und bauen seit Jahren eigene Plattformen auf, RTL+ und Joyn. Da die Sender bisher den Großteil ihrer Umsätze jedoch mit Werbung im linearen Fernsehen erzielen, können sie einen radikalen Schwenk auf das non-lineare Fernsehen nicht vollziehen; sie müssen beide Angebote so gut wie möglich gleichzeitig bedienen. Das gilt erst recht für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger bemühte dazu diesen Vergleich: "Bildlich gesprochen, reiten wir gleichzeitig zwei Pferde, im digitalen und im linearen Bereich. Beide wollen gefüttert werden, das junge wie das alte."

Für die Anstalten wird diese "Zwei-Pferde-Strategie" freilich (wie für ihre privaten Konkurrenten) zu einer finanziellen Belastungsprobe. Da sie zur Sparsamkeit verpflichtet sind, ist eine Umschichtung finanzieller Mittel unumgänglich – obwohl das zur Verfügung stehende Budget mit Rundfunkbeitrag und Werbe- und Sponsoringeinnahmen 2023 erstmals die Marke von 10 Milliarden Euro erreichen dürfte. Hier tut sich zwischen der Erwartung nach "Sparsamkeit" und dem tatsächlichen Budget erkennbar ein gewisser Widerspruch auf.

"Die ARD denkt die Mediennutzung der Zukunft konsequent digital", heißt es in einer Pressemitteilung der ARD aus dem April 2023. Jetzt gehe es um die "digitale Erneuerung" und die Entwicklung des gemeinsamen Streaming-Netzwerks mit dem ZDF. Während ARD und ZDF seit Jahren getrennt an ihren Mediatheken gebaut haben – und in der ARD selbst verschiedene Mediatheken aufgebaut wurden –, geht es nun in Richtung eines umfassenden gemeinsamen Angebots, das auch die Rundfunkkommission der Bundesländer von den Anstalten gefordert hat. Noch wird offiziell auf eine "Vernetzung" der Angebote verwiesen, weil vor allem das ZDF eine eigenständige Plattform vorzuziehen scheint, um sich mit seinem Angebot besser absetzen und die "publizistische Vielfalt" erhalten zu können. Doch vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die komplette Zusammenlegung zumindest im digitalen Raum vollzogen werden wird – in dem es an publizistischer Vielfalt ja auch keineswegs mangelt.

Doch zunächst muss investiert werden. ARD-Chef Gniffke kündigte im März 2023 auf einer Fachtagung in der Evangelischen Akademie Tutzing an, die ARD wolle "in den kommenden Jahren mehrere hundert Millionen Euro in die Entwicklung von Technologie investieren". Für das Projekt "Digitale Erneuerung" fordert die ARD laut einem Bericht des Branchenmagazins "Medieninsider" zusätzlich zu ihrem laufenden Budget 328 Millionen Euro für die Jahre 2025 bis 2028. Auf Nachfrage teilte die ARD mit, sie könne diese Information nicht kommentieren. In einem Papier der ARD-Finanzkommission heißt es laut "Medieninsider" jedoch, die ARD habe "für die Zukunft nur eine reelle Chance, wenn zeitnah gehandelt wird". Ziel sei es, eine einheitliche IT-Infrastruktur aufzubauen, "um das ganze regional verwurzelte Angebot übergreifend navigierbar" zu machen und allen Nutzern "ein personalisiertes Angebot" anbieten zu können. Gleiches gilt übrigens auch für Audio-Inhalte.

Bis 2030, so zitiert der Bericht aus dem Papier, wolle die ARD "ein gemeinsames, digitales, öffentlich-rechtliches Plattform-Ökosystem" aufbauen, das zudem für andere europäische Public Service-Sender offen sein solle, aber auch für Museen und Hochschulen. Nicht nur ist die Vision äußerst ambitioniert – wenn auch wolkig – formuliert, sondern es werden auch Gegenspieler genannt, von denen man sich absetzen müsse, nämlich "US-amerikanische und chinesische Medien-Plattformen". Gemeint sind sowohl Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon und nicht zuletzt Youtube, aber auch soziale Medien wie Instagram und Tiktok. Dazu muss allerdings angemerkt werden, dass die Sender auf vielen dieser Plattformen selbst vertreten sind – mit Zugängen zu ihren Mediatheken, mit Videos und mit eigenen Social-Media-Kanälen. Die Plattformen, von denen sie sich absetzen wollen, werden also bisher gleichzeitig von ihnen gefüttert.

Die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Anstalten gegenüber anderen öffentlich finanzierten Einrichtungen wäre eine mögliche Erweiterung der Aufgaben und des Auftrags, der im Interesse der Beitragszahler sein könnte – und weggeht von der Idee eines klassischen Medienhauses. Einen "Open-Source-Rundfunk" fordert beispielsweise der ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch schon länger. Die Umschichtung von Budgets für die Produktion von non-linearen Formaten wiederum ist bei ARD und ZDF schon im Gange – seit 2022 sollen jährlich 150 Millionen Euro und ab 2025 etwa 200 Millionen Euro für solche Inhalte zur Verfügung stehen, die früher primär für die lineare Ausstrahlung eingesetzt wurden. Medienpolitiker wie Rainer Robra (CDU), Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur von Sachsen-Anhalt, haben bereits deutlich gemacht, dass Investitionen ins Digitale "aus dem Bestand zu finanzieren" seien.

Diese Umschichtungen werden den Charakter der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender indes nachhaltig verändern – Schritt für Schritt, aber doch spürbar. "Geübt" haben die Sender bereits mit dem Aufbau des Jugendnetzwerks Funk, das im Herbst 2016 als reines Digitalangebot von ARD und ZDF gestartet ist, vorwiegend auf die Verbreitung von Videos auf Drittplattformen setzt und seither eine beachtliche Reichweite aufgebaut hat. Zielgruppe sind junge Zuschauer zwischen 14 und 29 Jahren, die für klassisches Fernsehen wenig empfänglich sind. Auf die Erfolge von Funk verweisen die Intendanten von ARD und ZDF gerne, wenn sie die Anschlussfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betonen wollen. Das Budget liegt bei jährlich rund 45 Millionen Euro. Das ist nicht gerade günstig, allerdings wurden für Funk zwei Spartensender eingestellt.

Der Aufbau von Funk ging einher mit einer Professionalisierung im Einsatz sozialer Medien. Auch der verstärkte Einsatz von Redakteuren auf diesem Feld hat Folgen. So heißt es in einer Studie zum "Journalismus in sozialen Netzwerken": "In den Darstellungsweisen richten sich Journalist:innen nach etablierten Beitragslängen, erfolgreichen Dramaturgien, und insbesondere nutzen sie in der Produktion Funktionen, wie Filter und interaktive Tools, die von den Apps angeboten werden. Auch bestimmte Formate wie 'Reels' von Instagram oder 'Shorts' von YouTube werden in die Produktionsroutinen übernommen. Grundsätzlich assimilieren sich die Redaktionen in Tonalität, Ästhetik und Präsentation der Inhalte an bestehende reichweitenstarke Angebote, die auch aus dem nicht-journalistischen Bereich stammen können. Das kann zur Folge haben, dass Formate beispielsweise emotionalisierend umgesetzt werden, um bessere Reichweiten zu erzielen."

Der Autor der Studie, Henning Eichler, kommt im Rahmen seiner Analyse von 2022 zu dem Schluss: "Öffentlich-rechtliche Anbieter werden daher auf die umfassende Nutzung kommerzieller Plattformen nicht verzichten können, auch weil alternative öffentlich-rechtliche Infrastrukturen (zum Beispiel auf europäischer Ebene) nicht in greifbarer Nähe sind." Das ZDF hat inzwischen allerdings verlauten lassen, dass man sich sehr wohl vorstellen könne, mit internationalen Partnern "eine neue Kommunikationsplattform in einem geschützten öffentlich-rechtlichen Raum" aufzubauen – auch als Reaktion auf den Verkauf von Twitter an Elon Musk. Gemeinsam mit anderen hat der Mainzer Sender darum die gemeinnützige Organisation New Public mit Sitz in den USA beauftragt, Projektideen zu entwickeln. Die ARD hat derweil angekündigt, ein Viertel ihrer rund 800 Social-Media-Kanäle zu löschen beziehungsweise Angebote zu bündeln, um, wie es in einer Mitteilung heißt, "möglichst viele Menschen in Deutschland zu erreichen".

Die Auffindbarkeit von öffentlich-rechtlichen Inhalten wird auch im Zusammenhang mit der Frage, wie Künstliche Intelligenz im Sinne der Gesellschaft eingesetzt werden kann, eine Rolle spielen. Das Zitat aus der Pressemitteilung zeigt, dass es ARD und ZDF im medialen Wettbewerb, wie allen anderen Informations- und Unterhaltungsangeboten, um eine Maximierung der digitalen Reichweite geht, um die eigene Stellung und Legitimation zu untermauern.

Wo bleibt da der klassische ÖRR?

Klar ist, dass es lineares Fernsehen und Radio vermutlich noch lange geben wird, für ein bis zwei Generationen mindestens. Aktuelle Nachrichten und dabei vor allem "Breaking News", Sportereignisse und Liveshows spielen hier eine große Rolle. Allerdings muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht alle möglichen Sportereignisse anbieten, und auch Liveshows brauchen einen spezifisch öffentlich-rechtlichen Charakter, sollten also keine Dauerwerbesendungen für neue Serien und Filme, Musikalben und andere Produkte sein. Informationssendungen bleiben eine Kernkompetenz, auf allen Kanälen. Die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hatte den Ausbau des Spartensenders Tagesschau24 zu einem vollwertigen Nachrichtensender angekündigt. Allerdings ist unklar, wo das Projekt nach dem Abtritt Schlesingers steht – und auch, ob das Projekt, das Marken wie die BBC und CNN zum Vorbild haben sollte, überhaupt medienpolitisch und finanziell umsetzbar wäre.

Information, Bildung, Kultur, Beratung und Unterhaltung sind die Eckpfeiler des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Im Zuge der Formulierung des Medienstaatsvertrages wurde thematisiert, ob Unterhaltung überhaupt weiter als Aufgabe der Anstalten zu betrachten sei – und wenn ja, welche. So schlugen die Jungen Liberalen auf dem FDP-Parteitag im vergangenen April vor, den Anteil von Unterhaltungs- und Sportprogrammen auf 20 Prozent der Sendezeit zu beschränken. Dafür gab es keine Mehrheit, stattdessen wurde ein Delegierter mit den Worten zitiert: "Auch Tatort, Traumschiff und Florian Silbereisen gehören zum Programm." ARD-Chef Gniffke kündigte unterdessen an, "redaktionelle Kompetenzzentren" in den vier Bereichen Klima, Gesundheit, Verbrauchermagazine und Hörspiel zu gründen.

Der langjährige ZDF-Chefredakteur Peter Frey attestierte den Anstalten jüngst Erfolge in der Ansprache junger Menschen. Defizite machte er noch bei den sogenannten Abgehängten aus sowie bei Menschen mit Migrationshintergrund. Gniffke wiederum machte im Interview mit dem "Journalist" deutlich, welchen Schwerpunkt er in der Positionierung setzt, um auch in Zukunft die Notwendigkeit eines starken, beitragsfinanzierten Rundfunks auf allen Verbreitungswegen einzufordern. Würde man sich nicht "mit brillanten Inhalten" absetzen, würden "die Menschen ihre mediale Heimat dort suchen, wo mit Emotionalität statt Inhalten, mit Polarisieren statt Analysieren und nicht nur mit Qualität um Publikum geworben wird". Mit anderen Worten: Gäbe es ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht, fielen die Bürger in die Hände mutmaßlich manipulativer Medien. Eine These, die in der Politik durchaus verfängt – als Narrativ des "gemeinwohlorientierten" Rundfunks als Stütze der Demokratie.

Wege in die Zukunft

In diesem Frühjahr hat die Rundfunkkommission der Länder einen "Zukunftsrat" berufen, der bei der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks helfen und unterstützen soll. Ob dies die seit Jahren mehr oder weniger konstruktiv geführte Debatte beschleunigt oder zumindest um innovative Impulse bereichert, wird sich zeigen. Carsten Brosda (SPD), Hamburger Senator für Kultur und Medien, schrieb in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Ein Zukunftsrat macht noch keine Zukunft. Die Medienpolitik darf sich nun keinesfalls zurücklehnen. (…) Hier erhoffe ich mir vom Zukunftsrat einen beherzten Zukunftsentwurf, der sich nicht im Klein-Klein aktueller Spardebatten verliert, sondern einmal grundsätzlich zehn Jahre in die Zukunft springt und beschreibt, wie unser duales Mediensystem künftig aussehen könnte."

Neben dem Zukunftsrat gibt es eine Reihe weiterer Reforminitiativen, nicht zuletzt der politischen Parteien, die sich zu Recht in der Verantwortung sehen. Zwar gilt das oberste Prinzip der Staatsferne auch in Zukunft, doch müssen die Bundesländer den Anstalten sehr wohl einen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sie ihren Auftrag erfüllen sollen. Wünschenswert wäre es, auch ganz grundsätzlich darüber nachzudenken, wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der digitalen Medienwelt aussehen könnte, dürfte man ihn ganz neu erfinden. Selbst wenn sich solche Baupläne nicht einfach umsetzen lassen, erweist sich das bisherige Vorgehen, das Bestehende schrittweise zu verändern – und dabei mehr an- als umzubauen – als beschwerlich und wenig inspiriert.

Es ist daher wahrscheinlich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Zukunft keine radikale Erneuerung erfahren wird, sondern sich auf den Weg der evolutionären Transformation macht – was bedeutet, das bestehende System beizubehalten und die digitalen Prozesse gleichsam in die bekannte Struktur zu integrieren. Im schlimmsten Fall drohen Unübersichtlichkeit und weiterhin steigende Kosten.

Doch dieser Beitrag soll nicht mit einem negativen Ausblick enden. Denn es bleibt die Hoffnung auf pragmatische Kräfte, die den Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags in Zukunft bewahren, in diesem Prozess die digitale Transformation in Kooperation mit den Akteuren des gesamten Mediensystems meistern – und dabei stark genug sind, das Überflüssige vom Notwendigen zu trennen.

ist Medienredakteur der Welt-Gruppe. Gemeinsam mit Stefan Winterbauer produziert er den Podcast "Die Medien-Woche".
E-Mail Link: c.meier@welt.de