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Analyse: Kaczyńskis PiS und die "Dekommunisierung". Entprofessionalisierung durch Personalwechsel in Justiz, Diplomatie und Streitkräften

Reinhold Vetter

/ 12 Minuten zu lesen

Die von der nationalkonservativen Partei PiS angetriebene Rückbesinnung auf nationalistische Werte weitet sich auf Polens Justizsystem, Außenministerium und Militär aus. Welche Auswirkungen die aktuellen Änderungen auf personaler und gesetzlicher Ebene auf das Land haben, macht diese Analyse deutlich.

Die aktuellen Gesetzesänderungen sorgen für Proteste unter anderem aus Angst vor einer diplomatischen Isolierung des Landes in der EU. (© picture-alliance/AP)

Seit dem Machtantritt der Nationalkonservativen um Jarosław Kaczyński im Jahr 2015 sind umfangreiche Personalwechsel in zentralen staatlichen und öffentlichen Institutionen ein wesentliches Element ihrer Politik. Betraf dies zunächst vor allem die Medien, das kulturelle Leben und geschichtspolitisch relevante Institutionen, so gilt dies inzwischen auch und gerade für die Justiz, die Diplomatie und die Streitkräfte. Zur Begründung wird angeführt, man wolle postkommunistische Hinterlassenschaften in diesen Institutionen beseitigen – ein Argument, das fast drei Jahrzehnte nach Beginn der Transformation wenig glaubwürdig ist. Tatsächlich geht es um die Besetzung der frei werdenden Posten mit eigenen Parteigängern, oft unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation. Das Ergebnis ist die Schwächung der Justiz als dritter Staatsgewalt sowie die Isolierung Polens in der internationalen Diplomatie und der europäischen bzw. euroatlantischen Verteidigungspolitik.

Jarosław Kaczyński und seine nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) interpretieren ihre Wahlsiege des Jahres 2015 freimütig als Auftrag des Volkes, einen starken, zentralisierten Staat mit autoritären Zügen aufzubauen, eine "moralische Wende" in Staat und Gesellschaft einzuleiten sowie einen systematischen Elitenwechsel zu vollziehen. Sie wollen das seit der Wende von 1989 geschaffene und in ihren Augen "liberale und von internationalen Einflüssen zerstörte System" durch ein "nationales" ersetzen, das sich an traditionellen Werten wie Nation, Katholizismus und Familie orientiert und ein Bekenntnis zu den historischen Errungenschaften der Nation beinhaltet, so wie sie von der PiS interpretiert werden.

Kaczyński bezeichnet die Zustände insbesondere im polnischen Gerichtswesen als "pathologisch". Für ihn und seine Mitstreiter bedeutet ein Elitenwechsel die Entfernung aller postkommunistischen Kader in den Bereichen Politik, Justiz, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur, die noch im alten System Karriere gemacht haben. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Transformation übertreibt er deren verbliebene Anzahl und ihren Einfluss allerdings schamlos.

Die verfassungsrechtlichen und staatspolitischen Auffassungen der Nationalkonservativen spiegeln sich vor allem in ihrem Umgang mit der Verfassung, dem Rechtsstaat und wichtigen Institutionen wieder. Mit aller Kraft bemühen sie sich, die Autonomie und Befugnisse des Verfassungsgerichts, der Justiz, der Polnischen Nationalbank und der öffentlich-rechtlichen Medien zugunsten der Exekutive einzuschränken. Der konservative Publizist Aleksander Hall vergleicht Kaczyńskis Denken mit dem des höchst umstrittenen Staatsrechtslehrers der ausgehenden Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus, Carl Schmitt, und spricht vom "Aufbau eines autoritären Staates". Die frühere Bürgerrechtsbeauftragte und Richterin am polnischen Verfassungstribunal, Ewa Łętowska, beobachtet eine "stufenweise Reduzierung des Rechtsstaats, die zu dessen völliger Aufhebung führen kann".

Gegen die "Kaste" der Richter

Den aktuell in Polen Regierenden geht es insbesondere um einen umfangreichen Personalwechsel auf allen Ebenen des polnischen Gerichtswesens. Das zeigt ein Gesetzesentwurf, der dem Sejm vorliegt. Das 80-seitige Dokument wurde offiziell von einer Gruppe von PiS-Abgeordneten eingebracht, trägt aber ganz offensichtlich die Handschrift von engen Mitarbeitern des Justizministers Zbigniew Ziobro. Die bisherige Planung des Ministers sah vor, dass nach der Verabschiedung des Entwurfs der Austausch des Kaders am 1. Juli 2017 beginnen und bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollte. Doch dann, etwas überraschend, wurde die für den 10. Mai vorgesehene erste Lesung abgesetzt und auf unbestimmte Zeit verschoben. In unbestätigten Meldungen polnischer Medien wurde vermutet, die Verschiebung könne mit der scharfen Kritik der US-amerikanischen Delegierten Sheila Leonard im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an Kaczyńskis und Ziobros Justizpolitik zusammenhängen. Die Denkweise der Nationalkonservativen und die Unerbittlichkeit, mit der sie bislang fast alle ihre Gesetzesvorhaben durchs Parlament gebracht haben, lässt allerdings vermuten, dass das Projekt zum Gerichtswesen zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist.

Wird das Gesetzesprojekt verabschiedet, dann hat der Minister, also die Exekutive, das letzte Wort bei der Benennung, Beförderung und Abberufung von Richtern aller Instanzen. Ohne Angabe von Gründen könnte er die Vorsitzenden der Gerichte und deren Richter austauschen. Die einzelnen Kammern hätten dann nicht mehr wie bisher ein Einspruchsrecht. Möglich würde auch die Entmachtung des Standesorgans der Richterschaft in Gestalt des Landesjustizrates (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS). Dem Rat sollen zwar weiterhin 15 Richter angehören, aber nur solche, die der von der PiS dominierte Sejm dorthin entsandt hat. Die bisherigen Vertreter der Richter würden ihr Amt verlieren. Der KRS in der neuen Zusammensetzung hätte das Recht, eine zweitinstanzliche Disziplinarkammer zu berufen, die auf die Einhaltung "ethischer Standards" im Gerichtswesen achten soll.

Justizminister Zbigniew Ziobro verhehlt nicht, dass insbesondere die Vorsitzenden der Gerichte künftig nach den rechtlichen, politischen und moralischen Maximen der regierenden Nationalkonservativen handeln sollen. Der Landesjustizrat, so der Minister, habe tiefe Wurzeln in der Volksrepublik Polen. Es bedürfe einer verschärften Kontrolle der Richter, "um mit einer Kaste aufzuräumen, die sich für außergewöhnlich und jenseits aller demokratischen Kontrolle wähnt und die Bürger wie Untermenschen behandelt". Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński begründet seit Jahren seine anhaltenden Angriffe auf das Gerichtswesen damit, dass die Justiz in Polen weiterhin ein Bollwerk der vor 28 Jahren politisch entmachteten Kommunisten sei.

Inzwischen haben die regierenden Nationalkonservativen auch das Oberste Gericht (Sąd Najwyższy) im Visier. So hat eine Gruppe von 50 PiS-Abgeordneten beim Verfassungstribunal beantragt, die Rechtmäßigkeit der Wahl der Präsidentin des Obersten Gerichts, Małgorzata Gersdorf, im Jahr 2014 zu überprüfen. Frau Gersdorf ist eine der prominentesten Kritikerinnen der bereits von der PiS durchgesetzten Entmachtung des Verfassungstribunals und der angestrebten Veränderungen im Gerichtswesen. Der ehemalige Präsident des Verfassungstribunals, Andrzej Zoll, sieht in dem PiS-Antrag einen Gegenangriff auf das derzeit vor dem Obersten Gericht laufende Verfahren zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Wahl von Julia Przyłębska, der aktuellen Präsidentin des Verfassungstribunals, die von der PiS durchgesetzt worden war. Dem Vernehmen nach plant Ziobros Ministerium für das Jahr 2018 eine umfassende Strukturveränderung des gesamten polnischen Gerichtswesens, was weitere Personalveränderungen nach sich ziehen wird.

Ohne Zweifel bedarf das polnische Justizwesen einer durchgreifenden Reform. Das wird auch von renommierten Juristen wie Ewa Lętowska, Jerzy Stępien und Andrzej Zoll, die gegenüber der PiS kritisch auftreten, nicht bestritten. Nicht selten benehmen sich Richter wie Angehörige einer abgehobenen Kaste, die hochnäsig auf die "einfachen Bürger" herabsehen. Oft urteilen sie nur aufgrund einer formalen Anwendung des Rechts, ohne das jeweilige gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Umfeld eines Tatbestandes miteinzubeziehen. Wiederholt zeigte sich, dass Richtern die Kenntnis des EU-Rechts fehlt. Noch immer ist das Jurastudium sehr stark auf das Pauken von Rechts- und Gesetzesinhalten ausgerichtet, anstatt auch die Anwendung des Rechts auf Tatbestände und juristische Auseinandersetzungen zu üben. Eine Abstellung dieser Schwächen wäre allerdings etwas anderes als der von der PiS angestrebte Kaderwechsel.

Ein Blick auf die geltende polnische Verfassung von 1997 zeigt, dass das Vorgehen der von der PiS geführten Regierung verfassungsrechtlich fragwürdig ist. In Artikel 178 wird ausdrücklich die Unabhängigkeit aller Richter betont, was selbstverständlich auch Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive bedeutet. Die Richter, so heißt es dort, seien ausdrücklich der Verfassung und den geltenden Gesetzen gegenüber verantwortlich und außerdem, wie Artikel 180 festlegt, nicht abrufbar. Hier zeigen sich deutliche Parallelen zum deutschen Grundgesetz (Artikel 97 und 98).

Das Vorgehen der Nationalkonservativen um Jarosław Kaczyński hat harsche in- und ausländische Kritik nach sich gezogen. So fanden im ganzen Land Versammlungen von Richtern statt, bei denen der geplante Personalwechsel im Gerichtswesen scharf kritisiert wurde. Besorgt äußerten sich auch der polnische Bürgerrechtsbeauftragte sowie Sprecher des Obersten Gerichts und des Obersten Verwaltungsgerichts. Für den 20. Mai haben die drei größten polnischen Juristenverbände zu einem Kongress in Kattowitz (Katowice) eingeladen, der ebenfalls diesem Thema gewidmet ist. Im Ausland wurden kritische Stimmen insbesondere von Seiten der Europäischen Kommission, des Europarates, der Venedig-Kommission, der OSZE und der Vereinten Nationen laut.

Doch die Proteste dürften wenig ausrichten, denn die PiS wird ihre absolute Mehrheit im Sejm dazu nutzen, das Gesetz über die Veränderungen im Gerichtswesen durchzusetzen. Auch ist nicht zu erwarten, dass Präsident Andrzej Duda seine Unterschrift unter das Gesetz verweigern wird. Schließlich hätte eine Klage gegen das Gesetz vor dem Verfassungstribunal keine Chance, da dieses Gremium inzwischen von der PiS fast völlig gleichgeschaltet worden ist. Das Vorgehen der Nationalkonservativen, so Ewa Siedlecka von der Wochenzeitung "Polityka", erinnere stark an die Dominanz der Kommunisten über die Justiz in der Zeit der Volksrepublik Polen.

Diplomaten auf dem Kaderkarussell

Ein zweites umfangreiches Revirement betrifft das polnische Außenministerium (Ministerstwo Spraw Zagranicznych – MSZ). Ein entsprechender Gesetzesentwurf von Andrzej Jasionowski wurde bereits im Kabinett beraten und soll demnächst im Sejm verabschiedet werden. Jasionowski ist im Außenministerium als Generaldirektor für den diplomatischen Dienst zuständig und gilt als enger Vertrauter von Jarosław Kaczyński. Laut Entwurf geht es um eine umfassende Reform des Auswärtigen Dienstes, die diesen von ehemaligen Mitarbeitern des Sicherheitsapparats (vor dem 30. Juli 1990), ehemaligen Absolventen der Moskauer Diplomatenakademie und "inkompetenten Mitarbeitern" säubern soll. Geplant ist die Überprüfung von etwa 1.200 Berufsdiplomaten und weiteren 2.400 Mitarbeitern. Sechs Monate nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle sollen alle diesbezüglichen Beschäftigungsverhältnisse im MSZ erlöschen, sofern den entsprechenden Personen nicht neue Verträge angeboten wurden. Die Unruhe im Ministerium ist groß.

Doch wie stellt sich der tatsächliche Personalbestand im MSZ dar? Etwa 80 Prozent aller Beschäftigten haben ihre Arbeit erst nach 1989 aufgenommen, also nach dem Beginn des Systemwechsels. Hinter vorgehaltener Hand geben auch Jasionowski und seine engsten Mitarbeiter zu, dass die Zahl der früheren "Agenten", um die es geht, unter einhundert (!) liege. Die weitaus größte Gruppe der Diplomaten und Beschäftigten des MSZ hat ihre Arbeit unter den Außenministern Krzysztof Skubiszewski (1989–1993), Władysław Bartoszewski (1995 und 2000–2001) und Bronisław Geremek (1997–2000) aufgenommen – häufig kamen die Mitarbeiter aus der Tradition der Solidarność-Bewegung und hatten – wenn überhaupt – unterschiedliche parteipolitische Präferenzen. Vor allem diese Gruppe steht für den bahnbrechenden diplomatischen Neuanfang Polens in den 1990er Jahren.

Die dabei erzielten Erfolge waren enorm. Es genügt der Verweis auf die Beitrittsverhandlungen und die Aufnahme Polens in die NATO und die EU, die enormen Finanzhilfen der EU für Polen, die polnische Ostpolitik (vor allem die Unterstützung der Ukraine), die Begründung des Weimarer Dreiecks und die erfolgreiche Entfaltung der Beziehungen zu Deutschland sowie den Aufbau guter Beziehungen zu Israel – und dies angesichts von Regierungen, die von unterschiedlichen Parteien geführt wurden, sowie Präsidenten unterschiedlicher parteipolitischer Präferenz.

Natürlich war und ist der polnische diplomatische Dienst – wie überall auf der Welt – auch nach der Transformation von 1989 nicht ohne Schwächen. Im MSZ gibt es auch Mitarbeiter, die ihr Ministerium als "Reisebüro auf hohem Niveau" betrachten, verbunden mit den entsprechenden Annehmlichkeiten, ganz zu schweigen von denen, die ihren Dienst tun, ohne "besonders aufzufallen". Doch das Gros der Mitarbeiter zeichnet sich durch hohe Professionalität aus.

Vor diesem Hintergrund entpuppt sich der von der PiS-Regierung angestrebte Personalwechsel im polnischen Außenministerium in erster Linie als "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für Personen aus dem eigenen politischen Lager. Fachleute und kompetente Mitarbeiter unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen politischen Ansichten sollen durch "Parteisoldaten" ersetzt werden. Ist dieses Manöver erfolgreich, bedeutet dies das Ende der nach 1989 aufgebauten polnischen Diplomatie.

Schon jetzt lässt sich erkennen, wohin Außenpolitik führt, die hauptsächlich innenpolitisch motiviert ist. Das wichtigste Beispiel ist die dilettantisch vorgetragene Opposition der polnischen Regierung gegen die Wiederwahl von Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates, die zur diplomatischen Isolierung des Landes in der EU erheblich beigetragen hat. Der Widerstand gegen Tusk resultierte ausschließlich aus dem Wunsch, diesen als künftigen innenpolitischen Gegner der PiS zu diskreditieren. Ebenso erfolglos war der Versuch der Regierung, die in der EU wachsende Zustimmung für ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" einzudämmen.

Der Verteidigungsminister als Sicherheitsrisiko

Neben der Justiz und der Diplomatie ist das Militär eine dritte, für das Funktionieren des Staates wichtige Instanz, die ins Fadenkreuz rigider nationalkonservativer Personalpolitik geraten ist – mit drastischen Folgen für die Verteidigungsbereitschaft des Landes und die europäische bzw. euroatlantische Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik.

Seit dem Amtsantritt des Verteidigungsministers Antoni Macierewicz wurden mehr als 30 Generäle entlassen. Da im Ministerium an einer Veränderung der gesamten Führungsstruktur des Militärs gearbeitet wird, ist zu erwarten, dass weitere Umbesetzungen erfolgen werden. Die Unruhe in der Truppe ist groß. Wiederholt ist es vorgekommen, dass sich Offiziere in der Öffentlichkeit kritisch zur Personalpolitik von Minister Macierewicz geäußert haben. Der Minister, so hieß es, habe sehr starke persönliche Machtambitionen, er erwarte eine geradezu besinnungslose Unterordnung, die selbst in einer von Befehlen und deren Ausführung stark geprägten Institution wie dem Militär ungewöhnlich sei, treffe sprunghafte Entscheidungen und besetze Posten ausschließlich mit Kandidaten, die nicht nur mit seinen militärpolitischen, sondern auch seinen politischen Auffassungen generell einhundertprozentig übereinstimmten.

Inzwischen gefährdet die Personalpolitik des Ministers die Mitarbeit Polens in den zentralen Strukturen der NATO. Ende April 2017 waren 16 führende Positionen, die Polen im Bündnis zuerkannt worden waren, nicht besetzt. Einer derjenigen Militärs, die abrupt nach Polen zurück beordert wurden, ist General Janusz Bojarski, der seit 2014 das NATO Defense College in Rom, die zentrale Militärakademie der NATO, geleitet hatte – sehr zur Zufriedenheit der höchsten Stellen des Bündnisses. Ende Oktober 2016 musste er seinen Posten verlassen. Eine Reihe unbesetzter Stellen gibt es nach wie vor auch unter den Militärattachés in den Botschaften der Republik Polen. Das gilt beispielsweise für die Botschaft in Washington, wo bislang kein Nachfolger für den im Januar 2016 abgezogenen Jarosław Stróżyk eingesetzt wurde. Schließlich ist der Posten des polnischen Botschafters bei der NATO seit Dezember 2016 vakant.

In internationalen Diplomatenkreisen und in führenden Kreisen der NATO wird Verteidigungsminister Macierewicz inzwischen als völlig unberechenbar eingeschätzt – so lautete beispielsweise der Tenor in einem bekannt gewordenen internen Bericht der US-amerikanischen Botschaft in Warschau an das State Department in Washington. Diplomaten sprechen von einer Paranoia, wenn etwa Macierewicz die Außenminister bestimmter NATO-Staaten der Agententätigkeit für Russland bezichtigt. Für Verwunderung sorgte außerdem seine Ankündigung, NATO-Stellen würden sich in die Aufklärung der Hintergründe des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine vor Smolensk am 10. April 2010 einschalten. Bis heute hat Macierewicz keinerlei Beweise für seine Behauptung vorgelegt, dass der Absturz auf einen russischen Anschlag zurückzuführen sei.

Bei den Geheimdiensten großer NATO-Staaten wie den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien gilt Macierewicz sogar als Sicherheitsrisiko, weil er nicht davor zurückschreckt, interne Recherchen polnischer Dienste zu veröffentlichen, wenn er es politisch für opportun hält, womit er aber in Kauf nimmt, dass Geheimdienststrukturen öffentlich bekannt werden. Wenn es irgendwie geht, vermeiden führende Verteidigungspolitiker und hohe Militärangehörige dieser Staaten jeglichen Kontakt mit dem polnischen Verteidigungsminister.

Inzwischen hat Macierewicz’ Auftreten sogar zu großen Spannungen zwischen ihm und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda geführt, der qua Verfassung Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Insbesondere die Personalpolitik von Macierewicz und die fehlende Besetzung wichtiger Posten hat die Kritik des Präsidenten nach sich gezogen. Da der mündliche Wunsch der Präsidialkanzlei nach einem klärenden Gespräch zwischen Duda und Macierewicz seitens des Ministers tagelang nicht beantwortet worden war, sah sich der Präsident zwei Mal gezwungen, ein solches Gespräch schriftlich anzumahnen. Macierewicz reagierte erst, nachdem in den Medien auf diese Briefe eingegangen worden war. Bislang ist allerdings nicht bekannt, ob es bei dem dann erfolgten Treffen zu einer Annäherung der Standpunkte gekommen ist.

Präsident Duda ist in diesem Zusammenhang politisch eher in einer schwachen Position, da Parteichef Jarosław Kaczyński, der auch über die Besetzung der Regierungsposten entscheidet, bislang an Macierewicz festhält. Der Minister repräsentiert den starken radikalen Flügel in der PiS und ist für Kaczyński auch eine Speerspitze, wenn es um die Propaganda der Nationalkonservativen in der Angelegenheit der Flugzeugkatastrophe von Smolensk geht. Mag sein, dass sich Kaczyński eines Tages anders entscheiden wird, wenn er zu dem Schluss kommt, dass das Auftreten von Macierewicz zu viele Wählerstimmen kostet.

Fazit

Die nationalkonservative Politik der sogenannten Dekommunisierung ist anachronistisch. Natürlich gibt es postkommunistische Restbestände im Denken und Handeln von Juristen, Diplomaten, Militärangehörigen und anderen Bediensteten staatlicher und öffentlicher Institutionen, jedoch sind dies Randerscheinungen. Der polnische Historiker Antoni Dudek hat den Anachronismus der PiS treffend auf den Punkt gebracht, als er in einem Interview mit der "Polityka" sagte: "Kaczyński kämpft weiter gegen […] postkommunistische Seilschaften, obwohl davon nur noch marginale Reste übrig geblieben sind. Er will ein Polen zerstören, das es seit langem nicht mehr gibt."

Natürlich gibt es in den polnischen Institutionen einen gewissen Bedarf an Entwicklung, Modernisierung und mehr fachlicher Professionalität. Neben dem bereits genannten Bereich der Justiz wäre auch die Pädagogik zu nennen, wo über weite Strecken eine nachgerade obrigkeitsstaatliche Vermittlung von Wissen vorherrscht. Doch sind dies keine postkommunistischen Schwächen ideologischer oder machtpolitischer Natur, vielmehr verweisen sie auf einen Mangel an demokratisch gestalteten Lern-, Ausbildungs- und Reifeprozessen und auf ein mangelndes demokratisches Bewusstsein bei aller unbestritten notwendigen Führung – quer durch alle politischen Lager. Ohne Zweifel verfügt Polen über viele qualifizierte Juristen, Diplomaten und Militärs, die das Land nach vorne bringen können und wollen, wenn man sie lässt. Man muss sie klug einsetzen, nicht ersetzen. Die PiS macht das genaue Gegenteil.

Ewa Łętowska sagte in einem Gespräch mit dem Magazin "Krytyka Polityczna": "Die PiS macht in diesem Zusammenhang einen klassischen Fehler: Durch Zentralisierung in bestimmten Bereichen eliminiert sie die dortigen Mechanismen der Selbstkorrektur, was bedeutet, Kompetenzen ausschließlich auf die höchste Ebene zu verlagern. In diesem Fall: in die Hände von Menschen zu legen, die nicht sehr gebildet bzw. ausgebildet sind, aber "ihre" Bürokraten sind, was dazu führt, dass sich deren Schwächen auf den gesamten Bereich auswirken, dem sie vorstehen."

Das Vorgehen der PiS bedeutet zivilisatorischen Rückschritt und wirft damit ein Land zurück, das sich in den fast drei Jahrzehnten seit Beginn der Transformation hohes Ansehen für seine demokratischen Errungenschaften erworben hat.

Fussnoten

Reinhold Vetter ist freier Wissenschaftler und Publizist mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten Zeitgeschichte und Politik Ostmittteleuropas. Er lebt in Warschau und Berlin. Seine jüngste Buchveröffentlichung »Bronisław Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution« erschien 2014 in Berlin.