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"Ich wollte mehr sein als diese Haftstrafe" | Gefängnis | bpb.de

Gefängnis Editorial "Ich wollte mehr sein als diese Haftstrafe". Ein Gespräch über Resozialisierung, den Haftalltag und das Leben danach Sinn und Unsinn von Haftstrafen. Zwei Perspektiven Alternativlose Institution Spaltende Anstalten Vom Recht und seiner Realität. Strafvollzug in Deutschland Geschichte(n) des Gefängnisses Gefängnisnation USA. Eine Geschichte der Macht Geschlossene Gesellschaft. Alltag im Gefängnis Wo, wenn nicht hier? Politische Bildung im (Jugend-)Strafvollzug

"Ich wollte mehr sein als diese Haftstrafe" Ein Gespräch über Resozialisierung, den Haftalltag und das Leben danach

Maximilian Pollux

/ 12 Minuten zu lesen

Maximilian Pollux, Sie waren als Jugendlicher Intensivtäter und wurden später zu 13 Jahren Haft verurteilt, von denen Sie knapp zehn Jahre abgesessen haben, Teile davon in einem Hochsicherheitsgefängnis. Heute sind Sie in der Kriminalitätsprävention tätig und arbeiten mit straffällig gewordenen Jugendlichen, sind Romanautor und Youtuber. Man könnte auch sagen, Sie sind ein Paradebeispiel für eine gelungene Resozialisierung. Hat das Gefängnis also gewirkt?

Maximilian Pollux: Nein, ich bin nicht in Haft resozialisiert worden. Der Gedanke der Resozialisierung ist bei einem Täter wie mir sowieso schwierig, weil ich ja davor kein Leben hatte. Ich war davor Gangster, ich hatte keinen Beruf oder ein Leben, in das man mich hätte resozialisieren können. Man muss eigentlich von einer kompletten Erstsozialisierung sprechen, und die findet in Haft nicht statt. Also man lernt in Haft nicht, wie man sich im Leben zu verhalten hat, das ist gar nicht möglich. Und ich kam auch nicht geläutert aus dem Gefängnis heraus, sondern ich kam traumatisiert aus der Haft und habe dann von dort aus mein Leben in Freiheit aufgebaut.

An welchen Schrauben im deutschen Strafvollzug müsste gedreht werden, damit Resozialisierung oder auch "Erstsozialisierung" häufiger gelingen kann?

Dazu muss man sagen, dass in Deutschland seit der Föderalismusreform jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht. Ich war zum Beispiel erst gestern im offenen Vollzug in Castrop-Rauxel in Nordrhein-Westfalen und habe dort ein Projekt gemacht. Dort sitzen 500 Leute – in ganz Bayern sitzen nur etwas über 500 Leute im offenen Vollzug! Also die Unterschiede zwischen den Bundesländern machen eine Antwort hier sehr schwer.

Ich plädiere stark für eine Angleichung des Lebens in Haft an das Leben draußen. Weil je drakonischer wir strafen, je weniger wir den Leuten geben, je mehr wir sie isolieren oder abgrenzen von dem, was wirklich draußen gerade passiert, desto schwerer tun sie sich später, wieder anzukommen – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben die Leute dadurch die Möglichkeit, sich selbst als Opfer zu sehen, und ich will nicht, dass Täter sich in die Opferrolle flüchten können. Das machen die nämlich: Je schlechter du sie behandelst, desto leichter ist es für sie zu sagen: "Schau mal, der Staat gibt mir eh keine Chance, alle sind gegen mich, jeder hasst mich." Was hingegen beim skandinavischen Modell, wo die wirklich alle Möglichkeiten bekommen, die man ihnen irgendwie geben kann, nicht möglich ist. Und wir sehen, dass restriktive Systeme wie das Gefängnissystem zum Beispiel in den USA einfach nur härtere Kriminelle produziert.

Das System Gefängnis mit dem Gedanken der Resozialisierung hat eine große Schwachstelle: Das ist wie, wenn ich dich in einer Marskolonie auf das Leben auf der Erde vorbereiten will. Ich werde scheitern, wenn das mein Anspruch ist. Also entweder müssen wir das Gefängnis ändern oder wir müssen den Anspruch der Resozialisierung ändern, weil beides geht nicht. Offener Vollzug in NRW – so kann es funktionieren. Was ich dort gestern gesehen habe, habe ich mir nicht vorstellen können, diese Form der Selbstverantwortung. Ich kann ja nicht mal einkaufen gehen. Ich durfte zehn Jahre lang nicht entscheiden, was ich mache – klar bin ich durcheinander. Aber Freiheit im Strafvollzug heißt nun mal, Risiken einzugehen. Die Frage ist: Sind wir als Gesellschaft bereit, das zu tragen? Und was wollen wir? Wollen wir als Gesellschaft strafen oder wollen wir resozialisieren? Beides im selben Maße zu tun, ist meiner Meinung nach nicht möglich.

Welche Stärken sehen Sie am Strafvollzug in Deutschland?

Nochmal: Es ist unmöglich, vom "deutschen Strafvollzug" zu sprechen. Das geht eigentlich nicht, weil es eine komplett andere Lebensrealität ist, was ich gestern gesehen habe und was ich selbst erlebt habe. Ich saß in Bayern in Haft, und ich durfte neun Jahre lang nicht telefonieren. Egal was, ich durfte nicht telefonieren. Und in anderen Bundesländern darfst du jeden Tag telefonieren, soviel du möchtest. Wenn bei mir jemand gestorben ist, zum Beispiel meine Großmutter, oder jemand ins Krankenhaus kam, hatte ich nicht die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Ich habe teilweise Todesnachrichten erst Tage nach der Beerdigung bekommen. Und was du damit eben schaffst, ist, dass du die Leute isolierst und rausnimmst aus der Realität ihrer eigenen Familien, auch Väter. Dann heißt es immer: "Aber ihr könnt ja Briefe schreiben." Willst du mit einem Vierjährigen Briefe schreiben? Natürlich kannst du das, aber es ist etwas anderes, wenn du jeden Tag kurz anrufst, vielleicht sogar denjenigen ins Bett bringst durch den Anruf.

Deswegen: Das Gute am deutschen Strafvollzug ist, dass wir keine finalen Strafen haben. Wir haben keine Todesstrafe, und normalerweise gibt es auch bei lebenslänglich eine Möglichkeit für eine Haftentlassung. Zu guter Letzt: Wir haben den Gedanken der Resozialisierung, und das ist ein guter Gedanke – an der Umsetzung scheitern wir noch.

Mit welcher Erwartung, mit welchen Vorstellungen vom Leben hinter Gittern sind Sie ins Gefängnis gekommen? Welche wurden bestätigt, welche widerlegt?

Ich dachte, es ist sehr gewalttätig, und ich dachte, es wäre eine kleine Gladiatorenschmiede für "echte Männer", und das ist nicht wahr. Ich dachte, ich werde dort gute neue Kontakte kriegen und Leute treffen, die im Bereich der Kriminalität Expertise besitzen, die ich noch nicht habe, und das wurde bestätigt. Also man kann tatsächlich sagen, dass gerade der Jugendstrafvollzug, der nochmal anders zu bewerten ist, eine kleine "Schule des Verbrechens" ist.

Wie muss man sich den Knastalltag vorstellen? Was macht man als Häftling den ganzen Tag?

Es kommt drauf an, ob man arbeitet. In U-Haft zum Beispiel arbeiten die Leute ja eigentlich alle nicht, das heißt, dort ist man in manchen Gefängnissen tatsächlich 23 Stunden eingesperrt. Eine Stunde am Tag hat man Recht auf Hofgang. Es gibt Anstalten, in denen gibt es Gruppen- und Therapiesitzungen, Ehrenamtliche kommen, es gibt Bibelgruppen, Kunstgruppen, Schachgruppen, solche Dinge. Und es gibt Anstalten, wo es so etwas nicht gibt.

Welche Möglichkeiten, zu arbeiten, oder auch (Aus-)Bildungsmöglichkeiten gibt es?

Wenn man die U-Haft dann irgendwann hinter sich hat und in Strafhaft kommt, wird man im besten Fall in eine Anstalt verlegt, die zu einem passt. Das heißt: Ist man ein junger Gefangener, der keine Ausbildung hat, dann kommt man in eine Anstalt, in der es eben möglich ist, viele verschiedene Ausbildungsberufe zu lernen und vielleicht sogar eine höhere Schulbildung zu erreichen, also eine Quali oder die mittlere Reife. In manchen Gefängnissen kann man Fachabitur machen. Das ist dann so eine Frage, ob man es schafft, in diese Anstalten verlegt zu werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Ausbildung, meistens sind das handwerkliche Berufe, was natürlich ein bisschen an der Umsetzbarkeit der anderen Berufe liegt. Ich bin zum Beispiel der erste in Haft ausgebildete Bürokaufmann Bayerns gewesen, zusammen mit noch einem anderem. Es gab dort eine Schreinerei mit einem recht großen Büro, und da habe ich tatsächlich Angebote erstellt und Kalkulationen gemacht. Was aber der Ausbildung nicht wirklich gerecht wurde, ich durfte ja keine E-Mails schreiben, ich durfte nicht ans Telefon gehen – und das ist ja eigentlich das, was ein Bürokaufmann macht. Man kann sehr gut ein Schreiner sein im Gefängnis, ein Bürokaufmann ist schon schwerer.

Womit beschäftigt man sich sonst?

Die Leute haben alle Fernseher mittlerweile. Fernsehen ist glaube ich die Hauptbeschäftigung der Gefangenen, was auch traurig ist. Damit hat man natürlich die Leute so ein bisschen sich selbst überlassen, und es erschwert, dass jemand aus seiner Schicht ausbricht. Also wenn jemand "Berlin Tag und Nacht" auf RTL2 guckt, dann schaut er das zehn Jahre später noch. Ganz wichtig ist natürlich auch Sport. Da gibt es verschiedene Angebote, manchmal gibt’s Volleyball, manchmal gibt’s Fußball, manchmal gibt’s Kraftsport. Das kommt auch wieder drauf an.

Wie gestaltet sich das Zusammenleben unter Gefangenen? Gibt es so etwas wie Freundschaften, Vertrauen, Solidarität?

Das ist eine Mischung. Im Grunde sind es immer Zweckgemeinschaften, weil du zusammengewürfelt wirst, ohne dass du darauf Einfluss nehmen kannst. Das führt dazu, dass Leute miteinander auf einem Gang liegen oder sogar in einer Zelle liegen, die eigentlich in Freiheit niemals etwas miteinander zu tun hätten. Aber über einen längeren Zeitraum kann man sich natürlich schon seine Leute aussuchen, man gibt sich dann halt nur mit denen ab, die man mag, die zu einem passen, und dann können Freundschaften entstehen. Wobei die Frage, ob diese Freundschaft den Transfer in die Freiheit überlebt, wieder etwas anderes ist, weil man ja zu verschiedenen Zeitpunkten entlassen wird. Wenn der eine drei Jahre früher entlassen wird, kann es sein, dass er garkeinen Bezug mehr hat, wenn der andere dann irgendwann rauskommt. Ansonsten ist es ein kollegiales Verhältnis, auch getrennt durch Sprache, also: Arabischsprachige Gefangene sind bei arabischsprachigen Gefangenen, russischsprachige Gefangene sind bei russischsprachigen Gefangenen und so weiter. Es mischt sich bei der Arbeit oder in den Gruppen, aber normalerweise nicht im Privaten, oder selten.

Welche Themen beschäftigten einen?

Da ist natürlich ein großer Unterschied zum Leben draußen: Der eigene Fall, der Umgang mit der Justiz und der Umgang, den die Justiz mit einem hatte, ist immer Thema. Also so ziemlich jeder hat irgendeine Horrorgeschichte von einem Anwalt, der einen scheiße behandelt hat, wie unfair der und der Richter ist, und die Schuldfrage stellt sich natürlich immer wieder. Das hört bei langen Strafen irgendwann auf. Bei kürzeren Strafen ist natürlich die Welt draußen auch ein Thema: Was macht die Frau, was machen die Kinder, wie geht’s der Mutter, was ist mit dem Geschäft, das man draußen hatte? Es kommen Briefe für Handyverträge, die man noch nicht gekündigt hat. Also es verfolgt einen das Leben draußen, und man denkt da auch noch dran und redet mit anderen drüber. Auch das hört aber auf, ich würde sagen, ungefähr nach zwei Jahren. Erstens werden dann die Nachrichten von draußen weniger, und zweitens werden die Leute, mit denen man sich umgibt, intoleranter gegenüber Geschichten von draußen. Ich wollte am Schluss nichts mehr hören von draußen – was interessiert mich jetzt, dass deine Katze draußen gestorben ist? Mein Hund ist schon lange tot. Am Anfang braucht man das, glaube ich, vielleicht um sich zu trösten, aber irgendwann wird das etwas, das du total verdrängst, dass es die Welt draußen gibt.

Und was rückt dann in den Vordergrund?

Die kleinen alltäglichen Dinge: Das Knie tut weh, das Essen ist scheiße. Essen ist immer ein Thema, Gossip. Kriminelle sind ein neugieriges Völkchen, das auch gerne was erlebt. Also wenn einer einen anderen gehauen hat, dann weiß das am nächsten Tag jeder, und jeder hat eine Meinung dazu. Womit man immer ein bisschen aufpassen muss, ist: Es wird tatsächlich auch viel, gerade in den Jugendgefängnissen oder den Kurzstrafengefängnissen massiv, darüber geredet, was man nach der Haft alles tun wird, was für Taten man vorhat, was für gute Kontakte man jetzt hat, was für Ideen, was für potenzielle Opfer man kennt, wo was zu holen ist und so weiter. Das Interessante daran ist, was eben nicht passiert: dass man darüber redet, wie man draußen nicht kriminell wird. Das ist sehr selten. Der Gedanke, dass Leute, die selbst straffällig geworden sind, sich im Gefängnis gegenseitig positiv befruchten, ist sehr abwegig. Weil: Woher soll der positive Input denn herkommen? Man kann nicht die "Schlechtesten" zusammenpacken und hoffen, dass es dann besser wird.

Wie wurden Sie auf Ihre Entlassung vorbereitet?

Vorgesehen ist eine gestaffelte Entlassung. Man beginnt mit begleiteten Ausgängen, das heißt, man geht zwei, drei Stunden raus in Begleitung eines JVA-Beamten. Danach geht man vier Stunden raus, in Begleitung eines Angehörigen zum Beispiel. Und danach darf man dann vier Stunden alleine raus oder acht Stunden. Das nennt sich Ausgang. Danach bekommt man Urlaub, also man darf eine Nacht oder zwei Nächte wegbleiben und muss dann wiederkommen. Und dann ist man irgendwann ready für die Entlassung. Das ist der Idealfall, in Wirklichkeit läuft es oft anders. Ich habe sehr, sehr viele Freunde, die teilweise 13 Jahre in Haft gesessen haben und dann entlassen wurden ohne jegliche Entlassungsvorbereitung.

Wie bereitet man die ersten Schritte in Freiheit vor, also wer einen abholt, wo man wohnt?

Wie soll ich das machen, wenn ich nicht telefonieren darf? Mit Briefen halt, aber die muss man auch schreiben und dann hoffen, dass die Antwort rechtzeitig kommt. In anderen Bundesländern kannst du das übers Telefon machen und wirst sogar angehalten dazu und auch begleitet. Das ist die Paradearbeit eines Sozialpädagogen in Haft: Die ersten Schritte vorbereiten und auch schauen, dass unterwegs der Kontakt nicht ganz abbricht. Weil Haft bedeutet: Du hast keine Wohnung mehr, du hast keinen Job, du hast keine Reserven an Geld, sonst würden die Haftkosten das auffressen, die Gerichtskosten, die Geldstrafen. Dein Geld ist im Normalfall weg, du bist im Minus, dein soziales Sicherheitssystem ist komplett zusammengebrochen, also Freunde haben dich nicht gesehen seit Jahren, deine Familie hat dich nicht gesehen. Wenn deine Eltern nicht mehr leben, wirst du ins absolute Nichts entlassen.

Hatten Sie einen konkreten Plan für Ihre Zeit nach der Haft? Wie kamen Sie zu Ihrem "neuen Leben"?

Ich hatte das Glück, dass meine Mutter und mein Stiefvater mich aufgenommen und mir eine Wohnung zur Verfügung gestellt haben, die komplett eingerichtet war. Ich hatte ja nichts. Du wirst normalerweise entlassen mit 1.600 Euro, "Überbrückungsgeld" nennt sich das. Das musst du ansparen in deiner Haftzeit, und mehr darf das auch nicht sein, sonst wird es gepfändet. Und diese 1.600 Euro sind das, mit dem du dein neues Leben beginnst. Aber wenn du eine Kaution zahlst und eine Miete, hast du kein Geld mehr für ein Bett oder eine Waschmaschine oder Geschirr. Ich hatte das Glück, dass ich das alles hatte.

Ich hatte mir vorgenommen, ein Jahr lang nichts zu tun. Ich war so traumatisiert, dass ich beim Arbeitsamt direkt arbeitsunfähig geschrieben wurde. Ich habe ja keine Nacht mehr als eineinhalb Stunden am Stück geschlafen und so. Und in dem Jahr habe ich mich auch geändert. Ich habe mich vor allem eben losgelöst von meiner alten Gruppe, von meiner alten Szene, und ich habe versucht, neue Menschen kennenzulernen. Und hätte ich damals nicht meine Frau kennengelernt, die mir gezeigt hat, es gibt gute Menschen, es gibt Menschen, denen egal ist, was du gestern gemacht hast, wenn du dir heute und morgen Mühe gibst, dann wäre ich trotzdem wahrscheinlich rückfällig geworden. Also ich habe mein Umfeld verändert, ich habe sogar meinen Wohnort gewechselt und bin weggezogen, sobald das finanziell ging, und habe mir Leute gesucht, die mein altes Ich nicht kannten. Weil: Wenn du zurückkommst in dein altes Umfeld, wird von dir erwartet, dass du dich so verhältst wie früher. Selbst wenn es unbewusst ist, es passiert. Und dadurch, dass ich mir neue Menschen gesucht habe, hatte ich die Möglichkeit, selbst ein neuer Mensch zu werden.

Wie kamen Sie dann zur Jugendarbeit?

Das war Zufall. Eine Lehrerin saß im Publikum, als ich auf der Frankfurter Buchmesse mein Buch vorgestellt habe, und meinte: "Stell das doch mal in meiner Schule vor, erzähl das mal den Kids, was du über Kriminalität denkst." Die Desillusionierung, die mir in Haft und auch danach bewusst geworden ist, hat mir geholfen, dass ich Jugendlichen näherbringen kann: Was ist Kriminalität wirklich? Was heißt es, für Geld solche Dinge zu tun? Was ist die Konsequenz für dich und deine Familie und die Gesellschaft? Und das war der Beginn.

Seitdem machen Sie Ihre Geschichte zu Ihrer Stärke.

Das kann man sagen. Ich habe gesehen, was schiefläuft, und das ist der Grund, weswegen ich heute tue, was ich tue: Die richtigen Worte an der richtigen Stelle können etwas bewirken. Die größte Schwäche, das größte Scheitern, das ich habe, nämlich fast zehn Jahre in Haft gewesen zu sein, ist mittlerweile mein unique selling point. Ich würde nie sagen, ich habe davon nicht profitiert. Ich habe mich halt geweigert, das einfach nur als Nachteil zu sehen. Ich wollte mehr sein als diese Haftstrafe.

Haben Sie diese auch als Stigma erlebt?

Klar! Überall, wo du hinkommst, ist die Haftstrafe Thema. Das ist auch wieder so ein Grund für diese "Drehtür Knast". Der einzige Ort, wo deine Haftstrafe nicht als Stigma gesehen wird, ist die kriminelle Welt und alles, was damit verbunden ist. Aber geh mal zu einem Arbeitgeber, erzähl dem das mal, der findet das total scheiße, oder zu den Schwiegereltern, was sollen die denn sagen – "Hier kommt der neue Freund, und der war zehn Jahre im Knast"? Also egal, wo du auftauchst, es ist ein Nachteil. Und ich habe mich geweigert, das so hinzunehmen.

Gibt es Nachwirkungen der Haft, die bis heute andauern?

Also psychische Probleme reihenweise. Dann hatte ich ja noch ganz lange Bewährungsauflagen, musste alle paar Wochen Urin abgeben, zur Bewährungshelferin, musste meinen Wohnort melden, musste mich ständig rechtfertigen, was ich beruflich mache, musste Einblick geben in mein Konto, sogar in meine Social-Media-Accounts. Die Überwachung war fünf Jahre lang sehr engmaschig. Ich habe bis heute keinen Führerschein, muss eine MPU machen, ich darf in manche Länder nicht einreisen. Es gibt so ein paar Folgen, aber ich komme sehr gut damit klar. Ich habe gelernt, damit zu leben. Diese Dinge gehören zu den Konsequenzen für mein eigenes Verhalten. Sie sind Teil der Strafe, und ich nehme sie an.

ist Gründungsmitglied des Jugendhilfevereins SichtWaisen und als Mentor in der Kriminal-, Gewalt- und Drogenprävention tätig. Sein Roman "Kieleck" erschien 2018 im Rhein-Mosel Verlag. Externer Link: http://www.maximilianpollux.com