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Deutschland – Schweden: Unterschiedliche ideologische Hintergründe in der Prostitutionsgesetzgebung

Susanne Dodillet

/ 13 Minuten zu lesen

Ich tue mich schwer, sie zu verstehen, und sie verstehen uns kaum", so fasste die schwedische Gleichstellungsministerin Margareta Winberg 2002 ihre Eindrücke von Gesprächen über Prostitution mit deutschen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Deutschland und Schweden stehen in der EU für diametral entgegengesetzte Arten mit Prostitution umzugehen. Wie kann man erklären, dass zwei Länder, deren politisches Klima sich auf den ersten Blick in vielem ähnelt, solch unterschiedliche Positionen einnehmen, wenn es um dieses Phänomen geht? Im Folgenden wird diese Frage mit einem Rückblick auf die Geschichte der schwedischen und der deutschen Gesetzgebung beantwortet. Mit Hilfe des Ländervergleichs werden Traditionen sichtbar, die im Verborgenen bleiben, solange man seinen Blick nur auf das eigene Land richtet.

Schwedisches Sexkaufverbot

Am 1. Januar 1999 trat das "Gesetz zum Verbot des Kaufs sexueller Dienste" in Kraft. Seitdem kann in Schweden, "wer sich für eine Gegenleistung kurzzeitige sexuelle Verbindungen verschafft", zu einer Geld- oder Gefängnisstrafe verurteilt werden. Schweden ist damit das erste Land, das nur den Kauf, nicht jedoch den Verkauf sexueller Dienste kriminalisiert. Zuhälterei war in Schweden bereits vor dem Inkrafttreten des Sexkaufverbots verboten. Um für dieses Vergehen verurteilt zu werden, reicht es in Schweden aus, dass der Täter oder die Täterin durch seine oder ihre Handlungsweise jemanden bei der Sexarbeit unterstützt oder einen Nutzen aus der Sexarbeit anderer zieht. Zwang und Gewalt sind in Schweden keine notwendigen Bestandteile dieses Verbrechens. Vermieter und Wohnungseigentümerinnen zum Beispiel, denen bewusst ist, dass ihre Wohnung zur Prostitution genutzt wird, können wegen Zuhälterei verurteilt werden. Ebenso geht es Menschen, die mit Prostituierten zusammenleben und bei gemeinsamen Einkäufen von den Prostitutionseinkünften des Partners oder der Partnerin profitieren.

Das Sexkaufverbot wurde erlassen, um deutlich zu machen, dass Prostitution als Form männlicher Gewalt gegen Frauen verstanden und in Schweden nicht akzeptiert wird. Die Befürworterinnen und Befürworter des Gesetzes argumentierten, der Gesetzgeber trage die Verantwortung für die Normenbildung in der Gesellschaft. Die Bevölkerung solle ihre Meinung nach und nach an die neue Gesetzgebung anpassen – ein Ziel, das eigentlich schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erreicht war. Im Jahr 2002 waren sich laut einer Umfrage der Tageszeitung "Aftonbladet" acht von zehn Befragten einig, dass Prostitution abgeschafft werden muss. In Deutschland hingegen waren viele vom genauen Gegenteil überzeugt.

Deutsches Prostitutionsgesetz

Im Oktober 2001 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur Integration von Prostitution in die Gesellschaft. Das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten" trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Durch dieses Gesetz bekamen Prostituierte die Möglichkeit, ihren Lohn einzuklagen und das Recht am Arbeitslosenversicherungs-, Gesundheits- und Rentensystem teilzunehmen. Der Paragraf, der zuvor die Förderung von Prostitution verboten hatte, wurde gestrichen. Das Betreiben von Bordellen ist seither nur verboten, wenn Prostituierte in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten und somit ausgebeutet werden. Durch das neue Gesetz sollten Stigmatisierung und Diskriminierung von Prostituierten verhindert werden.

Während man das deutsche Gesetz im Bundestag als Schlag gegen Doppelmoral und für die Rechte von Prostituierten feierte, wurde es in Schweden als Katastrophe bezeichnet. Im schwedischen Parlament fand Margareta Winberg großen Zuspruch als sie betonte, ihr missfalle stark, was in Deutschland geschehe. "Das widerspricht der Gleichstellung der Geschlechter. Das widerspricht der Mitmenschlichkeit. (…) Und es ist ein Rückschlag für die Gleichstellungspolitik in Deutschland." Winberg unterstrich außerdem: "Eine Gesellschaft, die Prostitution als Beruf oder Wirtschaftszweig anerkennt, ist eine zynische Gesellschaft, die den Kampf für die schutzlosesten und verwundbarsten Frauen und Kinder aufgegeben hat. Die Legalisierung der Prostitution, wie in Holland und Deutschland geschehen, ist ein deutliches Beispiel für eine solche Resignation."

Zwei feministische Gesetze

Sowohl das schwedische als auch das deutsche Prostitutionsgesetz waren Initiativen von Grünen, Sozialdemokraten und Linken. Beide Gesetze waren feministisch motiviert und sollten die Situation von Prostituierten verbessern.

Doch während die einen die Meinung vertraten, Prostitution gebe Männern das Recht, Frauen zu kaufen, kränke die Persönlichkeitsrechte von Frauen und verhindere Gleichberechtigung, hielten die anderen die ungleiche Behandlung von Prostituierten gegenüber anderen Berufsgruppen für eine Form von Diskriminierung und für ein Beispiel für die Unterdrückung von Frauen in der Gesellschaft. Während man in Schweden an den Staat appellierte, seine Funktion als Normenbildner wahrzunehmen, die Gesellschaft zu erziehen und der Prostitution ein Ende zu machen, wehrte man sich in Deutschland gegen einen Staat, der Prostitution lange als sittenwidrig definiert und Prostituierte diskriminiert hatte.

Schwedische Sexualpolitik

Seit den 1950er Jahren, als liberale Zensurregeln Nacktszenen in Spielfilmen wie Arne Mattsons "Sie tanzte nur einen Sommer" oder Ingmar Bergmans "Die Zeit mit Monika" erlaubten, verknüpft man Schweden im Ausland mit der "Schwedischen Sünde". Vor diesem Hintergrund mag es zunächst überraschen, dass kein Versuch, Prostitution innerhalb des Sexualliberalismus zu deuten, in Schweden erfolgreich war.

Im Riksdagen wurde die Legalisierung von Bordellen nur ein einziges Mal debattiert: In den Jahren 1972/73, nachdem Sten Sjöholm von der liberalen Folkpartiet staatliche Bordelle vorgeschlagen hatte. Sjöholm argumentierte, die sexualliberale Welle der 60er Jahre hätte zu einer größeren Akzeptanz von Sexklubs geführt, die soziale Situation der Prostituierten jedoch kaum verbessert. Also forderte er den Staat auf, seine Verantwortung wahrzunehmen, und den in der Sexbranche arbeitenden Menschen durch die Errichtung staatlich kontrollierter Bordellbetriebe zu einer sichereren Zukunft zu verhelfen. Sjöholms Vorschlag führte zu Protesten. Selbst seine Parteigenossen nahmen Abstand von der Initiative des Kollegen. "Wir betrachten Prostitution als eine aus sozialmedizinischen und humanitären Gesichtspunkten für das Individuum schädliche Tätigkeit und nicht als einen von der Gesellschaft sanktionierten Beruf", betonten sie in einem Schreiben gegen Sjöholms Vorschlag. Die Kollegen des Liberalen waren sich einig: "Eine Gesellschaft, die von einem aktiven Interesse für das Wohlergehen jedes einzelnen Mitbürgers geprägt ist, kann es nicht unterlassen, dem menschlich Erniedrigendem im schwedischen Bordellgeschehen der letzten Zeit entgegenzuwirken."

Der Sozialausschuss des Riksdagen führte in seiner Stellungnahme an, dass "die Einrichtung von Bordellen, die von der Gesellschaft betrieben oder gutgeheißen werden, bedeuten würde, dass die Gesellschaft aktiv dazu beiträgt, dass Menschen für eine Tätigkeit ausgenützt werden, die erfahrungsgemäß häufig zu ernsthaften psychischen Schäden und lebenslangen sozialen Anpassungsschwierigkeiten führt."

Die Debatte um Sten Sjöholms Bordellvorschlag zeigt deutlich, wo die Grenzen für den schwedischen Sexualliberalismus verliefen. Sjöholms Kritiker hatten ein deutliches Bild davon, wie ein menschenwürdiges Leben aussehen sollte. Prostitution schien nicht mit dem "Wohlergehen jedes einzelnen Mitbürgers" vereinbar, konnte zu "sozialen Anpassungsschwierigkeiten" führen und sollte darum bekämpft werden. Lebensweisen, die von dem abwichen, was als Wohlfahrt, Gleichheit und Gerechtigkeit betrachtet wurde, schienen irrational und menschenunwürdig. Dieser Standpunkt, der sich auch in der aktuellen schwedischen Prostitutionspolitik wiederfindet, kann als Ausdruck für ein Verständnis vom Wohlfahrtsstaat begriffen werden, das sich von dem in Deutschland dominierenden unterscheidet.

Kommunitärer und liberaler Wohlfahrtsstaat

Der schwedische Politologe Bo Rothstein unterscheidet zwei Arten, das Verhältnis zwischen Staat und Individuum zu organisieren: den Kommunitarismus und das Autonomieprinzip. Folgt der Wohlfahrtsstaat dem Autonomieprinzip, akzeptiert er, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen davon haben, was ein gutes und richtiges Leben ist und verhält sich neutral gegenüber den Lebensentwürfen seiner Bürgerinnen und Bürger. Staatliche Eingriffe beschränkt er auf Situationen, in denen die Entscheidungen eines Individuums, das Lebensprojekt eines anderen verhindern. Die wichtigste Aufgabe des Staates ist nach diesem Prinzip die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen wählen können, was sie selbst als moralisch richtige Lebensweise empfinden. Der Wohlfahrtsstaat erkennt an, dass das Individuum Zugang zu Ressourcen und Freiheiten braucht, um sein Leben nach eigenen Wertvorstellungen leben zu können und versucht diese Voraussetzungen zu garantieren.

Nach dem kommunitären Prinzip hingegen steht der Staat für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind. Das gemeinsame Beste ist ein zentrales Kriterium, wenn Kommunitaristen beurteilen, ob die Präferenzen einer Person legitim sind. Stimmt der Lebensentwurf mit dem überein, was für das Kollektiv gut ist, stehen die Chancen gut, dass er akzeptiert wird. Für Kommunitaristen bildet also der Glaube an ein gemeinsames Projekt und nicht wie für liberale Denker der Glaube an individuelle Freiheiten das Fundament der Gesellschaft. Ein weiterer Aspekt des kommunitären Prinzips ist sein Verständnis von Staat und Bürgerinnen und Bürgern als ein organisches Gebilde. Die Bürger bilden nach dieser Vorstellung eine kollektive Gruppe mit gemeinsamen Werten, der Staat repräsentiert nichts anderes als dieses Kollektiv. Der oft synonyme Gebrauch der Terme "Staat" (stat) und "Gesellschaft" (samhälle) sowohl in der schwedischen Alltagssprache, als auch im schwedischen Reichstag, deutet darauf hin, dass das kommunitäre Prinzip in Schweden wohl verankert ist. "Warum wollen wir ein Gesetz machen? Ja, noch einmal, weil die Gesellschaft – wir vom Volk gewählten – erklären müssen, dass wir diesen Geschlechterhandel nicht akzeptieren", erklärte die Sozialdemokratin Margareta Persson 1986 im Riksdagen.

Prostitution nach liberalen und kommunitären Prinzipien

Helena Streijffert war Lektorin am Institut für Soziologie der Universität Göteborg, als sie 1972 in einem Zeitungsartikel auf John Stuart Mills Freiheitsbegriff verwies, um zu zeigen, dass das liberale Autonomieprinzip "einen ideologischen Raum für Ausbeutung schafft". "Auf die Prostituierte angewandt", bedeutet das Autonomieprinzip nach Streijffert, "dass ihre Berufsausübung toleriert werden muss, auch wenn sie der gängigen Moral vieler Lager widerspricht und sogar als ‚krank‘ und ‚unnormal‘ betrachtet wird." Streijffert kritisierte "diese Form von Toleranz", die wie sie meinte, "ein ideologisches Vakuum mit Raum für Machtspiele schafft". Die Soziologin betrachtete Prostitution als Ausdruck für die Machtverhältnisse der Gesellschaft und behauptete, der einzig richtige Weg mit Prostitution umzugehen sei eine Politik, die "gleiche Rechte für alle im Wohlfahrtsstaat garantiert." "Diese Problematik handelt eher von bürgerlichen Rechten als Freiheiten, und davon, inwieweit erstere jedem Gesellschaftsmitglied in vollem Umfang garantiert werden." Prostituierte waren für Streijffert eine machtlose Gruppe mit niedrigem Status, besonders empfindlich für die Ausgrenzungsmechanismen der Gesellschaft und somit nicht zu tolerieren. "Die Ausgegrenzten zu tolerieren bedeutet auch, die Übermacht zu akzeptieren, der sie ausgesetzt sind", erklärte sie.

Normierende Funktion des Sexkaufverbots

Der Versuch, wohlfahrtsstaatliche Rechte wie das Recht auf Gesundheit, Arbeit, Wohnung, Ausbildung, Sicherheit und Sozialfürsorge, aber auch Gleichstellung für alle Menschen zu verwirklichen, ist nicht der einzige Aspekt der schwedischen Debatte, der in der Tradition der kommunitären Wohlfahrtsstaatsideologie gedeutet werden kann. Das Sexkaufverbot hat auch eine normierende Funktion, die in dieser Tradition gesehen werden kann. Die Abgeordneten des Riksdagen diskutierten und beurteilten, wie sich die Gesellschaft zum Wohle der Allgemeinheit weiterentwickeln sollte. Die Ergebnisse dieser Diskussionen sollten an die Bevölkerung weitervermittelt werden, in deren Sinne man zu handeln strebte. In den Debatten um das Sexkaufverbot wurde wiederholt die Auffassung geäußert, die Regierung trüge die Verantwortung für die Normen und Werte der Gesellschaft. Der Kommentar der schwedischen Linkspartei zum Gutachten Frauenfrieden (Kvinnofrid) von 1998, in dem Prostitution neben Vergewaltigung und anderen sexuellen Übergriffen behandelt wurde, ist ein repräsentatives Beispiel für diese Haltung: "Die Kunden der Prostituierten und nicht die Prostituierten zu kriminalisieren, ist ein deutliches Signal der Gesellschaft, wie man zum Sexkauf steht. Die Linkspartei glaubt nicht (…), dass wir Prostitution dadurch abschaffen oder eindämmen. (…) Gesetze haben nicht nur das Ziel Straftäter zu belangen und die Effektivität eines Gesetzes kann nicht nur dadurch gemessen werden, wie viele Gesetzesbrecher verurteilt werden. Die Gesetzgebung handelt auch von den Normen und Werten der Gesellschaft. Als das Schlagen von Kindern in Schweden verboten wurde, behaupteten viele, dieses Gesetz sei sinnlos, weil seine Einhaltung nur schwer zu kontrollieren sei. Doch dieses Gesetz hat stark normierend gewirkt und auf die gleiche Art markiert ein Gesetz, das den Sexkauf kriminalisiert, wie die Gesellschaft die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sehen soll." Das schwedische Prostitutionsgesetz sollte deutlich machen, dass man in einer gleichgestellten Gesellschaft nicht akzeptieren kann, "dass Männer Frauen für Geld kaufen."

Das Sexkaufverbot wurde mit dem Argument begründet, es gebe für die gesamte Gesellschaft gemeinsame Normen und Werte, die den Ausgangspunkt für alles politische Handeln bilden müssen. Menschen, die nicht in Übereinstimmung mit diesen Werten leben, müssen von der Richtigkeit dieser Normen überzeugt und auf diese Weise in die Gesellschaft integriert werden. Die allgemeingültigen Werte sollten (eine bestimmte Art von) Gleichstellung und soziale Wohlfahrt für alle Gesellschaftsmitglieder garantieren.

Wie spezifisch dieses Modell für die schwedische Debatte ist, sieht man, wenn man die schwedische Sicht auf Prostitution mit der Debatte in Deutschland vergleicht.

Politische Voraussetzungen in Deutschland

Die Initiative für das liberale deutsche Prostitutionsgesetz ging von der Partei Die Grünen aus und kann als Ausdruck ihrer Wurzeln in der autonomen Szene gedeutet werden. Anders als in Schweden zweifelten die radikalen Gruppierungen der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland an den Fähigkeiten und dem Willen des Staates, ihren Forderungen entgegenzukommen, und versuchten außerhalb der etablierten politischen Strukturen zu wirken. Während schwedische Politiker ihrerseits versuchten, mit linken Aktivisten zusammenzuarbeiten, reagierten Staat und politische Eliten in Deutschland mit Zurückhaltung auf die autonome Bewegung. Die Grünen, die 1983 erstmals in den Bundestag gewählt wurden, haben viele ihrer Mitglieder aus den sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre rekrutiert und deren Skepsis gegenüber dem Staat als Normbildner sowie ihre Kritik an den konservativen Gruppierungen im Bundestag geerbt, was unter anderem in ihrer Prostitutionspolitik deutlich wird.

Ein Beispiel für die grüne Kritik gegen einen als autoritär empfundenen Staat ist die Debatte um Sittenwidrigkeit im Bundestag, die dem deutschen Prostitutionsgesetz vorausgegangen ist. Eine wichtige Ursache dafür, dass Prostitution nicht als legitime Beschäftigung anerkannt war, bevor das Prostitutionsgesetz in Kraft trat, ist das Faktum, dass der Verkauf sexueller Dienstleistungen als sittenwidrig galt. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass Prostituierte weder ausbleibende Bezahlungen einklagen, noch Arbeitsverträge abschließen konnten. Prostituierte waren von Arbeitslosenhilfe, Gesundheitssystem und Rentenkasse ausgeschlossen, mussten jedoch ihre Einkünfte versteuern.

In ihren Gesetzesvorschlägen von 1990 und 1996 kritisieren Die Grünen eine Gesellschaft, in der altmodische Sitten und eine veraltete Sexualmoral so bindend seien, dass Menschen, die diesen Werten nicht entsprechen, diskriminiert werden. Die Partei argumentierte, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, so zu leben, wie er oder sie es will, solange dies die Freiheiten anderer Menschen nicht einschränkt. Dieses Recht sollte auch für Prostituierte gelten, denn "niemand wird wohl behaupten wollen, die Dienstleistungen von Prostituierten stellten eine solche Beeinträchtigung (der Grundrechte anderer Menschen) dar", argumentierten Die Grünen und forderten eine Gleichstellung von Prostituierten mit anderen Berufsgruppen. Während Die Grünen für eine liberalere Gesellschaft plädierten, wollten die Christdemokraten an traditionellen Werten festhalten. Nach Auffassung von CDU/CSU kränkt der Handel mit sexuellen Diensten nicht nur die Werte der Bevölkerung, sondern auch die Prostituierten selbst. "Die Vermarktung des menschlichen Körpers verletzt nicht nur das Anstandsgefühl der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, sondern verletzt die Würde der Prostituierten selbst. Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit ist ein falsches Signal. Die Gesellschaft wandelt sich; unwandelbar bleibt aber die Menschenwürde. Der Gesetzgeber darf grundlegende Wertvorstellungen nicht leichtfertig preisgeben."

Nach und nach vertraten nicht mehr nur Grüne, sondern auch SPD und PDS die Ansicht, Prostitution dürfe nicht länger als sittenwidrig angesehen werden.

Liberales Gesellschaftsmodell

Der linken Kritik lag ein liberales Modell zu Grunde, nach dem es nicht Aufgabe des Staates ist, zu bestimmen, welche Normen und Werte für die Bevölkerung gelten sollen. SPD, Grüne und die PDS vertraten die Auffassung, jedes Individuum und jede Subkultur der Gesellschaft müssten selbst bestimmen dürfen, nach welchen Normen und Werten sie leben wollten. Dieses Recht sollte auch für Prostituierte gelten. Im Unterschied zu ihren schwedischen Kollegen knüpften die deutschen Linksparteien nicht an eine Tradition sozialistischer und feministischer Machtanalysen an, sondern formten ihre Politik eher als Gegenpol zu den in Deutschland starken Christdemokraten und betonten das Recht jedes einzelnen Menschen, frei über seine oder ihre eigene Sexualität zu bestimmen, was auch die Möglichkeit einschließt, sich zu prostituieren.

Obwohl sie ihre feministische Rhetorik im Laufe der Debatte um Berufsprostitution fallen ließen, betrachten die SPD, Grüne und PDS das Prostitutionsgesetz auch als Teil ihrer Gleichstellungspolitik. Indem viele der Befürworter des deutschen Antidiskriminierungsgesetzes einheitliche Sexualitätsnormen generell in Frage stellten, griffen sie auf ähnliche Ansätze, wie die Queerbewegung, wie sexradikale und prosexfeministische Strömungen zurück. Weiterhin kann das Prostitutionsgesetz zu den Erfolgen der außerparlamentarischen Frauenbewegung gezählt werden, da Prostituiertenprojekte wie Hydra in Berlin als Lobbygruppen am Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren.

Fazit

Der Vergleich zwischen der deutschen und der schwedischen Prostitutionsdebatte zeigt, dass es schwierig ist, eine gemeinsame europäische Linie für die Prostitutionspolitik zu finden. Schwedische Politiker, die für eine Kriminalisierung der Kunden kämpfen, können kaum mit der deutschen Linken zusammenarbeiten, da sich ihr Verständnis von Staat und Individuum grundlegend unterscheidet. Auch eine Zusammenarbeit mit den konservativen deutschen Parteien, die Prostitutionsgesetze befürworten, die den schwedischen ähneln, ist problematisch. Die strukturalistische Perspektive auf das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern, das wichtigste Fundament des schwedischen Sexkaufverbots, wird nicht von den deutschen Christdemokraten geteilt. Da Akteure mit ähnlichen Gesetzesideen ihre Vorschläge auf sehr unterschiedliche Werte basieren können, ist es wichtig, dass Politiker und Aktivisten die Ursprünge ihrer Strategien kennen, um geeignete Kooperationspartner zu finden.

Dr. phil., geb. 1977; Institut für Pädagogik und Spezialpädagogik, Universität Göteborg, Göteborgs Universitet, Institutionen för pedagogik och specialpedagogik, Box 300, S-405 30 Göteborg/Schweden. E-Mail Link: susanne.dodillet@ped.gu.se