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Indiens BRICS-Politik: Unentschlossen im Club | BRICS | bpb.de

BRICS Editorial Realität oder Rhetorik? Hoffnung auf eine gerechte Weltordnung Deutschland, Europa und die neuen Gestaltungsmächte Brasilien: Sozialer Fortschritt, demokratische Unruhe und internationaler Gestaltungsanspruch Russland und seine Rolle in den BRICS Indien: Unentschlossen im Club China: Aus den BRICS herausgewachsen? Außenpolitik und gesellschaftliche Entwicklung in Südafrika und Brasilien

Indiens BRICS-Politik: Unentschlossen im Club

Tobias Debiel Herbert Wulf

/ 15 Minuten zu lesen

Indien steht außenpolitisch und ökonomisch an einem Scheideweg. Nach Erlangung der Unabhängigkeit 1947 und dem blutigen Teilungskrieg hatte Premierminister Jawaharlal Nehru eine Politik des non-alignment formuliert, um sich im Kalten Krieg keinem der beiden Blöcke anzuschließen. Ökonomisch wurde diese Außenpolitik von der Konzeption des swaraj, der möglichst weitgehenden Autarkie unterfüttert. Mit dem Ende der Blockkonfrontation und dem Druck, die indische Wirtschaft für den Weltmarkt zu öffnen, waren Anfang der 1990er Jahre diese beiden Konstanten verschwunden. Die indische Regierung musste ihre "Außenpolitik neu erfinden".

Ökonomisch stand Wachstum im Vordergrund; außenpolitisch richtete sich Indien mit der Look-East-Politik und der Orientierung auf asiatische Länder (ASEAN und Mittlerer Osten) vermehrt an der Nachbarschaft aus – ein Versuch, Abhängigkeiten zu vermeiden und der befürchteten Expansion Chinas entgegenzuwirken. Wegen verschiedener Regierungswechsel schwankte die Werteorientierung zwischen liberalem Internationalismus und Hindu-Nationalismus. Zugleich war die Phase von 1990 bis 2010 grosso modo durch Pragmatismus und eine neoliberale Wirtschaftspolitik geprägt. Dieser Primat der Ökonomie wurde nicht in die Formulierung einer neuen außenpolitischen Strategie übersetzt. Der phänomenale Boom seit den Liberalisierungsmaßnahmen zu Beginn der 1990er Jahre erhöhte Indiens internationales Ansehen. Gleichzeitig war er die Eintrittskarte in den BRIC(S)-Club mit entsprechendem Statusgewinn, nicht zuletzt im Rahmen der G20, aber auch in außenpolitischen Konzepten westlicher Regierungen, wie etwa dem des Auswärtigen Amtes zu globalen Gestaltungsmächten.

Doch die indische Politik benötigt aus verschiedenen Gründen eine klarere Orientierung: Erstens sind die Jahre der hohen Wachstumsraten zumindest vorläufig vorbei; damit ist die Basis für die internationale Reputation infrage gestellt, aber auch die Fortsetzung des bisherigen Entwicklungsmodells. Die derzeitige Wachstumskrise könnte in eine Krise der Zahlungsbilanz übergehen, da die Devisenreserven knapper werden. Zweitens sind sich Think-Tanks und Entscheidungsträger in Indien bewusst, dass das Land eher durch sein Potenzial als durch sein manifestes Gewicht als emerging power einzuschätzen ist. Im Vergleich zur Volksrepublik China wird in Indien befürchtet, ohne strukturelle Veränderung mittelfristig nicht konkurrenzfähig zu sein. Mögliche Ambitionen, dauerhaft globales Gewicht zu erhalten, werden sich nur dann materialisieren, wenn Indien seine internen Schwächen überwindet – vor allem die systemische Korruption, die ökonomischen Reformstaus, die Kastenschranken sowie die immer noch horrende Armutsproblematik.

Die lebhafte Debatte über die Notwendigkeit einer expliziten außenpolitischen Strategie spiegelt einen Selbstfindungsprozess der außenpolitischen Eliten wider, der um das Konzept der "strategischen Autonomie" kreist und paradigmatisch auf flexible, politikfeldspezifische Allianzbildung in einer multipolaren Welt setzt. Nur vor dem Hintergrund dieser Debatte lässt sich beurteilen, welche Rolle das BRICS-Forum für die indische Außenpolitik spielt oder spielen könnte. Die Mitwirkung in der BRICS-Gruppe wird dabei breit befürwortet. Umstritten bleibt aber, ob der Club eine herausgehobene Relevanz für die Umsetzung mittel- und langfristiger Ziele indischer Außenpolitik haben kann und mit welchem diplomatischen wie finanziellen Kapital man sich beteiligen sollte. Das Land ist somit derzeit ein zwar stolzes, zugleich aber auch unentschlossenes Clubmitglied.

Konzept der "strategischen Autonomie"

"Strategische Autonomie" bedeutet in Indien, unabhängig von äußerer Einflussnahme auf internationaler Ebene manövrierfähig zu sein. Das Land hat sich in vielen Fragen weitgehend von der Politik der Blockfreiheit verabschiedet. Bei der Verfolgung strategischer Autonomie (auf der Basis eines eigenen Entwicklungsmodells und hinreichender Machtressourcen), also eigene Interessen zu artikulieren und bei der Gestaltung der Weltordnung einzubringen, betont die Regierung einen institutionalisierten Multilateralismus. Sie verfolgt gleichzeitig einen ausgeprägten Bilateralismus und wirkt zunehmend in informellen Clubs mit. Dies wird nicht als möglicher Widerspruch verstanden, sondern als unterschiedliche Melodien, die auf der außenpolitischen Klaviatur in freier Folge gespielt werden können.

Mit der multipolaren Ausrichtung will Indien in den wichtigen Foren der Weltpolitik – so etwa in der Welthandelsorganisation (WTO), im Internationalen Währungsfonds (IWF), in der Weltbank und im UN-System – die Ungerechtigkeiten der derzeitigen Stimm- und Machtverteilung überwinden. Neben Quoten- und Stimmrechtsreformen im IWF fordert es für sich einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Die mit moralischer Rhetorik unterlegte Positionierung hat in internationalen Verhandlungen zu einem Stil geführt, den kritische Beobachter als "an unrealistic combination of arrogance and poverty" bezeichnet haben. Das Land hat sich in globalen Verhandlungsforen einen Ruf als "the India that can’t say yes" erworben – ein Image, das nur bedingt zu einer Profilierung als künftige "Gestaltungsmacht" passt.

Dem institutionalisierten Multilateralismus auf globaler Ebene steht besonders mit Bezug auf die Region Südasien ein ausgeprägter Bilateralismus gegenüber. Er lässt sich angesichts widriger Umstände als kluge Nachbarschaftspolitik bezeichnen; kritischer betrachtet spiegelt er aber auch eine mangelnde Fähigkeit zur regionalen Integration wider. Es ist Indien nicht gelungen, ein Vertrauensverhältnis zu den kleineren Nachbarländern aufzubauen und als "wohlwollender Hegemon" aufzutreten; vor allem das Verhältnis zu Pakistan ist von Misstrauen geprägt. Am deutlichsten schlägt sich der Bilateralismus in der Annäherung an die USA nieder. Nach Jahrzehnten der Distanz in den indisch-amerikanischen Beziehungen ergaben sich mit dem Atomvertrag 2005 zur Nutzung ziviler Nukleartechnologie für Indien neue außenpolitische und außenwirtschaftliche Möglichkeiten. Das Treffen zwischen US-Präsident Barack Obama und dem indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh im September 2013 in Washington unterstrich die Annäherung erneut durch ein Abkommen zur Kooperation bei der Produktion moderner Waffensysteme. In Teilen der indischen Presse wurde die "enge Partnerschaft" gefeiert, und der General und ehemalige Parlamentsabgeordnete Shankar Roychowdhury schlussfolgerte: "India is in the big boys club now, and must carry its own big stick." Obwohl dieses Rapprochement mit den USA außenpolitische Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Indien und Russland (dem bislang größten Waffenlieferanten Indiens) haben kann und in besonderer Weise eine Rückversicherung gegenüber dem als expansionistisch eingeschätzten China bedeutet, glauben Außenpolitikexperten mit diesem Bilateralismus den US-Unilateralismus konterkarieren und eine collective hegemony etablieren zu können, sprich: eine Beteiligung Indiens an den weltpolitischen Entscheidungen.

Jenseits des Multilateralismus und des Bilateralismus hat in den vergangenen zehn Jahren eine neue außenpolitische Variante an Bedeutung gewonnen: die Mitwirkung in Clubs unterschiedlicher Zusammensetzung und Größe. Besonders prominent sind die G20 und die BRICS; zugleich strebt Indien aber eine Anbindung an zahlreiche regionale Foren an (ASEAN, Shanghai Kooperation, Asiatisch-Pazifischer Dialog) und hält sich für ausgewählte Fragen Club-Optionen unterhalb der BRICS-Ebene offen, etwa im IBSA- (Indien, Brasilien, Südafrika) und BASIC-Rahmen (BRICS ohne Russland).

Was will Indien im "Club der Aufsteiger"?

Indien war keine treibende Kraft zur Schaffung der BRICS. Zugleich ist die indische Regierung im BRICS-Kontext aktiv involviert und hat jüngst durch die Vergabe einer Studie über die BRICS-Langfriststrategie konzeptionell Führungsqualitäten demonstriert. Teils wird das Potenzial von BRICS hoch eingeschätzt und auf die Dichte der Interaktionen auch unterhalb der Ebene politischer Entscheidungsträger verwiesen. Zugleich wird unter indischen Außenpolitikexperten aber auch die Meinung vertreten, dass die Regierung nur halbherzig an BRICS beteiligt sei und den G20-Prozess für wichtiger erachte.

BRICS ist eine noch junge, fluide Gruppierung, der in Indien völlig unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden: erstens als ein Club-Modell, um als Clearing-House für die Norm- und Meinungsbildung zu globalen Problemstellungen zu fungieren und im Sinne einer Vorabstimmung die Weltordnung mitzubestimmen; zweitens als Entwicklungs- und Lerngemeinschaft mit einer selektiven Kooperation in ausgewählten Sektoren; drittens als "mächtiger Nachfolger" der Gruppe der 77 und Gegenmodell zur westlich bestimmten Weltordnung im Sinne globaler Gerechtigkeit; und viertens als Ausgangspunkt für die Gründung multilateraler, komplementärer und konkurrierender internationaler und regionaler Organisationen. Tatsächlich nutzt die indische Außenpolitik alle vier Funktionen, ohne bislang eine der Varianten zu präferieren.

BRICS hat sich dabei zunächst im Sinne der Clearing-House-Funktion als Plattform für Koordination, Konsultation und Kooperation bei Fragen von globalem Interesse bewährt. Formal betont die indische Regierung, dass gerade die beiden großen Länder China und Indien gemeinsame Interessen haben, die sie in verschiedenen internationalen Foren vorbringen. Tatsächlich haben die regelmäßigen Treffen der BRICS-Vertreter durchaus zu einem neuen Niveau der Abstimmung in wichtigen Fragen geführt; der BRICS-Verbund ist für Indiens Außenpolitik ein wichtiges Forum, um sich zu sicherheitspolitischen Fragen zu äußern, beispielsweise zum Friedensprozess im Nahen Osten oder zur Frage der Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft bei kriegerischen Konflikten (responsibility to protect), gelegentlich auch, um sich mit gleichgesinnten Regierungen vom westlich dominierten Mainstream politisch abzusetzen.

Als ökonomische Entwicklungsgemeinschaft ist das BRICS-Forum demgegenüber, trotz der Rhetorik über die Notwendigkeit der Verflechtung und gemeinsamer Projekte (beispielsweise im Infrastrukturbereich), nur von begrenzter Bedeutung. Mit Ausnahme der jeweils engen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu China sind die Interdependenzen unter den BRICS-Staaten eher gering. Dies gilt insbesondere für die ausländischen Direktinvestitionen, die einen zentralen Indikator für die Verflechtung von Volkswirtschaften darstellen. Der Bestand indischer Investitionen in den BRICS liegt trotz steigender Tendenz lediglich bei 3,2 Prozent. Wie eingeschränkt die Bedeutung der BRICS bei der Außenwirtschaftsverflechtung Indiens ist, verdeutlicht ein Blick auf die Handelsstatistik: Von Indiens weltweitem Handel wurden nur rund zwölf Prozent mit den vier anderen BRICS-Ländern getätigt. Von herausragender Bedeutung ist lediglich China mit über acht Prozent Anteil des gesamten indischen Außenhandels. Die übrigen drei BRICS-Partnerländer Brasilien, Russland und Südafrika sind dagegen bislang eher von untergeordneter Bedeutung. Dies zeigt auch die Tatsache, dass allein die Vereinigten Arabischen Emirate mit einem Anteil von fast zehn Prozent am gesamten indischen Außenhandel wichtiger sind als jedes BRICS-Land. Aber auch die Handelsbeziehungen mit China sind einseitig, da zwar China für Indiens Handel bedeutend ist, dies aber nicht umgekehrt gilt.

In jüngerer Zeit wird vor diesem Hintergrund die Funktion der BRICS als Lernforum für interne Entwicklungsstrategien betont. In der 2013 in Indien verfassten "Long-Term Vision for BRICS" wird eine Vielzahl gemeinsamer Herausforderungen benannt, etwa die Überwindung von Armut und Ungleichheit, die Herausbildung einer kaufkräftigen Mittelklasse, der Zugang zu Gesundheitssystemen oder der Bildungssektor. Der Think-Tank Gateway House hat derartige Perspektiven für Indien detailliert in den jeweiligen bilateralen Verhältnissen durchdekliniert. Ein besonderes Potenzial wird dabei in der verstärkten Interaktion mit Brasilien gesehen, um von Entwicklungserfolgen des jeweils anderen zu lernen.

Die BRICS-Gruppe soll aus indischer Sicht zudem ein Gegengewicht zur US-Dominanz schaffen und in den weltpolitischen Foren eine neue, nicht mehr westlich geprägte Architektur etablieren. Die weltwirtschaftliche Machtverschiebung mit dem hohen Wirtschaftswachstum der aufstrebenden Mächte soll sich nicht nur ökonomisch niederschlagen, sondern auch politisch durch mehr Mitsprache und Gestaltungsmöglichkeiten ausdrücken. Der indische Premierminister Singh sprach zur Eröffnung des vierten BRICS-Gipfels 2012 in Neu-Delhi von der Notwendigkeit einer raschen Reform der globalen Finanzinstitutionen. Aktuell geht es dabei um die Umsetzung der zwischen 2008 und 2010 vereinbarten Governance- und Quoten-Reform des IWF.

Die vierte Funktion, die Schaffung formeller Institutionen im Sinne eines multipolaren Institutionalismus, wurde – durchaus als Coup – beim BRICS-Gipfel 2012 mit der Einrichtung einer BRICS-Entwicklungsbank und einer gemeinsamen Währungsreserve als Stabilisierungsfonds (Contingent Reserve Arrangement, CRA) in Aussicht gestellt. Das Ziel der Bank, so wurde im März 2013 auf dem Gipfel in Durban beschlossen, ist "to mobilize resources for infrastructure and sustainable development projects in BRICS and other emerging economies and developing countries". Auf der Agenda desselben Gipfels stand auch die BRICS-Partnerschaft mit Afrika für Entwicklung, Integration und Industrialisierung. Es steht dabei außer Zweifel, dass die BRICS-Länder, und hier besonders China, über ein enormes Potenzial verfügen – selbst wenn sie insgesamt immer noch nennenswerte Kreditnehmer bei der Weltbank sind (aktuell beläuft sich die Summe der Kredite auf 88 Milliarden US-Dollar). Auch der Stabilisierungsfonds könnte eine nennenswerte Ausstrahlung haben, verfügen die BRICS-Staaten doch über Währungsreserven in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar.

BRICS-Bank als Lackmustest

Während die BRICS-Entwicklungsbank die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken in gewisser Weise herausfordert, ist der CRA von seinen Funktionen her eher dem IWF verwandt. Allerdings zeigt der Umsetzungsprozess, wie schwierig es ist, aus einem Club heraus eine operative Organisation zu gründen. So wurde zwar auf dem BRICS-Gipfel in Durban 2013 vereinbart, einen Stabilisierungsfonds von 100 Milliarden US-Dollar einzurichten, doch wurde die Errichtung der Bank auf den Gipfel in Brasilien im Frühjahr 2014 verschoben. Hintergrund sind nennenswerte Interessengegensätze, die zumindest fünf Punkte betreffen: den Standort, die Kapitalisierung, die Governance-Struktur, die Besetzung von Leitungspositionen sowie Kriterien hinsichtlich der Ausrichtung und möglicher Konditionalitäten.

Ob die BRICS-Bank tatsächlich eine Alternative zu den westlich geprägten Internationalen Finanzinstitutionen darstellt, wird sich daran messen lassen, ob sie innovative Mechanismen in Bezug auf Stimmrechte einführen kann. So ist als eine mögliche Option daran gedacht, dass die beteiligten Länder das gleiche Grundkapital einzahlen und auf dieser Basis gleiche Stimmrechte haben, um anschließend dann bei Aufstockungen ohne entsprechende Stimmrechte ihr ökonomisches Gewicht einbringen zu können.

Für Indien ist das Unterfangen ambivalent: Einerseits würde die Etablierung der Bank und des Fonds in das Gesamtkonzept einer multipolaren Welt passen und zugleich Indiens "strategische Autonomie" erhöhen. Andererseits ist offensichtlich, dass diese Institutionen ganz maßgeblich durch China geprägt wären. Angesichts dessen, dass Indien bislang recht gut mit den internationalen Finanzinstitutionen, aber auch der WTO "gefahren" ist, stellt sich die Frage, ob es bereit ist, seinem größten Rivalen hier einen entsprechenden Hebel zu geben. Zugespitzt gesagt: Fühlt sich Indien mit einem in den BRICS eingebrachten "Beijing Consensus" wohler als mit einem (Post-)Washington Consensus?

Wird durch die Initiativen auch die Abhängigkeit vom US-Dollar reduziert? Derzeit werden sämtliche Kapitalangaben noch in dieser Leitwährung angegeben. Zugleich wurde in Neu-Delhi im März 2012 vereinbart, im Rahmen des BRICS Interbank Cooperation Mechanism Kredite auch in lokaler Währung zu ermöglichen. Indien befindet sich in einem Zwiespalt: Einerseits ist der US-Dollar Ausdruck der amerikanischen Vorherrschaft; andererseits ist die einzige Alternative dazu, den Chinesischen Renminbi nach und nach zu einer internationalen Währung zu machen. Dies würde endgültig festschreiben, dass sich China in einer anderen Liga als Indien bewegt.

Fazit und Schlussfolgerungen

Die indischen Erwartungen an den BRICS-Club schwanken stark und sind maßgeblich durch das Verhältnis zu China geprägt. Einerseits gibt es die Auffassung, dass dieser Zusammenschluss für Indien besonders deshalb wichtig ist, weil Indien mit China "in einem Boot" sitzt. Andererseits aber erscheint China innerhalb der BRICS wirtschaftlich zu dominant und politisch zu mächtig. Salopp ausgedrückt bestehen die BRICS zu 50 Prozent aus China. Angesichts des spannungsreichen Verhältnisses zwischen Indien und China ist damit für die indische Regierung ausgeschlossen, dass der BRICS-Verbund als die wichtigste außenpolitische Option wahrgenommen und genutzt wird.

Zentrale Zielvorstellungen der BRICS entsprechen vollkommen der indischen Außenpolitik. Es gibt aber politische und wirtschaftliche Gründe, warum die indische Regierung das BRICS-Forum als nur eine von mehreren Möglichkeiten ansieht, die eigenen Interessen auf internationaler Bühne zu verwirklichen. Die Außenpolitik Indiens ist (unabhängig von den BRICS) äußerst reaktiv und durch Zurückhaltung geprägt. Es sind weniger weltpolitische Visionen, mit denen die indische Regierung außenpolitische Prioritäten setzt oder das indische Modell propagieren würde, an dem sich andere Länder orientieren könnten, als vielmehr eine bilateral (mit wichtigen Partnern) wie multilateral orientierte Außenpolitik, die auf Trends und Tendenzen konstruktiv oder auch widerstrebend, vorsichtig, zurückhaltend und gelegentlich ablehnend reagiert. Die indische Regierung nutzt Optionen, wenn sie indischen Interessen dienen und sich Gelegenheiten ergeben, betätigt sich aber selten als treibende Kraft.

Das zunehmende Engagement Indiens in Clubs weist darauf hin, dass das Land den "exklusiven Multilateralismus" für sich entdeckt hat. Mit dem Eingehen "selektiver Koalitionen" distanziert sich Indien ein Stück weit von seiner früheren Rhetorik, die Gleichheit und Gerechtigkeit betonte. Zugleich befindet es sich weiterhin im außenpolitischen Spagat zwischen "strategischer Autonomie" und der Übernahme von Verantwortung, die häufig auch mit Einbindung in globale Foren einhergeht. Dies hat nicht zuletzt auch mit Rücksichtnahmen auf einheimische Belange zu tun. So gibt es nach wie vor nennenswerte Widerstände gegenüber einer nachhaltigen Liberalisierung der Wirtschaft, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch fortbestehende und tief verwurzelte Vorbehalte gegenüber den USA.

Dadurch, dass Indien je nach Politikfeld die Partner wechselt und einen starken Impetus hat, etablierte Mächte auszubalancieren, tut es sich schwer, mittelfristig angelegte "Paketlösungen" mit Partnern zu erarbeiten und entsprechende Koppelgeschäfte zu vereinbaren. Die mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit zu integrative bargaining zeigte sich etwa bei den WTO-Verhandlungen in Doha 2008. Indien geriet mit Brasilien in einen Konflikt, als dieses Konzessionen unterstützte, um zu einem Abschluss zu kommen. Eine Ausnahme bildet allerdings das Verhalten gegenüber ärmeren und kleineren Entwicklungsländern. Hier zeigt sich Indien nach wie vor bereit, integrierend zu wirken, mitunter als "Stimme der Stimmlosen" zu agieren und etwa durch die Vorzugsbehandlung der Least Developed Countries (LDC) in den Handelsbeziehungen oder durch die Beteiligung an UN-Friedensoperationen internationale Verantwortung zu zeigen. Diese Reputation als soft power auch bei globalen Problemlösungen im Verhältnis zu etablierten und anderen aufstrebenden Mächten einzubringen, wird eine entscheidende Herausforderung indischer Außenpolitik der kommenden Jahre sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. C. Raja Mohan, India and the Balance of Power, in: Foreign Affairs, 85 (2006) 4, S. 19.

  2. Vgl. Mahendra Gaur, Focus: India’s Look East Policy, in: Foreign Policy Research Centre Journal, (2011) 8.

  3. Vgl. Herbert Wulf, India’s Aspirations in Global Politics, INEF-Report 10/2013, S. 24ff.

  4. Vgl. Auswärtiges Amt, Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen, Externer Link: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/608384/publicationFile/169965/Gestaltungsmaechtekonzept.pdf (14.11.2013).

  5. Das jährliche Wachstum ging von 8,7 Prozent zwischen 2004 und 2008 auf derzeit etwa 6,5 Prozent zurück. Vgl. Standard & Poor’s, Will India Be The First BRIC Fallen Angel?, Global Credit Portal: Ratings Direct, 8.6.2012.

  6. Indien lag beim Corruption Perception Index von Transparency International 2012 auf Platz 94 von 176 Ländern, beim "ease of doing business" Index der Weltbank für 2013 auf Platz 134 von 189 und beim Human Development Index 2013 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen auf Platz 136 von 186 Ländern. Vgl. Externer Link: http://www.transparency.org/cpi2012/results, Externer Link: http://www.doingbusiness.org/reports/global-reports/doing-business-2014 und Externer Link: http://hdr.undp.org/en/media/HDR2013_EN_Statistics.pdf (alle 14.11.2013).

  7. Vgl. Sandra Destradi, Tiger oder Kätzchen? Indiens außenpolitische Debatten zeugen von andauernder Selbstfindung, in: Internationale Politik, 68 (2013) 5, S. 93–99.

  8. Die Autoren führten im Oktober 2013 Interviews mit mehr als 30 indischen Außenpolitikexperten und Journalisten, bei denen die Positionierung Indiens innerhalb der BRICS eine wichtige Rolle spielte und zum Teil entsprechend kontrovers eingeschätzt wurde.

  9. Diese Politik wurde jüngst unrealistischerweise als non-alignment etikettiert. Vgl. Sunil Khilnani et al., Nonalignment 2.0. A Foreign and Strategic Policy for India in the Twenty First Century, 2012, Externer Link: http://www.cprindia.org/sites/default/files/NonAlignment%202.0_1.pdf (14.11.2013).

  10. So Stephen Cohen, India. Emerging power, Washington, DC 2001, S. 66, zit. nach: Amrita Narlikar, India Rising: Responsible to Whom?, in: International Affairs, 89 (2013) 3, S. 595–614, hier: S. 596.

  11. A. Narlikar (Anm. 10), S. 597.

  12. Vgl. Jayshree Bajoria/Esther Plan, The US-India Nuclear Deal, 2010, Externer Link: http://www.cfr.org/india/us-india-nuclear-deal/p9663#p3 (14.11.2013).

  13. Shankar Roychowdhury, Nuclear Realities, in: Decan Chronicle, 1.10.2013.

  14. So die Einschätzung der politischen Szene von dem Wissenschaftler Deepshikha Shahi, Indian Scholarship on International Relations and Multilateralism, in: Economic and Political Weekly, (2013) 5, S. 55.

  15. Vgl. Samir Saran/Ashok Kumar Singh/Vivan Sharan, A Long-Term Vision for BRICS, Neu-Delhi 2013, S. 57f.

  16. Interviews der Autoren mit Vivian Sharan und Samir Saran (beide Observer Research Foundation, Neu-Delhi) am 14. und 15.10.2013.

  17. Interviews der Autoren mit Indrani Bagchi (Times of India) und Pramit Chauduri (Hindustan Times) am 16.10.2013.

  18. Vgl. Government of India, Ministry of External Affairs, Annual Report 2012-13, S. 7 und S. 112, Externer Link: http://www.mea.gov.in/Uploads/PublicationDocs/21385_Annual_Report_2012-2013_English.pdf (14.11.2013).

  19. Vgl. Lysa John, Engaging BRICS, Oxfam India, Working Papers Series XII, September 2012, S. 6f.

  20. So im September 2013 am Rande der UN-Vollversammlung in New York mit einem Statement der BRICS-Außenminister. Vgl. Government of India, Ministry of External Affairs, 26.9.2013, Externer Link: http://www.mea.gov.in/bilateral-documents.htm?dtl/22259 (14.11.2013).

  21. Vgl. Joe Thomas Karackattu, BRICS Development Bank: The Way Forward, Indian Council of World Affairs, Issue Brief, 30.8.2013, S. 5f.

  22. Vgl. Government of India, Department of Commerce and Industry, 2013, Export Import Data Bank, Externer Link: http://commerce.nic.in/eidb/iecntq.asp (12.10.2013).

  23. Vgl. Gateway House (Indian Council on Global Relations), India and the BRICS, Mumbai 2012.

  24. Vgl. J.Th. Karackattu (Anm. 21), S. 4.

  25. Vgl. P.A. Jayan, BRICS: Advancing Cooperation and Strengthening Regionalism, in: India Quarterly, 68 (2012) 4, S. 363–384.

  26. Diese Summe mit Stand vom 30.9.2013 enthält sämtliche ausgezahlte und noch nicht ausgezahlte Kredite. Vgl. Externer Link: https://finances.worldbank.org/countries (14.11.2013, eigene Zusammenstellung).

  27. Vgl. Institute of Development Studies, What Next For The BRICS Bank?, IDS Rapid Response Briefing 3/2013.

  28. Im Zentrum des Washington Consensus stand eine neoliberal beeinflusste Strukturanpassungspolitik, wie sie lange Zeit von IWF und Weltbank vertreten wurde. Mit dem Beijing Consensus wird ein Alternativmodell umrissen, das staatskapitalistische Elemente enthält und sich von liberalen Normen abhebt.

  29. Vgl. A. Narlikar (Anm. 10), S. 607.

  30. Vgl. Gateway House (Anm. 23); Srinivas Subbarao Pasumarti, Is BRICS Bank Become Triumphant?, International Conference on Management and Information Systems, Vignan University Guntur, 22.–24.9.2013, S. 54f.

  31. Einer unserer indischen Gesprächspartner, Ravi Singh (Associate am Institute for Defence Studies and Analysis, Neu-Delhi), meinte am 13.10.2013: "India got hyphenated to China."

  32. Es bestehen ungelöste Grenzkonflikte und in der strategischen Community in Neu-Delhi wird eine Einkreisung durch China im Bereich des Indischen Ozeans beschworen. Vgl. Herbert Wulf, Indiens China-Perspektiven, in: Wissenschaft und Frieden, (2012) 4, S. 16ff.

  33. Im Interview der Autoren mit Zorwar Daulet Singh (Doktorand am King’s College, London) am 14.10.2013 sprach dieser von "reactive and reluctant".

  34. A. Narlikar (Anm. 10), S. 597.

  35. Vgl. ebd., S. 603ff. Die Doha-Runde scheiterte jedoch nicht allein am Widerstand Indiens; auch die Europäer und die USA zeigten sich gerade in der für Indien wichtigen Frage der Agrarsubventionen ebenso wenig kompromissfähig.

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Dr. sc. pol., geb. 1963; Professor für Politikwissenschaft, Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) und des Käte Hamburger Kollegs/Centre for Global Cooperation Research, Universität Duisburg-Essen, 47048 Duisburg. E-Mail Link: tobias.debiel@inef.uni-due.de

Dr. rer. pol., geb. 1939; Professor für Politikwissenschaft, Senior Expert Fellow am Käte Hamburger Kolleg (s.o.). E-Mail Link: wulf.herbert@web.de