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Subtile Erscheinungsformen von Sexismus

Julia C. Becker

/ 15 Minuten zu lesen

Ein Blick auf deutsche Verhältnisse zeigt erfolgreiche Managerinnen, Väter in Elternzeit, eine Frau als Bundeskanzlerin. Soziale Rollen scheinen von der Geschlechtszugehörigkeit entkoppelt: Jede Berufs- und Lebenskonstellation erscheint möglich – unabhängig davon, ob man weiblich oder männlich ist. Hat Deutschland also überhaupt noch ein "Sexismusproblem"? Sexismus wird definiert als individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen oder institutionelle und kulturelle Praktiken, die entweder eine negative Bewertung einer Person aufgrund ihres Geschlechts widerspiegeln oder den ungleichen Status zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft aufrechterhalten.

Bei genauerer Betrachtung ist das oben beschriebene komplexe und unsystematische Bild leicht zu vereinfachen: All diese Beispiele stellen Ausnahmen der Regel dar – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das belegen objektive Indikatoren für Geschlechterungleichheit wie das "Gender Empowerment Measure" (GEM, ein Indikator für das Geschlechterverhältnis in Politik und Wirtschaft eines Landes) und der "Gender Inequality Index" (GII, ein Indikator für Geschlechtsunterschiede in Gesundheit, Wohlstand, Bildung, etc.), die jährlich in über 150 Ländern der Welt gemessen werden. In keinem der untersuchten Länder ist die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern verwirklicht: Obwohl es große Differenzen gibt, sind Frauen in allen Ländern in Positionen unterrepräsentiert, die mit Macht und Status zusammenhängen (beispielsweise Parlamente, Führungspositionen), übernehmen dafür aber überproportional mehr Care-Arbeit (Sorge- und Pflegetätigkeiten) und haben in allen untersuchten Ländern eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu Männern. Diese objektiven Indizes der strukturellen Benachteiligung von Frauen schlagen sich auch in individuellen sexistischen Einstellungen nieder: Eine Umfrage des Projekts "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" zeigt, dass im Jahr 2010 immer noch ein Fünftel (20 Prozent) der deutschen Bevölkerung der Aussage zustimmt, "Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen".

Es kann also festgehalten werden, dass, obwohl sich die Bedingungen für Frauen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert haben (beispielsweise bezüglich der beruflichen Entwicklung), Frauen nach wie vor sowohl strukturell benachteiligt als auch von alltäglicher Diskriminierung betroffen sind. Eine Möglichkeit, strukturelle Benachteiligung aufrechtzuerhalten und die Privilegien einer Gruppe zu schützen (hier: der Gruppe der Männer), ist die Verbreitung legitimierender Ideologien und Vorurteile über die benachteiligte Gruppe (hier: die Verbreitung sexistischer Einstellungen). Sexistische Einstellungen äußern sich unterschiedlich. In den vergangenen Jahrzehnten hat ein Wandel stattgefunden vom Ausdruck offener sexistischer Einstellungen zu mehr subtilen und versteckten Formen der Diskriminierung. In diesem Beitrag werden, aus sozialpsychologischer Perspektive, die drei wesentlichen subtilen Erscheinungsformen des Sexismus vorgestellt: Moderner Sexismus, Neosexismus und Ambivalenter (Benevolenter und Hostiler) Sexismus. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt in der Skizzierung des Konzepts des Benevolenten Sexismus. Anschließend werden die negativen Konsequenzen benevolent sexistischer Einstellungen dargestellt und Möglichkeiten der Reduktion beziehungsweise Konfrontation subtil sexistischer Einstellungen diskutiert.

Moderner Sexismus und Neosexismus

Angelehnt an Forschung zu modernem Rassismus wurden die Konzepte des Modernen Sexismus und Neosexismus in den USA beziehungsweise Kanada unabhängig voneinander im gleichen Jahr entwickelt, um "versteckte" Vorurteile gegenüber Frauen zu messen. Moderner Sexismus ist definiert als die Leugnung von Diskriminierung und die Ablehnung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Ungleichheit abzubauen. Neosexismus wird als Konflikt zwischen egalitären Werten (Frauen und Männer sollten gleich behandelt werden) und negativen Emotionen gegenüber Frauen definiert. Beide Konzepte lassen sich durch drei Komponenten charakterisieren: 1) Leugnung fortgesetzter Diskriminierung ("Diskriminierung von Frauen ist heute kein Problem mehr in Deutschland"), 2) Widerstand gegen vermeintliche Privilegien von Frauen ("In den letzten Jahren haben Frauen mehr von der Regierung erhalten als ihnen zustehen würde") und 3) Ablehnung von Forderungen nach Gleichbehandlung ("Die Forderungen von Frauen nach Gleichberechtigung sind vollkommen überzogen"). Moderner und Neosexismus liefern somit ideologische Rechtfertigungen für bestehende Ungleichheit: Der Status quo wird als fair wahrgenommen, und eine Reduktion von Geschlechterungleichheit wird folglich verhindert.

Obwohl Männer in der Regel Modernem und Neosexismus in stärkerem Ausmaß zustimmen als Frauen, stimmt auch ein substanzieller Anteil an Frauen Modernem und Neosexismus zu. Dass auch Frauen Diskriminierung leugnen und sich gegen Maßnahmen für Geschlechtergerechtigkeit aussprechen, wirkt zunächst erstaunlich. Eine Theorie, die beiträgt, diesen Befund zu erklären, ist die der Systemrechtfertigung. Diese besagt, dass Menschen nicht nur die Motivation haben, sich selbst und die Gruppen, denen sie angehören, positiv zu bewerten, sondern auch das übergeordnete System, in dem sie leben. Nach dieser Theorie haben Menschen das allgemeine Bedürfnis, gesellschaftliche Verhältnisse als gerecht und legitim wahrzunehmen. Das bedeutet, dass Menschen an eine gerechte und vorhersagbare Welt glauben möchten, in der jede Person bekommt, was sie verdient. Angewandt auf Modernen und Neosexismus kann die Erkenntnis, dass Frauen immer noch diskriminiert werden, das Individuum in einen unangenehmen, aversiven Zustand versetzen, da diese Erkenntnis impliziert, dass die Welt nicht vorhersagbar ist und eine Frau nicht die vollkommene Kontrolle über ihre Leben hat. Eine Strategie, die auch Frauen anwenden, um diesem aversiven Kontrollverlust zu entgehen, ist, gesellschaftliche Ungerechtigkeit – wie die Benachteiligung von Frauen – zu leugnen oder als individuelles Problem einzelner Frauen zu rechtfertigen. Obwohl eine solche Leugnung für die Frau als Individuum psychologisch nachvollziehbar ist, hat sie zur Folge, dass soziale Veränderung gehemmt wird, weil strukturelle Ungerechtigkeit bestehen bleibt. Verschiedene Forschungsbefunde belegen dies: Zum Beispiel geht Moderner Sexismus mit einer Ablehnung egalitärer Werte und Affirmative-Action-Maßnahmen wie Quotenregelungen einher. Außerdem sind Frauen, die mit Modernem Sexismus konfrontiert werden, weniger interessiert, gegen Geschlechterungleichheit vorzugehen.

Moderner und Neosexismus sind konzeptuell zwar eng verwandt, unterscheiden sich aber in ihrer Operationalisierung. Die Skala zur Messung des Modernen Sexismus bildet vor allem die erste Komponente (Leugnung fortgesetzter Diskriminierung) ab, während die Skala zur Messung von Neosexismus vorwiegend die zweite und dritte Komponente abbildet (Widerstand gegen vermeintliche Privilegien und Ablehnung von Forderungen nach Gleichbehandlung).

Ambivalenter Sexismus

Die Publikation des Konzepts des Ambivalenten Sexismus war ein Meilenstein in der Sexismusforschung. Zum ersten Mal wurde Sexismus nicht allein als negative Einstellung definiert, sondern es wurde dargelegt, dass auch vermeintlich positive Einstellungen zur Aufrechterhaltung des Status quo beitragen können. Ambivalenter Sexismus bezeichnet das Zusammenspiel aus Hostilem (feindlichem) Sexismus und Benevolentem (wohlwollendem) Sexismus. Hostiler Sexismus drückt sich in einer negativen Sichtweise auf Frauen aus. Er ist begründet in der Überzeugung, dass Männer ihren höheren Status verdienen und gleichzeitig gekennzeichnet durch die Furcht, diesen höheren Status durch Frauen verlieren zu können. Im Kern geht es um männliches Bedrohungserleben und die damit einhergehende Abwertung der Bedrohungsquelle: Hostile Sexisten gehen davon aus, dass Frauen das Ziel verfolgen, Macht und Kontrolle über Männer zu erlangen, entweder durch feministische Ideologie oder durch das Ausnutzen ihrer sexuellen Attraktivität. Hostiler Sexismus richtet sich daher vor allem gegen nicht-traditionelle Frauentypen wie Feministinnen und Karrierefrauen.

Benevolenter Sexismus erscheint hingegen im Gewand der "Ritterlichkeit" beziehungsweise des "Kavaliertums". Aus der subjektiven Sicht der Benevolenten Sexisten stellt er positive Überzeugungen und Verhaltensweisen gegenüber Frauen dar. Benevolent sexistisches Verhalten lässt sich beispielsweise wie folgt beobachten: Ein Mann bietet einer Frau an, eine relativ einfache Aufgabe zu übernehmen, wie das Installieren eines Computerprogramms, damit sie sich "als Frau nicht damit herumschlagen muss". Genauer lässt sich Benevolenter Sexismus durch die drei Subfacetten protektiver Paternalismus, komplementäre Geschlechterdifferenzierung und heterosexuelle Intimität beschreiben. Protektiver Paternalismus ist durch die Überzeugung gekennzeichnet, dass Männer Frauen beschützen und finanziell versorgen müssen. Komplementäre Geschlechterdifferenzierung bezieht sich auf eine Betrachtungsweise von Frauen als das "bessere Geschlecht" und drückt sich in positiven, aber geschlechterrollenkonformen Zuschreibungen aus: Frauen werden als warmherziger, liebevoller und taktvoller als Männer beschrieben. Heterosexuelle Intimität bezieht sich auf ein romantisch verklärtes Bild von einer Frau als Partnerin, ohne die ein Mann kein sinnerfülltes Leben führen kann ("Männer sind ohne Frauen unvollkommen").

Auf den ersten Blick erscheinen die drei Subfacetten freundlich, harmlos und unproblematisch: Hilfestellungen und Schutzangebote sind zunächst einmal prosoziale, positive Gesten, die eigentlich verstärkt statt verändert werden sollten. In der Tat müssen benevolente Verhaltensweisen nicht immer sexistisch motiviert sein, sie können genauso gut einfach nett gemeint sein. Benevolente Verhaltensweisen werden erst dann sexistisch, wenn sie nur für ein Geschlecht gelten und es nicht gewünscht wird, wenn Frauen sich in gleicher Art und Weise "paternalistisch" verhalten. Gleiches gilt auch für die komplementäre Geschlechterdifferenzierung: Auch positive Zuschreibungen und Komplimente werden erst dann problematisch, wenn sie einseitig sind und nur für Frauen gelten. Forschungen zeigen, dass die positiven "wärmebezogenen" Zuschreibungen nicht mit positiven "kompetenzbezogenen" Zuschreibungen (beispielsweise intelligent, eigenständig) einhergehen. Das Resultat ist, dass Frauen zwar als wunderbar charakterisiert werden, aber auch als schwach und schutzbedürftig. Des Weiteren prädestiniert diese Zuschreibung Frauen für Rollen mit niedrigem Status. Durch die dritte Subfacette, heterosexuelle Intimität, wird das Konzept der heterosexuellen Liebe idealisiert und als das begehrenswerteste Ziel eines Menschen dargestellt. Eine Frau wird als schmückendes Accessoire stilisiert, welches ein erfolgreicher Mann für ein erfülltes Leben haben sollte. Bevor im Detail weitere negative Konsequenzen benevolent sexistischer Überzeugungen beschrieben werden, werden Ursprung und aktueller Forschungsstand des Konzepts des Ambivalenten Sexismus vorgestellt.

Zusammenhang zwischen Hostilem und Benevolentem Sexismus

Ambivalenter Sexismus basiert auf dem Zusammenspiel zwischen struktureller Macht und dyadischer Macht: Strukturelle Macht bezieht sich auf die Kontrolle über die Verteilung wirtschaftlicher und sozialer Ressourcen, welche in besonderem Maße von Männern ausgeübt wird. Dyadische Macht ist die Macht in Zweierbeziehungen und bezieht sich auf die Kontrolle über das Bedürfnis nach Nähe, Intimität, Sexualität und Nachwuchs. In heterosexuellen Beziehungen haben sowohl Frauen als auch Männer dyadische Macht. Somit sind Männer im Beziehungsbereich in gewisser Hinsicht auch von Frauen abhängig – was die Grundlage ambivalent sexistischer Einstellungen prägt: Dem Soziologen Peter Glick und der Psychologin Susan Fiske zufolge sind Männer motiviert, sich nett gegenüber Frauen zu verhalten und prosoziale Verhaltensweisen bei Frauen zu verstärken, damit ihre eigenen Wünsche nach Intimität ohne soziale Konflikte erfüllt werden.

Eine kulturvergleichende Studie in 19 Ländern zeigt, dass Hostiler und Benevolenter Sexismus überall positiv korreliert sind: Eine Person, die hostil sexistischen Aussagen zustimmt, stimmt auch mit hoher Wahrscheinlichkeit benevolent sexistischen Aussagen zu. Personen, die ausschließlich Hostilem, nicht aber Benevolentem Sexismus zustimmen (oder umgekehrt), existieren nur zu einem geringen Prozentsatz. Obwohl Hostiler und Benevolenter Sexismus gemeinsam bei einem Individuum auftreten, werden sie nicht allen Frauen gleichermaßen entgegengebracht. Während Frauen, die sich konform zu traditionellen Geschlechterrollen verhalten, mit Benevolentem Sexismus "belohnt" werden, wird Hostiler Sexismus gegen nicht-konforme Frauen eingesetzt. Somit werden durch das Zusammenspiel aus beiden Überzeugungen patriarchale Strukturen stabilisiert und Geschlechterungerechtigkeit aufrechterhalten.

Hostiler und Benevolenter Sexismus hängen ebenfalls mit den oben bereits vorgestellten objektiven Indikatoren für Geschlechterungleichheit (GEM, GII) zusammen. Das bedeutet, dass je stärker Frauen strukturell benachteiligt sind und je schlechter ihre Lebensqualität im Vergleich zu Männern ist, desto mehr stimmen Menschen in diesem Land Hostilem und Benevolentem Sexismus zu. Wie bei Modernem und Neosexismus kann auch bei Ambivalentem Sexismus beobachtet werden, dass auch Frauen benevolent und hostil sexistischen Einstellungen zustimmen – obwohl sich diese Arten von Sexismus ebenfalls gegen ihre eigene Gruppe richten. Zur Erklärung wird im Folgenden die Internalisierung sexistischer Einstellungen betrachtet.

Internalisierung von Sexismus

Obwohl Frauen in allen Ländern Hostilen Sexismus stärker ablehnen als Männer, stimmen sie Benevolentem Sexismus in manchen Ländern stärker zu als Männer. Wie ist das zu erklären? Zunächst einmal ist Benevolenter Sexismus schmeichelhaft. Da Menschen gern Komplimente bekommen und es einige Frauen mögen, auf Händen getragen und beschützt zu werden, verspricht dieses Konzept erst einmal Vorteile. Forschungsergebnisse zeigen, dass es Frauen vorteilhafter finden, eine Frau zu sein, wenn sie mit benevolent sexistischen Einstellungen konfrontiert werden. Benevolenter Sexismus suggeriert, die negativen Konsequenzen, die Hostiler Sexismus mit sich bringt, ausgleichen zukönnen, sodass scheinbar kein Geschlecht im Nachteil ist und das Verhältnis zwischen Frauen und Männern insgesamt als fair und gerecht betrachtet werden kann. Studien zeigen des Weiteren, dass viele Frauen benevolente Sexisten mögen – und zwar nicht nur lieber mögen als hostile Sexisten, sondern sogar mehr schätzen als nicht-sexistische Männer. Die Internalisierung benevolent sexistischer Ideologien findet bereits in der Kindheit statt, wenn Mädchen lernen, Prinzessin zu spielen, während Jungen beigebracht wird, Ritterburgen zu bauen. Diese Rollen werden ihnen nicht nur alltäglich direkt vorgelebt und bei ihnen positiv verstärkt, sondern auch über Medien transportiert.

Durch Benevolenten Sexismus werden Frauen- und Männerbilder propagiert, die Frauen und Männern klare Verhaltenscodes vorschreiben. Zum Beispiel wird von Frauen erwartet, nett zu sein und die Bedürfnisse anderer Menschen vor die eigenen Bedürfnisse zu stellen. Im Laufe der Sozialisation internalisieren, das heißt verinnerlichen viele Mädchen und Frauen diese Rollenerwartung. Es bilden sich sogenannte self-silencing beliefs (eine Überzeugung, sich selbst zum Schweigen zu bringen). Für ein friedliches und harmonisches Miteinander sind solche Überzeugungen natürlich vorteilhaft. Problematisch werden sie dann, wenn sie für Frauen, nicht aber für Männer gelten, und es bei Frauen weniger gern gesehen wird, wenn sie ihre Gedanken und Gefühle offen äußern. Studien zeigen, dass Frauen, die self-silencing beliefs internalisiert haben, ein niedrigeres psychologisches Wohlbefinden haben und sich weniger trauen, gegen Alltagssexismus in ihrem Leben vorzugehen.

Schließlich zeigt Forschung zur Internalisierung von Sexismus, dass einige Frauen sogar hostil sexistischen Aussagen zustimmen wie "Wenn Frauen in einem fairen Wettbewerb gegenüber Männern den Kürzeren ziehen, behaupten sie gerne, sie seien diskriminiert worden". Forschungsbefunde zeigen, dass Frauen diese Aussagen allerdings nicht auf sich selbst und auch nicht auf Frauen als soziale Kategorie beziehen, sondern gegen nicht-traditionelle Frauentypen wie Karrierefrauen und Feministinnen richten.

Negative Konsequenzen von wohlwollendem Sexismus

Wie oben beschrieben, werden Frauen durch benevolent sexistische Zuschreibungen nicht nur als wunderbar und warmherzig, sondern ebenfalls als inkompetent und schwach charakterisiert. Neben den vorgestellten Vorteilen, die Benevolenter Sexismus für Frauen mit sich bringen kann, können negative Konsequenzen auf der Mikroebene (für Frauen als Individuen) und Makroebene (für Frauen als soziale Kategorie) unterschieden werden. Benevolenter Sexismus stellt für Frauen auf der Mikroebene ein Problem dar: Studien zeigen, dass sich bei Frauen, die Benevolentem Sexismus ausgesetzt sind, die kognitive Leistungsfähigkeit reduziert. Das liegt daran, dass durch Benevolenten Sexismus das Stereotyp unbewusst aktiviert wird, dass Frauen weniger kompetent sind und die so hervorgerufenen Selbstzweifel den kognitiven Verarbeitungsprozess stören. Interessanterweise zeigt sich, dass Frauen in dieser Studie keinen Sexismus wahrgenommen haben, aber trotzdem in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wurden. Das bedeutet, dass Benevolenter Sexismus auch dann (oder gerade dann) negative Effekte haben kann, wenn er nicht bewusst wahrgenommen wird.

Auf der Makroebene wird durch Benevolenten Sexismus die Geschlechterungleichheit aufrechterhalten, indem Widerstand gegen Sexismus ausgehebelt wird. Frauen akzeptieren Diskriminierung von ihrem eigenen Partner eher, wenn dieser die Diskriminierung benevolent rechtfertigt ("Das ist doch nur zu deinem Schutz"). In gleicher Weise zeigt sich, dass Frauen, die Benevolentem Sexismus ausgesetzt sind, die Beziehung zwischen Frauen und Männern gerechter finden und weniger bereit sind, aktiv gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Daher wird Benevolenter Sexismus auch als die "eiserne Faust im Samthandschuh" bezeichnet: Durch die Wahrnehmung einiger Vorteile, die er mit sich bringt, erscheint das "Geschlechtersystem" als solches ausbalanciert und eine Veränderung wird nicht als erstrebenswert erachtet.

Ambivalente Einstellungen gegenüber Männern

Da einige Frauen Benevolenten Sexismus ablehnen, andere ihn aber wiederum wertschätzen und einfordern, sind Männer oft verunsichert, da sie nicht wissen, wie sie sich "richtig" verhalten sollen. Zu dieser Problematik gibt es derzeit nur unzureichende Forschung. Was im Bereich Vorurteile gegenüber Männern bislang erforscht wurde, ist das Konzept der ambivalenten Einstellungen von Frauen gegenüber Männern. Auch hier geht es um das Zusammenspiel von hostilen und benevolenten Einstellungen.

Hostilität gegenüber Männern drückt sich in den Annahmen aus, dass alle Männer ihre Macht ausnutzen, ihre Kontrolle aufrechterhalten wollen und Frauen als Sexobjekte betrachten. Außerdem werden Männer in solchen Bereichen negativ beschrieben, in denen sich Frauen überlegen fühlen. Dies spiegelt sich beispielsweise in der Überzeugung wider, dass "Männer wie Babys sind, wenn sie krank sind". Benevolenz gegenüber Männern drückt sich hingegen in einer Idealisierung von Männern aus. Männer werden als Beschützer und Versorger idealisiert ("Männer behalten in Notsituationen die Nerven") – was mit der Annahme einhergeht, dass sich Frauen zuhause um ihre Männer kümmern müssen ("Auch wenn beide Ehepartner einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ist es die Aufgabe der Frau, sich zuhause um ihren Mann zu kümmern"). Schließlich spielt auch hier – wie beim Benevolenten Sexismus gegenüber Frauen – die Überzeugung eine Rolle, dass jede Frau einen Mann braucht, um ein erfülltes Leben zu führen ("Frauen sind ohne Männer unvollkommen").

Hostilität und Benevolenz gegenüber Männern sind nicht feministisch – im Gegenteil, sie basieren auf der Annahme, dass Männer von Natur aus dominant sind und sich daran nichts ändern lässt. Sie tragen ebenfalls dazu bei, den ungleichen Status zwischen Frauen und Männern zugunsten der Männer zu verstärken.

Fazit – Konfrontation von subtilem Sexismus?

Der Ausdruck sexistischer Verhaltensweisen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Während klassische Formen von Sexismus nicht mehr so stark in den "westlichen" Ländern verbreitet sind, haben subtil sexistische Verhaltensweisen wie Moderner, Neo- und Benevolenter Sexismus zugenommen. Da diese schwerer zu erkennen sind, wird das Konfrontieren sexistischer Handlungen zu einer Herausforderung. Anfang 2013 stand Sexismus im Zentrum des öffentlichen Interesses, weil eine Journalistin ein benevolent sexistisches Kompliment eines Politikers öffentlich als Diskriminierung definiert hat. Die Reaktionen fielen polarisiert aus. Die einen unterstützten die Journalistin und twitterten ihre eigenen Erfahrungen mit und Beobachtungen von Alltagssexismus, die anderen reagierten mit Verständnislosigkeit und brachten ihr Hostilen Sexismus entgegen.

Bislang gibt es erst wenige wissenschaftliche Untersuchungen, wie subtile sexistische Vorurteile und Verhaltensweisen verändert werden können. Forschungsergebnisse zeigen aber, dass das Benennen und Konfrontieren von Sexismus positiv wirken kann. Zum einen wird die konfrontierende Person kompetenter eingeschätzt. Zum anderen reduziert die Konfrontation die Wahrscheinlichkeit, dass sich die andere Person ein weiteres Mal sexistisch äußert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Janet K. Swim/Laurie L. Hyers, Sexism, in: Todd D. Nelson (Hrsg.), Handbook of Prejudice, Stereotyping, and Discrimination, New York 2009.

  2. Vgl. Gender Inequality Index, Externer Link: http://data.un.org/DocumentData.aspx?q=HDI+&id=332 (1.1.2014).

  3. Vgl. Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände, Folge 9, Frankfurt/M. 2010.

  4. Vgl. Alltags-Sexismus (@aufschreien), Externer Link: https://twitter.com/aufschreien (1.1.2014).

  5. Aus Platzgründen betrachte ich in diesem Beitrag nur die Kategorien Frau und Mann. Für eine Kritik dieser Dichotomisierung siehe beispielsweise Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 2003.

  6. Vgl. Janet K. Swim et al., Sexism and Racism: Old-fashioned and Modern Prejudices, in: Journal of Personality and Social Psychology, 68 (1995), S. 199–214; Francine Tougas et al., Neosexism: Plus ça change, plus c’est pareil, in: Personality and Social Psychology Bulletin, 21 (1995), S. 842–849.

  7. Vgl. ebd.

  8. Vgl. ebd.

  9. Vgl. F. Tougas et al. (Anm. 6). Für eine deutsche Übersetzung der Skala zu Modernem und Neosexismus siehe Thomas Eckes/Iris Six-Materna, Leugnung von Diskriminierung: Eine Skala zur Erfassung des Modernen Sexismus, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 29 (1998), S. 224–238.

  10. Vgl. John T. Jost/Aaron C. Kay, Exposure to Benevolent Sexism and Complementary Gender Stereotypes: Consequences for Specific and Diffuse Forms of System Justification, in: Journal of Personality and Social Psychology, 88 (2005), S. 498–509.

  11. Vgl. Melvin J. Lerner, The Belief in a Just World: A Fundamental Delusion, New York 1980.

  12. Vgl. J.K. Swim/L.L. Hyers (Anm. 1).

  13. Vgl. Naomi Ellemers/Manuela Barreto, Collective Action in Modern Times: How Modern Expressions of Prejudice Prevent Collective Action, in: Journal of Social Issues, 65 (2009), S. 749–768.

  14. Vgl. Peter Glick/Susan T. Fiske, The Ambivalent Sexism Inventory: Differentiating Hostile and Benevolent Sexism, in: Journal of Personality and Social Psychology, 70 (1996), S. 491–512.

  15. Für eine deutsche Übersetzung der Skala zu Ambivalentem Sexismus siehe Thomas Eckes/Iris Six-Materna, Hostilität und Benevolenz: Eine Skala zur Erfassung des Ambivalenten Sexismus, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 30 (1999), S. 211–228.

  16. Vgl. Alice H. Eagly/Antonio Mladinic, Are People Prejudiced Against Women? Some Answers From Research on Attitudes, Gender Stereotypes, and Judgments of Competence, in: European Review of Social Psychology, 5 (1994), S. 1–35.

  17. Vgl. Marcia Guttentag/Paul F. Secord, Too Many Women?, Beverly Hills 1983.

  18. Vgl. Peter Glick/Susan T. Fiske (Anm. 14).

  19. Vgl. Peter Glick et al., Beyond Prejudice as Simple Antipathy: Hostile and Benevolent Sexism across Cultures, in: Journal of Personality and Social Psychology, 79 (2000), S. 763–775.

  20. Vgl. John T. Jost/Aaron C. Kay (Anm. 10).

  21. Vgl. Gerd Bohner/Katrin Ahlborn/Regine Steiner, How Sexy are Sexist Men? Women’s Perception of Male Response Profiles in the Ambivalent Sexism Inventory, in: Sex Roles, 62 (2010), 568–582.

  22. Vgl. Janet K. Swim/Kristen M. Eyssell/Erin Quinlivan Murdoch/et al., Self-Silencing to Sexism, in: Journal of Social Issues, 66 (2010), S. 493–507.

  23. Vgl. Julia C. Becker, Why do Women Endorse Hostile and Benevolent Sexism? The Role of Salient Female Subtypes and Personalization of Sexist Contents, in: Sex Roles, 62 (2010), S. 453–467.

  24. Vgl. Benoit Dardenne/Muriel Dumont/Thierry Bollier, Insidious Dangers of Benevolent Sexism: Consequences for Women’s Performance, in: Journal of Personality and Social Psychology, 93 (2007), S. 764–779.

  25. Vgl. Miguel Moya et al., It’s for Your Own Good: Benevolent Sexism and Women’s Reactions to Protectively Justified Restrictions, in: Personality and Social Psychology Bulletin, 33 (2007), S. 1421–1434.

  26. Vgl. Julia C. Becker/Stephen C. Wright, Yet Another Dark Side of Chivalry: Benevolent Sexism Undermines and Hostile Sexism Motivates Collective Action for Social Change, in: Journal of Personality and Social Psychology, 101 (2011), S. 62–77.

  27. Vgl. Mary, R. Jackman, The Velvet Glove: Paternalism and Conflict in Gender, Class, and Race Relations, Berkeley 1994.

  28. In einer Reihe von Studien untersuchen wir derzeit die Auswirkungen benevolent sexistischer Verhaltensweisen auf Männer.

  29. Vgl. Peter Glick/Susan T. Fiske, The Ambivalence toward Men Inventory: Differentiating Hostile and Benevolent Beliefs About Men, in: Psychology of Women Quarterly, 23 (1999), S. 519–536.

  30. Vgl. Laura Himmelreich, Der Herrenwitz, in: Stern, Nr. 5 vom 24.1.2013, Externer Link: http://www.stern.de/1964668.html (5.1.2014).

  31. Vgl. Julia C. Becker/Matthew J. Zawadzki/Stephanie A. Shields, Confronting and Reducing Sexism: Creating Interventions that Work, in: Journal of Social Issues (i.E.).

  32. Vgl. ebd.

  33. Vgl. Laurie Hyers, Resisting Prejudice Every Day: Exploring Women’s Assertive Responses to Anti-Black Racism, Anti-Semitism, Heterosexism, and Sexism, in: Sex Roles, 56 (2007), S. 1–12.

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Dr. rer. nat., Dipl.-Psych., geb. 1978; Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Osnabrück, Seminarstraße 20, 49076 Osnabrück. E-Mail Link: julia.becker@uni-osnabrueck.de