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Die Regulierung des internationalen Waffenhandels

Max M. Mutschler

/ 17 Minuten zu lesen

Der internationale Handel mit Waffen und Rüstungsgütern ist ein Milliardengeschäft. Immer wieder kann man in der Presse über diverse Skandale im Zusammenhang mit internationalen Waffengeschäften lesen. Meist geht es um Korruption oder die Lieferung von Waffen an autoritäre Regime. Zu bedenken ist allerdings auch, dass Waffen eine legitime Funktion im Rahmen staatlicher Sicherheitspolitik haben – zur Selbstverteidigung gegen Aggression oder deren Abschreckung. Aus dieser Perspektive ist auch der internationale Handel mit Waffen nicht grundsätzlich illegitim. Allerdings weist er eine ganze Reihe von Problemen auf. Höchst problematisch ist zum Beispiel die Lieferung von Waffen in Krisengebiete, in denen sie die Eskalation von Konflikten befeuern können. Außerdem können Waffen von autoritären Regimen missbraucht werden, um die eigene Bevölkerung zu unterdrücken.

Aus diesen Gründen gab es immer wieder Versuche, den internationalen Waffenhandel zu regulieren. Nach dem Ende des Kalten Krieges erhöhte sich der Druck, im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) für mehr Transparenz und Regeln zu sorgen. Auf Druck einer transnationalen Kampagne mehrerer Nichtregierungsorganisationen unter dem Motto "Waffen unter Kontrolle!" begann die Staatengemeinschaft 2006 einen mehrjährigen Konsultations- und Verhandlungsprozess mit dem Ziel, internationale Standards für den Handel mit konventionellen Waffen zu erarbeiten. 2013 konnte sich dann eine breite Mehrheit von Staaten auf einen solchen Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT) einigen.

Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die wichtigsten Zahlen und Fakten des internationalen Waffenhandels sowie über die zentralen, damit zusammenhängenden Probleme gegeben. Anschließend werden die Ansätze und Versuche, diesen Handel zu regulieren, näher beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem jüngsten und weitreichendsten Versuch, dem 2013 ausgehandelten ATT. Obgleich dieser Vertrag eine ganze Reihe von Schwachstellen aufweist und seine unmittelbare Wirkung auf den internationalen Waffenhandel zunächst eher begrenzt sein dürfte, ist er doch ein wichtiger Schritt im Prozess der Normbildung für den Handel mit Waffen.

Internationaler Waffenhandel

Das Gesamtvolumen des weltweiten Waffenhandels 2011 – gemessen am Wert der weltweit in diesem Jahr abgeschlossenen Transferabkommen – belief sich auf 85,3 Milliarden US-Dollar. Jedes Jahr präsentiert das schwedische Friedensforschungsinstitut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) neue Daten zum weltweiten Handel mit Rüstungsgütern. Um Verzerrungen aufgrund von kurzfristigen Schwankungen auf dem globalen Rüstungsmarkt zuvorzukommen, bilden die SIPRI-Zahlen immer einen Fünfjahreszeitraum ab. Erfasst werden allerdings nicht alle Exporte von Rüstungsgütern, sondern lediglich konventionelle Großwaffensysteme wie zum Beispiel Flugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge, Schiffe und Raketen. Transfers von kleinen und leichten Waffen werden nicht erfasst.

Die aktuellsten Zahlen stammen vom März 2014. Demnach ist das Gesamtvolumen des internationalen Waffenhandels im Zeitraum zwischen 2009 und 2013 im Vergleich zum Zeitraum zwischen 2004 und 2008 um 14 Prozent angestiegen. Die fünf größten Exporteure sind die USA, Russland, Deutschland, China und Frankreich. Während auf die USA 29 und auf Russland 27 Prozent des weltweiten Rüstungshandels entfallen, liegt Deutschland mit 7 Prozent auf Platz drei; vor China mit 6 und Frankreich mit 5 Prozent. Der vierte Platz Chinas verweist auf den Trend, dass sich aufstrebende Mächte nicht mehr allein damit zufrieden geben, Rüstungsgüter überwiegend zu importieren, sondern dass sie verstärkt die eigene Rüstungsindustrie auf- oder ausbauen und damit zunehmend zu Konkurrenten der etablierten Rüstungsexporteure werden. Dementsprechend sind die chinesischen Rüstungsexporte zwischen 2004 bis 2008 und 2009 bis 2013 um 212 Prozent gewachsen. Das entspricht einem Anstieg des Anteils am Gesamtvolumen der weltweiten Rüstungsexporte von 2 auf 6 Prozent. Damit hat China in den vergangenen Jahren sowohl Großbritannien als auch Frankreich überholt. Deutschland hat seinen Rang als drittgrößter Rüstungsexporteur behauptet, obwohl seine Exporte zwischen 2004 bis 2008 und 2009 bis 2013 um 24 Prozent zurückgegangen sind.

Die fünf größten Importeure von Rüstungsgütern im Zeitraum zwischen 2009 und 2013 waren Indien, China, Pakistan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. 32 Prozent aller Rüstungsimporte aus diesem Zeitraum entfallen auf diese fünf Staaten, wobei Indien mit 14 Prozent diese Gruppe mit deutlichem Abstand vor China (5 Prozent) anführt. Die Hauptimporteure von Rüstungsgütern aus Deutschland waren in diesem Zeitraum die USA, Griechenland und Israel. Die beiden Weltregionen, die die stärksten Zuwächse zwischen 2004 bis 2008 und 2009 bis 2013 verbuchen konnten, sind Afrika mit einer Steigerung um 53 Prozent und Asien und Ozeanien mit einem Anstieg um 34 Prozent. Damit liegen Asien und Ozeanien mit einem Anteil von 47 Prozent der weltweiten Rüstungsimporte von 2009 bis 2013 deutlich vor allen anderen Regionen. In Europa hingegen sind die Rüstungsimporte zwischen den beiden Vergleichszeiträumen um 25 Prozent zurückgegangen.

Wie auch andere Märkte wird der internationale Markt für Waffen und Rüstungsgüter maßgeblich von der Dynamik zwischen Angebot und Nachfrage geprägt. Zwischen- und innerstaatliche Kriege und Konflikte sind dabei ein wichtiger Treiber der Nachfrage nach Waffen. So befeuern beispielsweise die ungelösten Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer die Aufrüstung sowohl Chinas als auch Vietnams und der Philippinen. Aus friedenspolitischer und nicht zuletzt auch politik-praktischer Perspektive muss aber auch der Frage Beachtung geschenkt werden, inwiefern sich das Angebot von Waffen auf die Nachfrage und vor allem auf die Eskalation von Konflikten auswirkt. Schließlich kann die Verfügbarkeit von Waffen die Konfliktparteien in der Ansicht bestärken, ihre Ziele am besten mit Gewalt anstatt mit Verhandlungen lösen zu können. Verschiedene Studien haben diesen Zusammenhang untersucht und vermuten in Folge von Waffenlieferungen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Kriege entstehen, Kriege länger dauern und eine höhere Intensität aufweisen. Allerdings sind solche Zusammenhänge aufgrund der hohen Komplexität und der vielen Kontextfaktoren im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten bisher nur schwer nachzuweisen.

Daneben gibt es weitere Probleme im Zusammenhang mit dem internationalen Waffenhandel. Waffen, insbesondere Kleinwaffen – aber nicht nur diese –, können von autoritären Regimen dazu missbraucht werden, ihre Bevölkerung zu unterdrücken und Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Häufig ist auch zu beobachten, dass Rüstungstransfers negative Auswirkungen auf die sozioökonomische Entwicklung von Staaten haben. Geld, das in Waffenkäufe gesteckt wird, fehlt oft anderswo. Außerdem ist Korruption im Zusammenhang mit Waffengeschäften ein weit verbreitetes Phänomen. Private Waffenhändler und ihre informellen Netzwerke spielen hier oft eine entscheidende Rolle. Es gibt also gute Gründe für eine strenge Regulierung des internationalen Waffenhandels.

Ansätze zur Regulierung des internationalen Waffenhandels

Bereits in den 1920er Jahren hat der Völkerbund, der nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Ziel gegründet wurde, den Frieden dauerhaft zu sichern, versucht, den internationalen Waffenhandel zu kontrollieren. Die zu diesem Zweck ausgearbeiteten Konventionen sind jedoch nie in Kraft getreten. Mit der Gründung der Vereinten Nationen wurde der Sicherheitsrat damit betraut, Frieden und Sicherheit aufrechtzuerhalten. Wenn er eine Gefährdung des internationalen Friedens feststellt, kann der Sicherheitsrat als ein Mittel für alle Staaten verbindliche Waffenembargos verhängen. Während des Kalten Krieges konnten sich die im Sicherheitsrat vertretenen Länder jedoch nur auf zwei Waffenembargos einigen (gegen Rhodesien 1966 bis 1979 und gegen Südafrika 1977 bis 1994). Erst nach 1990 erhöhte sich die Zahl der Embargos deutlich. Bei solchen Embargos handelt es sich jedoch um Maßnahmen, die auf einen jeweils speziellen Fall zugeschnitten sind. Die Idee, generelle Regeln für den internationalen Waffenhandel aufzustellen, wie sie noch zur Zeit des Völkerbunds verfolgt worden war, tauchte erst 1982 im Bericht "Gemeinsame Sicherheit" der Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit wieder auf. Dieser sogenannte Palme-Bericht – benannt nach dem Vorsitzenden dieser Kommission, dem ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme – schlug neben vielen anderen Empfehlungen in Bezug auf Abrüstung und Rüstungskontrolle vor, Kriterien zu entwickeln, anhand derer der internationale Waffenhandel reguliert werden könnte. Der Vorschlag entfaltete jedoch zunächst keine politik-praktische Wirkung.

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges kam es zur Herausbildung von internationalen Instrumenten zur Überwachung und Regulierung des internationalen Waffenhandels. Anfang der 1990er Jahre riefen die Vereinten Nationen das VN-Register für konventionelle Waffen ins Leben. Das VN-Waffenregister entfaltet keine völkerrechtliche, sondern lediglich eine "politisch" bindende Wirkung. Aber die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind seitdem dazu angehalten, ihre Im- und Exporte in sieben Kategorien von Großwaffensystemen zu melden. Es handelt sich dabei um Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, großkalibrige Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe und Raketen sowie deren Start- und Abschusssysteme. Seit 2003 können die Staaten auch ihre Im- und Exporte von kleinen und leichten Waffen, wie zum Beispiel Maschinengewehre oder tragbare Antipanzerwaffen, melden. Ziel des VN-Waffenregisters ist es, mehr Transparenz in die häufig undurchsichtigen Waffengeschäfte zu bringen. Viele Staaten kommen ihren Berichtspflichten jedoch nur unzureichend nach, und so bleibt das Register hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Dennoch trug dieser Prozess dazu bei, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch die Europäische Union wurde aktiv und verabschiedete 1998 einen Verhaltenscodex für Waffenausfuhren. Die Mitgliedsstaaten verpflichteten sich darin, acht Kriterien bei ihren Entscheidungen über Rüstungsexporte anzuwenden. Unter anderem zählen dazu die Achtung der Menschenrechte und die innere Lage im Endbestimmungsland, Frieden, Sicherheit und Stabilität einer Region, die nationale Sicherheit der Mitgliedsstaaten sowie die Vereinbarkeit der Rüstungsexporte mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Empfängerlandes. Der Verhaltenscodex sieht vor, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten über ihre Rüstungsexporte, einschließlich der Ablehnung von Ausfuhranträgen, informieren und bei Bedarf konsultieren. 2008 wurde der Verhaltenscodex zu einem Gemeinsamen Standpunkt der EU aufgewertet und damit rechtsverbindlich. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass es weder Sanktions- noch Klagemöglichkeiten gibt und sämtliche Aspekte der Umsetzung des Gemeinsamen Standpunkts nach wie vor in der Hand der Mitgliedsstaaten verbleiben.

Das Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen von 2001 zielt darauf ab, die unkontrollierte Verbreitung von kleinen und leichten Waffen zu bekämpfen. Dass sich die Staaten darauf einigen konnten, ist eine Folge der nach dem Ende des Kalten Krieges gewachsenen Aufmerksamkeit für innerstaatliche Gewaltkonflikte, die überwiegend mit Kleinwaffen und leichten Waffen geführt werden. Das Kleinwaffenaktionsprogramm versucht in erster Linie, dem unrechtmäßigen Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen Einhalt zu gebieten. Die Staaten sind unter anderem dazu angehalten, den illegalen Besitz von sowie den illegalen Handel mit Kleinwaffen unter Strafe zu stellen. Sie sollen die Sicherheitsvorkehrungen für staatliche Waffenlager verbessern und überschüssige Waffenbestände vernichten, damit sie nicht in falsche Hände gelangen. Das Kleinwaffenaktionsprogramm sieht auch Maßnahmen der internationalen Unterstützung vor, zum Beispiel bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kombattanten in Nachkriegsgesellschaften. Auf rechtlich verbindliche Regeln für den Transfer von Waffen konnte man sich im Rahmen des Kleinwaffenaktionsprogramms jedoch nicht einigen. Die Bemühungen um einen solchen Waffenhandelsvertrag wurden dann, wie im Folgenden gezeigt wird, in einem anderen Rahmen fortgesetzt.

Internationaler Waffenhandelsvertrag

Mitte der 1990er Jahre schlugen mehrere ehemalige Friedensnobelpreisträger vor, einen internationalen Verhaltenscodex für den internationalen Handel mit Waffen zu etablieren. Die Idee wurde von einer Gruppe von Nichtregierungsorganisationen aufgegriffen. Diese präsentierten bei den Verhandlungen für das VN-Kleinwaffenaktionsprogramm 2001 einen eigenen Entwurf für eine internationale Rahmenkonvention für den Waffenhandel. Seit 2003 forderte dann eine Koalition von zivilgesellschaftlichen Organisationen – darunter Oxfam, Amnesty International und das International Action Network on Small Arms (IANSA) – im Rahmen einer breiten Kampagne mit dem Motto "Waffen unter Kontrolle!" die Staaten dazu auf, internationale Standards für den Handel mit konventionellen Waffen zu erarbeiten und in Form eines völkerrechtlichen Vertrages zu gießen. Die Kernforderung war, dass Rüstungstransfers, die zu massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts beitragen, untersagt werden.

Der Druck der Zivilgesellschaft zeigte Wirkung. Im Dezember 2006 beauftragte die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Expertengruppe mit der Prüfung der Machbarkeit eines internationalen Waffenhandelsvertrages. Es folgte ein mehrjähriger Prozess, in dem sich verschiedene Gremien im Rahmen der Vereinten Nationen mit der Thematik befassten und die verschiedenen Aspekte eines solchen Vertrages, wie zum Beispiel dessen Ziele, Geltungsbereich, Kriterien sowie Umsetzung, ausloteten. Dabei sprachen sich vor allem die beiden größten Rüstungsexporteure, die USA und Russland, aber auch große Importeure, wie etwa Indien, gegen eine strenge Regulierung aus. Ein entscheidender Durchbruch gelang nach dem Regierungswechsel in den USA 2009. Unter Präsident Barack Obama waren die USA einem internationalen Waffenhandelsvertrag gegenüber wesentlich aufgeschlossener als noch unter der Administration von George W. Bush. Noch im Dezember 2009 setzte sich dann die VN-Generalversammlung zum Ziel, 2012 einen Waffenhandelsvertrag im Rahmen einer großen internationalen Konferenz auszuhandeln.

Nach einem mehrjährigen Vorbereitungsprozess kamen im Juli 2012 die Staatenvertreter für vierwöchige Verhandlungen in New York zusammen. Zwar konnte an deren Ende ein Vertragsentwurf präsentiert werden. Allerdings scheiterten die Verhandlungen dann doch. Die zentralen Konfliktlinien hatten sich schon während des Vorbereitungsprozesses abgezeichnet. Sie beginnen bereits beim Geltungsbereich des Vertrages, also der Frage, für welche Waffen die Regeln des Vertrages überhaupt gelten sollen. Einig waren sich die Staaten darüber, dass die sieben Kategorien des VN-Waffenregisters darunter fallen sollten. In Bezug auf Kleinwaffen und Munition bestand zunächst kein Konsens. China wollte den Geltungsbereich lediglich auf das VN-Waffenregister beschränken, und die USA wehrten sich heftig gegen die Einbeziehung von Munition. Eine zweite Konfliktlinie betraf die Kriterien zur Beurteilung von Waffentransfers. Eine kleine Gruppe von Staaten hatte sich wiederholt dagegen ausgesprochen, die Menschenrechtssituation im Empfängerland zu einem starken Kriterium zu machen. Angeführt wurde diese Gruppe von Russland, dabei waren auch Staaten wie Pakistan oder Algerien, die um ihre Versorgung mit Waffen fürchteten. Im Gegensatz zu diesen kleinen Gruppen befürwortete eine breite Mehrheit einen umfassenden und relativ starken ATT. Neben den Mitgliedsstaaten der EU unterstützten vor allem Länder aus Lateinamerika und Afrika den Vertrag. Aufgrund der Anforderung, einstimmig zu entscheiden, besaßen die ATT-Skeptiker jedoch eine große Blockademacht, was dazu führte, dass der zum Ende der Verhandlungen vorliegende Vertragsentwurf signifikante Schwachstellen enthielt. So gesehen erwies es sich im Nachhinein als Segen, dass die USA Verhandlungen scheitern ließen, mit dem Verweis, man benötige noch mehr Zeit.

Im Herbst 2012 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine weitere Verhandlungsrunde anzusetzen, und die Staaten kamen vom 18. bis zum 28. März 2013 erneut in New York zusammen. Dieses Mal konnten Konflikte über den Wortlaut des Vertragstextes gelöst werden, wenngleich auf Kosten von dessen Genauigkeit. Letztendlich stimmten nur der Iran, Syrien und Nordkorea gegen den Vertrag. Damit konnten sie zwar auch die zweite Verhandlungsrunde scheitern lassen, einen Waffenhandelsvertrag jedoch nicht mehr verhindern. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen, die mit Zweidrittelmehrheit entscheiden kann, verabschiedete den im März ausgehandelten Text am 2. April 2013 mit einer großen Mehrheit von 154 Ja-Stimmen und lediglich den drei Nein-Stimmen Irans, Syriens und Nordkoreas. Allerdings enthielten sich auch 23 Staaten der Stimme, darunter die großen Rüstungsexporteure Russland und China sowie bedeutende Importeure wie Indien, Saudi-Arabien und Ägypten. Seit Juni 2013 liegt der Vertrag nun zur Unterzeichnung bei den Vereinten Nationen aus. Mittlerweile haben 118 Staaten den Vertrag unterzeichnet, darunter die USA. Sobald er von 50 Staaten ratifiziert wurde, tritt er in Kraft. Bislang haben 42 Staaten, darunter Deutschland, ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt (Stand: 13.8.2014).

Erklärtes Ziel des ATT ist es, für den legalen, zwischenstaatlichen Waffenhandel die höchstmöglichen gemeinsamen Normen und Regeln festzulegen und dazu beizutragen, den illegalen Waffenhandel zu bekämpfen. Unter Waffenhandel wird der Transfer von konventionellen Waffen verstanden, also deren Ausfuhr, Einfuhr, Durchfuhr sowie Umladung und auch damit zusammenhängende Vermittlungstätigkeiten. Im Hinblick auf die Waffenkategorien erstreckt sich der Geltungsbereich des Vertrages neben den bereits erwähnten sieben Kategorien des VN-Waffenregisters auch auf Klein- und Leichtwaffen. Dies ist als ein Erfolg der Verhandlungen zu werten. Gleichzeitig muss jedoch auch angemerkt werden, dass es nicht gelungen ist, auch Technologien zur Herstellung von konventionellen Waffen und die Erteilung von Lizenzen zu deren Fertigung ebenfalls in den Geltungsbereich miteinzubeziehen. Munition sowie Waffenteile und Komponenten werden zwar im Vertragstext erwähnt, sind jedoch weniger strengen Regeln unterworfen als komplette Waffensysteme. Eine weitere Lücke besteht darin, dass die Definition von "Transfer" nicht auch ausdrücklich Leihgaben, Leasing oder Geschenke von Waffen umfasst.

Das Herzstück des Waffenhandelsvertrages bilden die Artikel 6 und 7. Artikel 6 verbietet den Transfer von Waffen, wenn dieser gegen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte Maßnahmen, wie etwa Waffenembargos, oder gegen anderweitige völkerrechtliche Verpflichtungen des jeweiligen Staates verstößt. Es handelt sich hierbei also um eine Bestärkung bereits festgeschriebener völkerrechtlicher Regeln. Ebenfalls zu untersagen sind Transfers, wenn ein Staat Kenntnis davon hat, dass die Waffen eingesetzt werden, um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949, Angriffe auf zivile Objekte oder Zivilpersonen oder andere Kriegsverbrechen zu begehen. Offen bleibt die Frage, anhand welcher Kriterien ein Staat überhaupt feststellen kann beziehungsweise soll, dass bestimmte Waffen für diese Zwecke eingesetzt werden. Artikel 7 enthält eine ganze Reihe von Kriterien, die zwar kein direktes Verbot begründen, die die Staaten aber bei ihren Transferentscheidungen zu berücksichtigen haben. Zu diesen Kriterien gehört die Auswirkung der Waffentransfers auf Frieden und Sicherheit sowie das Risiko, dass mit den Waffen schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder von internationalen Menschenrechtsnormen begangen werden. Auch die Auswirkungen auf die Risiken von Terrorismus und organisiertem Verbrechen sollen in die Bewertung einfließen. Wenn ein Staat nun feststellt, dass ein "eindeutiges Risiko" (Art. 7, Abs. 3) besteht, dass eine dieser negativen Folgen eintritt, dann ist der Transfer von Waffen zu untersagen. Auch hier stellt sich die Frage, wie ein solches "eindeutiges Risiko" überhaupt festgestellt werden soll, zumal auch risikomindernde Faktoren, wie zum Beispiel vertrauensbildende Maßnahmen, in die Bewertung einzubeziehen sind. Aufgrund dieses Mangels an Präzision dürften die Vertragsstaaten einen vergleichsweise weiten Spielraum bei der Auslegung dieser Kriterien haben.

Um diese Regeln umsetzen zu können, ist jeder Vertragsstaat dazu verpflichtet, ein nationales Kontrollsystem zu etablieren und Aufzeichnungen über seine Ausfuhren von konventionellen Waffen zu führen. Er hat auch dafür Sorge zu tragen, dass Waffen, an deren Transfer er beteiligt ist, sei es als Exporteur oder als Importeur, nicht umgeleitet werden und in Hände gelangen, für die sie nicht bestimmt waren. Für alle Regeln des Waffenhandelsvertrages gilt jedoch, dass bei ihrer Nichtbeachtung keinerlei Sanktionen vorgesehen sind. Es gibt lediglich eine jährliche Berichtspflicht. Die Staaten müssen einem internationalen Sekretariat jährlich bis zum 31. Mai für das vorangegangene Kalenderjahr einen Bericht über die genehmigten oder die tatsächlichen Ausfuhren und Einfuhren von konventionellen Waffen vorlegen. Diese Berichte werden dann an die anderen Vertragsstaaten verteilt. Eine explizite Verpflichtung, diese Informationen zu veröffentlichen und damit auch für andere Akteure, wie beispielsweise zivilgesellschaftliche Gruppen, zugänglich zu machen, gibt es leider nicht. Eine regelmäßig tagende Konferenz der Vertragsstaaten überprüft, ob der Waffenhandelsvertrag eingehalten wird, und entwickelt diesen weiter. Sie kann auch Änderungen des Vertragstextes beschließen. Darüber muss möglichst im Konsens entschieden werden. Sollte ein solcher Konsens jedoch nicht zu erzielen sein, dann können Vertragsänderungen auch mit Dreiviertelmehrheit beschlossen werden (Art. 20). Es scheint, als hätten die Staaten aus den gescheiterten Verhandlungsrunden im Sommer 2012 und Frühjahr 2013 etwas gelernt.

Fazit

Der internationale Waffenhandel befriedigt eine Nachfrage, deren Grundlage häufig ungelöste zwischen- und innerstaatliche Konflikte sind. Die Regulierung des internationalen Waffenhandels kann diese Konflikte nicht lösen. Sie kann aber, im besten Fall, weltweit gültige Normen und Regeln für den Handel mit Waffen und Rüstungsgütern etablieren, die bestimmte, besonders problematische Rüstungstransfers untersagen. Mit dem internationalen Waffenhandelsvertrag in seiner jetzigen Form ist man noch ein gutes Stück davon entfernt, ein internationales Regime zu etablieren, das den internationalen Waffenhandel tatsächlich in angemessener Weise kontrollieren könnte. Viel zu komplex und undurchsichtig sind der internationale Waffenhandel und seine Lieferwege. Vor allem aber sind die Staaten darauf bedacht, ihre nationale Souveränität bei den Entscheidungen über Rüstungstransfers zu wahren. Dementsprechend weist der Vertragstext des ATT noch mehrere Schwachstellen auf. Dazu zählen vor allem die Lücken im Geltungsbereich des Vertrages, die mangelnde Präzision der Kriterien, nach denen Rüstungstransfers zu untersagen sind, sowie das Fehlen von starken Mechanismen, um zu überprüfen, ob die Regeln eingehalten werden. Vor zu hohen Erwartungen an die Wirkung des Waffenhandelsvertrages, sobald dieser in Kraft ist, ist deshalb zu warnen. Nach wie vor werden die Regierungen einen großen Spielraum bei Entscheidungen über Waffentransfers haben. Auch für die deutsche Rüstungsexportpraxis wird das Inkrafttreten des Waffenhandelsvertrags kaum Konsequenzen haben, da die Regeln des ATT hinter den für Deutschland geltenden Regeln des Kriegswaffenkontrollgesetzes, des Außenwirtschaftsgesetzes sowie des Gemeinsamen Standpunkts der EU zu Rüstungsexporten zurückbleiben.

Ein weiteres Problem des Waffenhandelsvertrages ist seine mangelnde Universalität. Unter den 23 Staaten, die sich bei der Abstimmung über den ATT in der Generalversammlung enthalten haben, sind wichtige Exporteure wie Russland oder China sowie große Importeure wie Indien oder Saudi-Arabien. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Staaten den Vertrag in absehbarer Zeit unterzeichnen und ratifizieren werden. Die USA, der weltweit größte Exporteur von Rüstungsgütern, haben den ATT schon im September 2013 unterzeichnet. Dass aber die für die Ratifizierung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im US-Senat zustande kommt, ist angesichts der starken parteipolitischen Polarisierung in den USA nicht absehbar. Solange wichtige Rüstungsexporteure wie die USA, Russland und China nicht bereit sind, sich an die Regeln des Waffenhandelsvertrages zu halten, wird dessen Wirkung eingeschränkt bleiben.

Allerdings sollte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass der ATT sowie der gesamte Prozess seiner Entstehung nutzlos ist. Zum ersten Mal überhaupt gibt es eine völkerrechtliche Grundlage für die Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Waffen. Die Problematik des internationalen Waffenhandles wird damit anerkannt und mit der Idee der Rüstungskontrolle verknüpft. Dies liefert den Kritikern von Waffenexporten einen weiteren, wichtigen Referenzpunkt. Vieles wird letztendlich davon abhängen, wie diejenigen Staaten, die sich für den ATT stark gemacht haben, das Regelwerk in Zukunft nutzen. Besonders wichtig wäre es, sich auf eine gemeinsame Interpretation der Regeln, vor allem im Hinblick auf die Kriterien aus Artikel 7, zu verständigen, die Berichtspflichten ernst zu nehmen und auf dieser Grundlage dann auch die internationale Debatte um die Risiken von Waffentransfers weiterzuführen. Die vorgesehenen Vertragsstaatenkonferenzen, nicht zuletzt auch die Option, notfalls mit Dreiviertelmehrheit zu entscheiden, bieten die Möglichkeit, das Vertragswerk entsprechend weiterzuentwickeln. Inwiefern die Vertragsstaaten diese Möglichkeiten nutzen, wird vermutlich auch davon abhängen, wie stark zivilgesellschaftliche Organisationen weiterhin auf mehr Transparenz und eine strengere Regulierung des internationalen Waffenhandels drängen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Richard F. Grimmett/Paul K. Kerr, Conventional Arms Transfers to Developing Nations, 2004–2011, Washington D.C. 2012, S. 3.

  2. Die SIPRI Datenbank zu Waffentransfers ist zugänglich unter: Externer Link: http://www.sipri.org/databases/copy_of_armstransfers (25.7.2014). Dort findet sich auch eine genauere Erläuterung zur Methode der Datenerhebung.

  3. Vgl. Siemon T. Wezeman/Pieter D. Wezeman, Trends in International Arms Transfers, 2013, SIPRI Fact Sheet, Stockholm 2014.

  4. Vgl. ebd.

  5. Vgl. Jan Grebe/Peter Kreuzer, Lässt sich der Drache zähmen? Eskalation und Aufrüstung im Südchinesischen Meer, in: Marc von Boemcken et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2013, Baden-Baden 2013, S. 69–83.

  6. Siehe zum Beispiel Frederic S. Pearson/Michael Broszka/Christer Crantz, The Effects of Arms Transfers on Wars and Peace Negotiations, in: Stockholm International Peace Research Institute (Hrsg.), SIPRI Yearbook, Oxford 1992, S. 399–415; Nicholas Marsh, The Tools of Insurgency. A Review of the Role of Small Arms and Light Weapons in Warfare, in: Owen Greene/Nicholas Marsh (Hrsg.), Small Arms, Crime and Conflict. Global Governance and the Threat of Armed Violence, London–New York 2012, S. 13–28.

  7. Vgl. J. Paul Dunne/Mehmet Uye, Defence Spending and Development, in: Andrew T.H. Tan (Hrsg.), The Global Arms Trade. A Handbook, London–New York 2010, S. 293–305.

  8. Für eine Fülle von Beispielen für die Verbindung von Korruption, Waffengeschäften und den negativen Folgen für die demokratische sowie wirtschaftlich-soziale Entwicklung von Gesellschaften siehe Andrew Feinstein, Waffenhandel. Das Globale Geschäft mit dem Tod, Hamburg 2012.

  9. Für einen Überblick über die Verortung der Frage von Rüstungsexporten im friedens- und entwicklungspolitischen Kontext siehe Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), Rüstungsexportbericht 2010 der GKKE, Bonn–Berlin 2011, S. 117–135.

  10. Vgl. Paul Holtom, Nothing to Report: The Lost Promise of the UN Register of Conventional Arms, in: Contemporary Security Policy, 31 (2010) 1, S. 61–87.

  11. Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE, Bonn–Berlin 2012, S. 91–95.

  12. Zum Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen siehe zum Beispiel Simone Wisotzki, Aktionsprogramm zu Kleinwaffen und leichten Waffen: Viertes Staatentreffen 2010, in: Vereinte Nationen, 59 (2010) 5, S. 222–224.

  13. Auf der Homepage der internationalen Kampagne "Control Arms!" findet man Hintergrundinformationen und aktuelle Nachrichten zum Waffenhandelsvertrag: Externer Link: http://www.controlarms.org/en (23.7.2014).

  14. Für mehr Details zum Aushandlungsprozess des internationalen Waffenhandelsvertrages innerhalb der Vereinten Nationen, einschließlich der zentralen Konfliktlinien und den wichtigsten Akteuren siehe Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), Rüstungsexportbericht 2012 der GKKE, Bonn–Berlin 2013, S. 88–104.

  15. Vgl. Max M. Mutschler, Regeln für den internationalen Waffenhandel. Wie es nach dem vorläufigen Scheitern mit den Verhandlungen über einen Waffenhandelsvertrag weitergehen sollte, SWP-Aktuell 49/2012. Für eine ausführlichere Diskussion und Bewertung des im Juli 2012 vorgelegten Vertragsentwurfs siehe GKKE (Anm. 14), S. 95–103.

  16. Für den aktuellen Stand der Unterzeichnungen und Ratifikationen siehe Externer Link: http://www.un.org/disarmament/ATT/ (13.8.2014). Dort finden sich auch die offiziellen Dokumente der Vereinten Nationen zum ATT, einschließlich des Vertragstextes.

  17. Für die amtliche deutsche Übersetzung des Vertragstexts siehe Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel, BT-Drs. 17/13708 vom 4.6.2013.

  18. Vgl. Simone Wisotzki, Rüstungsexporte unter verschärfter Kontrolle? Eine Bewertung des internationalen Waffenhandelsvertrags, HSFK-Report 6/2013, S. 20–23.

  19. Vgl. ebd., S. 3–11.

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Dr. rer. soc., geb. 1980; persönlicher Referent des Direktors und wissenschaftlicher Mitarbeiter, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3–4, 10719 Berlin.
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