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Jüdische Remigration nach 1945

Marina Aschkenasi

/ 14 Minuten zu lesen

Die wissenschaftliche Erforschung der Remigration nach 1945 ist eng an die Exilforschung, gewissermaßen als eine Fortsetzung, als Nach- und Wirkungsgeschichte des Exils, geknüpft. Stand viele Jahre das Exil und seine Literatur im Fokus der wissenschaftlichen Analyse, wendet sich die Exilforschung nun dem ehemaligen Randthema Remigration zu. Insbesondere die jüdische Remigration und der Antisemitismus waren lange Zeit Tabuthemen. Gleichzeitig ist das Interesse an der deutsch-jüdischen Zeitgeschichte nach 1945 stark gestiegen, sodass inzwischen eine Fülle von Literatur existiert, die sich mit den schwierigen Wiederanfängen des jüdischen Lebens nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. In diesem Beitrag soll die jüdische Remigration nach 1945, insbesondere die Motive der Exilanten für eine Rückkehr und die Reaktionen der dagebliebenen Deutschen, beleuchtet werden.

Situation nach 1945: Entnazifizierung und Reeducation

Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und der Besetzung des Reichgebietes durch die Alliierten wurde Deutschland von der nationalsozialistischen Diktatur befreit. Die alliierten Siegermächte teilten das Land in vier Besatzungszonen auf und übten die oberste Staatsgewalt aus. Die Deutschen standen vor einer Trümmerlandschaft, ihnen ging es nach Kriegsende wirtschaftlich noch schlechter als in den letzten Kriegsmonaten. Verwaltung und Wirtschaft waren zusammengebrochen, die Strom- und Wasserversorgung funktionierte vielerorts unzureichend, in den deutschen Städten herrschten Hunger und Elend. Neben die Not traten die Entnazifizierungsprogramme der Alliierten, die eine Demokratisierung der deutschen Bevölkerung zum Ziel hatten. Hierbei versuchten die Besatzungsmächte, die NS-Ideologie sowie jegliche nationalistische und militaristische Einflüsse aus der deutschen Gesellschaft zu entfernen.

Während die Entnazifizierung in der sowjetischen Zone zunächst einigermaßen schnell, rigoros und gründlich verlief, war sie in der US-amerikanischen Zone Gegenstand von Kritik, sowohl seitens der betroffenen deutschen Bevölkerung als auch von Beobachtern aus dem Ausland. Der Politologe Franz L. Neumann, der zur Zeit des Nationalsozialismus selbst emigrierte und zur amerikanischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg forschte, stellte bei der Betrachtung des moralischen und politischen Zustandes der Deutschen fest, dass sich die Entnazifizierung als ein grandioser Misserfolg erwiesen habe und eine problematische Kontinuität nach dem Nationalsozialismus weiter fortbestehe.

Im Zusammenhang mit der Entnazifizierung setzten die Alliierten auch auf Bildungsarbeit. Mit der sogenannten Reeeducation strebten sie eine Umerziehung der deutschen Bevölkerung nach demokratischen Prinzipien an. Sie umfasste Maßnahmen zur Beseitigung des Faschismus aus dem politischen, kulturellen und ökonomischen Leben sowie dem Bewusstsein der Deutschen. Um dies zu erreichen, wurde der Bildungs- und Kultursektor reformiert und die Bevölkerung durch Filmvorführungen, Hörfunksendungen, Zeitungsartikel und Informationsabende mit den grausamen Verbrechen des NS-Regimes konfrontiert. Trotz der umfassenden Bemühungen der Besatzer, durch Aufklärung die Geisteshaltung der Deutschen zu verändern, wird auch die Reeducation von Wissenschaftlern und Schriftstellern oft als misslungen beurteilt. Hieraus ergibt sich die Frage, wie es um die antisemitischen Gesinnungen der Deutschen nach der NS-Zeit stand. Wie war die deutsche Bevölkerung gegenüber Juden eingestellt?

Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg

Trotz der Bemühungen der Besatzungsmächte, der deutschen Bevölkerung die von den Nationalsozialisten verübten Gräueltaten an Juden zu verdeutlichen, war nach Kriegsende ein sehr großer Teil der Deutschen immer noch extrem judenfeindlich eingestellt. Einem Report der US-Militärregierung zufolge konnten im Dezember 1946 in der Westzone 18 Prozent der Deutschen als hochgradige Antisemiten, weitere 21 Prozent als Antisemiten, 22 Prozent als Rassisten und 20 Prozent als Personen mit nur wenigen antisemitischen Einflüssen bezeichnet werden.

Viele überlebende Juden, die aus den Konzentrationslagern in ihre ehemalige Heimat zurückkehrten, mussten die Erfahrung machen, dass der Antisemitismus unter ihren deutschen Mitbürgern ungebrochen war. Antisemitische Bekundungen wurden insbesondere in der Debatte um Entschädigung, Rückerstattung und "Wiedergutmachung" hervorgerufen und äußerten sich in Form von aggressiven Leserbriefen an Zeitungen oder Schreiben an Einzelpersonen. Wenn Nationalsozialisten im Gerichtsprozess freigesprochen wurden oder ihre Ämter in Politik und Kultur wiederaufnahmen, stieß dies oftmals auf Zustimmung in der deutschen Bevölkerung und rief antisemitische Bemerkungen hervor.

Die Konflikte um die Wiedergutmachungsforderungen und das Wiederhervortreten ehemaliger Nazis in Politik und Öffentlichkeit wurden offen und zum Teil auch gewalttätig ausgetragen. Die Schändung jüdischer Friedhöfe endete nicht mit Kriegsende. Zwischen 1945 und 1950 wurden fast 200 der 500 jüdischen Friedhöfe in Deutschland entweiht und beschädigt. Gegen Juden, die aus Konzentrationslagern befreit wurden und nun übergangsweise in Lagern lebten, richteten sich verbale und tätliche Aggressionen. Antisemitische, von den Nationalsozialisten tradierte Stereotype wurden kaum korrigiert, entsprechend wirkte ihre Propaganda fort. Demonstrationen gegen antisemitische Vorfälle gingen nicht selten mit Angriffen auf die Teilnehmer und anschließenden Straßenschlachten mit der Polizei einher.

Die Beleidigungen und Bedrohungen von Juden nahmen ab der Gründung der Bundesrepublik 1949 zu, auch wenn sich führende Politiker gegen jede Art von Antisemitismus aussprachen. Bundeskanzler Konrad Adenauer etwa äußerte in seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949: "Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu hier und da anscheinend hervorgetretenen antisemitischen Bestrebungen sagen. Wir verurteilen diese Bestrebungen auf das schärfste. Wir halten es für unwürdig und für an sich unglaublich, daß nach all dem, was sich in nationalsozialistischer Zeit begeben hat, in Deutschland noch Leute sein sollten, die Juden deswegen verfolgen oder verachten, weil sie Juden sind."

Solchen Verlautbarungen standen indes personelle Kontinuitäten der NS-Zeit in Politik, Justiz und Verwaltung gegenüber. Durch das 1951 verabschiedete "Gesetz zur Regelung des Rechtsverhältnisses der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" konnten etwa 150.000 ehemalige NS-Beamte, die nicht rechtskräftig verurteilt oder den ersten beiden Entnazifizierungskategorien zugeordnet worden waren, in den öffentlichen Dienst zurückkehren und wurden teilweise gar bei Wiedergutmachungsverfahren eingesetzt. Als "grotesk" bezeichnet der Historiker Arno Herzig diese Situation; die Beamten hätten "den Unrechtscharakter ihres einstigen Vorgehens" nicht wahrhaben wollen und seien entsprechend schikanös gegen jüdische Antragssteller vorgegangen, "denen vielfach betont falsche Angaben und Geldgier unterstellt wurde". Die Ansprüche der NS-Opfer wurden oftmals heruntergespielt, die materielle Seite der Anträge entwertet, die emotionale nicht ernst genommen. Nicht selten griffen Beamte auf bürokratische Schikane zurück, um ihren – ansonsten unterdrückten – Antisemitismus gegenüber jüdischen Remigranten zum Ausdruck zu bringen.

Auch wenn das sogenannte Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren und die Westintegration zu einem allmählichen Rückgang antijüdischer Einstellungen führten, gaben in Befragungen des Instituts für Demoskopie Allensbach 1952 noch 37 Prozent und 1956 immerhin 26 Prozent der Befragten an, dass es für Deutschland besser sei, keine Juden im Land zu haben.

Remigration – eine problematische Rückkehr

Innerhalb dieser beschriebenen Zeitspanne, beginnend 1945, kehrten Exilanten zurück nach Deutschland. Ein Blick auf die Zahl der Emigranten und derjenigen von ihnen, die zurückkehrten, zeigt, dass nur sehr wenige von ihnen den Weg zurück fanden. Von den etwa 500.000 aus dem deutschsprachigen Europa emigrierten Menschen kamen nur etwa fünf Prozent zurück. Während der Anteil von Juden an den sogenannten rassisch verfolgten Emigranten um die 90 Prozent betrug, waren nur etwas mehr als die Hälfte der Rückkehrer jüdischen Glaubens. In Zahlen ausgedrückt, waren unter den Remigranten 12.000 bis 15.000 "Glaubensjuden" und etwa 15.000 Personen, die als Juden verfolgt wurden. Davon meldeten sich zwischen 1945 und 1952 etwa 2.500 Remigranten bei den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Der Großteil, 9.000 Juden, die sich meldeten, kehrten zwischen 1952 und 1959 zurück. Nach 1960 wird die jährliche Zahl der Rückkehrer auf nur noch 250 Personen geschätzt.

Nur ein sehr kleiner Teil der geflohenen Juden kehrte also überhaupt zurück, die meisten blieben in den Exilländern. Für die geringe Rückkehrneigung werden in der Forschungsliteratur mehrere Gründe genannt. Viele Emigranten waren in ihren Zufluchtsländern soziale und berufliche Bindungen eingegangen und fühlten sich in dem Exilland wohl. Die Umgebung im Gastland reagierte oft mit Unverständnis darauf, dass man freiwillig in das Land zurückkehren wollte, in dem Verwandte und Freunde ermordet worden waren. Hinzu kam, dass die wirtschaftlichen Nachkriegszustände kurz nach 1945 nicht gerade einladend waren.

Auch bürokratische Hürden waren einer der Gründe für einen geringen Rückkehrwillen. Die Besatzungsbehörden in Deutschland verhielten sich oftmals abweisend, das US-amerikanische State Department erließ 1947 Bestimmungen, wonach die Repatriierung nur genehmigt wurde, wenn die Remigranten in Deutschland eine Beschäftigung nachweisen konnten, sodass gewährleistet war, dass sie sich selbst ernähren können. Der Historiker Michael Brenner merkt außerdem an, dass "entweder eine große Portion Idealismus oder ein gutes Stück Verzweiflung" dazugehörten, um in die "Grauenzone Europa, einem riesigen Friedhof", zurückzukehren.

Ein neues Deutschland aufbauen?

Idealismus war tatsächlich einer der Gründe, warum Emigranten zurückkehrten. Viele Emigranten waren motiviert, am Aufbau eines neuen Deutschlands mitzuarbeiten. Des Weiteren sehnten sich Emigranten, die in ihrem Gastland beruflich nur schwer Fuß fassen konnten und unter finanziellen Sorgen litten, nach ihrem ehemaligen Leben in Deutschland.

Als er gefragt wurde, warum er zurückkehrte, nannte der Philosoph Theodor W. Adorno drei Motiv-Komplexe, die bei vielen Rückkehrenden zu beobachten waren: erstens, der Wunsch, ein "anderes Deutschland" aufzubauen, zweitens, die Heimat wiederzufinden, und drittens, in den Sprach- und Kulturkreis zurückzukehren, aus dem man stammt. Die fremde Sprache hinderte insbesondere deutsche Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure daran, im Gastland eine Heimat zu finden. Für sie bedeutete die Rückkehr nach Deutschland, zu ihrem Publikum zurückzukehren und die Möglichkeit zu bekommen, an ihre Karriere vor der NS-Zeit anzuknüpfen. Viele warteten sehnsüchtig auf einen persönlichen Ruf, den jedoch nur wenige bekamen. Vereinzelt blieben Stimmen, die sich ausdrücklich für eine akademische Remigration einsetzten, um einen Neuanfang an den Universitäten zu ermöglichen, wie etwa die Zeitschrift "Der Ruf" im Januar 1947, oder die diejenigen zu einer Rückkehr in die Heimat aufrief, die durch den Nationalsozialismus vertrieben wurden, wie etwa die Ministerpräsidenten aus den vier Besatzungszonen im Mai 1947.

Die meisten der Emigranten, die sich zu einer Rückkehr entschlossen, konnten oft zunächst nur im Rahmen einer Hilfestellung für die Besatzungsmacht zurückkehren. Sie kamen als Soldaten, Dolmetscher, Zensoren und später als Mitarbeiter bei den Nürnberger Prozessen. Trotz des Enthusiasmus über die Rückkehr in die Heimat mussten die Remigranten sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Mehrheit des deutschen Volkes das NS-Regime nicht nur geduldet, sondern unterstützt hatte. Am besten konnten diejenigen Remigranten wieder Fuß fassen, die diesbezüglich keine Schuldeingeständnisse von Deutschen erwarteten und – wie die meisten Rückkehrer – eine von den Besatzungsmächten vertretene Kollektivschuldthese ablehnten.

Obgleich prominente Rückkehrer die Ausnahme blieben, befanden sich unter den Remigranten auch Schriftsteller, Wissenschaftler, Theaterschaffende und Politiker, die in den nachfolgenden Jahren in Deutschland an öffentlichem Einfluss gewannen. Nach Meinung des Philosophen Jürgen Habermas "verdankt die politische Kultur der alten Bundesrepublik ihre zögerlichen Fortschritte in der Zivilisierung ihrer Einstellungsmuster" zu einem ausschlaggebenden Teil jüdischen Remigranten: "Sie verdankt diesen glücklichen Verlauf vor allem jenen, die großmütig genug waren, in das Land zurückzukehren, aus dem sie vertrieben worden waren."

Reaktionen der Dagebliebenen auf Remigranten

Bei ihrer Rückkehr wünschten sich viele Emigranten, dort wieder anzuknüpfen, wo sie aufgehört hatten. Jedoch hatten Krieg, Zerstörung und zwölf Jahre nationalsozialistische Herrschaft Spuren hinterlassen. Schließlich mussten sie erkennen, dass sie in Deutschland vergessen, oder, noch schlimmer, nicht willkommen waren. Wie bereits ausgeführt, kehrten viele Emigranten zunächst als Helfer der Besatzungsmächte zurück. So kam es, dass die ersten aus den USA nach Westdeutschland heimkehrenden Emigranten die Uniform der Sieger und der Besatzungsmacht trugen. Folglich wurden sie nicht gerade freundlich empfangen, vielmehr wurde ihnen unterstellt, die Entnazifizierung und Reeducation in ihrem Sinne zu beeinflussen, um sich zu rächen und zu bereichern. Die Remigranten bekamen Misstrauen und Ressentiments der in Deutschland Verbliebenen zu spüren und sahen sich oft dem Vorwurf gegenüber, sie hätten Deutschland in seiner schwersten Zeit verlassen, den bequemeren Weg gewählt – während die Dagebliebenen selbst das Opfer des Bleibens auf sich genommen hätten. Wer sich "Hitlers Hölle von weit draußen angesehen" hatte, dem fehlte es nach Meinung vieler Dagebliebener an Erfahrung, um über die Kriegsjahre in Deutschland mitreden zu können.

Überhaupt war der Begriff "Emigrant" von vornherein in der deutschen Öffentlichkeit negativ besetzt. Die NS-Propaganda, die den Begriff mit Landesverrat und Pflichtvergessenheit verknüpft hatte, wirkte auch hier fort. 1944 verband in einer Umfrage der britischen Armee unter deutschen Kriegsgefangenen die Mehrheit der Befragten mit Emigranten die Attribute Desertion und Feigheit und sprachen politischen Emigranten grundsätzlich die Kompetenz ab, in deutschen Angelegenheiten mitreden zu können. Diese Einstellung konnte auch zehn Jahre später noch beobachtet werden: In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach wurde 1954 gefragt, ob Emigranten, die in Opposition zu Hitler standen, ein hohes Amt in der Regierung innehaben sollten. 39 Prozent der Befragten verneinten dies, nur 13 Prozent befürworteten Emigranten in hohen Regierungspositionen.

Der Schriftsteller Heinrich Böll sprach für die Zeit nach 1945 von fast "unbewältigbare(n) Verständigungsschwierigkeiten" zwischen den Dagebliebenen und Rückkehrern: "Wir hatten eben eine entschieden andere Sprache." Böll hob hervor, dass es unter den Dagebliebenen eine starke Identifikation mit den eigenen Landsleuten gab, die in den Bombennächten oder Kriegsgefangenenlagern mitgelitten hatten und all jene ausschloss, die nicht dabei gewesen waren. Die Jahre der Abwesenheit hatten das Zusammengehörigkeitsgefühl von Emigranten und Dagebliebenen zerstört. Sogar Parteifreunde hielten früheren Emigranten teilweise noch nach Jahrzehnten vor, sie hätten sich – günstigenfalls – im Ausland ausgeruht.

Den Streit mit den Remigranten zettelte oftmals die sogenannte innere Emigration an, in die sich Menschen begeben hatten, die zwar eine oppositionelle Haltung zum NS-Regime, Deutschland jedoch nicht verlassen hatten. So entstand in den ersten Nachkriegsjahren eine Auseinandersetzung um die innere und äußere Emigration, in der sich beide Seiten bezichtigten, weniger Entbehrungen erduldet und Leid ertragen zu haben. Ein Schauspieler fasste 1947 den Grundton folgend zusammen: "Einfache Menschen verstehen unter Emigranten Personen, die sich vor ihrer Verantwortung als Deutsche dadurch gedrückt haben, daß sie 33 oder später ins Ausland gingen. Im großen und ganzen sehen sie auf diese herab und stehen ihnen mißtrauisch gegenüber."

Schließlich spielte der weiterhin virulente Antisemitismus eine Rolle – die Rückkehr von Emigranten war oftmals auch schlicht unerwünscht, weil viele von ihnen als Juden galten. Tradierte antisemitische Stereotype traten in Ängsten vor einem möglichen Rachefeldzug jüdischer Remigranten zutage.

Schuldbewusst und schuldabwehrend

Die Schuld und deren Verdrängung scheint das zentrale Problem der Integration zurückkehrender Emigranten gewesen zu sein. Die Konfrontation mit Rückkehrern, die "Recht behalten" hatten, aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu fliehen, erinnerte die dagebliebenen Deutschen daran, an das Falsche geglaubt, auf die Falschen gesetzt zu haben. Forderungen der Remigranten nach Schuldbekenntnissen der Dagebliebenen lösten Abwehrreflexe aus.

Bei den Reaktionen der Deutschen speziell auf jüdische Remigranten ist zu beachten, dass die zugleich schuldbewusste und schuldabwehrende nichtjüdische Bevölkerung sie einerseits als Juden, andererseits als Remigranten wahrnahm. Oft lässt sich nicht genau trennen, ob die Reaktionen dem Emigrantenstatus oder dem "Judesein" galten. Trotz dieser mangelnden Trennschärfe kann festgehalten werden, dass die zurückgekehrten Jüdinnen und Juden überwiegend die Erfahrung machen mussten, dass sie in ihrer Heimat noch immer nicht willkommen waren und in der deutschen Bevölkerung das Bewusstsein einer moralischen Verpflichtung gegenüber Flüchtlingen des Nationalsozialismus weitgehend fehlte. Stattdessen wurde häufig beklagt, dass die NS-Verfolgten bevorzugt würden und unberechtigte Wiedergutmachungszahlungen erhielten. Falls in der deutschen Bevölkerung doch ein schlechtes Gewissen gegenüber den NS-Verfolgten aufkam, dann kompensierten sie dieses oft mit einer Aufrechnung des eigenen Schicksals während der nationalsozialistischen Herrschaft.

Die Spannungen zwischen Remigranten und Dagebliebenen wurden nicht offen thematisiert. Während bei offiziellen Reden von Politikern die neuen Verhältnisse als harmonisch dargestellt wurden, fiel im Privaten kaum ein anerkennendes Wort über Exil und Remigration. Stattdessen wurden angebliche Kollaborationen, Feigheit, Sonderrechte und Rachsucht angeprangert. Der verbissene Ärger über die Remigranten gärte auch in den nachfolgenden Jahren unterschwellig weiter. Die notwendige öffentliche Debatte zu diesem Thema wurde erst versäumt und dann nie nachgeholt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Marita Krauss, Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001, S. 14.

  2. Vgl. Irmela von der Lühe/Axel Schildt/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.). "Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause." Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, S. 9.

  3. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 17.

  4. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass hier zwischen Menschen mit jüdischem Glauben unterschieden werden muss und Menschen, die Nationalsozialisten für ihre Zwecke als Juden definierten, wobei es unerheblich war, ob sie sich selbst so primär identifizieren. Im Nachfolgenden wird der Ausdruck "Juden" für beide Gruppe verwendet, da eine nachträgliche Differenzierung auf Basis zeitgenössischer Quellen kaum möglich ist. Weiterhin ist anzumerken, dass mit den Begriffen "Juden", "Emigranten", "Exilanten" und "Remigranten" stets beide Geschlechter gemeint sind, der Lesbarkeit halber jedoch im männlichen Geschlecht dargestellt werden.

  5. Vgl. Peter Mertz, Und das wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller mit Westdeutschland, München 1985, S. 97f.

  6. Vgl. Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.), Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007, S. 18.

  7. Vgl. P. Mertz (Anm. 5), S. 99ff.

  8. Vgl. Alfons Söllner, Zwischen totalitärer Vergangenheit und demokratischer Zukunft. Emigranten beurteilen die deutsche Entwicklung nach 1945, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 9: Exil und Remigration, München 1991, S. 146–170, hier: S. 149.

  9. Vgl. T. Fischer/M. N. Lorenz (Anm. 6), S 19.

  10. Vgl. P. Mertz (Anm. 5), S. 103.

  11. Vgl. Werner Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten 1949–1994, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils, München 1995, S. 64–87, hier: S. 64ff.

  12. Vgl. Anna J. Merritt/Richard L. Merritt (Hrsg.), Public Opinion in Occupied Germany: The OMGUS Surveys, 1945–1949, Urbana 1970, S. 146ff.

  13. Vgl. Arno Herzig, Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1997, S. 263f.

  14. Vgl. W. Bergmann (Anm. 11), S. 65.

  15. Vgl. Josef Foschepoth, Das Kreuz mit dem Davidstern: Christen und Juden nach dem Holocaust, in: Arno Herzig/Karl Teppe/Andreas Determann (Hrsg.), Verdrängung und Vernichtung der Juden in Westfalen, Münster 1994, S. 231–244, hier: S. 237.

  16. Vgl. A. Herzig (Anm. 13), S. 264.

  17. Vgl. W. Bergmann (Anm. 11), S. 65f.

  18. Vgl. A. Herzig (Anm. 13), S. 264.

  19. Zit. nach: Klaus von Beyme, Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München 1979, S. 67.

  20. A. Herzig (Anm. 13), S. 265.

  21. Vgl. Franziska Becker/Utz Jeggle, Im Dorf erzählen – vor Gericht bezeugen. Zur inneren Logik von sagen und aussagen über NS-Gewalt gegen Juden, in: Arno Herzig (Hrsg.), Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 311–323, hier: S. 322.

  22. Vgl. Werner Bergmann, "Wir haben Sie nicht gerufen". Reaktionen auf jüdische Remigranten in der Bevölkerung und Öffentlichkeit der frühen Bundesrepublik, in: I. von der Lühe/A. Schildt/S. Schüler-Springorum (Anm. 2), S. 19–40, hier: S. 30.

  23. Vgl. ebd., S. 25f.; für das vollständige Ergebnis der Studie siehe Renate Köcher, Deutsche und Juden vier Jahrzehnte danach: eine Repräsentativbefragung im Auftrag des Stern, Allensbach 1986.

  24. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 19; I. von der Lühe/A. Schildt/S. Schüler-Springorum (Anm. 2), S. 9.

  25. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 9; Michael Brenner, Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nach 1945, in: APuZ, (2007) 50, S. 10–17.

  26. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 19.

  27. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 14.

  28. Vgl. Ulrike Cieslok, Eine schwierige Rückkehr. Remigranten an nordrhein-westfälischen Hochschulen, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (Anm. 8), S. 115–127, hier: S. 121.

  29. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 138; Axel Schildt, Reise zurück aus der Zukunft. Beiträge von intellektuellen USA-Remigranten zur atlantischen Allianz, zum westdeutschen Amerikabild und zur "Amerikanisierung" in den fünfziger Jahren, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (Anm. 8), S. 25–45, hier: S. 26.

  30. M. Brenner (Anm. 25), S. 12.

  31. Vgl. P. Mertz (Anm. 5), S. 87.

  32. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 127.

  33. Vgl. P. Mertz (Anm. 5), S. 88f.

  34. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 73.

  35. Vgl. Sven Papcke, Exil und Remigration als öffentliches Ärgernis. Zur Soziologie eines Tabus, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (Anm. 8), S. 9–24, hier: S. 18.

  36. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 27.

  37. Vgl. M. Krauss (Anm. 1), S. 12.

  38. Vgl. M. Brenner (Anm. 25), S. 12f.

  39. Jürgen Habermas, Grossherzige Remigranten, 2.7.2011, Externer Link: http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/grossherzige-remigranten-1.11143533 (9.9.2014).

  40. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 27f.

  41. Vgl. ebd., S. 21.

  42. Erik Reger, Vom künftigen Deutschland. Aufsätze zur Zeitgeschichte, Berlin 1947, S. 146.

  43. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 20.

  44. Vgl. Jan Foitzik, Politische Probleme der Remigration, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (Anm. 8), S. 104–114, hier: S. 105f.

  45. Vgl. Elisabeth Noelle/Erich Peter Neumann (Hrsg.), Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947–1955, Allensbach 1956, S. 139.

  46. Zit. nach: S. Papcke (Anm. 35), S. 17.

  47. Vgl. Marita Biller, Exilstationen: Eine empirische Untersuchung zur Emigration und Remigration deutschsprachiger Journalisten und Publizisten, Münster 1994, S. 101.

  48. Vgl. J. Foitzik (Anm. 44), S. 106.

  49. Vgl. M. Biller (Anm. 47), S. 88.

  50. Zit. nach: M. Krauss (Anm. 1), S. 50.

  51. Vgl. Werner Bergmann/Rainer Erb, Wie antisemitisch sind die Deutschen? Meinungsumfragen 1945–1994, in: W. Benz (Anm. 11), S. 47–63, hier: S. 51.

  52. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 20, S. 33; M. Krauss (Anm. 1), S. 50.

  53. Vgl. W. Bergmann (Anm. 22), S. 22.

  54. Vgl. ebd., S. 19.

  55. Vgl. ebd., S. 31.

  56. Vgl. A. Herzig (Anm. 13), S. 263f.

  57. Vgl. S. Papcke (Anm. 35), S. 11f.

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B.A., geb. 1988; Studierende an der Freien Universität Berlin und studentische Hilfskraft am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Garystraße 55, 14195 Berlin. E-Mail Link: marina.aschkenasi@fu-berlin.de