Iranisches Exil und Reformbewegung im Iran: Divergenzen und gemeinsame Transformationsperspektiven
Am 1. Februar 1979 kehrte Ruhollah Chomeini aus dem französischen Exil in den Iran zurück. 1964 hatte er das Land aufgrund seiner Opposition zum "Reformprogramm" ("Weiße Revolution") des Schahregimes, das die Privilegien des Klerus stark einschränkte, verlassen müssen. Über die Türkei ging er in die den Schiiten heilige irakische Stadt Nadschaf. Dort erschienen 1970 die politischen Ideen Chomeinis in Buchform, unter dem vielsagenden Titel "Der islamische Staat" (hokumat-e eslami). Es ist eine bittere Ironie der iranischen Geschichte, dass aufgrund der Rückkehr eines einzigen iranischen Exilanten, der von der politischen Elite in der Islamischen Republik bis heute als Revolutionsführer verehrt wird, für hunderttausende Iranerinnen und Iraner seit bald vier Jahrzehnten nur die Flucht ins Exil blieb. Bis zu fünf Millionen Iraner leben aus politischen und wirtschaftlichen Gründen im Exil. Aus Furcht vor Verfolgung, um ihrer Verhaftung zu entgehen, aus Sorge um ihr Leben und aufgrund der bedrückenden politischen, religiösen, kulturellen und wissenschaftlichen Unfreiheit verlassen immer noch jedes Jahr Tausende unfreiwillig ihre Heimat.[1] Unzählige kehren niemals zurück. Doch die Exilanten sind auch im Exil nicht sicher vor dem Zugriff iranischer Stellen, die in den vergangenen Jahrzehnten auch vor der Ermordung exilierter Iraner nicht zurückschreckten. Die sogenannten Mykonos-Morde[2] an kurdisch-iranischen Oppositionspolitikern im September 1992 in Berlin erschütterten die deutsch-iranischen Beziehungen zutiefst.[3] Und doch sind sie nur ein Beispiel für die Unnachgiebigkeit, mit der offizielle iranische Stellen bis heute Dissidenten, Menschenrechtler und Reformkräfte als Verräter brandmarken, unter Hausarrest stellen, verhaften, foltern, verbannen, hinrichten. Die internationale Gemeinschaft, der sich Iran aufgrund der nie widerrufenen Unterzeichnung menschenrechtlicher Abkommen eigentlich verpflichtet sehen müsste, reagiert im Rahmen ihrer Möglichkeiten, um das iranische Regime zur Achtung der Menschenrechte zu ermahnen. So setzte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen seit 2011 mit dem Malediver Ahmed Shaheed einen Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage im Iran ein. Iran verweigert Shaheed, der bereits mehrere Berichte vorlegte, bislang aber die Einreise in das Land.[4]Ins Exil getrieben, an der Ausreise gehindert
Auch der Friedensnobelpreis für die iranische Menschenrechtlerin Shirin Ebadi 2003 sollte die internationale Unterstützung der iranischen Menschenrechtler und der iranischen Demokratiebewegung unterstreichen und ihnen Mut machen. Doch nach der Verleihung des Friedensnobelpreises, dem noch viele weitere Auszeichnungen für ihr menschenrechtliches Engagement folgen sollten, stieg der Druck auf Shirin Ebadi immer weiter an. Die Morddrohungen wurden bedrohlicher. Sie musste ihren Beruf in Teheran, wo sie als Anwältin arbeitete, aufgeben und das von ihr mitgegründete Büro der Menschenrechtsverteidiger in Teheran verlassen. Ihre Mandanten, zu denen auch die im Iran religiös verfolgten Baha’i gehörten, konnte sie nicht weiter betreuen. Obwohl sie zuvor wiederholt bei ihren Vorträgen betont hatte, dass sie dem Druck und der Gefahr standhalten und im Iran bleiben wolle, um ihre notwendige menschenrechtliche Arbeit ausüben zu können, kehrte sie von einer Vortragsreise 2009 nicht mehr in den Iran zurück.[5] In ihrer 2007 in Deutschland erschienen Biografie hatte sie das Exil noch kategorisch ausgeschlossen: "Doch was nütze ich im Ausland?, frage ich mich. Kann die Art meiner Arbeit, die Rolle, die ich im Iran spiele, über die Kontinente hinweg weitergeführt werden? Natürlich nicht. Und so erinnere ich mich daran, dass es unsere Angst ist, die Angst der Iraner, die sich eine andere Zukunft wünschen, die unseren Gegnern Macht verleiht."[6]Dass ihre Entscheidung für das Exil die richtige war, zeigt das Schicksal ihres Mitstreiters Abdolfattah Soltani, der mit ihr gemeinsam das Büro für Menschenrechtsverteidiger gegründet hatte. Aufgrund seines menschenrechtspolitischen Engagements wurde er zu einer langen Haftstrafe verurteilt, die er unter schlimmen Umständen im Teheraner Evin-Gefängnis absitzen muss.[7] Haftverschärfend wirkte sich seine Annahme des Nürnberger Menschenrechtspreises 2009 aus. Die Ausreise nach Deutschland zur Preisverleihung war ihm verweigert worden, seine Frau hatte den Preis für ihn angenommen.[8] Auch sie wurde später an der Ausreise gehindert und ebenfalls zeitweise inhaftiert.[9]
Die "grüne Bewegung" und ihre Niederschlagung
Es war kein Zufall, dass sich die Flucht ins Exil von Shirin Ebadi und die Verhinderung der Ausreise von Abdolfattah Soltani 2009 zutrugen. In diesem Jahr feierte die iranische Führung nicht nur das 30-jährige Bestehen der Islamischen Republik Iran, sondern es fanden im Juni auch Präsidentschaftswahlen statt.[10] Der seit 2005 regierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad wurde wiedergewählt, obwohl sich eine starke Bewegung hinter den Reformkandidaten Mir-Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi gebildet hatte, die sich als "grüne Bewegung" bezeichnete.[11] Massive Proteste folgten und erschütterten die Islamische Republik bis ins Mark. Der Teheraner Oberbürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf schätzte die Zahl der Demonstranten allein in Teheran auf drei Millionen Menschen. Da Ghalibaf eher als "moderat" denn als "reformorientiert" galt, zeigte sich, dass die Front gegen Ahmadinedschad und das Lager der Hardliner bis weit in die Mitte der politischen Elite Irans hineinreichte.[12]Die iranische Führung unterdrückte jeglichen Widerstand mit brutalen Mitteln. Bei den Protesten wurden über hundert Menschen getötet, Tausende inhaftiert und in Schauprozessen verurteilt, die weltweit im Fernsehen verfolgt werden konnten.[13] So berichtete der katarische Sender Al-Jazeera über Satellit beispielsweise sehr ausführlich über den Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Mohammad Ali Abtahi. Der iranische Kommentator Majid Tafreshi bilanzierte dort, dass das Regime die "Führer" und "Ikonen" der Islamischen Revolution vor Gericht stelle, die 1978/1979 "ihr Leben für die Revolution eingesetzt hatten".[14] Die Hoffnung, dass es zu einer politischen Aussöhnung zwischen den Lagern der Reformer und der Konservativen kommen könnte, war damit endgültig zerschlagen. Die Führer der "grünen Bewegung", Mousavi und Karroubi, stehen bis heute unter Hausarrest. Zahlreiche Gefangene sitzen seit 2009 in den iranischen Gefängnissen. Eine neue Fluchtwelle aus dem Iran setzte ein und führte zu einer erheblichen Ausweitung der Exilgemeinde um eine neue, in der Islamischen Republik politisch sozialisierte Exilantengeneration. Waren nach der Niederschlagung der Studentenproteste 1999 noch viele Intellektuelle in die "innere Emigration" gegangen, darauf hoffend, dass Präsident Mohammed Chatami seine achtjährige Amtszeit für eine gesellschaftliche und politische Öffnung würde nutzen können, so war aufgrund des unter anderem von Präsident Ahmadinedschad zu verantwortenden harten Durchgreifens staatlicher Stellen gegen jeden Dissens diese Perspektive 2009 erheblich geringer ausgeprägt.
Obwohl die iranische Reformbewegung und ihre auch in der arabischen Welt sehr aufmerksam beobachteten Proteste gegen den oftmals als "Diktator" bezeichneten Ahmadinedschad von zahlreichen arabischen Demokratieaktivisten als Vorbild für die arabischen Umbrüche gesehen wurden, konnte die Reformbewegung den von ihr begrüßten "arabischen Frühling" nicht für einen "iranischen Frühling" nutzen.[15] Ihrem engsten Verbündeten, dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad, empfahlen sich die iranischen Reformgegner sogar offensiv als Berater bei der Niederschlagung der Proteste in Syrien und rieten ihm zu einem "eisernen Vorhang", der gegenüber der syrischen Opposition keinerlei demokratische Öffnung oder auch nur Dialogbereitschaft zulassen sollte.[16] Auch im Iran selbst entwickelte sich die politische Situation immer konfrontativer; die von der "grünen Bewegung" geforderten rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Reformen blieben aus.[17]