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Zum Russlandbild in den deutschen Medien

Verena Bläser

/ 14 Minuten zu lesen

An russischer Politik wird zurecht viel kritisiert. Doch sollte nicht übersehen werden, was darüber hinaus in Russland geschieht. Auch in der Ukraine-Berichterstattung treten bisweilen antirussische Affekte zutage.

Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Der Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann wies mit dieser These auf die zentrale Funktion hin, die den Medien in unserer Gesellschaft zukommt. Je nachdem, wie Medien durch eine bestimmte Themenstrukturierung die Blickrichtung des Informationsprozesses vorgeben und regeln, bestimmen sie mit, welche Teile einer dargebotenen Realität wir mit hoher Wahrscheinlichkeit bemerken und in welchen Bedeutungsrahmen wir ein Thema einordnen (framing). Dass die Medien ihrer daraus erwachsenden Verantwortung gerecht werden, ist nicht selbstverständlich: Ein Mangel an Korrespondenten und echten Experten, wirtschaftlicher Druck sowie die gängigen Nachrichtenwerte – aber auch Stereotype und Vorurteile – können dazu führen, dass die Medienrealität mitunter eine ganz eigene ist. So bemerkte die ehemalige ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz einmal: "Das Image eines Landes stimmt in den seltensten Fällen mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein. Manchmal handelt es sich nur um Nuancen, die zwar ärgerlich sind, aber nicht schwer wiegen. Mit Blick auf Russland zeigt sich jedoch eine gewaltige Diskrepanz zwischen der Realität im Land und den Stereotypen, die sich nach wie vor in den westlichen Köpfen halten."

In diesem Artikel gehe ich der Frage nach, inwiefern dieser Befund in Bezug auf die deutsche Berichterstattung über Russland (noch) zutrifft. Bei aller Kritik, die dabei zum Ausdruck kommt, soll es jedoch keineswegs darum gehen, die Probleme Russlands zu beschönigen oder sein politisches Handeln zu beurteilen, sondern schlicht darum, die Art und Weise der journalistischen Berichterstattung in Deutschland zu analysieren. Denn die meisten der medial verbreiteten Nachrichten aus Russland sind in ihrem Kern real und keine Erfindungen.

Traditionelle Hassliebe

Wenn es um die Russlandberichterstattung in Deutschland geht, reicht es nicht aus, nur den zeitgenössischen Status zu betrachten, denn das Bild eines Landes, sei es Freund- oder Feindbild, wird maßgeblich durch die historische Entwicklung geprägt. Die Beziehung zwischen Russland und Deutschland ist dabei das beste Beispiel einer traditionellen Hassliebe: "Über 1000 Jahre gemeinsame Geschichte zeigen: Man war sich nicht immer Feind, sondern auch guter Freund." Das spiegelt sich auch in der Geschichte der Berichterstattung über Russland in Deutschland wider.

"Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und Preußen im 18. Jahrhundert, die Teilnahme der Deutschen am Feldzug Napoleons gegen das Russische Reich zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert haben in den Köpfen der Deutschen ein widersprüchliches Russlandbild entstehen lassen." Auf der einen Seite sorgten die geografische Größe, die einzigartige Mentalität der Menschen und die reiche Kultur des Landes für ein positives Bild, auf der anderen Seite brachte Russlands Unterstützung der Preußischen Monarchie das liberale Bürgertum in Deutschland gegen sich auf. Nach dem Wiener Kongress 1815 kam es zu einer zunehmend negativen Bewertung Russlands. Wurde Zar Alexander I. nach dem Sieg gegen Napoleon zuerst noch als "Befreier Europas" gesehen, veränderte sich dieses Bild allmählich, und die Angst vor einer Bedrohung aus dem Osten, vor den "barbarischen Russen", kam auf. Gleichzeitig entwickelten sich Interesse und Neugier für die dortige Landschaft und Kultur. Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski sind bis heute die wohl bekanntesten russischen Autoren und prägten durch ihre Werke unter anderem den Begriff der "russischen Seele". Mit dem Aufkommen eines zunehmend nationalen Gedankengutes gab es erneut slawophobe Tendenzen. In beiden Weltkriegen stützte sich die deutsche Propaganda auf den pseudowissenschaftlichen Rassismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts; später wurde die Außenpolitik der Sowjetunion als die Fortsetzung der imperialen Politik russischer Zaren dargestellt. Erst mit Michail Gorbatschows Perestroika- und Glasnost-Politik setzte ein Wahrnehmungswandel ein. Die Angst vor Russland als militärische Bedrohung wurde stetig weniger, aber auch der Respekt nahm ab.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion arbeitet Russland an der Transformation vom planwirtschaftlichen Staatssozialismus zur marktwirtschaftlichen Demokratie, was zu einer kontrastierenden Berichterstattung führte: Chaos und Armut auf der einen Seite, reiche Oligarchen auf der anderen. Der Tschetschenien-Krieg in den 1990er Jahren ließ das Klischee des "barbarischen Russen" erneut aufleben. Nach dem Amtsantritt Wladimir Putins als Präsident (2000) rückte die Vorstellung des armen und unberechenbaren Russlands zunächst in den Hintergrund. Angesichts eines gewissen wirtschaftlichen Aufschwungs wandelte sie sich rasch in die Sorge vor Abhängigkeit von russischen Öl- und Gasreserven. Auf Kritik in den deutschen Medien stieß der Machtausbau des Präsidenten, die Durchsetzung von Moskaus Großmachtpolitik sowie die Schwächung der Regionen und der Opposition.

Einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2007 zufolge glaubten seinerzeit 84 Prozent der Deutschen, dass das deutsche Russlandbild von Vorurteilen beherrscht sei. 49 Prozent waren der Meinung, die deutschen Medien berichteten über die Verhältnisse in Russland weder objektiv noch zutreffend, und 44 Prozent gaben an, dass diese einen bewusst negativen Eindruck vermittelten. Über die Hälfte der Befragten waren sich sicher, dass in Deutschland über Geschehnisse in Russland nicht ausführlich und differenziert genug berichtet wird. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von April 2014 zeigt, dass sich das Russlandbild der Deutschen nach den jüngsten Ereignissen in der Ukraine deutlich verschlechtert hat. Demnach sehen 55 Prozent der Deutschen Russland als Gefahr, nur noch 10 Prozent halten es für einen verlässlichen Partner. Und auch die Beziehung zwischen den beiden Ländern gilt aus Sicht von 75 Prozent der Befragten als gestört. Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist die wachsende Neigung, sich von Russland zu distanzieren. Immer weniger Bürger halten es für wichtig und sinnvoll, eng mit Russland zusammenzuarbeiten. Für die Eingliederung der Krim ist in weiten Teilen der Bevölkerung hingegen bemerkenswert viel Verständnis zu erkennen. Eine Mehrheit von 41 Prozent findet den Vorgang zwar ungeheuerlich und hält die Verschiebung der russischen Staatsgrenzen für inakzeptabel, 33 Prozent äußern jedoch Verständnis und sehen gute Gründe für den Anschluss an Russland. Die Umfrage bestätigt zudem, dass das Russlandbild keineswegs einseitig negativ ist. Die große Mehrheit würdigt unter anderem die politische Bedeutung des Landes, seine kulturelle Tradition, den ausgeprägten Nationalstolz sowie die Gastfreundlichkeit der meisten Russen.

Erschwerende Faktoren für Berichterstattung

Eine gründliche und "objektive" mediale Berichterstattung wird durch verschiedene Faktoren erschwert. Komplexe Ereignisse werden häufig nach festgelegten Wahrnehmungsmustern eingeordnet, die unter anderem auf historischen Erfahrungen und erprobten Zuschreibungen beruhen. Dies scheint oberflächig betrachtet die Rezeption zu erleichtern, unterstützt tatsächlich jedoch häufig die Stereotypisierung. Zwänge der Nachrichtenproduktion, wie Medienkonkurrenz, Quoten- und Aktualitätsdruck, mangelnde Zeit für Recherche und Kontextualisierung, nicht zuletzt aber auch Unwissen und eigene Vorurteile, verstellen teilweise den unvoreingenommenen Blick.

In vielen Redaktionen mangelt es zudem an Russland-Expertise. Kein anderer Journalismusbereich leidet so sehr unter Sparmaßnahmen wie die Auslands- und Krisenberichterstattung. Da diese vergleichsweise kostspielig ist, wird hier oft als erstes gespart – komplette Büroschließungen in allen Mediengattungen, Ausdünnung von Recherchepersonal, Honorarsenkungen, Budgetkürzungen und ein effizienteres Kostenmanagement bedeuten nicht nur empfindliche Einschnitte in die Haushalte der Redaktionen und damit ihrer Leistungsfähigkeit. Sie wirken sich auch unmittelbar auf die journalistische Qualität aus.

Eine ständige Infragestellung und Reflexion der eigenen Meinung ist sowohl für Journalisten als auch für Leser, Hörer und Zuschauer bei der heutigen Informationsflut kein Leichtes. Auch wenn die Vermutung nahe liegt, dass die Vielfalt an veröffentlichten Informationen und Meinungen zu einer differenzierteren Haltung der Rezipienten führen sollte, gehen Menschen bei einer Fülle an Informationen tatsächlich eher haushälterisch mit der Aufnahme neuer Informationen um.

Dass schlechte Nachrichten meist einen größeren Nachrichtenwert haben als gute, spielt ebenfalls eine Rolle: Zwar sind viele der medial thematisierten Missstände in Russland real (mangelnde Demokratie, soziale Ungleichheit, Machtmissbrauch), aber wenn diese immer wieder auch übertrieben dargestellt werden und für andere, positive Facetten keinerlei Raum in der Berichterstattung ist, fördert dies die Bildung von pauschalisierenden Negativklischees. Darauf, dass es an differenzierter Berichterstattung hapert und alte Vorurteile aus dem Ost-West-Konflikt rasch wieder reaktiviert werden können – übrigens auch in Russland –, verweisen Korrespondenten aus beiden Ländern selbst. Und dass etwa die USA und Russland in den deutschen Medien zum Teil mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden, zeigt sich zum Beispiel am Umgang mit der Geheimdienstvergangenheit von Politikern. Während Putin regelmäßig als "lupenreiner Spion" dargestellt wird, wird die Tätigkeit US-amerikanischer Politiker für die CIA (etwa des ehemaligen Präsidenten George Bush senior), wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.

Schwarz-weiß im Konflikt

Eine Vielzahl von Indizien weist darauf hin, dass die zuvor dargelegten Mechanismen, die zu stereotyper und verzerrter Berichterstattung führen können, auch in der aktuellen Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt greifen. Die Journalistin und Osteuropa-Expertin Gemma Pörzgen etwa konstatiert, dass sich unter anderem aufgrund von Sparmaßnahmen in vielen deutschen Redaktionen eine provinzielle Sicht auf die Welt etabliert habe. Dem erhöhten Informations- und Analysebedarf zum Thema Ukraine hätten sie sich deshalb nur partiell gewachsen gezeigt. Die Annahme, dass solche Probleme auch zu einer weiteren Negativierung des Russlandbildes führen, liegt nahe.

Bereits im Vorfeld des Ukraine-Konfliktes wurden seitens der Medien massive Fehler gemacht. Zum einen wurde nicht deutlich genug offengelegt, wer welche Interessen hat. Denn offensichtlich hat auch die EU Interesse an der Ukraine als geostrategischem Stützpunkt, durch den Russland sich möglicherweise bedroht und bedrängt fühlt, da die NATO sich stetig weiter Richtung Osten ausgeweitet hat. Dies geht einher mit dem Versäumnis, frühzeitig zu erklären, was das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine eigentlich genau bedeutet (in welchem Maße etwa dessen Paragraf 7 eine militärische Zusammenarbeit vorsieht). Darüber hinaus wurde ein EU-Beitritt des Landes als Tor in die Freiheit und den Wohlstand sowie als das dargestellt, was "die Ukraine als Ganzes will". Dass es in der Ukraine auch davon abweichende Meinungen gibt und sich viele Ukrainer kulturell und sprachlich eng mit Russland verbunden fühlen, wurde meist verschwiegen und die russische Seite stets mit negativen Vorzeichen versehen.

Während der Majdan-Ereignisse fehlte es dann an kritischen Fragen zur Verfassungs- und Demokratiekonformität der Absetzung Wiktor Janukowytschs, zur Rolle rechtsnationaler Kräfte auf dem Majdan und zum Scheitern der "Vereinbarung zur Beilegung der Krise in der Ukraine" am 21. Februar 2014 unter Einfluss des Majdanrats. So urteilte auch der ARD-Programmbeirat im Juni 2014: "In der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine überwog anfangs eine Schwarz-Weiß-Zeichnung zugunsten der Maidan-Bewegung, obwohl hier auch das rechte, extrem nationalistische Lager beteiligt war, und zulasten der russischen und der abgesetzten ukrainischen Regierung, denen nahezu die gesamte Verantwortung zugeschoben wurde."

Die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer kritisiert, dass traditionelle Freund-Feind-Bilder stetig verstärkt worden seien – mit klarer Rollenteilung: auf der einen Seite das negativ konnotierte, "böse" Russland, personifiziert durch den Machtpolitiker Putin, auf der anderen Seite die idealisierte ukrainische Übergangsregierung und die zukunftssichernden Schutzmächte EU und USA. Beispiele dafür bieten Schlagzeilen und Sendungstitel wie "Die Welt darf nicht zuschauen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet", "Wer stoppt Russland?" oder "Warum Putin mit einem brutalen Feldzug ein neues Imperium erschaffen will". Dies spiegelt sich auch in einzelnen Begrifflichkeiten wider: Während es Bezeichnungen wie "pro-russischer-Mob" in die Nachrichtensendungen schafften, kamen "pro-europäische" oder "pro-ukrainische Mobs" nicht vor. Das am stärksten umstrittene Wort war wohl der Begriff "Annexion" im Zusammenhang mit der Krim. Viele Medien übernahmen ihn scheinbar ungeprüft und teilten sehr rasch die Einschätzung, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Anschluss handelte, ehe auch Stimmen Gehör geschenkt wurde, die argumentierten, dass dies erst noch zu klären sei, da Bestimmungen des Völkerrechts wie die territoriale Integrität und das Selbstbestimmungsrecht nicht eindeutig auf die Entwicklungen der Krim anwendbar seien.

Es gibt auch Beispiele für Falschmeldungen, die medial verbreitet wurden: etwa die behauptete "Vernichtung" eines russischen Militärkonvois oder die Meldung, es habe sich bei von prorussischen Separatisten gefangen gehaltenen Militärs ausschließlich um OSZE-Beobachter gehandelt. Diese Beispiele können natürlich nicht die gesamte Bandbreite darstellen, und Vorsatz sollte nicht unterstellt werden. Doch auch die Entstehung von Falschmeldungen wird durch Klischees begünstigt: führen sie doch dazu, dass bestimmte Meldungen in ein Bild passen, die daraufhin möglicherweise weniger gründlich geprüft werden als Meldungen, die das Klischee nicht bedienen. Letztlich führen jedoch auch unbeabsichtigte Falschmeldungen dazu, dass sich das Russlandbild in deutschen Medien weiter negativiert und vereinheitlicht. Gleichzeitig wächst auch Kritik an dieser Art der Berichterstattung.

Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung?

In der Diskussion um die Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt wird immer deutlicher, dass sich öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung bisweilen stark voneinander unterscheiden. Kritik an der Berichterstattung erreicht die Print-, Rundfunk- und Fernsehredaktionen in zahlreicher Leserpost; in medienkritischen Artikeln, auf Podiumsveranstaltungen und in Online-Foren werden Debatten über die Verlässlichkeit, Sorgfalt und Unabhängigkeit deutscher Journalisten in der Ukraine-Krise geführt. Insbesondere im Internet werden Bilder und Videos gesammelt, die die Berichterstattung kritisch begleiten und Falschmeldungen aufdecken sollen. Dieses Material wird dann wiederum über Social-Media-Kanäle verbreitet und findet eine breite Rezipientenschaft.

Auch und gerade die öffentlich-rechtlichen Medien bleiben von Kritik an ihrer Berichterstattung nicht verschont. Eigens dafür ins Leben gerufene Portale wie die "Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien" bieten öffentliche Plattformen, die intensiv genutzt werden. Tatsächlich trägt das genauere Hinsehen der Zuschauer wohl mit dazu bei, dass den Sendern die Problematik bewusst geworden ist. So bat "Tagesthemen"-Moderator Thomas Roth im Oktober 2014 um Verzeihung für einen im Mai ausgestrahlten Beitrag, der den gewaltsamen Tod zweier Ostukrainer fälschlicherweise den prorussischen Separatisten angelastet hatte. Im Redaktionsblog erklärte der Chefredakteur dazu, "dass hier niemand aus Voreingenommenheit, aus politischem Kalkül oder in böser Absicht Fakten verfälscht hat", da er bereits ahnte, dass der Fehler "möglicherweise Wasser auf die Mühlen derer sein (wird), die uns vorwerfen, dass wir die russische Seite absichtlich schlecht aussehen lassen".

Die Divergenz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung tritt besonders deutlich im Zusammenhang mit dem Vorwurf auf, die Medien betrieben Kriegspropaganda und riefen zum Kriegseintritt des Westens auf. Die Reaktionen nach dem Absturz (beziehungsweise mutmaßlichen Abschuss) der malaysischen Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014 bieten einige Beispiele, die in diese Richtung interpretiert werden könnten. "Die Zeit" etwa schrieb, dass der Einsatz von westlichen Kräften kein Tabu mehr sei, und "Die Tageszeitung" (taz) verglich den Vorfall sogar mit den Geschehnissen vom 11. September: "Nach dem Terroranschlag des 11. September wurde der Bündnisfall erklärt. Die toten Passagiere des Flugs MH17 verdienen dieselbe Solidarität." "Der Spiegel" gestaltete eine Titelseite mit Bildern der Opfer des Absturzes und der Überschrift "Stoppt Putin jetzt!" Nach vielfach geäußerter Kritik sah sich die Redaktion dazu veranlasst, den Titel in einem Blog-Beitrag zu rechtfertigen.

Tatsächlich sind die Russlandberichterstattung und die Kritik an ihr selbst ein Thema in den Medien; das eigene Vorgehen wird kritisch hinterfragt. Sabine Schiffer zufolge würden diese Recherchen und Aufklärungen jedoch rasch verhallen und letztlich meist nicht einmal die eigenen Nachrichtenredaktionen erreichen. Auf der anderen Seite gibt es auch Stimmen, die sich den Kritikern entgegenstellen und die Berichterstattung rechtfertigen. Sie weisen auf ausgewogene Veröffentlichungen hin, verteidigen unter anderem das Recht, in Reportagen zu werten oder rufen zur Empathie für Journalisten auf. Die kritisierten Medien selbst verweisen zudem darauf, dass Russland zahlreiche "Trolle" einsetze, die über Social-Media-Kanäle und auf den Seiten deutschsprachiger Medien gezielt propagandistische Kommentare im Sinne Russlands verfassten und auf diese Weise versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Fazit

In einer Zeit, in der die meisten Menschen ihre Informationen vorwiegend aus den Massenmedien beziehen und ihr "Wissen" darauf aufbauen, kommt den Medien eine besondere Verantwortung zu. Um dieser auch in der Berichterstattung über Russland und über den Konflikt in der Ukraine gerecht werden und einseitige Berichterstattung vermeiden zu können, gilt es, das vielfach noch vorherrschende Ost-West-Denken sowie das bequeme Zurückgreifen auf bestehende Freund-Feind-Bilder zu überwinden und eigene Vorurteile und Bewertungsroutinen häufiger infrage zu stellen.

Es gibt an der russischen Politik tatsächlich viel zu kritisieren. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, was darüber hinaus in dem Land geschieht. Die Medien täten gut daran, ihren Fokus bei der Auslandsberichterstattung nicht nur auf die außergewöhnlichen, akuten Geschehnisse zu legen. Es ist wichtig, dass Ereignisse in historische, kulturelle Hintergründe eingeordnet sowie Lebensweisen, Einstellungen und alltägliche Gegebenheiten durch die Berichterstattung transportiert werden. "Sich hin und wieder in die Lebensrealität derjenigen zu versetzen, über deren Lebensrealität man berichtet, hilft." Nur so besteht die Möglichkeit, ein anderes Land und dessen Kultur in Gänze zu verstehen, Brücken für Kommunikation und Politik zu erhalten und einen möglichen "Wandel durch Annäherung" zu schaffen.

B.A., geb. 1990; Masterstudentin der Medienwissenschaft an der Universität Trier, Stipendiatin des nationalen Stipendienprogramms (Deutschlandstipendium) und wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union der Universität Trier. E-Mail Link: s5veblae@uni-trier.de