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Der neue Mensch | Sünde und Laster | bpb.de

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Der neue Mensch Zur trügerischen Vision menschlicher Vollkommenheit - Essay

Detlef Kühn

/ 11 Minuten zu lesen

Seit Urzeiten ist der Mensch mit sich unzufrieden. Daraus entstand die Sehnsucht nach einem neuen, besseren Menschen. Meist war sie mit der Utopie von einer anderen, besseren Gesellschaft verbunden. Mal sollte am Anfang der neue Mensch stehen, mal die neue Gesellschaft. Bislang ist der Plan nie aufgegangen.

Seit Urzeiten ist der Mensch mit sich unzufrieden. Daraus entstand die Sehnsucht nach einem neuen, besseren Menschen. Meist war sie mit der Utopie von einer anderen, besseren Gesellschaft verbunden. Mal sollte am Anfang der neue Mensch stehen, mal die neue Gesellschaft.

Die Unzufriedenheit des Menschen mit sich selbst liegt darin begründet, dass er es auf dieser Erde nie leicht hatte. Widrige Lebensbedingungen, Krankheiten, andere Menschen, die ihm Böses wollten: Schon das nackte Überleben war für ihn schwer. Der Mensch wusste um seine Sterblichkeit. Er empfand sich zurecht als schwach und unvollkommen. Auch in moralischer Hinsicht. Denn die sich selbst auferlegten Regeln für ein geordnetes und friedliches Zusammenleben mit anderen Menschen konnte er kaum einmal einhalten.

Und so verband sich in den alten Kulturen das Gefühl der Schwäche und Ohnmacht mit dem Bewusstsein der eigenen moralischen Unvollkommenheit. Es entstand so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Schon die Mythen der antiken Kulturen wussten von einer Sintflut zu berichten. Sie kam als Strafe Gottes über die Menschen. Auch das Alte Testament erzählt vom Zorn Gottes und davon, dass er einen Neuanfang mit neuen, besseren Menschen versuchte:

"Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben. Nur Noah fand Gnade in den Augen des Herrn. Noah war ein gerechter, untadeliger Mann. Er ging seinen Weg mit Gott."

Gott gab Noah Zeit, eine große Arche zu bauen. Für sich und seine Familie, aus der ein neues, besseres Menschengeschlecht hervorgehen sollte. Und obwohl Gott auch mit den Tieren unzufrieden war, durfte sich auch von ihnen jeweils ein Paar auf die Arche retten. Heute wissen wir, dass die Sintflut keine Erfolgsgeschichte war. Die Nachkommen Noahs waren keinen Deut besser als jene Menschen, die damals ihr Leben lassen mussten – in der großen Erneuerungswelle.

Besserer Mensch, bessere Welt?

Die Vorstellung, ein Neuanfang mit einem neuen Menschen sei notwendig, weil es mit dem alten Menschen einfach nicht mehr weiter geht, diese Vorstellung ist ebenso alt wie illusionär. Und – wie schon die Sintflut demonstriert hat – sehr gefährlich: für alle, die dem neuen Menschen im Wege stehen. Das zeigen bis heute alle Versuche der Menschheit, es Gott gleich zu tun und einen Neuanfang zu erzwingen.

Die Französische Revolution bescherte uns die bürgerlichen Freiheiten. Aber obwohl man in Paris ein furchtbares Blutbad anrichtete und Adlige und Gegner der Revolution zu Tausenden mit der Guillotine enthauptete, entstand durch diese Schreckensherrschaft lediglich eine neue politische Ordnung. Aber der neue Mensch, der Bürger, ist bis heute nicht besser als all seine Vorgänger.

Sozialismus und Kommunismus sollten die Menschheit in ihrer Entwicklung noch weiter voranschreiten lassen. Der Bürger war in den Augen von Marx und Engels nur ein egoistischer Individualist. Durch die Diktatur des Proletariats sollte im Kommunismus ein Mensch entstehen, der nicht mehr sich selbst entfremdet ist, sondern endlich er selbst sein kann, befreit auch von der Bevormundung durch die Religion. Friedrich Engels erklärte:

"Wir wollen alles, was sich als übernatürlich und übermenschlich ankündigt, aus dem Wege schaffen, und dadurch die Unwahrhaftigkeit entfernen, denn übermenschlich, übernatürlich sein zu wollen, ist die Wurzel aller Unwahrheit und Lüge."

Engels und Marx wollten das Übermenschliche der Religion hinter sich lassen. Und doch klingt es nach einer religiösen Verheißung, wenn Engels davon spricht, dass die menschliche Gattung auf dem Wege sei zu einer "freien selbständigen Schöpfung einer auf rein menschliche, sittliche Lebensverhältnisse begründeten neuen Welt".

Für Marx und Engels war die Religion "das Opium des Volks". Und doch scheuten sie sich nicht, ihre Anhänger durch große wohlklingende Worte zu berauschen. Auch dadurch, dass sie dem Menschen unterschwellig den Rang eines Gottes zuerkannten. Eines Gottes, der in aller Freiheit eine neue Welt schaffen kann – und zwar eine gute, sittliche. Marx und Engels waren Propheten. Sie versprachen Erlösung – in einer neuen, besseren Welt mit wahren Menschen. Engels kündigte den Kommunismus an, als sei er das Paradies auf Erden: "Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit."

Sprache kann verräterisch sein. Ob in der Religion oder in der Politik. Wenn von Wahrheit und Unwahrheit die Rede ist, dann wird es gefährlich für die, die angeblich auf der Seite der Lüge stehen. Dann muss man sie, wie Engels ankündigte, "aus dem Wege schaffen, und dadurch die Unwahrhaftigkeit entfernen." All das ist auf furchtbare Weise und millionenfach geschehen, dort wo man das kommunistische Reich der Freiheit und der wahren Menschen errichten wollte: vor allem in Russland, China und Kambodscha.

Vergöttlichung des Menschen

Die Idee des neuen Menschen und eines Neuanfangs der menschlichen Geschichte ist, wie der Mythos der Sintflut zeigt, uralt. Im Abendland war es das Christentum, das die Vision eines neuen Menschen immer wieder neu belebte. Und dabei auch das Denken weltlicher Geistesströmungen beeinflusste. Der Ruf nach dem neuen Menschen begegnet uns im Neuen Testament bei Paulus. An die Gemeinde in Ephesus appellierte er:

"Legt den alten Menschen ab. Ändert euer früheres Leben und erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit."

Eine Idee, die allgemein Nietzsche zugeschrieben wird, die Idee des Übermenschen, findet sich bereits im Alten wie im Neuen Testament. In beiden ist der Mensch Ebenbild Gottes. Und damit weit mehr als nur ein Mensch. So wie Christus Menschensohn und Gottessohn war. An die Gemeinde in Korinth schrieb Paulus:

"Von jetzt an schätzen wir niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein. Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden."

In der Tat wollte auch Jesus einen radikal veränderten, einen neuen Menschen. Er verkündete in der Bergpredigt das Gebot der Feindesliebe und sagte:

"Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt vollkommen sein, wie es euer himmlischer Vater ist."

Der neue Mensch, das hielt Jesus offenbar für möglich, kann so vollkommen werden wie Gott. Nach göttlicher Vollkommenheit zu streben, das scheint uns heute eine absolute Überforderung. Bis heute ist es uns unmöglich, unsere Feinde zu lieben. Selbst seinen Nächsten so zu lieben wie sich selbst, schaffen die allerwenigsten.

Die römische Kirche nahm im dritten Jahrhundert offiziell Abstand von einem göttlichen Menschenbild. Aber bis dahin und auch darüber hinaus gab es viele christliche Gemeinden und Geistesströmungen, die den neuen, göttlichen Menschen für eine mögliche und schon bald zu erwartende Wirklichkeit hielten – bei der angekündigten Wiederkehr Christi und der Errichtung eines Gottesreiches auf Erden. Immer wieder beriefen sich die Theologen jener Zeit dabei auch auf den sechsten Vers des Psalms 82 im Alten Testament. Dort sagt Gott: "Ihr seid Götter und allzumal Söhne des Höchsten."

Heute scheint es offenkundig, dass Gott hier nicht zu den Menschen gesprochen hat, sondern zu anderen Göttern. Zu heidnischen Göttern, denn er sagt ihnen voraus, dass sie wie Menschen sterben und wie Tyrannen zugrunde gehen werden. Aber im Johannesevangelium wird Jesus zitiert, wie er sich auf gerade dieses Wort aus dem Alten Testament beruft. Als man Jesus wegen seiner Aussage "Ich und der Vater sind eins" vorwirft, er setze sich mit Gott gleich, und ihn steinigen will, verteidigt er sich: "Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz, ‚ich habe gesagt, ihr seid Götter‘?" Jesus schien den Menschen tatsächlich übermenschliche Fähigkeiten zuzutrauen. In seiner Abschiedsrede vor seiner Verhaftung verheißt er den Jüngern und allen, die an ihn glauben: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue und wird Größeres als dies tun."

Die Vergöttlichung des Menschen, die Vorstellung von seiner Allmacht, findet sich nicht nur im Christentum, nicht nur in den Religionen. Auch die klugen Denker der Aufklärung, die den Menschen aus religiöser Bevormundung befreien wollten, auch antireligiöse Bewegungen wie der Marxismus und auch ein Gegner des Christentums wie Nietzsche sprachen dem Menschen Fähigkeiten zu, die einer göttlichen Schöpferkraft gleich kommen. Ein neuer, besserer Mensch und ein neues, paradiesisches Reich auf Erden, beide geschaffen vom Menschen selbst, sie sollten Wirklichkeit werden.

Immun gegen neue Versprechungen?

Aus dem Bewusstsein seiner Schwäche hat der Mensch eine große Sehnsucht entwickelt – die Sehnsucht nach persönlicher Vollkommenheit und nach Befreiung von allen Widrigkeiten des Lebens. Jeder religiöse und politische Führer, der den Menschen verspricht, sie zu befreien, darf bis heute auf eine große Gefolgschaft hoffen. Man folgt ihm wie dem Erlöser.

Die Deutschen scheinen zurzeit immun zu sein gegen Versprechungen eines goldenen Zeitalters mit neuen Menschen. Die Erfahrungen des "Dritten Reiches" wirken noch immer nach. Hitlers Vision eines neuen Menschen, den er in der "arischen Rasse" erblickte, führte Millionen Menschen in eine teuflische Falle. Millionen Juden und zahllose andere ließ er von willigen Gefolgsleuten ermorden. Und Millionen Soldaten und Zivilisten vieler Völker starben im Zweiten Weltkrieg.

Auch der Glaube an den neuen sozialistischen Menschen ist verloren gegangen. In der DDR gab es ihn – vor allen in den Anfangsjahren. Aber auch noch 1961, kurz vor dem Mauerbau, appellierte der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Walter Ulbricht, an die Schriftsteller der DDR, immer wieder das Bild "des neuen Menschen mit seinen Problemen und Konflikten, mit seiner Schönheit und Würde" zu zeichnen. Ein Arbeiter aus Eisenhüttenstadt bat die Schriftsteller, in ihren Büchern, "das moralische Antlitz des neuen Menschen" zu gestalten. Und so befand der V. Deutsche Schriftstellerkongress der DDR im Mai 1961:

"Wir sind aufgerufen, das Bild des neuen Menschen zu gestalten, der unsere Epoche bestimmt, seine neuen Beziehungen zum Mitmenschen und zur Welt."

Am Ende der DDR gab es keinen neuen sozialistischen Menschen. Aber erfreulicherweise konnte sich ein relativ alter Menschentypus behaupten und durchsetzen: der Mensch, der nach Freiheit verlangt. Nicht nach verheißener, sondern nach tatsächlicher.

Und doch gibt es auch in Deutschland Anzeichen dafür, dass die verständliche, aber eben oft auch verhängnisvolle Sehnsucht nach einem ganz anderen, göttlich verklärten Menschen und nach einer ganz anderen endzeitlichen und himmlischen Welt in den Genen des alten Menschen alle Zeiten überlebt hat – und auch künftig überleben wird. In Deutschland wie auch in Österreich, Belgien oder Großbritannien beschließen junge Menschen, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben und schließen sich dem Kampf islamistischer "Gotteskämpfer" in Syrien und dem Irak an. Begeistert folgen sie Männern, deren Unduldsamkeit und Grausamkeit gegenüber Andersgläubigen durch nichts zu überbieten ist.

Von einem Tag zum anderen sind 18-jährige Jungen bereit, Menschen umzubringen. Minderjährige Mädchen reisen nach Syrien, um sich dort zu verschleiern und dann ihnen unbekannte Männer zu heiraten. Männer, deren Lebenssinn darin besteht, andere Menschen auf grausamste Weise zu töten: um einen Gottesstaat mit neuen, gottesfürchtigen Menschen zu begründen. Die sunnitischen Führer und Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates sind nicht die ersten und werden leider auch nicht die letzten sein, die sich zu Herren über Leben und Tod machen – den Göttern gleich.

Unmenschen und Übermenschen

Die Sehnsucht nach dem neuen Menschen ging meist einher mit der Vergöttlichung des Menschen, mit der Selbsterhebung in einen göttlichen Rang. Letztlich auch bei denen, die das Religiöse entschieden ablehnten, wie die Propheten des neuen kommunistischen Zeitalters. Und auch bei Friedrich Nietzsche, dem Philosophen des Übermenschen. Schon lange vor Nietzsche fand sich der Begriff des Übermenschen auch immer wieder bei christlichen Denkern.

In einem der meist gelesenen christlichen Erbauungsbücher des 17. und 18. Jahrhunderts wurde unterschieden zwischen Unmenschen und Übermenschen. Wer sich nicht im Glauben an Christus zum neuen Menschen mache, der sei kein wahrer Mensch, sondern nur ein Ohn-Mensch, schrieb der evangelische Superintendent Heinrich Müller. In seinen 1673 veröffentlichten "Geistlichen Erkwickstunden" heißt es über den alten und den neuen Menschen:

"Jener ist ein Ohn-Mensch, dieser ein wahrer Mensch: Jener nach Adam, dieser nach Gott gebildet: Jenem musst du ab-, diesem musst du anhangen. Im neuen Menschen bist du ein wahrer Mensch, ein Über-Mensch, ein Gottes- und ein Christen-Mensch."

Nietzsches Übermensch hatte vor allem ein Ziel: den Christen-Menschen und alles Religiöse hinter sich zu lassen. Interessanterweise verkündete Nietzsche seinen Aufruf zur Überwindung der Religion und der herkömmlichen Moral durch den Mund eines Propheten. Bezug nehmend auf Darwins Abstammungslehre lässt Nietzsche den persischen Religionsstifter Zarathustra sagen:

"Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen etwas über sie hinaus.

Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.

Ihr habt den Weg vom Wurm zum Menschen gemacht, und vieles in euch ist noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe als irgendein Affe.

Seht ich lehre euch den Übermenschen. Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: Der Übermensch sei der Sinn der Erde."

Wenn Nietzsche behauptet, dass der Übermensch der Sinn der Erde sei, dann hat er in gewisser Weise recht: Der Mensch versucht immer wieder, seinem Leben dadurch einen Sinn zu geben, dass er über die eigene unvollkommene Existenz hinaus strebt. Indem er Zuflucht nimmt in der Idee eines neuen und vollkommenen Über-Menschen und in dessen Geborgenheit im Göttlichen.

Gefährliche Sehnsucht

Doch wie gefährlich diese Sehnsucht ist, hat die Geschichte immer wieder gezeigt. Und zugleich, dass dieser neue Mensch wohl nie unsere Erde bevölkern wird. Bislang jedenfalls ist der Plan nicht aufgegangen.

Als Charles Darwin die Evolutionstheorie entwarf, mit ihrem Prinzip der Höherentwicklung des Lebens, da glaubten einige seiner enthusiastischen Anhänger, der Mensch könne sich noch in wunderbarer Weise weiter entwickeln. Vor allem in geistiger und moralischer Hinsicht. Auch Darwin äußerte – ganz vorsichtig – diese Hoffnung, war aber letztlich skeptisch.

Die Menschheit ist heute in ihrer moralischen Entwicklung nicht weiter als sie es vor mehr als 3000 Jahren war zu Zeiten von Moses. Auch er wollte einen neuen Menschen. Das Volk Israel sollte ein Volk werden, das nur einen Gott anbetet, den einzig wahren. Im Alten Testament erfahren wir, dass Moses 3000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, erschlagen ließ, weil sie, statt ihm und seinem Gott zu folgen, um ein goldenes Kalb tanzten. Er rief zu einem Massenmord auf, unmittelbar nachdem er vom Berg Sinai zurückgekehrt war – mit den Gesetzestafeln der Zehn Gebote. Das fünfte Gebot lautet: Du sollst nicht töten. Der neue Mensch bleibt eine Illusion und eine gefährliche dazu. Zumal heute nicht mehr nur religiöse und politische Propheten mit dieser Idee auf Menschenfang gehen.

Die Idee des neuen Menschen hat längst Einzug gehalten in die Labore von Biologen, Medizinern und Genforschern. Doch die Vorstellung, man könne durch Eingriffe in das Erbmaterial bessere Menschen züchten, ist nichts, was uns als Verheißung erscheinen sollte. Mit Sicherheit wird auch aus diesem Schöpfungsversuch kein fehlerfreier Mensch hervorgehen. Und er wird auch nicht unsterblich und göttlich werden. Aber unternehmen wird man ihn wohl, diesen Versuch. Sie ist einfach zu groß, die Sehnsucht nach dem neuen Menschen und seiner göttlichen Vollkommenheit.

Geb. 1950; Hörfunkautor und Journalismusdozent in Hamburg. E-Mail Link: detlefkuehn.hamburg@web.de