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Spying on enemies – knowing your friends | Internationale Sicherheit | bpb.de

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Spying on enemies – knowing your friends Zur Geheimdienstkooperation und Aufklärung unter Verbündeten

Christopher Nehring

/ 14 Minuten zu lesen

Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht? In historischer Perspektive zeigt sich, dass das geheimdienstliche "Aufklären" von Verbündeten keine Ausnahme, sondern eher der Regelfall ist. Dies schließt keinesfalls aus, dass auf anderen Gebieten eng miteinander kooperiert wird.

"Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht!" Mit diesen Worten reagierte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2013 ungewöhnlich deutlich auf sich verdichtende Hinweise, dass US-Geheimdienste auch Personen und Institutionen in Deutschland ausspionieren. Ihrer Kritik und ihrem Tonfall schlossen sich zahlreiche Medienvertreter an; den meisten Kommentaren war dabei ein moralisch-ethischer Impetus gemein, der verdeutlicht, dass sich das "geht gar nicht" nicht auf die technische Machbarkeit bezog: Der Einsatz von Spionagetechniken zur Informationsgewinnung über nicht verfeindete Staaten wurde fast einhellig als ethisch wie rechtlich falsch beschrieben.

Hier zeigte sich einerseits eine verbreitete, historisch gewachsene Skepsis gegenüber Geheimdiensten, die auf den Erfahrungen mit Geheimdiensten (eher jedoch Geheimpolizeien) als Instrumente staatlicher Repression in Kaiserreich, NS-Diktatur und der DDR beruht. Andererseits spielten aber auch rechtlich verargumentierte Sorgen über Rechtsüberschreitungen durch Geheimdienste beziehungsweise deren Agieren im rechtsfreien Raum eine große Rolle. Nicht zu übersehen war jedoch die Diskrepanz zwischen der vornehmlich in der deutschen Öffentlichkeit zum Ausdruck gebrachten moralischen Entrüstung und dem internationalen Fachdiskurs zum Thema spying on friends. Ein Blick in das Nischengebiet der Intelligence Studies offenbart, dass Spionage zwischen befreundeten Staaten und miteinander kooperierenden Geheimdiensten beileibe keine Seltenheit und auch kein Paradoxon ist, sondern ein durchaus logisch zu erklärendes Phänomen.

Im Folgenden werde ich mich diesem Thema aus zwei Richtungen nähern: Zum einen sollen die im deutschen Diskurs weitgehend unbekannten theoretischen Annahmen aus den Intelligence Studies vorgestellt werden, zum anderen soll aus historischer Warte und anhand von Beispielen untersucht werden, was sich über die Häufigkeit dieser Erscheinung sagen lässt. Auf diese Weise soll der aktuellen Debatte ein Impuls in Richtung einer realpolitischen Herangehensweise gegeben werden.

Intelligence Theory

Der sozialwissenschaftlich modellierten Intelligence Theory liegt ein rationalistischer Ansatz der internationalen Beziehungen zugrunde, demgemäß Staaten unter anarchischen äußeren Bedingungen nach Kosten-Nutzen-Maximierung streben. Dieser Handlungslogik folgen auch staatliche Geheimdienste, deren Hauptaufgabe im politischen System der Ausbau von Informationsgrundlagen für politische Entscheidungsträger ist. Als eine Möglichkeit hierzu dient die Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten. Diese kann die Form eines einfachen Informationsaustauschs (intelligence sharing) oder darüber hinausgehende Kooperationsbeziehungen (intelligence liaison) annehmen. Hauptantrieb für geheimdienstliche Zusammenarbeit ist die Maximierung von Informationsgewinnung beziehungsweise Vergrößerung operativer Möglichkeiten zu möglichst geringen Kosten. Die praktischen Formen solcher Quid-pro-quo-Arrangements sind variabel. Die Logik eines "Tauschhandels" (give and take) liegt auch Verabredungen über Informationsaustausch zugrunde.

Die Hauptfrage theoretischer Modelle von Geheimdienstkooperation ist die Frage nach den Gründen für eine Zusammenarbeit in diesem sensiblen Bereich. Hierbei wird von einer direkten Kausalbeziehung zwischen der ursprünglichen Motivation und der späteren Form ausgegangen sowie davon, dass geheimdienstliche Zusammenarbeit aufgrund von Hemmnissen generell unwahrscheinlich beziehungsweise schwierig ist. Als größte Hindernisse gelten Kosten-Nutzen-Abwägungen (bargaining problem) und Vertrauensfragen – wenn etwa Zweifel bestehen, ob Vereinbarungen auch eingehalten werden (enforcement problem). Eine wichtige Rolle spielen das im Sicherheitsbereich grundsätzlich verbreitete Misstrauen sowie der Umstand, dass eine gleichzeitige Nutzenmaximierung für beide Kooperationspartner nur selten zu erreichen ist.

Das theoretische Instrumentarium bietet jedoch Erklärungsmuster, wie und warum diese Hindernisse überwunden werden können. Bedenken gegen Kooperationsengagements können zum Beispiel zurückgestellt werden, wenn der zu erwartende Nutzen überwiegt, die Teilnehmer also entweder gemeinsame Interessen verfolgen oder sich Einzelinteressen durch die Zusammenarbeit effizienter verfolgen lassen. Kooperationsvereinbarungen müssen jedoch nicht notwendigerweise auf Geheimdienstaktivitäten beschränkt bleiben. Bei unterschiedlichen Möglichkeiten oder Nutzen einer Seite aus der Kooperation können auch andere "Waren" (goods), wie Entwicklungs- oder Militärhilfe oder diplomatische Unterstützung einbezogen werden. Wichtig ist dabei allein das Prinzip, dass keine der beiden Seiten zur Ausweitung der Möglichkeiten eines anderen Dienstes beitragen wird, ohne im Gegenzug selbst davon in irgendeiner Art zu profitieren. In diesem Fall können strategische Verbündete asymmetrische Kooperationsarrangements – zum Beispiel in Allianzen – eingehen, wenn ihre Kosten im Wettbewerb für unabhängige, eigenständige Möglichkeiten höher wären.

Deutlich komplexeren Charakter erhält Geheimdienstkooperation in multilateralen Bündnissen, da davon ausgegangen wird, dass sich die Risiken um ein Vielfaches erhöhen. Dies führt dazu, dass erstens die Qualität der Zusammenarbeit am schwächsten beziehungsweise vertrauensunwürdigsten Partner ausgerichtet wird. Daraus folgt zweitens, dass jeder Teilnehmer prinzipiell die als sicherer angesehene bilaterale Kooperation bevorzugen wird. Bedenken einzelner Dienste können in einem multilateralen System drittens jedoch unwichtig werden, wenn die Liaison weniger den geheimdienstlichen Interessen als der Festigung eines politischen oder militärischen Bündnisses gilt. Dies kann viertens wiederum eine ungewünschte Entwicklung wie die Aushöhlung der Kooperation (hollow liaison), eine verfeindete Zusammenarbeit (adversarial liaison) oder das gesteigerte Bedürfnis zur "Aufklärung" beziehungsweise "Gegenaufklärung" der eigenen Kooperationspartner (knowing your friends) hervorrufen, um deren Absichten herauszufinden beziehungsweise eine Infiltration durch eine dritte Partei auszuschließen. Spionage gegen Verbündete muss somit als eine mögliche Konsequenz und feste Eigenschaft geheimdienstlicher Kooperation angesehen werden.

Neben den bereits genannten typologischen Klassifikationen von Geheimdienstzusammenarbeit lassen sich fünf Kategorien unterscheiden, die sich jedoch teilweise überschneiden können:

  1. Die vollwertige Kooperation (full-fledged liaison) beschreibt eine offizielle, formale, autorisierte und stabile Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum hinweg und zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: abgestimmte Sicherheitsklassifikationen und -vorkehrungen, Austausch von Verbindungsoffizieren, gemeinsame Kommunikationskanäle, gemeinsame Personalausstattung von Einrichtungen sowie persönliche Kontakte auf Leitungsebene.


  2. Nachrichtendienstlicher Informationsaustausch (intelligence information sharing).


  3. Gemeinsame Aufklärungsoperationen (intelligence operations sharing).


  4. Nachrichtendienstliche Unterstützungsleistungen (intelligence support), zum Beispiel technische Hilfe oder Ausbildung.


  5. Nachrichtendienstliche Zusammenarbeit als eine Form verdeckter Diplomatie (crypto diplomacy).

Obgleich die in den Intelligence Studies nach wie vor nur als Randströmung existierende Forschung zur Geheimdienstzusammenarbeit also plausible Modelle hervorgebracht hat, können nichtsdestotrotz auch einige Kritikpunkte geltend gemacht werden. So folgte dieser Forschungszweig bislang vor allem der allgemeinen Fixierung der Intelligence Studies auf die Geheimdienste der sogenannten Five-Eyes-Staaten USA, Vereinigtes Königreich, Kanada, Australien und Neuseeland. Alle Modellierungen beruhen demnach hauptsächlich auf den US-Geheimdiensten und ihrer Kooperation. Dies wirft die Frage auf, ob die Grundannahmen der Theoriebildung – vor allem jene über rationale und selbstständige Akteure – ohne Einschränkung auf nicht westliche oder autoritäre Staaten übertragbar ist. Untersuchungen hat es hierzu bislang kaum gegeben. Ebenso kann argumentiert werden, dass jeweils nur passende historische Beispiele herangezogen sowie nichtlineare Entwicklungen und Rückschritte weitgehend ausgeklammert wurden, um die Modellierungen zu stützen. Dass etwa auch die special relationship zwischen den britischen und US-Geheimdiensten Phasen distanzierterer Zusammenarbeit hatte, wurde von der Theorie kaum rezipiert.

Aufklärung in der Praxis: Historische Beispiele

Den theoretischen Annahmen über Geheimdienstkooperation ist inhärent, dass Kooperationshindernisse, allen voran Misstrauen und Selbstschutz, zu einem natürlichen Interesse an der Aufklärung von Partnern führen können. Wenn etwa ein Geheimdienst eine neue Zusammenarbeit mit einem anderen eingeht oder aber eine bestehende in weitere Bereiche ausdehnt, wird er in seine Überlegungen einbeziehen, ob der Partner "sicher" ist, das heißt, dass geteilte Informationen nicht durchsickern oder Agenten kompromittiert werden. Ein prominentes Beispiel hierfür war aus US-amerikanischer Sicht die BND-Quelle "Curveball": Dies war der Deckname für den 1999 aus dem Irak geflohenen Ingenieur Rafid Ahmed Alwan, der behauptete, an irakischen Programmen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen mitgearbeitet zu haben. Diese Erkenntnisse wurden vom BND an die CIA weitergeleitet, ohne dass ein direkter Quellenzugang ermöglicht wurde. Später bauten die USA ihre Argumentation für einen Einmarsch in den Irak unter anderem auf die – unwahren – Aussagen von "Curveball" auf. Der Fall wurde als Paradebeispiel für die in der Theorie beschriebenen Kooperationsschwierigkeiten angeführt: Hätte die CIA direkten Zugang zur Quelle oder aber durch eigene Aufklärung Erkenntnisse aus dem BND selbst gehabt, so hätte dies zu einer anderen Einschätzung führen können.

In der Geschichte der Geheimdienste und ihrer Kooperation gibt es zahlreiche weitere Beispiele dieser Art. So soll gegen Ende des Ersten Weltkrieges eine Priorität des britischen Nachrichtendienstes gewesen sein, angebliche US-amerikanische Vorbereitungen für einen Chemiewaffeneinsatz aufzuklären. Und bereits während des Zweiten Weltkrieges war weitestgehend bekannt, dass die UdSSR ihr Bündnis mit den USA auch für Zwecke der Aufklärung nutzte. Doch erst für die Zeit des Kalten Krieges lassen sich regelmäßig Beispiele systematischer Aufklärung zwischen verbündeten Staaten dokumentieren. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass sich dieses Phänomen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs beobachten ließ.

Zunächst zur östlichen Seite: Spätestens nach dem Untergang des Kommunismus wurde klar, dass das sowjetische KGB nicht nur gegen den Westen und Dissidenten gearbeitet hatte, sondern auch in den "Bruderstaaten" extrem aktiv gewesen war. Wie der Prager Frühling 1968, der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 oder die polnische Krise ab 1980 zeigten, unternahm die sowjetische Geheimpolizei zahlreiche Operationen in verbündeten Staaten. Diese liefen zumeist unter dem Decknamen "PROGRESS" und hatten – vereinfacht ausgedrückt – die Stabilisierung des sozialistischen Machtbereichs zum Ziel. Im Bereich der Fernmeldeaufklärung gehörte es darüber hinaus mindestens zum allgemeinen Vorgehen, dass das KGB zwar mit seinen Verbündeten kooperierte, dabei jedoch niemals den neuesten Stand seiner kryptografischen Technik offenbarte. Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR betrieb spätestens ab 1980 eine eigenständige Aufklärung der eigentlich verbündeten Volksrepublik Polen, deren innere Unruhen als Gefahr wahrgenommen wurden. Dabei kamen keineswegs nur Mittel der "offenen Informationsgewinnung" zum Einsatz, sondern es wurde gezielt auf alle Mittel der Spionage zurückgegriffen. Ließen sich die Aktivitäten des KGB gegen seine Verbündeten noch mit dem Konzept der Geheimdienstkooperation in asymmetrischen Allianzen erklären, war die DDR-Aufklärung gegen Polen ein Musterbeispiel für eine gegnerische Liaison.

Auch für die westlichen Geheimdienste gehörte die gegenseitige Aufklärung verbündeter Staaten im Kalten Krieg mehr oder weniger zum Alltag, was spätestens seit den 1980er Jahren gut dokumentiert ist. Dabei standen vor allem die Geheimdienste der NATO-Staaten sowie in Überschneidung die Five-Eyes-Staaten im Mittelpunkt. Die dominierende Stellung der US-Geheimdienste brachte es dabei mit sich, dass sie besonders oft im Fokus standen. Ähnlich wie im Zuge der "Snowden-Affäre" ab 2013 betraf dies vor allem die Fernmelde- und Kommunikationsüberwachung der NSA. Durch Überläufer und kritische Mitarbeiter wurde bereits seit Mitte der 1970er Jahre in die Öffentlichkeit getragen, dass die NSA im Zuge ihrer Feindaufklärung auch die Kommunikation ihrer Verbündeten täglich aufklärte. Selbst das eng verbündete Vereinigte Königreich war davon betroffen. Technisch wurden zumeist die eigentlich gegen den Ostblock gerichteten Abhörstationen auf dem Territorium befreundeter Staaten genutzt – etwa im bayerischen Bad Aibling.

Im Dienste nationaler Interessen

Misstrauen und Selbstschutz können die Aufklärung unter Partnern jedoch nur teilweise erklären. Weitaus häufiger verweist ein spying on friends auf die enge Verquickung nachrichtendienstlicher Arbeit mit den Interessen der maßgeblichen Akteure im internationalen politischen System – den Nationalstaaten. Ihre Bedeutung hat im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung und der Herausbildung supranationaler Akteure wie der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen abgenommen, sodass Geheimdienste in der neuen Welt(un)ordnung geradezu als Herzstück und Verkörperung der legitimen Eigeninteressen einzelner Staaten beschrieben werden. Diese Interessen wiederum konvergieren oftmals miteinander, und so kommt es gerade auf geheimdienstlicher Ebene zu Nullsummenrechnungen, bei denen die Akteure – auch wenn sie auf anderen Ebenen zusammenarbeiten – miteinander konkurrieren und nur einer sein Interesse durchsetzen kann. Eine Zusammenarbeit von Geheimdiensten erscheint daher teilweise als extrem unwahrscheinlich.

Ein Beispiel für gelingende Kooperation findet sich in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit gegen den internationalen Terrorismus: Hier haben viele Akteure das gleiche Ziel, weshalb der Nutzen des einen Partners nicht zwangsläufig einen Nachteil für einen anderen Partner bedeuten muss. Gleichzeitig jedoch bleiben dieselben Akteure in außenpolitischen oder wirtschaftlichen Bereichen nach wie vor in einem Konkurrenzverhältnis. So können westliche Staaten bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus durchaus mit Russland kooperieren, obgleich die außenpolitische Aufklärung gegeneinander unvermindert fortgeführt wird.

Das nationale Eigeninteresse, mit dem Geheimdienste im Auftrag ihrer Regierungen handeln, ist dabei in bestimmten Bereichen eher kompatibel als in anderen. Hierzu gehört zum Beispiel der militärische Bereich, in dem es öfter zur Bildung von Allianzen und geheimdienstlicher Kooperation gegen gemeinsame Gegner kommt. Ein weiterer Bereich ist der Kampf gegen grenzübergreifendes organisiertes Verbrechen. Andere Tätigkeitsfelder hingegen scheinen besonders anfällig für geheimdienstliche Konkurrenz zu sein. Dies sind etwa die Bereiche Wirtschaft sowie Wissenschaft und Technik, in denen aufgrund direkter Verbindungen zu finanziellen und wirtschaftlichen Vorteilen eines Akteurs ein besonders hohes Ausmaß an Wettbewerb und Konkurrenz ausgemacht werden kann. Dies trifft auch auf Partner zu, die bereits in anderen Bereichen in einer Allianz kooperieren.

Gänzlich diffus verhält es sich hingegen im äußerst weiten Bereich der Außenpolitik. Unzweifelhaft werden hier die meisten politischen Allianzen zwischen Staaten geschlossen. Die Annahme, dass zwischen verbündeten Staaten gegenseitige Aufklärung durch Geheimdienste gebannt sei, hält indes keinem Praxistest stand. Denn auch die politischen Interessen, Handlungen und Absichten eines befreundeten Staates sind wichtige Faktoren, die jede Regierung in Entscheidungen und Programme einbeziehen muss – sie ist daher auf entsprechende Informationen angewiesen. Nicht nur US-Geheimdienste nutzten ihr dichtes Netz aus Funk- und Fernmeldeüberwachung immer wieder zur Aufklärung über Verbündete, auch für kleinere Staaten des westlichen Militärbündnisses lassen sich ähnliche Hinweise finden.

Der MI5-Veteran Peter Wright beispielsweise berichtete detailliert darüber, wie seine Kollegen des britischen Geheimdienstes die französische Botschaft in London abhörten, um französische Reaktionen auf den britischen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum zu erkunden. Wrights Darstellung mag hier exemplarisch für die Sichtweise und inneren Geheimdienstzusammenhänge solcher Aktionen stehen: Keineswegs nämlich sah er in Frankreich einen feindlichen Staat, dessen Pläne und Handlungen zum Abwenden von potenziellem Schaden notwendig waren. Stattdessen beschrieb Wright es als für die britische Regierung notwendig, zur bestmöglichen Ausgestaltung ihrer eigenen Politik über die Pläne und Absichten eines wesentlichen Akteurs informiert zu sein. Dass dieser Akteur gleichzeitig ein Partner und Verbündeter im Kalten Krieg war, war dabei zweitrangig.

In den meisten der im Bereich Außenpolitik bekannten Beispielen geht es um Fernmelde- und Kommunikationsüberwachung. Spying on friends beschränkt sich jedoch keinesfalls auf dieses vermeintlich geräuschlose Vorgehen. So gibt es – wenn auch zumeist schlecht dokumentiert – einige Fälle von politischer Einmischung in die Innenpolitik verbündeter Staaten. Die wenigen Beispiele beziehen sich ausnahmslos auf US-Geheimdienste in der Zeit nach 1945. Erst 2016 konnte etwa belegt werden, dass Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin über Umwege Geld aus CIA-Kassen erhielt, um Kampagnen führen zu können. Ähnlich sollen auch Wahlkämpfe in Kanada oder Australien durch Geld und gezielte Aktionen der CIA beeinflusst worden sein.

Schon seit jeher enthält beinahe jede Form der politischen Informationsarbeit über befreundete Staaten nahezu alle wesentlichen Komponenten von Aufklärung. Die klassische außenpolitische Informationsgewinnung, etwa durch diplomatische Gespräche und Berichte, Militärbeobachter oder in vergangen Epochen durch Gesandtschaften, Boten und Militärattachés, unterscheidet sich dabei nur manchmal, oftmals auch gar nicht, von der "bösen Spionage" des digitalen Zeitalters. Die wesentliche Trennlinie verläuft entlang der Frage, ob die entsprechenden Informationen "offen" oder aber im Geheimen gesammelt werden. Vertrauliche Kamingespräche zwischen offiziellen und inoffiziellen Gesprächspartnern zweier Länder stellen hier bereits eine Grauzone dar. Noch besser hingegen eignen sich aber Beobachtungsmissionen von Militärattachés und Gesandten, um zu verdeutlichen, wie dünn und oftmals verwischt die Grenze zwischen akzeptierter Informationsarbeit und Spionage ist.

Fazit

Zusammenfassend lassen sich einige Ergebnisse festhalten, die konträr zu den im öffentlichen Diskurs vorherrschenden Annahmen verlaufen: So zeigt sich anhand der gängigen Theorien der Intelligence Studies, dass Geheimdienstkooperation im aktuellen internationalen System eher eine Ausnahme ist, nicht der Regelfall. Es lassen sich zahlreiche Kooperationshindernisse identifizieren, die eine Zusammenarbeit in diesem sensiblen Feld zumindest deutlich erschweren. Diese Hindernisse, ständige Sicherheits- und Vertrauensdefizite sowie das vorherrschende nationale Interesse der Akteure führen dabei – gerade auch innerhalb von Allianzen und Bündnissen – zu Aufklärungsbemühungen gegenüber Verbündeten. Je heterogener und asymmetrischer Allianzen sind beziehungsweise je dominanter ein Partner in ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines spying on friends. Dabei muss diese Form der Aufklärung nicht zwangsläufig zu größerem Misstrauen zwischen den Partnern führen oder als Begrenzung für deren Kooperation wirken. Stattdessen – so zumindest ein theoretisches Argument – könnte sie auch kooperationsfördernd wirken, wenn sie Sicherheitsbedenken eines Partners durch eigene Informationsgewinnung zerstreuen kann.

Die Aufklärung von Verbündeten kann dabei unterschiedliche Formen und Methoden annehmen, die grundsätzlich das gesamte methodische Instrumentarium der Spionage ausschöpfen. Eine allgemeine Tendenz deutet jedoch daraufhin, dass "grobe" und "rabiate" Methoden wie Einflussoperationen, paramilitärische Einsätze oder auch die direkte Werbung von Agenten weniger häufig zum Einsatz kommen als bei der Aufklärung feindlicher Staaten. Ein unmoralisches spying on friends scheint sich fernerhin nicht selten nur durch diffuse und unbestimmte Trennlinien von allgemein akzeptierten Verhaltensweisen zu unterscheiden. Diplomatische Informationsgewinnung oder militärische Verbindungsmissionen gehören nach wie vor zu international anerkannten Tätigkeiten, obwohl auch sie die Grenze zur Aufklärung in verbündeten Staaten oftmals überschreiten. Hingegen gilt die Fernmeldeüberwachung beziehungsweise das Abhören eines Verbündeten als Tabubruch, was darauf hindeutet, dass die gewählte Methode der Informationsgewinnung über einen Partner von erheblicher Relevanz ist.

Aus historischer Sicht ist zu konstatieren, dass das Aufklären von Verbündeten zum geheimdienstlichen Alltagsgeschäft gehört. Aus nahezu allen historischen Epochen, Gesellschafts- und Bündnissystemen lassen sich Beispiele hierfür anführen. Dies mag zwar teils unterschiedliche Ursachen haben, nichtsdestoweniger lässt sich aber eine Tendenz erkennen, die darauf hindeutet, dass auch Partner untereinander ein genuines Interesse der Informationsgewinnung übereinander haben. Dies scheint auch in der vernetzten Welt von heute eine Konstante zu bleiben. In den entsprechenden Fachdiskursen ist diese Tatsache allerdings schon seit Langem – weit vor der NSA-Affäre – bekannt. Eine tiefere Rezeption der Erkenntnisse der angelsächsischen intelligence communities hätte hier auch in der deutschen Öffentlichkeit zu einer besseren Einordnung beitragen können.

Zu guter Letzt bleibt die Frage nach "Gegenmaßnahmen" gegen Aufklärungsbemühungen durch verbündete Staaten. Die Bundesregierung wählte einen besonders interessanten Ansatz, als sie 2013 versuchte, ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA zu erreichen. Ein solcher Ansatz war vor allem deshalb interessant, weil er historisch ohne Präzedenzfall ist und daher ein Novum gewesen wäre. Das Scheitern der Verhandlungen zeigt jedoch, warum ein solches Abkommen eher im Bereich des Wunschdenkens anzusiedeln ist: Die beschriebenen Hindernisse, allen voran der allgegenwärtige Sicherheitsvorbehalt, waren einfach zu groß. Ebenso wurde erneut die überragende Stellung des einen dominanten Partners deutlich, der zu so weitreichenden Konzessionen nicht bereit ist und dem keine gleichrangige Gegenleistung angeboten werden kann. Die zukünftigen Schutz- beziehungsweise Gegenmaßnahmen greifen daher auch weiterhin auf das einzige Mittel zurück, das in der Geschichte der Geheimdienste seit jeher angewandt wird: verschärfte eigene Sicherheitsvorkehrungen und eine aktive Spionageabwehr.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum gesamten Abschnitt vgl. Jennifer E. Sims, Foreign Intelligence Liaison: Devils, Deals, and Details, in: International Journal of Intelligence and Counterintelligence 2/2006, S. 195–217; James Walsh, The International Politics of Intelligence Sharing, New York 2010.

  2. Vgl. Bradford Westerfield, America and the World of Intelligence Liaison, in: Intelligence and National Security 3/1996, S. 523–560; Chris Clough, Quid pro Quo: The Challenges of International Strategic Intelligence Cooperation, in: International Journal of Intelligence and Counterintelligence 4/2004, S. 601–613.

  3. Vgl. Martin Alexander, Knowing Your Friends, in: ders. (Hrsg.), Knowing your Friends. Intelligence Inside the Alliances and Coalitions from 1914 to the Cold War, London 1998, S. 3–14.

  4. Vgl. Jeffrey T. Richelson/Desmond Ball, The Ties That Bind: Intelligence Cooperation Between the UKUSA Countries, Boston 1985, S. 160f.

  5. Vgl. Philip H.J. Davies/Kristian C. Gustafson, An Agenda for the Comparative Study of Intelligence, in: dies. (Hrsg.), Intelligence Elsewhere. Spies and Espionage Outside the Anglosphere, Washington D.C. 2013, S. 3–12.

  6. Vgl. Bob Drogin, Curveball: Spies, Lies, and the Con Man Who Caused a War, Washington D.C. 2007.

  7. Vgl. Walsh (Anm. 1), S. 3. Allerdings wurde der Fall "Curveball" von amerikanischer Seite durchaus dazu benutzt, die Schuld für das eigene Versagen im Vorfeld des Irak-Krieges von sich zu schieben. Es erscheint höchst fraglich, dass die US-Regierung sich einzig auf die vom BND übergebenen Informationen stützte.

  8. Vgl. Christopher Andrew, The British Secret Service and Anglo-Soviet Relations in the 1970’s, Part I, in: The Historical Journal 3/1977, S. 673–706.

  9. Vgl. Bradley Smith, Sharing Secrets With Stalin, Lawrence 1996.

  10. Vgl. Richard Popplewell, The KGB and the Control of the Soviet Bloc: The Case of East Germany, in: Alexander (Anm. 3), S. 254–284.

  11. Vgl. Christopher Andrew/Wassily Mitrochin, Schwarzbuch des KGB, Bd. 1, Berlin 1999, S. 346–380, S. 441f.

  12. Vgl. Tytus Jaskulowski, Przyjazn, ktorej nie bylo. Ministerstwo Bezpieczenstwa Panstwowego NRD wobec MSW 1974–1990, Warschau 2014.

  13. Vgl. Richelson/Ball (Anm. 4), S. 265–268.

  14. Etwa vom ehemaligen Leiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, Stephen Landers, International Intelligence Cooperation: An Inside Perspective, in: Cambridge Review of International Affairs 3/2010, S. 481–493.

  15. Vgl. Peter Schweizer, The Friendly Spies, New York 1995; James Adams, The New Spies: Exploring the Frontiers of Espionage, London 1994.

  16. Vgl. Peter Wright, Enthüllungen aus dem Secret Service, Frankfurt/M.–Berlin 1988, S. 116.

  17. Vgl. Washington unterstützte Willy Brandt mit geheimen Zahlungen, 10.6.2016, Externer Link: http://www.faz.net/-14280080.html.

  18. Vgl. Richelson/Ball (Anm. 4), S. 265–268.

  19. Vgl. Alexander (Anm. 3), S. 5f.

  20. Vgl. John Goetz et al., All the Best, in: Süddeutsche Zeitung, 9.5.2015.

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ist Historiker. Nach dem Studium der Osteuropäischen, Mittleren und Neueren Geschichte in Heidelberg und Sankt Petersburg hat er über die Zusammenarbeit der Auslandsaufklärung der DDR und Bulgariens promoviert.