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Vergebliches Werben um den "Brentrance". Großbritannien und Europa 1967 | 1967 | bpb.de

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Vergebliches Werben um den "Brentrance". Großbritannien und Europa 1967

Gabriele Clemens

/ 16 Minuten zu lesen

Am 11. Mai 1967 stellte die britische Labour-Regierung unter Premierminister Harold Wilson ein erneutes Gesuch um Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften. Fünf Tage später erklärte der französische Staatspräsident Charles de Gaulle in einer Pressekonferenz, dass eine Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches die Gemeinschaft völlig verändern würde und deshalb eine Assoziation dem Beitritt vorzuziehen sei. Bei den folgenden deutsch-französischen Konsultationen im Juli unterstrich de Gaulle seine Haltung mit den Worten, dass Großbritannien gegenwärtig "was seine Lebensart betrifft, seine Weise, sich Lebensmittel zu beschaffen, sein Währungssystem, seine Kapitalbewegungen, seine Stellung in der Welt, seine Beziehungen zum Commonwealth, sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten" anders geartet sei als die sechs Gemeinschaftsstaaten; Großbritannien müsse erst "europäisch" werden, bevor es der Gemeinschaft beitreten könne. Doch trotz dieser eindeutigen Haltung de Gaulles, die auch schon zum Scheitern des ersten britischen EG-Beitrittsgesuchs 1963 geführt hatte, hielt Wilson an dem Beitrittsantrag fest und vertraute darauf, dass die anderen fünf EG-Partner, die sogenannten friendly five (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Niederlande, Italien, Luxemburg), den britischen Beitritt weiterhin unterstützen würden. Im Dezember 1967 schließlich stellte der EG-Ministerrat die Unvereinbarkeit der Positionen Frankreichs und der anderen Fünf fest. Daraufhin wurden die Beitrittsverhandlungen nicht fortgeführt. Großbritannien aber zog seinen Antrag nicht zurück und lehnte auch alle Ersatzlösungen strikt ab. Das britische Beitrittsgesuch blieb somit auf dem Tisch, das heißt auf der Tagesordnung des Rates, und unter de Gaulles Nachfolger Georges Pompidou wurden schließlich die Verhandlungen wieder aufgenommen und 1972 erfolgreich zu Ende geführt.

Dieses unbeirrte Festhalten der Wilson-Regierung an dem britischen Beitrittswunsch mag verwundern, hatte doch gerade die Labour Party in den Jahren zuvor wiederholt ihre Ablehnung eines britischen EG-Beitritts kundgetan. Ein britischer Beitritt zum Gemeinsamen Markt, so hatte der Vorsitzende der Labour Party, Hugh Gaitskell, 1962 auf dem Parteitag in Brighton erklärt, würde "the end of a thousand years of [British] history" bedeuten. Und Gaitskell hatte fünf Bedingungen formuliert, unter denen eine britische EG-Mitgliedschaft überhaupt infrage käme. Diese sogenannten Gaitskell-Bedingungen, die die Europapolitik der Labour Party in den nächsten Jahren bestimmten, umfassten die Forderung nach starken und bindenden Sicherungen für den Handel und andere Interessen der Commonwealth-Staaten, die Freiheit, eine eigene Außenpolitik zu verfolgen, Erfüllung der Versprechen gegenüber den Mitgliedern in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), das Recht, die eigene Wirtschaft zu planen und Garantien zum Schutz der Position der britischen Landwirtschaft – Bedingungen, die den Interessen der sechs EG-Staaten zuwiderliefen.

Im Wahlkampf des Jahres 1964, der mit einem knappen Sieg der Labour Party endete, hatte Wilson sich erneut zu den Gaitskell-Bedingungen bekannt, und nichts deutete auf das einige Jahre später gestellte "bedingungslose" Beitrittsgesuch hin. Warum entschied sich die Labour-Regierung unter Harold Wilson (Premierminister von 1964 bis 1970 sowie von 1974 bis 1976), der das erste britische Beitrittsgesuch unter Harold Macmillan (Premierminister von 1957 bis 1963) noch heftig kritisiert hatte, dann 1967 für einen erneuten EG-Beitrittsantrag?

Grundzüge britischer Europapolitik 1945–1961

Gemäß dem Churchill’schen Konzept der drei Kreise, das Großbritannien an der Schnittstelle zwischen den USA, dem Commonwealth und Europa verortete und keine einseitige oder ausschließliche Integration in einen der Kreise zuließ, hatten alle britischen Regierungen der Nachkriegszeit es abgelehnt, sich allzu eng an die Staaten des Kontinents zu binden und sich in ein supranationales Europa zu integrieren. Sowohl aus politischen als auch aus ökonomischen Gründen lehnten sie daher ihre Teilnahme an der 1952 errichteten Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der geplanten und später gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und den beiden 1958 ins Leben gerufenen Gemeinschaften EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und Euratom (Europäische Atomgemeinschaft) ab. Das vom französischen Außenminister Robert Schuman in seiner Rede vom 9. Mai 1950 zur Begründung der EGKS formulierte Ziel, mittels der wirtschaftlichen Einigung letztendlich zu einer europäischen Föderation zu gelangen, entsprach nicht den britischen Vorstellungen einer Zusammenarbeit mit Europa, ebenso wenig wie das im EWG-Vertrag festgehaltene Ziel, zu einem immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu gelangen. Die Abgabe von Souveränität an eine übergeordnete Behörde, wie sie EGKS, EWG und Euratom vorsahen, wurde britischerseits als nicht akzeptable Beschränkung der nationalstaatlichen Souveränität angesehen.

Aus damaliger britischer Sicht war diese Haltung verständlich, und hier nur von "missed opportunities" zu sprechen, verkennt die Umstände der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Position Großbritanniens Anfang der 1950er Jahre. Schließlich hatte Großbritannien, anders als die Staaten des Kontinents, den Angriffen Hitlerdeutschlands standgehalten, war als Siegermacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen, bestimmte an der Seite der USA und der Sowjetunion die Gestaltung der Nachkriegsordnung mit und stand an der Spitze des weltumfassenden Commonwealth. Großbritannien war zu dieser Zeit nach den USA die zweitwichtigste Macht der westlichen Welt. Eine allzu enge Bindung an die besiegten und geschwächten Staaten des Kontinents, deren Zukunft Anfang der 1950er Jahre noch ungewiss war, schien aus britischer Sicht nicht opportun, sogar riskant.

Neben diesen politischen Gründen gab es auch wirtschaftliche Gründe, die zur Ablehnung einer Teilnahme an den Europäischen Gemeinschaften führten. So war Großbritannien 1950 einer der größten Kohle- und Stahlproduzenten der Welt, nur fünf Prozent seiner Stahlexporte gingen in die späteren EGKS-Staaten, und auch seine Rohstoffe bezog Großbritannien nur zu einem geringen Teil aus diesen Ländern. Eine Teilnahme an der Kohle- und Stahlgemeinschaft der Sechs hätte Großbritannien nicht nur keine Vorteile gebracht, sondern sich möglicherweise sogar nachteilig auf die britische Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich ausgewirkt. Ähnlich stellte sich Mitte der 1950er Jahre, als die Sechs den Weg zur EWG beschritten, die wirtschaftliche Situation Großbritanniens dar: Großbritanniens Bruttosozialprodukt war zweimal so hoch wie das der Bundesrepublik und fast dreimal höher als das Frankreichs. Der Handel mit dem Commonwealth überwog deutlich den Handel mit den künftigen EWG-Staaten. Ungefähr 50 Prozent der britischen Exporte gingen in die Staaten des Commonwealth, nur 14 Prozent in die späteren EWG-Staaten, und der Anteil des Commonwealth an den britischen Importen belief sich auf 49 Prozent.

Eine 1955 erstellte Studie des interministeriellen Mutual Aid Committee, in der die mittel- und langfristigen Auswirkungen einer möglichen EWG-Mitgliedschaft Großbritanniens untersucht wurden, kam zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme am Gemeinsamen Markt je nach Wirtschaftszweig sowohl Vor- als auch Nachteile für die britische Wirtschaft biete und dass sich somit aus wirtschaftlicher Perspektive keine klare Entscheidung zugunsten der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt der Sechs ergebe. Es waren dann die vom Foreign Office im Bericht dargelegten politischen Gründe, die zu der Entscheidung führten, nicht am geplanten Gemeinsamen Markt der Sechs teilzunehmen. Hervorgehoben wurde dabei insbesondere, dass durch eine EWG-Teilnahme die Beziehungen zum Commonwealth als auch zu den USA geschwächt werden könnten. Allerdings gab es auch bereits mahnende Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die Sechs sich zu einem starken wirtschaftlichen und politischen Block entwickeln könnten und Großbritannien sich dann zu einem späteren Zeitpunkt unter den Bedingungen der Sechs dieser Gemeinschaft anschließen müsste.

Die Ablehnung der Teilnahme an den supranationalen Europäischen Gemeinschaften in den 1950er Jahren bedeutete aber nicht, dass Großbritannien kein Interesse an Europa hatte oder keine Zusammenarbeit mit Europa suchte. Vielmehr strebten die britischen Regierungen der Nachkriegszeit durchaus eine Verbindung mit den Staaten des Kontinents an, aber nur im Rahmen intergouvernementaler Organisationen wie der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, heute OECD), dem Europarat und dem Brüsseler Pakt/Westeuropäische Union (WEU), die keine Souveränitätsabgabe der Staaten an ein übergeordnetes Organ verlangten. Für die wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde die Bildung einer Europäischen Freihandelszone präferiert.

Kehrtwende britischer Politik?

Dass Großbritannien zu Beginn der 1960er Jahre von der bislang verfolgten Europapolitik abwich und am 9. August 1961 unter Premierminister Harold Macmillan ein erstes Beitrittsgesuch zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stellte, hatte mehrere Ursachen.

Zum einen hatte die britische Industrie an Wettbewerbsfähigkeit verloren und war Großbritanniens Anteil am gesamten Weltexport zwischen 1950 und 1960 von 25,5 Prozent auf 16,5 Prozent gesunken. Zudem hatten sich inzwischen die Handelsströme verlagert. Die britischen Exporte in das Commonwealth sowie die Importe aus diesen Staaten waren deutlich zurückgegangen, und der Handel mit den EWG-Staaten hatte zugenommen, sodass 1962 der Anteil des britischen Exports nach Westeuropa den Anteil der Exporte in das Commonwealth überstieg. Auch hatte das britische Wirtschaftswachstum, verglichen mit den EWG-Staaten, zwischen 1955 und 1960 nachgelassen. Während die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten in Großbritannien bei 2,5 Prozent lagen, betrugen sie in Frankreich 4,8 Prozent, in Italien 5,4 Prozent und in der Bundesrepublik 6,4 Prozent. Von einer Teilnahme an der EWG erhoffte die britische Regierung sich eine Umstrukturierung und Modernisierung der eigenen Wirtschaft und damit einen Wachstumsschub. Zudem bot die 1960 als Alternative zur EWG geschaffene EFTA nicht den erhofften Vorteil für die britische Wirtschaft, und die wirtschaftlichen wie auch politischen Verbindungen zum Commonwealth lockerten sich zunehmend. Mit der Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit 1947 hatte der Dekolonisierungsprozess eingesetzt, der in den folgenden Jahren stetig voranschritt und zahlreichen afrikanischen und asiatischen Staaten die Unabhängigkeit brachte. Durch die Teilnahme am Gemeinsamen Markt glaubte man, die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zum Commonwealth wieder festigen zu können.

Zum anderen schien es auch aus politischen Gründen ratsam, sich den Sechs, die mit den sogenannten Fouchet-Plänen von 1961/62 den Weg zu einer politischen Union einschlugen, anzunähern, wollte Großbritannien nicht in die Bedeutungslosigkeit absinken. Insbesondere die USA drängten auf einen EG-Beitritt Großbritanniens, und die zunehmende Hinwendung der USA zu den Sechs in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht wurde als eine Bedrohung der special relationship zwischen Großbritannien und den USA empfunden. Großbritanniens Ziele waren seit Mitte der 1950er Jahre dieselben geblieben: politischer Machterhalt, enge Beziehungen zum Commonwealth und zu den USA. Aber die Mittel, diese zu erreichen, hatten sich geändert; allein die EG-Mitgliedschaft schien jetzt die Gewähr dafür zu bieten. Und so wurden auch Abstriche an der nationalstaatlichen Souveränität in Kauf genommen.

Zweiter Versuch: Der EG-Beitrittsantrag der Labour-Regierung

Die von der konservativen Regierung unter Macmillan angeführten Gründe für ein EG-Beitrittsgesuch behielten auch in den folgenden Jahren ihre Gültigkeit und ließen innerhalb der Labour Party die ursprünglichen Bedenken gegen einen EG-Beitritt zunehmend schwinden. Die wirtschaftlichen Probleme Großbritanniens wuchsen beständig, hohe Preise und Arbeitslosigkeit kennzeichneten die Lage im Land, zudem erschütterten eine ernste Sterling-Krise und schwere Zahlungsbilanzkrisen die britische Wirtschaft. Verschiedene soziale Reformprojekte, die von der Wilson-Regierung seit 1964 in Angriff genommen wurden, wie die Erhöhung der Zahlungen für Renten, Krankheit und Arbeitslosigkeit, Reformen im Gesundheitswesen und Begrenzung der Mieten, veränderten die Situation kaum. Sie verstärkten in der nationalen und internationalen Geschäftswelt vielmehr den Eindruck, dass Wilson der Sozialpolitik den Vorrang vor der Stärkung des Pfund Sterling einräume, was zu weiteren enormen Sterling-Verkäufen führte und die Währungskrise verschärfte. Auch die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Steuerung der Lohn- und Preisentwicklung halfen nicht, die Krise in den Griff zu bekommen; vielmehr stiegen die Löhne 1965 weiterhin durchschnittlich um neun Prozent, ebenso schnellten die Preise nach oben.

Die Neuwahlen vom März 1966 verschafften der Labour-Regierung zwar eine sichere Mehrheit, dennoch wurde Wilsons Amtszeit weiterhin von den ökonomischen Problemen überschattet. Verschärft wurde die Situation durch zahlreiche Streiks, unter anderem der Seeleute und Dockarbeiter, die die britische Wirtschaft weitgehend lähmten. Die von der Regierung Wilson ergriffenen Maßnahmen zur Behebung der wirtschaftlichen Krise im Land, wie das zeitweilige Einfrieren der Löhne und Preise sowie harte Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, führten zu heftigen Auseinandersetzungen mit linken Labour-Politikern und verstärkten die innerparteilichen Gräben zwischen dem rechten und linken Parteiflügel, die auch in verschiedenen anderen innen- wie außenpolitischen Fragen zutage traten. Erneut war auch der Versuch gescheitert, EWG und EFTA miteinander zu verbinden und so den britischen Exporten einen besseren Zugang zum Gemeinsamen Markt zu verschaffen.

Doch nicht nur die wirtschaftliche Situation Großbritanniens stellte eine enorme Belastungsprobe für die Regierung Wilson dar. Auch die special relationship zum Partner USA war in diesen Jahren Belastungen ausgesetzt, insbesondere durch Wilsons Weigerung, die USA ihren Wünschen entsprechend im Vietnamkrieg zu unterstützen, und aufgrund der britischen Pläne für einen militärischen Rückzug "East of Suez". Zudem drohte der wichtigste Pfeiler des britischen Weltmachtanspruchs, das Commonwealth, wegzubrechen. Der in den 1940er Jahren begonnene Dekolonisierungsprozess setzte sich unvermindert fort. 1965 wurden Gambia und Singapur in die Unabhängigkeit entlassen, 1966 Barbados, Botsuana, Guyana und Lesotho, und im November 1965 erklärte Südrhodesien gegen den Willen Londons seine Unabhängigkeit. Auch wirtschaftlich verlor das Commonwealth weiter an Bedeutung für Großbritannien, die Exporte in diesen Raum sanken bis Ende der 1960er Jahre auf nur noch 25 Prozent.

Zur selben Zeit, als diese wichtigen Konstanten britischer Politik – die special relationship zu den USA und das Commonwealth – unter Druck gerieten, wurden die Europäischen Gemeinschaften in britischen Augen zunehmend attraktiver. Nach der "Krise des leeren Stuhls" 1965/66 und dem Luxemburger Kompromiss schienen die supranationalen Elemente der Gemeinschaften nicht mehr so bedrohlich und deutete die Entwicklung auf eine Stärkung der Nationalstaaten im Rahmen der EG hin. 1966 war das Jahr, in dem sich spätestens auch Wilsons ablehnende Haltung gegenüber einem EG-Beitritt änderte und er sich für ein erneutes Beitrittsgesuch entschied. In der Forschung ist umstritten, wann genau Wilson begann, seine Haltung zu ändern, und welche Motive bei seiner Entscheidung überwogen. Neben den erwähnten innen- und außenpolitischen Gründen und insbesondere der sich zuspitzenden Sterling-Krise 1966 bestimmten auch parteipolitische Gesichtspunkte Wilsons Hinwendung zu Europa. Ein erneutes Beitrittsgesuch schien dem Premierminister ein geeignetes Mittel zu sein, die in dieser Frage gespaltene Labour Party und vor allem das Kabinett zu einigen. Die Mehrheit der Partei bewegte sich inzwischen auf einen proeuropäischen Kurs zu, auch der Dachverband der britischen Industrie, die Confederation of British Industry, sprach sich für einen EG-Beitritt aus, und selbst in der britischen Öffentlichkeit überwog die Zustimmung. Eine Meinungsumfrage im Juli 1966 hatte ergeben, dass 75 Prozent der Bevölkerung für einen Beitritt waren, wobei die Unterstützung eher Wilson selbst als der Hinwendung zu Europa galt.

Im britischen Kabinett allerdings gab es, neben Beitrittsbefürwortern wie Wirtschaftsminister (ab August Außenminister) George Brown und Außenminister Michael Stuart, strikte Gegner eines britischen EG-Beitritts, zu denen unter anderem die dem linken Parteiflügel zugehörige Verkehrsministerin Barbara Castle, Verteidigungsminister Denis Healey, Landwirtschaftsminister Fred Peart, Handelsminister Douglas Jay und der für Commonwealth-Angelegenheiten zuständige Herbert Bowden zählten. Sie befürchteten durch den Beitritt eine Verteuerung der Lebensmittel, eine Überschwemmung des britischen Marktes mit europäischen Importwaren, einen geringeren Lebensstandard, einen Bruch mit dem Commonwealth, den Verlust nationaler Kontrolle über die Wirtschaft, die Schaffung eines kapitalistischen Handelsblocks und die Übertragung der Parlamentssouveränität an Brüssel.

Trotz der weiterhin bestehenden Widerstände gelang es Wilson schließlich, im Kabinett die Zustimmung für eine "Europatour" zu erlangen, um in den Hauptstädten der Sechs die Chancen eines erneuten Beitrittsgesuches auszuloten. Zwischen Januar und März 1967 bereisten Wilson und Außenminister Brown die europäischen Hauptstädte. Von ihrer Reise brachten sie den Eindruck mit, dass die friendly five einem britischen Beitrittsgesuch positiv gegenüberstanden, und Wilson empfahl in der Unterhausdebatte vom 8. bis 10. Mai, ein erneutes Beitrittsgesuch zu stellen. Allerdings wurden kritische Stimmen, die bei der "Europatour" zu hören gewesen waren, bewusst ignoriert. Beispielsweise hatte der italienische Ministerpräsident Aldo Moro zwar seine grundsätzlich positive Haltung gegenüber einem britischen EG-Beitritt bekräftigt, aber Zweifel bezüglich der Haltung de Gaulles geäußert; auch in der Bundesrepublik hielt man ein sofortiges Beitrittsgesuch nicht für erfolgversprechend. De Gaulle selbst hatte zwar kein eindeutiges "Nein" in Bezug auf ein britisches Beitrittsgesuch verlauten lassen, aber doch seine Zweifel an der "europäischen Haltung" Großbritanniens deutlich kundgetan.

Die Abstimmung im britischen Unterhaus am 10. Mai 1967 erbrachte zwar ein eindeutiges Votum zugunsten eines Beitrittsgesuchs (488 Ja- gegen 62 Nein-Stimmen), aber allein von den Labour-Abgeordneten hatten 36 gegen das Beitrittsgesuch gestimmt, und 50 weitere hatten sich enthalten. Die Zustimmung war nur aufgrund der Haltung der Konservativen und Liberalen zustande gekommen. Auch bei der am 2. Mai 1967 einberufenen Kabinettssitzung hatten sich sieben von 21 Ministern gegen ein Beitrittsgesuch ausgesprochen.

De Gaulles Reaktion auf das am 11. Mai in Brüssel eingereichte Beitrittsgesuch erfolgte prompt. Neben dem Zweifel an dem "europäischen Charakter" Großbritanniens hob de Gaulle vor allem die Lage und Stellung des britischen Pfundes als ein Hindernis für einen EG-Beitritt hervor. Schon zuvor, Mitte 1966, hatte Frankreich gefordert, dass die Abwertung des Pfundes notwendig sei, bevor Großbritannien sich der EWG anschließen könne. Allerdings war Wilson zunächst wenig geneigt, eine solche Devaluation vorzunehmen, hatte doch nach der letzten Pfundabwertung 1949 die Labour Party die darauf folgenden Wahlen verloren. Dass Wilson sich am 18. November 1967 dann doch zu diesem Schritt durchrang, half allerdings ebenso wenig, de Gaulle umzustimmen wie die zuvor stattgefundenen Gespräche zwischen Wilson und de Gaulle im Juni 1967. In einer weiteren Pressekonferenz am 27. November 1967 attackierte de Gaulle Wilson wegen seiner ungewöhnlichen Hartnäckigkeit und Eile, Großbritannien jetzt unbedingt in die EWG zu bringen. Großbritannien, so erläuterte er, suche die Mitgliedschaft nur, um seine Schwäche zu kompensieren, die durch die Abwertung des Pfundes deutlich geworden sei.

Wilson war mit seinem Versuch, Großbritannien in die Gemeinschaften zu führen, an de Gaulle gescheitert, was sein öffentliches Ansehen stark beschädigte und sicherlich mit dazu beitrug, dass er kein "fondly remembered Prime Minister" wurde. Auch die öffentliche Meinung in Großbritannien schwang, wie schon nach dem ersten gescheiterten Beitrittsgesuch, um; Meinungsumfragen ergaben nun eine Mehrheit für die Beitrittsgegner. Neuere Forschungen bewerten allerdings die Rolle Wilsons bezüglich der Hinführung Großbritanniens zur EG-Mitgliedschaft positiver und sprechen von einem "successful failure" für Wilson und die britische Europapolitik. So habe Wilson mit seinem Beitrittsgesuch nicht nur Großbritanniens Hinwendung zu Europa demonstriert, sondern auch die Grundlage für die 1973 erfolgte EG-Mitgliedschaft Großbritanniens geschaffen. Edward Heath, der Nachfolger Wilsons im Amt des Premierministers, setzte die von Wilson vorbereiteten Verhandlungsrichtlinien und Zeitvorgaben schließlich erfolgreich um und brachte Großbritannien in die Gemeinschaften. Insofern spielte das Jahr 1967 eine wichtige Rolle für die erfolgreichen Beitrittsverhandlungen Anfang der 1970er Jahre.

Veränderung der britischen Geschichte?

Der Weg Großbritanniens in die Europäischen Gemeinschaften, der sogenannte "Brentrance", war schwierig, und er bedeutete in Großbritannien wohl für viele das von Gaitskell 1962 beschworene "Ende von tausend Jahren britischer Geschichte". Ressentiments gegen die in den 1960er Jahren vor allem von den britischen Eliten vollzogene Hinwendung zu Europa waren stets vorhanden und sind bis heute spürbar, wie sich an der Abstimmung über den "Brexit" im Juni 2016 gezeigt hat, bei der sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Verbleib in der Europäischen Union aussprach. Zumindest für einen Teil der britischen Eliten aber ist inzwischen die EU-Mitgliedschaft auch Bestandteil der britischen Geschichte geworden. So hatte der britische Finanzminister Philip Hammond am 23. November 2016 vor dem Parlament gewarnt: Die Entscheidung, die Europäische Union zu verlassen, "will change the course of Britain’s history".

Dass spätestens seit Beginn der 1970er Jahre die Geschichte Großbritanniens eng mit der Geschichte des Kontinents verbunden ist, wurde der britischen Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten allerdings unzureichend vermittelt. Schon 1967 hatte Wilson nur auf die ökonomischen Vorteile eines EG-Beitritts verwiesen, nicht aber versucht, "Europa" auch in den Köpfen und Herzen der britischen Bevölkerung zu verankern. Die Folgen des Versäumnisses von 1967 zeigten sich später, in der Haltung sowohl der britischen Parteien als auch vor allem der britischen Öffentlichkeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten, Charles de Gaulle, am 16. Mai 1967 (Auszug betr. Europäische Gemeinschaften), in: Europa-Archiv 11/1967, D 249–253.

  2. Archiv der Gegenwart, 14.7.1967, S. 13300.

  3. Zur Haltung der Labour Party zum europäischen Integrationsprozess siehe Clemens A. Wurm, Sozialisten und europäische Integration. Die britische Labour-Party 1945–1984, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 38/1987, S. 280–295.

  4. "Britain and the Common Market", Text of Speeches by Hugh Gaitskell and George Brown at the Labour Party Conference, London 1962, S. 12, zit. nach Helen Parr, Britain’s Policy Towards the European Community. Harold Wilson and Britain’s World Role, 1964–1967, Abingdon–New York 2006, S. 15.

  5. Zur britischen Europapolitik in der Nachkriegszeit siehe unter anderem David Gowland/Arthur Turner, Reluctant Europeans: Britain and European Integration 1945–1998, Harlow 2000; Sean Greenwood, Britain and European Cooperation since 1945, Oxford 1992; Wolfram Kaiser, Using Europe, Abusing the Europeans: Britain and European Integration, 1945–63, London 1996; Alex May, Britain and Europe since 1945, London 1999; Alan S. Milward, The Rise and Fall of a National Strategy 1945–1963, London–Portland 2002; Alan Sked/Chris Cook, Post-War Britain: A Political History, London 19934; John W. Young, Britain and European Unity, 1945–1999, Basingstoke 20002.

  6. So zum Beispiel Edmund Dell, The Schuman Plan and the Abdication of Leadership in Europe, Oxford 1995; siehe dazu auch Gabriele Clemens, A History of Failures and Miscalculations? Britain’s Relationship to the European Communities in the Postwar Era (1945–1973), in: Contemporary European History 13/2004, S. 223–232.

  7. Vgl. Greenwood (Anm. 5), S. 59.

  8. Vgl. Monika Rosengarten, Großbritannien und der Schuman-Plan, Frankfurt/M. 1997; Greenwood (Anm. 5), S. 34.

  9. Vgl. Greenwood (Anm. 5), S. 59 f; Wolfram Kaiser, Großbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1955–1961. Von Messina nach Canossa, Berlin 1996, S. 34.

  10. Vgl. Kaiser (Anm. 9), S. 32ff.

  11. Die Beitrittsanträge zu EGKS und Euratom wurden erst am 2. bzw. 5. März 1962 übergeben.

  12. Zum ersten britischen Beitrittsgesuch siehe unter anderem Kaiser (Anm. 9); N. Piers Ludlow, Dealing with Britain: The Six and the First UK Application to the EEC, Cambridge 1997; Alex May (Hrsg.), Britain, the Commonwealth and Europe: The Commonwealth and Britain’s Application to Join the European Communities, Houndmills–New York 2001.

  13. Zum Folgenden vgl. Kaiser (Anm. 5), S. 110ff.

  14. Siehe dazu Gabriele Clemens, Der Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften, in: Franz Knipping/Matthias Schönwald (Hrsg.), Aufbruch zum Europa der zweiten Generation. Die europäische Einigung 1969–1984, Trier 2004, S. 306–328; dies., "A delicate matter". Großbritannien und die Fouchet-Verhandlungen 1960–1962, in: Journal of European Integration History 11/2005, S. 103–124.

  15. Zum Folgenden vgl. Alec Cairncross, The British Economy since 1945, Oxford 19952, S. 150ff.; Sked/Cook (Anm. 5), S. 202ff.

  16. Vgl. Anne Deighton, The Labour Party, Public Opinion and "the Second Try" in 1967, in: Oliver J. Daddow (Hrsg.), Harold Wilson and European Integration. Britain’s Second Application to Join the EEC, London–Portland 2003, S. 39–55, hier S. 42.

  17. Als Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik am 30.6.1965 nahm Frankreich in den folgenden Monaten an den Sitzungen des EWG-Ministerrates nicht mehr teil, sein Stuhl blieb leer. Im Luxemburger Kompromiss wurde vereinbart, auch im Falle von Mehrheitsentscheidungen möglichst einvernehmliche Lösungen zu suchen.

  18. Einige ihm nahestehende Personen haben im Nachhinein seine Konversion zu Europa überhaupt in Zweifel gezogen, diese nur als Taktik abgetan. Wilson habe zeigen müssen, dass er etwas zur Lösung der britischen Probleme tue. Vgl. Young (Anm. 5), S. 93ff., S. 102. Zu Wilson und dem EG-Beitrittsgesuch siehe Daddow (Anm. 16); Parr (Anm. 4); Melissa Pine, Harold Wilson and Europe. Pursuing Britain’s Membership of the European Community, London–New York 2007.

  19. Vgl. Deighton (Anm. 16).

  20. Vgl. ebd., S. 40.

  21. Vgl. Young (Anm. 5), S. 90.

  22. Vgl. Sked/Cook (Anm. 5), S. 236.

  23. Vgl. Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten, Charles de Gaulle, am 27. November 1967 (Auszüge betr. Außenpolitische Fragen), in: Europa-Archiv 24/1967, D 553–561.

  24. Daddow (Anm. 16), S. 1. Vgl. auch Young (Anm. 5), S. 102.

  25. Vgl. Young (Anm. 5), S. 103.

  26. Daddow (Anm. 16), S. 2. Vgl. auch Pine (Anm. 18), S. 177ff.

  27. Oral Statement to Parliament, Autumn Statement 2016: Philip Hammond’s Speech, 23.11.2016, Externer Link: http://www.gov.uk/government/speeches/autumn-statement-2016-philip-hammonds-speech.

  28. Vgl. Deighton (Anm. 16), S. 40.

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ist Professorin für Neuere westeuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg und Inhaberin eines Jean Monnet Lehrstuhls für Europäische Integrationsgeschichte und Europastudien. E-Mail Link: gabriele.clemens@uni-hamburg.de