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Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Antwort auf den Fachkräftemangel? | Integrationspolitik | bpb.de

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Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Antwort auf den Fachkräftemangel?

Wido Geis

/ 14 Minuten zu lesen

Kommen Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland, können sie nicht unmittelbar nach ihrer Einreise am Arbeitsmarkt aktiv werden. Eine Erwerbstätigkeit ist in den ersten drei Monaten im Land bereits rein rechtlich ausgeschlossen. Auch in der Folgezeit ist es für Asylsuchende wegen der Unsicherheit über ihren Verbleib in Deutschland und noch ausstehender Integrationsschritte, wie dem Spracherwerb, zumeist schwierig, eine passende Beschäftigung zu finden. Erst wenn das Asylverfahren positiv beschieden ist, haben die Flüchtlinge eine klare Perspektive in Deutschland und Zugang zu allen Förderinstrumenten für die Arbeitsmarktintegration. Zu nennen ist hier insbesondere der Integrationskurs, in dem grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache erworben werden. Dieser wurde 2016 zwar für Asylbewerberinnen und -bewerber geöffnet, aber nur sofern diese eine gute Bleibeperspektive haben, was mit einer Schutzquote von über 50 Prozent gleichgesetzt wird, und soweit freie Platzkontingente zur Verfügung stehen.

Auch wenn in den vergangenen Jahren und Monaten das Bewusstsein gewachsen ist, dass eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen früh ansetzen muss und zuvor bestehende Restriktionen beim Zugang zu Arbeitsmarkt und Integrationsmaßnahmen für Asylbewerber abgebaut worden sind, ist die Anerkennung als Flüchtling – darunter fallen Asyl, Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention, subsidiärer Schutz und nationale Abschiebeverbote – nach wie vor eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Dabei sind die Verfahren der im Rahmen des starken Flüchtlingszuzugs zwischen 2015 und 2016 nach Deutschland gekommenen Personen inzwischen weitgehend abgeschlossen. So wurde in diesen beiden Jahren bereits rund 570.000 Personen Flüchtlingsschutz gewährt, was einem Anteil von 58,7 Prozent der rund 980.000 beschiedenen Asylverfahren entspricht. Im ersten Quartal 2017 waren es nochmals 103.000, was einem Anteil von 46,5 Prozent der 220.000 abgeschlossenen Verfahren entspricht. Auf eine Entscheidung warteten Ende März 2017 "nur" noch rund 280.000 Personen. Bleibt die Zahl der neueinreisenden Asylsuchenden auf einem Niveau von monatlich rund 15.000, wie es in den ersten Monaten 2017 der Fall war, dürften diese Asylverfahren spätestens bis Herbst 2017 weitestgehend beschieden sein.

Dabei ist anzumerken, dass derzeit noch kaum absehbar ist, was mit der großen Zahl der abgelehnten Asylbewerber geschieht. Kehren diese nicht freiwillig in ihre Heimatländer zurück, und sprechen Sachgründe gegen eine Abschiebung, kann ihnen eine Duldung gewährt werden. In diesem Fall gelten für sie im Wesentlichen dieselben Regelungen für den Zugang zu Arbeitsmarkt und Förderinstrumenten wie für Asylbewerber, und ihre längerfristigen Bleibeperspektiven in Deutschland sind nach wie vor unsicher. Das macht auch ihre Arbeitsmarktintegration schwierig. Wie viele Geduldete derzeit in Deutschland leben, lässt sich nicht verlässlich abschätzen, da über die Duldung nicht das für die Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sondern die bei den Kommunen angesiedelten Ausländerbehörden entscheiden und derzeit erst entsprechende Zahlen für 2015, also vor Abschluss der meisten Asylverfahren, vorliegen.

Unabhängig vom Aufenthaltsstatus hängt es überdies stark von Alter und Geschlecht ab, inwieweit die Flüchtlinge am deutschen Arbeitsmarkt aktiv werden wollen und können. So waren mit 63,8 Prozent knapp zwei Drittel der Personen, die 2016 einen Asylantrag gestellt haben, im typischen Erwerbsalter zwischen 18 und 64 Jahren. Über ein Drittel (36,2 Prozent) war minderjährig; 5,9 Prozent im Alter zwischen 16 und 17 Jahren und 30,3 Prozent noch jünger. Vor allem Letztere werden in Deutschland noch einige Jahre die Schule besuchen, bevor sie dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen. Von den Asylbewerbern zwischen 18 und 64 Jahren waren 69,4 Prozent männlich und nur 30,6 Prozent weiblich, was zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein dürfte, dass in vielen Fällen nur die Familienväter oder alleinstehende Männer den beschwerlichen Weg nach Europa auf sich nehmen und Frauen und Kinder später über den deutlich leichteren Familiennachzug nachgeholt werden. Dabei anzumerken ist, dass im Rahmen des Familiennachzugs einreisende Personen in Deutschland nicht als Flüchtlinge gezählt und entsprechend erfasst werden. In jedem Fall bedeutet der hohe Männeranteil, dass die meisten der erwachsenen Flüchtlinge dem deutschen Arbeitsmarkt auch zeitnah zur Verfügung stehen werden, was bei Frauen, die in traditionelleren Rollenbildern leben, insbesondere wenn sie mehrere Kinder versorgen müssen, nicht unbedingt der Fall ist.

Beschäftigungsperspektiven in Deutschland

Derzeit bietet die deutsche Wirtschaft Erwerbssuchenden sehr gute Perspektiven. So hat die Zahl der Erwerbstätigen 2016 mit 43,6 Millionen den höchsten bisher für die Bundesrepublik ermittelten Wert angenommen. 2006 waren es mit 39,6 Millionen noch rund vier Millionen weniger. Gleichzeitig hat die Arbeitslosenquote 2016 mit 6,1 Prozent den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Der Wert für 2006 lag mit 11,0 Prozent noch nahezu doppelt so hoch. Die Ausgangslage für die Integration der Flüchtlinge am deutschen Arbeitsmarkt ist derzeit also grundsätzlich gut.

Allerdings unterscheiden sich die Arbeitskräftebedarfe und damit Beschäftigungschancen je nach Berufsfeld und Anforderungsniveau stark (Tabelle). Dabei ist anzumerken, dass diese Zahlen nicht alle Bereiche des Arbeitsmarkts erfassen. So ist die Bundesagentur für Arbeit nicht in alle Einstellungsverfahren im öffentlichen Dienst involviert, zum Beispiel nicht bei der Besetzung regulärer Lehrerstellen. Auch melden die privaten Unternehmen bei Weitem nicht alle offenen Stellen, wobei folgende Faustformel gilt: Je höher und spezifischer die Qualifikationsanforderungen für die Stelle, desto unwahrscheinlicher ist eine Meldung. Zudem enthält die Statistik auch keine Arbeitskräftebedarfe im selbstständigen Bereich, also etwa für die Praxisnachfolge gesuchte niedergelassene Ärzte. Damit dürften die dargestellten Zahlen die Arbeitskräftebedarfe bei den Expertentätigkeiten, die in der Regel eine längere akademische Ausbildung voraussetzen, und bei den Spezialistentätigkeiten, für die in der Regel ein beruflicher Fortbildungsabschluss wie der Meister oder ein Bachelorstudium benötigt wird, deutlich unterschätzen, während sie die Arbeitskräftenachfrage in den an- und ungelernten Helfertätigkeiten relativ vollständig widerspiegeln dürften.

Tabelle: Gemeldete offene Stellen und Engpassrelation (ER) nach Anforderungsniveau, Stand März 2017

Mit 455.000 entfallen rund zwei Drittel der 692.000 gemeldeten offenen Stellen auf Fachkräftetätigkeiten, für die in der Regel eine berufliche Ausbildung notwendig ist. Schaut man auf die Zahl der Arbeitslosen mit entsprechendem Qualifikationsniveau je gemeldeter offener Stelle, ergibt sich für die Fachkräftetätigkeiten ein Verhältnis von 2,3. Wird zudem in den Blick genommen, dass der Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge nur rund jede zweite Stelle gemeldet wird und sich offene Stellen und Bewerber regional unterschiedlich verteilen, zeichnet sich ein Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland ab. Ähnlich stellt sich die Lage auch bei den Spezialisten- und Expertentätigkeiten dar. Bei den Helfertätigkeiten kommen hingegen über zehn Arbeitslose auf eine offene Stelle, was auf eine ungünstige Beschäftigungssituation hindeutet.

Differenziert nach Berufshauptgruppen ist die Zahl der gemeldeten offenen Stellen bei den fertigungstechnischen Berufen mit rund 104.000 am höchsten, gefolgt von den Verkehrs- und Logistikberufen mit 87.000, den Fertigungsberufen mit 81.000 und den Gesundheitsberufen mit 75.000.

Blickt man auf die Zahl der Arbeitslosen je offener Stelle, ergeben sich für die Gesundheitsberufe auf Fachkraft- und Spezialistenniveau, die fertigungstechnischen Berufe auf Fachkraftniveau und die Bau- und Ausbauberufe auf Expertenniveau Werte von unter 1. Hier reicht also die Zahl der Arbeitslosen bereits rein rechnerisch nicht, um alle gemeldeten offenen Stellen zu besetzen, was darauf hindeutet, dass sehr starke Fachkräfteengpässe bestehen. Auch bei Werten zwischen 1 und 2 ist angesichts des Meldeverhaltens der Unternehmen von Fachkräfteengpässen auszugehen. Diese finden sich in einer ganzen Reihe von Berufshauptgruppen, insbesondere auch bei den Fertigungsberufen auf Fachkraftniveau. Bei den Helfertätigkeiten finden sich in allen Berufsgruppen deutlich mehr Arbeitslose als offene Stellen, wobei hier zu beachten ist, dass anders als bei qualifizierten Tätigkeiten bei den An- und Ungelerntentätigkeiten ein Wechsel zwischen den Berufshauptgruppen in der Regel ohne Weiteres möglich ist.

Insgesamt besteht also in Deutschland derzeit vor allem Bedarf an zusätzlichen Fachkräften für die Industrie- und Gesundheitsberufe, wohingegen das Angebot an Arbeitskräften im Helferbereich deutlich größer als die Nachfrage ist. Das heißt, dass sich Flüchtlingen in ersteren Bereichen besonders gute Erwerbsperspektiven bieten und ihre Qualifizierungsmaßnahmen im Optimalfall den Einstieg in diese Berufsfelder zum Ziel haben sollten. Ein längerfristiger Verbleib der Flüchtlinge in an- und ungelernten Helfertätigkeiten ist hingegen nicht erstrebenswert. Zum einen bieten diese Tätigkeiten den Flüchtlingen in vielen Fällen keine stabilen Erwerbs- und Einkommensperspektiven, zum anderen verstärkt sich so in diesem ohnehin schwierigen Arbeitsmarktsegment die Konkurrenzsituation.

Gegen diese Einschätzung kann vorgebracht werden, dass die Arbeitskräftenachfrage bis zu einem gewissen Grad auch auf das Angebot reagiert. So können einzelne Arbeitsschritte im betrieblichen Alltag von unterschiedlichen Mitarbeitergruppen übernommen werden, und das verfügbare Fachkräfteangebot spielt eine wichtige Rolle bei Unternehmensgründungen und -anpassungen. Allerdings ist ein deutliches Absinken der Arbeitskräftenachfrage in den Industrieberufen derzeit kaum vorstellbar, da die Industrie maßgeblich für Deutschlands Wirtschaftsmodell ist. Gleiches gilt für die Gesundheitsberufe, bei denen aufgrund der Alterung der Bevölkerung eher mit einem Anstieg der Fachkräftebedarfe zu rechnen ist. Auf der anderen Seite ist ein weiterer deutlicher Anstieg der Nachfrage nach An- und Ungelernten, trotz des substanziellen Beschäftigungsaufbaus in diesem Bereich in den vergangenen Jahren, kaum zu erwarten. Nach wie vor führt der technische Fortschritt dazu, dass Maschinen einen immer größeren Teil der einfacheren Tätigkeiten übernehmen, während für Einsatz und Wartung der Maschinen zunehmend höherqualifizierte Fachkräfte benötigt werden.

Auch wenn die zukünftige konjunkturelle Entwicklung kaum vorhersehbar ist, kann mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Arbeitskräftenachfrage im qualifizierten Bereich in Deutschland in den nächsten Jahren noch steigen wird. So ist absehbar, dass mit der sukzessiven Pensionierung der besonders geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge 1955 bis 1969 große Lücken am Arbeitsmarkt entstehen werden, die nicht mit einheimischen Nachwuchskräften besetzt werden können. Das bedeutet, dass sich den Flüchtlingen auch längerfristig sehr gute Erwerbs- und Karriereperspektiven in Deutschland bieten, wenn ihnen der Einstieg in eine qualifizierte Tätigkeit einmal gelungen ist. In diesem Fall können sie auch zur Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands beitragen, auf die sich die drohenden Fachkräfteengpässe ansonsten sehr negativ auswirken können. Daher ist eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt nicht nur aus sozialen und fiskalischen Gesichtspunkten wichtig, sondern auch um die Fachkräftebasis in Deutschland zu sichern.

Qualifikatorische Voraussetzungen der Flüchtlinge

Nur wenige Flüchtlinge bringen bei ihrer Ankunft bereits einen Abschluss mit, der ihnen den Einstieg in eine qualifizierte Tätigkeit in Deutschland ermöglicht. Der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten zufolge verfügen nur 6 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge über einen beruflichen Abschluss und 13 Prozent über einen Hochschulabschluss. Nimmt man auch Personen in den Blick, die einen berufsqualifizierenden Bildungsgang begonnen, aber nicht abgeschlossen haben, so haben 19 Prozent eine Universität oder Fachhochschule besucht und 12 Prozent eine betriebliche Ausbildung begonnen. 69 Prozent haben keine Ausbildung. Bei der schulischen Ausbildung der Flüchtlinge stellt sich die Lage etwas besser dar. Laut IAB-BAMF-SOEP-Befragung haben 32 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge einen weiterführenden Abschluss, 23 Prozent einen Mittelschulabschluss und 3 Prozent einen sonstigen Abschluss. 24 Prozent haben die Schule ohne Abschluss verlassen und 9 Prozent nie eine Schule besucht. Für 8 Prozent liegen keine Angaben zum Schulbesuch vor. Dabei ist anzumerken, dass weiterführende Schulabschlüsse aus den Flüchtlingsherkunftsländern nicht unbedingt mit einem deutschen Abitur gleichzusetzen sind. Vielmehr kann es sich hierbei auch um Abschlüsse von anwendungsorientierten Bildungsgängen handeln, die zwar schulisch unterrichtet werden, inhaltlich aber eher einer Berufsausbildung in Deutschland entsprechen. Tatsächlich dürfte also deutlich weniger als ein Drittel der Flüchtlinge über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügen.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen lassen sich mit Blick auf die Arbeitsmarktintegration drei Gruppen von erwachsenen Flüchtlingen unterscheiden.

Die erste Gruppe bilden diejenigen, die in den Heimatländern bereits eine berufliche oder hochschulische Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben oder kurz vor dem Abschluss standen, was auf ein gutes Fünftel der Flüchtlinge zutreffen dürfte. Diese Personen bringen in der Regel Kompetenzen mit, die sich grundsätzlich auch für qualifizierte Tätigkeiten in Deutschland eignen. Allerdings sind die Inhalte ihrer Ausbildung häufig mit den entsprechenden deutschen Bildungsgängen nicht vollständig deckungsgleich. Daher sollte, sofern diesen Personen der Einstieg in eine qualifizierte Tätigkeit nicht ohnehin gelingt, eine gezielte Nachqualifizierung erfolgen, die sie entweder zu einer vollständigen Anerkennung ihres ausländischen Abschlusses oder zu einem entsprechenden deutschen Abschluss führt.

Die zweite Gruppe bilden Personen, die zwar über einen Schulabschluss verfügen, aber über keinen berufsqualifizierenden Abschluss, was auf etwas weniger als die Hälfte der Flüchtlinge zutreffen dürfte. Diese Personen dürften nur selten Kompetenzen mitbringen, die sich unmittelbar für eine qualifizierte Tätigkeit in Deutschland einsetzen lassen. Zwar spielen informelle Ausbildungsformen und Learning by Doing in den Herkunftsländern eine weit wichtigere Rolle als in Deutschland, und viele Erwerbstätige erwerben dort in diesen Kontexten ihre Fähigkeiten, jedoch lassen sich diese in der Regel kaum mit deutschen Bildungsabschlüssen vergleichen. Damit diese Personen nicht nur im schwierigen Arbeitsmarkt für An- und Ungelernte aktiv werden können, sollte darauf hingewirkt werden, dass möglichst viele von ihnen in Deutschland zunächst eine grundständige berufliche Ausbildung absolvieren, bevor sie endgültig in den Arbeitsmarkt eintreten. Insbesondere gilt das für jüngere Personen.

Die dritte Gruppe bilden die Personen, die keinen Schulabschluss haben, was auf rund ein Drittel der Flüchtlinge zutreffen dürfte. Bei ihnen ist von größeren Lücken in der Grundbildung bis hin zu Analphabetismus – wobei an dieser Stelle gemeint ist, dass die betreffenden Personen nicht oder nicht gut lesen und schreiben können, und nicht nur, dass sie die lateinischen Buchstaben nicht beherrschen – und fehlenden Kenntnissen der Grundrechenarten auszugehen. Dies kann einerseits selbst im unqualifizierten Helferbereich eine Beschäftigung sehr schwierig machen und macht andererseits eine berufliche Ausbildung nahezu unmöglich. Daher sollte bei den betreffenden Personen zunächst eine schulische Nachqualifizierung stattfinden, die bestehende Lücken in der Grundbildung schließt und sie soweit möglich zum (Haupt-)Schulabschluss führt. Dann sollte auch bei diesen Personen, sofern dies vor dem Hintergrund des dann erreichten Kompetenzniveaus sinnvoll erscheint, auf berufliche Ausbildung hingewirkt werden.

Neben dem gerade betrachteten formalen Qualifikationsniveau sind für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt auch Sprachkenntnisse von zentraler Bedeutung. Dabei brachten Zahlen des BAMF zufolge 2015 nur 1,8 Prozent der Asylbewerber Deutschkenntnisse mit. Englischkenntnisse sind unter den Flüchtlingen zwar deutlich weiterverbreitet, allerdings liegt auch hier der Anteil mit 28,1 Prozent bei unter einem Drittel, und es dürfte sich in den vielen Fällen nur um beschränkte Grundkenntnisse handeln. Das bedeutet, dass es in der Regel nicht möglich ist, Englisch als Brückensprache einzusetzen und die Flüchtlinge zunächst Deutsch lernen müssen, bevor sie am Arbeitsmarkt erfolgreich aktiv werden können.

Welches Sprachniveau sie dabei konkret erwerben müssen, hängt stark von der angestrebten Tätigkeit ab. In jedem Fall gilt jedoch, dass es ihnen möglich sein muss, auf Deutsch Arbeitsanweisungen und Feedbacks zu verstehen und grundlegende Absprachen, etwa über die Arbeitszeiten, mit dem Arbeitgeber und Kollegen zu treffen. Handelt es sich um eine Tätigkeit mit direkten Kundenkontakt, sollten Flüchtlinge darüber hinaus flüssig mit Kunden über die Arbeitsinhalte kommunizieren können. Müssen im Rahmen der Tätigkeit Schriftstücke oder schriftliche Aufzeichnungen erstellt werden, sollten Flüchtlinge auch gut Deutsch lesen und schreiben können. Dies gilt auch für eine betriebliche Ausbildung, da insbesondere der schulische Teil ohne ausreichende Lese- und Schreibkompetenzen kaum erfolgreich absolviert werden kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch sagen, dass der Erwerb der notwendigen Sprachkenntnisse immer an erster Stelle stehen muss, wenn eine Qualifizierungsmaßnahme möglichst großen Erfolg haben soll.

Hierzu sollten alle Asylsuchenden möglichst zeitnah nach ihrer Einreise und nicht erst nach der Gewährung von Flüchtlingsschutz einen Rechtsanspruch auf einen Integrationskurs erhalten. Die in diesem Rahmen erworbenen Kenntnisse reichen in der Regel aus, um den Alltag in Deutschland zu meistern. Für viele berufliche Tätigkeiten und insbesondere für eine betriebliche Ausbildung ist das Sprachniveau jedoch deutlich zu niedrig. Um Flüchtlingen den Erwerb weiterführender Sprachkenntnisse zu erleichtern, sollte das für sie verfügbare Sprachkursangebot einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen und, wo Lücken bestehen, bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Aktueller Stand

Da keine nach Aufenthaltsstatus differenzierten Zahlen zur Beschäftigung von Flüchtlingen vorliegen, kann der aktuelle Stand der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge nur näherungsweise betrachtet werden, indem alle Personen mit den Staatsangehörigkeiten der wichtigsten Flüchtlingsherkunftsländern – Afghanistan, Eritrea, Irak und Syrien – untersucht werden. Im Januar 2017 waren insgesamt rund 80.000 Personen aus diesen Ländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt und damit mehr als doppelt so viele wie noch im Januar 2014, als der Wert bei 35.000 lag. Trotz der positiven Entwicklung hat sich die Beschäftigungslage von Personen aus diesen Ländern insgesamt in den vergangenen zwei Jahren deutlich verschlechtert. Lag der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an allen Personen im erwerbsfähigen Alter im Januar 2014 noch bei 20,5 Prozent, waren es im Januar 2017 nur mehr 9,4 Prozent. Gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitslosen aus diesen Ländern im selben Zeitraum von rund 34.000 auf 160.000 gestiegen und hat sich damit mehr als vervierfacht.

Sind Personen aus den vier Flüchtlingsherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt, üben sie in vielen Fällen eine einfache Helfertätigkeit aus. So lag der entsprechende Anteil im September 2016 bei 47,5 Prozent (Abbildung). Auch Fachkräftetätigkeiten, die in der Regel eine betriebliche Ausbildung voraussetzen, waren mit einem Anteil von 39,2 Prozent relativ häufig, während Tätigkeiten auf höherem Anforderungsniveau vergleichsweise selten waren. Betrachtet man die von der Bundesagentur für Arbeit ermittelten möglichen Einsatzbereiche der arbeitslosen Flüchtlinge im März 2017, liegt der Helferanteil mit 62,6 Prozent sogar bei nahezu zwei Drittel und der Anteil der für qualifizierte Tätigkeiten geeigneten Personen insgesamt nur bei 17,7 Prozent. Allerdings liegt der Anteil fehlender Angaben mit 19,7 Prozent sehr hoch.

Abbildung: Beschäftigte und Arbeitslose aus Afghanistan, Eritrea, Irak und Syrien nach Anforderungsniveau der (möglichen) Stellen, in Prozent


Insgesamt zeigen die Zahlen damit deutlich, dass Deutschland bei der Integration der Flüchtlinge derzeit erst am Anfang steht. Dies ist an sich nicht besorgniserregend. So zeigt die Erfahrung, dass Flüchtlinge deutlich länger benötigen, um eine Beschäftigung in Deutschland zu finden als andere Zuwanderergruppen. Einer Studie des IAB zufolge stieg die Beschäftigungsquote von Personen mit Flüchtlingshintergrund in den ersten fünf Jahren in Deutschland nur auf rund 50 Prozent, während andere Zuwanderer einen Wert von 70 Prozent erreicht hatten. Mit der Zeit holten die Flüchtlinge allerdings weiter auf und erreichten nach 14 Jahren im Land dasselbe Beschäftigungsniveau wie die anderen Zuwanderergruppen. Erste Ergebnisse zur aktuellen Flüchtlingszuwanderung deuten darauf hin, dass sich trotz der substanziellen Unterschiede eine ähnliche Entwicklung ergeben könnte. Auch zeigen Unternehmensbefragungen, dass zwar noch substanzielle Hemmnisse für die Beschäftigung von Flüchtlingen bestehen, zu denen neben fehlenden Deutschkenntnissen und fachlichen Qualifikationen auch anfängliche Probleme der Flüchtlinge mit der deutschen Arbeitsmentalität gehören, gleichzeitig aber auch immer mehr Unternehmen positive Erfahrungen mit der Beschäftigung von Flüchtlingen machen.

ist Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Zuwanderung und Familienpolitik. E-Mail Link: geis@iwkoeln.de