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Rückblick auf die Weltfestspiele I bis VIII (1947-1962) | Die Weltjugend und der Dogmatismus | bpb.de

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Rückblick auf die Weltfestspiele I bis VIII (1947-1962)

Erwin Breßlein

/ 6 Minuten zu lesen

Im Sommer 1973 fanden die X. Weltfestspiele in Ost-Berlin statt. Ein Jugendfestival zwischen politischer Inszenierung, Repression und persönlicher Begegnung. Erwin Breßlein analysiert die Geschichte der Weltfestspiele und die Vorbereitungen für Ost-Berlin.

In seiner historischen Wurzel geht der Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ), die das Weltjugendfestival veranstaltende Organisation, auf den VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 zurück. Seit ihrer Gründung im März 1919 hatte die Komintern mit ständig wechselnden Taktiken – einmal mit putschistischen Methoden, einmal in der "Einheitsfront von unten", d.h. mit sozialdemokratischen Arbeitern ohne deren Parteiführung – in verschiedenen Ländern die sozialistische Revolution vergeblich herbeizuführen versucht. Die Niederlagen vor allem in Deutschland ließen sie nun nach der Machtübernahme Hitlers eine andere taktische Marschroute beschließen: die "Einheitsfront von oben". Sie verlangte von den kommunistischen Parteien, die Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, auch bürgerlichen Organisationen zu suchen und diesen Verbund unter kommunistische Vorherrschaft zu stellen. Diese Taktik war in jenen vom Faschismus geprägten Jahren angesichts des in den Gruppierungen bei aller Heterogenität gleichermaßen vorhandenem Antifaschismus durchaus erfolgversprechend. Sie erbrachte auch bald erste Resultate. Die antifaschistische Jugend aus 29 Staaten fand sich auf kommunistische Initiative hin noch während des Krieges, im November 1942, im "Weltjugendrat" vereinigt. Unmittelbar nach dem Kriege, vom 31. Oktober bis zum 10. November 1945, tagte in London, ebenfalls auf kommunistische Initiative des Weltjugendrates und unter kommunistischer Regie, die erste "Weltjugendkonferenz", nun schon von Delegierten und Beobachtern aus 63 Ländern besucht. Sie beschloß die Gründung des Weltbundes der Demokratischen Jugend.

Die Ursachen für diesen Erfolg der kommunistischen Einheitsfronttaktik dürften in der geschickten scheinbaren Zurückhaltung der fast allein maßgebenden kommunistischen Funktionsträger liegen, die sich auf wenige Schlüsselpositionen beschränkten und ein quantitatives nichtkommunistisches Übergewicht zuließen, sowie in der großen Sympathie, die die Sowjetunion nach dem Hitler-Überfall in der Welt genoß. Das erst Domizil des WBDJ-Sekretariats war Paris. Als die französische Regierung das Sekretariat 1951 des Landes verwies, siedelte es nach Budapest um, wo es heute noch seinen Sitz hat.

Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten stellen die bedeutendste Unternehmung des WBDJ dar. Sie werden gemeinsam mit dem kommunistischen "Internationalen Studentenbund" (ISB), der von Prag aus gesteuert wird, durchgeführt. Bei den konkreten Vorbereitungen der Festivals jedoch treten beide Organisationen in den Hintergrund – wie auch die Vorbereitung des Berliner Festivals zeigt – und arbeiten mit allen teilnahmewilligen Jugendorganisationen in den Vorbereitungskomitees zusammen, angeblich nur gleichberechtigt, in Wirklichkeit aber bei allen maßgebenden Problemen bestimmend.

Zum I. Weltjugendfestival 1947 in Prag trafen Jugendlichen aus 72 Ländern zusammen. Sein Leitmotiv war die Propaganda gegen den Marshall-Plan; es fand keineswegs den Beifall aller Teilnehmer, da der Marshall-Plan sogar in einigen Ostblockstaaten die Aussicht auf schnelle Verbesserung des Lebensstandards nach dem Kriege geweckt hatte. Infolgedessen traten nach Prag schon die ersten Jugend- und Studentenorganisationen des Westens aus dem WBDJ und dem ISB aus.

Die II. Weltjugendspiele 1949 in Budapest verzeichneten von der Teilnehmerzahl her einen Rückschlag, obwohl zehn weitere Länder inzwischen hinzugekommen waren. Der Grund lag in der den Sowjetkommunismus politisch und moralisch kompromittierenden Berlin-Blockade. Zum erstenmal nahm mit einer FDJ-Gruppe auch eine deute Delegation am Festival teil, die, eigenen Berichten zufolge, sich in Ergebenheitsbekundungen an Stalin und die Sowjetunion erging. Der besondere politische Akzent lag in Budapest auf der Verurteilung des Titoismus; ansonsten standen die Festspiele unter dem ganz allgemeinen Motto "Für einen dauerhaften Frieden".

Ganz anders dagegen lagen die Verhältnisse 1951 bei den III. Weltjugendfestspielen in Ost-Berlin. Sie waren gekennzeichnet durch den Ehrgeiz der DDR, schon so kurz nach ihrer Gründung im Jahre 1949 ein Festival der Superlative zu bieten und sich als 'blühenden Arbeiter- und Bauernstaat' darzustellen. Das allerdings konnte nicht ohne organisatorische Pannen bleiben, die ihrerseits politische Konsequenzen hatten. Die FDJ unter ihrem damaligen Chef Erich Honecker war mit der Unterbringung und Verpflegung der rund 26.000 ausländischen Teilnehmer aus 104 Ländern, der 35.000 Jugendlichen aus der Bundesrepublik und der 2 Millionen FDJler aus der DDR offensichtlich überfordert. Täglich gingen 80.000 bis 90.000 Jugendliche nach West-Berlin, um sich dort von den schnell eingerichteten Küchen versorgen zu lassen. Das wiederum führte zu lebhafter Kritik der SED-Führung an Honecker, der daraufhin zur Ablenkung von seinen Schwierigkeiten Massendemonstrationen der FDJ in West-Berlin befahl. Es kam zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei.

Das IV. Festival in Bukarest 1953 mit 30.000 Gästen aus 111 Ländern wurde vom Tode Stalins geprägt. Das Tauwetter im politischen Klima, das unter dem sowjetischen Ministerpräsidenten Malenkow einsetzte, blieb nicht ohne Auswirkung auf die Atmosphäre dieser Spiele; die bis dahin üblichen massiven Angriffe gegen den Westen wichen nun versöhnlicheren Tönen.

Der gleiche Tenor bestimmt die V. Festspiele in Warschau 1955. Die Festivalparole "Nieder mit dem Haß für immer" signalisierte die Koexistenz zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Bukarest wie Warschau zeigten deutlich den Umschwung der sowjetischen Politik in der Nach-Stalin-Ära, der in der Verurteilung Stalin auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 durch Chruschtschow seinen Höhepunkt fand.

Im Zeichen der Entstalinisierung standen auch die VI. Weltfestspiele in Moskau 1957. Sie erhielten einen weiteren Akzent dadurch, daß die Sowjets ihre militärische Intervention gegen Ungarn im Herbst 1956 vergessen machen wollten.

So wurde das Festival mit 34000 Gästen aus 136 Nationen zu einem Forum für die Friedensdeklarationen. Der damalige Präsidiumsvorsitzende des Obersten Sowjets, Kliment Woroschilow, erklärte:

"Sie sind zum Festival aus allen Ländern mit einer unterschiedlichen sozialen und politischen Ordnung gekommen, mit unterschiedlichen Überzeugungen, Glaubensbekenntnissen und Anschauungen. Und so begrüßen wir Sie so, wie Sie sind. Wir sind der Ansicht, daß jedes Volk das Recht hat, sein Leben so aufzubauen, wie es das wünscht: Wir haben unsere Ideen und Anschauungen niemals irgend jemanden aufgezwungen und beabsichtigen nicht, dies zu tun!"

Diese letzte Behauptung war durch die Ereignisse des ungarischen Oktobers leicht zu widerlegen und wurde von vielen Unabhängigen so nicht akzeptiert. Mehr noch: Das Klima des Festivals erlaubte es sogar, daß über den Einmarsch der sowjetischen Truppen und über den UN-Bericht, der die Russen verurteilte, diskutiert wurde, wobei der sowjetische Standpunkt natürlich dominierte.

Mit den VII. Weltfestspielen 1959 versuchte der WBDJ zum ersten Male, das Festival in einer Stadt außerhalb des kommunistischen Machtbereichs durchzuführen. Der Beschluß, Wien zur Festspielstadt zu wählen, entstand aus der Absicht, dem Westen mit Zehntausenden sich unter kommunistischen Parolen verbrüdernden jungen Menschen eine riesige Propagandaschau vorzuführen. Diese Rechnung ging nicht auf. Die österreichische Regierung beschränkte ihre Repräsentation auf ein unerläßliches Minimum und die österreichische Presse – mit Ausnahme der kommunistischen natürlich – boykottierte das Großereignis in der Hauptstadt völlig. Die demokratischen Jugendverbände des Landes starteten Aufklärungsaktionen gegen die Festspiele.

Unter den 18.000 Teilnehmern aus 112 Ländern befand sich zum erstenmal eine Gruppe aus der Bundesrepublik Deutschland, die mit der erklärten, freilich zu idealistischen Absicht zum Festival gefahren war, "unsere freiheitliche Auffassung in allen Fragen der Politik und Gesellschaftsordnung" zu vertreten. Es handelte sich um eine 19köpfige Delegation des Liberalen Studentenbundes (LSD). In seinem Beschluß heißt es: "Es ist insbesondere zu vermeiden, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland allein und einseitig von den Funktionären der FDJ dargestellt werden." Auf diese Weise wurde die bei den vorangegangenen Festspielen stets sorgfältig gepflegte, grundsätzliche ideologische Einheit nicht nur durch die österreichischen Jugendverbände in Frage gestellt, sondern auch vom LSD und anderen westlichen Teilnehmergruppen provozierten Diskussionen strapaziert. Die geplante Demonstration einer nach kommunistischer Weichenstellung denkenden Weltjugend fand in Wien nicht statt.

Wohl deshalb unterbrachen die Veranstalter den bis dahin üblichen Zweijahresrhythmus bei der Veranstaltung der Festspiele. Erst drei Jahre später wurde 1962 in Helsinki eine Neuauflage des Experimentes gestartet, ein Festival, das VIII. seiner Reihe, außerhalb des direkten sowjetischen Machtbereichs abzuhalten. Noch in der Vorbereitungsphase erhoben die finnischen Jugend- und Studentenverbände lebhaften Protest. An den Abenden vom 28. bis zum 30. Juli gab es sogar bei Anti-Festival-Demonstrationen der finnischen Jugend Straßenkämpfe mit der Polizei. Parallel zum Festival rollte ein Gegenfestival ab, dessen Beitrag das schweizerische Komitee "Wahret die Freiheit" mit einer Ausstellung über die Möglichkeit eines guten Zusammenlebens "verschiedener sprachlicher und rassischer Gruppen am Beispiel der Schweiz" lieferte, während der unwillkommenste Beitrag die amerikanischen und die IUSY-Aktivitäten waren, die, wie sich 1968 herausstellte, durch den CIA finanziert wurden.

Auch innerhalb des Festivals - mit nur 13.000 Delegierten – kriselte es, obwohl der LSD, aus Protest weger der in DDR erfolgten Verhaftung seines Ostreferenten Dieter Koniecki durch tschechoslowakische Geheimpolizei, in Helsinki nicht beteiligt war. Dafür regten diesmal Mitglieder der holländischen und der amerikanischen Delegationen durch Widerspruch gegen parteiverordnete kommunistische Wahrheiten die Diskussion an. Als die daraufhin irritierte Festivalleitung die Regie in den Seminaren manipulieren wollte, gab es offenen Streit. Die Delegation aus dem Senegal drohte mit ihrer Abreise, ein großer Teil der ceylonesischen machte eine solche Drohung sogar wahr. Wieder war die beabsichtigte Demonstration von der Größe und Stärke der im kommunistischen Geiste geeinten Weltjugend ein Schlag ins Wasser.

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