Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Jugend eine Zukunft | Jugend in Deutschland | bpb.de

Jugend in Deutschland Editorial 100 Jahre Jugend in Deutschland Politikverdrossenheit in Ost und West? Der Jugend eine Zukunft Der Umgang mit Aggression und Gewalt bei Kindern und Jugendlichen

Der Jugend eine Zukunft Politische Herausforderung durch die nachwachsende Generation

Joachim Hofmann-Göttig

/ 16 Minuten zu lesen

Die Ergebnisse der Jugend- und Wahlforschung sind irritierend: Jugend wählt rechtsextrem in Sachsen-Anhalt, stabilisiert die "Etablierten" bei der Bundestagswahl oder wählt Rot-Grün in Hessen ab.

I. Schlaglichter auf die politische Herausforderung durch die nachwachsende Generation

1. Der Schock von Sachsen-Anhalt

26. April 1998. 18.00 Uhr. Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Deutschland und viele Beobachterinnen und Beobachter im Ausland sind geschockt: Die rechtsextreme DVU erreicht 12,9 Prozent - aus dem Stand. Und: Die DVU wurde nicht wegen der alten Ewiggestrigen so stark, sondern wegen der jungen, nachwachsenden Generation: 25,4 Prozent bei den Jungwählerinnen und -wählern (18- bis 24-Jährige), 22,0 Prozent bei den jungen Wählern und Wählerinnen (25- bis 34-Jährige).

Das haben die Analysen der Forschungsinstitute von ARD (Infratest dimap) und ZDF (Forschungsgruppe Wahlen) nach Alter und Geschlecht ergeben, Monate später erhärtet durch die amtliche Sonderauszählung nach Alter und Geschlecht (repräsentative Wahlstatistik des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt).

Und es kommt noch schlimmer, wenn wir uns nur die Männer dieser Altersgruppen ansehen, denn der Anteil der Frauen, die die Rechtsextremen wählen, ist seit jeher niedriger als der der Männer: 31,7 Prozent der Männer im Jungwähleralter unterstützten die DVU. Die DVU ist damit klar die Nummer eins unter den männlichen Jungwählern; sie liegt 10 Prozentpunkte vor der SPD! Und auch bei der zweiten jungen Männergruppe (25- bis 34-Jährige) ist die DVU mit 26,2 Prozent unglaublich stark, hier ist die SPD nur mit einer Nasenlänge vorn (27,0 Prozent).

2. Die Bundestagswahl 1998 - den Etablierten eine Chance

27. September 1998. Eine historische Bundestagswahl. Noch niemals zuvor wurde eine Regierung komplett abgewählt: Es gab erdrutschartige Verluste der CDU/CSU: -6,2 Prozentpunkte, deutliche Gewinne der SPD: +4,5 Prozentpunkte (vgl. Tabelle 1), leichte Verluste bei FDP und Bündnis 90/Die Grünen.

Verantwortlich für die Verluste der CDU/CSU und die Gewinne der SPD sind nicht nur die traditionell mobilen Jungwählerinnen und -wähler - normalerweise "Trendsetter des Wechsels" -, sondern auch die Wählerinnen und Wähler im mittleren und fortgeschrittenen Alter. Am meisten bewegt hat sich bei den Jungwählerinnen und -wählern - nach ARD - in Richtung DVU/NPD/Republikaner: Die Rechtsparteien erreichten bei den Jungwählerinnen und -wählern immerhin 7 Prozent (+4 Prozentpunkte), bei den Männern sogar 11 Prozent (+6 Prozentpunkte). Aber im Vergleich zu den Wahlausschlägen bei den Jugendlichen in Sachsen-Anhalt deuten diese Zahlen eher auf die Einstellung: "Den Etablierten noch eine Chance."

3. Die Hessische Landtagswahl - Jugend wählt Rot-Grün ab

Für die meisten kommt es völlig unerwartet: Die neue Bundesregierung ist gerade 100 Tage im Amt und schon schlägt das Pendel zurück: 7. Februar 1999. Landtagswahl in Hessen. Rot-Grün wird abgewählt, Schwarz-Gelb kommt, die SPD-geführte Bundeskoalition im Bundesrat ist verloren. Das Regieren wird schwieriger in Berlin.

Die CDU gewinnt +4,2 Punkte, die SPD +1,4 Punkte; Bündnis 90/Die Grünen verlieren - 4 Punkte, die FDP - 2,3. Knapp, aber der Regierungswechsel ist besiegelt. Republikaner und NPD kommen zusammen auf 2,9 Prozent (+0,6 Punkte) (vgl. Tabelle 2).

Und das sind die "Botschaften" der Jungwählerinnen und -wähler der Hessenwahl:

- Die CDU, die stärkste Partei (der CDU-Vorsprung gegenüber der SPD beträgt 12,2 Punkte), hat ihre stärksten Gewinne unter den Jungwählerinnen und -wählern: +10,8 Punkte;

- die SPD gewinnt in allen Altersgruppen, nur nicht bei den Jungwählerinnen und -wählern: leichte Verluste (-2,2 Punkte);

- bei den Jungwählern liegt die SPD fast 10 Punkte unter dem Durchschnitt (genau: 8,9 Punkte);

- Bündnis 90/Die Grünen verlieren sensationell hoch bei den Jungwählerinnen und -wählern (-10,6 Punkte);

- Bündnis 90/Die Grünen verlieren ebenfalls sehr stark bei den jungen Wählern und Wählerinnen zwischen 25 und 34 Jahren (-10,3 Punkte);

- Bündnis 90/Die Grünen haben ihre stärkste Gruppe (12,9 Prozent) nunmehr in der mittleren Altersgruppe.

Fazit: Es waren vor allem die jungen Menschen, die die rote-grüne Landesregierung in Hessen abgewählt haben.

4. Die Wahlen im Sommer/Herbst 1999 - Rot-Grün im Dauertief

Der Wahlmarathon im Sommer und im Herbst 1999: 6. Juni - Wahl zur Bremischen Bürgerschaft; 13. Juni - Europawahlen; Landtagswahlen im Saarland und Brandenburg am 5. September, in Thüringen am 12. September, in Sachsen am 19. September und schließlich die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am 10. Oktober.

Die Wahlserie hat Gemeinsamkeiten:

- Die FDP schafft nirgendwo die 5-Prozent-Hürde.

- Bündnis 90/Die Grünen verlieren überall.

- Die PDS stabilisiert sich im Westen und legt deutlich zu im Osten.

- Die Rechtsextremen sind noch da, aber können nicht an ihren Erfolgen in Sachsen-Anhalt anknüpfen.

- Außer in Bremen, der von beiden Seiten als erfolgreich angesehenen Großen Koalition, verliert die SPD überall massiv, bis hin zu 14,8 Prozentpunkten in Brandenburg und zum Verlust der Regierung im Saarland.

- Die CDU gewinnt überall (leichte Verluste in Sachsen, bei Stabilisierung der absoluten Mehrheit), Regierungsbeteiligung in Brandenburg, absolute Mehrheit in Thüringen.

Rot-Grün im Dauertief, CDU in lichten Höhen. Welchen Beitrag dazu haben im Sommer und Herbst des Jahres 1999 die jungen Wählerinnen und Wähler geleistet? Die Analysen der Forschungsgruppe Wahlen liefern darüber Aufschluss.

Das sind die "Botschaften" der Jungwählerinnen und -wähler der aktuellen Wahlen:

- Die SPD, früher von jungen Menschen stärker gewählt als von älteren, muss nunmehr durchgängig bei den Jungwählerinnen und -wählern unterdurchschnittliche Ergebnisse verbuchen. (Extremwert Brandenburg: dort erreicht die SPD nur noch 24 Prozent bei den Jungen, maximale Abweichung vom Gesamtergebnis).

- In Sachsen haben gerade noch sechs Prozent der Jungwählerinnen und -wähler die SPD gewählt!

- Die CDU, früher von Jungwählerinnen und -wählern weniger gewählt, steht nunmehr fast ausgeglichen (Ausnahme: Berlin). Extremwerte erzielt die CDU bei den Jungen im Saarland (48 Prozent) und in Sachsen (57 Prozent)!

- Bündnis 90/Die Grünen, früher die Jungwählerinnen und -wähler-Partei, erreicht nunmehr nur noch leicht bessere Ergebnisse bei den Jungen als beim Bevölkerungsdurchschnitt.

- Die PDS ist von ihrer Wählerstruktur jedenfalls nicht die Partei der alten SED-Kader. Sie erreicht bei den Jungen vergleichbare Stimmergebnisse wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Mit einem Anteil von 27 Prozent Jungwählerinnen und -wähler liegt die PDS laut Forschungsgruppe Wahlen vor CDU und SPD.

- Die Rechtsextremen sind, auf geringerem Niveau, weiterhin attraktiv für Jugendliche, sie erzielen ihre besten Stimmergebnisse bei den Jungwählern.

Fazit: Die rot-grüne Dauerkrise bei den aktuellen Wahlen geht vor allem auf die Jungen zurück (vgl. Tabelle 3).

5. Landtagswahl in Schleswig-Holstein - Erste Urabstimmung im "Spendensumpf"

Die Situation vor der Landtagswahl ist geprägt durch eine monatelange Parteienkrise, die CDU droht im Spendensumpf zu versinken, gesetz- ja sogar verfassungswidrig nicht deklamierte Großspenden, schwarze Auslandskonten, gefälschte Rechenschaftsberichte unter Obhut eines früheren Bundesinnenministers, spät aufgeklärt nach Lügen eines amtierenden Ministerpräsidenten, ein "Ehrenwort" des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl gegen Recht und Gesetz, Strafen in Millionenhöhe, Führungswechsel in Partei und Fraktion prägen das Bild. Die hessische FDP gibt dem Machterhalt Vorrang vor Geradlinigkeit.

Aber auch die SPD hat - wenngleich nicht vergleichbare - Probleme: Unkorrekter Umgang mit Steuergeldern führt zum Rücktritt eines Ministerpräsidenten in Niedersachsen und eines Finanzministers in Nordrhein-Westfalen. Die Republik steht unter Schock, leidet an der schwersten Parteienkrise in der Geschichte Deutschlands.

Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 27. Februar 2000 liefert das erste Wählervotum bei einer landesweiten Wahl inmitten der Krise.

Zwei denkbare Reaktionen sind ausgeblieben:

- Die Wahlbeteiligung ist nicht katastrophal in den Keller gerutscht. Sie ist mit 69,5 Prozent (minus 2,3 Prozentpunkte) fast noch im Bereich des "Normalen".

- Die Extremen gehen nicht gestärkt aus den Wahlen hervor, NPD mit 1,0 Prozent und PDS mit 1,4 Prozent bleiben unbedeutend, die "Sonstigen" sind insgesamt mit -6,5 Prozentpunkten entschieden rückläufig.

Stattdessen liefern die Wahlen einige klare "Botschaften":

- Rot-Grün behauptet sich.

- Die SPD legt 3,3 Prozentpunkte zu (auf 43,1 Prozent).

- Die CDU verliert -2,0 Punkte (sinkt auf 35,2 Prozent).

- Bündnis 90/Die Grünen behaupten sich mit leichten Verlusten.

- Die FDP aber ist die eigentliche "Krisen-Gewinnlerin". Sie schafft mit 7,6 Punkten klar den Wiedereinzug ins Parlament.

Auf den ersten Blick sind das eher undramatische Ergebnisse. Das Drama wird erst sichtbar, wenn die Wahl vor dem Hintergrund analysiert wird, dass noch drei Monate vor dem Wahltermin niemand einen Pfifferling auf die rot-grüne Koalition gegeben hätte. Es hat sich also viel bewegt im Norden. Welche Rolle spielen die Jungen dabei? Sind sie erneut "Trendsetter", Verstärker einer Stimmungslage, wie so häufig in den letzten Jahrzehnten? Antworten liefern - bis die amtliche Sonderauszählung nach Alter und Geschlecht vorliegt - die Wahltagsbefragungen (sog. "exit polls") von Infratest dimap (ARD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) mit einer sehr großen Stichprobe (vgl. Tabelle 4).

Aus Lesbarkeitsgründen sind die Daten nicht geschlechtsdifferenziert ausgewiesen, obgleich zwischen Männern und Frauen bei dieser Wahl bemerkenswerte Unterschiede bestehen: Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden von den Frauen (zusammen etwa 54 Prozent) erheblich stärker gewählt als von den Männern (zusammen etwa 46 Prozent); bei CDU und FDP ist es gerade umgekehrt. Inwieweit dafür die Landespolitik von Ministerpräsidentin Heidi Simonis oder unterschiedliche Reaktionen auf die Parteienkrise verantwortlich sind, muss noch geklärt werden.

Wie lauten die "Botschaften" der Jungwählerinnen und -wähler der Schleswig-Holstein-Wahl:

- Die CDU liegt bei den Jungen nur knapp hinter der SPD. Sie ist nur bei den über 45-Jährigen besser als bei den Jungen.

- Die SPD liegt bei den Jungen immer noch bemerkenswert schwach deutlich unter dem Bevölkerungsdurchschnitt.

- Die SPD holt ihre besten Ergebnisse in den mittleren Altersgruppen.

- Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Jungwählerinnen und -wähler-Bastionen verloren.

- Die FDP ist auch bei den Jungen die "Krisengewinnlerin"; bei diesen erreicht sie mit 10 Prozent ihr relativ bestes Ergebnis.

- Auch der SSW, die Partei der dänischen Minderheit, ist bei den Jungen überdurchschnittlich stark.

Fazit: Rot-Grün kann mit seinem Abschneiden bei der jungen Generation weiterhin nicht zufrieden sein. Die eigentliche Krisengewinnlerin ist in Schleswig-Holstein nicht nur insgesamt, sondern auch speziell bei den Jungen die FDP.

II. Versuch einer Annäherung: Politische Jugend- und Erwachsenenkultur - ein aktuelles Stimmungsbild

1. Erkenntnisse der Jugendforschung

a) Schlüsselbotschaften der 12. Shell Jugendstudie: "Jugend 97" von 1997:

- Die gesellschaftliche Krise hat die Jugendlichen erreicht.

- Jugendliche sehen mit gemischten Gefühlen in die Zukunft.

- Das Vertrauen in die institutionalisierte Politik ist dramatisch gesunken.

- Hauptproblem von Jugendlichen heute ist die Arbeitslosigkeit.

- Der Pessimismus Jugendlicher über die persönliche Zukunft wächst.

- Jugendliche setzen wenig Hoffnungen auf "etablierte Politik".

- Jugendliche verstehen Politik als Gegenwelt zur eigenen Kultur. Politik gilt als Verkörperung der Langeweile, Abgehobenheit, Unverständlichkeit.

- Bei aller Distanz zum etablierten Politikbetrieb und seinen Institutionen werden aber Hoffnungen in die und Erwartungen an die Grundwerte unserer Demokratie gerichtet.

- Die wichtigste politische Grundorientierung ist die der Distanz zu allen Parteien.

- Jugendliche wollen sich durchaus für eine wertbesetzte Sache engagieren, aber dieses Engagement muss Spaß bringen. Mitbestimmung, Kompetenz, schnelle Erfolgserlebnisse sind gefragt. Ohne Spaß läuft nichts.

b) Schlüsselbotschaften von Generation BRAVO 1998:

Aktuellere Befunde als die Shell Jugendstudie liefert die von EMNID 1998 durchgeführte Befragung von über 3 000 14- bis 18-Jährigen:

- Die nachwachsende junge Generation wünscht sich, dass die Parteien ihre politischen Prioritäten auf folgende Schwerpunkte setzen: Arbeitslosigkeit (76 Prozent); Ausbildungs- und Lehrstellensituation (52 Prozent); Gewalt und Kriminalität (49 Prozent); Umweltschutz (41 Prozent); Bildungssystem (38 Prozent);

- Sie schreibt den Parteien dabei unterschiedliche Problemlösungskompetenz zu: Arbeitslosigkeit: SPD (39 Prozent) vor "keine Partei" (31 Prozent); Gewalt und Kriminalität bekämpfen: CDU/CSU (32 Prozent); Bildungssystem verbessern: SPD (35 Prozent); Zukunftskompetenz: SPD (39 Prozent); Jugend: Bündnis 90/Die Grünen (38 Prozent) vor SPD (32 Prozent);

- Jugendliche versehen Parteien mit eindeutigen Etiketten (Image der Parteien): Alt und verstaubt: CDU/CSU (42 Prozent); Innovation: SPD (40 Prozent); Reform: SPD (44 Prozent);

- Die Jugendlichen sehen sich durch die Parteien unterschiedlich gut vertreten: SPD (27 Prozent) und "keine Partei" (27 Prozent) vor Bündnis 90/Die Grünen (20 Prozent);

- Angstbesetzt sind unter Jugendlichen vor allem die Themen: Berufliche Zukunft (56 Prozent); Gewalt/Kriminalität (55 Prozent); Umweltkatastrophen (50 Prozent);

- Positiv besetzt sind: gute, zuverlässige Freunde (71 Prozent); finanzielle Sicherheit (65 Prozent); sinnerfüllte berufliche Arbeit (64 Prozent); gute Partnerschaft/Ehe (61 Prozent); eigene Kinder (52 Prozent); das Leben genießen (50 Prozent).

Fazit: Familie als Zukunftshoffnung steht mit 69 Prozent an erster Stelle.

c) Generation BRAVO 1999:

Vom 2. März bis 15. April 1999 wurden von EMNID erneut 3 085 Jugendliche repräsentativ für West- und Ost- und für Gesamt-Deutschland im Alter von 14 bis 18 Jahren ("BRAVO-Generation 1999") befragt. Die Studie ist eine wahre Fundgrube aktueller Daten über die Einstellungen jener junger Menschen, die bei der nächsten Bundestagswahl die Gruppe der Erstwähler und Erstwählerinnen bilden werden. Es liegen unter anderem Daten zu Themenbereichen wie Internationale Aggressoren, Atomausstieg, Schulpolitik, Berufswünsche, Mediennutzung, Freizeitaktivitäten, Sport, Gentechnik und Verhältnis zu Vereinen vor.

Eine Systematisierung nach Bereichen erlaubt Schlussfolgerungen darüber, welche Themen der Gruppe der 14- bis 18-Jährigen besonders wichtig sind und wie sie diese von der Politik behandelt sieht:

- Wichtigkeit politischer Themen:

Arbeitslosigkeit (76 Prozent);

Ausbildungs- und Lehrstellensituation (56 Prozent);

Gewalt und Kriminalität (51 Prozent);

- Kompetenzen der politischen Parteien:

Arbeitslosigkeit: SPD (46 Prozent), CDU/CSU (23 Prozent), keine Partei (23 Prozent);

Gewalt und Kriminalität: SPD (27 Prozent), CDU (34 Prozent), keine Partei (26 Prozent);

Soziale Gerechtigkeit: SPD (47 Prozent);

Staatsschulden abbauen: keine (41 Prozent);

Umweltschutz verbessern: Bündnis 90/Die Grünen (72 Prozent);

Wirtschaftskraft stärken: CDU (38 Prozent);

Gute Steuerpolitik machen: Keine Partei (35 Prozent), SPD (34 Prozent);

- Bewertung der Arbeit der (neuen) Bundesregierung:

positiv: Jugendarbeitslosigkeit, Europapolitik, Jugendinteressen;

negativ: Staatshaushalt, Wirtschaftspolitik;

- Vertrauen in Institutionen:

Umweltschutzorganisationen (54 Prozent);

Menschenrechtsgruppen (44 Prozent);

Polizei (36 Prozent);

Gerichte (33 Prozent);

Politiker (5 Prozent);

Parteien (5 Prozent);

- Zukunftserwartungen bzw. -wünsche:

Spaß an der Arbeit (80 Prozent);

Zuversicht für das nächste Jahrtausend (72 Prozent);

Pflege von Freundschaften (73 Prozent);

Genuß des Lebens (57 Prozent);

gute Partnerschaft/Ehe (56 Prozent);

- Sonntagsfrage:

Das Ergebnis der Sonntagsfrage zeigt: Eigentlich könnte die SPD mit 43 Prozent vorne liegen, die Union folgt erst mit 32 Prozent.

d) Schlüsselbotschaften der 13. Shell-Jugendstudie "Jugend 2000":

Im Rahmen der aktuellen 13. Shell-Studie wurden im Zeitraum Juni 1999 bis September 1999, also vor der CDU-Spendenaffäre und vor der politischen Konsolidierung der neuen Bundesregierung, 4 546 junge Leute im Alter von 15 bis 24 Jahren befragt. Die Forscher zeichnen folgendes Bild von der "Jugend 2000":

- Als Grundstimmung machen sie eine deutlich gewachsene Zuversicht in Bezug auf die persönliche und gesellschaftliche Zukunft aus.

- Familie, der Wunsch nach Kindern stehen weiterhin hoch im Kurs, bei Jungen wie bei Mädchen, Ost wie West, aber traditionelle Familienmuster sind "out". "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" ist die Zielmarke.

- Beruf, Berufsvorbereitung, Leistung werden groß geschrieben.

- Das politische Interesse auf Seiten der jungen Leute sinkt weiter. Der Politikbetrieb "nervt" und gilt vor allem bei nicht gesettlten Jugendlichen als abgehoben vom wirklichen Leben.

- Der parteipolitische Trend vieler junger Leute (vor der Spendenaffäre) hin zur CDU und weg von den Grünen schien ungebrochen. Der CDU war es gelungen, junge Menschen, die an Technik interessiert sind, die sich an Modernität und klarer Lebensplanung orientieren, zu gewinnen.

- Von Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands kann noch keine Rede sein, im Gegenteil: Die Unterschiede zwischen den Jugendlichen wachsen.

- Die Perspektive des vereinten Europas spielt im Denken der Jungen nur eine nebensächliche Rolle, Skepsis überwiegt.

- Ausländerfeindlichkeit erscheint als Minderheitenphänomen, dort aber sehr entschieden und ausgeprägt. Die Forscher sehen dies weniger als Ausdruck einer Gesinnung, sondern mehr als Angst vor der eigenen Perpektivlosigkeit.

- Kirche und Konfession hat weiterhin an Stellenwert verloren.

2. Erkenntnisse der Wahlforschung

Das monatliche "Politbarometer" der Forschungsgruppe Wahlen gehört zu den methodisch sauberen Instrumentarien der Wahlforschung. Für Jugendanalysen besteht allerdings das Problem kleiner Fallzahlen. Dem kann durch die Kumulation von allen zwölf Umfragen für das Jahr 1998 abgeholfen werden:

a) Schlüsselbotschaften des Politbarometers 1998:

- Die Gruppe der "Erstwählerinnen und -wähler" (18- bis 20-Jährige) kann durchaus und vor allem von der SPD erreicht werden. 50 Prozent dieser jungen Menschen lassen Sympathien für die SPD erkennen, nur 22 Prozent für die CDU/CSU und 14 Prozent für Bündnis 90/Die Grünen. Die "Republikaner" liegen danach bei 3 Prozent.

- Die Sonderauswertung des Politbarometers zeigt sehr eindrucksvoll, dass es die Jugend nicht gibt. Besonders der Faktor Bildungsgrad führt in vielfältigen Bereichen zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen, die vor allem sichtbar werden, wenn Jugendliche (beiderlei Geschlechts) mit Abitur mit solchen, die kein Abitur haben, verglichen werden. Die SPD erzielt bei Jugendlichen ohne Abitur höhere Werte; bei Bündnis 90/Die Grünen ist es genau umgekehrt. Die Demokratiezufriedenheit ist bei Abiturientinnen und Abiturienten ausgeprägter, Wirtschaftspessimismus bei Nichtabiturienten und -abiturientinnen. Entsprechend positiver beurteilen Jugendliche mit Abitur ihre eigene wirtschaftliche Lage, auch ist ihr Interesse an Politik viel größer.

b) Jugend und Erwachsene im Vergleich, laut "Deutschland-TREND" von Infratest dimap:

Der monatliche "Deutschland-TREND" von Infratest dimap mit jeweils 1300 Interviews gehört mittlerweile zu einem dem "Politbarometer" vergleichbaren methodisch gesicherten und dokumentierten Instrument. Nehmen wir die Befunde für die Monate Januar, Februar, März und April 1999, um zu untersuchen, welche signifikanten Unterschiede in den Einstellungen zwischen Jungwählerinnen und -wählern und dem Durchschnitt der Bevölkerung im ersten Quartal des Jahres 1999 bestehen:

Bisher war viel von Problemen, Sorgen und Ängsten die Rede (Arbeitslosigkeit, Lehrstellenknappheit, Naturkatastrophen). Es soll nun gefragt werden, worauf sich die Wählerinnen und Wähler freuen, wenn sie an das nächste Jahrtausend denken.

Die höchste Nennung hat der technisch-medizinische Fortschritt. Und dies vor allem bei den Jungen. Damit erklärt sich auch, warum im selben Januar-"Deutschland-TREND" immerhin 32 Prozent der Jugendlichen glauben, dass sie heute ein besseres Leben führen als ihre Eltern. Unter den Erwachsenen sind dies nur 22 Prozent. Auch ist die große Mehrheit (58 Prozent) von ihnen der Auffassung, dass es ihnen finanziell im kommenden Jahr besser gehen werde. Der Euro wird von ihnen positiver eingeschätzt als von den Erwachsenen.

Interessant ist freilich nicht nur, worin sich Jungwählerinnen und Jungwähler von Erwachsenen unterscheiden, sondern auch worin sie sich nicht unterscheiden: Ausweislich des Februar-"Deutschland-TREND" 1999 ist der politische Prioritätenkatalog fast identisch. An der Spitze steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Nach dem März- und April-"Deutschland-TREND" ist auch die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung mindestens in dem Maße bei den Jungen vorhanden wie in der Gesamtbevölkerung. Die Kritik richtet sich dabei auch bei den jungen Menschen vor allem gegen Bündnis 90/Die Grünen, und zwar in noch stärkerem Maße als im Durchschnitt der Bevölkerung.

3. Jugend und Rechtsextremismus

Die Wahlforschung hat nachgewiesen, dass die Bereitschaft junger Menschen, rechtsextrem zu wählen, seit etwa zehn Jahren in Deutschland ausgeprägter ist als im fortgeschrittenen Alter. Dieser Befund ist unstrittig.

Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter hat eine Rechtsextremismusskala erstellt, mit deren Hilfe er typische Einstellungen misst. Die folgenden Aussagen fließen dabei ein:

- Der Nationalsozialismus war gut.

- Hitler war ein großer Staatsmann.

- Deutschland ist überfremdet.

- Ausländer sollten Landsleute heiraten.

- Der Einfluss der Juden ist zu groß.

- Juden sind fremdartig.

- Diktatur ist oft besser.

- Mehr Nationalgefühl ist notwendig.

- Stolz, Deutscher zu sein.

a) Ist die Bereitschaft, rechtsextrem zu wählen, Ausdruck eines diffusen Protestes oder einer ausgeprägten Gesinnung?

Die Antwort lautet: Sowohl als auch, aber der Anteil an Gesinnung ist größer, als man denkt! Die Frage, ob sich hinter dem rechtsextremen Wahlverhalten Protest oder Gesinnung verbirgt, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Eine Paneluntersuchung (Befragung derselben Personen in den Jahren 1994 und 1998) von Jürgen Falter liefert interessante Ergebnisse:

- Nicht jede oder jeder, der oder die rechtsextrem wählt, denkt auch rechtsextrem .  Eine wichtige Rolle spielen auch die Faktoren "Politikverdrossenheit" und "Gefühl der Benachteiligung", wenngleich sie nicht das gleiche Gewicht haben wie die "rechtsextreme Einstellung".

- Auch nicht jede oder jeder, der oder die rechtsextrem denkt, wählt auch rechtsextrem. Im Gegenteil: Rechtsextreme Gesinnung ist entschieden verbreiteter als rechtsextremes Wahlverhalten.

- Die rechtsextreme Gesinnung ist unter den Wählerinnen und Wählern der Rechtsextremen (erwartungsgemäß) deutlich verbreiteter als in der Gesamtbevölkerung. Bei jeder einzelnen Aussage der Skala war dies in einer Größenordnung von 10 bis 30 Prozentpunkten festzustellen.

b) Hat der Rechtsextremismus auf der Einstellungsebene in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen?

Nein! Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen ist im Vergleich der Jahre 1994 und 1998 bei fast allen Ausprägungen konstant geblieben.

c) Denken Junge häufiger rechtsextrem als Erwachsene?

Nein! Bei den meisten Aussagen der Rechtsextremismus-Skala denken die Jungen weniger extrem als die Erwachsenen.

Es gibt allerdings einen Ost-West-Unterschied. In Ostdeutschland sind rechtsextreme Einstellungen häufiger anzutreffen als im Westen.  

d) Ausländerfeindliche Einstellungen in Europa

Es gibt die Auffassung: "Rechtsextremistische Einstellungen in Deutschland - gewiss schlimm. Aber auch - mit Blick auf unsere europäischen Nachbarn - ein Stück Normalität." Ist das so?

Antworten liefert das "Eurobarometer" der Europäischen Gemeinschaft. In der und für die Europäische Union wurde im Oktober/November 1988 gefragt, wie häufig in der EU Menschen anderer Staatsangehörigkeit, Rasse oder Religion als "störend" empfunden würden. 1997, ebenfalls im Oktober/November, wurde gefragt, in welchem Maße die Anwesenheit von Personen einer fremden Rasse im Lebensalltag als "störend" empfunden würden. Den Ergebnissen zufolge ist die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland rückläufig und liegt 1997 mit 15 Prozent im Durchschnitt der EU (hinter Spitzenreiter Griechenland, Belgien und Dänemark, aber auch Frankreich und Österreich). Das ist für die EU-Länder kein Ruhmesblatt, für das geschichtsträchtige Deutschland freilich erst recht nicht.

III. Fazit: Der Jugend eine Zukunft

- Die heutige Jugend gibt es nicht und gab es nicht, so wenig wie es die Erwachsenen gibt. Trotzdem gibt es Erkenntnisse über die Erwartungen junger Menschen (im Durchschnitt).

- Die Erwartungen junger Menschen sind denen der älteren sehr ähnlich. An erster Stelle steht die Erwartung an die Politik, zur Sicherung des künftigen Ein- bzw. Auskommens beizutragen.

- Bei jungen Menschen ist die Politikverdrossenheit ausgeprägter als bei älteren, erwachsenen Menschen. Eine große Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Werte wie Glaubwürdigkeit, die (nicht nur in der Politik) allzuleicht verspielt werden.

- Auch die Werteskalen unterscheiden sich nicht gravierend: An erster Stelle steht jeweils der Wunsch nach Familie.

- Jugendliche wollen nicht nur mit Problemen konfrontiert werden, ihr Blick in die Zukunft ist optimistischer als der der Erwachsenen. Sie haben ein positives Verhältnis zur Technik, zur Modernität, zu Innovation, zum multikulturellen Lebensstil, zu Europa, zum friedlichen Zusammenleben der Völker.

- Es gibt kein Sonderproblem "Jugend und Rechtsextremismus". Rechtsextreme Einstellungen innerhalb der Jugend sind in dem Maße zu bekämpfen, wie dies für die Bevölkerung insgesamt gilt.

- Rechtsextreme Einstellungen sind im Osten Deutschlands verbreiteter als im Westen, aber sie sind auch im Westen Besorgnis erregend genug.

- Rechtsextreme Einstellungen gibt es überall in Europa, aber sie sind in Deutschland - ungeachtet der Geschichte unseres Landes - ausgeprägter als in den vielen Nachbarländern. Die Ergebnisse des internationalen Vergleichs sind kein Grund zum Zurücklehnen.

Zwei grundsätzliche Botschaften lassen sich aus den vorgestellten Ergebnissen herauslesen:

Erstens: Die Jugend wird nur die Partei erreichen, die kontinuierlich mit ihr spricht und dabei Glaubwürdigkeit im Handeln beweist.

Zweitens: Junge Menschen erwarten eine Politik, die ihnen Chancen für ihre Zukunft bietet. Nur wer der Jugend eine Zukunft weist, hat selbst eine.

Internetverweise der Redaktion:

www.net-part.rlp.de

www.shell-jugend2000.de

www.jugendforschung.de

Dipl.-Päd., Dr. phil., geb. 1951; Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen in Mainz.

Anschrift: MKJFF, Mittlere Bleiche 61, 55116 Mainz.

Veröffentlichungen u. a.: Emanzipation mit dem Stimmzettel - 70 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland, Bonn 1986; Die Neue Rechte - Die Männerparteien, Bonn 1989.