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Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter ostdeutschen Jugendlichen | Extremismus | bpb.de

Extremismus Editorial Politischer Extremismus heute: Islamistischer Fundamentalismus, Rechts- und Linksextremismus Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter ostdeutschen Jugendlichen Ist der Rechtsextremismus im Osten ein Produkt der autoritären DDR? Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland

Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter ostdeutschen Jugendlichen

Dietmar Sturzbecher Detlef Landua Detlef Dietmar / Landua Sturzbecher

/ 20 Minuten zu lesen

Unter den brandenburgischen Jugendlichen zeigen Rechtsextremismus wie auch Jugendgewalt seit 1993 eine insgesamt rückläufige Tendenz. Allerdings existiert eine kleine Gruppe von meist männlichen, hoch gewalttätigen Polit-Hooligans.

I. Einleitung

Fast täglich berichten die Medien von Vorfällen, bei denen Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Nationalität, ihrer religiösen oder politischen Überzeugungen diskriminiert oder tätlich angegriffen werden. Besondere Besorgnis erregen in der Öffentlichkeit die Häufung solcher Vorfälle in Ostdeutschland und der hohe Anteil Jugendlicher unter den Straftätern. Zweifellos müssen politischer Extremismus, Gewalt und Ausländerfeindlichkeit in das Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gestellt werden, um effiziente Strategien der Prävention und ein entschlossenes Handeln gegen die Täter und ihre geistigen Brandstifter zu gewährleisten. Ob allerdings die zuweilen in der Medienberichterstattung beobachtbaren "Es-wird-immer-schlimmer"-Kommentare ein Beitrag dazu sind, darf bezweifelt werden. Für solide Handlungsempfehlungen im politischen und sozialpädagogischen Sinne erscheint aus unserer Sicht ein Blick in die Ergebnisse der Jugendforschung sinnvoller.

Das Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam (IFK) forscht seit zehn Jahren zur Lebenssituation und Delinquenzbereitschaft brandenburgischer Jugendlicher. Mittlerweile liegen die Ergebnisse aus fünf landesrepräsentativen Befragungen von Schülern und Auszubildenden vor. Ergänzt wurde dieser quantitative Forschungsansatz durch die Intensivbefragung von Mitgliedern der rechtsradikalen Szene.

Das umfangreiche Datenmaterial zielt vor allem darauf ab, die Erscheinungsformen und die Verbreitung normabweichenden Verhaltens unter Jugendlichen zu ermitteln, zugrunde liegende Ursachen aufzuklären, Veränderungstendenzen zuverlässig zu prognostizieren und Empfehlungen für die Erarbeitung von Präventionsstrategien bereitzustellen. 2001 wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schülerbefragung aus dem Jahr 1999 erneut befragt. Durch diese Wiederholungsbefragung besteht neben der Fortsetzung der bisherigen Trendanalysen die Möglichkeit, auch Fragen nach der Dynamik und den Entwicklungsverläufen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Einstellungen im Jugendalter zu beantworten. Der vorliegende Beitrag stellt einen Ausschnitt der Forschungsergebnisse zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit aus den Erhebungsjahren seit 1993 vor.

II. Zur Erfassung von "Rechtsextremismus" und "Ausländerfeindlichkeit"

Wenn man die Verbreitung rechtsextremer oder ausländerfeindlicher Einstellungen anhand von Befragungsergebnissen beschreibt, stellt sich zunächst die Frage, auf welche Weise diese Orientierungen erfasst wurden. Unser Fragebogen enthielt hierzu eine Anzahl spezieller Aussagen ("Indikatoren"), die jeweils unterschiedliche Aspekte rechtsextremen bzw. ausländerfeindlichen Gedankenguts betonen (vgl. Tabelle 1 und 2). Die befragten Jugendlichen sollten zu jeder der aufgeführten Aussagen ihre Zustimmung bzw. Ablehnung angeben. Eine faktoren- und konsistenzanalytische Betrachtung der Befragungsergebnisse ergab, dass sich die angeführten einzelnen Indikatoren jeweils tatsächlich auf eine einzige Hintergrundvariable ("Skala") zurückführen lassen.

Der Vergleich einzelner Aussagen zur Erfassung rechtsextremer und ausländerfeindlicher Einstellungen weist auf inhaltliche Überschneidungen hin. So ist die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen - vor allem mit gewaltbefürwortender Anschauung - zweifellos auch ein Charakteristikum der rechtsextremen Szene, und umgekehrt schließt die Betonung einer "deutsch-nationalen Überlegenheit" gleichzeitig auch fremdenfeindliche Motive ein. Dennoch legen unsere Untersuchungsergebnisse nahe, zwischen beiden Bereichen zu unterscheiden: Zwar ist nahezu jeder rechtsextreme Jugendliche in Brandenburg gleichzeitig auch hochgradig ausländerfeindlich eingestellt, jedoch ist umgekehrt keineswegs jeder ausländerfeindliche Jugendliche gleichzeitig auch rechtsextrem eingestellt oder der rechtsextremen Szene zuzuordnen. Die Mehrheit der ausländerfeindlichen Jugendlichen zeigt eher politisches Desinteresse und eine geringe Neigung zu anderen rechtsextremen Positionen. Ausländerfeindlichkeit ist ein allgemeineres Problem und unter brandenburgischen Jugendlichen weiter verbreitet als rechtsextreme Einstellungen.

III. Trends hinsichtlich der Verbreitung rechtsextremer und ausländerfeindlicher Einstellungen unter Jugendlichen

Um der Frage nachzugehen, inwieweit sich der Verbreitungsgrad rechtsextremer und ausländerfeindlicher Einstellungen unter brandenburgischen Jugendlichen seit 1993 verändert hat, haben wir die befragten Jugendlichen anhand der Skalen "Rechtsextremismus" bzw. "Ausländerfeindlichkeit" jeweils in mehrere Gruppen unterteilt. Da die Skalen sich jeweils aus sechs Einzelitems mit einem Wertebereich von 1 bis 4 Punkten zusammensetzen, kann jeder befragte Jugendliche in beiden Fällen theoretisch einen Punktwert zwischen 6 und 24 erreichen. Wir haben nun die Differenz zwischen dem möglichen Minimal- und Maximalwert in vier Teile unterteilt, die jeweils eine Gruppe darstellen und unterschiedlich starke Zustimmung bzw. Ablehnung zu den jeweiligen Aussagen symbolisieren.

Die folgende Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse der landesrepräsentativen Befragungen von 12- bis 19-jährigen Schülern und Auszubildenden aus den Jahren 1993, 1996 und 1999 in Brandenburg. Ein Vergleich zeigt einen deutlichen Rückgang rechtsextremer Einstellungen im Zeitraum von 1993 bis 1996. Zwischen 1996 und 1999 findet sich keine statistisch relevante Veränderung mehr; der Rückgang rechtsextremer Orientierungen hatte sich also nach 1996 nicht nennenswert fortgesetzt.

Allerdings muss auch der Behauptung widersprochen werden, dass sich rechte Ideologien unter brandenburgischen Jugendlichen einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen: Der Anteil der Jugendlichen, die rechtsextreme Aussagen völlig ablehnen, ist gegenüber 1993 stetig gewachsen; die Risikogruppe hat stetig abgenommen. Dies soll aber keineswegs als "Entwarnung" verstanden werden, denn eine Vergleichsuntersuchung zu Heranwachsenden in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1996 zeigte auf, dass der Anteil der Risikogruppe an der Landesjugend hier nur etwa halb so groß ist.

Gegen die These einer zunehmenden Verbreitung rechtsextremer Einstellungen unter brandenburgischen Jugendlichen sprechen auch jüngste landesrepräsentative Längsschnittanalysen unter Schülern der 9. und 10. Klassen einerseits und Gymnasiasten andererseits. In dieser Stichprobe ging der Anteil der Risikogruppe, deren Mitglieder rechtsextremen Aussagen teilweise oder völlig zustimmen, von 19 Prozent im Jahre 1999 auf 13 Prozent im Jahre 2001 zurück; der Anteil derjenigen, die solche Aussagen völlig ablehnen, wuchs von 45 Prozent auf 56 Prozent. Damit finden wir heute in Brandenburg ähnliche Verhältnisse wie 1996 in Nordrhein-Westfalen.

Wie bereits angedeutet, ergibt sich ein anderes, wenn auch nicht erfreulicheres Bild hinsichtlich der Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen. Insgesamt sind ausländerfeindliche Einstellungen unter brandenburgischen Jugendlichen weit verbreitet. 1993 gehörten knapp 40 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler zur Risikogruppe mit eher hoher oder hoher Ausländerfeindlichkeit (vgl. Tabelle 4).

Interessant erscheinen die Veränderungen zwischen 1993 und 1999: Nach einer Abnahme im Zeitraum 1993 bis 1996 findet sich bis 1999 ein Anstieg in der Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen. Diese Zunahme zeigt sich allerdings nicht am extremen ausländerfeindlichen Rand, sondern eher durch Verlagerungen in die Mitte des Meinungsspektrums. Abgenommen hat vor allem der Anteil von Jugendlichen, die ausländerfeindliche Aussagen völlig ablehnen; größer geworden ist die Gruppe Jugendlicher mit tendenzieller ("Eher hoch") Ausländerfeindlichkeit. In Übereinstimmung mit diesem Befund hat die Zahl der Jugendlichen zugenommen, die meinen, die Anzahl der Ausländer im Land Brandenburg sei zu hoch. Auch hier ist auffällig, dass sich die diskriminierende Extremposition "Jeder ist zuviel" unter der befragten Schülerschaft bis 1999 nicht weiter verbreitet hat - "nur" etwas mehr als neun Prozent aller brandenburgischen Jugendlichen äußerten sich 1996 und 1999 in dieser Hinsicht. Insgesamt meint jedoch 1999 - wie bereits 1993 - eine Mehrheit unter den brandenburgischen Jugendlichen (54 Prozent), es gäbe zu viele Ausländer in Brandenburg - und das bei einem vergleichsweise verschwindend geringen Ausländeranteil. Für die letzten zwei Jahre zeichnet sich im Rahmen der bereits genannten Längsschnittanalyse unter Schülern für die Ausländerfeindlichkeit eine schwach rückläufige Tendenz ab; der Anteil der Schüler, die ausländerfeindliche Aussagen völlig ablehnen, ist von 36 Prozent auf 42 Prozent gewachsen.

IV. Individuelle Entwicklungsverläufe hinsichtlich rechtsextremer und ausländerfeindlicher Einstellungen

Eine zentrale Frage bei Längsschnittanalysen ist die nach der Stabilität bzw. Wandelbarkeit eines Merkmals bei einer Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Da wir zur Messung von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit Skalen verwendet haben, die sich aus mehreren Einzelitems zusammensetzen, sind bereits bei zwei Befragungszeitpunkten vollständig stabile Ergebnisse bei einer Person kaum zu erwarten: Der Befragte hätte hierzu entweder bei jeder Frage zu beiden Befragungszeitpunkten exakt die gleiche Angabe machen müssen, oder aber die Veränderungen bei den Fragen hätten sich insgesamt auf "Null" aufaddieren müssen. Um geringfügige Veränderungen im Antwortverhalten zu vernachlässigen und den Wandel angemessen zu interpretieren, wurden die Ergebnisdifferenzen zwischen den Erhebungsjahren in gleichgroße Abschnitte unterteilt.

Die Abbildung legt die Vermutung nahe, dass eine Befürwortung rechtsextremen Gedankenguts kein stabiles Persönlichkeitsmerkmal der meisten sich rechtsextrem äußernden Jugendlichen darstellt und demzufolge auch nicht auf stabilen politischen Überzeugungen beruht. Gerade unter hochrechtsextremen Jugendlichen lässt sich im Verlauf von zwei Jahren häufig eine drastische Abkehr von rechtsextremen Einstellungsmustern erkennen. Die andere Extremposition zeigt, dass es sich hierbei nicht um ein methodisches Artefakt ("top-down-Effekt") handeln kann, denn nahezu jeder vierte Jugendliche, der 1999 rechtsextreme Aussagen ablehnt, behält über zwei Jahre hinweg seine ablehnende Grundhaltung aufrecht; fast die Hälfte der Jugendlichen in dieser Teilgruppe "radikalisiert" ihre Ablehnung sogar noch. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter rechtsextreme Anschauungen auch an Attraktivität gewinnen können. Immerhin etwa jeder zehnte Jugendliche, der 1999 rechtsextreme Aussagen völlig abgelehnt hat, fühlt sich zwei Jahre später verstärkt von rechtsextremen Positionen angezogen. Dabei fallen die Entwicklungsverlaufsmuster in einzelnen Teilgruppen von Jugendlichen unterschiedlich aus. Eine zunehmende Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen findet sich im Wesentlichen nur bei männlichen Jugendlichen aus unteren Klassenstufen und in der Schülerschaft von Gesamtschulen. Umgekehrt ist Rechtsextremismus unter Mädchen, älteren Jugendlichen sowie unter der Schülerschaft von Gymnasien nicht nur vergleichsweise wenig verbreitet, sondern er wird auch ziemlich stabil abgelehnt. Unsere Längsschnittanalysen zu Risikofaktoren in Familie und Schule, die eine Karriere als Rechtsextremist fördern, sind zwar noch nicht abgeschlossen; wir werden jedoch nachfolgend anhand der vorliegenden Zeitreihenbefunde noch auf dieses Problem zurückkommen.

Wiederum zeigt sich ein anderes Bild hinsichtlich der Ausländerfeindlichkeit. Zwar erweist auch sie sich im Zeitverlauf als ein recht instabiles Merkmal, stärker als beispielsweise bei Rechtsextremismus oder auch Gewaltbereitschaft finden sich hier jedoch in nennenswertem Umfang nicht nur Entwicklungsverlaufsmuster mit abnehmender Ausländerfeindlichkeit, sondern auch solche mit zunehmender Ausländerfeindlichkeit. Fast 15 Prozent der 1999 hochausländerfeindlich eingestellten Jugendlichen halten über zwei Jahre hinweg an ihren Vorbehalten gegenüber Ausländern fest oder intensivieren entsprechende Positionen sogar noch. In der Gruppe der 1999 nicht ausländerfeindlich eingestellten Jugendlichen finden sich 2001 immerhin über 18 Prozent, die sich ausländerfeindliche Positionen angeeignet haben. Anders als bei den Themen Rechtsextremismus oder Gewalt zeigen Mädchen hier stärkere Tendenzen in Richtung einer sich intensivierenden Fremdenfeindlichkeit als Jungen. Am instabilsten zeigen sich die Einstellungen gegenüber Ausländern unter der Schülerschaft von Gesamtschulen. Ausgehend von einer vergleichsweise weiten Verbreitung von Ausländerfeindlichkeit finden sich hier sowohl Entwicklungsverläufe hin zu einer völligen Ablehnung wie auch zu einer radikalen Zustimmung zu ausländerfeindlichen Positionen in beachtlichen Größenordnungen.

V. Rechtsextremismus und Persönlichkeitsmerkmale

Wer verbirgt sich hinter der Gruppe Jugendlicher, die rassistische Aussagen wie "Die Deutschen sind anderen Völkern grundsätzlich überlegen" bejahen? Zeichnen sich Rechtsextreme durch besondere Lebensbedingungen aus? Kann man Rechtsextremismus aus anderen Einstellungen oder Merkmalen erklären? Die Beantwortung dieser Fragen erscheint nützlich für die Optimierung von Präventionsstrategien. Um Antworten zu finden, verändern wir die oben vorgestellte Gruppenbildung hinsichtlich des Merkmals "Rechtsextremismus" und der landesrepräsentativen Stichprobe von 1999 (Schüler und Auszubildende) wie in der folgenden Tabelle 5 ausgewiesen und erhalten nun zwei Extremgruppen, von denen die eine Rechtsextremismus völlig ablehnt und die andere hoch rechtsextrem eingestellt ist. Aus dem Vergleich dieser Extremgruppen erwarten wir weitere Aufschlüsse im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen.

Tabelle 5: Antwortverteilungen zu rechtsextremen Aussagen - 1999

1. Extremgruppe "Nichtrechtsextreme"Mittelgruppe2. Extremgruppe "Hochrechtsextreme"6 bis 10 Punkte 41,5 % der Stichprobe 11 bis 20 Punkte 55,3 % der Stichprobe 21 bis 24 Punkte 3,2 % der Stichprobe Völlig abgelehntTendenziell abgelehntTeilweise zugestimmtVöllig zugestimmtn= 1185 n= 1088 n= 493 n= 90Quelle:#Eigene Erhebungen.

Zunächst haben wir die Extremgruppen hinsichtlich sozio-demographischer Merkmale wie Geschlecht, Altersstufe oder Schultyp analysiert. Dabei zeigte sich deutlich, dass sich rechtsextreme Einstellungen eher unter männlichen Jugendlichen als unter weiblichen finden. Sie werden auch von jüngeren Befragten (bis 14 Jahren) eher vertreten als von älteren Jugendlichen. Schließlich ist Rechtsextremismus unter der Schülerschaft von Gesamtschulen und Oberstufenzentren deutlich weiter verbreitet als unter der Schülerschaft von Gymnasien; dennoch stimmen auch unter der Schülerschaft von Gymnasien beispielsweise 2001 noch rund drei Prozent der Jugendlichen rechtsextremen Aussagen teilweise oder völlig zu.

Vergleicht man hochrechtsextreme Jugendliche mit solchen, die rechtsextreme Positionen ablehnen, nähren unsere Befunde die Vermutung, Rechtsextremismus gehe mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften und individuellen Werthaltungen einher. Um dies zu prüfen, haben wir Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen "Erregbarkeit", "Selbstvertrauen", "Berufsbezogener Zukunftsoptimismus", "Allgemeine Gewaltbereitschaft", "Externale Kontrollüberzeugung", "Machtstreben" und "Quietismus" einerseits sowie "Rechtsextremismus" andererseits geprüft. Mittelwertvergleiche der beiden Extremgruppen zeigen in den Persönlichkeits- und Wertevariablen durchweg hochsignifikante und deutliche Unterschiede (vgl. Tabelle 6). In der Befragung von 1999 bestätigen sich damit weitgehend die bereits 1996 berichteten Unterschiede.

Tabelle 6: Mittelwertvergleiche der Extremgruppen bezüglich des Rechtsextremismus (Mittelwerte)   SkalenNichtrechtsextremeHochrechtsextreme"Allgemeine Gewaltbereitschaft" 1,2 2,9 "Erregbarkeit" 2,1 2,8 "Externale Kontrollüberzeugung" 1,8 2,5 "Selbstvertrauen" 3,5 3,8 "Machtstreben" 2,2 2,8 "Quietismus" 2,5 2,8Quelle:#Eigene Erhebungen.

Hochrechtsextreme weisen eine wesentlich höhere Erregbarkeit und allgemeine Gewaltbereitschaft auf als nichtrechtsextreme Jugendliche. Ebenso beachtlich ist ihr stärker ausgeprägtes Gefühl, auf wichtige Bereiche ihres Lebens keinen entscheidenden Einfluss auszuüben, also nicht "des eigenen Glückes Schmied" zu sein ("Externale Kontrollüberzeugung"). Sie verfügen dennoch über ein stärkeres Selbstvertrauen, was angesichts der zuvor erwähnten Befunde eher als Selbstüberschätzung oder als Kompensationsversuch gedeutet werden könnte: Jemand, der glaubt, dass äußere Mächte im Wesentlichen sein Schicksal bestimmen, lässt ja gerade das vermissen, was man landläufig unter Selbstvertrauen versteht! Auf die Berechtigung dieser Interpretation weisen auch die hohen Werte auf der Skala "Machtstreben" hin: Hoch-Rechtsextreme streben danach, andere zu dominieren oder zumindest auf der Seite des Stärkeren zu stehen. Sehr markant sind auch ihre Leistungsfeindlichkeit und ihre starke Neigung zu einem "ruhigen" und risikoarmen Leben, in dem sich möglichst wenig Neues ereignet; diese Lebenseinstellung zeigt sich im "Quietismus-Syndrom" genauso wie in der geringen Schulmotivation und Schulleistung. Angesichts der Schulprobleme der meisten Jugendlichen dieser Gruppe erscheint ihr hoher berufsbezogener Zukunftsoptimismus wenig verständlich, der zudem von hohen materiellen Lebensansprüchen bzw. Werten wie "Das Leben genießen" und "Viel Geld verdienen" begleitet wird.

Wertorientierungen sind in ihrer spezifischen Kombination Ausdruck für bestimmte Grundhaltungen der Persönlichkeit. Wir wollen nun diejenigen Jugendlichen betrachten, für die Lebensgenuss und Geldverdienen besonders wichtig sind und die zugleich ein Leben ohne Anstrengungen führen möchten, und ihre Neigung zum Rechtsextremismus analysieren. Dazu aggregieren wir die Rohwerte der drei entsprechenden Wertorientierungen; die Rohwertsummen wollen wir als "Hedonismus-Leistungsfeindlichkeits-Index" (kurz: HL-Index) bezeichnen. Anhand der Rohwertsummen bzw. dieses Index' bilden wir dann drei gleich große Gruppen. Das erste Drittel weist den niedrigsten HL-Index auf; diese Jugendlichen sind folglich am geringsten hedonistisch bzw. am wenigsten leistungsfeindlich eingestellt. Entsprechend äußerten sich die Jugendlichen des dritten Drittels am stärksten hedonistisch bzw. leistungsfeindlich. Bei einem Vergleich der Jugendlichen dieser drei Gruppen in Hinblick auf den Anteil von Jugendlichen mit einer teilweisen oder radikalen Befürwortung rechtsextremer Positionen finden sich auffällige Gruppenunterschiede.

Nur 13 Prozent der Jugendlichen mit einem niedrigen HL-Index vertreten rechtsextreme Einstellungen; in der Gruppe mit hohem HL-Index sind es hingegen mit 31 Prozent mehr als doppelt so viele. Weiterhin sind in dieser Gruppe 17 Prozent der Befragten gewaltbereit und 42 Prozent antisemitisch eingestellt. Rechtsextreme Jugendliche lassen sich demnach auch als Menschen kennzeichnen, für die Lebensgenuss und Geldverdienen zwar einen hohen Stellenwert einnehmen, die dabei offenbar aber wenig motiviert sind, für dieses Ziel entsprechende Leistungen zu erbringen.

VI. Rechtsextremismus und Gewalt

Die hohen Werte der Rechtsextremen auf den Skalen "Erregbarkeit" und "Allgemeine Gewaltbereitschaft" geben zu der Vermutung Anlass, dass bei ihnen auch eine überdurchschnittliche Neigung zu Aktionen des "Zivilen Ungehorsams" (beispielsweise Verkehrsblockaden) und zu politisch motivierter Gewalt gegen Sachen oder Personen zu finden ist. Diese Vermutung wird durch die Ergebnisse, die in der Tabelle 7 dargestellt sind, bestätigt: Über 60 Prozent der Jugendlichen mit hochrechtsextremen Orientierungen gaben demnach 1999 an, in der Vergangenheit im Rahmen "politischer Aktionen" bereits Gewalt gegen Sachen oder/und Personen angewendet zu haben.

Die hohe Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Jugendlichen spiegelt sich darin wider, dass sie sich auf "Angriffe vorbereiten" und besonders häufig an Schlägereien im schulischen oder Freizeitbereich beteiligt sind. Von den Hochrechtsextremen sind 54 Prozent auf Angriffe "besonders vorbereitet", von den Nichtrechtsextremen dagegen nur 21 Prozent. 16 Prozent der Rechtsextremen schützen sich durch das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken, wobei hier die Abweichung von der Gesamtstichprobe (18 Prozent) nicht groß ist. Besorgniserregend ist jedoch die Tatsache, dass 38 Prozent der Hochrechtsextremen angeben, sich durch Waffen zu "schützen"; in der Gesamtheit aller Befragten sind dies nur 9 Prozent. 91 Prozent der hochrechtsextremen Jugendlichen beteiligen sich nach eigenen Angaben mehr oder weniger oft an Schlägereien; in der Gruppe der nichtrechtsextremen Jugendlichen sind dies nur 24 Prozent.

Unterschiede zwischen beiden Gruppen finden sich auch bezüglich der Opfer, gegen die sich Gewalttaten richten. Während beide Extremgruppen in Hinblick auf die Opfergruppen "Klassenkameraden" und "Schüler aus der eigenen Schule" in den Häufigkeiten in etwa übereinstimmen (jeweils rund 40 %), richtet sich die Gewalt hoch-rechtsextremer Gewalttäter vorwiegend gegen "Asoziale und Obdachlose" (59 % vs. 10 % bei Nichtrechtsextremen), gegen "Schwule" (73 % vs. 6 %) und "Politische Gegner" (74 % vs. 29 %). Die bei weitem wichtigste Opfergruppe rechtsextremer Gewalt findet sich jedoch erwartungsgemäß unter "Ausländern" (90 % vs. 17 %). Die Eltern hochrechtsextremer Jugendlicher reagieren - laut Auskunft der befragten Jugendlichen - weitaus öfter als Eltern der Vergleichsgruppe auf die Gewalttätigkeiten ihrer Kinder mit "Desinteresse" (25 % vs. 12 %).

Was lässt sich nun zusammenfassend zum Thema "Rechtsextreme Gewalt" sagen? Hochrechtsextreme Jugendliche sind insgesamt viel eher zu Gewaltaktionen bereit als Jugendliche, die rechtsextreme Positionen nicht oder mit mittlerer Ausprägung befürworten. Die verhältnismäßig starke Überzeugung der Rechtsextremen, von nicht kontrollierbaren Mächten beeinflusst zu werden, sowie ihre höhere individuelle Erregbarkeit mögen, neben einer gewissen Gleichgültigkeit der Eltern, dazu die Voraussetzung bieten. Zusätzlich muss man feststellen, dass es offenbar Unterschiede zwischen der Suche nach "normalen Schlägereien" und dem Ausüben politisch deklarierter Gewalt gibt; Unterschiede, die über ein bloßes "Mehr" an Gewalt hinausgehen und darauf hindeuten, dass hier auch explizit politische Vorstellungen eine Rolle spielen. Es ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Hochrechtsextreme sich für ihre aggressiven Ausbrüche bestimmte Vertreter von Minderheiten suchen, wobei eine - wenn auch eher dumpfe und vermutlich wenig reflektierte - "politische" Ideologie unterstellt werden kann. Dies soll im folgenden Abschnitt weiter verdeutlicht werden.

VII. Rechtsextremismus und politische Orientierungen

Ist die oben festgestellte generell höhere Bereitschaft hochrechtsextremer Jugendlicher zu politisch motivierter Gewalt und zivilem Ungehorsam ein Ausdruck politischer Ambitionen, oder versteckt sich dahinter nur die allgemeine Lust auf "Action", die sich auf entsprechende Nachfrage ein politisches Mäntelchen umhängt? Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass hier deutliche Unterschiede zwischen den beiden Befragungen von 1996 und 1999 erkennbar sind. Während in der 1996er Befragung hochrechtsextreme Jugendliche erheblich weniger Bereitschaft zu legalem politischen Engagement zeigten als Nichtrechtsextreme, ist dieser Unterschied 1999 nicht mehr nachweisbar.

Ähnlich verhält es sich mit den beiden Variablen "Politische Kompetenz" und "Politisches Interesse". 1996 hatten Hoch- wie Nichtrechtsextreme in diesen beiden Variablen geringfügig abweichende Werte, während 1999 Hochrechtsextreme deutlich mehr politisches Interesse angeben und sich mehr politische Kompetenz zuschreiben (vgl. Tabelle 8).

Auch wenn man die hohe Kompetenzzuschreibung der Rechtsextremen, ähnlich wie ihr relativ hohes Selbstvertrauen, als kompensatorisch klassifizieren möchte, kommt man um die Erkenntnis nicht herum, dass auffallend viele von ihnen beim Thema "Politik" keine Berührungsängste mehr haben und sich ihm, im Vergleich zu den vergangenen Jahren und vor allem zu anderen Jugendlichen, wesentlich stärker zuwenden. Man sollte diese Tendenz ernst nehmen und nicht vorschnell als bloßen Kampf gegen die Langeweile abtun. In jedem Fall sollte diese Gruppe weiterhin genau beobachtet werden: Wenn sich der Trend einer zunehmenden Politisierung der jungen hochrechtsextremen Jugendlichen stabilisiert oder gar verstärkt, könnte dies mittel- und langfristig ein politisches Erstarken von neonationalistischen und rechtsgerichteten Parteien nach sich ziehen.

VIII. Rechtsextremismus im lebensweltlichen Kontext

Hochrechtsextreme besitzen einerseits signifikant mehr berufsbezogenen Zukunftsoptimismus, aber andererseits in der Schule gleichzeitig eine wesentlich geringere Schulmotivation als die Vergleichsgruppe. Dieser Befund spiegelt sich auch in ihren Schulnoten und ihrer Zufriedenheit mit diesen wider. Mit anderen Worten: Rechtsextreme Jugendliche sind häufig schwache Schüler, und ihre dünner gesäten Erfolgserlebnisse in der Schule dürften die Grundlage ihrer verhältnismäßig starken Schulunlust bilden. Entsprechend sind sowohl die rechtsextremen Jugendlichen als auch - besonders deutlich - deren Eltern eher unzufrieden mit den schulischen Leistungen, während die Eltern der Nichtrechtsextremen häufiger zufrieden sind.

Im Mittel empfanden sich 1996 hochrechtsextreme Jugendliche in der Familie stärkeren Restriktionen oder Kontrollen seitens ihrer Eltern ausgesetzt als die Vergleichsgruppe, und sie fühlten sich zusätzlich auch häufiger vernachlässigt, während sich die beiden Extremgruppen hinsichtlich des Familienzusammenhalts 1996 nicht unterschieden. Für 1999 sind jedoch hinsichtlich des Familienklimas im Allgemeinen und speziell auch im Zusammenhang mit Restriktionen und Vernachlässigung zwischen den Extremgruppen keine nennenswerten Unterschiede mehr feststellbar. Im Rahmen einer komplexeren Zusammenhangsanalyse lässt sich allerdings 1999 ein familialer Risikofaktor identifizieren, der die Entstehung von Rechtsextremismus begünstigt: Rechtsextreme Jugendliche kommen eher aus Familien, in denen die Familienangehörigen stark zusammenhalten, jedoch die Eltern zu strenger Kontrolle und physischen Strafen neigen. Die Struktur und die ökonomische Situation der Familie spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Wer nach dem bisher Gesagten meint, Hoch-rechtsextreme würden sich generell durch geringe Lebenszufriedenheit auszeichnen, täuscht sich: Hinsichtlich der Zufriedenheit mit individuellen Lebensbedingungen und sozialen Beziehungen gibt es kaum Unterschiede zwischen den Extremgruppen und auch nicht zum Mittel der Gesamtstichprobe. Im Bereich "Zufriedenheit mit Umgebungsbedingungen" (Finanzen, Freizeitmöglichkeiten, Wohnort) sind die Hochrechtsextremen sogar signifikant zufriedener als die Nichtrechtsextremen. Teilt man die Stichprobe beispielsweise nach der Höhe des monatlich verfügbaren Taschengeldbudgets in fünf gleich große Einkommensklassen, verteilen sich die beiden Extremgruppen in etwa gleicher Weise auf diese fünf Teilkategorien. Fragt man nach der Zufriedenheit mit der eigenen finanziellen Lage, so sind rechtsextreme Jugendliche zufriedener als Nichtrechtsextreme. Anhand unserer Daten lässt sich ein einfacher Bezug zwischen "Frust und Unzufriedenheit" einerseits und rechtsextremen, gewaltbejahenden Einstellungen andererseits nicht aufzeigen.

Während insgesamt ca. 70 Prozent aller befragten Jugendlichen zu einer Clique gehören, liegt der Anteil bei den Hochrechtsextremen bei rund 82 Prozent. Es verwundert kaum, dass die überwiegende Mehrheit (86 Prozent) hochrechtsextremer Jugendlicher auch zu "rechten" Cliquen gehört, während dies bei Nichtrechtsextremen eher selten vorkommt (8 Prozent). Immerhin sind jedoch in jeder fünften "rechten" Clique auch politisch "links" Orientierte zu finden, und umgekehrt geben ca. 30 Prozent der Nichtrechtsextremen an, dass sie "Rechte" in ihren Reihen haben. Es kann kaum überraschen, dass in rechtsgerichteten Cliquen die Gewaltbereitschaft sehr hoch ist. So äußern rund drei Viertel der hochrechtsextremen Cliquenmitglieder, dass die Mehrheit ihrer Gruppe "Gewalt nicht so schlimm findet"; umgekehrt sieht ein vergleichbarer Anteil nichtrechtsextremer Cliquenmitglieder in ihrer Gruppe kein Gewaltpotenzial. Interessant ist hingegen, dass von den Hochrechtsextremen 55 Prozent auf die Frage, ob die politische Einstellung in ihrer Clique für wichtig erachtet wird, mit "Stimmt völlig" antworten, während in der Gesamtstichprobe nur rund 16 Prozent diese Antwort geben: "Politisch zu sein" scheint unter rechten Jugendlichen an Bedeutung zu gewinnen.

IX. Zur Attraktivität rechtsextremer Ideologien

Eine Kurzbeschreibung rechtsextremer Jugendlicher könnte folgendermaßen aussehen: Rechtsextreme - meist sind es männliche - Jugendliche zeichnen sich durch eine erhöhte Gewaltbereitschaft aus; sie zeigen ein hohes Machtstreben, und ihr Handeln wird von einem Syndrom aus Selbstüberschätzung und dem Gefühl der Fremdbestimmtheit geleitet. Zugleich wünschen sie sich ein ruhiges Leben, in dem sich wenig Neues ereignet und sie sich möglichst wenig anstrengen müssen. Sie besitzen eine hohe Lebenszufriedenheit und einen hohen berufsbezogenen Zukunftsoptimismus, was angesichts der ausgeprägten Schulprobleme dieser Gruppe wenig verständlich erscheint.

Diese Merkmalskombinationen gestatten aus unserer Sicht durchaus Rückschlüsse, warum gerade rechtsextremes Gedankengut auf (bestimmte) Jugendliche heute eine relativ starke Anziehungskraft ausübt. Der Wunsch dieser Jugendlichen nach Macht und einem ruhigen, materiell abgesicherten Leben paart sich mit einer niedrigen Leistungsbereitschaft und Selbstüberschätzung. Dies muss angesichts der steigenden Anforderungen, die die anhaltenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen an den Einzelnen stellen, zu Problemen und Enttäuschung führen. Rechtsgerichtete Phrasen liefern mit ihren einfachen Antworten Orientierung und "Sündenböcke" gerade für Bevölkerungsgruppen, die im Rahmen dieser Prozesse faktisch oder gefühlsmäßig auf der "Verliererseite" stehen - auch wenn sie selbst dies oft nicht wahrhaben wollen oder keine absoluten Einbußen an materiellen Ressourcen feststellbar sind. Dies wird durch die besondere Situation in den neuen Bundesländern mit wachsenden Lebensansprüchen der Bevölkerung einerseits und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen sowie der Verödung ganzer Regionen gerade in ländlichen Gebieten andererseits verstärkt.

Allerdings können diese Bedingungen nicht allein erklären, warum wir 1999 gerade in der Gruppe der 12- bis 14-Jährigen, entgegen den Trends in anderen Altersgruppen der "Landesjugend", eine zunehmende Gewaltbereitschaft und starke Tendenzen zum Rechtsextremismus finden: Gerade unter jüngeren Altersgruppen ist es nach wie vor "in", rechts zu sein. Das hat mehrere Gründe:

- Durch die Liberalisierung unserer Gesellschaft und fehlende Grenzziehungen gibt es immer weniger Möglichkeiten für Jugendliche, durch Provokationen Aufmerksamkeit zu erringen und dadurch ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und des sozialen Erfolgs zu erleben. Zu den wenigen Tabus, deren Verletzung hohe Beachtung erfährt, zählen vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte rechtsextreme und antisemitische Verhaltensmuster. Anfällig für derart nonkonformistisches Verhalten sind gerade die Jugendlichen, die in anderen Lebensbereichen Erfolg, soziale Anerkennung und Selbstwirksamkeit nicht erfahren.

- Speziell für die neuen Bundesländer muss weiterhin in Betracht gezogen werden, dass einerseits für viele Menschen "linke" Ideologien mit der DDR gescheitert sind und andererseits noch verhältnismäßig viele in der Elterngeneration linke Grundüberzeugungen pflegen, wie die hohe Akzeptanz gegenüber der PDS zeigt. Linke Ideologie ist also in den Augen vieler pubertierender Jugendlicher erstens die Ideologie der Verlierer und zweitens die Ideologie der Eltern - beides erhöht kaum die Attraktivität dieser politischen Option. Insofern sind der in Ostdeutschland stärker verbreitete Rechtsextremismus und Antisemitismus auch Folge einer undifferenzierten Aufarbeitung der DDR-Geschichte und einer pauschalen DDR-Kritik. Diese Interpretation wird beispielsweise dadurch bestätigt, dass antisemitische Jugendliche in Brandenburg im Gegensatz zu antisemitischen Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen häufig aus "linken", nicht judenfeindlichen Elternhäusern kommen.

- Weiterhin ist zu beachten, dass sich in der DDR wertkonservative Milieus kaum herausbilden konnten und es deshalb vielen Eltern und Lehrern in den neuen Bundesländern bis heute schwer fällt, eine Abgrenzung rechter, wertkonservativer Haltungen von rechtsextremen Positionen vorzunehmen. Die zuweilen fehlende Diskussionsbereitschaft und -erfahrung der "Autoritäten" zu Hause und in der Schule spüren auch die Jugendlichen. Beispielsweise sprechen brandenburgische Jugendliche mit ihren Eltern kaum über jüdische Kultur und Geschichte, im Gegensatz etwa zu nordrhein-westfälischen Jugendlichen. Und so werden Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Brandenburg teilweise auch von der Sprachlosigkeit vieler Eltern und mancher Lehrer mitverursacht.

- In Brandenburg meinen deutlich mehr Jugendliche als in Nordrhein-Westfalen: "Unsere Eltern sind nicht da, wenn man sie braucht; wir müssen mit unseren Problemen selbst klarkommen!" Die Verfügbarkeit der Eltern hat 1993 in Brandenburg mit der Zunahme wirtschaftlicher und beruflicher Belastungen deutlich abgenommen und ist seitdem trotz der wirtschaftlichen Stabilisierung der meisten Familien nicht wieder gewachsen. Aus der Familien- und Jugendpsychologie ist bekannt, dass durch berufliche Unsicherheit oder andere Stressoren (z. B. Scheidung) belastete Eltern dazu neigen, gerade jüngere Jugendliche zu überfordern oder zu vernachlässigen, fehlende Kontrolle eingeschlossen. Die betroffenen Jugendlichen müssen "etwas schneller erwachsen werden" und ihre Probleme selbst bewältigen, was ihre Anfälligkeit für Ab- und Umwege in der Persönlichkeitsentwicklung erhöht.

- Es gibt in Ostdeutschland, vielleicht anders als in der "alten" Bundesrepublik, ein verbreitetes Nationalbewusstsein, dass in der DDR unterdrückt wurde und im Sinne eines Reaktanzphänomens vermutlich gerade deshalb virulent geblieben ist. Als "Hüter" und Förderer dieses Nationalbewusstseins können sich nach der "Wende" in Ostdeutschland gefahrlos und erfolgreich die Rechtsextremen aufspielen; eine Art "UCK-Syndrom".

Fassen wir zusammen: Einerseits wird das Bild über "die Jugend" durch die Medienberichterstattung über eine Minderheit von negativ auffälligen Jugendlichen geprägt. Andererseits gibt es tatsächlich Anlass zur Besorgnis. Während in Brandenburg insgesamt die Eindämmung von Jugendgewalt anscheinend gelungen ist, stellen sich Erfolge im Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und politischen Extremismus nur langsam ein. Und so beunruhigt uns erstens eine Gruppe von "Polit-Hooligans", die hoch gewalttätig sowie in der Regel bewaffnet und männlich sind. Sie vertreten meist rechtsextreme Ansichten und drangsalieren in Cliquen mit viel Spaß, aber ohne Angst, Mitgefühl und Nachdenken über mögliche Folgen ihre Opfer. Die Opfer sind meist "Ausländer", obwohl diese Polit-Hooligans bei der Auswahl ihrer Opfergruppen nicht wählerisch sind. Gegen diese Täter kann nur erfolgreich eingeschritten werden, wenn man mit polizeilicher Repression und Strafe Entwicklungsförderung verbindet. Zweitens sind rechtsextreme Jugendliche neuerdings stärker bereit, sich in rechtsextremen politischen Organisationen legal zu engagieren - eine Gefahr für die Demokratie. Und schließlich ist drittens der Zukunftsoptimismus der brandenburgischen Landesjugend in den letzten drei Jahren deutlich zurückgegangen. Nun mangelt es Rechtsextremen in der Regel nicht an Optimismus; trotzdem bilden leistungsgebundener Optimismus und soziale Partizipation, also das Gefühl, durch Anstrengung etwas in der Gemeinschaft erreichen zu können und des eigenen Glückes Schmied zu sein, unverzichtbare Voraussetzungen für den Lebenserfolg, für die soziale Integration und letztlich auch für effiziente Maßnahmen gegen den politischen Extremismus.

Um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen: Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben auch in Ostdeutschland nicht stetig zugenommen. Die stärkere Beachtung dieser Phänomene hat etwas mit einem veränderten politischen Klima und gewachsener Sensibilität in der Öffentlichkeit zu tun. Weitere Panikmache ist nur kontraproduktiv auf dem Weg zu effizienten Präventionsstrategien. Die sensations- und betroffenheitszentrierte Medienberichterstattung und öffentliche Wahrnehmung verdecken nämlich die vielen und, wie wir gezeigt haben, zunehmend erfolgreichen Initiativen auch und gerade von Jugendlichen und Lehrern gegen Gewalt und Extremismus. Von denen gäbe es auch genug zu berichten; und wäre dies als Anreiz und Beispiel nicht vielleicht auch pädagogisch klüger?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Detlef Landua, Ausländerfeindlichkeit unter ostdeutschen Jugendlichen, in: Dietmar Sturzbecher (Hrsg.), Jugend in Ostdeutschland: Lebenssituationen und Delinquenz, Opladen 2001, S. 151-185.

  2. Vgl. Dietmar Sturzbecher/Ronald Freytag (Hrsg.), Antisemitismus unter Jugendlichen. Fakten, Erklärungen, Unterrichtsbausteine, Göttingen u. a. 2000.

  3. Eine Beschreibung der Zusammensetzung dieser Skalen muss hier aus Platzgründen unterbleiben. Der interessierte Leser findet jedoch eine detaillierte Dokumentation in: D. Sturzbecher (Anm. 1).

  4. Siehe hierzu ausführlich: Dietmar Sturzbecher (Hrsg.), Jugend und Gewalt in Ostdeutschland - Lebenserfahrungen in Schule, Freizeit und Familie, Göttingen 1997.

Dr. phil. habil., geb.1953; mehrjährige Tätigkeit als Mathematiklehrer und Dozent in der pädagogisch-psychologischen Lehrerweiterbildung; seit 1993 Leitung des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam (IFK) in Vehlefanz.

Anschrift: IFK an der Universität Potsdam, Burgwall 15, 16727 Vehlefanz.
E-Mail: ifk@rz.uni-potsdam.de

Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Jugend in Ostdeutschland - Lebenssituationen und Delinquenz, Opladen 2001; (zus. mit R. Freytag) Antisemitismus unter Jugendlichen; Göttingen u. a. 2000.

geb. 1959; 1982 - 1987 Studium der Soziologie, Politischen Wissenschaften und Sozialpsychologie an der Universität Mannheim; seit Mitte 2000 am Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam tätig.

Anschrift: IFK an der Universität Potsdam, Burgwall 15, 16727 Vehlefanz.
E-Mail: ifk@rz.uni-potsdam.de