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Phänomen Bitcoin Geld, Technologie und gesellschaftliches Ereignis

Friedemann Brenneis

/ 16 Minuten zu lesen

Vom verruchten Darknet-Geld zur gehypten Digitalwährung mit Milliardenwert: Der Bitcoin hat es innerhalb weniger Jahre weit gebracht. Doch liefert dieses mysteriöse Phänomen mehr Fragen als Antworten. Vor allem: Was ist das eigentlich – und warum ist es noch nicht gescheitert?

Am 3. Januar 2009 drückte Satoshi Nakamoto eine Taste und startete damit ein Projekt, das die Welt verändern sollte: Bitcoin, das erste rein digitale Geld, das nicht durch Staaten und Banken verwaltet und organisiert wird, sondern durch Mathematik, Kryptografie und Algorithmen. Ziel des Projekts war ein freies, offenes und dezentrales Geldsystem als Alternative zu einem zentralisierten, undurchsichtigen und krisenanfälligen Finanzsystem, das sich zu diesem Zeitpunkt von seiner hässlichsten Seite zeigte und die Regierungen der Welt zwang, Banken mit dem Geld der Steuerzahler zu retten. Mitten in der Krise begann also ein einzelner Computer zu arbeiten – öffentlich, aber von der Öffentlichkeit unbeachtet. Kurze Zeit später gab es das erste Ergebnis: Als Gegenleistung für das Lösen einer komplexen Rechenaufgabe hatte das Programm seinem Schöpfer 50 Bitcoins gutgeschrieben und dieses Guthaben in einer eigens dafür geschaffenen Datenbank vermerkt: der Blockchain. Einige Zeit später folgte der nächste Eintrag, dann der dritte und immer so weiter.

Alle zehn Minuten wird ein neuer Datenblock erstellt und mit ihm neue Bitcoins erzeugt. So läuft es seit nunmehr bald neun Jahren ununterbrochen. Datenblock für Datenblock wächst die Blockchain und mit ihr die Anzahl verfügbarer Bitcoins. Mehr als 16 Millionen von ihnen kursieren bereits im Netz. Und sie sind längst nicht mehr nur irgendwelche Daten, sondern wertvolle Daten. Mittlerweile wird jeder einzelne Bitcoin für einen Preis von 6000 Euro und mehr gehandelt. Längst schon läuft die Bitcoin-Software nicht mehr nur auf einem einzigen Computer, sondern auf Tausenden, global verteilten und über das Internet miteinander verbundenen Rechnern. Millionen Menschen besitzen mittlerweile Bitcoins (oder zumindest Bruchteile davon) und nutzen diese, um physische Waren, Dienstleistungen und digitale Güter zu kaufen. Oder sie spekulieren mit ihnen auf weiter steigende Kurse als moderne Form der Geldanlage.

Bitcoin hat sich binnen weniger Jahre von einem Nischenprojekt zu einem bemerkenswerten Phänomen entwickelt. Das Phänomen spielt längst nicht mehr nur in Nerd-, Hacker- und Darknetkreisen eine Rolle, sondern gewinnt zunehmend gesamtgesellschaftliche Relevanz, und es wirft viele Fragen auf. Denn eigentlich dürfte es Bitcoin nicht geben – zumindest nicht, wenn man auf die Expertise von erfahrenen Ökonomen, Bankenvertretern und der Medienöffentlichkeit vertraut. Diese haben das digitale Geld in den vergangenen Jahren immer wieder für gescheitert erklärt und erläutert, warum ein Zahlungsmittel, das nicht durch den Staat und Banken abgesichert wird, eigentlich nicht funktionieren kann. Eigentlich, denn die Realität zeigt: Bitcoin ist nicht nur immer noch da, sondern wächst und entwickelt sich weiter. Mit einer Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden US-Dollar ist das Open-Source-Projekt längst mehr als doppelt so viel wert wie das größte deutsche Geldinstitut, die Deutsche Bank. Scheitern, so sollte man meinen, sieht eigentlich anders aus.

Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Auf der einen Seite die mitunter gut begründete Expertise, die argumentiert, dass eine staaten- und bankenlose Kryptowährung wie Bitcoin nicht funktionieren kann. Auf der anderen Seite die Realität, die zeigt, dass Bitcoin offensichtlich doch funktioniert. Um diese Diskrepanz aufzulösen, muss man sich den Fragen stellen, die das Projekt aufwirft. Allen voran der Frage: Was ist Bitcoin?

Bitcoin-Grundlagen

Schon auf die naheliegendste Frage eine befriedigende Antwort zu finden, ist überraschenderweise schwierig. Denn Bitcoin ist ein vielschichtiges und facettenreiches Phänomen, und die Antwort auf die Frage "Was ist Bitcoin?" variiert je nach Standpunkt und Perspektive des Fragenden: Für die einen ist Bitcoin eine zeitgemäße Form des Bezahlens. Ein rein digitales Geldmedium, das die monetären Bedürfnisse der Bürger in einer hochgradig vernetzten Gesellschaft besser erfüllt als alle bisherigen Optionen. Andere sehen in der Technologie hinter Bitcoin, der Blockchain, die nächste große technische Evolutionsstufe des Internets und aus ihr resultierend eine Vielzahl wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Chancen. Wieder andere erhoffen sich mit Bitcoin einen Beitrag zur Demokratisierung und sehen ihn als Werkzeug, um den modernen Menschen aus der Abhängigkeit von Staaten, Banken und Konzernen zu führen und ihm mehr Freiheit, Autonomie und Hoheit über sein eigenes Leben zu ermöglichen. Es ist diese Vermengung von gesellschaftspolitischen Idealen, neuer Technologie und dem Machtkatalysator Geld, die das Phänomen Bitcoin vorantreibt, und wer es verstehen will, muss sich mit diesen drei Dimensionen beschäftigen: Bitcoin dem Geld, Bitcoin der Technologie und Bitcoin dem gesellschaftlichen Ereignis. Und man muss sich fragen, wo es eigentlich herkommt.

Die Idee eines digitalen Internetgeldes ist keineswegs neu, sondern so alt wie das Internet selbst. Immer wieder haben in den vergangenen Jahrzehnten Wissenschaftler, Internetpioniere und Idealisten versucht, eine nutzbare Form von E-Cash zu entwickeln. Verschiedene Verfahren sind dabei erprobt worden, die jedoch aus unterschiedlichen Gründen alle scheiterten: mangelnde Akzeptanz, Probleme mit der Software, fehlende technische Infrastruktur oder juristischer Druck durch politische Interessen- und Lobbygruppen, die eine privat initiierte Geld-Alternative gar nicht erst aufkommen lassen wollten. Die lange Geschichte des E-Cash zeigt damit vor allem eines: Es ist alles andere als einfach, mal eben alternatives Geld zu erfinden, das auch tatsächlich als solches genutzt wird.

Allein die dauerhafte Existenz von Bitcoin macht das Phänomen zu etwas Bemerkenswertem. Denn je größer und prominenter solch ein Projekt wird, desto stärker wird auch der Gegenwind – insbesondere wenn dieses den Machtanspruch von Regierungen und die ertragreichen Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft bedroht. Der Idee eines freien und unabhängigen Internetgeldes haben diese widrigen Umstände dennoch keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Sie wurde als logische und notwendige, wenngleich politisch noch nicht durchsetzbare Vision unbeirrt weiterverfolgt. In einem Interview erklärte beispielsweise der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman 1999 seine Vorstellung eines für ihn unausweichlich kommenden internetbasierten Bargeldes. Seine damalige Beschreibung trifft nahezu perfekt auf Bitcoin zu: ein elektronisches Geld, das so einfach und anonym wie Bargeld über das Netz ausgetauscht werden könne und das die Rolle des Staates reduzieren werde – mit all den sich daraus ergebenen positiven und negativen Konsequenzen. Friedman selbst hat die Umsetzung dessen nicht mehr erlebt. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis Satoshi Nakamoto Bitcoin präsentierte und schaffte, woran viele vor ihm geglaubt und gearbeitet hatten, in der Umsetzung aber letztlich alle gescheitert waren: das erste digitale, staaten- und bankenlose Geldsystem. Wie ist Satoshi Nakamoto gelungen, woran vor ihm alle scheiterten? Wie hat er es geschafft, dass Bitcoin überhaupt entstehen, wachsen und sich binnen acht Jahren als digitale Leitwährung mit Milliardenwert etablieren konnte?

Mysterium Satoshi Nakamoto

Satoshi Nakamoto ist zunächst nur ein Name und keine Person. Es handelt sich vielmehr um eine Persona, eine digitale Identität, von der bis heute nicht bekannt ist, wer und wie viele Menschen sich dahinter verbergen beziehungsweise verborgen haben. Zum ersten Mal in Erscheinung trat Satoshi Nakamoto im November 2008. Über eine Mailingliste, die sich auf die Diskussion von Verschlüsselung und deren politischen Implikationen spezialisierte, veröffentlichte er das Bitcoin-Whitepaper, in dem er sein Konzept eines "Peer-to-Peer Electronic Cash Systems" erstmals darstellte. Menschen, so seine Idee, sollten sich mit ihren Computern zu einem Netzwerk zusammenschließen und allein mithilfe dieses Netzwerks Geldwerte rein digital untereinander austauschen können. Kryptografie, Algorithmen und das Interesse aller Teilnehmer daran, dass das System stabil und verlässlich läuft, sorgen für die Sicherheit. Jeder, der wolle, solle Bitcoin nutzen, aber niemand das System nach seinen Interessen manipulieren oder zensieren können. Die im Code verankerte, unveränderliche Anzahl aller jemals verfügbaren Bitcoins würden sie zu einem knappen Gut machen. Mit beständig steigendem Interesse daran stiege auch die Nachfrage und damit der Wert. Langfristig entstünde so ein stabiles, sich selbst verwaltendes und erhaltendes System, von dem alle profitieren, die es nutzen.

Einige Zeit nach der Veröffentlichung des Whitepaper meldete sich Satoshi Nakamoto in einem Online-Forum an, um Mitstreiter für das Bitcoin-Projekt zu finden und das Potenzial des Konzepts zu diskutieren. Seine Hinterlassenschaft – E-Mails, das Whitepaper, Foreneinträge und der originale Quellcode der Bitcoin-Software – ist in ihrem Umfang überschaubar, ganz im Gegensatz zu seinem ideellen Vermächtnis, das sich beständig verbreitete. Denn spätestens mit dem Start der Blockchain am 3. Januar 2009 und dem daraus resultierenden Beweis, dass Bitcoin technisch funktionieren kann, wuchs auch das Interesse an Bitcoin und der Frage, ob dieses neue Medium tatsächlich auch als digitales Geld verwendet werden könne. Anhand dieser Frage bildete sich schon bald eine Community. Weitere Entwickler kamen hinzu und nach Tausenden rein virtuellen Transaktionen wurde schließlich im Mai 2010 zum ersten Mal reale Ware mit Bitcoins bezahlt: Zwei Pizzen wechselten für 10000 Bitcoins den Besitzer. Für das digitale Geld war dieser privat initiierte Handel ein Meilenstein. Denn zum ersten Mal konnte man Bitcoins einen tatsächlichen monetären Wert zuordnen. Die Pizzen hatten rund 20 US-Dollar gekostet. Ein einzelner Bitcoin hatte somit einen Wert von 0,2 Cent.

Da die Bitcoin-Idee inzwischen eine hinreichende Menge Anhänger überzeugt und ökonomisch Fuß gefasst hatte, begann Satoshi Nakamoto sich immer mehr zurückzunehmen. Als er sich im April 2011 endgültig aus der Öffentlichkeit zurückzog, wurde ein Bitcoin bereits für mehr als einen Dollar gehandelt. Über tausend Transaktionen wickelte das Bitcoin-Netzwerk täglich online ab, und kurze Zeit später sollte in Berlin mit einer Kneipe sogar das weltweit erste Ladengeschäft das neue digitale Geld als Bezahlung für Bier und Burger akzeptieren. Auch im Darknet erlebte Bitcoin damals einen Boom. Die Möglichkeit anonymer Transaktionen stieß insbesondere auf verborgenen Handelsplätzen wie "Silk Road" auf großes Interesse und sorgte für eine stetig wachsende Nachfrage. Satoshi Nakamoto war zu diesem Zeitpunkt bereits Millionär. Doch deutet nichts darauf hin, dass persönliche Bereicherung Teil seiner Motivation war, das digitale Geld überhaupt ins Leben zu rufen. Bis heute hat er nachweislich keinen einzigen der rund eine Million Bitcoins, die sich seinem Besitz zurechnen lassen, ausgegeben – obwohl sie mittlerweile einen Gesamtwert von über sechs Milliarden Euro haben. Für Satoshi Nakamoto scheint diese Summe keine Bedeutung zu haben. Doch wenn es nicht der Wunsch nach persönlichem Wohlstand und Reichtum war, was hat ihn dazu bewogen, Bitcoin zu erschaffen?

Mit letzter Gewissheit wird man es wohl nie erfahren. Denn trotz großer Anstrengungen ist es bisher weder gelungen, die wahre Identität von Satoshi Nakamoto aufzudecken, noch ist davon auszugehen, dass er sich selbst offenbaren wird. Zu gravierend wären die Folgen: Nicht ohne Grund wurde die digitale Wegwerf-Identität erschaffen und sämtliche Spuren zu realen Personen verschleiert. Diesen mühsam aufgebauten Schutz wieder aufzugeben, hätte für die Person(en) hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto unkalkulierbare und unumkehrbare Folgen. Denn dass der oder die Erfinder solch eines ökonomisch kontroversen und politisch brisanten Milliardenexperiments früher oder später zu Personen des öffentlichen Interesses werden und zunehmend in den Fokus von Regierungen, Unternehmen und anderen Interessenvertretern rücken, ist unausweichlich. Auch das haben gescheiterte Versuche der E-Cash-Historie gezeigt.

Mindestens ebenso wichtig ist: Die De-Anonymisierung von Satoshi Nakamoto würde das komplette Bitcoin-Projekt gefährden und dessen grundsätzliches Ideal verraten. Bitcoin wurde nämlich nicht nur als Geldsystem konzipiert, das ohne Staaten und Banken auskommt, sondern grundsätzlich ohne jegliche zentrale Institution, die es kontrollieren oder mit deren Hilfe sich das Projekt in irgendeiner Weise manipulieren ließe. Anstelle von Wenigen, die Macht über das System haben, verlagerte Satoshi Nakamoto die gesamte Entscheidungshoheit in ein computergestütztes Netzwerk und in die Hände einer weltweit operierenden Community, die dieses Netzwerk pflegt und nutzt. Doch lässt sich dieses Konzept der radikalen Enthierarchisierung nur konsequent umsetzen, wenn es gelingt, wirklich alle potenziellen Autoritäts- und Machtinstanzen zu eliminieren. Wenn Bitcoin Erfolg haben soll, darf es auch keine Person mit dem einflussreichen Status des Gründers geben, deren Meinung im Ernstfall ein höheres Gewicht hätte als die aller anderen Mitglieder der Community.

Die Persona Satoshi Nakamoto wieder verschwinden zu lassen, war deshalb unumgänglich. So notwendig dieser Schritt auf konzeptioneller Ebene ist, diesen letztendlich auch umzusetzen, ist außerordentlich. Immerhin verzichtete Satoshi Nakamoto im Gegenzug für die Wahrung seiner Anonymität und die Integrität des von ihm geschaffenen Bitcoin-Projekts auf Prominenz, Anerkennung für eine bemerkenswerte intellektuelle Leistung und die Würdigung für ein technisch brillantes Konzept, von dem bereits erwähnten Milliardenvermögen einmal ganz abgesehen.

Tatsächlich gibt es Hinweise auf eine politisch-altruistisch geprägte Motivation: Bitcoin als demokratische Alternative zu einem intransparenten und zu Reformen unfähigen Finanzsystem. Dieses politische Ziel lässt sich nicht nur am Konzept Bitcoin selbst ablesen, dessen Prinzip es ist, frei und offen für jeden zu sein, der es nutzen möchte. Es offenbart sich auch in den wenigen Spuren, die Satoshi Nakamoto bewusst im Netz hinterließ. So versteckte er beispielsweise im Code des allerersten Blocks der Blockchain, dem sogenannten Genesis Block, die Schlagzeile der Londoner Times vom 3. Januar 2009: "Schatzkanzler kurz vor zweitem Banken-Rettungspaket". Darüber hinaus wählte er als Geburtsdatum seines Profils im Online-Forum mit dem 5. April ein fiktives, aber geldpolitisch durchaus symbolträchtiges Datum: An diesem Tag im Jahr 1933 verbot der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Bürgern der USA den Besitz von Gold, konfiszierte dieses und zwang sie damit, den von der Notenbank ausgegebenen Dollar zu akzeptieren und damit das Währungssystem. Und zu diesem sollte Bitcoin ein alternatives System bieten: ein Geldsystem, in dem die Menschen unabhängig sind von interessengeleiteten geldpolitischen Entscheidungen Weniger und das nicht durch Staats- und Bankenkrisen erschüttert werden kann. Denn zu diesen kam und kommt es immer wieder: Allein zwischen 1970 und 2007 zählte der Internationale Währungsfonds 124 Bankenkrisen, 326 Währungskrisen und 64 Staatsverschuldungskrisen auf nationaler Ebene. Wer also argumentiert, dass ein staaten- und bankenloses Geld wie Bitcoin nicht funktionieren kann, muss auch anerkennen, dass Staaten und Banken nicht automatisch ein Garant für Stabilität sind.

Banken als notwendiges Übel

Doch der Wunsch nach Veränderung und das Ideal eines alternativen demokratischeren Geldsystems reichen nicht aus, um dieses auch zu erschaffen. Nicht ohne Grund sind Banken und andere Finanzdienstleister fundamentaler Bestandteil des bestehenden Finanzsystems. Sie erfüllen wichtige und notwendige Funktionen, indem sie als zentrale Institutionen mit besonderem Status etwa die Gültigkeit von Finanztransaktionen sicherstellen. Ohne Intermediäre wie sie, die überprüfen, ob Person A oder Unternehmen X tatsächlich über das entsprechende Guthaben verfügt, um Rechnungen bei Person B oder Unternehmen Y zu begleichen, und den Geldtransfer letztlich ordnungsgemäß abwickeln, würden unsere Ökonomien noch immer auf Tauschhandel basieren. Denn wenn es ums Geld geht, muss letztendlich immer eine Instanz beteiligt sein, der man vertrauen kann – eine Instanz, die bestätigt, dass das Geld, das man für Leistungen und Produkte erhält, auch als solches in Zukunft wieder für andere Leistungen und Produkte ausgegeben werden kann.

Auf den ersten Blick scheint die Behauptung also plausibel, ein Geldsystem könne ohne Banken nicht funktionieren. Doch dies ist eben nicht die ganze Wahrheit. Zwar braucht ein funktionierendes Geldsystem eine vertrauenswürdige Instanz, die die Validität der Geldeinheiten überprüft, ordnungsgemäße Transaktionen abwickelt und das Guthaben der Nutzer vor Manipulation schützt. Diese Instanz muss im Zeitalter des Internets und der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft aber nicht zwingend eine Bank sein, sondern könnte – und genau das zeigt Bitcoin – auch mithilfe eines dezentralen Netzwerks etabliert werden. Denn während das bestehende Finanzsystem das Internet nutzt, um über Zahlungen zu kommunizieren, die hinter verschlossenen Türen auf IT-Systemen aus dem vergangenen Jahrhundert verarbeitet werden, macht Bitcoin das Internet selbst zur universellen Finanzinfrastruktur. Zahlungen, Konten, Buchungen – das alles findet mithilfe des Bitcoin-Protokolls rund um die Uhr in Echtzeit im Netz statt, und bislang ist es offen, ausfall- und manipulationssicher sowie überall auf der Welt verfügbar.

Solch eine internetbasierte Finanzinfrastruktur technisch zu etablieren, ist alles andere als trivial, sondern vielmehr hochgradig experimentell. Man kann zwar nicht beweisen, dass Bitcoin funktioniert. Aber wir sehen, dass es bislang nicht gescheitert ist. Wie relevant das "bislang" ist, darüber wird gestritten. Fest steht jedoch: Je länger Bitcoin besteht und je stärker das Phänomen wächst, desto sicherer und vertrauenswürdiger wird es und desto mehr zeigt sich, dass Kryptowährungen und das ihnen zugrundeliegende Blockchain-Konzept die wachsenden Erwartungen erfüllen könnten, die derzeit an sie gestellt werden. Binnen 20 Jahren, so erklärte immerhin erst kürzlich die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, könnten Kryptowährungen nationale Währungen ablösen. Um zu verstehen, warum das Interesse an dem Phänomen Bitcoin mittlerweile selbst auf institutioneller Ebene wächst, muss man sich mit der Funktionsweise des Netzes beschäftigen, wie wir es bisher kennen und nutzen.

Funktionsweise der Blockchain

Die große Stärke des World Wide Web ist es, Daten und Informationen schnell, billig und beliebig oft zu vervielfältigen. E-Mails verschicken, Dokumente in der Cloud synchronisieren, bloggen, posten, tweeten, sharen, liken – das Internet ist eine riesige Kopiermaschine für Daten und Informationen jeglicher Art. Das ist praktisch, führt allerdings auch zu Problemen. Denn nicht alle Daten im Netz sollten beliebig kopierbar sein. Doch stellen wir Daten ins Netz, verlieren wir unweigerlich die Kontrolle über sie. In einem solchen Copy-and-Paste-Netz eine Geldinfrastruktur aufzubauen, ist eigentlich unmöglich. Wie sollte das Geld seinen Wert behalten, wenn es sich unkontrollierbar beliebig oft vervielfältigen lässt?

An dieser Stelle kommt die Blockchain ins Spiel, eine Datenbank, die es erstmals technisch ermöglicht, einmalige Daten im Internet zu erzeugen und sicher zu verwalten. Ihre Daten können nicht beliebig oft kopiert werden, sondern wechseln den Besitzer, wenn sie verschickt werden. Werden sie geteilt, vervielfältigen sie sich nicht, sondern werden aufgeteilt und verkleinert. Ihre Anzahl ist begrenzt, weshalb sie die Möglichkeit haben, wertvoll zu werden. Diese Daten sind die Bitcoins, und aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften lassen sie sich wie Geld verwenden: Sie sind einmalig, fälschungssicher und lassen sich schnell, einfach und kostengünstig im Netz verschicken. Bitcoin ist damit für Bargeld das, was die E-Mail für den Brief ist: ein digitales Pendant, das die Möglichkeiten des Internets nutzt, um die sich verändernden Bedürfnisse einer zunehmend vernetzten Gesellschaft zu erfüllen. Eines dieser Bedürfnisse ist zum Beispiel, Geld so schnell, günstig und einfach zu versenden wie eine E-Mail und nicht aufwendig und abhängig von den AGB und den Arbeitszeiten von Banken. Genau das ermöglicht die Blockchain.

Als zentrale Datenbank ist die Blockchain das Herzstück des Bitcoin-Netzwerks und hält dieses am Laufen, indem sie Transaktionen abwickelt, die Gültigkeit von Zahlungsvorgängen kontrolliert und Buch darüber führt, auf welchem ihrer Konten sich gerade wie viele Bitcoins befinden. Die Blockchain vergisst dabei nichts. Alle jemals getätigten Bitcoin-Transaktionen befinden sich gebündelt in ihren namengebenden Datenblöcken. Diese werden mithilfe kryptografischer Funktionen untrennbar miteinander verknüpft und schützen so vor nachträglicher Manipulation. Denn da alle Blöcke sowohl chronologisch als auch kryptografisch aufeinander aufbauen, würde jede noch so kleine Veränderung der Kette sofort auffallen und zurückgewiesen werden. Die Blockchain übernimmt damit quasi die Rolle einer Zentralbank. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Blockchain wird nicht zentral, sondern dezentral organisiert. Sie ist nicht einfach nur eine Datenbank, sondern Tausende Datenbanken auf Tausenden Rechnern gleichzeitig. Und was in ihr steht, ist das Ergebnis eines global verteilten Netzwerks aus unabhängigen, aber gleichberechtigten Computern, den sogenannten Minern, von denen jeder seine eigene Version der Blockchain besitzt und die sich dennoch alle zehn Minuten verlässlich darauf einigen, wem gerade welcher Bitcoin gehört.

Dass das funktioniert, ist paradox. Denn eigentlich dürfte es das nicht. In der Informatik gibt es sogar einen Beweis, dem zufolge in einem dezentralen Netzwerk niemals ein Konsens gefunden wird, weil man nie weiß, wer gerade nach den Regeln spielt und wer nicht. Daher dürften sich eigentlich auch die Teilnehmer der Blockchain nicht über ihre Zusammensetzung und den Bitcoin-Bestand einigen können. Dass sie es dennoch tun, ist vermutlich Satoshi Nakamotos größte intellektuelle Leistung. Zwar hat auch er das Koordinationsproblem nicht lösen können, aber er hat es mit einem geschickten Kniff überwunden. In seine technische Lösung implementierte er ein ökonomisches Anreizsystem: Die Blockchain funktioniert, weil sie diejenigen finanziell belohnt, die sie unterstützen. Wer dem Bitcoin-Netzwerk Rechenleistung zur Verfügung stellt und damit hilft, es gegen Manipulationen abzusichern, wird dafür in Bitcoins bezahlt. Diese interne Ökonomie führt dazu, dass es für die Teilnehmer des Netzwerks lukrativer ist, sich dem Blockchain-System anzuschließen, anstatt es anzugreifen. Und je größer das Netzwerk wird, desto sicherer sind die Bitcoins aller Beteiligten.

Dass diese technisch-ökonomische Anreizstruktur auf Dauer funktioniert, lässt sich zwar wissenschaftlich nicht beweisen, der seit Jahren laufende Praxistest spricht jedoch für sich. Obwohl der Bitcoin-Quellcode offen im Netz steht, ist es bisher noch niemandem gelungen, die Blockchain und die Milliardenwerte, die sie verwaltet, zu knacken. Denn ohne zentrale Institution, auf die sich ein Angriff konzentrieren könnte, muss man es in einem dezentralisierten System immer gleich mit dem gesamten Netzwerk aufnehmen. Das macht eine erfolgreiche Attacke zwar nicht unmöglich, aber komplex, teuer und aufwendig. Schon längst steht hinter Bitcoin das mit großem Abstand rechenstärkste Computer-Netzwerk der Welt, dessen Strombedarf bereits enorm ist und in absehbarer Zeit sogar auf das Niveau einer kleineren Industrienation steigen könnte.

Kritik und Ausblick

Diese energiehungrige Rechenpower sichert die Milliardenwerte, die Bitcoin heute schon verwaltet, sorgt aber auch für berechtigte Kritik. Denn trotz seines enormen Ressourcenbedarfs ist Bitcoin noch weit davon entfernt, eine echte Alternative zum Euro und US-Dollar zu sein. Viel zu gering sind die Kapazitäten, die Bitcoin bislang bietet. Mit 350000 Transaktionen kann die dezentrale Blockchain aktuell so viele Transaktionen an einem Tag verwalten wie die zentralisierten Transaktionssysteme von Banken und Zahlungsdienstleistern in Sekunden.

Doch solche quantitativen Vergleiche sind nur Momentaufnahmen. Dass Bitcoin im Vergleich zur globalen Finanzindustrie noch ein Experiment und Nischenphänomen ist, sollte nicht über das mögliche Potenzial hinwegtäuschen. Schließlich hat sich Bitcoin bereits binnen weniger Jahre von einem theoretischen Konzept zu einem globalen Milliarden-Projekt entwickelt. Das Image als Darknet-Währung hat Bitcoin dabei längst hinter sich gelassen. Denn auch die Ermittlungsbehörden wissen mittlerweile, wie sie die offenen Daten der Blockchain systematisch analysieren können. Im Darknet sind daher schon seit einiger Zeit andere, noch stärker auf Anonymität bedachte Kryptowährungen im Einsatz. Das Phänomen Bitcoin hingegen weckt längst auch außerhalb des Darknets das Interesse von immer mehr Menschen, die sich ähnliche Fragen wie Satoshi Nakamoto stellen: Ist unser bestehendes Finanzsystem tatsächlich alternativlos? Kann ein staaten- und bankenloses Geld wie Bitcoin funktionieren und wenn ja, ist es eine Bedrohung oder eine Bereicherung für die Gesellschaft? Dank Satoshi Nakamoto liegt es nun in der Hand jedes einzelnen Menschen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Denn Bitcoin ist zwar digitales Geld und eine neue Technologie, vor allem ist es aber eine Idee, wie sich die Welt fairer, transparenter und krisensicherer gestalten lässt. Ohne Menschen, die diese Idee teilen, weiterentwickeln und umsetzen, ist Bitcoin jedoch nichts.

ist freier Journalist. Er betreibt einen Rechercheblog zum Thema Bitcoin, Blockchain und Kryptowährungen unter Externer Link: http://www.coinspondent.de. E-Mail Link: redaktion@coinspondent.de