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Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Arbeitslosigkeit | Demographischer Wandel und Erwerbsarbeit | bpb.de

Demographischer Wandel und Erwerbsarbeit Editorial Demographischer Wandel und "Erwerbsarbeit" Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Arbeitslosigkeit Was uns vorzeitig "alt aussehen" lässt Das Handwerk und seine Beschäftigten - Verlierer des demographischen Umbruchs? Die Situation älterer Menschen in der Phase nach dem Erwerbsleben

Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Arbeitslosigkeit

Ernst Kistler Markus Hilpert Markus Ernst / Hilpert Kistler

/ 16 Minuten zu lesen

Der demographische Wandel wirft nicht nur Fragen zur Alterssicherung auf, sondern wird auch die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt verändern: So werden beispielsweise die Belegschaften immer älter.

Einleitung

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wird von gegenwärtig rund 82 Millionen nach Angaben der jüngsten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 auf knapp unter 65 Millionen Einwohner abnehmen. Bei diesem Szenario ist ein jährlicher Wanderungsgewinn von netto 100 000 Personen unterstellt. Nimmt man einen jährlichen Wanderungsgewinn von 200 000 Personen an, so wird die Bevölkerung im Jahr 2050 bei ca. 70 Millionen Einwohnern liegen.

Im Szenario mit einem Wanderungsgewinn von 100 000 Personen würden im Jahr 2050 auf 100 Personen im Alter von 20 bis 60 Jahren 80 Ältere mit über 60 Jahren treffen. Diese Tatsache eines steigenden "Altenquotienten" und speziell die Konsequenzen für das Alterssicherungssystem sind in der Zwischenzeit sehr deutlich im Bewusstsein der Bevölkerung verankert.

I. Konsequenzen für die Arbeitswelt

Weit weniger ins Bewusstsein der Bevölkerung und auch in den Fokus von Politik und Wissenschaft sind zwei andere Aspekte des demographischen Wandels gelangt:

a) Eine Alterung der Bevölkerung hat auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Erwerbspersonen-Potenzials und damit auf Arbeitswelt und Arbeitsmarktbilanz.

b) Der demographische Wandel ist nicht nur eine Sache der Zukunft, sondern findet - eher unbemerkt und schleichend - schon seit einigen Jahrzehnten in der hier diskutierten Richtung statt.

Mit dem Verbundvorhaben "Demographischer Wandel und die Zukunft der Erwerbsarbeit am Standort Deutschland" hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung frühzeitig Konsequenzen des demographischen Wandels auf die Arbeitswelt untersuchen lassen und fördert gegenwärtig die Umsetzung der entsprechenden Projektergebnisse . Aus dem breiten Spektrum der sich stellenden Probleme und Themen sei hier überblicksartig die Bandbreite der entstehenden Herausforderungen für das Erwerbsarbeitssystem aufgezeigt und spezifisch der Aspekt der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt intensiver dargestellt.

Dabei ist zu beachten, dass der demographische Wandel keineswegs auf Deutschland begrenzt ist. Praktisch alle anderen Industrieländer sind ebenfalls von den Folgen einer steigenden Lebenserwartung und gleichzeitig eines Geburtenrückgangs betroffen. Die damit einhergehenden Veränderungen z. B. im Erwerbsverhalten der Frauen und in der Zusammensetzung der Haushalte sind mehr oder weniger weit in allen Ländern fortgeschritten - wobei die Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich international eine Spitzenposition einnimmt .

Die Abbildung 1 zeigt für den Durchschnitt der 15 Länder der EU, für Deutschland und im Vergleich dazu für Italien und Großbritannien die Zusammensetzung des Erwerbspersonen-Potenzials, in der Abgrenzung der Altersgruppen zwischen 15 und 64 Jahren, in einer Prognose bis zum Jahr 2050. Es wird deutlich, dass der demographische Wandel in den einzelnen Ländern sich nicht im Gleichschritt entwickelt. In allen Ländern wird die Anzahl der 50- bis 64-Jährigen in den nächsten Jahren massiv ansteigen und danach wieder mehr oder weniger deutlich zurückgehen. Demgegenüber schrumpft in den verschiedenen Ländern die Anzahl der 15- bis 29-Jährigen in einem sehr unterschiedlichen Muster. Während in Italien gegenwärtig ein massiver Rückgang einsetzt, der etwas abgeschwächt auch noch bis zum Jahr 2040 anhalten wird, verzeichnet die Bundesrepublik Deutschland, abgesehen von kleineren Schwankungen, einen - weiteren - solchen Rückgang (und auch in deutlich schwächerem Maße als Italien) erst ab ca. dem Jahr 2035. Dagegen wird hierzulande die Zahl der 30- bis 49-Jährigen ca. ab 2010 bis zum Jahr 2020 deutlich und schnell zurückgehen (die Folge der Geburtenentwicklung in den siebziger und achtziger Jahren), um dann relativ konstant zu bleiben. Auffällig ist über die hier gezeigten Vergleichsländer hinaus im gesamten EU-15-Vergleich, dass das (weitere) Wachstum der Zahl der Älteren in Deutschland steiler, in kürzerem Zeitraum stattfindet und dann auch relativ steiler wieder abfällt. Diese Entwicklung der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren - entsprechend der traditionellen Definition des Erwerbspersonen-Potenzials - wird auch von anderen vorliegenden Prognosen in der Bundesrepublik Deutschland, über die Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes hinaus, gestützt. Nach Berechnungen des Berliner SÖSTRA-Instituts wird das durchschnittliche Alter des Erwerbspersonen-Potenzials bis 2030/2040 um ca. 2,2 Jahre steigen. Dem steht eine Erhöhung des Durchschnittsalters in der Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum von 7 Jahren gegenüber. 2,2 Jahre Steigerung des Durchschnittsalters über mehrere Jahrzehnte scheinen auf den ersten Blick nicht viel. Dies würde jedoch eine Beschleunigung der Erhöhung des Durchschnittsalters im Vergleich zur Alterung in den letzten drei Jahrzehnten um etwa das Dreifache bedeuten.

Was bedeuten nun diese demographischen Veränderungen für den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt? Besondere Beachtung verdient bei der Beantwortung dieser Frage erstens die Entwicklung der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen, also der Nachrücker ins Erwerbsleben. Von Bedeutung ist zweitens, wie sich die Zahl der über 50-Jährigen entwickelt.

Die zuerst genannte Gruppe der Jungen ist gerade deswegen wichtig, weil - wie befürchtet wird - ihr Rückgang das Innovationspotenzial in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Die aus dem Bildungs- und Ausbildungssystem Nachrückenden kämen (trotz einer verbreiteten Kritik an einem Bildungssystem, das angeblich an den Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei arbeitet) mit dem für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft elementar wichtigen neuen Know-how in das Beschäftigungssystem. Bräche dieser "Strom an neuem Wissen", das die Betriebe kostenlos aus dem staatlich finanzierten Bildungssystem akquirieren können, in großer Zahl weg, so fehle den Betrieben das nötige Innovationspotenzial in den künftigen Belegschaften.

Zweitens wird als bedrohlich betrachtet, dass eine übermäßig steigende Zahl an über 50-Jährigen, denen nach einem weit verbreiteten Vorurteil geminderte Leistungsfähigkeit attestiert wird, die Humankapitalbasis im globalisierten Standortwettbewerb gefährden könne. Noch vor wenigen Jahren wurde darüber hinaus ernsthaft befürchtet, dass mit dem voraussehbaren Schrumpfen der Gesamtbevölkerung sogar die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter soweit zurückgehen könnte, dass ein allgemeiner Mangel an Arbeitskräften die Folge wäre .

Die aktuellen Diskussionen um die (wohl eher überschätzte) Lücke an Fachkräften in der Informationstechnologie tragen diese Vorstellungen weiter, obwohl alle ernsthaften Prognosen der Arbeitskräftebilanz für die kommenden Jahrzehnte zwar von einer demographisch bedingten Entlastung des Arbeitsmarktes, aber keineswegs von seiner Räumung ausgehen. Inzwischen ist man sich in der Wissenschaft weitgehend einig darüber, dass es zwar zu zunehmenden Mismatches (d. h. einem Auseinanderfallen von spezifischem Angebot und Nachfrage) auf dem Arbeitsmarkt in qualifikatorischer und auch regionaler Hinsicht kommen wird. Dass aber die Situation eines allgemeinen Mangels an Arbeitskräften eintreten könnte, wird nur noch von interessierten Wirtschaftskreisen behauptet, die auch jetzt bereits von einem über die IT-Berufe weit hinausgehenden Mangel an Arbeitskräften sprechen, der aber mehr in den Arbeitsbedingungen, spezifisch einer schlechten Bezahlung, denn demographisch bedingt ist.

II. Entwicklung und Verarbeitung des bisherigen demographischen Wandels

Die Tabelle zeigt für die alten Bundesländer die Entwicklung der Zahl der älteren Erwerbstätigen nach Altersgruppen seit 1991.

Es wird deutlich, dass der demographische Wandel bereits in den letzten Jahren seine Spuren hinterlassen hat . Das Wachstum in der Anzahl der Älteren ist nicht spurlos an den Betrieben vorübergegangen. Bereits bisher hat sich ihr Anteil - trotz der noch anzusprechenden Praxis der Frühpensionierung und der Entlassungen Älterer - in den Belegschaften niedergeschlagen. Betrachtet man nun aber die Kohorten - die Altersgruppen - nicht nur zeilenweise, sondern auch diagonal, so zeigt sich etwa bei den im Jahr 1993 zwischen 50- und 55-Jährigen, die im Jahr 1998 zwischen 55 und 60 Jahre alt waren (und noch deutlicher in der nächstälteren Kohorte), dass ein erheblicher Teil von diesen Personen nach 5 Jahren bereits aus der Erwerbstätigkeit ausgeschieden ist - endgültig im Sinne von Frühverrentung oder praktisch endgültig im Sinne von Arbeitslosigkeit. Das Problem Älterer am Arbeitsmarkt besteht nämlich nicht darin, dass ihr Risiko, entlassen zu werden, höher ist, sondern darin, dass ihre Rückkehrchancen auf einen neuen Arbeitsplatz mit zunehmendem Alter rapide absinken. In Abbildung 2 wird offensichtlich, in welchem Maße die verschiedenen Instrumente der Frühverrentung auch im Westen der Bundesrepublik in der Vergangenheit gegriffen haben. Sie haben damit den Arbeitsmarkt in erheblichem Maß entlastet, ohne dass allerdings die entsprechende Hoffnung aufgegangen wäre, dass dadurch - sozusagen im Verhältnis 1 : 1 - neue Arbeitsplätze für Jüngere geschaffen worden wären. Einschlägige Untersuchungen zeigen deutlich, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die Unternehmen nur im Rahmen der allgemeinen Rationalisierungs- und Organisationsentwicklung ihre Personalprobleme in einer gesellschaftlich anerkannten Art und Weise und in einer für die Arbeitnehmer einigermaßen sozialverträglichen Form bereinigt haben.

Die entsprechenden gesetzlichen Möglichkeiten und die betriebliche Praxis eines "goldenen Handschlags" gehören, von einigen Übergangslösungen abgesehen, aber weitgehend der Vergangenheit an. Es ist den Betrieben und den älteren Arbeitnehmern praktisch immer weniger möglich, auf diesen Wegen - relativ einvernehmlich - vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand einzutreten. Einschlägige Untersuchungen zeigen im Übrigen, dass auch in der Vergangenheit für viele Arbeitnehmer diese vorzeitige Externalisierung nicht ganz freiwillig war: Zwischen 25 und ca. 40 Prozent sind nach den Angaben verschiedener Studien eigentlich unfreiwillig so früh aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Es handelt sich also um eine verdeckte Unterbeschäftigung wie bei der "Stillen Reserve" oder bei unfreiwillig Teilzeitarbeitenden .

Die andere Seite der Folgen der bisherigen demographischen Entwicklung zeigen die Zahlen zur Arbeitslosigkeit. Abbildung 3 demonstriert die Entwicklung der altersspezifischen Arbeitslosenquote in West- und für die letzten Jahre auch in Ostdeutschland von 1990 bzw. 1997 bis 1999.

Die Arbeitslosenquote der 55- bis 59-Jährigen und diejenige der 60-Jährigen und Älteren ist von einem doppelt so hohen Ausgangswert aus im Betrachtungszeitraum noch stärker angestiegen als diejenige des Durchschnitts bzw. aller anderen Altersgruppen. Betrachtet man die Zahlen genauer, so zeigt sich, dass sich gerade für die über 60-Jährigen auch der jüngste wirtschaftliche Aufschwung nicht in einer entsprechenden Reduzierung der Arbeitslosenquote niedergeschlagen hat. Bei den Zahlen in dieser Abbildung - wie in der nächsten - ist zu berücksichtigen, dass im Zähler wie im Nenner der Quote die frühverrenteten Arbeitnehmer nicht berücksichtigt sind.

Abbildung 4 zeigt exemplarisch die Arbeitslosenquote von 55- bis 59-jährigen Männern bzw. Frauen im Jahr 1999 nach Bundesländern. Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass - natürlich - die entsprechenden Werte in den neuen Bundesländern höher sind als im Westen der Republik. Erwartungsgemäß ist die Arbeitslosenquote auch dieser Gruppen in denjenigen Ländern höher, in denen generell eine höhere Arbeitslosigkeit herrscht. Allerdings ist bei näherem Hinsehen auffällig , dass ein Ranking der Arbeitslosenquoten für Ältere nicht vollständig dem Gesamtdurchschnitt der länderspezifischen Arbeitslosenquoten folgt. Bei weiter gehender Differenzierung nach Arbeitsamtsbezirken wird dann noch deutlicher, dass die Arbeitslosigkeit Älterer gerade auch in solchen Arbeitsamtsbezirken ein Problem darstellt, in denen ansonsten recht gute Arbeitsmarktverhältnisse herrschen und die sich durch eine besondere Wirtschaftskraft und einen hohen Anteil an modernen Dienstleistungs- und Industriebetrieben auszeichnen. Von daher wird klar, dass jegliche Hoffnung, die Probleme Älterer am Arbeitsmarkt könnten sich durch eine Modernisierung der Wirtschaft und eine Stärkung des Dienstleistungssektors von alleine lösen, wohl trügerisch ist.

Der demographische Wandel erfordert aber gerade die Berücksichtigung älterer Menschen als Arbeitskräfte- und als Know-how-Reservoire. Solchen humankapitaltheoretischen Überlegungen zum Trotz findet eine Ausgrenzung Älterer vom Erwerbsgeschehen statt. Da ein erheblicher Teil dieser Menschen aber nach wie vor in unterschiedlichsten Umfragen den Wunsch nach aktiver (Erwerbs-)Arbeit äußert, ist die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei den älteren Kohorten weitaus größer als von der offiziellen Statistik erfasst. Dieses Phänomen tritt tendenziell stärker in innovativen und prosperierenden Regionen auf, in Räumen also, die durch einen hohen Dienstleistungsanteil, Forschung und Entwicklung, Hightech oder hohe Innovationsdichten gekennzeichnet sind (z. B. Freising im "Speckgürtel" von München, "Technologieregion Aachen"). Deutet man derartige Innovationsregionen, die sich in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium des ökonomischen Strukturwandels befinden, als Vorboten der zukünftigen Arbeitslandschaft , so ist für ältere Erwerbspersonen mit noch massiveren Beschäftigungsproblemen in der Zukunft zu rechnen.

Dabei ist auch nach den ökonomischen Implikationen einer alternden "Wissensgesellschaft" zu fragen, denn die Alterung der Bevölkerung wird auf das bundesdeutsche Innovationssystem nicht ohne Folgen bleiben. Wie ist es etwa um die Einstellung älterer Menschen zu neuen Technologien bestellt? Wirken die häufig diskutierten Berührungsängste tatsächlich als Innovationsbremse, oder kann die über die Jahre angereicherte Lebens- und Berufserfahrung demgegenüber gar als Innovationspool genutzt werden? Zeigen ältere Menschen überhaupt noch die Bereitschaft zum Lernen und zur Weiterqualifikation? Immerhin verweist Gottfried Rössel auf eine Betriebsbefragung, wonach 57 Prozent der Meinung sind, dass sich alternde Belegschaften nachteilig auf betriebliche Innovationen auswirken. Lediglich drei Prozent sind der Überzeugung, sie hätten eine fördernde Wirkung (43 Prozent unverändert) . Nach wie vor bestehen große Unsicherheiten, inwieweit Lernkapazitäten durch das Altern reduziert werden und ob diese durch entsprechende Strategien ausgeweitet werden können. Andererseits zeigen zahlreiche Initiativen, dass gerade Existenzgründer und Jungunternehmer gerne auf den Rat von erfahrenen älteren Menschen zurückgreifen. Die Initiativen "Alt hilft Jung" in Augsburg oder PEGASUS in Ostwürttemberg - um nur zwei Beispiele zu nennen - zeigen, dass ältere Menschen wertvolle Hilfen aus unterschiedlichsten Bereichen für den unternehmerischen Nachwuchs anbieten können.

Die zunehmende Technologisierung der Arbeitswelt wird die Exklusions- und Selektionsprozesse auf dem Arbeitsmarkt beschleunigen. Vereinfacht formuliert werden zum einen in der Summe technologiebedingte Entlassungen zu Lasten Geringqualifizierter erfolgen, technologiebedingte Einstellungen zu Gunsten Höherqualifizierter. Ältere Menschen sind jedoch bei den hierzu notwendigen Weiterbildungsmaßnahmen unterrepräsentiert . Die Alterung der Erwerbspersonen bedeutet damit für das Innovationssystem, dass eine zunehmende Zahl von Menschen an beruflichen (Fort-)Bildungsmaßnahmen teilnehmen muss.

Politik und Arbeitsverwaltung beginnen, diesem Problem der wachsenden Arbeitslosigkeit Älterer verstärkt ihre Aufmerksamkeit zu widmen. So haben einige Bundesländer in den letzten Jahren spezifische Programme zur Reintegration Älterer in den ersten Arbeitsmarkt aufgelegt. In Thüringen beispielsweise wurde mit dem Programm "50+" bereits eine Reihe erster Erfolge sichtbar, Bayern hat im Rahmen seines Beschäftigungspaktes inzwischen eine ganze Reihe von Projekten durch den "Arbeitsmarktfonds" zu fördern begonnen, die gezielt auf die Probleme älterer Arbeitnehmer abstellen und auch mit einem gewissen experimentellen Charakter verschiedene Instrumente und Zielgruppen unter den älteren Arbeitnehmern verstärkt fördern. Auch die Bundesanstalt für Arbeit hat sich mit einer zweiten Vermittlungsoffensive unter dem Titel "50 plus" im Sommer des Jahres 2000 verstärkt dieser Gruppe zugewandt. Darüber hinaus sind natürlich schon immer in den entsprechenden Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarkts und überhaupt der aktiven Arbeitsmarktpolitik Ältere mit vertreten.

Allerdings ist festzuhalten, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für ältere Arbeitslose bzw. durch Arbeitslosigkeit gefährdete ältere Arbeitnehmer immer vor besonderen Schwierigkeiten stehen. In den Betrieben und auch bei vielen betroffenen Arbeitnehmern selbst, vor allem wenn sie durch weitere Handicaps, etwa gesundheitliche Beeinträchtigungen, gekennzeichnet sind, herrscht die Vorstellung: "Die können das nicht mehr, die wollen auch nicht mehr." Auch bei vielen Arbeitsvermittlern in der Arbeitsverwaltung und insbesondere im Bereich von privaten Vermittlungsagenturen, Leiharbeitsfirmen etc. herrscht eine entsprechende Meinung. Nicht zuletzt die zunehmende Effizienzorientierung der Arbeitsverwaltung mit ihrer einseitigen Orientierung auf Vermittlungserfolge auf dem ersten Arbeitsmarkt führt zu einem so genannten "Creaming-Effekt": Da Vermittlungsbemühungen mit Blick auf Ältere geringere Chancen eingeräumt werden, werden diese auch mit weniger Nachdruck vorangetrieben. Die Folge ist, dass Ältere überhaupt, insbesondere solche mit weiteren Vermittlungshindernissen, in den arbeitsmarktpolitischen Bemühungen und Programmen noch weiter ins Hintertreffen geraten.

Demgegenüber zeigt aber gerade die bisherige demographische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt (vgl. die Tabelle auf Seite 7), dass sehr wohl viele Ältere in den Betrieben integrierbar - eben wertvolle Mitarbeiter - sind. Darüber hinaus beweist die einschlägige Forschung, dass es eine Vielzahl von "best-practice-Beispielen" und erfolgreichen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gibt, die die Beschäftigung Älterer bis zur normalen Altersgrenze zum Wohle der Betroffenen wie der beschäftigenden Betriebe herbeiführen können .

Resümiert man die bisherigen Ausführungen im Sinne eines Zwischenfazits, so zeigt sich, dass der demographische Wandel es auf keinen Fall zulassen wird, in gleicher Weise wie bisher die Humanressourcen und das Potenzial älterer Arbeitskräfte brach liegen zu lassen. Dies gilt im Übrigen in ähnlicher Weise und in direktem Zusammenhang auch für die Frauenbeschäftigung. Gleichermaßen wie das Abdrängen von Frauen in die Stille Reserve stellt die vorzeitige Externalisierung Älterer (und auch jede andere Form von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung!) eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen par excellence dar.

Welche Maßnahmen sind nun aber zu ergreifen, um älteren Arbeitnehmern am Arbeitsmarkt zu helfen und diese Ressourcenverschleuderung zu beenden?

III. Ansätze für eine dem demographischen Wandel gerecht werdende Beschäftigung Älterer

Abbildung 5 zeigt eine Auflistung von Handlungsfeldern, wie sie im Rahmen des Demographie-Verbundes für das Bundesforschungsministerium diskutiert wurden. Selbstverständlich sind solche abstrakten Bündelungen von Maßnahmen problem- und zielgruppengerechter auszudifferenzieren. Auch bedarf die Diskussion konkreter Maßnahmen immer einer eigenständigen Überprüfung hinsichtlich deren Eignung. Im Folgenden kann also nur ein Überblick zur Thematisierung der im Prinzip möglichen und nötigen Veränderungen gegeben werden.

Generell gilt, dass die vom demographischen Wandel erzwungenen Maßnahmen nicht nur (aber auch) die Politik betreffen. Aus der Auflistung in Abbildung 5 wird ersichtlich, dass sich auch Unternehmen wie Erwerbspersonen auf die Veränderungen einstellen müssen. Auch intermediäre Institutionen, insbesondere Gewerkschaften und Unternehmerverbände, sowie nicht zuletzt auch die Wissenschaft haben ihre je eigene Bringschuld, um in ihrem eigenen bzw. im gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesse der Alterung von Bevölkerung und Belegschaften zu entsprechen.

Von daher und für alle Gruppen übergreifend ist es zunächst wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass Menschen zwischen 50 und 64 Jahren und darüber hinaus nicht weniger leistungsfähig sind als Jüngere . Gewandelte Leistungsfähigkeit und Verschiebungen in den altersspezifischen Vorteilen sind viel bessere Beschreibungen der altersspezifischen Leistungsentwicklung. Unbestreitbar gibt es noch viel zu viele Fälle, in denen auf Grund abträglicher Lebens- und Arbeitsbedingungen mit zunehmendem Alter gesundheitliche und qualifikatorische Defizite auftreten. Dies sind aber eben nicht natürliche, sondern "man-made problems". Gerade diesen gilt es im nachgenannten Sinne zu begegnen, um die Leistungsfähigkeit Älterer auf breiter Front zu erhalten.

Die Beschäftigungschancen Älterer zu erhöhen ist dabei in einem von raschem strukturellem Wandel geprägten Wirtschaftssystem zum einen Aufgabe traditioneller Arbeitsmarktpolitik, es muss aber wohl auch darüber hinaus gedacht werden. Insbesondere für diejenigen Älteren, für die nur geringe Chancen einer Beschäftigung auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bestehen, muss auch über Alternativen (Schlagwort: Dritter Arbeitsmarkt) und auch über eventuelle Verbindungen zwischen normaler Arbeit und Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit , die bis hinein in das Alter nach der Verrentung reichen, intensiv nachgedacht werden . Dies ist kein Plädoyer für Kopfgeburten à la "Bürgerarbeit", sondern die Einsicht in die beschränkte Problemverarbeitungskapazität des ersten Arbeitsmarkts ohne entsprechende Erweiterungen und staatliche Eingriffe. Die These dabei ist, dass es in unserer Gesellschaft genügend unerledigte Aufgaben gibt, die in einer für die Betroffenen akzeptablen Form und mit einer gesellschaftlich positiven Kosten-Nutzen-Bilanz erledigt werden können. Die hierzu nötige gesellschaftliche Diskussion darf aber nicht von Anfang an mit ordnungspolitischen Totschlagargumenten verhindert werden.

Zentral - als notwendige, wenn auch nicht allein hinreichende Voraussetzung für eine Beschäftigungspolitik, die dem demographischen Wandel gerecht werden kann - ist lebenslanges Lernen und die Kompetenzentwicklung bei Älteren. Dass diese, ähnlich wie die Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit durch gesundheitsfördernde Maßnahmen, Arbeitsschutz etc., nicht erst mit 50 oder 55 Jahren einsetzen kann, ist nahe liegend. Aktivierung und Förderung von beruflichen (und außerberuflichen) Kompetenzen müssen früher ansetzen, müssen lebensbegleitend sein . Im Bildungs- und vor allem im Weiterbildungsbereich muss hierfür noch eine Menge getan werden, um den herrschenden "Ex- und hopp"-Umgang mit den Humanressourcen und auch das Problem "begrenzter Tätigkeitsdauern" zu überwinden.

Dazu beitragen kann auch eine Vielfalt von arbeitsorganisatorischen Maßnahmen in den Betrieben, die aus der gängigen meist drittrangigen Personalentwicklungspolitik ein wirkliches "Human-Ressources-Management" machen muss. Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Jungen und Alten im Betrieb trägt nicht nur zum Abbau von Konflikten und Vorurteilen zwischen den Generationen bei, sondern dient auch dem Transfer von Wissen und Erfahrungen - wohlgemerkt in beiden Richtungen . Dadurch lässt sich die betriebliche Leistungs- und Innovationsfähigkeit in den meisten Fällen eher steigern als durch eine jugendfixierte Personalpolitik. In der Praxis steigt die Zahl der Beispiele, in denen Betriebe ihre Älteren entlassen bzw. abgeschoben und dabei strategisches Erfahrungswissen verloren haben.

IV. Fazit

Die neueren Entwicklungen in der Unternehmensorganisation und Arbeitsgestaltung - kurz: der moderne Kapitalismus mit seinen Anforderungen an den "flexiblen Menschen" - sind in vielerlei Hinsicht auf Effizienzsteigerung und Kostenminimierung ausgerichtet. Ihre Orientierung auf den "Shareholder-Value" mit seiner immanenten Kurzfristperspektive ist dabei nicht nur unbestreitbar, sondern geradezu Programm. Der demographische Wandel ist insofern - bezogen auf die betriebliche Ebene wie bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt - eine schwerwiegende Herausforderung an eine solche Art und Philosophie des Wirtschaftens. Er ist, so scheint es, aber noch mehr; er ist ein Prüfstein für die Nachhaltigkeit dieser Form des Umgangs mit dem Humankapital. Der beste Beleg für diese Aussage ist wohl wiederum ein Blick auf die Altersstruktur (vgl. Abbildung 6). Angesichts der Schwierigkeiten, die wir gegenwärtig mit dem Umgang mit den geburtenstarken Vorkriegsjahrgängen haben, die zwischen 60 und 70 Jahre alt sind, muss immer gesehen werden, wie viele und um wie viel stärker besetzte Jahrgänge, die nach dem Krieg geboren wurden, jetzt nacheinander in die Kategorie "Ältere Arbeitnehmer" hineinwachsen.

Mit den bisherigen Instrumenten jedenfalls lässt sich das Problem, das da auf uns zukommt, nicht bewältigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum Überblick Jochen Pack/Hartmut Buck/Ernst Kistler/Hans Gerhard Mendius/Martina Morschhäuser/Heimfrid Wolff, Zukunftsreport demographischer Wandel. Innovationsfähigkeit in einer alternden Gesellschaft, Bonn 1999, sowie www.demotrans.de.

  2. Vgl. OECD, Wahrung des Wohlstands in einer alternden Gesellschaft, Paris 1999.

  3. Vgl. z. B. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Demographischer Wandel", Bonn 1994, S. 212.

  4. Vgl. auch Gottfried Rössel/Reinhard Schaefer/Jürgen Wahse, Alterspyramide und Arbeitsmarkt. Zum Alterungsprozess der Erwerbstätigen in Deutschland, Frankfurt/M.-New York 1999, S. 29.

  5. Vgl. Dorit Sing, Komponenten und subjektive Determinanten der langfristigen Entwicklung des Arbeitsangebots. Die "Stillen Reserven" sind größer, als man denkt, in: INIFES/ISF/SÖSTRA (Hrsg.), Erwerbsarbeit und Erwerbsbevölkerung im Wandel. Anpassungsprobleme einer alternden Gesellschaft, Frankfurt/M. - New York 1998, S. 79 ff. (INIFES = Internationales Institut für europäische Sozialökonomie; ISF = Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung; SÖSTRA = Institut für sozialökonomische Strukturanalyse e.V.)

  6. Diese Arbeitslosenquoten errechnen sich auf der Basis der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum 30. Juni und der Arbeitslosen zum 30. September; daher sind kleinere Abweichungen zur veröffentlichten Gesamtquote möglich.

  7. Vgl. ausführlicher Markus Hilpert/Ernst Kistler/Jürgen Wahse, Demographischer Wandel, Arbeitsmarkt und Weiterbildung, in: arbeit und beruf. Fachzeitschrift für die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit, 51 (2000) 9, S. 253 ff.

  8. Vgl. Markus Hilpert, Innovationsregionen - Vorboten zukünftiger Arbeitsmärkte?, in: IAB/IfS/INIFES/ISF/SOFI (Hrsg.), Jahrbuch Sozialwissenschaftliche Technikberichterstattung 2000, S. 193 ff. (IAB = Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit; IfS = Institut für Sozialforschung; SOFI = Soziologisches Forschungsinstitut).

  9. Vgl. Gottfried Rössel, Die Alterung der Belegschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: INIFES/ISF/SÖSTRA (Anm. 5), S. 47 ff.

  10. Vgl. Helmut Kuwan/Dieter Gnahs/Sabine Seidel, Berichtssystem Weiterbildung VII. Integrierter Gesamtbericht zur Weiterbildungssituation in Deutschland, Bonn 2000, S. 97 ff.

  11. Vgl. weitergehend Jürgen Kühl, Konzept zur Beschäftigung älterer Langzeitarbeitsloser bis zur Rente, in: Christoph von Rothkirch (Hrsg.), Altern und Arbeit: Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin 2000, S. 339 ff.

  12. Vgl. Heimfrid Wolff/Henrike Mohr/Katharina Spiess, Arbeit - Alter - Innovation, Wiesbaden 2000.

  13. Vgl. J. Pack u. a. (Anm. 1).

  14. Vgl. Fritz Böhle, Alter und Arbeit - Erwerbsarbeit zwischen Markt und Staat als neue Herausforderung für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, in: C. v. Rothkirch (Anm. 11), S. 310 ff.

  15. Siehe hierzu auch den Beitrag von Dorit Sing in diesem Heft.

  16. Vgl. Ernst Kistler/Thomas Schönwälder, Die alternde Gesellschaft in Deutschland und in der Europäischen Union, in: Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen (Hrsg.), Expertisen für ein Berliner Memorandum zum Lebenslangen Lernen, Berlin 2001 (i. E.)

  17. Siehe hierzu auch den Beitrag von Johann Behrens in diesem Heft.

  18. Vgl. Martina Morschhäuser, Altersbezogene Personalplanung: Zwischen Personalentwicklung und Personalaustausch, in: Arbeitskammer des Saarlandes (Hrsg.), Älter werden im Betrieb?, Saarbrücken 2000, S. 23 ff.

  19. Vgl. Richard Sennett, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998.

Dr. rer., pol., geb. 1952; Gesellschafter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES), Stadtbergen.

Anschrift: INIFES, Haldenweg 23, 86391 Stadtbergen.

Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Jochen Pack u..a.) Zukunftsreport demographischer Wandel. Innovationsfähigkeit in einer alternden Gesellschaft, Bonn 1999; (Hrsg. zus. mit Heinz-Herbert Noll/Eckhard Priller) Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts, Berlin 1999.

Dr. rer. nat., geb. 1970; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES), Stadtbergen, und an der Universität Augsburg.

Anschrift: INIFES, Haldenweg 23, 86391 Stadtbergen.

Veröffentlichung u. a.: Innovationsregionen - Vorboten zukünftiger Arbeitsmärkte?, in: Jahrbuch Sozialwissenschaftliche Technikberichterstattung 2000, Berlin 2000.