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"Grundsätzlich" gleichberechtigt | Weimarer Republik | bpb.de

Weimarer Republik Editorial Weimar (nicht) vom Ende her denken. Ein skeptischer Ausblick auf das Gründungsjubiläum 2019 Prekäre Selbstversicherung. Die Weimarer Republik als Metapher und geschichtspolitisches Argument Ausgeforscht? Die Weimarer Republik als Gegenstand historischer Forschung Gustav Stresemann und die Perspektive der Anderen Nachkriegsgesellschaft. Erbschaften des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik "Grundsätzlich" gleichberechtigt. Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive Ein Freund, ein guter Freund, das wär das Schönste, was es gibt auf der Welt. Jüdisches Filmschaffen in der Weimarer Republik

"Grundsätzlich" gleichberechtigt Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive

Kirsten Heinsohn

/ 16 Minuten zu lesen

Aus frauenhistorischer Sicht ist die Weimarer Republik eher durch Kontinuitäten als durch Brüche gekennzeichnet. In dem Text wird die Frage behandelt, wie sich die in der Verfassung gewährte Gleichberechtigung der Geschlechter politisch, rechtlich und sozial auswirkte.

Die erste demokratische Republik in Deutschland existierte nur knappe 15 Jahre. Ihr Werdegang verlief zwar kurz, dafür aber dramatisch: Politische Systembrüche 1918 und 1933, wirtschaftliche Krisen am Anfang und am Ende, politische Instabilität und mehrere Regierungswechsel kennzeichneten den jungen Staat. Entsprechend ist die Geschichte der Weimarer Republik in der Regel von ihrem Ende, ihrem Anfang oder von ihren Krisen ausgehend geschrieben worden. Die traditionelle Einteilung in drei Phasen – unruhige Anfangszeit bis 1924, Konsolidierung 1924 bis 1928 und Krisenjahre 1928/30 bis 1933 – spiegelt diese politikhistorische Herangehensweise wider. In einer längeren Perspektive verschwindet aber auch diese kurze Geschichte der Republik in Begriffen wie "Zwischenkriegszeit" oder "Katastrophenzeitalter".

Zweifellos gibt es gute Gründe für all diese Bezeichnungen und Phasen, denn sie bringen den politischen Wandel sowie die Besonderheit des Jahrhunderts ("Zeitalter der Extreme") eindrücklich auf einen Begriff. Und doch gehen dabei Erkenntnisse über weitere oder andere Formen sozialen Wandels verloren, gerade jener, die weniger dramatisch waren.

Die Geschichte der Weimarer Republik (auch) aus frauenhistorischer Sicht zu betrachten, ist eine solche Perspektive. Sie kann und soll die politikhistorische Sichtweise nicht ersetzen, aber doch herausfordern. Ergeben sich vergleichbare historische Phasen und Zäsuren, wenn die Geschichte der Frauen in der Weimarer Republik in den Blick genommen wird? Haben sich die weiblichen Lebensverhältnisse in dieser Zeit gewandelt? Gab es neue Handlungsoptionen für Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Und wie haben Frauen selbst diese Zeit erlebt, interpretiert? Diese klassischen Fragen der Frauengeschichte zielen darauf, zunächst genau zu analysieren, wie die soziale und gesellschaftliche Lage von Frauen aussah und welche Modelle von Weiblichkeit gesellschaftlich anerkannt waren, bevor diese in ein Verhältnis zur männlichen Lebenswelt und den dort herrschenden Männlichkeitsvorstellungen gesetzt werden. Statt politische Zäsuren zu untersuchen, stehen in einer solchen Perspektive gesellschaftliche Modernisierungsprozesse im Zentrum, wie etwa in dem 1987 erschienenen Standardwerk des Historikers Detlev Peukert.

Er interpretiert die erste deutsche Republik als "Krisenjahre der klassischen Moderne". Die Emanzipationsbestrebungen von Frauen sind aus seiner Sicht ebenso zentral für die Krisendeutungen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wie die strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt oder die breit diskutierte Erscheinung der "neuen Frau", mit der ein moderner, durch Selbstständigkeit und vor allem Selbstbewusstsein gekennzeichneter Typus von Weiblichkeit gemeint war. Der Wandel sei aber insgesamt weniger positiv gewesen, als oft angenommen, die Optionen hatten sich vergrößert, aber es "blieb dabei, daß die traditionelle Doppelbelastung der Frauen nur durch eine Kette weiterer Lasten und Irritationen ergänzt wurde".

Auch die Historikerin Ute Frevert bewertet diese Entwicklungen in der Weimarer Republik als ambivalent. Die "Entdeckung der modernen Frau" sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass "die geschlechtsspezifische Begrenzung sozialer, ökonomischer und politischer Handlungsoptionen weitgehend erhalten" blieb, lautet ihr Fazit. Ebenso schreibt Helen Boak ihre Frauengeschichte der Republik im Modus des permanenten Wechsels von neuen Optionen und traditionellen Einschränkungen und verweist dabei auch auf die großen Unterschiede zwischen Stadt und Land: Frauen hatten größere Wahlmöglichkeiten, aber diese standen nicht überall gleichermaßen zur Verfügung.

Auch mit Blick auf die Politik, also dem Bereich, in dem mit der Zulassung von Frauen zum Wahlrecht ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung der Geschlechter gegangen wurde, sind die Ergebnisse eher nüchtern. Ein nachhaltiger Wandel des Politischen hat in der Weimarer Republik nicht stattgefunden. Die Faszination, die die "neue Frau", die "neue Sachlichkeit" oder auch die Kultur- und Unterhaltungsszene in Berlin, München oder Weimar auslösen, ist verständlich, übersieht aber womöglich die Ambivalenzen des Frauenlebens in der Weimarer Republik.

Veränderte Rollenbilder in der Nachkriegsgesellschaft?

Der Erste Weltkrieg markierte in vielerlei Hinsicht einen deutlichen Einschnitt, auch mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse. Wie weit die Veränderungen reichten und wie diese zu deuten seien, war aber schon unter Zeitgenossen eine umstrittene Frage. Der Krieg habe zur Entfremdung zwischen Ehepaaren geführt, Frauen selbstständiger gemacht und dadurch einen erheblichen Emanzipationsschub ausgelöst – so lauteten die Grundannahmen. Für diese Interpretation gab es durchaus Belege, waren doch bereits 1915 etwa neun Millionen Männer eingezogen, die Hälfte von ihnen verheiratet. Der Krieg dauerte länger als gedacht, er forderte mehr als zwei Millionen Tote und Tausende körperlich oder seelisch Verletzte, die nicht mehr erwerbsfähig waren.

Viele Arbeitsplätze von Männern wurden während des Kriegs mit Frauen besetzt, vor allem in der kriegswichtigen Rüstungsindustrie, aber auch in öffentlichen Einrichtungen. Gleichzeitig sank die Zahl der Arbeitsplätze in den Branchen, die traditionell eher Frauen beschäftigten, etwa in der Textilindustrie. Statistisch änderte sich an dem Anteil erwerbstätiger Frauen an der Gesamtbeschäftigtenzahl, der etwa ein Drittel betrug, nicht viel, aber es gab eine strukturelle Verschiebung in Richtung Industrie und Dienstleistung. Diese Entwicklung hatte sich jedoch bereits vor dem Krieg angedeutet und wurde durch die Mobilisierung der Wirtschaft für den Krieg letztlich nur beschleunigt. Insofern wirkte der Krieg mit Blick auf die Ökonomie nicht wie eine Zäsur, sondern eher wie ein Katalysator mittel- bis langfristiger Trends, die sich in den nächsten Jahrzehnten weiter fortsetzten.

Viele Zeitgenossen deuteten jedoch die stärkere Sichtbarkeit von Frauen an außerhäuslichen Arbeitsplätzen und in der Verwaltung, zum Beispiel im expandierenden staatlichen Wohlfahrtswesen, in dem auch viele Frauen Arbeit fanden, als einen Bruch der traditionellen Rollenmuster. Bürgerliche Frauenorganisationen beteiligten sich darüber hinaus umfangreich an der gesellschaftlichen Mobilisierung für den Krieg, sowohl ideologisch als auch ganz praktisch in zahlreichen lokalen ehrenamtlichen Initiativen. Die Vertreterinnen der Frauenbewegung hoben immer wieder die gesellschaftliche Bedeutung all dieser Tätigkeiten für den Krieg hervor, sprachen von "Bewährung" der Frauen an der Heimatfront und erhofften sich dafür Zugeständnisse in Fragen der Gleichstellung, die schon vor dem Krieg artikuliert worden waren: die Zulassung von Frauen zum Wahlrecht sowie eine Berücksichtigung von Fraueninteressen in Rechtsprechung, Politik und Wirtschaft.

Mit dem ersehnten Ende des Kriegs waren Hoffnungen, aber auch Unsicherheiten verbunden. Viele Ehefrauen von Soldaten, insbesondere aus den einkommensschwachen Schichten, litten unter der hohen Arbeitsbelastung im Beruf und in der Familie, die noch durch die schlechte Ernährungslage im Winter 1917 drastisch verschärft wurde. Den Alltag einer Familie zu organisieren, war allein schon harte Arbeit. Unter diesen Bedingungen erschien der Wunsch nur folgerichtig, zur friedlichen Vorkriegszeit und einer klaren geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zurückzukehren. Auch die staatlichen Behörden gingen selbstverständlich davon aus, dass die wirtschaftliche Demobilmachung, die Rückkehr von Frauen ins Haus und von Männern auf ihre Arbeitsplätze, kein Problem darstellen würden.

Mit der militärischen Niederlage und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs im November 1918 intensivierten sich nochmals die Gefühle von Verunsicherung und Unordnung, verstärkt in den politisch unruhigen Zeiten im Frühjahr 1919, sowie eine allgemeine Fassungslosigkeit über die Bedingungen des Versailler Vertrags. Im gleichen Zeitraum ergaben sich aber auch neue Handlungsoptionen für Frauen durch ihre politische Gleichberechtigung und ihre Zulassung zum Wahlrecht – damit wurden Frauen erstmals zu Wählerinnen, auf deren Interessen die politischen Parteien eingehen mussten.

Beispielhaft zeigte sich die schwierige Mischung aus traditionellen Rollenerwartungen, Verunsicherungen über die Zukunft und Handlungsoptionen aufseiten der Frauen an der Frage der Demobilmachung: Gesetzliche Vorschriften des Frauen- und Jugendschutzes, wie zum Beispiel das Verbot der Nachtarbeit, die während des Kriegs gelockert worden waren, wurden bereits im November 1918 wieder eingeführt. Zugleich wurden in Preußen Richtlinien erlassen, mit denen der Übergang in die Friedenszeit geregelt werden sollte. Zuerst sollten alle Frauen entlassen werden, die nicht auf ihre Erwerbstätigkeit angewiesen waren, dann Frauen, die auch in anderen Bereichen Arbeit finden könnten und schließlich unverheiratete Frauen aus anderen Orten. In den 1919 erlassenen, reichsweiten Verordnungen zur Regulierung der wirtschaftlichen Demobilmachung wurden diese Vorschriften zum Umgang mit Arbeiterinnen nicht übernommen, aber festgelegt, dass zuerst alle Arbeiter zu entlassen seien, die nicht von ihrem Einkommen abhängig waren. Die geschlechterneutrale Formulierung verschleierte, dass diese Verordnungen vor allem Frauen meinten. Der Anteil von Frauen an der Industriearbeiterschaft sank direkt nach dem Krieg an vielen Orten auf das Niveau von 1913 oder darunter.

Unterstützt wurden all diese Maßnahmen zusätzlich durch öffentliche Forderungen männlicher Arbeitnehmergruppen, etwa dem Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband, und zwar auch noch über den Abschluss der Demobilmachung im Sommer 1919 hinaus. Die Idee, dass Ehefrauen kein Arbeitsplatz zustehe, da sie ja versorgt seien, wurde nun auch ohne Bezug zur Kriegswirtschaft weitergetragen. Begriffe wie "Doppelverdiener" tauchten erstmals in diesen Debatten auf und wurden in der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre erneut gegen berufstätige verheiratete Frauen verwendet. Neu war aber auch, dass vonseiten der liberalen und sozialdemokratischen Frauenbewegungen Widerstand gegen diese eindeutige Diskriminierung berufstätiger Frauen formuliert wurde – wenn auch zunächst lediglich dagegen, dass in den örtlichen Demobilmachungskomitees keine Frauen vertreten waren.

Frauen als Wählerinnen

Frauen als Wählerinnen sowie als Abgeordnete in Parlamenten waren ein Novum in der Weimarer Republik – und entsprechend hoch waren die Erwartungen. Der Rat der Volksbeauftragten hatte am 12. November 1918 das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für beide Geschlechter für alle zu wählenden öffentlichen Körperschaften verkündet. Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 lag die Beteiligung mit über achtzig Prozent sehr hoch; ähnliche Ergebnisse zeigten sich in den Wahlen zu regionalen und lokalen Parlamenten.

Das Wahlrecht war gegenüber dem Kaiserreich dreifach verändert worden: Das Wahlalter war gesenkt worden, erwachsene Frauen durften wählen, und es gab ein Verhältniswahlrecht. Trotz dieser Neuerungen blieben die Ergebnisse der einzelnen Parteilager zu Beginn der 1920er Jahre erstaunlich stabil: Wie schon im letzten Reichstag vor dem Krieg stellten die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion, die Linksliberalen konnten ihre Stimmzahl deutlich erhöhen, die Rechtsliberalen verloren etwas, und auch der Anteil des katholischen Zentrums änderte sich nur unwesentlich. Die Konservativen verloren dagegen nicht so stark wie befürchtet; im Gegenteil konnte die neue Deutschnationale Volkspartei ihren Stimmenanteil bis 1928 weiter ausbauen.

Paradoxerweise konnte die SPD nicht nachhaltig vom Frauenstimmrecht profitieren, obwohl sie die einzige Partei war, die diese Forderung schon seit 1891 im Parteiprogramm führte. In einigen Wahlkreisen wurden in den 1920er Jahren die abgegebenen Stimmen getrennt nach Geschlechtern ausgezählt, und dabei zeigte sich ein spezifisches Stimmverhalten von Frauen: Diese wählten im Vergleich zu Männern weniger radikal und stärker religiös beziehungsweise konservativ. Dieses Muster blieb bis zum Ende der Republik erhalten; erst 1932 gelang es den Nationalsozialisten, ihren Stimmenanteil bei den Frauen zu erhöhen.

Der erwartete Linksrutsch durch das Frauenwahlrecht blieb also aus, sodass sich auch die konservativen Kräfte, aus deren Sicht das Frauenstimmrecht sogar einer der zentralen Fehler der demokratischen Kräfte im Übergang zur Republik gewesen war, mit den neuen Rechten für Frauen arrangieren konnten. Aber auch die Einschätzung, Frauen hätten Hitler an die Macht gebracht, lässt sich aus dem Wahlmuster nicht ableiten – im Gegenteil erhielt die NSDAP auch in den entscheidenden Wahlen Anfang der 1930er Jahre sehr viel mehr Stimmen von Männern als von Frauen. Sowohl die KPD als auch die NSDAP waren vom Charakter her eher Männer- als Frauenparteien, wenn auch die Kommunisten eine ganz andere Frauenpolitik propagierte als die Nationalsozialisten.

Sonderrolle in der Politik

Dank des Frauenwahlrechts mussten Frauen von den Parteien als Wählergruppe und als potenzielle Mitglieder adressiert werden. Alle Parteien reagierten darauf mit einer geschlechtsspezifischen Propaganda, in der Frauen die Aufgabe zugesprochen wurde, ihre Stimmen nicht für partikulare Interessen, sondern wahlweise für die des Volkes (Konservative und Liberale) oder für den Frieden und die Gemeinschaft der Werktätigen (Linke) abzugeben.

Auch innerhalb der Parteien wurden Frauen gesondert organisiert, in der Hoffnung, auf diese Weise erfolgreich weibliche Mitglieder gewinnen zu können. Traditionelle Strukturen der Parteien, etwa in der SPD, wurden um "Frauensekretärinnen" ergänzt, doch löste diese Ergänzung nicht das Problem, dass die traditionelle Wahl- und Mitgliederwerbung der Partei, die über den Betrieb lief, für die Agitation von Frauen wenig vorteilhaft war. Auch im sozialdemokratischen Milieu galt die Erwerbstätigkeit der Frau eher als Übergangsphase zur Familiengründung, die zudem aufgrund der Mehrfachbelastungen nur wenig Zeit für politische Abende gestattete.

Diese Strukturen hatten ambivalente Folgen: Einerseits erhielten Frauen nach 1918 erstmals in allen politischen Parteien eine anerkannte Vertretung. Andererseits etablierte sich dadurch eine Art "Ghettoisierung" der weiblichen Mitglieder und damit ihre permanente Sonderrolle. Zugleich wurden parteiübergreifend die Themen, die in den separaten Frauengruppen behandelt wurden, nur zu Wahlkampfzwecken eingesetzt. Von einer intensiven Auseinandersetzung der Parteien mit Fragen der Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes der Weimarer Verfassung, der Reform weiblicher Arbeitsverhältnisse oder der Ehe- und Familiengesetzgebung kann keine Rede sein.

Die geschlechtsbezogene Organisationsstruktur der Parteien wurde sogar noch durch eine inhaltliche Arbeitsteilung unterstützt. In der Weimarer Republik bildete sich nämlich ein langfristig wirkendes Muster aus: Das Soziale, die Sittlichkeit, die Mädchen- und Frauenbildung waren die zentralen Inhalte der frauenpolitischen Parteiarbeit. Dies war auch eine Folge der Personalpolitik, denn alle Parteien nahmen bekannte Vertreterinnen aus den unterschiedlichen Frauenbewegungen auf ihre Wahllisten, um überhaupt professionelle Kandidatinnen präsentieren zu können. Für die neuen weiblichen Abgeordneten in Stadt und Land war diese Berufung wiederum eine wichtige Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten; sie erhofften sich, dass viele ihrer Anliegen aus dem Kaiserreich nun durch fleißige Mitarbeit in Parteien und Parlament endlich Gehör finden würden. Wohlfahrt und Jugendarbeit, aber auch der Schutz von Sittlichkeit sowie "berufsständische" Fragen, etwa für Arbeiterinnen aber auch Hausfrauen, zählten zu den zentralen Themen der parlamentarischen Frauenarbeit.

Alle Frauenpolitikerinnen versuchten, ihre Themen in parlamentarische Beratungen einzubringen, doch blieben sie dabei weitgehend auf sich allein oder die anderen weiblichen Abgeordneten gestellt. Die Relevanzhierarchie in allen Parteien war nämlich sehr eindeutig: Die Themen der Frauenausschüsse galten als "weiblich", und sie waren damit tendenziell gegenüber den harten, "männlichen" Themen wie Außen- oder Wirtschaftspolitik abgewertet. Mit der Zulassung von Frauen zu politischen Vereinen (in Preußen 1908) sowie der Einführung des Frauenstimmrechts 1918 hatten sich damit allgemeine Strukturmerkmale der politischen Partizipation von Frauen in Parteien ausgebildet, die erst in den 1980er Jahren verändert werden sollten.

Sehr viele Politikerinnen äußerten sich bereits ab 1924 enttäuscht über die geringe Reichweite ihrer Stimmen und ihrer Anliegen. Manche wandten sich von den Parteien ab und schlugen als Alternativen "Frauenlisten" vor. Auch sank die Anzahl der weiblichen Abgeordneten absolut wie relativ seit der ersten Wahl zur Nationalversammlung und pendelte sich bei rund sieben Prozent ein. Im weiteren Verlauf der Republik, vor allem in ihrer dramatischen Endphase, setzte eine erneute Maskulinisierung von Politik und Parteien ein, sodass immer weniger Frauen in den Führungsgremien vertreten waren. Die generelle Entwertung der Parteien als Organisatoren gesellschaftlicher Konsensfindung im parlamentarischen Raum ab 1930 korrespondierte mit der zunehmenden Ausgrenzung von Frauen und ihren Themen aus den politischen Debatten. Die letzte Krise der Weimarer Republik äußerte sich daher auch als Rollback gegenüber der Geschlechterdemokratie.

Der radikale und brutale Aufbau des nationalsozialistischen Regimes ab 1933 führte zu einem Bruch in der kurzen Geschichte der weiblichen Partizipation an Politik. Ab Ende 1933 war nur noch die NSDAP als Staatspartei zugelassen, und diese ließ sich grundsätzlich nicht durch Frauen politisch repräsentieren. Allen Frauen wurde damit zugleich das passive Wahlrecht entzogen – diese Maßnahme brachte die Maskulinisierung der Politik auf ihren symbolischen Höhepunkt und den 1908 und 1918 begonnenen Aufbruch von Frauen in die Parteipolitik zu einem vorläufigen Ende.

Anhaltende Ungleichheiten

Die Einführung des Wahlrechts für Frauen im Zuge der Revolution führte also weder zu einem kurzfristigen Linksrutsch noch zu einem nachhaltigen Wandel des als männlich konnotierten politischen Feldes. Eine Erklärung für diese Kontinuitäten liegt offenbar in der Diskrepanz zwischen der neuen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung und der anhaltenden Ungleichheit im sozialen und privaten Raum.

Erstmals wurden Frauen in der Weimarer Verfassung als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannt: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten", lautete Paragraf 109. Was zunächst wie eine einfache Formel aussah, entpuppte sich durch die Einschränkung "grundsätzlich" als problematisch. Denn mit dieser Bestimmung wurde eine grundlegende Revision geschlechterspezifischer Ungleichbehandlung von Frauen etwa im Ehe- und Scheidungsrecht, aber auch in Vermögensfragen, weiterhin blockiert.

Gesellschaftlich war die Auffassung, dass Männer und Frauen "grundsätzlich" verschieden seien, so tief verankert, dass die wenigen Frauenrechtlerinnen und Politiker, die sich für die Gleichberechtigung ohne Einschränkungen einsetzten, kaum Gehör fanden. Entsprechend gab es nur wenige Initiativen für eine Novellierung von Gesetzen und auch keine politischen Mehrheiten für grundlegende Revisionen im Reichstag. Das Familienrecht von 1900, in dem eine patriarchale Familienstruktur sowie die Verfügungsmacht des Ehemannes über das Vermögen, die Arbeit und den Körper seiner Frau festgelegt wurde, blieb letztlich unangetastet. Damit fehlte den Frauen aber eine wesentliche Voraussetzung für eine tatsächliche Gleichstellung.

Deutlich wurde dies vor allem bei jenen Themen, die traditionell allein von Männern besetzt waren, etwa im Bereich der Rechtsprechung bei der Frage, ob Frauen zum Amt des Schöffen oder Geschworenen zugelassen werden sollten. Dies war bereits zu Zeiten des Kaiserreichs eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegungen gewesen. Die Vertretung der Länder, der Reichsrat, führte 1924 zu diesem Anliegen aus, dass der Mann "überwiegend eine Abneigung dagegen (habe), sich von Frauen aburteilen zu lassen und sich ihrem Urteil zu unterwerfen"; ähnlich argumentierte der Deutsche Richtertag. Die Abgeordneten des Reichstages nahmen deshalb die Bestimmung in das fragliche Gesetz auf, dass Frauen die Wahl zum Amt ablehnen könnten und mindestens einer der Schöffen ein Mann sein müsse.

Einfacher war es hingegen, Ausnahmegesetze für weibliche verheiratete Beamte zu erhalten, trotz eines in Paragraf 128 der Verfassung klar formulierten Verfassungsauftrages, solche abzuschaffen. Die spezifischen Regelungen, die Kündigung von verheirateten Beamtinnen aufgrund von Defiziten in den öffentlichen Haushalten, wurden nur sehr zögerlich bis 1929 abgeschafft – um 1932 in der Wirtschaftskrise wieder eingeführt zu werden. Auch in der Frage des Scheidungsrechts konnte eine Liberalisierung nicht gegen die Stimmen der Konservativen und des Zentrums durchgesetzt werden.

Sichtbare Frauen

Also eigentlich nichts Neues für und von Frauen in der Weimarer Republik? Eine solche Schlussfolgerung wäre ebenso falsch wie eine einseitige Betrachtung der 1920er Jahre allein unter dem Stichwort "neue Frau". Frauen hatten nach dem Krieg mehr und neue Optionen für ihre persönliche Lebensführung, konnten sich teilweise auch in neuen Räumen ausprobieren. Dazu zählte nicht nur der Bereich der Politik, sondern auch der Sport, die Freizeitgestaltung, Berufsausbildungsangebote und überhaupt der öffentliche Raum. Inwieweit diese Angebote aber genutzt werden konnten, hing von der sozialen Lage ab und auch vom Wohnort.

Eine beliebte Freizeitbeschäftigung für junge Menschen war der Kinobesuch – doch war ein solcher meistens nur in größeren Städten möglich. Zwar lebten Anfang der 1930er Jahre mehr als dreißig Prozent der Deutschen in Großstädten, aber immer noch ein Drittel auf dem Land, wo es in der Regel weder ein Theater noch eine Tätigkeit als Angestellte im Kontor für junge Frauen gab. Die neuen Arbeitsmöglichkeiten für junge Frauen entstanden in urbanen Zentren und dort auch nur in einigen industriellen Bereichen sowie in Handel und Verwaltung. Die Mehrheit aller Frauen fand weiterhin Beschäftigung als "mithelfende Familienangehörige" im Geschäft des Mannes oder Vaters in Stadt und Land.

Gegenüber der Vorkriegszeit absolvierten jedoch mehr Mädchen aus dem Arbeitermilieu eine Berufsausbildung, und in wohlhabenden Familien erwarben Mädchen zunehmend nicht nur höhere Bildungsabschlüsse, sondern entschieden sich auch, ein Studium aufzunehmen. Damit waren junge Frauen verstärkt auch in der städtischen Öffentlichkeit sichtbar – allein und auf dem Weg zur Arbeit, zur Universität, ins Kino oder im Café. Auch stieg der Anteil von Frauen in Sportvereinen signifikant, vor allem im Bereich Gymnastik und Leichtathletik.

Der erweiterte Handlungsraum gerade für junge Frauen spiegelte sich in der Mode der Zeit wider, den kürzeren, leichteren Kleidern sowie sportlichen Kurzhaarfrisuren. Und auch die Medien verbreiteten Bilder von erfolgreichen, selbstständigen, aber auch umstrittenen Frauen, seien es bekannte Politikerinnen wie Gertrud Bäumer oder Katharina von Kardorff-Oheimb, Künstlerinnen wie die Tänzerinnen Josephine Baker und Valeska Gert, die Schauspielerin Marlene Dietrich oder die Kabarettistin Claire Waldoff. In den Großstädten, vor allem in Berlin, entwickelten sich erstmals eigene Frauenlokale jenseits des klassischen Clubs der Frauenvereine, in denen sich lesbische Frauen trafen und ganz nach eigenen Wünschen ihre Freizeit gestalteten.

Doch sollte das medial weitverbreitete Bild der "neuen Frau" nicht darüber hinwegtäuschen, dass die große Mehrheit der Frauen ihre Individualität nur in den Grenzen der sozialen und geschlechtsspezifischen Möglichkeiten leben konnte. In Ausbildung, Beruf, Familie und auch in der Freizeit waren Frauen weiterhin nur "grundsätzlich" gleichberechtigt. Aber immer mehr Frauen hofften, in einer Zeit zu leben, die ihnen Selbstverwirklichung und Verantwortung für das eigene Leben ermöglichen würde. Eine Zeitgenossin sah genau in dieser Hoffnung das zentrale Merkmal der "neuen Frau": "Die Frau von heute ist also keine künstlich gewollte Erscheinung, aus bewußter Ablehnung gegen ein bestehendes System konstruiert, sie ist vielmehr organisch mit der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der letzten Jahrzehnte verwachsen. Ihre Aufgabe ist es, dem Gedanken der Gleichberechtigung der Frau auf allen Lebensgebieten die Wege zu bahnen."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Eberhard Kolb/Dirk Schumann, Die Weimarer Republik, München 20138. Zur öffentlichen Erinnerung und wissenschaftlichen Erforschung der Weimarer Republik siehe auch die Beiträge von Franka Maubach, Jörn Leonhard und Ursula Büttner in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  2. Vgl. Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939, Göttingen 2005; Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 19975.

  3. Vgl. Claudia Opitz, Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen 2005; Kirsten Heinsohn, Parteien und Politik in Deutschland. Ein Vorschlag zur historischen Periodisierung aus geschlechterhistorischer Sicht, in: Gabriele Metzler/Dirk Schumann (Hrsg.), Geschlechter(un)ordnung und Politik in der Weimarer Republik, Bonn 2016, S. 283–286.

  4. Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt/M. 1987, S. 106.

  5. Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt/M. 1986, S. 198.

  6. Vgl. Helen Boak, Women in the Weimar Republic, Manchester–New York 2013, S. 293.

  7. Vgl. Metzler/Schumann (Anm. 3).

  8. Vgl. Katharina von Ankum (Hrsg.), Frauen in der Großstadt. Herausforderung der Moderne?, Dortmund 1999; Hanna Vollmer-Heitmann, Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Die zwanziger Jahre, Hamburg 1993.

  9. Siehe auch den Beitrag von Dirk Schumann in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  10. Vgl. Birthe Kundrus, Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik, in: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt/M.–New York 2002, S. 171–187.

  11. Vgl. Frevert (Anm. 5), S. 150–155; Boak (Anm. 6), S. 137–164.

  12. Angelika Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848–1933, Darmstadt 2006.

  13. Vgl. dazu und im Folgenden Susanne Rouette, Sozialpolitik als Geschlechterpolitik. Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt/M. 1993, S. 92–170.

  14. Vgl. Boak (Anm. 6), S. 76–82.

  15. Vgl. Walter Graef, Der Werdegang der Deutschnationalen Volkspartei 1918–1928, in: Max Weiß (Hrsg.), Der nationale Wille, Berlin 1928, S. 20.

  16. Vgl. Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 2012, S. 131–141; Hans-Jürgen Arendt/Sabine Hering/Leonie Wagner, Nationalsozialistische Frauenpolitik vor 1933. Dokumentation, Frankfurt/M. 1995.

  17. Vgl. Julia Sneeringer, Winning Women’s Votes. Propaganda and Politics in Weimar Germany, Chapel Hill 2002.

  18. Vgl. zusammenfassend dazu Boak (Anm. 6), S. 82–88.

  19. Vgl. Karen Hagemann, Frauenalltag und Männerpolitik. Alltagsleben und gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen in der Weimarer Republik, Bonn 1990, S. 552–583.

  20. Vgl. Heide-Marie Lauterer, Parlamentarierinnen in Deutschland 1918/19–1949, Königstein/Ts. 2002, S. 120–151.

  21. Vgl. Heinsohn (Anm. 3).

  22. Vgl. Arendt/Hering/Wagner (Anm. 16), S. 85.

  23. Vgl. Ute Gerhard, Grenzziehungen und Überschreitungen. Die Rechte der Frauen auf dem Weg in die politische Öffentlichkeit, in: dies. (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 509–546, hier S. 544.

  24. Verhandlungen des Reichstages, Bd. 368, Anlagen, Berlin 1924, S. 2534.

  25. Vgl. Dirk Blasius, Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1992.

  26. Vgl. Boak (Anm. 6), S. 254–291.

  27. Vgl. Ilse Kokula, Freundinnen. Lesbische Frauen in der Weimarer Zeit, in: Kristine von Soden/Maruta Schmidt (Hrsg.), Neue Frauen. Die zwanziger Jahre, Berlin 1988, S. 160–166.

  28. Vgl. Moritz Föllmer, Auf der Suche nach dem eigenen Leben. Junge Frauen und Individualität in der Weimarer Republik, in: ders./Rüdiger Graf (Hrsg.), Die "Krise" der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt/M. 2005, S. 287–318.

  29. Elsa Hermann, So ist die Neue Frau, Hellerau 1929, S. 43.

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ist stellvertretende Direktorin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Privatdozentin am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Frauen- und Geschlechtergeschichte, Jüdische Geschichte sowie Geschichte Hamburgs. E-Mail Link: heinsohn@zeitgeschichte-hamburg.de