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Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen? | Wohnungslosigkeit | bpb.de

Wohnungslosigkeit Editorial Was bedeutet es, zu wohnen? Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen? Wohnungslosigkeit in Deutschland aus europäischer Perspektive Eine Geschichte der Obdachlosigkeit im 19. und 20. Jahrhundert "Unangenehm", "arbeitsscheu", "asozial". Zur Ausgrenzung von wohnungslosen Menschen Wohnungslosigkeit als heterogenes Phänomen. Soziale Arbeit und ihre Adressat_innen "Eine lange Bank in der Fußgängerzone – das ist ein gutes Zeichen" - Interview

Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen?

Michael Krennerich

/ 14 Minuten zu lesen

Als Teil des Rechts auf angemessenen Lebensstandard ist das right to housing bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert. Auch im Wohlfahrtsstaat Deutschland ist der Bezug auf das Menschenrecht nötig und sinnvoll.

Im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes (GG) findet sich über den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung hinaus kein ausdrücklicher Bezug aufs Wohnen. Die Väter und Mütter des GG waren der Ansicht, dass einklagbare soziale Grundrechte in der Verfassung nicht verankert werden sollten. Dahinter stand das Verständnis, dass soziale Menschenrechte vor allem Leistungsrechte seien und es dem demokratischen Gesetzgeber vorbehalten sein sollte, die Sozialpolitik auszugestalten. Versuche, das Wohnen als Grundrecht oder – wie es Bündnis 90/Die Grünen und SPD in der Gemeinsamen Verfassungskommission nach der Wiedervereinigung beantragten – als Staatsziel in das GG aufzunehmen, scheiterten allesamt. Noch am Ende der vergangenen Legislaturperiode des Bundestags brachte die Fraktion Die Linke erfolglos einen anspruchsvollen Gesetzesentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte in das GG ein, der unter anderem folgenden Artikel vorsah: "(1) Jeder Mensch hat das Recht auf eine menschenwürdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf Versorgung mit Wasser und Energie. Die Miete muss einkommensgerecht sein. (2) Der Staat sorgt für Mieterschutz und gleicht Miet- und Wohnbelastungen aus. Er sichert den Zugang zu Wasser und Energie. (3) Die Räumung von Wohnraum ist unzulässig, wenn kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird."

Ohne verfassungsmäßigen Schutz sind die sozialen Menschenrechte in Deutschland dennoch nicht. Aus der Menschenwürdegarantie in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des GG ergibt sich ein Regelungs- und Gestaltungsauftrag für die Politik. So ist zwingend geboten, dass der Staat die Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichert. Das zu garantierende "Existenzminimum" umfasst auch das Wohnen. Entsprechende Ansprüche verankert und konkretisiert das Sozialrecht. Es sieht etwa – prinzipiell einklagbare – Zuschüsse für angemessene Wohnung, Wohngeld und Wohnungshilfen vor. Auch das Antidiskriminierungsrecht und der im internationalen Vergleich robuste Mietrechtsschutz enthalten einschlägige Schutzbestimmungen, die vor Gericht geltend gemacht werden können. Selbst das Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer ist relevant, sofern sich daraus ein Unterbringungsanspruch für wohnungslose Menschen ergibt. Auf Grundlage der jeweiligen Zustimmungsgesetze werden zudem internationale Menschenrechtsverträge völkerrechtlich anerkannt und ins innerstaatliche Recht (im Rang eines Bundesgesetzes) einbezogen.

Menschenrecht Wohnen

Als Teil des Rechts auf angemessenen Lebensstandard ist das right to housing bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) von 1966 verankert, der 1976 in Kraft trat. Auch weitere Kernabkommen des UN-Menschenrechtsschutzes enthalten staatliche Pflichten zur Umsetzung des Rechts auf Wohnen. Solche ("objektiven") Staatenpflichten sind zwar nicht gleichbedeutend mit einem individuell einklagbaren ("subjektiven") Rechtsanspruch. Doch erachten die UN-Kontrollausschüsse soziale Menschenrechte inzwischen als hinreichend bestimmbar und grundsätzlich geeignet, um diese auch in Beschwerde- oder Gerichtsverfahren geltend zu machen. Gerade ungerechtfertigte Eingriffe, offenkundiges Untätigsein bei Notlagen oder diskriminierendes Handeln des Staates lassen sich prinzipiell auch (quasi)gerichtlich überprüfen. Indes nehmen deutsche Gerichte kaum auf völkerrechtlich verankerte soziale Menschenrechte Bezug. Auch lässt die Bundesregierung noch keine Individualbeschwerden zum UN-Sozialpakt zu, nicht zuletzt wegen einer diffusen, eher unbegründeten Sorge vor einer Beschwerdeflut. Völlig unstrittig ist jedoch, dass Deutschland völkerrechtlich verpflichtet ist, seinen objektiven Staatenpflichten nachzukommen und das Recht auf Wohnen zu achten, zu schützen und, sofern möglich, fortschreitend zu gewährleisten.

Inhalt des Menschenrechts

Was verbirgt sich hinter dem Menschenrecht auf Wohnen? Inhaltlich wird das Recht in den einschlägigen Menschenrechtsabkommen nicht näher bestimmt. Daher hat der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR), der die Umsetzung des UN-Sozialpaktes überwacht, den inhaltlichen (materiellen) Gehalt des Rechts auf Wohnen und die sich daraus ergebenden Staatenpflichten in allgemeinen Kommentaren und bei der Überprüfung von Staatenberichten konkretisiert. Daran knüpfen weitere internationale und regionale Menschenrechtsorgane an. Seit 2000 gibt es sogar eigens eine UN-Sonderberichterstattung zum Menschenrecht auf Wohnen.

Das Menschenrecht auf Wohnen fordert, erstens, dass hinreichend Wohnraum, inklusive der notwendigen Infrastrukturen wie Strom und Wasser, verfügbar sein soll. Ungeachtet der Form der Unterkunft soll, zweitens, allen Menschen der rechtliche wie faktische Schutz vor staatlichen und privaten Eingriffen in ihren Wohnraum gewährt werden. Der Schutz bezieht sich nicht nur auf Wohneigentum und -miete, sondern auch auf Not- und Flüchtlingsunterkünfte sowie auf informelle Siedlungen. Über das Recht auf Wohnsitzfreiheit hinaus muss, drittens, der Zugang zu Wohnraum prinzipiell allen offenstehen und darf nicht bestimmten Gruppen in diskriminierender Weise vorenthalten werden. Auch sollen die Unterkünfte bezahlbar sein, ohne dass andere Grundbedürfnisse darunter leiden. Der Wohnraum soll, viertens, Mindestbedingungen an Bewohnbarkeit, Gesundheit und Sicherheit erfüllen und der kulturell bedingten Vielfalt des Wohnens Rechnung tragen. Völkerrechtlich gesehen, trägt der Staat die Hauptverantwortung für die Umsetzung des Menschenrechts (wobei es keine Rolle spielt, wie die Kompetenzen innerhalb des jeweiligen Staates verteilt sind).

Entgegen landläufiger Missverständnisse ist das Menschenrecht auf Wohnen nicht nur ein Leistungsrecht; ihm kommt auch eine Abwehr- und Schutzfunktion zu. Der Staat darf die Menschen nicht an der Ausübung ihres Rechts auf Wohnen hindern (Achtungspflichten) und muss diese zugleich vor nichtstaatlichen Eingriffen in ihre Rechte schützen (Schutzpflichten). So dürfen staatliche Organe beispielsweise Menschen nicht willkürlich aus ihren Unterkünften vertreiben – oder zulassen, dass dies andere tun. Ebenso müssen sie diskriminierende oder andere Praktiken unterlassen oder unterbinden, in deren Folge bestimmten Bevölkerungsgruppen der Zugang zu angemessenem Wohnraum verwehrt oder erschwert wird. Auch der Schutz vor wüsten Spekulationen mit Land und Wohnraum fällt unter die Schutzpflichten des Staates. Zugleich ist der Staat gefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen ihr Recht auf Wohnen tatsächlich nutzen können (Gewährleistungspflichten). Im Rahmen seiner Möglichkeiten sollen Maßnahmen ergriffen werden, um fortschreitend die Verfügbarkeit angemessenen öffentlichen und/oder privaten Wohnraums sicherzustellen und die prekäre Wohnsituation gerade bedürftiger und benachteiligter Menschen zu verbessern. Auch muss der Staat für die Unterbringung in Not geratener Personen sorgen.

Globale Brisanz

Die Brisanz des Rechts auf Wohnen erschließt sich rasch im globalen Maßstab. Das Menschenrecht nimmt das Wohnelend jener unzähligen Menschen weltweit in den Blick, die über keine angemessene Unterkunft verfügen und vielfach in Armutsvierteln, informellen Siedlungen oder unter anderen prekären und menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Zugleich geht es beispielsweise um die vielen Menschen, denen der Zugang zu angemessenem Wohnraum verwehrt wird. Das können Frauen sein, die in einigen Staaten Land und Wohnraum weder erben noch eigenständig (ver)kaufen oder nutzen dürfen, oder auch all jene, die aufgrund ihrer sozialen Lage oder ethnischen Herkunft massive Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt erfahren. Ein extremes Beispiel waren ehedem die "schwarzen" Homelands und die rassistisch getrennten Wohngebiete während der südafrikanischen Apartheid. Besondere menschenrechtliche Aufmerksamkeit gebührt zudem den Abermillionen Menschen, die vertrieben werden, und zwar nicht nur durch Kriege und Konflikte, sondern beispielsweise auch – ohne hinreichend informiert, konsultiert und entschädigt zu werden – durch Stadtentwicklungsprogramme, Baulanderschließungen, Grundstücks- und Immobilienspekulationen, Infrastrukturmaßnahmen oder auch im Vorfeld politischer oder sportlicher Großereignisse.

Handlungsbedarf in Deutschland

Angesichts des unfassbaren Wohnelends weltweit mögen die Wohnprobleme in Deutschland vorderhand nachrangig anmuten. Doch auch hierzulande lässt sich Handlungsbedarf ausmachen, um das Menschenrecht auf Wohnen umfassend zu achten, zu schützen und möglichst umfänglich zu gewährleisten.

Wohnungslosigkeit

International besteht keine einheitliche Erfassung von Wohnungslosigkeit. Über Obdachlose, die auf der Straße leben, hinaus werden in den allermeisten OECD-Staaten auch solche Menschen erfasst, die sich in Wohnungslosen- oder Notunterkünften befinden. Oft gelten auch Menschen, die mangels eigener Wohnung in non-conventional dwellings oder bei Familien und Freunden wohnen, als wohnungslos. Eher selten werden Insassen von Institutionen (Gesundheitseinrichtungen, Gefängnisse) dazu gezählt, die über keine eigene Wohnung verfügen. Je nach Definition und Erhebung variiert der Anteil der Wohnungslosen an der Bevölkerung, liegt aber in OECD-Staaten offiziell unter einem Prozent – was in absoluten Zahlen dennoch eine beachtliche Anzahl an Menschen ist.

In Deutschland gibt es, im Gegensatz zu etlichen anderen europäischen Ländern, keine offizielle, bundesweite Statistik zur Zahl der Menschen, die ohne vertraglich abgesicherten Wohnraum wohnungslos sind oder als Obdachlose auf der Straße leben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) schätzte die Zahl wohnungsloser Menschen hierzulande 2012 auf 284000 und 2016 bereits auf 420000 Personen. Zusätzlich geht sie von etwa 440000 anerkannten Flüchtlingen aus, die noch keine eigene Wohnung haben (und beispielsweise noch in Gemeinschaftsunterkünften leben). Diese bezieht die BAG W seit Neuestem in ihre Wohnungslosenstatistik ein, woraus sich eine Gesamtzahl von 860000 Menschen ohne eigene Wohnung ergibt. Von den geschätzten 420000 wohnungslosen Menschen, die keine anerkannten Flüchtlinge sind, leben der BAG W zufolge rund 52000 Menschen, darunter viele aus osteuropäischen EU-Staaten, ohne jede Unterkunft auf der Straße. Die übrigen kommen meist bei Bekannten oder Verwandten, in behelfsmäßigen Unterkünften oder in Not- und Hilfseinrichtungen unter.

Selbst eingedenk der methodischen Probleme solch komplexer Schätzungen ist offenkundig: Der Staat, vom Bund bis zu den Kommunen, steht menschenrechts- und sozialpolitisch in der Verantwortung, Wohnungsnothilfe zu leisten und Maßnahmen zu verstärken, um Wohnungsverluste zu vermeiden und wohnungslose Menschen wieder mit eigenen Wohnungen zu versorgen. Denn Wohnungslosigkeit ist eine soziale Notlage und beeinträchtigt ein ganzes Bündel an Menschenrechten (wie Wohnen, Privatsphäre, Schutz der Familie). Dabei hat sich gerade in größeren Städten ein vielfältiges Hilfesystem herausgebildet, das von Streetwork und "Wärmestuben" bis hin zu kurz-, mittel- oder langfristigen Unterbringungen reicht. Die Ausdifferenzierung der Hilfe ist bereits deswegen nötig, weil wohnungslose Menschen keine einheitliche Gruppe darstellen und sich oft in komplexen Problemlagen befinden. Besonderer menschenrechtlicher Schutzbedarf besteht im Falle obdach- oder wohnungsloser Jugendlicher.

Wohnkosten und Wohnungsnot

Wohnen ist in Deutschland für eine wachsende Zahl an Menschen kaum mehr bezahlbar, ohne dass andere Grundbedürfnisse (wie Ernährung, Gesundheit) darunter leiden. Laut der European Federation of National Organisations Working with the Homeless (FEANTSA) wendet hierzulande etwa die Hälfte der als "arm" klassifizierten Haushalte mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen auf. Es gebe nur zwei EU-Länder, namentlich Bulgarien und Griechenland, in denen arme Haushalte noch stärker durch Wohnkosten überlastet seien. In der Marktlogik gedacht, ist für die wachsende Wohnungsnot nicht zuletzt der extreme Mietpreisanstieg gerade in Ballungsgebieten sowie das unzureichende Angebot an preiswertem Wohnraum verantwortlich, während zugleich viele Haushalte nur über ein niedriges Einkommen verfügen.

Das Menschenrecht auf Wohnen schreibt den Staaten zwar nicht vor, was sie konkret zu tun haben, um die menschenrechtlich geforderte Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von bezahlbarem Wohnraum zu gewährleisten. Aber den Schutz vor Mietwucher und massiven Mietpreisanstiegen umfasst das Menschenrecht auf Wohnen schon, zumal dann, wenn der Zugang zu Wohnraum gefährdet ist. Die in Deutschland eingeführte "Mietpreisbremse" scheint indes kaum zu greifen. Problematisch sind auch Stromsperrungen, die gerade "Menschen in Problemlagen" hart treffen können. Zugleich liegt es auf der Hand, dass der rigorose Ausverkauf öffentlicher Wohnungsbestände sowie die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus in der jüngeren Vergangenheit der Umsetzung des Rechts auf Wohnen nicht zuträglich waren.

Eine gewaltige Herausforderung ist nun, die begangenen wohnungspolitischen Fehler zu revidieren. Dazu gehören der Erhalt noch bestehender Wohnungsbestände zu sozial verträglichen Mietpreisen sowie die Ankurbelung des – geförderten oder frei finanzierten – Neubaus von preiswertem Wohnraum, gerade zur Miete, vor allem in Ballungsgebieten. Die vielfältigen, von Bund, Länder und Kommunen inzwischen ergriffenen Maßnahmen sind, gemessen am Bedarf, gewiss noch zu verstärken. Übergeordnet ist zudem eine konsequente Armutsbekämpfung wichtig. Überlastung durch Wohnkosten und Wohnungsnot treffen vor allem jene, die nicht (mehr) im Arbeitsprozess eingebunden oder im Niedriglohnsektor tätig sind – und zugleich in Ballungsgebieten leben. Radikalere Vorschläge sehen vor, den Wohnungsbestand in Form von kommunalem, gemeinnützigem oder genossenschaftlichem Wohnbesitz dauerhaft "den Verwertungslogiken von Marktakteuren" zu entziehen.

Zwangsräumungen

In Deutschland muss alljährlich eine statistisch nicht dokumentierte Anzahl an Menschen wegen erfolgreicher Räumungsklagen und vollzogener Räumungstitel ihre Wohnung verlassen. Mietrückstände, Mieterverhalten oder Eigenbedarf sind häufige Gründe für fristlose oder ordnungsgemäße Kündigungen, die notfalls zwangsweise vollstreckt werden. Das Menschenrecht auf Wohnen verbietet nicht per se Zwangsräumungen, knüpft diese aber an strenge, rechtsstaatliche Auflagen, die in Deutschland im Großen und Ganzen eingehalten werden. Dennoch können Zwangsräumungen ein Problem darstellen, wenn sie mit Eingriffen auch in andere Menschenrechte (Gesundheit, Schutz der Familie) sowie mit der Gefahr von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit einhergehen, die es zu verhindern gilt. Hier ist zu prüfen, ob gerade in Härtefällen die staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Aufschub von Zwangsräumungen (Mietschuldenübernahmen, Räumungs-, Vollstreckungsschutz) sowie die staatlichen Beratungen und Hilfen zur Vermeidung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit hinreichend sind. Auch sollten Berechnungsgrundlage und Höhe des Wohngeldes für sozial Bedürftige überprüft werden, um Mietrückstände zu vermeiden, aus denen sich Kündigungen ergeben können. Allgemein gilt: Für viele Menschen ist ein wirksamer Kündigungs- und Räumungsschutz existenziell, da sie nur schwerlich eine neue Wohnung zu einer bezahlbaren Miete finden.

Diskriminierung

Nicht-Diskriminierung ist ein grundlegendes menschenrechtliches Prinzip, das auch für das Recht auf Wohnen gilt. Gefordert sind daher effektive Maßnahmen gegen Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt, die auch in Deutschland Alltag sind. Zum einen wirken sich Verschuldungen, Schufa-Einträge, geringe Einkommen, der Bezug öffentlicher Transferleistungen oder auch der Familienstand (etwa bei alleinerziehenden Frauen) negativ bei der Wohnungssuche aus. Zum anderen spielen ausländische Herkunft, ausländisch klingende Namen, die Hautfarbe, fehlende Deutschkenntnisse, ein unsicherer Aufenthaltsstatus sowie ethnisch-kulturelle Zuschreibungen eine Rolle. Auch Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen sind direkten oder indirekten Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) besteht zwar eine zivilrechtliche Handhabe, um gegen Diskriminierungen auf dem privaten Wohnungsmarkt vorzugehen. Doch kann das AGG – schon gar unter den Bedingungen von Wohnungsknappheit – Diskriminierungen kaum vermeiden, zumal es auch einige Schwächen aufweist: Es erfasst nur bestimmte Diskriminierungstatbestände und lässt eine unterschiedliche Behandlung von Menschen zur Schaffung und Erhaltung "sozial stabiler Wohnstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse" zu – was der UN-Antirassismus-Ausschuss (CERD) verschiedentlich kritisierte.

Barrierefreies Wohnen

Die UN-Behindertenrechtskonvention zielt darauf, dass alle Menschen mit Behinderungen das Recht und die Möglichkeit haben, gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft zu leben. Dazu gehört auch, dass sie selbst bestimmen, wo, wie und mit wem sie wohnen – und dass sie nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Obwohl im Bereich des ambulant unterstützten Wohnens seither einiges geschehen ist, forderte der UN-Behindertenrechtsausschuss Deutschland 2015 auf, soziale Assistenz und ambulante Dienste in der Gemeinde auszubauen, um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Zugleich hat der Staat darauf hinzuwirken, dass ausreichend seniorengerechter und barrierefreier Wohnraum zu bezahlbaren Mieten geschaffen wird. Hier besteht – selbst in Gegenden mit allgemeinem Wohnungsüberhang – noch ein großer Mangel, der aufgrund der demografischen Entwicklung absehbar zunehmen wird. Der Wohnungsmarkt und die Wohnungspolitik müssen sich dringend auf eine wachsende Anzahl pflegebedürftiger Mieter und Mieterinnen mit kleinen Renten einstellen.

Flüchtlingsunterkünfte

Dass angesichts hoher Flüchtlingszahlen viele Asylsuchende in den Jahren 2015 und 2016 in provisorischen Unterkünften unter prekären Bedingungen leben mussten, braucht nicht eigens ausgeführt zu werden. Immerhin konnte so die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen vermieden werden, die teils in anderen europäischen Staaten zu beklagen war (und ist). Es stellt sich die Frage, ob mit abnehmenden Flüchtlingszahlen nunmehr die reguläre Unterbringung menschenrechtskonform ausgestaltet ist. Abgesehen davon, dass bundesweit verbindliche Mindeststandards für Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünfte fehlen, stoßen lange Unterbringungspflichten in großen Sammelunterkünften auf Kritik, da diese menschenrechtliche Freiräume, allen voran das Recht auf Privatsphäre, beschränken, kein familien- und kindgerechtes Umfeld bieten und gesellschaftliche Teilhabe erschweren. Dies gilt insbesondere für die dauerhafte (Sonder-)Unterbringung von Asylsuchenden aus "sicheren Herkunftsstaaten" und von jenen mit "geringer Bleibeperspektive" in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren, wie dies teilweise in Bayern geschieht und im Koalitionsvertrag vage für das übrige Deutschland vorgesehen ist. Zugleich sind Flüchtlinge vor Gewalt zu schützen, sowohl innerhalb von Unterkünften als auch "von außen". Die Bundesregierung listet für 2017 insgesamt 1906 Straftaten gegen Flüchtlinge (und 132 gegen Hilfsorganisationen und ehrenamtliche Helfer und Helferinnen) sowie 313 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte auf. Unter die Delikte fallen neben Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch und Volksverhetzung unter anderem auch Brandstiftung, Sprengstoffanschläge und schwere Körperverletzungen.

Aus dem Gesagten ergeben sich gleich mehrere menschenrechtspolitische Forderungen: erstens, Menschen, sofern und sobald wie möglich, nicht in großen Sammelunterkünften unterzubringen; zweitens, die bestehenden Unterkünfte so menschenrechtskonform wie möglich auszugestalten; drittens, Flüchtlinge und ihre Unterkünfte angemessen zu schützen. Es bleibt zu erwähnen, dass Wohnsitzauflagen für international Schutzberechtigte massive Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit und die freie Wahl des Wohnsitzes darstellen, die laut Europäischem Gerichtshof ohne eine integrationspolitische Begründung nicht zulässig sind und auf menschenrechtliche Kritik stoßen.

Impulse

Ist in einem ausgebauten Wohlfahrtsstaat wie Deutschland der Bezug auf ein Menschenrecht auf Wohnen nötig und sinnvoll? Gewiss, denn anhand der Menschenrechte lassen sich in dem – für die Menschenwürde so wichtigen – Bereich des Wohnens bestehende Schutzlücken, Problemlagen, Handlungserfordernisse und Verbesserungsmöglichkeiten erkennen. Als wichtiger Maßstab dient dabei der offene, diskriminierungsfreie und bezahlbare Zugang zu angemessenem Wohnraum, dessen Verfügbarkeit und Nutzung zu gewährleisten und zu schützen ist. Gegenläufigen, ausgrenzenden Tendenzen ist entschieden entgegenzusteuern. Der Rekurs auf das Menschenrecht auf Wohnen und damit verbundene Staatenpflichten verleiht entsprechenden gesellschaftspolitischen Forderungen zusätzlich Schubkraft und Legitimität. Verstärken ließe sich dieser Effekt, wenn die Gerichte völkerrechtlich verankerte soziale Menschenrechte umfassender berücksichtigen würden. Politik und Rechtsprechung täten gut daran, diese Impulse aufzugreifen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zwar findet sich ein Recht auf Wohnen, teils als Staatsaufgabe beziehungsweise Staatsziel formuliert, in einigen Landesverfassungen; es erlangte dort aber kaum rechtspraktische Bedeutung. Selbst der scheinbar strikt formulierte Anspruch in der bayerischen Verfassung ("Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung") wurde durch das Bayerische Verfassungsgericht zurückgestutzt.

  2. Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 12/6000, 5.11.1993, S. 76.

  3. BT-Drs. 18/10860, 17.1.2017, S. 6.

  4. Im Falle anderer Staaten prüfte der UN-Ausschuss die wenigen Beschwerden bislang mit der gebotenen Zurückhaltung. Kritisch hingegen Christian Tomuschat, Wohlfahrtsziele auf Weltebene. Das Recht auf Wohnung in der Rechtsprechung nach dem UN-Sozialpakt, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 5–8/2018, S. 121–126.

  5. Vgl. Michael Krennerich, Der UN-Sozialpakt und sein Zusatzprotokoll, in: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 3/2017, S. 13–21.

  6. CESCR/E/1992/23, 19.12.1991; CESCR E/1998/22, 20.5.1997, Anhang IV.

  7. Einführend: Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR)/UN-Habitat, The Right to Adequate Housing, Geneva–New York, 2009; Amnesty International, Haki Zetu. ESC Rights in Practice: The Right to Adequate Housing, Amsterdam 2010; Michael Krennerich, Soziale Menschenrechte, Schwalbach/Ts. 2013.

  8. Dem United Nations Human Settlements Programme (UN-Habitat) zufolge lebt ein Viertel der städtischen Bevölkerung weltweit in "Slums", Externer Link: https://unhabitat.org/urban-themes/housing-slum-upgrading.

  9. Vgl. UN-Habitat/OHCHR, Forced Evictions, New York–Geneva 2014.

  10. Vgl. Externer Link: http://www.oecd.org/social/affordable-housing-database.htm.

  11. Unter den Bundesländern erfasst beispielsweise Nordrhein-Westfalen wohnungslose Personen. Vgl. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, Integrierte Wohnungsnotfall-Berichterstattung 2016 in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2016.

  12. Vgl. Susanne Gerull, Wohnungslosigkeit in Deutschland, in: APuZ 20–21/2014, S. 30–36, hier S. 31.

  13. Vgl. BAG W, Pressemitteilung, 14.11.2017.

  14. Vgl. Gerull (Anm. 12).

  15. Siehe auch Stefan Gillich/Rolf Keicher (Hrsg.), Suppe, Beratung, Politik. Anforderungen an eine moderne Wohnungsnotfallhilfe, Wiesbaden 2016.

  16. Vgl. etwa Caroline Hoch, Straßenjugendliche in Deutschland – eine Erhebung zum Ausmaß des Phänomens, Halle 2017.

  17. Vgl. Abbé-Pierre-Foundation/FEANTSA, Third Overview of Housing Exclusion in Europe. Country Profile Deutschland, Paris–Brüssel 2018, Externer Link: http://www.feantsa.org/download/deutschland6457511436966820759.pdf.

  18. Vgl. CESCR/E/1992/23, 19.12.1991, Abs. 8c.

  19. Laut Bundesnetzagentur wurden 2016 sechs Millionen Stromsperren angedroht und 328000 vorgenommen. Vgl. Peter Heindl/Verena Liessem, Wen treffen Stromsperren am ehesten?, in: Neue Caritas 21/2017, Externer Link: http://www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2017/artikel/wen-treffen-stromsperren-am-ehesten.

  20. Andrej Holm, Wiederkehr der Wohnungsfrage, in: APuZ 20–21/2014, S. 25–30, hier S. 29.

  21. Vgl. etwa Laura Berner et al., Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems. Eine Fallstudie in Berlin, Berlin 2017.

  22. Eine gerichtlich angeordnete Zwangsräumung, die in der kurzfristigen Obdachlosigkeit einer vierköpfigen Familie in Madrid mündete, erachtete beispielsweise der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als eine Verletzung des Rechts auf Wohnens. Vgl. E/C.12/61/D/5/2015, 21.7.2017.

  23. Vgl. etwa Urban plus, Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt: Interventionsmöglichkeiten in Berlin. Gutachten im Auftrag der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung im Land Berlin, Berlin 2017.

  24. Zuletzt: CERD/C/DEU/CO/19-22, 30.6.2015, Abs. 17.

  25. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Selbstbestimmt wohnen. Zur Situation von Menschen mit Behinderung, Berlin 2017.

  26. Vgl. Hendrik Cremer, Menschenrechtliche Verpflichtungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen, Berlin 2014.

  27. Unverbindliche "Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften" wurden 2016 und 2017 – auf Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und UNICEF – von Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen ausgearbeitet.

  28. Scharfe Kritik daran äußern etwa der Bayerische Flüchtlingsrat und Pro Asyl.

  29. Vgl. etwa Heike Rabe, Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften, Berlin 2015.

  30. Vgl. BT-Drs. 19/889, 23.2.2018.

  31. Vgl. Michael Krennerich, Internationale soziale Menschenrechte als Maßstab für den Umgang mit Asylsuchenden, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2016, S. 95–103.

  32. Vgl. BT-Drs. 19/1608, 11.4.2018. Vgl. auch die Presseerklärungen vom Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen Migration und Integration vom 16.2.2016 sowie, weit kritischer, vom Deutschen Institut für Menschenrechte vom 15.3.2016.

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PD Dr. Michael Krennerich ist habilitierter Hochschullehrer am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg und leitender Herausgeber der "Zeitschrift für Menschenrechte" (zfmr).

E-Mail Link: michael.krennerich@fau.de