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Die "Desorganisation" der Tiger Die neue Phase wirtschaftlicher Modernisierung in Südkorea und Taiwan

Markus C. Pohlmann

/ 23 Minuten zu lesen

Die asiatischen Schwellenländer befinden sich heute in einer zweiten großen Modernisierungsphase ihrer Wirtschaften. Dabei reagieren sie länderspezifisch auf die globalen Herausforderungen.

Einleitung

Traditionelle Werte, Organisations- und Netzwerkformen sind in den asiatischen Schwellenländern in den vergangenen Jahren massiv in Frage gestellt worden. Die asiatische Finanzkrise hat das Ende der Tycoons und der "old bamboo networks" eingeläutet. Zwar hat die Wirtschaftsentwicklung in den so genannten Tigerökonomien - Südkorea, Hongkong, Taiwan und Singapur - die Gestalt einer V-Kurve angenommen, das heißt, nach drastischen Einbrüchen bestimmt eine starke Erholungsdynamik die ökonomische Entwicklung. Aber mit der einsetzenden ökonomischen Erholung hat sich die Situation nicht entspannt. Vielmehr gibt es in den Tigerökonomien so viele weitreichende Reformen der politischen und ökonomischen Strukturen wie noch nie zuvor. Auf die Krise folgte also keine ruhige Konsolidierungsphase, sondern eine unruhige Restrukturierungsphase. Neue Strukturen sollen eine zweite Finanzkrise von ähnlich dramatischem Ausmaß in Zukunft unmöglich machen. Aber hinter dieser Unruhe steckt noch mehr. Auf der einen Seite suchen die ostasiatischen Gesellschaften nach eigenen Wegen der Modernisierung, nach eigenen Wegen ins Zentrum der Weltwirtschaft. Auf der anderen Seite ist der interne Druck in Richtung auf eine weitere "Verwestlichung" der Ökonomie mit der Finanzkrise stark gewachsen. Damit ist die Vorstellung verbunden, von den westlichen Industrieländern zu lernen, ohne jedoch deren Fehler kopieren zu müssen. Insbesondere in Bezug auf die Unternehmens- und Netzwerkformen stellt sich nun die Frage, ob der "crony capitalism" tatsächlich am Ende ist und was an dessen Stelle rücken könnte.

Seit den neunziger Jahren befinden sich die asiatischen Tigerökonomien jedenfalls in einer Übergangsperiode. Diese findet ihren Ausdruck in der sich sehr unterschiedlich auswirkenden asiatischen Finanzkrise und in den Restrukturierungsbemühungen nach der Krise, die hier am Beispiel von Südkorea und Taiwan genauer analysiert werden sollen.

Die Besonderheiten und Unterschiede in der Entwicklung der asiatischen Schwellenländer zeigen sich gerade auch in der zweiten großen Modernisierungsphase der Nachkriegszeit, deren Gestaltung eine der zentralen Herausforderungen der Tigerökonomien ist. Eingeläutet wurde diese zweite Phase der ökonomischen Modernisierung durch das Zusammenwirken dreier globaler Trends:

Erstens traf die dritte globale Welle der Demokratisierung die asiatischen Schwellenländer mit einiger Wucht. Die Folge war eine Wandlung der Institutionen der "autoritären Entwicklungsstaaten". Mit den 1987 einsetzenden Studenten- und Arbeiterunruhen und dem damit einhergehenden politischen Wandel vom autoritären Regime hin zur Demokratie gerieten die nationalen Entwicklungsmodelle Südkoreas und Taiwans ins Wanken. Dem organisierten Wirtschaftsmodell mit langen Arbeitszeiten, geringen Löhnen und subordinierten Verbänden - den "repressive labor systems" - wurde ebenso die Legitimation entzogen wie dem autoritären Entwicklungsstaat.

Zweitens setzte sich die weltweite Bildungsexpansion in den ostasiatischen Schwellenländern mit besonderer Dynamik fort. Dies hatte einen rasanten sozialstrukturellen Wandel zur Folge: Neue soziale Schichten gewannen an Bedeutung, die mit veränderten Werthaltungen und Ansprüchen vom bisherigen Entwicklungspfad abwichen. Dies kam seit 1987 u.a. in Studenten- und Arbeiterunruhen, aber auch in der Etablierung "demokratischer" und "autonomer" Gewerkschaften zum Ausdruck.

Drittens erschütterte der Wandel in der internationalen Arbeitsteilung die weltwirtschaftliche Position beider Ökonomien. Die zunehmende Konkurrenz von unten (von der vierten Generation der asiatischen Niedriglohnländer) und von oben (von den Zentrumsproduzenten) stellte ihre Rolle als Schwellenökonomien immer mehr in Frage.

Die nachhaltige Veränderung der politischen und ökonomischen Institutionen sowie der sozialen Beziehungen hat in den neunziger Jahren dafür gesorgt, dass der alte Modernisierungspfad und mit ihm die erfolgreichen Wirtschafts- und Organisationsmodelle der Tigerökonomien nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. Zum ersten Mal seit Beginn des politischen Transformationsprozesses Mitte der achtziger Jahre zeichnet sich nun eine grundlegende Desorganisation der Wirtschaftsmodelle aus der "Gründerzeit" ab - wenn auch mit steten restaurativen Gegenbewegungen. Die asiatischen Schwellenländer befinden sich nach der Finanzkrise, so meine These, an einer Wegscheide ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Diese lässt sich in dreifacher Weise fassen als Spannungsverhältnis zwischen

modernisierten familialen Unternehmensformen und solchen, in denen ein extern rekrutiertes Management die Regie übernimmt;

der Aufrechterhaltung der neotraditionalen Arrangements eines erneuerten Wachstumspakts und einem neuen, stärker formalisierten Sozialpakt und

der staatlichen Restauration der korporatistischen Erfolgsmodelle der Wirtschaften oder ihrer staatlich induzierten "Desorganisation".

Bei dieser zweiten Modernisierungsphase handelt es sich aber um eine "nachholende Modernisierung" nach westlichem Vorbild. Vielmehr reagieren die asiatischen Schwellenländer mit je pfadspezifischen Gestaltungsformen auf globale Herausforderungen.

Die asiatische Finanzkrise, die Südkorea bis ins Mark getroffen und Taiwan zunächst vergleichsweise unberührt gelassen hat, verdeutlicht, dass sich hinter dem Etikett der "vier kleinen Tiger" ganz unterschiedliche ökonomische Entwicklungspfade verbergen. Die vier kleinen Tiger, so kann man mit Bruce Cumings formulieren, bewegen sich in einem ähnlichen geopolitischen und geo-ökonomischen Kontext auf unterschiedlichen Pfaden. Sie durchlaufen zwar vergleichbare Stationen der Modernisierung in ähnlicher Geschwindigkeit, aber ihre ökonomische Entwicklung ist sehr unterschiedlich.

Ich möchte im Folgenden zeigen, dass die unterschiedlichen Systeme des "organisierten Kapitalismus" in Südkorea und Taiwan in den neunziger Jahren langsam - und zwar viel langsamer, als es die eruptive Dynamik der politischen Transformation seit Mitte der achtziger Jahre vermuten lässt - desorganisiert werden. In einer zweiten Modernisierungswelle beginnen sich nach den politischen Modellen auch die Wirtschaftsmodelle nachhaltig zu verändern. Hier sollen insbesondere die Organisations- und Netzwerkformen, also die Mesoebene der Wirtschaftsmodelle, im Vordergrund stehen. Ich werde zeigen, dass der auf den koreanischen Unternehmensgruppen, den Chaebol, und den taiwanesischen Unternehmensnetzwerken lastende Reformdruck von innen, von unten und von oben wächst. "Von innen" gewinnt eine zunehmend starke Expertenschar innerhalb der Unternehmen an Einfluss und verstärkt den Innovationsdruck, der durch die Erschütterung ihrer weltwirtschaftlichen Position ohnehin auf den Firmen lastet. "Von unten" beginnt sich in beiden Schwellenländern eine zweite Arbeitergeneration durchzusetzen und ihre Teilhabe an den industriellen Beziehungen neu zu justieren. Und "von oben" verändert die Reformpolitik der Post-Entwicklungsstaaten zentrale Prämissen ihrer Wirtschaftsstruktur.

Neue Organisationsformen und die Abkehr von einer familial organisierten Wirtschaft

Das Ende der "Gründerzeit" kommt in den Tigerökonomien nicht nur in einem weit reichende Generationswechsel zum Ausdruck; die neue ökonomische Elite trifft nun in den Unternehmen auch auf hoch qualifizierte Mittelschichten, die andere Formen der Beteiligung, der Mitsprache und der Organisations- und Netzwerkbildung präferieren. Die traditionalen Arrangements verlieren an Boden, neue Organisationsformen sind jedoch noch umstritten.

Den aufsteigenden, hoch qualifizierten und urbanen "neuen Mittelklassen" wuchs in den neunziger Jahren in den zunehmend wissensbasierten Organisationen eine Schlüsselrolle zu, die vor dem Hintergrund neotraditionaler Familiendominanz der "Gründerzeit" für enorme Spannungen sorgte. Diese Modernisierungsspannungen waren in Südkorea aufgrund der geschlossenen Elitenstruktur besonders stark ausgeprägt, während sie in Taiwan auf eher sanfte Weise eine Desorganisation des traditionellen Organisations- und Netzwerkmodells der "Gründerzeit" bewirkten. Die für die Modernisierung wichtigen sozialen Schichten sind also in beiden Schwellenländern nicht die Eliten, sondern die neu entstandenen Statusgruppen in der Mittelklasse. Deren Statuszugewinn geht nun in der zweiten großen Modernisierungswelle der Nachkriegszeit mit dem Autoritätsverlust der neuen alten Eliten einher.

In Südkorea hat das Wirtschaftsmodell der hierarchisch organisierten, familial koordinierten Unternehmensgruppen - der so genannten Chaebol - in den neunziger Jahren zunächst seine enorme Prägekraft behalten. Die "New Economic Policy" (NEP) unter der Regierung von Kim Young-Sam (1993 - 1997), die auf einen Abbau staatlicher Regulierung zielte, hatte die Prinzipien der Marktwirtschaft nicht etwa gestärkt, sondern sie de facto unterlaufen. Die Disziplinierung des Großkapitals durch den Staat, so Yeon-Ho Lee und Hyuk-Rae Kim, fiel weitgehend weg, was einen Missbrauch der oligopolistischen Stellung der Großindustrie zur Folge hatte. Und zu den dringend notwendigen Strukturveränderungen der Chaebol kam es auf Grund des fehlenden staatlichen Drucks auch nicht mehr. Vielmehr wurden ineffiziente Unternehmens- und Netzwerkstrukturen mit Hilfe von zu verzerrten Preisen angebotenem, ausländischem Kapital beibehalten. Der hohe Preis, der dafür gezahlt werden musste, war das Durchschlagen der asiatischen Finanzkrise. Am Modell hierarchisch organisierter, familial koordinierter Unternehmensgruppen änderte sich also in den neunziger Jahren nur wenig. Die Kontrollform des familialen Managements blieb ebenso erhalten wie die wechselseitigen Kapitalbeteiligungen und Schuldbürgschaften. Auch das expansive Wachstum der Chaebol setzte sich fort. Erst 1998 und 1999 sahen sich die Top 30 unter ihnen gezwungen, insgesamt 551 Geschäftseinheiten (nicht Unternehmen) als chaebol-unabhängige Unternehmen auszugliedern. Im Jahr 2000 sahen sich die Chaebol dann von der Regierung veranlasst, mehr als die Hälfte des "board of directors" mit externen Managern zu besetzen. Und auch die breite, unverbundene Diversifikation wurde erst während und nach der Krise durch so genannte "business swaps" teilweise zurückgenommen.

Das Festhalten an dem Modell hierarchisch organisierter Unternehmensgruppen in Südkorea ist m.E. auf die Reproduktion der Elitenstruktur der "Gründerzeit" zurückzuführen. Die alten Eliten konnten sich bis zur Restrukturierung im vergangenen Jahr durchgehend auf den Top-Positionen der Chaebol halten. Neun von zehn Präsidenten bzw. Vorstandsvorsitzenden der größten südkoreanischen Unternehmensgruppen sind Gründer oder gehören einer Gründerfamilie an. Die Erwartung, dass mit der Nachfolge der sehr gut (zumeist in den USA) ausgebildeten Generation der Gründersöhne auch neue Handlungsrationalitäten Einzug halten würden, erwies sich in den neunziger Jahren als weitgehend illusionär.

Externe Manager sind zwar nur selten an der Firmenspitze zu finden, dafür aber sehr viel häufiger unterhalb der Vorstandsebene. Auf diese Weise wurden die Chaebol zum Spiegelbild eines sozialstrukturellen Wandels: Alte Eliten stießen auf eine bedeutender werdende Gruppe von leitenden Angestellten und Experten mit anderen Werthaltungen und Ansprüchen. Diese läutete, so meine These, in den neunziger Jahren das Ende der "Gründerzeit" ein. Denn die Manager und Professionals werden nach der Finanzkrise immer mehr zu Schlüsselfiguren der Chaebol, da sie den von außen induzierten Unternehmenswandel vorantreiben. Die jüngeren Generationen in den Unternehmen Südkoreas orientieren sich besonders stark an postmaterialistischen Werten. Dies trug u.a. zu deutlichen Erosionserscheinungen des südkoreanischen Wirtschaftsmodells bei. Aber erst mit der "teilweise radikalen Desorganisation von oben" sind zentrale Säulen des Modells hierarchisch organisierter, familial koordinierter Unternehmensgruppen endgültig ins Wanken geraten.

Während in Südkorea eine vergleichsweise verriegelte Elitenstruktur dafür sorgte, dass der Wertewandel in der Ökonomie in den neunziger Jahren nur selten strukturelle Veränderungen nach sich zog, ermöglichte die offenere Elitenstruktur in Taiwan eine stärkere Anpassung ökonomischer Strukturen an den soziokulturellen Wandel und sorgte auf diese Weise für eine eher "schleichende Desorganisation" des taiwanesischen/chinesischen Wirtschaftsmodells.

Anders als in Südkorea erfolgt die Erneuerung der Führungskräftestruktur in Taiwan sehr viel stärker durch Neugründungen und Unternehmensaufgaben als über deren Zirkulation innerhalb großer Unternehmensgruppen. Die kleinformatigen Unternehmensnetzwerke haben im Gegensatz zu den südkoreanischen Unternehmensgruppen für eine vergleichsweise offene Struktur ökonomischer Eliten gesorgt. Zwar existierten die Klein- und Mittelunternehmen auch in Taiwan in den vergangenen Jahrzehnten im Durchschnitt länger, aber noch im Jahr 2002 bestanden nur 16 Prozent der Klein- und Mittelunternehmen länger als 20 Jahre. In einer Aufstellung des "Economist" zeigte sich, dass der Anteil neu gegründeter Firmen an der gesamten Produktion je nach Branche zwischen 33 Prozent und 50 Prozent betrug und heute nicht mehr bestehende Firmen noch vor zehn Jahren zu 58 Prozent bzw. 80 Prozent (je nach Industriezweig) an der Produktion beteiligt waren.

Die überwiegende Zahl der taiwanesischen Unternehmen befand sich auch in den neunziger Jahren noch im Familienbesitz, Die höchsten Positionen werden vererbt; eine Trennung von Besitz und Kontrolle gibt es selbst bei Großunternehmen nur selten. Häufig bekleiden die Söhne und Brüder der Firmengründer Managementposten in der Firma oder haben eine der Tochterfirmen übernommen. Dennoch lässt sich im Unterschied zu den südkoreanischen Unternehmensgruppen erkennen, dass sich in fast der Hälfte der von mir untersuchten Fälle Eigentümerunternehmen an Stelle von Familienunternehmen etabliert haben und in mehr als der Hälfte der Fälle Manager die Positionen des Vizepräsidenten oder General Managers besetzen. Der Einzug von externen Managern in die Führungspositionen der kleinformatigen taiwanesischen Unternehmensnetzwerke ist damit sehr viel weiter fortgeschritten als bei den Großunternehmen in Südkorea. Dies kann als Indikator für ein deutlich stärkeres Greifen der zweiten Modernisierungswelle in Taiwan gewertet werden.

Das viel beschriebene neotraditionale Modell der kleinformatigen Unternehmensnetzwerke ist nach meinen Ergebnissen nicht mehr die dominante Organisationsform; es hat vielmehr in der zweiten Modernisierungsphase stark professionalisierten Organisationsformen Platz gemacht.

Wie in Südkorea kommt die "neue Mittelklasse" auch in Taiwan nur noch zu einem Fünftel aus der Bauern- oder Arbeiterschicht. Beinahe 60 Prozent besitzen einen Universitätsabschluss und verfügen im Durchschnitt über ein wesentlich höheres Einkommen als die alte, unternehmerische "Mittelklasse". Ihr größtes Engagement gilt - dies ist u.a. Ausdruck von postmaterialistischen Werthaltungen - der Umweltbewegung. Insgesamt ergibt sich das Bild einer gut situierten, selbstbewussten neuen Mittelklasse, die zunehmend die Schlüsselpositionen in Taiwans Betrieben einnimmt. Auch in Taiwan sind also die autoritären, familialen Entscheidungsstrukturen aufgebrochen. Das neotraditionale chinesische Organisationsmodell wurde in den jungen, aufstrebenden Industriezweigen weit gehend abgelöst.

Die zweite Arbeitergeneration und das System industrieller Beziehungen

Die Gründe für diese innere Desorganisation des ostasiatischen Wirtschaftsmodells sind unter anderem auf der Ebene der Arbeiterschaft und des Systems industrieller Beziehungen zu finden. Auch von dieser Seite verliert das Wirtschaftsmodell der "Gründerzeit" seine Verankerung. Nicht so sehr die Erosion der Massenorganisationen der Arbeiterschaft steht dabei (wie in einigen westlichen Industrieländern) im Vordergrund, sondern die Abkehr von einem auf die eine oder andere Weise staatlich regulierten und oktroyierten System industrieller Beziehungen.

Dabei spielt zunächst auch hier eine Rolle, dass eine zweite, im Vergleich zur ersten Generation sehr stark urbanisierte und gut qualifizierte Generation von Arbeiterinnen und Arbeitern die neu entstehenden Systeme industrieller Beziehungen in beiden Schwellenökonomien zunehmend prägt. Die südkoreanische Industrie verfügt heute ebenso wie die taiwanesische über eine im weltweiten Vergleich schulisch hervorragend ausgebildete Arbeiterschaft, die zu einem Großteil einen HighSchool-Abschluss besitzt. Diese zweite Generation der Arbeiterschaft unterscheidet sich in Ausbildung und Herkunft deutlich von der ersten, deren Angehörige wenig gebildet sind und vom Land kommen. Die autokratische Verfügung über ihre Arbeitskraft scheint nicht mehr so einfach möglich zu sein. Diese wird zunehmend an Bedingungen wie höheren Lohn, bessere Absicherung, soziale Maßnahmen der Betriebe etc. geknüpft. So sind die Ansprüche an Partizipation in den neunziger Jahren ebenso gestiegen wie jene an das System industrieller Beziehungen und die wohlfahrtsstaatlichen Absicherungen.

In Südkorea ist die staatliche Absicherung der Großindustrie gelockert worden. Die Gewerkschaften haben sich in den neunziger Jahren trotz ihres abnehmenden Organisationsgrades und des zunehmenden Arbeitsfriedens inner- und außerhalb der Unternehmen zu einem wichtigen Faktor im System industrieller Beziehungen entwickelt. Insbesondere nach der Restrukturierung 1997 und 1998 können Arbeitskonflikte in den Betrieben immer weniger externalisiert und dem Staat überantwortet werden. Thomas A. Kochan sprach bereits 1994 von einer "shock effect-period", in der sich das Management der südkoreanischen Unternehmensgruppen professionalisieren musste. Die Berechenbarkeit des Systems industrieller Beziehungen sank dabei in dieser zweiten Modernisierungsphase für beide Seiten. Es entfaltet auf der Basis der "Desorganisation" des Wirtschaftsmodells der "Gründerzeit" neue Konturen. Zwischen der Aufrechterhaltung der impliziten neotraditionalen Arrangements und einem neuen, auf formalisierter Basis ruhenden "Sozialvertrag" versucht die zweite Generation der Arbeiter mit ihren gewerkschaftlichen Organisationen derzeit einen Weg zu finden.

Die Regeln dafür haben sich geändert. Während in der Vergangenheit 30 Arbeitnehmer erforderlich waren, um eine Betriebsgewerkschaft zu gründen, genügen heute zwei. Auch das Prinzip der Einheitsgewerkschaft wurde durchbrochen. Es sind nun mehrere Gewerkschaftsverbände auf der Ebene der Betriebe, der Branche und der regionalen und nationalen Dachverbände zugelassen. Die 1987 gegründete demokratische Gewerkschaft (KCTU) wurde nicht nur de jure endlich anerkannt, sondern auch in ein Koordinationsgremium von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften integriert. Darüber hinaus wurden zahlreiche Reformen des Arbeitsrechts durchgeführt und Verbesserungen für die Gewerkschaften erzielt.

Das System industrieller Beziehungen ist mit diesen Änderungen in den vergangenen Jahren erheblich in Bewegung geraten. Dabei ist Raum für seine Neustrukturierung entstanden. Bis heute ist jedoch unentschieden, ob sich ein neuer, formalisierter "Sozialvertrag" durchsetzt oder die neotraditionalen Arrangements wieder die Oberhand gewinnen.

In Taiwan hat sich das strukturelle Korsett des Systems industrieller Beziehungen mit der Demokratisierung seit 1987 zunächst nicht geändert. Erst seit 1997 sind auf die Novellierung von Arbeitsgesetzen und Gewerkschaftsstrukturen gerichtete Reformanstrengungen erkennbar, deren Reichweite allerdings ebenfalls noch unklar ist. So waren die industriellen Beziehungen in den neunziger Jahren insgesamt durch ein hohes Maß an Kontinuität gekennzeichnet. Daran änderte auch das Aufkommen einer zweiten, hoch qualifizierten und urbanen Generation der Industriearbeiterschaft nichts, da diese in ungleich geringerem Maße gewerkschaftlich aktiv war als jene in Südkorea. Noch immer wirkt hier die Tradition der parteistaatlichen Einbindung der Gewerkschaften nach. Nach wie vor, so meine These, ist das System industrieller Beziehungen in Taiwan durch eine Schwäche der Gewerkschaften im Hinblick auf die kollektive Handlungsfähigkeit gekennzeichnet. So ist der Aufbau von betrieblichen und überbetrieblichen Interessenvertretungen aufgrund der kleinformatigen Unternehmen und Unternehmensnetzwerke sowie einer hohen Firmenfluktuation besonders schwierig. Die "Industriegewerkschaften" sind hier qua Gesetz Betriebs- und keine Unternehmensgewerkschaften. Und ihr Dachverband, die Chinese Federation of Labor (CFL), hat keinerlei Funktion in den kollektiven Verhandlungen. Damit sind nur einige Gründe für die strukturelle Schwäche der Gewerkschaften in Taiwan benannt. Aber auch hier ist das System industrieller Beziehungen gegen Ende der neunziger Jahre sehr stark in Bewegung geraten - eine Entwicklung, deren Ausgang jedoch noch offen erscheint.

Die Reformen der Post-Entwicklungsstaaten: Zwischen De- und Re-Regulierung

Beide Ökonomien waren lange Zeit durch ein straffes "politisches Korsett" gebunden. Dies war nach Alexander Gerschenkron eine wichtige Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg der "Spätentwickler". Die sehr erfolgreiche weltwirtschaftliche Integration Südkoreas und Taiwans basierte nicht auf liberalen Prinzipien, sondern auf einer Politik, die den Schutz des Marktes mit seiner politischen Regulation verband. Insofern war die Rede vom "organisierten Kapitalismus" gerechtfertigt. Der autoritäre Entwicklungsstaat der "Gründerzeit" hat dann seit Mitte der achtziger Jahren in unterschiedlicher Geschwindigkeit seine Regulierungskraft verloren. Erste Konturen eines sehr viel stärker zurückgenommenen "Post-Entwicklungsstaates" zeichnen sich in den neunziger Jahren ab. Dazu gehört in beiden Schwellenländern die Rücknahme des industriepolitischen Dirigismus, eine stärkere Teilung der institutionellen Macht und Kräfte, eine stärker auf Koordinationsfunktionen beschränkte Verwaltung, die relative Autonomie der Kapitalinteressen und die Lockerung der ehemals straff festgezurrten korporatistischen Arrangements.

In Südkorea ist es allerdings in den neunziger Jahren zu einer ungleich stärkeren Erosion der zentralen Prinzipien des Entwicklungsstaates - verbunden mit einem Rückgewinn an Regulierungskraft während und nach der asiatischen Finanzkrise - gekommen. Diese Erosion trug zur unsteten ökonomischen Entwicklung Südkoreas und zum dramatischen Durchschlagen der asiatischen Finanzkrise bei. Das gewohnte Maß an Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und Planbarkeit ging verloren und ließ den Chaebol so in der ersten Hälfte der neunziger Jahre weitgehende Handlungsfreiheit. Doch im Zuge der Krise gewann der Staat seine dirigierende und regulierende Funktion zurück. Hyun-Chin Lim spricht in seiner Analyse sogar von einer neo-konservativen Rolle des Staates, der seine Macht im Zuge der Restrukturierung der südkoreanischen Wirtschaft zurückerobert habe. Die Vielzahl der Maßnahmen gegenüber den Chaebol ist denn auch beachtlich. Dazu gehören die Berufung von externen Direktoren in die Aufsichtsräte, der Verkauf oder die Auslagerung von Geschäftseinheiten und Unternehmen, Strafen auf weitere unverbundene Diversifikationen der Geschäftsbereiche und das Verbot wechselseitiger Kreditbürgschaften. Neben der weiteren Öffnung der Kapitalmärkte gemäß dem Liberalisierungsgebot des Internationalen Währungsfonds (IWF) orientiert sich die Regierung von Kim Dae-Jung mit ihrer Reformpolitik auch an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. "However, the conflicting elements of neo-liberalism, neo-corporatism, and neo-mercantilism are mixed complicately in that market liberalization, deregulation and privatization are emphasized on the one hand, and government intervention, labor inclusion and participation are stressed on the other". Die Notwendigkeit einer stärker wohlfahrtsstaatlich ausgerichteten Politik wurde zwar bereits in den achtziger Jahren erkannt, aber erst nach der politischen Transformation in den neunziger Jahren kristallisierte sich auch in den politischen Diskursen die Frage einer Pfadentscheidung immer deutlicher heraus. Gerade in der asiatischen Finanzkrise, die Südkorea besonders hart traf, rückte die soziale Wohlfahrt in die öffentliche Diskussion. Wohlfahrtsstaatliche Programme wurden in den neunziger Jahren sukzessive eingeführt, ohne jedoch ein den westlichen Ländern vergleichbares Niveau zu erreichen.

Auch die Politik der Regierung Kim Dae-Jung ist auf die wohlfahrtstaatliche Absicherung gerichtet. Der Wachstumspakt, der mit der Vernachlässigung wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen einherging, wurde mit den Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise endgültig durchbrochen. Die institutionellen Absicherungen des autoritären Entwicklungsstaats wurden in den neunziger Jahren zunehmend obsolet, ohne dass ein neues System wohlfahrtsstaatlicher Regulierung in Grundzügen bereits erkennbar wäre. Zwischen Desorganisation und Reorganisation versucht der Post-Entwicklungsstaat heute ein Profil zu gewinnen, das für eine neue Ära ökonomischer Entwicklung tauglich sein könnte.

In Taiwan veränderten sich die zentralen Prinzipien des Entwicklungsstaat durch die Beharrlichkeit der Kuomintang (KMT)-Regierung hingegen eher langsam. Erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begannen institutionelle Veränderungen in der Ausgestaltung der politischen Institutionen zu greifen. Im Zuge der Reform von oben schaffte die KMT-Regierung den autoritären Entwicklungsstaat schließlich ab, bevor sie (zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Taiwans) selbst abgewählt wurde. Demokratisierung, Liberalisierung und Internationalisierung standen von nun an auf dem politischen Programm. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat sich die gesellschaftliche Einbettung von Staat, Regierung und Parteien langsam gewandelt. Die Herrschaft der vom chinesischen Festland zugewanderten Bevölkerung wurde durchbrochen und die Repräsentation der Taiwanesen in Parlamenten und Parteien stärker ihrem Bevölkerungsanteil angeglichen; die "neuen Mittelklassen" erhielten Einzug in Parlament und Regierung. Der Konflikt zwischen wohlfahrtsstaatlicher und neoliberaler Ausrichtung des politischen Systems brach auf. Waren zuvor die staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitiken weder neoliberal noch wohlfahrtsstaatlich ausgerichtet, so wurde nun beides zugleich mit wachsender Vehemenz eingefordert.

Die Weiterentwicklung des Wohlfahrtsstaates ist mit der Demokratisierung zunehmend zu einem bedeutenden Wahlkampfthema geworden, und die KMT-Partei hat deshalb Ende der neunziger Jahre weitere Maßnahmen zur sozialen Absicherung ergriffen. "In order to struggle for votes in a democracy", so Yuen-Wen Ku, "the KMT state has headed in the direction of increased state welfare." Doch darin ist im Falle Taiwans kein Bruch mit der Tradition einer staatlichen Absicherung der ökonomischen Entwicklung zu sehen, sondern ein sukzessiver inkrementaler Wandel der staatlichen Wohlfahrtspolitiken. Auch er trug zunächst zur Kontinuität der ökonomischen Entwicklung Taiwans in den neunziger Jahren bei.

Die Konturen des autoritären Entwicklungsstaates verblassten in Taiwan nur langsam. Erst gegen Ende der neunziger Jahre zeichnete sich ein grundlegender Wandel in Richtung auf einen Post-Entwicklungsstaat ab. Seine wirtschaftspolitische Ausrichtung aber bleibt ebenso umstritten wie in Südkorea. Auch in Taiwan spielt jene Wegscheide eine immer stärkere Rolle, die für die politischen Systeme in Ostasien typisch erscheint. Die Legitimationspolitiken beginnen in Taiwan ebenso wie in Südkorea zwischen einem deutsch-skandinavischen Wohlfahrtsmodell und einem anglo-amerikanischen Neo-Liberalismus zu oszillieren.

Ausblick

Bisher gab es gute Gründe, von einem "organisierten Kapitalismus" in den asiatischen Schwellenländern zu sprechen. Die von Scott Lash und John Urry für Europa entwickelten Regeln passten nur zu gut auf die Situation der Tigerökonomien: Je später die Industrialisierung in einem Land einsetze, je mehr vorkapitalistische Institutionen überlebten und je niedriger die Bevölkerungszahl eines Landes sei, desto stärker organisiert werde seine Wirtschaft sein. All dies trifft in spezifischer Weise für die asiatischen Schwellenländer zu: Die Industrialisierung setzte spät ein, sie wiesen zahlreiche vorkapitalistische Institutionen auf und waren vergleichsweise kleine Ökonomien. Und in der Tat erschien Südkoreas Wirtschaft so sehr durch die korporatistischen Arrangements eines autoritären Entwicklungstaates gekennzeichnet, dass sogar von einem Staatskapitalismus die Rede war. Und in Taiwan hatte sich ein "Partei-Staatskapitalismus" ausgebildet, der die KMT zu einer der reichsten Parteien der Welt werden ließ. Darüber hinaus scheint aber noch eine Regel von Lash und Urry zuzutreffen: Je stärker der Kapitalismus organisiert sei, desto langsamer werde er sich desorganisieren. Und genau diese langsame Desorganisation der ostasiatischen Wirtschaftsmodelle erleben wir derzeit.

Sowohl die südkoreanischen Großunternehmensgruppen als auch die taiwanesischen Unternehmensnetzwerke können sich dem damit verbundenen Druck immer weniger entziehen. Dieser ist auch deswegen so stark, weil zwei sozialstrukturelle Entwicklungen aufeinander treffen und sich wechselseitig verstärken: Eine deutliche gesellschaftliche Aufwertung neuer Mittelschichten geht mit einem Generationswechsel innerhalb der Eliten einher, der ein Festhalten an traditionalen Arrangements deutlich erschwert. Die Desorganisation zentraler Parameter der althergebrachten Wirtschaftsmodelle ist die Folge.

Innergesellschaftlich ist die Dynamik der industriellen, politischen und sozialen Transformation in Südkorea von einem "Statuskonflikt" zwischen Elite- und Subelitegruppen geprägt. Dieser spielt m.E. eine noch stärkere Rolle für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes als jener zwischen Kapital und Arbeit. Der Konflikt zwischen Eliten und Subeliten in den Chaebol - also zwischen den neuen alten Eliten und der neuen Mittelklasse - treibt derzeit die Desorganisation der Chaebol von innen voran. Das Ausbleiben eines Wandels der Organisationsstrukturen erwies sich nicht nur als teuer und hat zu einem Durchschlagen der (durch eine "financial panic" ausgelösten) asiatischen Finanzkrise beigetragen. Es hat auch dazu geführt, dass das Innovationspotential der "neuen Mittelklassen" nicht wirklich genutzt wurde. Deshalb trieb der ungelöste Konflikt zwischen Eliten und Subeliten die faktische Desorganisation der Chaebol - und damit des südkoreanischen Wirtschaftsmodells insgesamt - weiter voran. Davon war auch das System industrieller Beziehungen betroffen. Seine Neustrukturierung, die erst Mitte bzw. Ende der neunziger Jahre einsetzte, ist von der Suche nach einem neuen "Sozialpakt" mit formellen Beteiligungsrechten geprägt, der jedoch gesellschaftlich noch sehr umstritten ist. Aber auch diese Desorganisation und Neuausrichtung ist, wie jene nach den neuen Konturen und Aufgaben eines Post-Entwicklungsstaates, von oben organisiert. Der Entwicklungspfad Südkoreas vor, während und nach der Krise lässt sich deshalb am ehesten als "teilweise radikale Desorganisation" des Wirtschaftsmodells "von oben" kennzeichnen.

In Taiwan hingegen ist in den vergangenen Jahren eher eine "schleichende Desorganisation" des Wirtschaftsmodells "von innen" zu beobachten. Sie hat das Land - nach einer kontinuierlichen ökonomischen Entwicklung in den neunziger Jahren - heute an den Rand einer Wirtschaftskrise geführt; diese ist gekennzeichnet durch eine nur langsame strategische Neupositionierung in der Weltwirtschaft sowie die weitgehende Verlagerung der gesamten arbeitsintensiven Produktion ins ökonomische Hinterland der Volksrepublik China. Die schleichende Desorganisation macht sich zunächst in der sukzessiven Abkehr von dem neotraditionalen Modell chinesischer Unternehmensnetzwerke bemerkbar; sie sorgt zusammen mit der offenen Elitenstruktur dafür, dass die Spannungen zwischen den aufstrebenden neuen Mittelschichten und den ökonomischen Eliten viel geringer ausgeprägt sind als in Südkorea. Die Desorganisation zeigt sich dann auch in der nach wie vor großen Vertretungsschwäche der Gewerkschaften, die noch zu keinem neuen System industrieller Beziehungen gefunden haben. Am deutlichsten erkennbar ist sie jedoch an den Konturen des Entwicklungstaates, die in den neunziger Jahren aufgrund der Dominanz der KMT nur langsam verblassten.

Sowohl in Südkorea als auch in Taiwan lässt sich die Desorganisation der Wirtschaftsmodelle derzeit an den Unsicherheiten, Turbulenzen und Rückschlägen in der ökonomischen und sozialen Entwicklung ablesen. Beide Ökonomien befinden sich in einer "Statuspassage", deren Ausgang nicht nur ungewiss, sondern auch von mehr oder weniger starken Modernisierungsspannungen überschattet ist. Die ostasiatischen Tigerökonomien stehen am Ende ihrer "Gründerzeit". An der Wegscheide zwischen Familien- und Managerkapitalismus müssen die ostasiatischen Firmen zu neuen Unternehmensformen finden, die in stärkerem Maße Professionalität zulassen und die Entfaltungsmöglichkeiten der aufsteigenden "neuen Mittelschichten" berücksichtigen. Die Selbstverständlichkeit der tendenziell autokratischen, "neotraditionalen Arrangements" der "Gründerzeit" hat nachgelassen. Zwischen Desorganisation und Restrukturierung müssen die Tigerökonomien nun zu neuen Wirtschaftsmodellen finden, um ihren Weg ins Zentrum der Weltwirtschaft fortzusetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Samuel P. Huntington, The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century, Oklahoma 1991.

  2. Manuell Castells, Four Asian Tigers with a Dragon Head. A Comparative Analysis of the State, Economy, and Society in the Asian Pacific Rim, in: Richard P. Appelbaum/Jeffrey Henderson (Hrsg.), States and Development in the Asian Pacific Rim, Newbury Parc u.a. 1992, S. 176 - 198.

  3. Unter "Gründerzeit" sollen hier die Jahre von 1960 bis 1970 verstanden werden, als die meisten Unternehmen gegründet wurden und das den Aufstieg ermöglichende Wirtschaftsmodell seine Konturen ausbildete.

  4. Die neu institutionalisierten, gleichwohl traditionsbezogenen Formen und Arrangements wirtschaftlichen Handelns der ersten Modernisierungsphase der "Gründerzeit" lassen sich am besten als "neotraditional" bezeichnen. Ihnen liegen Werthaltungen zugrunde, die aus einer, auf neuer institutioneller Basis durchgeführten, Restauration alter Überlieferungen resultieren.

  5. Vgl. Bruce Cumings, Ursprünge und Entwicklung der politischen Ökonomie in Nordostasien: Industriesektoren, Produktzyklen und politische Konsequenzen, in: Ulrich Menzel (Hrsg.), Im Schatten des Siegers. Japan, Bd. 4. Weltwirtschaft und Weltpolitik, Frankfurt/M. 1989.

  6. Bisher gab es gute Gründe, in Bezug auf Südkorea und Taiwan von einem "organisierten Kapitalismus" zu sprechen. Der familiale Kapitalismus und die korporatistischen Arrangements der autoritären Entwicklungsstaaten stützten sich wechselseitig in einem für die Mehrzahl der Beschäftigten repressiven System, das den Verzicht auf Beteiligung und Mitsprache durch eine enorme Wachstumsdynamik erkaufte und ermöglichte.

  7. Vgl. Yeon-Ho Lee/Hyuk-Rae Kim, The Dilemma of Liberalization. Financial Crisis and the Transformation of Capitalism in South Korea, Manuskript, 1998.

  8. Die Liberalisierung, so auch die These von Alice Amsden, habe der südkoreanischen Wirtschaftsentwicklung in den neunziger Jahren geschadet und werde sich auch weiterhin als unangemessen erweisen. Vgl. Alice Amsden, The Spectre of Anglo-Saxonization is haunting South Korea, in: Lee-Jay Cho/Yoon-Hyung Kim (Hrsg.), Korea's Political Economy. An Institutional Perspective, Boulder u.a., 1994, S. 87 - 125.

  9. "The management disposition of big business", so auch Yeon-Ho Lee und Hyak-Rae Kim, "remained unchanged", Y.-H. Lee/H.-R. Kim (Anm. 7), S. 4.

  10. Vgl. The Korea Herald vom 24. Februar 2000.

  11. Vgl. The Hyak-Rae Kim, Fragility or Continuity? Economic Governance of East Asian Capitalism, Manuskript, 1998, S. 103.

  12. Vgl. zu neueren Forschungsergebnissen auch Markus Pohlmann, Der Kapitalismus in Ostasien. Südkoreas und Taiwans Wege ins Zentrum der Weltwirtschaft, Münster 2002.

  13. Dass sie dabei andere Werthaltungen als jene der "Gründerzeit" in die koreanischen Unternehmensgruppen hineintrugen, kann als gesichertes Ergebnis vieler Untersuchungen zum Wertewandel gelten. Bemerkenswert sei, so z.B. Ronald Inglehart, dass die Ergebnisse des Wertewandels in Ostasien jenen im Westen entsprächen - nur dass dieser in kürzerer Zeit durchlaufen wurde. Vgl. Ronald Inglehart, Modernisierung und Postmodernisierung. Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften, Frankfurt/M.-New York 1998; vgl. auch M. Pohlmann (Anm. 12), S. 183 und 205ff.

  14. Jonhoe Yang, Class Culture or Culture Class? Lifestyles and Cultural Tastes of the Korean Middle Classes, in: Hsin-Huang Michael Hsiao (Hrsg.), East Asian Middle Classes in Comparative Perspective, Taipeh 1999, S. 331; Doo-Seung Hong, Profiles of the Korean Middle Class, in: ebd., S. 114.

  15. Vgl. Ministry of Economic Affairs, Taiwan R.O.C. (MOEA), White Paper on Small and Medium Enterprises in Taiwan 2002, Taipeh 2002, S. 28.

  16. Vgl. The Economist vom 3. 1. 1998.

  17. Vgl. Gordon S. Redding, The Spirit of Chinese Capitalism, Berlin-New York 1990; ders., Social Transformation and the Contribution of Authority Relations and Cooperation Norms in Overseas Chinese Business, in: Wie-Ming Tu (Hrsg.), Confucian Traditions in East Asian Modernity. Moral Education and Economic Culture in Japan and the Four Mini-Dragons, Cambridge-London 1996, S. 310 - 327; Richard Whitley, Business Systems in East Asia. Firms, Markets and Societies, London 1992; Gary Hamilton, Organization and Market's Processes in Taiwan's Capitalist Economy, in: Marco Orrù u.a. (Hrsg), The Economic Organization of East Asian Capitalism, Thousand Oaks 1997, S. 237 - 296; Marco Orrù, The Institutional Logic of Small-Firm Economies in Italy and Taiwan, in: ders. u.a., ebd., S. 340 - 368; Michael Borrus, Left for Dead. Asian Production Networks and the Revival of the U.S. Electronics, in: Barry Naughton (Hrsg.), The China Circle. Economics and Technology in the PRC, Taiwan, and Hong Kong, Washington D. C. 1997, S. 139 - 163; Ray-May Hsung, The Concepts of Social Networks and Guanxi. The Application to Taiwan Studies, Manuskript, 1998; Chieh-Hsuan Chen, Organizational Capability and Network Capability, Taichung 1999; u.v.a.

  18. Vgl. zum traditionalen Modell der chinesischen Unternehmensnetzwerke R. Whitley (Anm. 17) S. 77f.

  19. Im internationalen Vergleich mit den USA und Japan erweist sich die schulische Ausbildung der koreanischen und taiwanesischen Arbeiter als deutlich höher. Kyuhan Bae/Chinsung Chung, Cultural Values and Work Attitudes of Korean Industrial Workers in Comparison with those of the United States and Japan, in: Work and Occupations, 24 (1997) 1, S. 80 - 96.; Shi-Wei Pan, Employment Relations in a Changing Global Economy. The Case of Taiwan, Dissertation, Cornell University 1998.

  20. Thomas A. Kochan, Industrial Relations and Human Resource Policy in Korea. Options for Continued Reform, in: L.-J. Cho/Y.-H. Kim (Anm. 8), S. 693.

  21. Vgl. Chun-Wook Hyun/Scott Balfour, Industrial Relations, in: Korea Labor Institute (Hrsg.), Korean Labor and Employment Laws. An Ongoing Evolution, Seoul 1998, S. 69.

  22. Vgl. ebd., S. 76.

  23. In einem Unternehmen mit mehreren Betrieben müssen also mehrere Beriebsgewerkschaften gegründet werden.

  24. Vgl. Shi-Wei Pan, State Policy and Workplace Relations in Taiwan, Master Thesis Cornell University 1994, S. 88.

  25. Alexander Gerschenkron, Economie Backwardness in Historical Perspektive in: David Laudes, The Rise of Capitalism, New York 1962/69.

  26. Sung Deuk Hahm/Christopher L. Pein, After Development. The Transformation of the Korean Presidency and Bureaucracy, Washington 1997.

  27. Vgl. Hyun-Chin Lim, Rethinking Development Strategy in South Korea. Changing State-Capital-Labor Relationship, Manuskript, Taichung 1999, S. 8.

  28. The Korea Herald vom 19. 2. 2000.

  29. The Korea Herald vom 24. 2. 2000.

  30. The Korea Herald vom 23. 4. 2000.

  31. The Korea Herald vom 29. 1. 2000.

  32. Hyun-Chin Lim (Anm. 27), S. 6f.

  33. Vgl. grundlegend Gregory W. Noble, Collective Action in East Asia. How Ruling Parties Shape Industrial Policies, Ithaca-London 1998; Markus Pohlmann (Anm. 12).

  34. Yuen-Wen Ku, Welfare Capitalism in Taiwan. State, Economy and Social Policy, Houndsmill 1997, S. 246.

  35. Vgl. Scott Lash/John Urry, The End of Organized Capitalism, Cambridge 1987, S. 4 f.

  36. Vgl. dazu ausführlicher Markus Pohlmann (Anm. 12), S. 132.

  37. Vgl. Gary G. Hamilton/Nicole Woolsey Biggart, Market, Culture and Authority. A Comparative Analysis of Management and Organization in the Far East, in: American Journal, 94 (1988), S. 62ff.

Dr. rer. pol., geb. 1961; Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Organisationssoziologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Kultur-, Organisations-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie.
Anschrift: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Institut für Soziologie, Sandgasse 9, 69117 Heidelberg.
E-Mail: E-Mail Link: markus.pohlmann@t-online.de

Veröffentlichungen u.a.: Der Kapitalismus in Ostasien. Südkoreas und Taiwans Wege ins Zentrum der Weltwirtschaft, Münster 2002; (zus. mit Rudi Schmidt/Hans-Joachim Gergs (Hrsg.) Managementsoziologie. Perspektiven, Theorien, Forschungsdesiderate, München-Mering 2002; (zus. mit Dieter Sauer, Gudrun Trautwein-Kalms und Alexandra Wagner (Hrsg.), Dienstleistungsarbeit - Auf dem Boden der Tatsachen, Berlin 2003 (i.E.).