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Eine Dokumentation in Auszügen aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages | Ältere Menschen | bpb.de

Ältere Menschen Editorial Die Jugend von gestern - und die Senioren von morgen Dynamik der demografischen Alterung, Bevölkerungs-Schrumpfung und Zuwanderung in Deutschland Der Alters-Survey: Die zweite Lebenshälfte im Spiegel repräsentativer Daten Betriebliche Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber älteren Arbeitnehmern Das Alter(n): Gestalterische Verantwortung für den Einzelnen und die Gesellschaft Eine Dokumentation in Auszügen aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

Eine Dokumentation in Auszügen aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

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Sterben die Deutschen aus? Vergreist unsere Gesellschaft? Wird es einen "Krieg der Generationen" geben?

Einleitung

Sterben die Deutschen aus? Vergreist unsere Gesellschaft? Wird es einen "Krieg der Generationen" geben? - Fragen, die dramatisch klingen und nicht immer von überlegter Wortwahl zeugen. Bestimmte Medien greifen sie gerne auf, vor allem, um Aufregung zu erzeugen und um zu emotionalisieren. Sachlich und ausführlich hat sich dagegen die Enquete-Kommission "Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik" diesen aktuellen und vor allem zukünftigen Entwicklungen innerhalb der deutschen Bevölkerung gewidmet. Dafür nahm sie den Zeitraum bis 2050 ins Visier, was bedeutet, dass sie sich auf Schätzungen, Vorausberechnungen und vorsichtige Prognosen stützen musste. Zum ersten Mal in der Geschichte des Parlamentes hat sich eine Enquete-Kommission über drei Legislaturperioden hinweg mit einem Themenkomplex befasst. 1994 und 1998 gab es so genannte Zwischenberichte, 2002 wurde der 700 Seiten starke Abschlussbericht mit entsprechenden Handlungsempfehlungen an den Deutschen Bundestag vorgelegt und am 25. April 2002 im Parlament beraten. Von einer größeren Öffentlichkeit wurden allerdings die dort erarbeiteten und diskutierten, im Wortsinn fundamentalen, existenziellen Probleme unseres Landes kaum wahrgenommen.

Die Kommission hat sich mit allen wesentlichen Aspekten des demographischen Wandels auseinander gesetzt: Die Menschen leben länger aufgrund des technischen und medizinischen Fortschritts. Die Geburtenzahlen gehen zurück, und das schon seit Jahrzehnten. Das belegt eine Zahl, welche die Veränderungen innerhalb der Gesellschaft aus statistischer Sicht deutlich macht. Die Einwohnerzahl von heute rund 82 Millionen wird aller Voraussicht nach bis 2050 auf rund 60 Millionen sinken. Das bedeutet weniger Kinder und weniger Menschen, die im Arbeitsprozess stehen. Nicht nur die Wirtschaft muss sich mit diesem Szenario für die Zukunft auseinander setzen. Die Frühverrentungspraxis, die den Staat horrende Summen gekostet hat, steht auf dem Prüfstand. Es wird jetzt nach Lösungen gesucht, wie die Beschäftigung von Älteren gesteigert und ihre Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden können.

In diesem Zusammenhang drängt sich zudem die Frage auf: Wie gestaltet das Land vor diesem Hintergrund seine Zuwanderungspolitik? Allen Beteiligten ist schon jetzt bewusst, dass Zuwanderung die Folgen des demographischen Wandels nicht aufhalten, sondern unter bestimmten Bedingungen nur mildern kann. Auch bei den ausländischen Staatsangehörigen geht nämlich die Zahl der Geburten zurück. Hier hat ein Anpassungsprozess stattgefunden. Auf ein fraktionsübergreifendes Konzept konnte sich die Kommission beim Thema Zuwanderung nicht einigen. Die aktuellen Auseinandersetzungen führen uns nahezu jeden Tag vor Augen, dass es hier wohl keinen Königsweg gibt.

Zur Diskussion fordert daneben das wachsende Pflegebedürfnis "Älterer" und Hochbetagter heraus. Prävention, Rehabilitation, Differenzierung der Versorgung, verbindliche Versorgungsziele und Personalentwicklung sind in dem Themenkomplex "Gesundheit, Pflege und soziale Dienste" wichtige Stichworte. Das Generationenverhältnis und der Generationenvertrag - also die auf gesellschaftlichen Normen und Werten basierende und nur zum Teil gesetzlich festgelegte Übereinkunft, der zufolge die mittlere Generation für den Unterhalt sowohl der Kinder als auch der nicht mehr erwerbstätigen Älteren sorgt - gehören ganz oben auf die Tagesordnung und damit die Reform der Sozialversicherungssysteme. Nur mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird die Frauenerwerbsquote gesteigert werden können. Die Wirtschaft braucht diese "stille Reserve". Und viele Frauen wollen nun mal beides: Familie und Beruf. Damit verbunden ist wiederum eine verbesserte Kinder- und Schulbetreuung. Hier sieht man besonders, dass kein Politikfeld isoliert betrachtet werden kann. Die Reform der Altersversorgung in Deutschland ist weiterhin dringendst erforderlich. Und auch die gesetzliche Krankenversicherung stellt die demographische Entwicklung vor immense Probleme.

Elf Politiker und Politikerinnen aller Fraktionen und elf Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, so genannte Sachverständige, haben mit dem Abschlussbericht ein fundiertes Angebot erarbeitet, wie mit diesen wichtigen Fragen umgegangen werden kann. Es ist ein "Steinbruch" für die Wissenschaft, ein Arbeitsinstrument für die Parlamentarier und Parlamentarierinnen des 15. Deutschen Bundestages - und für jeden Einzelnen ein Angebot, sich mit der Komplexität einer Entwicklung auseinander zu setzen, die alle angeht und betrifft. Aus Platzgründen können im Folgenden nur einige der Themenfelder dokumentiert werden.

Der Kommissionsbericht liefert nicht nur eine Fülle von Analysen, Fakten, Handlungsempfehlungen und Literaturhinweisen, sondern gibt auch wichtige Denkanstöße für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Alter und dem Altern. Letztendlich gilt: Alle Lebensphasen sind gleichwertig. Die einseitige, problematische Konzentration auf den derzeitigen Jugendwahn zeigt, dass das Alter neu bewertet werden muss. Dabei darf die steigende Anzahl älterer Menschen nicht nur unter kurzsichtigen Kostenaspekten diskutiert werden. Ältere Menschen sind mit ihren Erfahrungen und ihrem sozialen Engagement ein großer Gewinn für die Gesellschaft. So wird auch der Satz der amerikanischen Autorin, Sozialwissenschaftlerin und Feministin Betty Friedan schnell verständlich. Sie unterstreicht aus ihrer Sicht: "Was heißt denn Jungbrunnen. Der Altbrunnen bringt es."

Ines Gollnick

Ines Gollnick, M. A., arbeitet als freie Print- und TV-Journalistin in Bonn und Berlin. Sie schreibt u.a. für die Wochenzeitung "Das Parlament" über Themen zu den Ressorts Bildung, Medien und Jugend. Für die Themenausgabe "Zukunft der Generationen" von "Das Parlament" hat sie 2002 das redaktionelle Konzept erarbeitet.

Service:

Der Schlussbericht der Enquete-Kommission "Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik" ist kostenfrei als CD-ROM beim Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Platz der Republik, 11011 Berlin, erhältlich (Tel. 030/227 32 072). Als gedruckte Version kann er beim Bundesanzeiger-Verlag in Bonn unter Tel. 0228/38 20 840 bestellt werden. (18,60 Euro).

Die Bevölkerungspyramide in der Bundesrepublik Deutschland steht auf dem Kopf. Während der Anteil der Älteren immer größer und der Anteil der Berufstätigen immer kleiner wird, nimmt Deutschlands Bevölkerung drastisch ab. Immer mehr Menschen erreichen ein immer höheres Lebensalter. So sehr diese Tatsache zu begrüßen ist, bedeutet dieser demographische Wandel eine große Herausforderung: eine Herausforderung für jeden Einzelnen, für die Familien, für die Gesellschaft, für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt, für die sozialen Sicherungssysteme wie für die Politik insgesamt. Mit unserem bisherigen Verständnis von Sozialstaat werden wir diesen Anforderungen im weitesten Sinne nicht mehr begegnen können ((...)).

Der demographische Wandel ist immens und macht es erforderlich, über die Veränderung im Bevölkerungsaufbau intensiv nachzudenken und mögliche Konsequenzen aufzuzeigen. Die sich abzeichnende Entwicklung ist eine Herausforderung, der von allen Seiten aus begegnet werden muss. Hier sind nicht nur Politiker in Bund, Ländern und Kommunen zum Handeln aufgerufen, sondern auch die Wirtschaft, das Gesundheitswesen, der Wohnungsmarkt, die Städte- und Verkehrsplanung, aber vor allem auch Bildung und Wissenschaft.

Der demographische Wandel und die enorme Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit dürfen nicht primär als Problem, sondern müssen als Gewinn gesehen werden. Der Wunschtraum der Menschheit, möglichst alt zu werden, scheint zunehmend erfüllbar. Im Jahr 2050 wird die statistische Lebenserwartung der Frauen 85, die der Männer 80 Jahre sein. Diese Menschen sind weder der alte, graue Teil unserer Gesellschaft, noch sind sie als Rentnerberg anzusehen, wie es gelegentlich die veröffentlichte Meinung darstellt. Sie sind vielmehr Menschen einer Generation, deren altersbedingte Probleme wir in diesem Bericht aufzeigen und durch politische Handlungsvorschläge einer Lösung zuführen wollen ((...)).

(Aus dem Vorwort von Walter Link, MdB, Vorsitzender der Enquete-Kommission)

Generationenverhältnisse in der öffentlichen Diskussion

In den letzten Jahren wird in der Öffentlichkeit eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Folgen des demographischen Wandels für das Generationenverhältnis geführt. Dabei wird als eine extreme Position die Ansicht vertreten, dass auf Dauer den Jüngeren weder politische noch wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten blieben, da die Älteren auf Kosten der Jüngeren leben und sie um ihre Chancen bringen würden. Der daraus resultierende Konflikt zwischen Alt und Jung sei bestimmt von der Erfahrung der Jüngeren, dass die Älteren als die jetzt Herrschenden alles verbraucht hätten, was die Lebensgrundlage der Jüngeren für die Zukunft sein müsste.

Diese Polarisierung dramatisiert die durchaus bestehenden Probleme und Konflikte in den Generationenverhältnissen in unzulässiger Weise. Denn sie skizziert ein Bild der Auseinandersetzung zwischen den Generationen, das mit der Komplexität der Realität wenig gemein hat. So ist zum einen auf Untersuchungen hinzuweisen, denen zufolge zwar Kontakt- und Kenntnisdefizite zwischen den Altersgruppen, aber keine unüberbrückbaren Gegensätze bestehen. Zum anderen ist festzuhalten, dass die sozialstaatlichen Verteilungsprobleme nicht allein auf den demographischen Wandel zurückzuführen sind. Vor allem aber ist darauf hinzuweisen, dass die Älteren im Verlauf ihres Lebens einen großen Beitrag für die Gesellschaft und damit gerade auch für die Jüngeren geleistet haben. So haben Ältere als Beitragzahlende die Renten ihrer Vorgängergeneration finanziert und dabei eigene Rentenansprüche erworben, außerdem sind sie durch Erbringung von Pflegeleistungen, als Konsumenten und Steuerzahler weiterhin ökonomisch aktiv, und schließlich haben sie den enormen Realkapitalbestand erarbeitet, der den Jüngeren heute zur Verfügung steht.

Um die für den Bestand der Gesellschaft notwendige Solidarität zwischen den Generationen zu stärken, ist es daher notwendig, der Dramatisierung des Generationenkonfliktes entgegenzuwirken und in der Öffentlichkeit für ein differenziertes Bild von den Beziehungen und Verhältnissen zwischen den Generationen zu sorgen. Wenn sich die Ambivalenz nicht in Entsolidarisierung auflösen soll, ist die Politik insbesondere dazu aufgefordert, rentenpolitische Verunsicherungen der jüngeren Altersgruppen zu vermeiden und das Vertrauen der 20- bis 50-Jährigen in die dauerhafte Gültigkeit des Solidarpaktes zu stärken ((...)).

Das Alltagsleben ist geprägt von der Dominanz der jüngeren und mittleren Altersgruppen, die, eingebettet in die Zwänge des Erwerbslebens, der Gesellschaft den Rhythmus vorgeben. Die moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft orientiert sich an Funktionsnotwendigkeiten, die vom Einzelnen Mobilität, Flexibilität, Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit verlangen. Die jüngeren Alten verstehen es gut, sich an die von diesem Alltagsleben ausgehenden Anforderungen anzupassen. Anders ist dies bei den älteren Alten (viertes Alter) auf Grund nachlassender psychologischer Anpassungsfähigkeit und oftmals eingeschränkter Alltagskompetenz. Jüngere und ältere Menschen haben durchaus unterschiedliche Bedürfnisse, auf Grund deren sie sich gelegentlich im Alltagsleben wechselseitig als Störfaktoren empfinden ((...)).

Generationenverhältnisse und soziale Sicherung

Im Hinblick auf die Generationenverhältnisse und die soziale Sicherung bestehen in der politischen wie der wissenschaftlichen Diskussion manche Einseitigkeiten und verengte Perspektiven. Ein Beispiel dafür liefert die Aussage, die (aktiv) Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung subventionierten die "Krankenversicherung der Rentner". Dies wird abgeleitet aus der Tatsache, dass in einer früheren Lebensphase die Beitragszahlungen die "in Anspruch genommenen" Krankenversicherungsausgaben übersteigen, während bei Älteren das Verhältnis gerade umgekehrt ist. Dabei wird allerdings verkannt, dass Menschen im Zeitablauf die verschiedenen Lebensphasen durchlaufen und damit zeitweise "Nettozahlende" und zeitweise "Nettoempfangende" sind ((...)).

Angesichts des zunehmenden Anteils Älterer an der Gesamtbevölkerung wird - das obige Beispiel illustriert dies - zunehmend von einer ökonomischen Belastung der Jüngeren durch die Älteren gesprochen, was sich in Begriffen wie "Alterslast", "Rentnerberg" oder gar "Rentnerschwemme" widerspiegelt. Dabei erfolgt häufig eine Gegenüberstellung zwischen den ökonomisch Aktiven in der Erwerbsphase und den ökonomisch Inaktiven als Synonym für ältere Menschen jenseits der Erwerbsphase. Allerdings wird dabei ökonomische Aktivität allein auf die Erwerbstätigkeit beschränkt. Doch auch Ältere sind in vielfältiger Weise ökonomisch aktiv. So beteiligen sie sich am Prozess der Wertschöpfung durch die Zurverfügungstellung von Finanzmitteln, die sie im Lebensablauf akkumuliert haben,und die zur Finanzierung von Investitionen genutzt werden können. Darüber hinaus führen Ältere wichtige Arbeiten aus, auch wenn diese nicht monetär vergütet werden, folglich nicht in die Berechnung des Sozialproduktes eingehen und auch keine Erwerbsarbeit darstellen. Beispiele dafür sind Kinderbetreuung oder die Versorgung von Familienangehörigen im Krankheits- oder Pflegefall. Derzeit wird beispielsweise ein Drittel aller Pflegebedürftigen von Ehepartnerinnen oder Ehepartnern gepflegt. Es sind in der Regel ältere Menschen, die solche Pflegeleistungen erbringen. Würden solche Aktivitäten nicht erfolgen und stattdessen professionelle Dienstleistungen erforderlich, so würde das Ausmaß ökonomischer Aktivität unmittelbar deutlich werden.

Ältere Menschen sind zudem nicht nur Konsumenten, sondern sie beteiligen sich durch Steuerzahlungen an der Finanzierung von Staatsaufgaben, also z.B. der Finanzierung von Schulen, Hochschulen usw. Wenn und soweit sich die Struktur des Steueraufkommens hin zu indirekten Steuern verlagert, so sind die Älteren auf Grund ihrer vergleichsweise hohen Konsumquote, vor allem aber auch wegen ihres steigenden Anteils an der Bevölkerung - das heißt auch an allen Konsumenten -, immer stärker an der Finanzierung von Staatsaufgaben beteiligt. Der zunehmende Anteil Älterer an der Finanzierung von Staatsaufgaben kommt nicht zuletzt auch den Jüngeren zugute.

In der öffentlichen Diskussion wird in der Regel auf öffentliche Abgaben und Leistungen Bezug genommen. Hinzuweisen ist aber auch auf private intrafamiliäre Transfers. Dies sind zum einen laufende Transfers, vor allem Geldleistungen, zum Teil aber auch Realtransfers, z.B. durch den Einsatz von eigener Zeit bei der Betreuung von Enkelkindern. In Deutschland - dies zeigt der Alterssurvey - fließen intrafamiliäre Finanztransfers überwiegend von Älteren zu Jüngeren. Neben solchen laufenden intrafamiliären Transfers ist die Übertragung von Vermögen schon zu Lebzeiten oder im Todesfall (Vererbung) bedeutsam ((...)).

Schließlich ist der gesamtwirtschaftliche öffentliche und private Realkapitalbestand, der den Jüngeren für ihre eigenen Aktivitäten, für Ausbildung wie Produktion, aber auch zur Nutzung in der Freizeit zur Verfügung steht, maßgeblich durch Vorgängergenerationen geschaffen worden.

Dies macht deutlich, dass man im Zusammenhang von sozialer Sicherung und Verteilung zwischen den Generationen nicht isoliert einzelne Aspekte, wie beispielsweise die Gesetzliche Krankenversicherung bzw. die Gesetzliche Rentenversicherung oder andere öffentliche Einrichtungen, betrachten kann (...) Für das Verhältnis der Generationen zueinander ist in ökonomischer Hinsicht das Bündel aller Einrichtungen, Maßnahmen und Aktivitäten von Bedeutung.

Arbeit und Wirtschaft

In der Arbeitswelt zeichnet sich in den letzten Jahren eine scheinbar paradoxe Entwicklung ab: Während die Bevölkerung insgesamt altert, werden die Belegschaften immer jünger. So hat sich etwa in der Industrie gerade in den letzten Jahren der Anteil der Älteren an den Beschäftigten drastisch vermindert(...) Das Instrument der Frühverrentung eröffnete die Möglichkeit, ohne rechtliche oder tarifvertragliche Schutzbestimmungen und getragen von einem gesellschaftlichen Konsens zu einem Personalabbau und somit zu einer schnellen Verjüngung und Veränderung der Qualifikationsstruktur der Belegschaften zu gelangen. Dadurch sind die älteren Beschäftigten zunehmend zu einer Dispositionsmasse geworden, über die im Rahmen betrieblicher Personalstrategien flexibel verfügt und die zur Bewältigung unterschiedlicher betriebswirtschaftlicher Probleme fast beliebig vermindert werden kann. Es ist aber bereits mittelfristig absehbar, dass der demographische Wandel vor den Betrieben nicht Halt machen wird ((...)).

Wie sich mit Hilfe von Modellrechnungen zeigen lässt, führt bereits ein leichter Rückgang des vorzeitigen Renteneintritts von älteren Beschäftigten zu einer betrieblichen Altersstruktur, in der die über 50-Jährigen dominieren. Die Betriebe stehen daher vor der Herausforderung, ihre bisherigen personalpolitischen Strategien überdenken und eine qualitative Antwort auf die Alterung der Belegschaften finden zu müssen. Auf Grund des demographischen Wandels müssen die Betriebe insbesondere überprüfen, ob sie es sich wie bisher leisten können, das in den älteren Arbeitskräften schlummernde Humankapital ungenutzt zu lassen. In dem Maße, wie sich die Erwerbsbiographien nach hinten verlängern, erscheint es unausweichlich, Strategien zur Förderung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsproduktivität der älteren Arbeitskräfte zu entwickeln.

Bislang ist die Haltung vieler Unternehmen gegenüber den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eher abwartend und distanziert. Die Betriebe haben häufig weder ein Interesse an der Aufstockung des Anteils älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, noch verfügen sie über Konzepte zum Umgang mit einer zukünftig alternden Belegschaft. Dahinter steht neben anderen Hinderungsgründen z.B. die altersskeptische Annahme, der zufolge die geminderte Leistungsfähigkeit und damit verbunden geringere Innovationsfähigkeit der Älteren die Flexibilität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährde. Da neue technische und wissenschaftliche Erkenntnisse vorrangig über junge Leute Eingang in die Unternehmen fänden, müsse sich eine Alterung der Belegschaften negativ auf die Innovationsfähigkeit auswirken. Diese jugendzentrierte Sichtweise scheint heute ein weit verbreiteter Bestandteil der Unternehmenskultur zu sein. Aus wissenschaftlicher Perspektive erweist sich diese Haltung jedoch als Vorurteil. Einschlägige empirische Befunde liefern jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass zwischen Lebensalter und Leistungsfähigkeit ein eindeutig negativer Zusammenhang besteht. Menschen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren sind zumindest im Durchschnitt nicht weniger leistungsfähig als jüngere. Mit dem Alter findet allenfalls ein Wandel in der Art der Leistungsfähigkeit (...) statt ((...)).

Bilanziert man angesichts dieser Erkenntnisse die Erfahrungen mit den bisher vorherrschenden betrieblichen Personalstrategien, so kommt man zu dem Schluss, dass die durch die Frühverrentung ermöglichte Verjüngung der betrieblichen Altersstrukturen nicht nur der innerbetrieblichen Zusammenarbeit zwischen den Altersgruppen, sondern letztlich auch dem Unternehmenserfolg nicht zuträglich war. Demgegenüber wäre im Sinne einer Optimierung der Unternehmenskultur ein innerbetrieblicher Generationenvertrag anzustreben, der auf Kooperation der älteren Erfahrungsträger mit den eher veränderungsorientierten jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angelegt ist (...) Altersgemischte Belegschaften repräsentieren eine Kombination von Eigenschaften wie Erfahrungswissen, Engagement und fachliche Kompetenz, die für die Betriebe ideale Voraussetzungen schaffen, um im Wettbewerb zu bestehen. Der innerbetriebliche Generationenvertrag leistet daher ebenso einen Beitrag für Kooperation und Solidarität zwischen den Generationen wie für wirtschaftlichen Erfolg.

Es gibt verschiedene Anhaltspunkte dafür, dass sich die Unternehmenskultur in Richtung auf eine freundlichere Haltung gegenüber älteren Beschäftigten verändern lässt und auch bereits tatsächlich verändert. Während etwa amerikanische Manager ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zum 60. Lebensjahr für voll leistungsfähig halten, trauen die deutschen Führungskräfte dies ihren Mitarbeitern nur bis zum 51. Lebensjahr zu. Allerdings scheinen in Deutschland die jugendzentrierten Vorurteile vor allem ein Phänomen der Großunternehmen zu sein. Denn in kleinen und mittelständischen Betrieben weiß man den Wert der Berufserfahrung von älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus zu schätzen. Hier können die Vorgesetzten viel leichter als in Großbetrieben die individuellen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter differenziert wahrnehmen, und hier ist man auch in soviel stärkerem Maße auf das Betriebs-Know-how einzelner älterer Beschäftigter angewiesen. Es ist daher zu hoffen, dass sich dieses Wissen um die Bedeutung der älteren Mitarbeiter auch in der Unternehmenskultur der Großunternehmen durchsetzt ((...)).

Beschäftigungschancen älterer Erwerbspersonen

Zukünftige Belegschaften werden im Durchschnitt älter sein. Um die von einigen befürchteten negativen Auswirkungen auf die Innovationskraft der Belegschaften wie auf die Innovationsfähigkeit der Betriebe und den technischen Fortschritt zu verhindern, muss vermehrt und langfristig in das Humankapital alternder Belegschaften und damit in ihre Beschäftigungsfähigkeit ("employability") investiert werden. Von daher sind verstärkte allgemeine und berufsspezifische Bildungsinvestitionen während des gesamten Erwerbslebens bis in das fortgeschrittene Alter erforderlich. Zur Bildung des Humankapitals gehören auch Investitionen in den Gesundheitszustand durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen. Dies gilt im Grundsatz für alle Altersgruppen gleichermaßen ((...)).

Übergreifendes Ziel muss sein, künftig die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit alternder Belegschaften zu erhalten und zu erhöhen. Betriebliche Personal- und Bildungspolitik sollte zukünftig stärker auf soziale und ökonomische "Nachhaltigkeit" ausgerichtet sein. Dazu gehört sowohl die Nachwuchsförderung wie der Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten insgesamt ((...)).

Zur rechtzeitigen Vermeidung von altersspezifischen Berufsrisiken sind betriebliche Früherkennungssysteme (z. B. Gesundheits-, Qualifikationszirkel) erforderlich. Präventive Gesundheits- und Qualifizierungskonzepte sollten idealerweise in Maßnahmen der Arbeitszeitpolitik eingebunden sein. Grundvoraussetzung dafür ist ein strategischer Wechsel in der betrieblichen Personalpolitik, weg von "Jugendzentrierung" und hin zu einer altersgruppenübergreifenden integrierten Personalpolitik. Die "ältere Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-Politik" sollte zukünftig in eine mehr lebenslaufbezogene Politik der Beschäftigungsförderung alternder Belegschaften überführt werden. Derartige Förderkonzepte sollten zugleich präventiv sein. Sie sollten darüber hinaus auch auf die Eröffnung "zweiter" oder "dritter Karrieren" und/oder auf die Förderung von selbstständiger Tätigkeit ausgerichtet sein ((...)).

Resümee und Ausblick

Eine Vorstellung über die zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarktes kann man nur gewinnen, wenn man gleichzeitig die wahrscheinliche Entwicklung des Arbeitsangebotes und der Arbeitsnachfrage in den Blick nimmt. Die zukünftige Entwicklung des Arbeitsangebotes ergibt sich aus dem demographischen Wandel, dem wahrscheinlichen Schrumpfen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der Erwerbsbeteiligung der Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter. Bei aller Problematik von Langzeitprojektionen stehen die Voraussagen zur Entwicklung des Arbeitsangebotes auf vergleichsweise sicherem Boden.

Demgegenüber ist die Nachfrage nach Arbeit in weit größerem Umfang variabel, weil sie von so veränderlichen Größen wie Niveau und Struktur der Konsumnachfrage, technischem Fortschritt, Arbeitsproduktivität, Kapitalkosten (Zinsen) und Arbeitskosten (Lohnkosten, Lohnnebenkosten, Regulierungskosten) abhängig ist. Die Konsumnachfrage wird im Zuge der Alterung nicht im gleichen Maße zurückgehen, wie die Bevölkerung abnimmt. Allerdings lassen sich die genauen Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Konsumausgaben nicht voraussagen, da die zu erwartenden Effekte gegenläufiger Natur und das Konsumverhalten der Verbraucher wahrscheinlich starken, nicht konkret voraussagbaren Veränderungen unterworfen sein wird. Außerdem kommt es darauf an, was Ältere zukünftig aus ihrem Einkommen z.B. für Gesundheit ausgeben müssen. Dies hängt stark von politischen Entscheidungen in diesem Bereich ab ((...)).

Die Projektionen in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung zeigen, dass langfristig in Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit steigenden Beitragssätzen zu rechnen ist. Bei unveränderter Aufteilung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil führt dies zu einer Zunahme der Lohnnebenkosten. Welche Auswirkungen sich daraus für die Arbeitskräftenachfrage ergeben, hängt unter anderem von den Überwälzungsmöglichkeiten ab, die u.a. wiederum von der internationalen Wettbewerbssituation beeinflusst werden.

Im demographischen Wandel wird sich für den deutschen (aber auch für den europäischen) Arbeitsmarkt längerfristig eine deutliche Entlastung von der Angebotsseite her ergeben. Von dieser Seite besteht die Chance, die Arbeitslosigkeit zu überwinden, um sich der Vollbeschäftigung anzunähern. Dem sollten die Arbeitsnachfrage reduzierenden Belastungen möglichst wenig entgegenwirken. Gelingt das nicht, verringert sich langfristig auch nicht die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit. Dann aber bleibt es auch bei der überproportionalen Betroffenheit der Problemgruppen (ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, behinderte Menschen u.a.). Auch spezielle Förderprogramme für diese Problemgruppen können zwar - falls erfolgreich - die Arbeitslosigkeit dieser Gruppen senken; da diese Sonderprogramme jedoch nicht kostenlos sein können, belasten sie ihrerseits wiederum den Gesamtarbeitsmarkt. Beschäftigungsprogramme für Ältere sollten daher eingebettet sein in allgemeine, die Arbeitsnachfrage stärkende Maßnahmen ((...)).

Handlungsempfehlungen

Die Bewältigung des demographischen Wandels muss eingebettet sein in eine Gesamtstrategie, die zur Lösung der anderen großen Herausforderungen beiträgt:

- Erhöhung der Beschäftigung und Abbau der Arbeitslosigkeit,

- Verbesserung der Einstiegschancen für Jugendliche,

- Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer,

- Verbesserung von Bildung, Ausbildung; lebenslanges Lernen,

- Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben,

- Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Kinderbetreuung und Pflege,

- verbesserte Integration von Migranten im Bildungs- und Beschäftigungssystem.

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Anforderungen der Arbeitswelt der Zukunft von einem insgesamt kleineren und älteren Erwerbspersonenpotenzial bewältigt werden müssen. Im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts wird auf Grund des natürlichen Bevölkerungsrückgangs das Arbeitskräfteangebot kontinuierlich abnehmen.

Andererseits wird die Arbeitskräftenachfrage auf Grund verschiedener Faktoren ebenfalls sinken. Wenn auch auf absehbare Frist ein hoher Sockel an Arbeitslosigkeit erhalten bleibt, wird jedoch insgesamt das sinkende Arbeitsangebot voraussichtlich die sinkende Arbeitsnachfrage überkompensieren, so dass zukünftig verstärkt Beschäftigungspotenziale mobilisiert werden müssen. Der demographische Wandel trägt einerseits zur Lösung der Probleme bei, verschärft aber auch andererseits die Problemlage.

Mobilisierung von Beschäftigungspotenzialen

Die künftige Arbeitsmarktpolitik hat zunächst die Arbeitsmarktnachfrage abzuschätzen. Dazu bedarf sie besserer und zielgenauerer Instrumente. Darüber hinaus geht es bei der Steuerung des Arbeitskräfteangebotes um die Mobilisierung von Beschäftigungspotenzialen und die Schaffung jeweils entsprechender Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Da zukünftige Belegschaften nicht nur älter, sondern vor allem auch anders zusammengesetzt sein werden (u.a. mehr Frauen und mehr Arbeitskräfte ausländischer Herkunft), müssen sich Arbeitsmarkt- und Personalentwicklungspolitik stärker auf unterschiedliche Beschäftigtengruppen und deren je spezifische Präferenzen und Bedarfslagen einstellen. Für berufstätige Eltern(teile) besteht besonderer Handlungsbedarf in Bezug auf die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie. Wie europäische Erfahrungen gezeigt haben (z.B. Frankreich), kann dies übrigens auch eine positive Geburtenentwicklung begünstigen ((...)).

Verbesserung von Bildung, Ausbildung; lebenslanges Lernen

In der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts wird besonders in einer alternden Gesellschaft das lebensbegleitende Lernen für alle unerlässlich werden. Deshalb müssen sich alle öffentlichen und privaten Träger unserer Bildungseinrichtungen sowie aus- und weiterbildende Unternehmen auf eine lernende und alternde Gesellschaft einstellen ((...)).

"Lebenslanges Lernen" muss zu einem bestimmenden Prinzip im Erwerbsleben für alle Beschäftigten-, Berufs- und Altersgruppen werden. Dabei sind und bleiben bei aller staatlicher Verantwortung die Unternehmen und jeder Einzelne für sich die entscheidende Handlungsebene. Jeder Einzelne muss in jeder Lebensphase bedarfs- und begabungsgerechte Weiterbildungsangebote wahrnehmen können, um sich flexibel auf neue Herausforderungen im Beruf einstellen zu können (...) Die lebenslange Qualifizierung stellt besondere Anforderungen an individuelle Ressourcen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Lernfähigkeit als auch auf das soziale Umfeld. Selbst wenn für die Mehrzahl der Erwerbsfähigen eine bessere betriebliche und überbetriebliche Qualifizierung durch geeignete Maßnahmen erreicht werden kann, wird dennoch ein Teil der Erwerbsfähigen nicht ausreichend qualifiziert werden können, um angesichts des rasanten technologischen Wandels auch mit zunehmendem Alter auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Für diesen Personenkreis fehlt es bisher an geeigneten Konzepten, mit denen verhindert werden kann, dass eine angestrebte generelle Verlängerung der Erwerbsphase dazu führt, dass Geringqualifizierte noch weiter als bisher an den Rand gedrängt werden. Dabei wird von besonderer Bedeutung sein, solche betrieblichen Arbeitsstrukturen zu entwickeln oder zu erhalten, die auch Geringqualifizierten Arbeitsmöglichkeiten bieten. Die Kommission regt an, die Forschung in dieser Hinsicht zu intensivieren ((...)).

Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben

Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben und die Notwendigkeit, im Zuge des demographischen Wandels Arbeitskräfte hinzuzugewinnen, erfordert eine Erhöhung der Frauenerwerbsbeteiligung. Dazu ist die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen notwendige Voraussetzung ((...)).

Neben finanziellen und organisatorischen Maßnahmen erfordert dies vor allem ein Umdenken in der Gesellschaft. Solange in weiten Teilen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft die Vorstellung von der Unvereinbarkeit der Lebensbereiche Familie und Beruf vorherrscht, werden immer weniger junge Menschen ihren grundsätzlich vorhandenen Kinderwunsch umsetzen, weil Eltern immer weniger im Stande sein werden, den in weiten Teilen familienunverträglichen Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden.

Unternehmen müssen geeignete Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben schaffen. Solche Maßnahmen sind beispielsweise:

- die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Aufgabe für Führungskräfte zu etablieren;

- Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen durch Weiterbildungs-, Mentoring- und Coachingprogramme sowie das Angebot von Führungspositionen als Teilzeitarbeitsplätze;

- das Gewinnen junger Frauen für zukunftsorientierte Berufe;

- Förderung der Akzeptanz der Gesellschaft für die Wahrnehmung von Familienaufgaben durch Männer;

- bessere Nutzung der familienbedingten Unterbrechungsmaßnahmen für Fort- und Weiterbildung.

Maßnahmen der Unternehmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Damit Unternehmen das Arbeitskräftepotenzial von Eltern nutzen können, müssen sie auch zur Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bereit sein. Dazu gehören unter anderem:

- eine variable Gestaltung der Arbeitszeit hinsichtlich Dauer und Lage, d.h. eine entsprechende Neuorganisation verschiedener Arbeitszeitmodelle auf den gesamten Lebenslauf bezogen (z.B. Gleitzeitarbeit, Arbeitszeitkonte, Sabbatjahre, Bildungsurlaub, Telearbeit);

- Unterstützung berufstätiger Eltern bei der Kinderbetreuung, z.B. durch Einrichtung von Betriebskindergärten, Kooperationen mit außerbetrieblichen Kinderbetreuungsangeboten, durch Hilfen bei der Suche nach einem entsprechenden Betreuungsarrangement, Hausaufgabenbetreuung oder Einrichtung innerbetrieblicher Betreuungsangebote;

- flexible Gestaltung und Verkürzung familienbedingter Unterbrechungsphasen, z.B. durch Weiterbildungsmöglichkeiten. Urlaubsvertretungen, spezielle Wiedereingliederungsprogramme sowie entsprechende Arbeitszeit- und Kinderbetreuungsmaßnahmen;

- Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Pflege behinderter und älterer Familienangehöriger ((...)).

Neuorganisation von Lebensarbeitszeit

Für alle Gruppen gleichermaßen gilt, dass künftige Konzepte eingebettet sein müssen in eine Neuorganisation der Lebensarbeitszeit. Dabei geht es zunehmend darum, dass das Nacheinander von Ausbildung, Erwerbsarbeit und "Freizeit" durch veränderte Muster abgelöst wird, bei denen für Lebensphasen spezifische Präferenzen realisiert werden können. Es wird zukünftig vermehrt darauf ankommen müssen, lebenszyklisch unterschiedliche Zeitbedürfnisse und -präferenzen in lebensbiographischer Dimension zu berücksichtigen, z.B. in Form von Erziehungs- und Pflegeurlauben, Sabbatjahren und Weiterbildungszeiten bzw. Lernzeitkonten. In diesem Zusammenhang kann auch der gleitende Übergang in den Ruhestand bzw. die Altersteilzeit eine neue Attraktivität gewinnen. Nicht zuletzt dient eine stärkere Fokussierung der Arbeitszeitpolitik auf Lebenslauf und Lebensarbeitszeit - möglichst in Verbindung mit innerbetrieblicher Laufbahnplanung - auch der frühzeitigen Planung der Abfolge der verschiedenen Familien-, Bildungs- und Erwerbsphasen und fördert über diesen Weg ebenfalls die Erwerbsbeteiligung nicht nur älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Einer solchen langfristigen Planbarkeit steht allerdings die Entwicklung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen entgegen ((...)).

Produktivität des Alters

Nie zuvor waren die älteren und alten Menschen nach Beendigung ihres Berufslebens im Durchschnitt in einer so guten körperlichen, seelischen und geistigen Verfassung, so gut materiell abgesichert und aktiv wie heute. Die derzeitige Altengeneration verfügt gegenüber den Vorgängergenerationen über ein höheres Bildungsniveau, sie ist wesentlich flexibler und pflegt mehr Austausch und Begegnung mit ihrer Umwelt. Die ihr verbleibende nachfamiliale und nachberufliche Lebensphase ist erheblich länger als früher. Dies resultiert aus der so genannten "Entberuflichung des Alters", dem seit den 1970er Jahren immer weiter nach vorne verschobenen Berufsaustrittszeitpunkt, und aus der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung. Beide Faktoren haben die Altersphase zu einem eigenständigen Lebensabschnitt werden lassen, der mittlerweile zwischen 20 und 30 Jahre dauert. Die Zunahme von Ressourcen und Kompetenzen älterer Menschen und das erhebliche Ausmaß an freier Zeit ziehen eine Erhöhung ihrer Aktivitätspotenziale nach sich. Dies hat angesichts der demographischen Verschiebungen und der daraus zwangsläufig entstehenden Belastungen der sozialen Sicherungssysteme zu einer Diskussion darüber geführt, ob und wie die personellen, ökonomischen und zeitlichen Ressourcen der Älteren gesellschaftlich genutzt werden sollten. Es stellt sich mithin die Frage, ob die älteren Menschen einen Eigenbeitrag zur Entschärfung der durch den demographischen Wandel verursachten Verschiebungen im Belastungsgefüge der Generationen leisten können und müssen. In der Auseinandersetzung über die zukünftige Rolle der Älteren gewinnt damit die Frage nach der "Produktivität im Alter" an Bedeutung.

Traditionellerweise wird der Begriff "Produktivität" im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit verwendet. Eine solche Definition hat aber im Hinblick auf die Aktivitäten von Älteren nur einen begrenzten Wert. Die Arbeitsformen in der traditionellen Arbeitswelt stehen den Älteren zum einen gar nicht zur Verfügung - schließlich hält der Trend zur Ausgrenzung dieses Personenkreises aus der Erwerbsarbeit weiterhin an - und werden zum anderen von ihnen vielleicht gar nicht mehr gewünscht bzw. können nicht mehr ausgefüllt werden. Viele ältere Menschen zeigen aber nach dem Berufsleben und der aktiven Familienphase ein starkes persönliches Interesse an weiteren Tätigkeiten. Die Aktivitäten, die ältere Menschen ausüben wollen, sind eher durch menschliche und zwischenmenschliche Qualität als durch gesellschaftlichen Status, Macht oder institutionalisierte Nützlichkeit gekennzeichnet. Produktivität im Alter kann daher nicht einfach eine Weiterführung der Erwerbsarbeit unter veränderten Vorzeichen sein. Vielmehr bedeutet produktives Leben im Alter, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen. Dies spiegelt sich auch in dem wahrzunehmenden "Aufbruch unter den älteren Menschen" wider. Darin drückt sich eine neue Alterskultur aus, die nicht in erster Linie auf ausschließliche Erfüllung individueller Bedürfnisse, sondern auf Verwirklichung von Lebenspotenzialen in einem vorgefundenen sozialen Umfeld ausgerichtet ist ((...)).

Allerdings zeichnen sich in den Engagementstrukturen Älterer Veränderungen ab, denen zukünftig Rechnung getragen werden muss. So gewinnt ein stärker projektorientiertes Engagement gegenüber dauerhaften Verbindlichkeiten zunehmend an Attraktivität, da dies dem Wunsch nach Selbstbestimmung und Organisation eher entspricht. Das vorhandene Potenzial an außerfamilialem bürgerschaftlichen Engagement gilt keineswegs als ausgeschöpft. Bei entsprechenden Förderstrategien ist also durchaus eine Ausweitung der Partizipation im Alter zu erwarten. Die gesellschaftliche Produktivität in einem weiteren Sinne schließlich bezieht sich auf die Selbstorganisation der Alten und deren politischen Einfluss. Sie könnte durchaus einen produktiven Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten, ist aber gemessen an ihren prinzipiellen Möglichkeiten noch unterentwickelt. Da anzunehmen ist, dass zukünftige Ältere noch kompetenter als die heutigen sein werden, wäre es sinnvoll, ihre Kompetenz gesellschaftlich besser zu nutzen. Ansätze hierfür finden sich in den Seniorengenossenschaften und den Bürgerbüros in Baden-Württemberg sowie den bundesweit eingerichteten Seniorenbüros.

Bereits heute leisten Ältere einen maßgeblichen Produktivitätsbeitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft. Auch aus diesem Grund sind Forderungen nach einer "Wiederverpflichtung des Alters" oder einer "Sozialzeit für Ältere" kritisch zu beurteilen. Sie ignorieren nicht nur die im großen Umfang praktizierte innerfämiliale Generationensolidarität und die außerfamiliale soziale Unterstützung, sondern auch die Unterschiede in den Lebenslagen der heute Älteren. Viele ältere Menschen sind aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen zu gesellschaftlicher Produktivität gar nicht oder nur eingeschränkt in der Lage. Deshalb müssen Überlegungen zur Produktivität im Alter auf die vielfältigen Facetten des Alters abgestimmt werden ((...)).

Das politische Machtpotenzial der älteren Generation

Im Zuge des demographischen Wandels bilden die Älteren in der Gesellschaft ein immer größeres politisches Machtpotenzial. Sie repräsentieren einen steigenden Anteil der Wahlberechtigten, stellen eine wachsende Minderheit in Großverbänden wie den Gewerkschaften, gründen zunehmend eigene Organisationen und sind in Parteien und Seniorenbeiräten präsent. Inwieweit dieses Potenzial zu einem tatsächlichen Machtfaktor wird, hängt jedoch davon ab, ob die Älteren bzw. Teilgruppen unter ihnen sich als eine Gesellschaftsgruppe mit eigenen Interessen begreifen und ob ihnen die Mittel zur Verfügung stehen, diese Interessen auch durchzusetzen. Zwar fehlt den Älteren jenes ökonomische Drohpotenzial, das die verschiedenen Gruppen des Erwerbssystems im Konfliktfalle einsetzen können, sie verfügen aber in zunehmendem Maße sowohl über die körperlichen und kognitiven als auch über die materiellen Voraussetzungen eines politischen Engagements. Dies zeigt sich etwa an dem stark ausgeprägten politischen Interesse sowie an dem steigenden Anteil der in Gesellschaft oder Politik aktiven "neuen Alten".

Aus der Fähigkeit und Bereitschaft zum politischen Engagement ergibt sich aber keineswegs zwangsläufig das Ziel, sich als Ältere schwerpunktmäßig für die Interessen anderer Älterer einzusetzen. Denn für sich genommen konstituiert das Merkmal Alter keine Interessenlage, sondern bildet allenfalls die Grundlage für eine heterogene Konstellation von altenspezifischen Problemlagen. Für die Einzelnen sind die lebenslangen Prägungen durch die Erwerbstätigkeit bzw. den Sozialstatus im Zweifel stärker als die an das Lebensalter geknüpften Belange.

Von einem wenig ausgeprägten Interessenbewusstsein der Älteren zeugen auch die geringen Organisationsgrade von Altenorganisationen, die bis in die 1980er Jahre immer wieder gescheiterten Versuche zur Bildung eines alten- und rentenpolitischen Dachverbandes ((...)). Die Schwäche dieser Organisationen erklärt sich aber auch damit, dass Ältere überwiegend den Verbänden und Organisationen angeschlossen bleiben, denen sie schon als Erwerbstätige angehört haben. Dies gilt insbesondere für die Gewerkschaften ((...)).

Demgegenüber hat man bei den in neuerer Zeit entstandenen Gremien wie Seniorenausschüssen oder besonderen Arbeitsgemeinschaften der Parteien den Eindruck, dass sie eher Instrumente zur sozialen Einbindung und symbolischen Partizipation als Manifestationen einer wachsenden Altenmacht in der Politik sind. Auch wenn die Parteien objektiv "altern", wird der Einfluss ihrer älteren Mitglieder nicht automatisch größer, denn der Anteil der aktiv Engagierten geht mit zunehmendem Alter zurück. Die Spitzenpositionen in den Parteien werden immer seltener mit Älteren besetzt. Es kommt hinzu, dass die Aktiven unter den Älteren sich offenbar eher für die von der jeweiligen Partei vertretenen allgemeinen politischen Ziele als für die spezifischen Interessen der Älteren einsetzen.

Bislang also stellen die Älteren politisch eher ein latentes Machtpotenzial dar. Altenspezifische Politikprobleme wie die Alterssicherung oder die Krankenversicherung können, wie das Beispiel der USA zeigt, grundsätzlich zu einer politischen Mobilisierung der Älteren auch in eigenen Organisationen führen. In Deutschland ist dies jedoch so lange unwahrscheinlich, wie politische Großorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften die Alten- und vor allem die Rentnerinteressen in einer für die Betroffenen zufrieden stellenden Art und Weise mit vertreten. Die nach wie vor positive Beurteilung des Rentenversicherungssystems sowohl durch Ältere als auch durch Jüngere deutet daraufhin, dass dies bislang gelungen ist ((...)).

Gesundheit, Pflege und soziale Dienste

Herausforderungen an das Gesundheitssystem im demographischen Wandel

Dass das deutsche Gesundheitssystem heute bereits unter einem hohen Kostendruck steht und dass dieser abgebaut werden muss, wenn die bestehenden umfangreichen Gesundheitsleistungen für alle bezahlbar bleiben sollen, ist unstrittig. Der Kostendruck entsteht einerseits durch die eingetretene Verlängerung der Lebenserwartung (auch der Erkrankten), die unter anderem erreicht wurde durch den medizinisch-technischen Fortschritt, in dessen Folge neue und teure Therapiemöglichkeiten in die Versorgung eingebracht wurden. Andererseits entsteht er durch immanente Qualitäts- und Effizienzmängel (Über-, Unter- und Fehlversorgung) des Gesundheitssystems, durch von den Anbietern ausgelöste Leistungsausweitung sowie durch individuelles gesundheitliches Fehlverhalten. Seit Mitte der 1970er Jahre ist versucht worden, das Ausgabenwachstum und den Anstieg der Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu bremsen. Alle durchgeführten Maßnahmen konnten jedoch den Anstieg der Beitragssätze nicht verhindern ((...)).

Die bisherige Diskussion über die Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland wird hauptsächlich unter dem Blickwinkel geführt, dass das Altern der Gesellschaft längerfristig vor allem mit einer Zunahme der Ausgaben für Gesundheitsleistungen verbunden ist, die von der Solidargemeinschaft finanziert werden müssen. Das Gesundheitssystem ist jedoch als soziale Krankenversicherung nicht nur Kostenfaktor, sondern es hat sich zu einem prosperierenden Wirtschaftssektor entwickelt, dem ein großes Innovations- und Beschäftigungspotenzial innewohnt.

Die Verschiebung der Altersstruktur wird sowohl Auswirkungen auf die Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung - in der etwa 90 % der Bevölkerung versichert sind - als auch auf die Einnahmen haben. Ältere Menschen beanspruchen im Durchschnitt mehr Leistungen aus dem Gesundheitssystem als jüngere, zahlen aber in Abhängigkeit vom Rentenniveau geringere Beiträge in die Krankenversicherung ein. Die demographische Entwicklung führt längerfristig zu einer tendenziell sinkenden Einnahmenbasis der Versicherungen, während die Ausgaben für die Krankenversorgung in Zukunft steigen werden (...) Die in den demographischen Szenarien prognostizierten Entwicklungen der Sozialsysteme sind jedoch keine Konstanten, sondern unterliegen der politischen Gestaltbarkeit ((...))

Handlungsempfehlungen

Die Handlungsempfehlungen orientieren sich an eine künftigen Entwicklung der Bevölkerung mit einem höheren Anteil alter, chronisch kranker und auf Hilfe und Pflege angewiesener Menschen. Die Menschen werden zu einem erheblichen Anteil in mittleren und kleineren Orten leben und auch im Alter und bei Krankheit im gewohnten häuslichen Umfeld bleiben wollen. Vor diesen Hintergrund ist einerseits auf die kurz- und mittelfristige Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen insbesondere bei Diagnose, Behandlung und Rehabilitation zu achten, andererseits auf den systematischen Auf- und Ausbau von Präventionsprogrammen zur flächendeckenden Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit (...) Die Versorgungsstrukturen der Zukunft müssen darauf zugeschnitten werden, zunehmend mehr Diagnosen und Behandlungen ambulant und wohnortnäher durchführen zu können sowie die Versorgung von chronisch Kranken qualitativ hochstehend zu gewährleisten ((...)).

Pflege

Die derzeitige Situation im Verhältnis von professioneller zu häuslicher Pflege lässt sich einerseits durch die so genannte Heimquote und andererseits durch den Anteil der im häuslichen Bereich erbrachten professionellen Dienstleistungen veranschaulichen. Bezogen auf alle Pflegebedürftigen beträgt die Heimquote derzeit (1998) rund 30 %. Dabei variieren die altersspezifischen Heimquoten von 20 % bei den unter 60-Jährigen bis 43 % bei den über 90 Jahre alten Pflegebedürftigen. Ähnlich exakte Angaben lassen sich über die Anteile der Pflegebedürftigen in Privathaushalten, die professionelle ambulante Dienste in Anspruch nehmen, nicht machen, weil die entsprechenden Zahlen sich nicht aus der amtlichen Pflegestatistik ergeben und daher nur auf der Grundlage von Stichproben geschätzt werden können. Die in verschiedenen empirischen Untersuchungen genannten Werte liegen zwischen 31 und 40 %, so dass für Prognosen der ungefähre Mittelwert von 35 % eine realistische Ausgangsbasis darstellt. Insgesamt machen die professionellen Hilfen allerdings nur etwa 13 % der im häuslichen Umfeld erbrachten Pflegeleistungen aus.

Ein abnehmendes familiales Hilfepotenzial könnte außer durch professionelle Pflegekräfte auch durch außerfamiliale informelle Netzwerke kompensiert werden. Empirische Befunde zu dem entsprechenden Hilfepotenzial stimmen bislang aber darin überein, dass Freunde, Bekannte oder Nachbarn nur in seltenen Fällen dauerhaft umfassende Hilfe- und Pflegeleistungen erbringen. Allerdings kann die bislang kleine Gruppe der Pflegebedürftigen mit einem individualisierten Lebensstil in erstaunlich hohem Maße auf Unterstützung aus diesem außerfamilialen Personenkreis zurückgreifen. Daraus könnte angesichts des generellen Trends zur Individualisierung auf eine zukünftig steigende Bedeutung außerfamilialer informeller Helfer in den Pflegearrangements geschlossen werden. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass dieses spezifische soziale Kapital auch bei den Individualisierten mit zunehmendem Lebensalter rapide abnimmt. Für diesen Rückgang gibt es zwei gleichermaßen plausible Erklärungen. Einerseits werden mit zunehmendem Alter auch bei individualisierten Pflegebedürftigen die Beziehungsnetzwerke zu Freunden, Bekannten oder Nachbarn loser, und zum anderen sind die informellen Helfer außerhalb der Familie mit dem im Alter zunehmenden Hilfebedarf der Pflegebedürftigen überfordert.

In der Familie wird die Versorgung von Pflegebedürftigen derzeit zu zwei Dritteln von Frauen, d.h. von Ehepartnerinnen, Müttern, Töchtern oder Schwiegertöchtern, übernommen, von denen wiederum die Mehrzahl nicht erwerbstätig ist. Unter allen Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und unter 65 Jahren sind zwei Drittel nicht, 7 % geringfügig und 11 % halbtags erwerbstätig (...) Andererseits zeigen neueste Analysen, dass die Aufnahme einer Pflegetätigkeit in der Familie durchaus schwerwiegende Konsequenzen für die eigene Erwerbstätigkeit haben kann. Immerhin hat fast jede dritte Hauptpflegeperson wegen der Pflege ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben oder zumindest eingeschränkt. Weit weniger als die Hälfte der Hauptpflegepersonen konnte auch nach Aufnahme der Hilfetätigkeit in der Familie die eigene Erwerbstätigkeit uneingeschränkt aufrechterhalten ((...)).

Handlungsempfehlungen: Bedarfsgerechte Leistungsgestaltung

Die Pflegeversicherung geht von einer bestimmten Struktur der Altenpflege aus: Familienpflege, ambulante Dienste, Heim, Kurzzeit- und Tagespflege. Wenn ein Angebot nicht in dieses Schema passt, gibt es keine adäquate Finanzierungsmöglichkeit, da hierfür allein das Pflegegeld zur Verfügung steht. Es sind Experimentierklauseln notwendig. Die Entwicklung weiterer Angebotsformen würde erleichtert, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Leistungen der Pflegeversicherung auch hier in Höhe der Sachleistungen gewährt werden. Denkbar ist auch eine stärkere Freiheit für die Pflegebedürftigen: Sie erhielten ein Budget und könnten dieses nach eigenen Vorstellungen einsetzen. Denn differenzierte Bedarfe bedürfen auch differenzierter Hilfe ((...)).

Die Transparenz auf dem Pflegemarkt sollte verbessert werden, z.B. durch trägerunabhängige Beratungsstellen und Veröffentlichungen über Träger, deren Leistungen, Qualität und Preise ((...)).

Für die Qualitätssicherung ist eine geregelte und zur Verpflichtung gemachte Kooperation zwischen Pflegeheimen und den niedergelassenen Ärzten erforderlich. Neben einer geregelten Kooperation sollten die Möglichkeiten geprüft werden, ob Pflegeheime eigene Heimärzte mit geriatrischer Spezialisierung einstellen können ((...)).

Umsetzung des Grundsatzes ambulant vor stationär

Ambulante Versorgungseinrichtungen sollten in größerem Umfang fachübergreifend ausgestaltet werden (ärztliche, pflegerische, psychosoziale Versorgung und Rehabilitation umfassend), um sowohl bei somatischen wie auch bei (geronto)-psychiatrischen Beschwerden effektiv tätig sein zu können ((...)).

Die Rationalisierung der Versorgungsstrukturen und die Vermeidung von Anreizen für einen Umzug ins Heim sind ohne systematisch angelegte Stützung von Pflegehaushalten nicht zu erreichen. Notwendig wären z.B. Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Pflege (z.B. durch einen zeitlich begrenzten Pflegeurlaub für Pflegepersonen nach dem Vorbild des Elternurlaubs, flexible Arbeitszeitregelungen, Ausweitung des Angebots an professionellen Pflegekräften, Kooperationen mit ambulanten und teilstationären Pflegeeinrichtungen, zielgenauere Ausrichtung des Pflegeangebots und seiner Finanzierung auf berufstätige Pflegepersonen). Wie viel stationäre Versorgung notwendig sein wird, hängt entscheidend von der Qualität der ambulanten Versorgung ab ((...)).

Soziale Dienste

Soziale Dienste bieten Menschen vor allem bei immateriellen Problem- oder Konfliktlagen Hilfestellung und Unterstützung. Sie werden in den Bereichen Gesundheit und Pflege von älteren Menschen, bei Kranken, behinderten Menschen oder Pflegebedürftigen für Betreuung, Versorgung, Behandlung, Pflege und Rehabilitation sowie bei häuslichen Verrichtungen in Anspruch genommen. Soziale Dienste werden zum einen in professioneller Trägerschaft vom Staat, von freigemeinnützigen sowie privat-gewerblichen Anbietern erbracht und zum anderen in dem informellen Hilfebereich von Familie, Selbsthilfe und Ehrenamt geleistet.

Als Folge der demographischen Entwicklung werden die Anteile älterer Menschen, älterer Kinderloser, älterer Alleinlebender ohne Angehörige und älterer Ehepaare ohne Angehörige steigen. In Verbindung mit dem gesellschaftlichen Wandel und der Abnahme familialer Netzwerke wirkt sich diese Entwicklung nachhaltig auf die Nachfrage nach solchen sozialen Diensten aus, die Familienleistungen ergänzen oder ersetzen. Professionelle Dienste, aber auch ehrenamtliche Hilfeleistungen, werden daher an Bedeutung gewinnen. Die veränderten Bedarfslagen verlangen dabei nach der Entwicklung eines Wohlfahrtsmix, in dem professionell erbrachte Dienste auf neue Weise mit Ehrenamt, Selbsthilfe und Familienhilfe verknüpft werden.

Die sozialen Dienste werden sich in Zukunft auch veränderten qualitativen Herausforderungen stellen müssen. Zunehmend werden bei psychischen und gerontopsychiatrischen Erkrankungen, in der Behindertenhilfe sowie bei älteren Menschen neben rein pflegerischen Leistungen auch ergänzende Dienste wie hauswirtschaftliche Unterstützung oder Wohnen mit Betreuung notwendig. Die wachsenden Schwierigkeiten, Beruf und familiale Pflege zu vereinbaren, führen zu neuen Anforderungen an soziale Dienstleistungen in Hinsicht auf ihr Leistungsspektrum und ihre Flexibilität ((...)).

Zur Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements im Bereich sozialer Dienste

Bürgerschaftliches Engagement kann Impulse setzen zur Entwicklung und Anreicherung der örtlichen Hilfestrukturen zwischen der Versorgung in der Familie und der gegen Entgelt oder Sachleistungsanspruch getauschten Dienstleistung auf zivilgesellschaftlicher Grundlage. Es trägt dadurch bei zur

- Erhöhung der Lebensqualität von Menschen mit Pflege- und Versorgungsbedarf mittels Erweiterung des Leistungsspektrums in Wohlfahrtsmischungen (vor allem im sozial-integrativen und sozial-kommunikativen Bereich);

- stärkeren Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern in der Bewertung der erreichten Qualität der sozialen Infrastruktur eines Gemeinwesens und seiner Entwicklungserfordernisse.

Bürgerschaftliches Engagement und soziale Dienste stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander. Dieses wird umso deutlicher, je mehr wechselseitiges Lernen und Respekt zwischen professionellen Unterstützungsformen charakteristisch werden und die Kultur des Sozialen durchdringen ((...)).

Handlungsempfehlungen "Stärkung der Alternsforschung"

Ergänzend zu dringenden Reformen im Gesundheitswesen und bei der Pflege muss auch die Alternsforschung erheblich gestärkt werden, die in Deutschland bislang eine zu geringe Priorität genießt. Den mit dem demographischen Wandel einhergehenden gesellschaftspolitischen, pflegerischen, ökonomischen und medizinischen Herausforderungen sollte auf der Basis von Ergebnissen einer zukunftweisenden, interdisziplinär ausgerichteten Alternsforschung adäquat begegnet werden.