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Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen | Dritte Welt | bpb.de

Dritte Welt Editorial Deutsche Entwicklungskooperation gestalten Das Schweigen des Parlaments Staatsversagen, Gewaltstrukturen und blockierte Entwicklung: Haben Krisenländer noch eine Chance? Die wahren Globalisierungsgegner oder: Die politische Ökonomie des Terrorismus Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen

Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen Die Ombudsstelle für Indígena-Frauen in Guatemala

Ludgera Klemp

/ 20 Minuten zu lesen

Welche Folgen hat gesellschaftliche Gewalt für die Indígena-Frauen in Guatemala? Am Beispiel der Institution Ombudsstelle wird deutlich, wie gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgegangen werden kann.

Einleitung

Ein Jahr nachdem Aung San Suu Kyi, Führerin der Demokratiebewegung in Myanmar, 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, erhielt die Guatemaltekin Rigoberta Menchú Tum diesen Preis. Der geschichtliche Augenblick, der eine Maya-Frau vor zehn Jahren zu einer international bekannten Persönlichkeit machte, hat symbolische Bedeutung: Erstmals konnte sich die Stimme einer Indígena-Frau international Gehör verschaffen und die Weltöffentlichkeit auf die Situation der indigenen Bevölkerung in Guatemala aufmerksam machen. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien wurde 1996 der Bürgerkrieg nach 36 Jahren durch den Abschluss der Friedensverträge beendet. Diese legen die Grundlagen für eine Friedensgesellschaft, deren zentrale Elemente die Achtung der Menschenrechte, Kollektivrechte der indigenen Bevölkerung und Frauenrechte sowie der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates sind.

I. Der Archetyp der starken "Großmutter" lebt in den Frauen fort

Zahlreiche Vereinbarungen der verschiedenen Friedensverträge beziehen sich auf die Gleichberechtigung und Verbesserung der Situation von Frauen. Die Defensoría de la Mujer Indígena, eine Ombudsstelle zur Verteidigung der Rechte indigener Frauen, geht aus dem Abkommen über "Identität und Rechte der indigenen Bevölkerung" hervor; gegründet wurde sie vor zwei Jahren. In dem Friedensabkommen werden weiterhin indigene Selbstverwaltungsstrukturen und Rechtspraktiken sowie die verschiedenen Sprachen anerkannt. Zur indigenen Bevölkerung zählen die Maya, Garífuna (Afroguatemalteken) und Xinca, wobei die Maya mit über 20 linguistischen Gruppen die stärkste Volksgruppe darstellen. Die "Ladinos", die das Land politisch und wirtschaftlich dominieren, definieren sich heute hauptsächlich darüber, keine Indígenas zu sein.

Die Wahrheitskommission unter der Leitung des deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat hat in ihrem Bericht Erinnerung an das Schweigen (1999) Zeugnis über die an Frauen und Mädchen begangenen Verbrechen abgelegt. Es ist das Verdienst der Kommission, auf die unbewältigte Demütigung und Traumatisierung von Maya-Frauen aufmerksam gemacht zu haben.Während des Bürgerkrieges wurden sie Opfer grausamer Menschenrechtsverletzungen und misshandelt. Die systematische Vergewaltigung von Frauen war gezielte Strategie der Streitkräfte, um die Würde der Maya-Bevölkerung zu zerstören. Über die Vergangenheit schweigen viele, doch ist die Erinnerung an Genozid und Vertreibung zum Bestandteil der kollektiven Identität der Indígena-Bevölkerung geworden.

Für Frauen hat der Friedensprozess neue Handlungsspielräume eröffnet. Viele von ihnen, darunter Frauen, die Massaker, Vertreibung und Exil überlebt haben, sind in unzähligen Gruppen, lokalen Initiativen und dörflichen Entwicklungskomitees organisiert. Ihre Tatkraft beziehen Maya-Frauen aus der Existenz ihrer Vorfahren und weiblichen Vorbilder. Zu diesen zählt die Mondgöttin Ixmucané. Sie verkörpert den Archetyp der starken "Großmutter", Heilerin und "alten Weisen". Über ihr Wirken und Tun berichten viele Legenden. Trotz jahrhundertelanger Kolonisierung, Unterdrückung und Bürgerkrieg wurden die weiblichen Archetypen mit ihren innewohnenden Kräften im Bewusstsein vieler Maya-Frauen nicht verschüttet. Heute trägt eine der zahlreichen Frauenorganisationen den Namen dieser Mondgöttin: Ixmucané setzt sich für Landeigentum für Frauen ein, fördert Mädchenbildung und die Alphabetisierung von Indígena-Frauen, die wichtige Grundlagen für ihre persönliche Identität und Stärke bilden.

Die Gründung der Ombudsstelle zeugt davon, wie schwierig es ist, als Indígena-Frau in Guatemala zu leben und gleichzeitig Rechte als aktive Staatsbürgerin wahrzunehmen. Neben dem Kulturministerium ist die Ombudsstelle die einzige staatliche Behörde, die von einer Indígena-Frau geleitet wird. Die erste Ombudsfrau ist Juana Catinac, eine selbstbewusste Maya-K'iché. Mit über 600 000 Mitgliedern sind die K'ichés die größte Maya-Gruppe. Sie sind stolz auf die Pyramiden und Tempel von Tikal, das heilige Buch der Maya, den Popol Vuh, der die spanische Eroberung überlebt hat und als der bedeutendste in K'iché verfasste Text gilt. Der Popol Vuh wurde vermutlich Mitte des 16. Jahrhunderts in lateinischer Sprache festgehalten und gilt als eindrucksvoller Ausdruck indigener Literatur.

Bereits als junge Frau engagierte sich Juana Catinac in ihrer Gemeinschaft, etwa bei der Lösung von Landkonflikten und Vermittlung von Streitigkeiten zwischen Gemeinschaften. Jetzt versucht sie, das Rechtsbewusstsein unter den Frauen zu fördern, damit sie sich gegen Diskriminierung und Gewalt wehren können. Sie erwarb Fähigkeiten, die ihr heute zugute kommen. Ihr Jurastudium brach sie wegen der Gewalt und zunehmenden Armut ihrer Familie ab. Trotz fehlendem Universitätsabschluss wurde ihr das Amt der Ombudsfrau übertragen. Mit ihrer Herkunft und Identität, ihren Kenntnissen über die Geschichte des Landes und frauenrelevante internationale und nationale Rechtsinstrumente erfüllte sie die wesentlichen Voraussetzungen. Je stärker sie politisch aktiv wurde, desto häufiger machte sie die Erfahrung, was es bedeutet, Maya-Frau zu sein. In ihr Bewusstsein hat sich eine wiederkehrende Bemerkung eingeprägt: " Hört nicht auf sie, was hat eine Indígena schon zu sagen!"

II. Hüterin der Kultur

Wie in den meisten Gesellschaften ist auch in Guatemala die Frau Hüterin der Kultur. Die Mehrheit der Maya-Frauen trägt die handgewebten huipil-Blusen und Wickelröcke (corte). Die farbenprächtigen Blusen, Haarbänder und kunstvollen Kopfbedeckungen werden von antiken und modernen Mustern sowie Blumen und Tieren geziert. Der huipil ist häufig eine offene "Enzyklopädie", weil seine Abbildungen verschlüsselte Botschaften über Mythologie und Geschichte der Maya enthalten. Tiere wie der Jaguar und zweiköpfige Adler verkörpern den Widerstand gegen die spanische Kolonisierung. Weben und Erzählen bilden eine Einheit. Noch heute stellen Maya-Frauen ihre Kleidung selbst an Hüftwebstühlen her. Darüber hinaus ist für viele Frauen das Weben und der Verkauf von Textilien eine der wenigen Möglichkeiten, Einkommen zu erwirtschaften. Schutzpatronin und Erfinderin der Webkunst ist die Mondgöttin Ixchel. Auf präkolumbischen Stelen ist sie mit einem Webstuhl dargestellt.

Alltagsleben und Lebensweise sind stark von der Kosmovision der Maya beinflusst, denn die gedanken- und gestaltreiche Mythologie lebt in den Frauen fort. Darin ist der Mensch Teil der Natur, die es zu schützen und in ihrer biologischen Diversität zu erhalten gilt. Insbesondere mit dem Land verbindet Indígena-Frauen eine vielschichtige und spirituelle Beziehung. Eine wesentliche Quelle der Kultur und Kosmovision bildet die "Mutter Erde". Sie ist der Ort des sozialen Lebens und der Gemeinschaftsarbeit, sie liefert Nahrungsmittel und beherbergt die Toten. Viele Seen, Flussläufe, Wälder, Berge und Hügel gelten als heilige Stätten, die in Zeremonien geehrt werden. Zahlreiche Bäume werden vor menschlichen Eingriffen geschützt, weil sie wichtige Lebensfunktion erfüllen, wie die Ceiba, die den Lebensbaum und die Achse der Welt verkörpert.

An sakralen Plätzen und Monumenten, die zum Teil während des Bürgerkrieges zerstört wurden, finden die religiösen Zeremonien statt, die für die Maya von existentieller Bedeutung sind. Im Maya-Kalender hat jeder Tag einen Hüter (nawal), der als "Tagesgott" die Menschen beschützt. Von ihnen beziehen sie ihre spirituelle Nahrung und Energie, die ihnen ihre Tatkraft verleiht. Frauen haben sich als "die Weberinnen des Friedens" (tejedoras de la paz) durch neue Formen politischer Netzwerkarbeit einen Namen gemacht. Richtungweisend ist das nationale Frauenforum, ein ethnienübergreifender und landesweiter Zusammenschluss, der die Umsetzung der geschlechterrelevanten Friedensvereinbarungen kritisch überwacht. Geschlechterungleichheit und gemeinsame Nöte helfen dabei, traditionelle Feindbilder zwischen Indígenas und Ladinas abzubauen.

Wie in anderen Nachkriegsgesellschaften sind auch in Guatemala Frauen die treibende Kraft beim Wiederaufbau ihrer Gemeinschaften, obwohl in den Dörfern Opfer und Täter in enger Nachbarschaft leben. Als Witwen und Hinterbliebene tragen Indígena-Frauen die Verantwortung für ihre Familien. Unter schwierigen Bedingungen haben sie eine protagonistische Rolle als Wegweiserinnen des Friedens übernommen. Von ihnen ging weder die Gewalt aus, noch waren sie an den Verbrechen des Bürgerkrieges und anderen Greueltaten beteiligt. Obwohl die Erinnerungen an die Vergangenheit nicht verblassen, ist es für sie leichter, verfestigte Trennlinien zu überwinden und Brücken zu bauen.

III. Diskriminierung im Alltagsleben

Heute ist die Situation von Indígena-Frauen von sozialer Heterogenität gekennzeichnet. Doch ist die Mehrheit einer dreifachen Diskriminierung ausgesetzt: als Frau, Angehörige einer ethnischen Volksgruppe und Teil der Armutsbevölkerung. Die überwiegende Mehrheit lebt in extremer Armut unter Bedingungen sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ausgrenzung. Auch Indígena-Frauen mit Universitätsabschluss stoßen auf gesellschaftliche Widerstände, die ihre beruflichen Möglichkeiten und Aufstiegschancen einschränken. Allgemein verfügen sie über weniger soziale und wirtschaftliche Chancen, werden schlechter bezahlt als Männer und sind häufig Opfer familiärer und sexueller Gewalt. In der Öffentlichkeit werden Indígena-Frauen oft diskriminiert. Die Tatsache, dass sie die traditionelle Kleidung tragen, macht sie besonders verletzlich. Selbst die Tourismusbranche scheut manchmal nicht davor zurück, herkömmliche Diskriminierungsmuster zu reproduzieren, indem sie mit hellhäutigen, in Maya-Trachten gekleideten Frauen für die folkloristischen "Reize" des Landes wirbt.

Indígena-Frauen fühlen sich beleidigt, wenn sie als "Inditas" und "Marias" angesprochen werden. Einige nehmen nach einer ungeschriebenen Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln auf den hinteren Sitzen Platz, weil die vorderen für Ladinos reserviert sind. Wenn sie es nicht tun, werden sie oft dazu aufgefordert: "Nach hinten María, dort ist dein Platz!" Selbst in Supermärkten und Restaurants machen sie nicht selten die Erfahrung, unerwünscht zu sein. Viele finden sich mit dieser Realität ab und schweigen über ihr Leid. Im gebeugten Gang der Frauen offenbart sich die harte körperliche Arbeit sowie ihr verinnerlichtes Unsicherheits- und Minderwertigkeitsgefühl.

Während die Älteren in der Subsistenzlandwirtschaft überleben, wandern viele junge Frauen in die Städte ab, in denen sie als billige Arbeitskräfte in Lohnveredelungsbetrieben (Maquila), als Hausangestellte und im informellen Wirtschaftssektor arbeiten.Vor allem die Landfrage ist noch ungelöst. Immer wieder kommt es zu Landkonflikten, weil der fruchtbare und landwirtschaftlich nutzbare Boden sehr ungleich verteilt ist. Allerdings gibt es erste, bescheidene Lösungsversuche, die den Landerwerb der indigenen Bevölkerung fördern und sogar das Miteigentum von verheirateten Frauen ermöglichen. Aufgrund der Diskriminierung in den eigenen Gemeinschaften gelingt es nur einer Minderheit von Frauen, Land zu besitzen und die Kontrolle darüber auszuüben.

Auch öffentliche Dienstleistungen nehmen wenig Rücksicht auf die Kosmovision, Normen und Wertvorstellungen der indigenen Bevölkerung. Das Gesundheitssystem erkennt das traditionelle indigene Wissen nicht in ausreichendem Maße an, wie die Anwendung von Naturheilverfahren und Entbindungspraktiken, die vorzugsweise an zeremoniellen, therapeutischen Orten oder in den traditionellen Dampfbädern (temascales) stattfinden. Es mangelt an angepassten therapeutischen Beratungsangeboten für die Heilung seelischer Krankheiten, wie die tiefen Wunden, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat. Weiterhin ist in den meisten öffentlichen Einrichtungen Personal beschäftigt, das nur Spanisch spricht. Ebenso zeichnen sich im Bildungsbereich erst allmählich multiethnische pädagogische Ansätze ab. Eine multilinguale Bildungspolitik und eine an der Multiethnizität ausgerichtete Gesundheitspolitik sind jedoch für die kollektiven sowie individuellen Lebens- und Verwirklichungschancen von elementarer Bedeutung.

Ebenso benachteiligt das Justizsystem Indígena-Frauen. Zum offiziellen Justizsektor haben sie kein Vertrauen, da sie den Behörden, die ihnen während des Bürgerkrieges keinen Schutz geboten haben, nicht vertrauen. Wegen der Schwellenängste und Sprachbarrieren sowie des Kosten- und Zeitaufwandes des offiziellen Rechtsweges scheuen sie davor zurück, diesen Weg in Anspruch zu nehmen. Insbesondere die auf dem Land lebenden Frauen sind monolingual und stoßen auf Schwierigkeiten. Noch ist es für die meisten Frauen nicht selbstverständlich, Rechte wahrzunehmen und gegen Diskriminierung, Geschlechtergewalt und Erbschaftskonflikte vorzugehen. Fehlendes Rechtsbewusstsein und Furcht vor Sanktionen hindern Frauen daran, Beratung zu suchen und Rechte in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus spielt im Alltag das Gewohnheitsrecht in der traditionellen Konfliktmediation eine wichtige Rolle. Daher hat auch die Wahrheitskommission die Stärkung indigener Rechtspraktiken innerhalb der guatemaltekischen Rechtsordnung gefordert - jedoch nur soweit ihre Normen mit der Verfassung und mit völkerrechtlich verbindlichen Konventionen vereinbar sind.

Bei familiären oder gesellschaftlichen Konflikten wenden sich Betroffene oft an Ältestenräte oder religiöse Autoritäten. Die zentralen Rechtsprinzipien basieren auf Konsenskultur und Wiederherstellung der Harmonie durch Mediation, d.h. auf dem Ausgleich von Gegensätzen und Wiedergutmachung von angerichteten Schäden. Hierin unterscheiden sich traditionelle Rechtsnormen von modernen, die weitgehend auf einer Konfliktkultur gründen. Ohne Zweifel bieten traditionelle Rechtspraktiken Vorteile: Ihre Autoritäten befinden sich im sozialnahen Raum, es bestehen keine sozialen oder Sprachbarrieren, die Verfahren sind schnell und kostenlos.

Doch obwohl die Frau als Trägerin der Kultur vielfach "verehrt" wird, bietet ihr das Gewohnheitsrecht keinen ausreichenden Schutz. Es bewahrt sie weder vor Diskriminierung noch vor Gewalt. Zwar ergänzen sich in der Kosmovision der Maya Frauen und Männer in der Wahrnehmung ihrer Geschlechterrolle und Funktionen harmonisch, doch sieht die Lebensrealität der Frauen meist anders aus. Für sie verbindet sich das Gewohnheitsrecht mit Widersprüchen und Nachteilen. Die fehlende Anerkennung von Frauen als eigenständige Rechtsperson, ein sie benachteiligendes Erbrecht sowie frühe und arrangierte Ehen sind für sie kein Grund, das traditionelle Recht zu idealisieren. Männergewalt gegen Frauen wird noch weitgehend als "normal" betrachtet oder mit dem erhöhten Alkoholkonsum des Partners entschuldigt.

Dennoch macht der Veränderungswille von Frauen auch vor privaten Geschlechterbeziehungen nicht Halt. Am eigenen Leib spüren sie die Folgen männlicher Geschlechteridentität in der noch militarisierten Nachkriegsgesellschaft und fordern das Recht auf ein Leben ohne Gewalt. Sie wollen als Rechtspersonen anerkannt sein, über einen gleichberechtigten Zugang zu wirtschaftlichen und produktiven Ressourcen verfügen, ein Recht auf Schul- und Berufsbildung, auf Geburtenkontrolle und integrale Gesundheit haben. Dieser Prozess verläuft nicht konfliktfrei - Frauen, die für ihre Rechte eintreten, gelten oft als "schlechte" Frauen und stoßen in ihren Gemeinschaften auf Misstrauen. Die Stadt gilt als kein guter Aufenthaltsort, weil sie einen "schlechten" Einfluss auf die weibliche Identität hat.

IV. Indígena-Frauen fordern "spezifische Rechte"

Mit der Ombudsstelle existiert erstmals eine Institution für die Rechts- und Sozialberatung von Indígena-Frauen. Sie zeugt von der Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung auf breiter Basis abzuwehren. Ihre normativen Grundlagen bilden das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die vom guatemaltekischen Staat ratifizierten frauenrelevanten regionalen Abkommen sowie die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die kollektiven Rechte indigener Völker. Die Ombudsstelle setzt sich für die Umsetzung aller frauenrelevanten Gesetze und ratifizierten internationalen Abkommen ein. Sie steht daher vor einer doppelten Herausforderung: einerseits den kollektiven Rechten der indigenen Bevölkerung, ihren Normen und Institutionen Geltung zu verschaffen, andererseits gewohnheitsrechtliche Praktiken in Einklang mit modernen Rechtsnormen zu bringen. Von elementarer Bedeutung ist die Anerkennung der spezifischen Rechte von Indígena-Frauen, die in einem Katalog zusammengefasst wurden:

- Recht auf ethnokulturelle Identität,

- Recht auf Identifizierung als Indígena-Frau,

- Recht, nicht von einer fremden Kultur assimiliert zu werden,

- Recht auf Partizipation in Leitungsfunktionen innerhalb und außerhalb ihrer Gemeinschaften,

- Recht auf Veränderung von Gewohnheiten und Traditionen, die ihre Würde und Gleichberechtigung verletzen, d. h. beispielsweise das Recht auf Landeigentum und freie Partnerwahl,

- Recht auf ein Leben ohne physische, psychische und seelische Gewalt,

- Recht auf Wiedergewinnung von Gewohnheiten und Traditionen, die ihre Identität stärken, sowie das

- Recht auf menschenwürdige und respektvolle Behandlung.

Weitere Rechte beziehen sich auf den Zugang zu Land und gesicherte (individuelle wie kollektive) Eigentums-und Nutzungsrechte, die Anerkennung unbezahlter Haus- und Gemeinschaftsarbeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Grundlage der geltenden Arbeitsgesetzgebung, Chancengleichheit in der Erziehung, das Recht auf integrale Gesundheitsversorgung, Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie faire Aufteilung von Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen innerhalb der Familie.

Durch gezielte Aktionen und in Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren strebt die Ombudsstelle danach, die Rechtsposition von Frauen zu verbessern und Gewalt gegen Frauen zu sanktionieren. Frauen werden rechtlich und sozial beraten, Klagen an die entsprechenden Rechtsinstanzen weitergeleitet sowie Frauen und Männer über die spezifischen Rechte der Frau aufgeklärt. Die Mehrheit der Klientinnen sucht Hilfe in Fällen von intrafamiliärer und sexueller Gewalt, bei Erbschafts- und Landkonflikten sowie für die Erstellung persönlicher Ausweispapiere. Häufig kommt es vor, dass Mädchen bei Geburt nicht registriert werden und infolgedessen keine persönlichen Dokumente besitzen. Darüber hinaus setzt sich die Ombudsstelle dafür ein, dass einzelne Sektoren der Politik, öffentliche Programme und Dienstleistungen die Multiethnizität des Landes und die spezifischen Interessen von Frauen berücksichtigen.

Der Aufbauprozess der Ombudsstelle ist mühsam - vor allem mangelt es an Ressourcen für die Errichtung von Büros außerhalb der Hauptstadt. Für die Beratungsarbeit fehlen ausgebildete Juristinnen und Psychologinnen, die Frauen in den lokalen Sprachen beraten und durch die offiziellen Rechtsinstanzen begleiten. Zwar fördern die Vereinten Nationen (UNDP, UNICEF) und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit die institutionelle und personelle Stärkung, doch können sie nicht die notwendigen Eigenleistungen der guatemaltekischen Regierung ersetzen.

V. Gewalt gegen Frauen in Nachkriegsgesellschaften

Ein großes Hindernis für die Demokratisierung der Geschlechterbeziehungen in Nachkriegsgesellschaften ist die überall präsente Kultur der Gewalt. In militarisierten Gesellschaften liegt die Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt niedrig, weil diese zur Lösung von Konflikten und Durchsetzung eigener Interessen eingesetzt und weitgehend akzeptiert wird. Hinzu kommt die weite Verbreitung von legalen und mehr noch illegalen Handfeuerwaffen. Als alltägliches Phänomen erzeugt Gewalt ein gesellschaftliches Klima der Angst und sozialen Ohnmacht. Unrechts- und Gewalterfahrungen schlagen immer öfter in eigenmächtiges Handeln der Bevölkerung um. Verzweifelte Menschen greifen zur Selbstjustiz, weil sie keinen anderen Ausweg finden, um Fehlverhalten und Straftaten zu sanktionieren oder auf Konflikte zwischen Gemeinschaften zu reagieren. Oftmals ist Lynchjustiz eine kollektive Reaktion auf die Unfähigkeit des Staates, Bürger- und Rechtssicherheit zu garantieren.

Physische und psychische Gewalt gegen Frauen gilt als legitimes Mittel von Ehemännern, um das Verhalten ihrer Frauen zu "korrigieren". Das häusliche Umfeld verwandelt sich in einen gefährlichen und unsicheren Aufenthaltsort für Frauen und Mädchen. Fehlendes Selbstwertgefühl und die verinnerlichte Minderwertigkeit führen dazu, dass Frauen männliche Gewalt akzeptieren und sich nicht wehren. Auch in öffentlichen Räumen sind Frauen und Mädchen Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Mit dem Einbruch der Dunkelheit verschärfen sich Gefahren für sie. Auf Schul- und Heimwegen in unsicheren Stadtvierteln, auf Universitätsparkplätzen oder in der Umgebung der Maquilas müssen Frauen wachsam sein, weil sich Gewaltakte häufen.

Das kürzlich in Kraft getretene Gesetz zur Sanktionierung intrafamiliärer Gewalt ist ein historischer Meilenstein. Mit diesem Gesetz wurde das strafrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung häuslicher und außerhäuslicher Gewalt eingeführt, das nunmehr Polizei und Justizbehörden verpflichtet, bei Gewalt gegen Frauen einzugreifen und die Täter zu bestrafen. Dennoch ist für viele Frauen eine Strafanzeige gegen (Ehe-)Partner noch immer die "letzte" Option, weil es für sie nicht leicht ist, mit den sozialen Folgen fertig zu werden. Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und/oder haben bisher kaum Zugang zu Rechtsinstanzen. Daher bleibt Gewalt im Geschlechterverhältnis im Verborgenen. Um dieses zu ändern, arbeitet die Ombudsstelle mit traditionellen Autoritäten (Dorfautoritäten, Maya-Priestern), Justizbehörden und der neuen Polizei unter ziviler Kontrolle zusammen.

Für die Ombudsstelle ist das Recht auf Sicherheit integraler und unveräußerlicher Bestandteil der Menschenrechte. Bürgersicherheit bedeutet, ohne Bedrohung der persönlichen Integrität leben und individuelle Freiheitsrechte ausüben zu können. Die Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Gewalt und Diskriminierung mindern und Sicherheit fördern, ist für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit ist die Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten kaum möglich. Daher ist ein wesentlicher Aspekt des Aufbaus demokratischer Gesellschaften die Bürgersicherheit, die der Staat und seine nachgeordneten Instanzen garantieren müssen. Der Übergang von der Doktrin der "Staatssicherheit" hin zur "Bürgersicherheit" hat konkrete Auswirkungen auf die Funktionen von Militär und Polizei. In einer Demokratie ist das Mandat des Militärs auf die Wahrung der "äußeren Sicherheit", d.h. der national-territorialen Sicherheit, begrenzt. Die Zuständigkeit für "öffentliche Sicherheit" obliegt der Polizei, Justiz und dem Strafvollzug. Dabei wird die Polizeiarbeit von einer militarisierten auf eine zivile Polizei unter Zuständigkeit der Innenministerien übertragen.

In zahlreichen Ländern sind die Entmilitarisierung und Demokratisierung der Polizei eng mit der Gleichstellung von Frauen innnerhalb der Polizei und mit der Sanktionierung geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden. Das Engagement von Frauenorganisationen bei der Gestaltung von Polizeireformen hängt mit der Einführung des strafrechtlichen Prinzips der Gleichbehandlung von häuslicher und außerhäuslicher Gewalt zusammen. Seit Ende der achtziger Jahre hat in Lateinamerika die Frauenbewegung Forderungen nach entsprechender Sensibilisierung und Ausbildung der Polizeikräfte sowie Einrichtung von Frauenkommissariaten als Antwort auf die überall verbreitete Gewalt gegen Frauen erhoben. Lange Zeit war die Polizei eine Männerdomäne, die weder für die gleichberechtigte Mitarbeit von Frauen noch für den Schutz von Frauen gedacht und darauf vorbereitet war. Nur wenige Leitungspositionen sind bisher mit Frauen besetzt, und die Ungleichheit der Chancen steigt mit den Rängen. Noch heute wird die gleichberechtigte Partizipation von Frauen in einer zivilen Polizei durch Vorurteile, fehlende Infrastruktur, Kasernierung der Polizeikräfte und die Form der Arbeitsschichten erschwert.

In einigen Ländern (z.B. Brasilien, Peru, Nicaragua) entstanden seit Ende der achtziger Jahre Frauenkommissariate, in denen meist nur Polizistinnen tätig sind, die weibliche Gewaltopfer rechtlich beraten und in einigen Ländern in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen betreuen. Allgemein werden in Lateinamerika spezialisierte Polizeieinheiten als wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Frauenrechte betrachtet. Darüber hinaus gilt die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justizbehörden und Frauenbewegung als wichtige strategische Allianz zwischen dem staatlichen Sektor und Nichtregierungsorganisationen. Neben der Erhöhung der Anzahl von Frauen in der Polizei geht es darum, die Polizei für ihre Aufgaben zu qualifizieren - insbesondere bei Prävention, Sanktion und Beseitigung von Gewalt im Geschlechterverhältnis sowie bei polizeilichen Dienstleistungen gegenüber Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. Polizeiinterventionen bei häuslicher und sexueller Gewalt erfordern ein grundsätzliches Umdenken, weil diese fortan keine "Privatangelegenheit" mehr ist oder ein "Familienstreit", den es zu schlichten gilt, sondern eine strafrechtlich zu sanktionierende Form von Gewalt.

VI. Entmilitarisierung der Polizei

Mit den Friedensverträgen wurde in Guatemala die Zuständigkeit für öffentliche Sicherheit auf die neu gegründete demilitarisierte Polizei übertragen. Unter "guter Polizeiarbeit" wird eine zivile, professionelle und bürgernahe Polizei verstanden, die ihre präventive Arbeit an den Sicherheitsinteressen aller Volks- und Bevölkerungsgruppen ausrichtet, Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegt, die Menschenrechte respektiert und korruptionsfrei ist. Als dienstleistungsorientierte Institution zählt es zu ihren Aufgaben, das Leben der Menschen und deren Güter zu schützen, Straftaten präventiv zu verhindern oder diese aufzuklären und zu bekämpfen.

Die Polizeireform in Guatemala ist eingebettet in lateinamerikaweite Modernisierungsprozesse der Polizeiinstitutionen. Inzwischen hat eine regionale Vernetzung der mit dem Thema befassten Einrichtungen stattgefunden. In einer Erklärung hochrangiger Polizistinnen in Zentralamerika und der Karibik wurden im Jahre 2001 wichtige Forderungen an die Polizeileitungen gestellt:

- Integration der Geschlechtergleichheit in Polizeiethik, Richtlinien, Handlungsstrategien sowie in Aus- und Fortbildung aller Polizeikräfte;

- Einrichtung von spezialisierten Einheiten mit rechtlichen, psychologischen sowie sozialen Unterstützungsangeboten für die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt;

- Erstellung von geschlechterdifferenzierten Polizeistatistiken sowie

- Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Umsetzung dieser und anderer Maßnahmen.

Die Polizeileitungen der betreffenden Länder haben sich zur Umsetzung dieser Forderungen verpflichtet und legen regelmäßig Rechenschaft über Fortschritte auf Regionalkonferenzen ab. In Guatemala impliziert die Polizeireform die Transformation der Polizei von einem Instrument politischer und militärischer Repression in eine demokratisch-zivile Institution. Sie sieht ebenfalls die repräsentative Vertretung aller ethnischen Volksgruppen sowie die Partizipation von Frauen vor. Eine multiethnische und an Geschlechtergleichheit orientierte Polizei eröffnet neue Wege der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Bürgernähe in multiethnischen Gesellschaften setzt voraus, dass die Polizei Männer und Frauen beschäftigt, die lokale Sprachen sprechen. Erst die Verständigung mit den verschiedenen Volksgruppen ermöglicht Bürgernähe, Schlichtung von Konflikten und allgemeine Gewaltprävention.

Die Behörde der Vereinten Nationen zur Verifizierung der Friedensverträge (MINUGUA) beurteilt u.a. die Handlungskapazität der Polizei, ihren multikulturellen Charakter, die Partizipation von Frauen und die Qualität der Polizeiausbildung. In den Verifizierungsberichten werden Fortschritte der Polizei anerkannt, wie der Rückgang der von Polizeikräften ausgeübten Menschenrechtsverletzungen und Unregelmäßigkeiten. Gleichzeitig weisen die Berichte mahnend auf das langsame Tempo der Transformation der "alten", militarisierten Polizei in eine zivile mit "multiethnischem Charakter" hin - ebenso auf die geringe Präsenz von Frauen: Erst zehn Prozent des Personals sind weiblich, und insgesamt vierzehn Prozent aller Polizeikräfte sind indigener Herkunft.

Untersuchungen belegen, dass heute die Bevölkerung weniger Angst vor der Polizei hat, aber noch kein Vertrauen in das neue Polizeimodell. Dies gilt insbesondere für Indígena-Frauen, die noch oftmals von Polizisten diskriminiert und abgewiesen werden. Allerdings wächst das Vertrauen der Menschen dort, wo die Polizei gemeindenah tätig ist, die lokalen Sprachen spricht und weibliche Polizeikräfte präsent sind. Inzwischen wurden innerhalb der Polizei auf nationaler und regionaler Ebene Büros zur Förderung der Geschlechtergleichheit eingerichtet (Oficina de Equidad de Género), deren Aufgaben und Ziele gemeinsam mit der Ombudsstelle beraten wurden. Eine der Aufgaben des Genderbüros ist, die Multiethnizität und Multikulturalität innerhalb der Polizei zu fördern.

In einer Nachkriegsgesellschaft mit hohem Gewaltpotenzial, wie sie sich in Guatemala darstellt, kann eine Polizeireform allein keine Wunder an Sicherheit bewirken. Entscheidend sind gesellschaftliche Reformen sowie Reformen im Straf- und Zivilrecht und dem Strafvollzug. Ebenso wichtig sind Rechtsaufklärung, die Präsenz des Rechtsstaates und justizrelevante Institutionen wie die der Ombudsstelle für Indígena-Frauen. Der Transformationsprozess der Polizei ist noch lange nicht abgeschlossen. Aufgrund ihrer personellen und finanziellen Ausstattung ist sie nicht in der Lage, in allen Landesteilen im Sinne des "neuen" Polizeimodells präsent zu sein. Hierzu müssen die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt und die Anzahl der Polizeikräfte (insbesondere Frauen und Indígenas) erhöht werden.

VII. Ohne Bürgerrechte, Identität und Differenz kein Frieden

Die Friedensverträge erkennen erstmals die Multiethnizität und Vielsprachigkeit des Landes an. Darüber hinaus verpflichten sie Regierung und Zivilgesellschaft, die Rechte von Frauen zu stärken. Multiethnizität und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern können sich nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit sowie politischer und wirtschaftlicher Partizipation entwickeln. Wo Bürgerrechte, Identität und Differenz keine Anerkennung finden, wachsen Konfliktpotenziale. Und die kumulativen sozialen Folgekosten von Diskriminierung, ungleich verteilten Ressourcen und Lebenschancen sind kaum zu ermitteln, dennoch werden sie von der gesamten Gesellschaft getragen. Aus der Wechselbeziehung von struktureller und politischer Gewalt (Makrogewalt) sowie interpersoneller Gewalt (Mikrogewalt) lässt sich schlussfolgern: Je weniger soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Exklusion es gibt, je gerechter gesellschaftliche Strukturen, je egalitärer Paarbeziehungen, je demokratischer Gesellschaftsordnungen sind, desto geringer ist das Gewaltaufkommen. Ohne politische Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Gewaltthematik und ihren geschlechtsspezifischen Dimensionen, ihren Ursachen und Folgen, ist nachhaltige Sicherheit für beide Geschlechter und alle Volksgruppen kaum möglich.

Der Friedensprozess kommt nur schleppend voran, weil die Rechte der Indígena-Bevölkerung in einem langsamen und widersprüchlichen Prozess umgesetzt werden. Die überwiegende Mehrheit ist auch weiterhin sozial, politisch und ökonomisch marginalisiert. Frauen sind in besonderer Weise von den Folgen ausbleibender Reformen betroffen. Noch immer steht die Frage nationaler Versöhnung und Entschädigungen für die Bürgerkriegsopfer ungelöst auf der politischen Tagesordnung. MINUGUA hat erst kürzlich die im Land vorherrschenden Verhältnisse als Apartheid-System kritisiert. Allgemein sind die Organisationen der internationalen Gebergemeinschaft wichtige Verbündete der Organisationen und Institutionen, die sich für die Umsetzung der Friedensverträge einsetzen.

Friedenssichernd sind Bemühungen, die die Stärkung demokratischer Verhältnisse und sozialer Chancengleichheit mit kultureller Gleichwertigkeit und Toleranz verbinden. Auf allen Ebenen öffentlicher Politik und bei allen öffentlichen Dienstleistungen müssen Identität und Differenz berücksichtigt werden und sichtbar sein. Hierzu zählt die Repräsentanz ethnokultureller Vielfalt in Regierung und nachgeordneten Behörden sowie Sektorpolitiken, die der Multiethnizität Rechnung tragen. In dem Maße, in dem es Politik gelingt, ethnokulturelle Diversität auf allen Ebenen nachhaltig zu verankern, werden kulturelle Gleichwertigkeit und gegenseitige Toleranz gestärkt sowie fortbestehende Konfliktpotenziale gemindert. Eine am Frieden ausgerichtete Regierungsführung betrachtet daher Diversität nicht als Störfaktor und Nachteil, sondern als Potenzial für den Aufbau einer Friedensordnung. Daher lässt sich der politische Wille für eine integrierende Gesellschaftsordnung nur im Licht der steuernden politischen Eingriffe zum Abbau vorhandener Bürgerrechtsverletzungen und Ausgrenzungsprozesse beurteilen.

Der Friedensprozess in Guatemala hat in dem Maße Zukunft, in dem die Angehörigen der verschiedenen Kulturen und ethnischen Gruppen bereit sind, an dem Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft mitzuwirken und notwendige Veränderungen in der eigenen Lebenswelt und Kultur zuzulassen, um ein konfliktfreies Zusammenleben zwischen den verschiedenen Volksgruppen, sozialen Schichten und Geschlechtern zu ermöglichen. Dieses setzt gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und weitreichende Veränderungen voraus.

Bedauerlicherweise wird die Dynamik dieser Prozesse dadurch erschwert, dass sich bisher nur Minderheiten in Regierung und Bevölkerung mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und den Empfehlungen der Wahrheitskommission aktiv auseinander setzen. Die Wächter der Friedensverträge sind die Institutionen, die aus diesen hervorgegangen sind, sowie Organisationen der Zivilgesellschaft. Mehr als zehn Jahre, nachdem Rigoberta Menchú Tum den Friedensnobelpreis erhielt, ist ihre damalige Aussage noch aktuell, dass der Preis ein Aufruf an alle Guatemaltekinnen und Guatemalteken sein soll, Verantwortung für den Aufbau einer soliden und dauerhaften Friedensgesellschaft zu übernehmen. Von der Erfüllung dieser Aufgabe kann erst dann gesprochen werden, wenn die Rechte der am stärksten diskriminierten Bevölkerungsgruppe anerkannt sind, nämlich die Rechte der indigenen Frauen als Indígenas und Staatsbürgerinnen. Hierzu leistet die Ombudsstelle einen wichtigen Beitrag.

Dipl.-Soz., Dr. rer. pol., geb 1952; Auslandsmitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung; zur Zeit Leiterin des Projektes "Genderförderung im Friedensprozess" der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Guatemala.
E-Mail: E-Mail Link: klemp@intelnet.net.gt

Veröffentlichungen zu Themen der Entwicklungszusammenarbeit und globalen Strukturpolitik sowie Aspekten der Staatsmodernisierung in multiethnischen Entwicklungsgesellschaften.