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"Ende der Geschichte" in Nordirland? | Großbritannien | bpb.de

Großbritannien Editorial Maggies Zehn Gebote - Essay New Labour und die britische Außenpolitik Großbritannien nach der Unterhauswahl Deutsche und Briten seit 1990 Großbritannien nach der Devolution "Ende der Geschichte" in Nordirland?

"Ende der Geschichte" in Nordirland?

Paul Bew

/ 17 Minuten zu lesen

Wessen Einschätzung wird eintreffen: Die der Regierungen, die zuversichtlich sind, dass paramilitärische Aktionen der IRA zu Ende sind, oder die des State Department, das sich nicht sicher ist?

Einleitung

Was ist die Hauptursache des Bürgerkriegs in Nordirland, der zwischen 1969 und 1994 in einem kleinen Gemeinwesen von eineinhalb Millionen Menschen rund 3 400 Tote forderte? Die republikanische Bewegung Sinn Fein/IRA beantwortet die Frage so: Die Geschichte der britisch-irischen Beziehungen sei eine Geschichte "kolonialer Herrschaft, von Gewalt, Rassismus und Unterdrückung", so der Sinn-Fein-Vorsitzende Mitchel McLaughlin, die unausweichlich "nationalen Widerstand" in Irland provoziert habe. Dieselbe Bewegung aber ist mit ihren Verbündeten für etwa 60 Prozent der Bürgerkriegstoten verantwortlich; 30 Prozent gingen auf das Konto loyalistischer Paramilitärs, zehn Prozent auf das des Staates.

Mitte der sechziger Jahre sah es so aus, als ob die "nationale Frage", die Teilung Irlands, gelöst werden könnte. Doch die Republik Irland versagte, ein entsprechendes wirtschaftliches Umfeld zu schaffen. 50 Jahre nach dem Osteraufstand von 1916 gingen die Bevölkerungszahlen in der wirtschaftlich stagnierenden Republik dramatisch zurück, während sie im "unfreien Irland", den sechs Grafschaften Nordirlands (Ulster), inmitten beachtlichen Wohlstandes zunahmen. Auch bewahrten sich Angehörige der britischen Elite in den fünfziger Jahren ein (bald vergessenes) Gefühl der Dankbarkeit für die Rolle, die Nordirland im Zweiten Weltkrieg gespielt hatte - im Gegensatz zur Neutralität der Republik Irland. Diese (aus Sicht der Ulster-Unionisten) glückliche Stabilität begann bald zu schwinden. Unter der Regierung von Premierminister Sean Lémass (1956 - 1966) durchlief die Republik einen Prozess der Modernisierung und öffnete ihre Wirtschaft für ausländisches Kapital. Die Republik verlor die Aura von Niederlage und Melancholie und profitierte von der Entscheidung, 1972 der EU beizutreten. Bis Mitte der neunziger Jahre erfuhr die irische Wirtschaft einen enormen Aufschwung, die Ära des "keltischen Tigers" hatte begonnen.

Im Gegensatz dazu schlitterte der Norden in eine tiefe, noch immer ungelöste Krise. Die Bürgerrechtsbewegung von 1968 nutzte den in jenem Jahr in Europa herrschenden radikalen Elan, um Mängel im politischen System der Unionisten offen zu legen, die aus den politischen Restriktionen bei Wahlen resultierten, welche die katholische Minderheit in ihre Schranken weisen sollten. Der ausdrucksvollste Beweis war Derry, die zweitgrößte Stadt, wo trotz solider katholischer Überzahl eine protestantische Mehrheit im Stadtparlament bestätigt wurde, weil die Wahlbezirksgrenzen zum Vorteil der Protestanten manipuliert worden waren. Die meisten Protestanten waren damals bereit, über einen moderaten Reformprozess nachzudenken, doch versuchten viele (angestachelt vom Auftreten des protestantischen Predigers und Politikers Ian Paisley), dieser Mobilisierung der Bürgerrechte Widerstand entgegenzusetzen. Das Resultat war im Sommer 1969 das Abgleiten in Gewalt, die Ankunft britischer Streitkräfte und die Gründung der Provisional IRA, der militanten paramilitärischen Kampfgruppe der IRA.

Für die Provisional IRA standen weder Reformen noch Gleichberechtigung auf der Tagesordnung. Sie war vielmehr der Überzeugung, Irland könne nur mit militärischen Mitteln vereint werden. In ihrer Propaganda wurde 1974 zum "Jahr des Sieges" ausgerufen: Die Gewalt der IRA, die Mobilisierung der Loyalisten (Anhänger einer Union mit Großbritannien) und Streikaktionen trugen im Mai jenen Jahres dazu bei, einen viel versprechenden Kompromiss zur Teilung der Macht zu vereiteln. In der Folge dieses Fehlschlags war der britische Premierminister Harold Wilson, der persönlich die Einheit Irlands bevorzugte, geneigt, Truppen zurückzuziehen. Angesichts dieser Umstände nahm die mörderische Gewalt der Loyalisten dramatische Ausmaße an. Noch wichtiger allerdings waren die Befürchtungen des irischen Staates: Trotz der wirtschaftlichen Fortschritte war man sich in Dublin nur allzu bewusst, dass man weder über die materiellen noch über die militärischen Ressourcen verfügte, um bei einem Rückzug der Briten die Einheit Irlands gewährleisten zu können. So schätzte Dublin, dass eine Armee von 60 000 Mann erforderlich sei, um den Norden zu kontrollieren, es verfügte aber nur über 11 000 Soldaten. Als sich die Briten auf den Dialog mit Sinn Fein einließen, bat der irische Außenminister Garret Fitzgerald seinen US-Amtskollegen Henry Kissinger, Druck auf Großbritannien auszuüben, seine Truppen in Irland zu belassen. Die Briten hatten kaum eine Wahl als auch weiterhin die Last der direkten Herrschaft in dieser "most distressful province" zu schultern.

Auch mit dem anglo-irischen Abkommen von 1985 gelang es beiden Regierungen nicht, Stabilität zu schaffen. Der am 31. August 1994 von der IRA einseitig ausgerufene Waffenstillstand war dennoch eine späte Folge der Vereinbarung von 1985. Diese hatte der irischen Regierung erstmals Mitsprache im Norden eingeräumt. Die republikanische Bewegung wiederum konnte ihren wichtigsten Leitsatz revidieren, den Martin McGuinness 1986 so formuliert hatte: "Unsere Position ist klar und wird sich nie, nie, niemals ändern. Der Krieg gegen die britische Herrschaft muss weitergehen, bis wir die Freiheit erlangt haben." Gerry Adams erklärte: "Wenn Sinn Fein jemals beschließen sollte, den bewaffneten Kampf aufzugeben, wird sie mich als Mitglied verlieren."

In den sechs Monaten nach dem Waffenstillstand wurde die Veröffentlichung der Rahmenvereinbarung (Framework Document) erwartet, die eine Verständigung über gemeinsame Nord-Süd-Institutionen und die Einrichtung einer Nordirischen Versammlung vorsah. Im Januar 1995 druckte die Londoner "Times" einen durchgesickerten, frühen Entwurf der Rahmenvereinbarung. Dessen durchweg "irisch-grüner" Tonfall erzürnte die Unionisten. John Major wies seine Partei an, dem Artikel keinen Glauben zu schenken: "Er ist wie das erste Kapitel in einem Rätsel von Agatha Christie; er erzählt nicht die ganze Geschichte." Major betonte, dass es keinen Verrat an den Unionisten geben werde.

Eigentlich sollte die Rahmenvereinbarung am 22. Februar 1995 veröffentlicht werden. Nach dem Abdruck des Entwurfs legte Major eine Liste von 43 Änderungsanträgen vor, und am Ende akzeptierte die irische Regierung unter John Bruton die meisten von ihnen. In der endgültigen Version wurden grenzüberschreitende Aktivitäten erwähnt, etwa die so genannte "Dreifach-Sperre" (triple lock), mit der die Zustimmung der lokalen Parteien festgelegt war. Der Text befasste sich nicht abschließend mit dem territorialen Anspruch der Iren auf Nordirland; die Formulierungen blieben mehrdeutig. Doch die Unionisten waren kaum zu beruhigen. Ihre überzogene Reaktion rief bei den Republikanern Zufriedenheit hervor. Vor allem aber büßten die Unionisten ihre Fähigkeit ein, die Geschwindigkeit des Prozesses zu bestimmen und Lösungen zu erzielen, solange eine ihnen relativ freundlich gesonnene Tory-Regierung an der Macht war.

Übersetzung aus dem Englischen: Susanne Laux, Königswinter.

Der Weg zum Karfreitags-Abkommen

Im privaten Kreis äußerten führende Republikaner bereits 1994, sie hätten Signale erhalten, dass sich die Briten innerhalb von zehn Jahren zurückziehen würden und John Major und der damalige Taoiseach (irischer Regierungschef) Albert Reynolds eine Abmachung getroffen hätten. Doch die ersten 18 Monate nach dem durch die IRA ausgerufenen Waffenstillstand schienen eine einzige Enttäuschung zu sein. Die britische Regierung weigerte sich, die Unionisten zu Allparteiengesprächen zu zwingen, solange die Republikaner ihre Waffen nicht ablieferten. Das Jahr 1995 war von erbitterten Auseinandersetzungen über mangelnde Fortschritte in Richtung von Allparteiengesprächen geprägt. Abgesehen von gewohntem Misstrauen und ethnischem Antagonismus wurde das Problem durch die Frage verschärft, was mit den Waffenarsenalen der IRA geschehen sollte. Der 1993 von beiden Regierungen vorgelegten Downing-Street-Erklärung zufolge sollte Sinn Fein, der politische Arm der IRA, nur bei einer "endgültigen" Abkehr von der Gewalt einen Platz am Verhandlungstisch erhalten. Wie aber sollte diese Endgültigkeit nachgewiesen werden?

Die Regierungen reichten das Problem an die USA weiter. Im Januar 1995 schlug Senator George Mitchell eine Waffenübergabe während der Gespräche vor. Die britische Regierung akzeptierte den Mitchell-Bericht und schlug als Kompensation für die Unionisten einen Wahlprozess in Nordirland vor. Am 9. Februar 1996 jedoch veränderte sich die Lage dramatisch: Die IRA kündigte ihren Waffenstillstand mit einem verheerenden Bombenanschlag in der Canary Wharf in den Londoner Docklands auf. Sinn Fein begnügte sich damit, die Wahl einer Labour-Regierung unter Tony Blair abzuwarten, die, wie Sinn Fein richtig kalkulierte, den Ulster-Unionisten kaum Sympathie entgegenbringen würde. Nach Blairs Erdrutschsieg im Juni 1997 kehrte die Provisional IRA zum Waffenstillstand zurück. Im Gegenzug wurde Sinn Fein ein Platz am Verhandlungstisch eingeräumt. Blair versuchte in dieser Phase, die Führer der Unionisten zu beschwichtigen, indem er eine moderate Agenda für den Verhandlungsprozess durchsetzte.

Obwohl es nie an Vorschlägen für eine politische Verständigung gefehlt hatte, war nach der Veröffentlichung des Heads of Agreement-Dokuments im Januar 1998 klar, dass die einzig vorstellbare Verständigung ausgewogene konstitutionelle Veränderungen auf Seiten der Briten und der Iren vorsah: eine Nordirische Versammlung als Ersatz für das anglo-irische Abkommen sowie einen britisch-irischen Rat, der die Versammlung mit anderen Körperschaften des Vereinigten Königreichs und den Nord-Süd-Strukturen verband. Dies wurde als three-stranded structure bezeichnet und im so genannten Karfreitags-Abkommen (Good Friday Agreement) vom 10.April 1998 in eine endgültige Form gegossen.

Angesichts der gegensätzlichen Zielvorstellungen und des tiefen Misstrauens der Verhandlungspartner war es kaum überraschend, dass die Vereinbarung von Schutzbestimmungen geprägt war. Ihr Herzstück jedoch war eindeutig: Solange sie eine Mehrheit in der nordirischen Bevölkerung findet, bleibt die Union Großbritanniens und Nordirlands bestehen. Im Gegenzug für die Zustimmung der Briten, der irischen Regierung und anderer Nationalisten wurde von den Unionisten verlangt, eine Teilung der Macht und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu akzeptieren. Für die Unionisten am wenigsten akzeptabel war jedoch, dass Sinn Fein im Gegenzug für ein Ende der IRA-Gewalt und eine formelle Zustimmung Dublins zur Legitimität der Position des Nordens innerhalb des Vereinigten Königreichs eine "sanfte Landung" zugestanden wurde. In der Praxis sollte sich diese auf die strittigen Fragen der Freilassung von Gefangenen, der Polizeihoheit und der Entwaffnung ausrichten.

Sinn Fein hatte akzeptiert, dass am Ende der Verhandlungen kein vereintes Irland stehen würde. Im März 1998 definierte Gerry Adams Folgendes als "rote Linie" von Sinn Fein: grenzüberschreitende Körperschaften, die unabhängig von einer Nordirischen Versammlung arbeiten; die Übertragung der Polizeihoheit und der Justiz in den Aufgabenbereich neuer irlandweiter Institutionen; die Auflösung der Royal Ulster Constabulary (RUC); den Rückzug der Armee; die Freilassung aller paramilitärischen Gefangenen und die Aufrechterhaltung des Territorialanspruchs in der irischen Verfassung. Es ist bemerkenswert, wie umfassend die Agenda von Sinn Fein in Fragen der politischen Verfassung abgeschmettert wurde. Artikel 2 und 3 (der Territorialanspruch) der irischen Verfassung beispielsweise wurden umgewandelt und grenzüberschreitende Körperschaften an die Versammlung angegliedert. Was die anderen Punkte anging, war Sinn Fein erfolgreicher: Die RUC wurde nicht aufgelöst, aber von der Patten-Kommission so umgestaltet, dass viele ihrer Mitglieder mit einem Gefühl der Demütigung zurückblieben. Die Gefangenen wurden umgehend freigelassen, und die britische Regierung hatte einer Auflösung des Royal Irish Regiment bis 2005 zugestimmt. Die formellen politischen Rechte der Union blieben erhalten, und die Führung der Ulster-Unionisten konnte triumphieren, da der Einwilligung die demokratische Legitimität der Teilung zugrunde lag.

In einer Provinz, die sich nach Frieden und Wohlstand sehnt, konnte 1998 eine Zustimmung zu dieser Verständigung erzielt werden, die bei über 70 Prozent lag - eine knappe Mehrheit von Unionisten, ergänzt um eine große Mehrheit von Nationalisten. In den vergangenen sieben Jahren nahm diese Unterstützung bei den Unionisten jedoch immer weiter ab. Bei den Wahlen des Jahres 2001 hatte Sinn Fein den Sieg über die Social Democratic and Labour Party (SDLP) davongetragen, was die Aussichten der Vereinbarung, auch künftig ausreichende Unterstützung der Unionisten zu finden, gemeinsam mit dem fortgesetzt illegalen Verhalten der Republikaner enorm schwächte. Die Polarisierung der öffentlichen Meinung führte dazu, dass Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) den für die Vereinbarung eintretenden Unionisten um David Trimble zunächst 2003 und erneut 2005 vernichtende Wahlniederlagen beibrachte.

Kernproblem Entwaffnung

Ein Abhörskandal bei den Verhandlungen in Stormont im Jahr 2002 ("Stormontgate") und das Dauerproblem der Entwaffnung der IRA führten zur erneuten und bis heute andauernden Aussetzung der Institutionen des Karfreitags-Abkommens; London hat die Arbeit der Provinzregierung einstellen lassen; 19 Monate lang hatte eine die Macht teilende nordirische Exekutive amtiert. Im Herbst 2003 versuchten die britische Regierung und später David Trimble, die Führung der Republikaner auf eine Agenda zu verpflichten, welche die Institutionen wiederbelebt hätte - ein Versuch, den der Führer der Unionisten später als Hybris wertete. Das Beste, was erreicht werden konnte, war eine Zusage der IRA, die friedlichen und demokratischen Verfahren des Abkommens zu akzeptieren. Es gab eine dritte Entwaffnungsaktion, aber wieder einmal war die Umsetzung vage.

Obwohl Trimble von den Republikanern erkennbar übervorteilt worden war, kündigte Blair Ende 2003 Neuwahlen für die Nordirische Versammlung an, die vor allem von Sinn Fein und der DUP gewünscht wurden. Die Entscheidung, Wahlen für eine Versammlung anzusetzen, die bereits zwei Jahre lang nicht mehr hatte zusammentreten können, ist mit der Auffassung der irischen Regierung und des US-Außenministeriums zu erklären, nach der die Logik des Friedensprozesses eine engere Einbindung der "Extreme" erfordere. Ein Handel zwischen der DUP und Sinn Fein schien nicht nur machbar, sondern auch wünschenswert. Sowohl die Iren als auch das State Department in Washington waren angetan von den Kontakten der DUP in Washington im Sommer 2002, die Anlass gaben, zu glauben, dass diese Partei nun bereit sei, die Macht mit Sinn Fein zu teilen. Blair hoffte weiterhin, dass Trimble seine Führungsrolle in der Unionsbewegung behalten könne. Am Ende erlitt Trimble eine knappe, aber entscheidende Niederlage. Die meisten Unionisten interpretierten die Entscheidung, Wahlen anzusetzen, die "ins Nirgendwo" führten, als Zeichen dafür, dass die republikanische Bewegung nun den Prozess beherrsche.

Während des Jahres 2004 wurde alles unternommen, um eine Abmachung zwischen der DUP und Sinn Fein einzufädeln. Die britische, die irische und die amerikanische Regierung versuchten, die DUP zu einem Handel zu verlocken, indem sie das Konzept einer "sichtbaren" Entwaffnung unterstützten, die von fotografischen Beweisen untermauert werden sollte. Die IRA weigerte sich, diesem Vorschlag zuzustimmen, und bezeichnete ihn als Form der "Demütigung". Ihr Widerstand wurde von Ian Paisley bestärkt, der darauf bestand, dass der Vorschlag in der Tat eine Demütigung sei - eine notwendige und gerechtfertigte obendrein. Am 8. Dezember 2004 erklärten beide Premierminister in Belfast, dass Sinn Fein und die DUP eine Abmachung über die politischen Inhalte eines neuen Anlaufs zur Teilung der Macht erzielt hätten und lediglich über die Frage der Beweise für die Entwaffnung gestolpert seien. Doch schon bald wurde deutlich, dass die IRA ihren kriminellen Machenschaften nicht abgeschworen hatte. Noch vor Monatsende verübte sie in der Northern Bank in Belfast den größten Bankraub in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Damit war offenkundig, dass die britische Regierung der Frage der Kriminalität nie besondere Bedeutung beigemessen hatte.

Als sich die IRA weigerte, neue Zusagen zu geben, versuchten die Briten, die irische Regierung davon zu überzeugen, dies zu ignorieren. Die Briten waren sowohl wegen der islamistischen Attentate in London als auch wegen des "Kriegs gegen den Terrorismus" vor allem bestrebt, die Bedrohung durch die IRA endgültig zu beseitigen. Problematisch blieb ihre indifferente Haltung gegenüber der Bedrohung, die Sinn Fein für die irische Demokratie als Ganzes darstellte. Doch dieses Mal stimmte der irische Staat, der die britischen Sicherheitsmaßnahmen nach "Stormontgate" noch kritisiert hatte, mit der britischen Auffassung überein, dass die IRA für das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung verantwortlich war. Einer der führenden Reformer der DUP erklärte, es werde nun wohl eine ganze Generation ins Land gehen müssen, bevor eine Abmachung mit Sinn Fein zur Teilung der Macht möglich sei. Sinn Fein wiederum beharrte darauf, dass die IRA solange bestehen bleibe, bis es ein vereintes Irland gebe. Beide Regierungen schienen dies als "Tatsache" zu akzeptieren, und zum ersten Mal bestätigten Meinungsumfragen, dass nur die wenigsten Unionisten noch geneigt waren, die Macht mit Sinn Fein zu teilen - selbst wenn sich die IRA vollständig entwaffnen und auflösen würde. Die Führung von Sinn Fein erklärte: "Alle Freiwilligen sind angewiesen worden, sich mit ausschließlich friedlichen Mitteln an der Entwicklung rein politischer und demokratischer Programme zu beteiligen. Freiwillige dürfen an keinerlei anders gearteten Aktivitäten mitwirken."

Einmal mehr versprach die IRA in ihrer Erklärung vom 28. Juli 2005 künftiges Wohlverhalten. Beide Regierungen äußerten ihre Hoffnung, dass jegliche kriminellen und paramilitärischen Aktivitäten nun gestoppt würden, obwohl die IRA weiterhin ihre Auflösung verweigerte. Es wurde deutlich, dass es Sinn Fein gelungen war, ihre Vorstellungen zur Frage der Polizeihoheit und der Entmilitarisierung wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ohne den Preis der fotografischen Beweise für die Entwaffnung zu zahlen, den die Regierungen kurz zuvor noch als erforderlich erachtet hatten. Dies war eine schwere Niederlage für die DUP, die bei Sinn Fein boshafte Freude auslöste.

Am 26. September 2005 spielte die IRA ihre Trumpfkarte aus. General John de Chastelain von der Internationalen Entwaffnungskommission gab eine Erklärung ab, derzufolge die IRA sämtliche Waffen niedergelegt habe. Er wurde von zwei Geistlichen unterstützt, einem Protestanten und einem Katholiken. Die Pressekonferenz des Generals belegte, dass er nicht mit absoluter Sicherheit von einem vollständigen Verschwinden der Waffen ausgehen konnte. Es war jedoch klar, dass die große Masse zerstört worden war. Bezeichnenderweise glauben 54 Prozent der Menschen in der Republik Irland nicht daran, dass die IRA sich vollständig entwaffnet hat. Rund 82 Prozent sind überzeugt, dass ihre Mitglieder noch immer in kriminelle Aktionen verwickelt sind, während zugleich 67 Prozent der Meinung sind, dass Sinn Fein nunmehr über eine geeignete Grundlage verfüge, "um den demokratischen Prozess in diesem Staat zu untergraben". Die Internationale Überwachungskommission soll Berichte über die Aktivitäten der IRA vorlegen, und die DUP hat deutlich gemacht, dass sie mehrere solcher Berichte anfordern wird, bevor sie über neue Verhandlungen nachdenken wird.

"Ende der Geschichte"?

Ein optimistisches, von der britischen Regierung favorisiertes Szenario spielt den Ärger der DUP als "Gepolter" herunter. Einige der Forderungen, so heißt es, seien lediglich Bitten um finanzielle "Beruhigungspillen", die leicht verabreicht werden könnten - etwa mehr Geld für die Pflege der Ulster-schottischen Sprache und Kultur. Der Preis, den Paisley für einen Handel mit Sinn Fein zahlen müsste, ist hoch: Sinn Fein in eine Regierung zu führen, in der sie Ämter von ähnlichem Gewicht und ähnlicher Macht übernimmt wie seine eigene Partei.

Andererseits wird das von der britischen Regierung als Antwort auf die Entwaffnung der IRA geschnürte Paket weiterer Zugeständnisse Auswirkungen haben. Die Rückkehr "flüchtiger" IRA-Kämpfer nach Nordirland wird in republikanischen Gegenden freudig begrüßt werden, sehr zur Bestürzung der Unionisten. Derweil wird die britische Regierung Zugeständnisse in den Bereichen Polizeihoheit und Justiz machen, die über den Patten-Report hinausgehen, den die DUP aber noch immer abschwächen möchte. Es wird neue Vorschläge für eine auf Versöhnung ausgerichtete Justiz geben: Einige werden diese als Übertragung von noch mehr lokaler Macht an die IRA auffassen. Es wird deutlich werden, dass die politische Neuverteilung mit einer Abmachung einhergehen muss, die der republikanischen Bewegung ein beträchtliches Maß an politischer Kontrolle der Polizei und der Justiz überträgt. IRA-Aktivisten werden in der lokalen Verwaltung vertreten sein. Unter den Unionisten und in der SDLP werden manche denken, dass diese Politik zu schnell auf den Überfall auf die Northern Bank folgt und die ausgeprägte kriminelle Tradition der IRA nicht beachtet. Nur so aber könnten die Regierungshoheit Stormonts und die administrative Unabhängigkeit regionaler Institutionen wiederhergestellt werden. Aus all diesen Gründen wird diese Dezentralisierung wohl nicht schon 2006 erfolgen.

Dies wiederum wirft die Frage nach den Druckmitteln der Unionisten auf. Erneut wird davon gesprochen, dass ein System gemeinsamer britisch-irischer Autorität in Nordirland durchgesetzt werden könnte. Doch die meisten Unionisten haben das Gefühl, dass sie bereits seit 1985 unter einem derartigen System leben. Sollte es formalisiert oder ausgebaut werden, besteht die Gefahr der Destabilisierung - vor einem Hintergrund, in dem allzu offenkundig geworden ist, dass auch die Loyalisten zu brutaler Gewalt fähig sind.

Der republikanischen Bewegung eröffnen sich in diesem kritischen Augenblick sowohl Schwierigkeiten als auch Chancen. Adams und McGuinness üben eine strenge Kontrolle aus, und es mag ihnen in den nächsten Monaten gelingen, die schlimmsten kriminellen Auswüchse zu stoppen. Dies wird Sinn Fein Gelegenheit geben, in der Republik Irland an Boden zu gewinnen, wo die Zahl ihrer Unterstützer zuletzt bei zehn Prozent lag. Ziemlich wahrscheinlich wird Sinn Fein innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Regierung in Dublin eintreten, doch muss daran erinnert werden, dass sich die Partei im Süden nicht auf jene ethnische, anti-protestantische Leidenschaft beziehen kann, auf die sie sich im Norden stützt.

Nichtsdestotrotz bleiben zwei erhebliche Hürden, die das Vorhaben Sinn Feins gefährden. Der Waffenstillstand der IRA von 1994 wurde auf der Grundlage einer Fehleinschätzung der demografischen Zukunft Nordirlands ausgerufen: Die Volkszählung 2001 bestätigte, dass die protestantische Gemeinde noch immer um neun Prozentpunkte vor den Katholiken lag. Dies bedeutet, dass es in Nordirland auch in Jahrzehnten noch keine demokratische Mehrheit für ein vereintes Irland geben wird. Sinn Fein hat sich diese Einheit für das Jahr 2016 zum Ziel gesetzt, was schlicht unrealistisch ist. Zweitens ist der beachtliche Wohlstand in Nordirland (die Arbeitslosenrate ist halb so hoch wie in Deutschland) ohne die Unterstützung des britischen Finanzministers unvorstellbar. Es würde zu neuer Instabilität in der Provinz führen, wenn sich an dieser Unterstützung etwas ändern sollte. Ohne das Drohpotenzial ihrer Waffen wird Sinn Fein deshalb wohl weniger als zuvor in Lage sein, die Tagesordnung im Norden zu bestimmen - auch wenn sie mit vielleicht 27 Prozent der Stimmen die Mehrheitspartei in der nationalistischen Gemeinschaft bleibt.

Was geschieht, wenn bis Ende 2006 keine Abmachungen zur Dezentralisierung erreicht werden und das Ende der Regierungszeit Blairs näher rückt? Dann müssen Überlegungen für eine neue britisch-irische Vereinbarung angestellt werden. Blair ist entschlossen, die DUP und Sinn Fein in eine Regierungskoalition zu bringen. Bedauerlicherweise sind die Mittel, die er einsetzen kann, sehr gering. Wichtiger noch ist, dass der moralische Enthusiasmus, den er 1998 in Nordirland mobilisiert hat, nicht mehr verfügbar ist. Es ist möglich, dass Blair eine Abmachung erreichen kann, aber es wird eine sein, die sowohl die DUP als auch Sinn Fein ihren Anhängern deshalb als annehmbar verkaufen werden, weil sie in der Regierung ein militanteres, konfessionsgebundenes und aggressiveres Verhalten an den Tag legen werden als die Parteien, die sie dort verdrängt haben, die Ulster Unionist Party (UUP) und die SDLP. Es ist schwer zu erkennen, wie ein derart geprägtes Gemeinwesen die Hoffnungen auf Versöhnung erfüllen könnte, die mit dem Karfreitags-Abkommen von 1998 verbunden waren.

Bei all diesen Überlegungen ist es wichtig, die Rolle des US-Außenministeriums zu betrachten. In der Clinton-Ära war dessen Einfluss auf die Nordirlandpolitik gering. Damals wurde Großbritannien häufig zu Gunsten des neuen Freundes Gerry Adams schroff abgewiesen. In der Regierungszeit George W. Bushs hat das State Department eine härtere Linie eingeschlagen. Es verurteilt den Waffenschmuggel der IRA in Florida (ein Thema, bei dem die Clinton-Anhänger bemerkenswert tolerant waren), das revolutionäre Abenteuer der IRA mit den FARC-Guerillas in Kolumbien und den ausgeprägten Anti-Amerikanismus der Sinn-Fein-Propaganda. Bush-Vertrauten war bewusst, dass viele Briten den USA doppelte Maßstäbe vorwarfen: Terrorismus wird zwar global bekämpft, gegenüber dem irischen Terrorismus ist man jedoch nachgiebig.

Bush reagierte aufgeschlossen auf Blair, weil er sich tief in dessen Schuld fühlte. Und so war es Blair, der Adams in den vergangenen Jahren in Washington erneut die Türen öffnete. Das State Department jedoch ist vorsichtiger als die britische und die amerikanische Regierung. Es würdigte die Erklärung der IRA vom 28. Juli 2005 nur als "möglicherweise" historisch. Auch nach der Entwaffnung der IRA weigerte es sich, das über Sinn Fein verhängte Spendenverbot aufzuheben, das wegen der Ermordung Robert McCartneys verhängt worden war (eines Unterstützers von Sinn Fein, der, wie die IRA nach einer Kampagne seiner Angehörigen einräumen musste, im Januar 2005 von ihren Mitgliedern ermordet worden war).

Letztlich wird die US-Regierung dem Weg folgen, den Großbritannien und Irland vorgeben. Ihre gegenwärtige Vorsicht aber ist bemerkenswert. Wessen Einschätzung wird sich als korrekt erweisen? Die der britischen und der irischen Regierung, die zuversichtlich sind, dass kriminelle und paramilitärische Aktionen der IRA ein Ende gefunden haben, oder die des State Departments, das sich da nicht ganz so sicher ist?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Garret Fitzgerald, Reflections on the Irish State, Dublin 2003, S. 37.

  2. Vgl. Simon Prince, The Civil Rights Crisis in Northern Ireland, Ph.D. thesis, Cambridge 2005.

  3. Vgl. Bernard Donoughue, Downing Street Diary: With Harold Wilson in No 10, London 2005.

  4. A. Macintyre, Modern Irish Republicanism, in: Irish Political Studies, (1995) 10.

  5. Artikel in: Andersonstown News, November 1986.

  6. Vgl. Gyles Brandreth, Breaking the Code: Westminster Diaries May 1990-May 1997, London 1999.

  7. Vgl. Anthony Seldon, Major: A Political Life, London 1997, S. 530.

  8. Vgl. Dean Godson, Himself Alone: David Trimble and the Ordeal of Ulster Unionism, Dublin 2004.

  9. Vgl. Frank Millar, David Trimble: The Price of Peace, London 2004.

  10. Vgl. Stephen Collins, Ourselves and Blair Alone, in: Sunday Tribune vom 11.3. 2005.

  11. Artikel in: Sunday Independent vom 2.10. 2005.

M.A., Ph.D., geb. 1949; Professor of Politics, School of Politics, International Studies and Philosophy, Queens University, Belfast BT7 1NN, Nordirland/UK.
E-Mail: E-Mail Link: p.bew@qub.ac.uk