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Die Zukunft der Ideen

Matthias Spielkamp

/ 19 Minuten zu lesen

Die Digitalisierung scheint die Rechte an immateriellen Gütern auszuhöhlen. Sie bietet aber auch bisher unvorstellbare Möglichkeiten, diese Rechte im Zusammenspiel mit neuen Gesetzen auszuweiten.

Einleitung

In der "Rheinischen Zeitung" vom 25. Oktober 1842 machte ein Journalist seinem Unmut Luft: "Man kann unmöglich auf elegantere und zugleich einfachere Weise das Recht der Menschen vor dem Recht der jungen Bäume niederfallen lassen", hieß es dort mit weit mehr als einem Anflug von Sarkasmus. "Auf der einen Seite nach Annahme des Paragraphen steht die Notwendigkeit, daß eine Masse Menschen ohne verbrecherische Gesinnung von dem grünen Baum der Sittlichkeit abgehauen und als Raffholz der Hölle des Verbrechens, der Infamie und des Elends zugeschleudert werden. Auf der andern Seite nach Verwerfung des Paragraphen steht die Möglichkeit der Mißhandlung einiger jungen Bäume, und es bedarf kaum der Anführung! die hölzernen Götzen siegen, und die Menschenopfer fallen!" Nicht nur die hölzernen Götzen siegten, sollte man hinzufügen, sondern auch die Waldeigentümer.

Karl Marx nahm seine Sprachmacht zusammen, um zu zeigen, wie einmal mehr die herrschende Klasse sich Gesetze schuf, die die Welt nach ihren subjektiven Interessen strukturierte. Ort der hitzigen Auseinandersetzungen an fünf Tagen im Herbst 1842: der Landtag der Preußischen Rheinprovinz. Ihr Objekt: das Holzdiebstahlsgesetz. Warum beschäftigte sich Marx damit? Weil es dort um eine der fundamentalen Kategorien moderner Gesellschaften ging: das Eigentum.

Was ist Eigentum?

Viele, die an Eigentum denken, denken an einen Gegenstand. Dieses Auto ist mein Eigentum, dieser Apfel, dieses Haus. Juristen, Soziologen oder Philosophen denken an etwas anderes. Sie haben, wenn sie den Begriff Eigentum hören, ein Verhältnis zwischen Menschen vor Augen, durch das festgelegt wird, wer das Eigentum an einem Gegenstand für sich in Anspruch nehmen kann. Mit dem Gegenstand selbst hat das wenig zu tun - so, wie es nichts mit dem Raffholz selber zu tun hatte, wer ein Eigentumsrecht daran beanspruchen konnte.

Bis zu jenen Tagen im Jahre 1842 war es üblich, dass niemand diesen Anspruch erhob. Fiel ein Ast von einem Baum zu Boden, wurde er aufgerafft von denen, die sich Feuerholz nicht leisten konnten. Das waren viele. Wurde jemand erwischt, wenn er einen Ast abschlug - oder gar einen ganzen Baum fällte -, wurde er vor Gericht gestellt. Der Baum und seine Zweige waren Eigentum desjenigen, dem der Wald gehörte, die Zweige, die am Boden lagen, nicht. So regelte es das Gesetz. Mit einer wie auch immer gearteten "Natur der Dinge" hatte es nichts zu tun, dass ein Zweig, der am Boden lag, anderen Regeln unterworfen war als ein Zweig, der aus dem Stamm wuchs. Was man am Ergebnis der Debatte ablesen konnte: Das Gesetz wurde verabschiedet; von nun an war es ein Verbrechen gegen das Eigentum, im Wald Holz zu raffen. Wer Geld hatte, konnte Feuerholz vom Waldeigentümer kaufen. Wer kein Geld hatte, fror. An der Tatsache, dass im Wald tote Äste von den Bäumen zu Boden fielen, hatte sich - welch Wunder - durch das Gesetz nichts geändert.

Was hat der Titel dieses Beitrags mit den toten Ästen von Marx zu tun? Eine Menge. Denn wenn es um Ideen geht, geht es auch immer um das Eigentum an ihnen. Eine Idee, die ich habe, muss mir gehören, damit ich sie wirtschaftlich verwerten kann. Nur wenn ich das kann, werde ich es mir leisten können, eine Idee zu haben. Und je vollständiger mir eine Idee gehört, desto besser kann ich sie verwerten. Die Logik, die hinter Argumenten wie diesem steht, scheint auf den ersten Blick überzeugend, weil die Idee des Privateigentums so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist wie kaum eine andere. Wir wachsen auf mit einem Schnuller im Mund, der mein ist und nicht dein, bekommen einen Schulranzen, der mir gehört, nicht dir, und am Ende denken wir, dass eine Idee, die ich habe, auch mein unbeschränktes Eigentum sein muss. Diese Logik klingt überzeugend, aber sie ist falsch.

Eigentum ist ein Verhältnis zwischen Menschen. Es ist nicht überhistorisch, nicht naturgegeben. Es wird gestaltet von den Akteuren, die die Macht haben, in Gesellschaften ihre Interessen durchzusetzen. Das Pendel schwingt hin und her zwischen ihnen; mal können sich die einen durchsetzen, mal die anderen. Es gab Zeiten, in denen es üblich war, Menschen zum Eigentum zu rechnen - eine Vorstellung, die uns heute absurd erscheint. Ebenso, wie vielen die Vorstellung absurd erschien, an etwas ein Eigentum zu haben, das sich nicht anfassen lässt. Und dass Eigentumsrechte an diesen "immateriellen" Gütern sogar umfassender sein könnten als an materiellen.

Druckerpressen und metaphysische Bänder

Wenn man einen Anfang festmachen will, könnte man den Beginn dieser Entwicklung auf das Jahr 1469 datieren. In jenem Jahr verlieh der Rat von Venedig dem Drucker Johann von Speyer das "Recht zur ausschließlichen Ausübung des Buchdrucks" im Stadtstaat. Etwa 15 Jahre zuvor hatte Johannes Gensfleisch zur Laden, besser bekannt als Gutenberg, die erste Bibel mithilfe beweglicher Lettern gedruckt. Die Gutenberg-Bibel wird heute als der Beginn eines neuen Medienzeitalters gesehen, das eine bis dahin unvorstellbare Verbreitung von Informationen ermöglichte. Es bedurfte keiner Mönche mehr, die in mühevoller, wochen- bis monatelanger Handarbeit Texte abschreiben mussten.

Doch es gab noch eine Revolution, die sich hier anbahnte und die von den meisten Zeitgenossen unbemerkt blieb: die des Rechts. Denn eine Druckerpresse kostete eine Menge Geld. Und statt sich darauf zu verlassen, dass seine Bücher beim Kunden besser ankommen als die der Konkurrenz, beantragte Johann von Speyer ein Monopol auf den Buchdruck in Venedig, um erst gar keine Konkurrenz aufkommen zu lassen - ein Ausnahmerecht, das ihm der Rat auch gewährte. Ein persönlicher - und sicher auch geschäftlicher - Erfolg für Johann, aber wahrscheinlich ahnte nicht einmal er selbst, dass dieses Ereignis noch Jahrhunderte später als Geburtsstunde des Urheberrechts angesehen würde.

Mehr als 200 Jahre lang schützten die "Druckerprivilegien" nicht die Urheber, sondern das Geschäftsmodell der Buchdrucker und -verleger. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die englische Regierung die erste, die diesem Zustand eine Ende zu bereiten versuchte. Die Gründe dafür waren vielfältig: Es lag weniger daran, dass sie die Autoren davor schützen wollte, sich mit einem Honorar abspeisen lassen zu müssen, um anschließend keinerlei Rechte mehr an ihren Werken zu haben. Vielmehr hatten die Buchdrucker zuviel Macht erlangt, die sich die Krone eigentlich nicht aus der Hand nehmen lassen wollte. Also verabschiedete die englische Regierung 1710 das Statute of Anne, benannt nach der damaligen Königin Anne Stuart. Darin findet sich ein Satz, der gerade heute wieder zu erhitzten Diskussionen unter Urheberrechtsexperten führt: Das erklärte Ziel des Statuts war "Encouragement of Learned Men to Compose and Write useful Books" - also gebildete Männer zu ermutigen, nützliche Bücher zusammenzustellen und zu schreiben. Das Mittel dazu war der Schutz der Autorenrechte, sodass niemand mehr einfach Bücher nehmen und ohne Zustimmung des Autoren vervielfältigen konnte. Die Rechte der Autoren an ihren Texten waren Mittel zum Zweck: Die wirtschaftliche Sicherheit der "gebildeten Männer" sollte ein Fundament für Kreativität schaffen, nach dem Motto: Wenn ich leben kann von dem, was ich gern tue, dann tue ich es noch lieber. Ökonomen nennen das die Anreiztheorie.

Auf dem europäischen Kontinent sah man das ganz anders. "Das heiligste, berechtigtste, am wenigsten anfechtbare und persönlichste allen Eigentums ist das Werk, die Früchte des Denkens eines Schriftstellers", schrieb Isaac Le Chapelier 1791 in seinem "Report Le Chapelier" an das Revolutionsparlament, aus dem das erste Dekret zum Urheberrecht in Frankreich hervorging. Möglicherweise hatte er Immanuel Kants Beitrag in der "Berlinischen Monatsschrift" vom Mai 1785 gelesen, in dem der Königsberger Philosoph ein seltsames Gedankengebäude errichtet hatte, mit dem er die "Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" - so der Titel - zu begründen versuchte. Es folgten ihm Fichte und Hegel, wenn auch nicht in ihrer Argumentation, so doch in ihrer Schlussfolgerung: Es gibt ein Eigentum, auf immer und unveräußerlich, des Urhebers, des Autors an seinem Werk.

Seitdem halten die Kontinentaleuropäer das Urheberrecht für eine Art weltlichen Ausdruck eines metaphysischen Bandes, das Autor und Werk untrennbar verbindet - und haben darüber oft genug das Weiterlesen vergessen. Denn bei Le Chapelier heißt es auch: "Jedoch ist es ein Eigentum, das in seinem Wesen völlig verschieden ist von anderen Eigentumsarten", denn: "Aus der Natur der Sache heraus ist alles vorbei für Autoren und Verleger, sobald die Öffentlichkeit das Werk durch seine Publikation in Besitz genommen hat."

Private Rechte und öffentliche Interessen

Denn auch das kontinentaleuropäische Urheberrecht hat die Aufgabe, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen der Urheber und den Interessen der Öffentlichkeit. (Was übrigens auch für das wichtigste andere Immaterialgüterrecht gilt: das Patentrecht.) Zwar kann man dort, wo ein Urheberrecht im Wortsinn gilt, niemals das vollständige Recht an seinem Werk abtreten. Denn ein metaphyisches Band lässt sich schließlich nicht mit weltlichen Verträgen zerschneiden. Doch selten geht es beim Streit ums Urheberrecht um etwas anderes als Verwertungsrechte: Wer darf meinen Text drucken, wer mein Musikstück aufführen, wer mein Foto ausstellen? Darüber bestimmen zu können, ist das Verlangen der Urheber, denn dadurch verdienen sie Geld. Und diese Verwertungsrechte lassen sich sehr wohl abtreten. Sie sind es, die seit Jahrhunderten immer stärker ausgeweitet werden, und zwar in alle Richtungen: die Dauer des Schutzes, ihr Umfang und die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um in den Genuss des Urheberrechtsschutzes zu kommen.

So betrug die Schutzdauer in England, verliehen durch das Statute of Anne, 14 Jahre; sie konnte auf Antrag um weitere 14 Jahre verlängert werden. In den USA galten mit dem Copyright Act von 1790 ebenfalls 14 Jahre, die um weitere 14 verlängert wurden, wenn der Autor nach Ablauf der ersten Periode noch lebte und die Verlängerung beantragte. In Deutschland wurde am 11. Juni 1837 das "Preußische Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung" erlassen. Schutzdauer: 30 Jahre post mortem auctoris (nach dem Tod des Autors). In den genannten Ländern gilt heute für Werke der Kunst und Literatur - und auch für viele andere - eine Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Autors. Hätte eine derartige Schutzdauer zu Goethes Zeiten bestanden, wäre der "Werther", den er im Alter von 25 Jahren veröffentlichte, 152 Jahre lang geschützt gewesen. Wird Benjamin Lebert so alt wie Goethe, würde sein Roman "Crazy" eine Schutzdauer von 161 Jahren genießen.

Auch was den Schutzumfang anbelangt, sind die aktuellen Gesetze kaum mit ihren Vorgängern zu vergleichen. Im Preußischen Gesetz von 1837 heißt es: "Das Recht, eine bereits herausgegebene Schrift, ganz oder theilweise, von neuem abdrucken oder auf irgend einem mechanischen Wege vervielfältigen zu lassen, steht nur dem Autor derselben oder denjenigen zu, welche ihre Befugniß dazu von ihm herleiten." Um den Nachdruck ging es, nicht mehr. Heute kann ein Urheber bestimmen über die Vervielfältigung, Verbreitung, Ausstellung seines Werkes, ob es zum Vortrag, zur Aufführung und Vorführung kommt, in einer Funksendung oder durch Bild- und Tonträger veröffentlicht oder öffentlich zugänglich gemacht wird - womit vor allem die Publikation über das Internet gemeint ist.

Schließlich die Anforderungen: Musste in den USA anfangs ein Schöpfer noch jedes Werk, das er schützen wollte, beim Register of Copyrights anmelden, steht heute automatisch jede E-Mail, jede Notiz, die jemand auf eine Serviette kritzelt, unter dem Schutz des Copyrights. Auch in Deutschland muss kein Werk registriert werden, um geschützt zu sein. Was den Werkbegriff anbelangt, gilt zwar nach wie vor der Grundsatz, dass nur Schutz genießt, was eine entsprechende Gestaltungshöhe vorweisen kann; die Schwelle für diese Gestaltungshöhe ist jedoch im Laufe der Zeit vom Gesetzgeber und den Gerichten so weit abgesenkt worden, dass heute unvergleichbar mehr Werke Urheberrechtsschutz genießen als im 19. Jahrhundert. Doch das ist immer noch nicht alles. Um zu verstehen, wie weit der Schutz der Urheberrechte tatsächlich geht - und was das bedeutet -, muss man auch einen Ausflug machen nicht nur in die Welt des Rechts, sondern auch der Technik. Einen Ausflug, wie ihn - ungewollt - Shawn Yeager vor zwei Jahren unternahm.

Meine Musik gehört mir nicht

Der IT-Berater Yeager war von den USA nach Kanada umgezogen, als sein Apple Powerbook den Geist aufgab. Eigentlich nicht weiter schlimm, eine Neuinstallation des Betriebssystems war für den Techniker kein Problem. Doch als er seine im iTunes Music Store gekaufte Musik, die digital auf seinem Computer gespeichert war, hören wollte, machte ihm die Software einen Strich durch die Rechnung: Die Songs müssten erst wieder freigeschaltet werden, um sicherzugehen, dass Yeager der rechtmäßige Besitzer der Stücke sei, teilte ihm sein Programm mit. Als wenn das nicht ärgerlich genug gewesen wäre, erlebte Yeager die nächste Überraschung beim Telefonat mit Apples Serviceteam: Die Musik sei nur für Bewohner der Vereinigten Staaten gedacht. So stehe es in den Geschäftsbedingungen. Da Yeager nicht mehr in den USA wohne, könne er die Songs leider nicht mehr abspielen.

Womit Yeager unbeabsichtigt aneinander geraten war, nennt man in der Branche Digitales Rechtemanagement (Digital Rights Management, DRM). Seine Gegner finden eher den Begriff Digitales Restriktionsmanagement angemessen. Nicht ohne Grund: Jedes einzelne Musikstück aus dem Apple Store ist DRM-kodiert. Das bedeutet, dass jede Datei nicht nur Musik enthält, sondern auch Informationen darüber, wie diese Musik zu nutzen ist: Darf das Stück nur auf dem Computer abgespielt werden, auf den es beim Kauf heruntergeladen worden ist? Darf es der Käufer auf CD brennen, auf einen MP3-Player überspielen, auf seinen Laptop übertragen? Wenn ja, wie oft? Eine solche Datei kann nicht mit einem beliebigen Programm geöffnet werden, sondern nur mit solchen, die die DRM-Informationen auch interpretieren können. Erkennt etwa Apples iTunes-Software, dass ein Musikstück bereits fünfmal auf unterschiedlichen Rechnern gespeichert wurde, weigert sie sich, dies ein sechstes Mal zu tun. Als Yeager nach seinem Powerbook-Crash das Betriebssystem neu installierte, interpretierte die iTunes-Software das so, als sei die Musik auf einen neuen Rechner kopiert worden. Also forderte das Programm Yeager auf, die Songs, für die er bezahlt hatte, neu freizuschalten - und das wurde ihm verweigert, weil seine Eigentumsrechte an den Songs außerhalb der USA nicht gültig waren. Yeager musste erkennen, dass er nicht die Songs besaß, sondern lediglich etwas Neues, schwer Fassbares, Ephemeres: ein Nutzungsrecht an Musik. Dieses Nutzungsrecht, und das war die zweite, größere - und folgenreichere - Überraschung, war ihm nur unter bestimmten Bedingungen übertragen worden. Also konnte es ihm auch wieder entzogen werden, wenn es dem tatsächlichen Inhaber des Rechts gefiel - also nicht Yeager, sondern Apple. Willkommen im digitalen Zeitalter.

Shawn Yeagers Erfahrung mit dem iTunes Music Store ist wie geschaffen dafür, zu verstehen, wie DRM funktioniert. Vor noch nicht allzu langer Zeit ging man, wenn man Musik hören wollte, in ein Geschäft und kaufte eine Platte, die man dann besaß. Man konnte sie anhören, verschenken, verkaufen, an Freunde verleihen, im Schrank verstauben lassen, als Bierdeckel benutzen, zerbrechen, wegwerfen. Oder, wenn man sie im Auto hören wollte oder im Ferienhaus, wo kein Plattenspieler stand, die Musik auf eine Kassette überspielen. Das hätten die Rechteinhaber zwar gern gesetzlich verboten gesehen, aber die Regierungen weigerten sich: Es wäre unmöglich gewesen, ein solches Verbot zu kontrollieren. Und damit wäre es "ebenso effektiv gewesen wie ein Verbot des Nasebohrens", wie es Elmar Hucko, ehemals als Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium zuständig für das Urheberrecht, ausdrückte.

Doch heute wittern die Rechteinhaber die Chance, die Rechte der Kunden zu kontrollieren. Denn die Digitalisierung der Daten ist der Albtraum, der den Managern der großen Unterhaltungskonzerne den Schlaf raubt: Jede Kopie ist so gut wie das Original, Inhalte sind nicht mehr als Nullen und Einsen, die sich umso schneller an jeden Ort der Welt übertragen lassen, je höher die Bandbreite der Internetanschlüsse ist - und die wächst mit einem gewaltigen Tempo. Eigentlich ein fantastisches Mittel, um vor allem die Vertriebskosten für die nunmehr körperlosen Güter zu verringern. Keine CD muss mehr gepresst, kein Booklet gedruckt werden, kein Lastwagen muss die Ware ausliefern an Ladengeschäfte, für die Miete und Lohnkosten anfallen.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Da die Manager der großen Unterhaltungskonzerne jahrelang auf sie starrten wie das Kaninchen auf die Schlange, kamen ihnen diejenigen zuvor, die keine Rücksicht nahmen auf Unternehmensstrukturen, Hierarchien und Entscheidungsabläufe der multinationalen Großunternehmen. Stattdessen entwickelten sie Software, mit der es möglich ist, die digitalisierten Songs und Filme sekundenschnell auffind- und abrufbar zu machen. In diesen peer-to-peer-Tauschbörsen, in denen Nutzer direkt miteinander kommunizieren, tummeln sich seitdem Millionen von Menschen, die Milliarden von Texten und Filmen, vor allem aber Musikstücke vervielfältigen, ohne die Rechteinhaber um Erlaubnis zu fragen.

Und dagegen könne man auch nichts tun - so lautet noch immer das Credo vieler Digerati, Netzbürger, die mit Stewart Brand die Ansicht vertreten, dass "Information frei sein will" und es nichts gibt, was den Geist der Digitalisierung in der Flasche halten könne. Egal, welchen Schutz das Urheberrecht biete: In einer Welt digitaler Güter könne auf lange Sicht kein Mensch mehr ausgeschlossen werden von der Teilhabe an ihnen. Denn von nun an sei es möglich, Bücher, Filme, Fotos, Musik und vieles andere mehr nahezu kostenlos zu vervielfältigen und zu vertreiben. Ganz im Sinne von John Perry Barlows " Cyberspace Manifesto", in dem er das Ende der Regierungen der industrialisierten Welt, den "müden Giganten aus Fleisch und Stahl", ausrief, sei auch das Ende der industriellen Inhalteanbieter gekommen. Wissen sei ein öffentliches Gut, von dem niemand ausgeschlossen werden könne, vor allem dann nicht, wenn alle Inhalte in unkörperlicher Form vorliegen.

Fiktion der Nicht-Ausschließbarkeit

Ein folgenschwerer Irrtum. Denn menschlicher Erfindungsreichtum kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, diesen Status der Nicht-Ausschließbarkeit, wie ihn Ökonomen nennen, zu überwinden, indem man exklusive Eigentumsrechte zuweist. Technische Möglichkeiten und Regulierungsmaßnahmen wie das Urheber- und Patentrecht wurden entwickelt, um all jene von der Nutzung von Gütern auszuschließen, die nicht dafür bezahlen - weil sie nicht wollen oder können. Denn Nicht-Ausschließbarkeit ist alles andere als ein natürliches oder technisches Charakteristikum, sondern eine soziale und rechtliche Konstruktion, die aus politischen Auseinandersetzungen und normativen Entscheidungen hervorgeht.

Im Hinblick auf die so genannten immateriellen Güter - Musik, Filme, wissenschaftliche Erkenntnis - müsste diese Einsicht weitreichende Bedeutung haben. Denn gerade die Digitalisierung bietet die Chance, ein Ausmaß an Kontrolle über die Daten zu erlangen, das in der analogen Welt unvorstellbar gewesen ist. Wie im Beispiel des iTunes Music Stores: Die Software leistet weit mehr, als nur die Musik zu entschlüsseln und damit wieder hörbar zu machen: Sie kontrolliert, welche Rechte mit den Songs verbunden sind, also was die Nutzer damit machen dürfen. Dabei ist eine große Spannbreite denkbar, von "Nur einmal abspielbar am Geburtstag des Nutzers auf seinem eigenen Computer" bis zu "Darf auf jedem Gerät unendlich oft gespielt und auf CD gebrannt werden". Die zweite Variante hätte allerdings wenig Sinn, denn dann könnten die Anbieter die Inhalte gleich unverschlüsselt verkaufen. Tatsächlich träumen sie aber von Modellen, bei denen Songs für nur eine Party genutzt werden können, DVDs sich nur einmal abspielen lassen (damit man sie verschicken kann und der Kunde sie nicht in die Videothek zurückbringen muss) oder Käufer ein eBook kaufen, das sie zwar lesen, aber nicht ausdrucken können.

Das Problem an dieser Methode: Ein funktionierendes DRM entwickeln heißt zu versuchen, einen Menschen davon abzuhalten, sich die eigene Geldbörse zu stehlen, indem man sie an seiner Hose festbindet - wohl wissend, dass er ein Messer in der Tasche hat. Denn der potenzielle Angreifer ist der Kunde: Er besitzt das Medium, den geschützten Text, Film, Song, dazu das Programm, das den Inhalt schützen soll, den Computer, auf dem das Programm läuft, und den Schlüssel, um den Inhalt zu öffnen. Kryptografen sind sich einig, dass es mit dem PC, wie wir ihn kennen, nie möglich sein wird, ein erfolgreiches DRM-System zu etablieren. Schließlich hat der PC seinen Erfolg der Tatsache zu verdanken, dass er eine Universalmaschine ist. Man kann auf ihm Programme schreiben oder Texte, Musik komponieren oder Filme schneiden und E-Mails verschicken. Dass sein Besitzer zu diesem Zweck auf alle Bestandteile des Rechners zugreifen kann, ist eine grundlegende Idee dieses Systems.

Für diejenigen, die diese Technik einsetzen wollen - vor allem die Unterhaltungsindustrie -, ist diese Universalität die größte Bedrohung. Denn wenn Benutzer auf alles Zugriff haben, werden sie auch jeden Schutz überwinden können. Zwar kann man DRM-Hürden bauen, die es technischen Laien unmöglich machen, den Inhalt zu entschlüsseln. Doch Experten werden diese Hürden immer überwinden. Kombiniert mit einer Erkenntnis, die in Fachkreisen BORA (break once, run anywhere) genannt wird, ergibt das ein eindeutiges Szenario. BORA bedeutet, dass es für den Großteil der Nutzer nicht nötig ist zu wissen, wie man einen Kopierschutz umgeht. Es genügt, wenn es ein Experte tut und den entschlüsselten Inhalt in einer Tauschbörse zur Verfügung stellt. Zu dem Schluss, dass dieser Kampf mit technischen Mitteln nicht zu gewinnen ist, kamen selbst vier hochrangige Microsoft-Ingenieure in einer Studie, die als Darknet-Paper weltbekannt geworden ist.

Trusted Computing

Doch so schnell lassen sich Unternehmen nicht entmutigen, wenn es darum geht, Erlösquellen ungekannten Ausmaßes zu erschließen. Ein Teil der Strategie, die Computerbauer und Inhalteanbieter daher einschlagen, um die Inhalte dennoch zu sichern, ist der Versuch, aus dem offenen System PC ein geschlossenes System zu machen, wie einen Videorecorder oder einen CD-Player. In der Trusted Computing Group haben sich mehr als 80 Firmen zusammengeschlossen, von Microsoft und Sony über IBM und Intel bis zu Fujitsu, Siemens und Philips, um dieses Ziel zu verwirklichen. Der Plan ist, in jeden PC ein Trusted Platform Modul (TPM) einzubauen - einen Chip, der als Herzstück einer komplizierten Architektur darüber wacht, dass die Nutzer mit ihren Daten nur tun, was die Verkäufer erlauben. Die ersten Geräte nach TPM-Spezifikation sind bereits seit einigen Jahren auf dem Markt. Ronald Rivest, Informatiker am Massachusetts Instutute of Technology und Mitentwickler des weltweit bekanntesten Verschlüsselungsalgorithmus RSA (Rivest-Shamir-Adleman): "Man muss sich das so vorstellen, als würde man eine virtuelle Set-Top-Box in seinen Computer einbauen, um damit Teile seines PCs an Leute zu vermieten, denen man nicht vertraut." Gemeint sind die Unterhaltungsindustrie undComputerbauer. Oder, wie es der Cambridge-Mathematiker Ross Anderson ausdrückt: "Was heißt Trusted Computing? Dass ich meinem Computer vertrauen kann? Nein, es bedeutet, dass die Industrie meinem Computer vertrauen kann."

Ebenso viel Energie wie auf die Technik verwenden die großen Unterhaltungskonzerne auf das weltweite Lobbying gegenüber den Gesetzgebern. Sie haben erreicht, dass Werke einen nie gekannten Schutz genießen. Nun haben sie es gegen den Willen von Bürgerrechtsorganisationen, Wissenschaftlern und Verbraucherschützern geschafft, alle Mitglieder der World Intellectual Property Organization mithilfe des WIPO Copyright Treaty von 1996 dazu zu verpflichten, in ihre jeweiligen Landesgesetze eine Klausel aufzunehmen, die es verbietet, DRM-Systeme zu umgehen. In Deutschland wurde diese Verpflichtung mit dem novellierten Urheberrechtsgesetz vom September 2003 erfüllt. Seitdem sind auch hierzulande zahlreiche im Prinzip legale Möglichkeiten, Medien zu nutzen, untersagt.

Eine erlaubte Kopie, die gleichzeitig verboten ist - das klingt nicht nur paradox, sondern ist es auch. Möchte beispielsweise eine Hochschullehrerin ihren Studierenden eine Sammlung von Liedausschnitten als Unterrichtsmaterial auf einer CD zur Verfügung stellen, ist eine solche Nutzung eigentlich durch § 46 des Urheberrechtsgesetzes ("Sammlungen für Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch") gestattet. Ist aber ein Musikstück, das sie für ihre Auswahl verwenden möchte, auf einer DRM-geschützten CD veröffentlicht, besagt das Umgehungsverbot, dass sie diese Beschränkung nicht aushebeln darf. Das Umgehungsverbot wiegt schwerer als die Schranke des Urheberrechts.

Eigentlich sollte das Urheberrecht nie das Ziel haben, dem Schöpfer ein absolutes, unbeschränktes "Eigentum" an seinem Werk zu verschaffen. Im Gegenteil: Immer war es auch erklärtes Ziel, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den individuellen Bedürfnissen der Schöpfer nach Entlohnung für ihre Leistungen auf der einen und dem öffentlichen Interesse einer Gesellschaft nach Zugang zu diesen Werken auf der anderen Seite. Für Unterricht und Forschung, Rechtspflege und Presseberichterstattung oder auch den privaten Gebrauch muss es Regeln geben, die es möglich machen, Werke zu nutzen, ohne jedes Mal den Rechteinhaber um Erlaubnis bitten zu müssen.

Und jahrhundertelang schien auch dem Gesetzgeber klar zu sein: ohne Zugang zu bestehender Kreativität und bekanntem Wissen keine neuen Kunstwerke, keine neuen Erkenntnisse - all das, was Isaac Newton im Kopf hatte, als er sagte: "Wenn ich weiter sehen konnte (als andere vor mir), dann deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stehe." Ein Gleichnis übrigens, das vor ihm bereits Bernhard von Chartres im 12. Jahrhundert verwendet hatte. Der wiederum bezog sich auf Marcus Annaeus Lucanus, einen römischen Dichter des 1. Jahrhunderts.

Doch wenn es nach dem Willen der Rechteinhaber geht, wird in Zukunft am Fuße eines jeden Giganten, sei es Goethe oder Einstein, ein Automat stehen mit der Aufschrift: "Um sich auf die Schultern zu stellen, führen Sie bitte Ihre Kreditkarte ein. Wir buchen dann den Betrag ab, den wir für angemessen halten." Ein Vorhaben, das nur gelingen kann, wenn die Gesetzgeber mitspielen; was sie auch tun, zumindest in den meisten Industrienationen. Deutschland ist dabei keine Ausnahme.

Information will frei sein - und teuer

Womit wir wieder bei Stewart Brand angelangt wären. "Information wants to be free", hatte er gesagt, und er hätte sich mit diesem Ausspruch den Vorwurf grenzenloser Naivität eingehandelt, wenn er nicht die Einschränkung dieser These gleich mitgeliefert hätte. Information will frei sein, weil es so billig geworden ist, sie zu verteilen, zu kopieren und neu zu arrangieren - zu billig, um die Kosten noch zu messen, schrieb Brand vor fast zwei Jahrzehnten. Aber Information wolle auch teuer sein, fuhr er fort, denn sie kann unermesslich wertvoll sein für den Empfänger (und damit auch für den Verkäufer). Diese Spannung werde nie verschwinden, sondern zu endlosen, verdrehten Debatten führen über Preise, Urheberrechte, "geistiges Eigentum", weil jede Runde in der Entwicklung neuer Geräte die Spannung schlimmer werden lasse.

Diese Vorhersage hat sich bewahrheitet. Die Frage, welche Grenzen des Eigentums an nichtfassbaren Gütern das öffentliche Wohl gebietet, ist noch immer ungelöst. Auf der Suche nach einer Antwort vor allem die Interessen der Rechteinhaber im Blick zu haben widerspricht fundamental der Idee einer Gesellschaft, die sich als demokratisch verfasst betrachtet. Dennoch ist es genau das, was der Gesetzgeber derzeit tut. Man kann, so würde es Marx wohl ausdrücken, unmöglich auf elegantere und zugleich einfachere Weise das Recht der Menschen vor dem Recht einer DVD niederfallen lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Karl Marx, Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags. Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz, in: Marx-Engels Werke, Bd. 1, Berlin (Ost) 198815, S. 111.

  2. Vgl. Gillian Davies, Copyright and the Public Interest, London 2002, S. 15.

  3. Zit. nach: ebd., S. 137.

  4. Ebd., S. 383.

  5. Das Urheberrecht kennt kein Recht auf Privatkopie, in: c't, Nr. 16 vom 26.7. 2004.

  6. Stewart Brand wurde durch die Gründung des Online-Diskussionsforum "The Well" zu einem der Pioniere der Internetkommunikation.

  7. Vgl. John Perry Barlow, A Declaration of the Independence of Cyberspace, http://homes.eff.org/~barlow/Declaration-Final.html (5.6. 2005).

  8. Vgl. Elmar Altvater: What happens when public goods are privatised?, www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/ wemgehoertdiewelt/altvater_ 0312.pdf (31.4. 2005).

  9. Vgl. Peter Biddle u.a., The Darknet and the Future of Content Distribution, unveröff. Diskussionspapier ohne Jahresangabe, http://msl1.mit.edu/ESD10/docs/darknet5.pdf (5.6. 2005).

  10. "The right way to look at this is you are putting a virtual set-top box inside your PC. You are essentially renting out part of your PC to people you may not trust." Rick Merritt, Cryptographers sound warnings on Microsoft security plan, in: EETimes Online vom 15.4. 2003, www.eetimes.com/story/OEG20030415 S0013 (5.6. 2005).

  11. Im Gespräch mit dem Autor am 14.1. 2004.

  12. Art. 11, www.wipo.int/treaties/en/ip/wct/trtdocs_ wo033.html P87_12240 (5.6. 2005).

  13. Vgl. Stewart Brand, The Media Lab. Inventing the Future at MIT, Chicago 1987, S. 202.

geb. 1970; freier Journalist mit dem Spezialgebiet Immaterialgüter (Urheberrecht,
Patente, Markenschutz); Immanuelkirchstraße 38,
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Internet: Externer Link: www.immateriblog.de