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Bürgerbundeswehr - Essay | 50 Jahre Bundeswehr | bpb.de

50 Jahre Bundeswehr Editorial Bürgerbundeswehr - Essay 50 Jahre Bundeswehr Zur Transformation der Bundeswehr Militärreform und Grundgesetz: Zum Konzept der "Inneren Führung" 50 Jahre Nuklearwaffen in Deutschland Außenpolitik und Bundeswehrreform

Bürgerbundeswehr - Essay

Rolf Clement

/ 7 Minuten zu lesen

Die Bundeswehr ist in einem politischen Klima des Antimilitarismus gegründet worden. Trotz hohen Ansehens wurde sie nicht zu einem geliebten Instrument des Staates.

Einleitung

Wenn eine Armee den 50. Jahrestag ihrer Gründung begeht, dann ist dies normalerweise eine sehr kurze Zeit. Für die Bundeswehr ist dies aber ein Grund zum Feiern. Die Streitkräfte der Bundesrepublik haben sich in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten erfolgreich der Aufgabe gestellt, den Frieden zu sichern. Nur einmal, im Kosovo-Krieg, war sie an einer militärischen Auseinandersetzung beteiligt, die dazu diente, die von einem Diktator provozierte Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe zu beenden - und das ist gelungen.

Die Gründung der Bundeswehr in der damaligen Bundesrepublik und der Nationalen Volksarmee (NVA) in der DDR fiel in eine Zeit, in der in beiden deutschen Staaten die Menschen nach der erst wenige Jahre zurückliegenden Erfahrung des Zweiten Weltkriegs eher antimilitaristisch eingestellt waren. Bundeskanzler Konrad Adenauer versuchte mit dem Angebot an die Westmächte, dass sich die Bundesrepublik an der Verteidigung der westlichen Welt mit eigenen Streitkräften beteiligen könnte, eine Integration in die demokratischen Staaten des Westens zu erreichen. Die Bundeswehr wurde im Grundgesetz so verankert, dass ein Staat im Staate nicht entstehen konnte. Die Armee wurde sehr eng an das Parlament gebunden, das über Stärke, Bewaffnung und Einsätze zu entscheiden hat. Ein Wehrbeauftragter des Bundestages, nicht der Regierung, sollte kontrollieren, dass die innere Verfassung dieser Streitkräfte den Grundsätzen einer Armee in der Demokratie entsprachen. Das Innenleben wurde durch das Bild vom Staatsbürger in Uniform geprägt. Dass die Soldaten anders als in der Vergangenheit behandelt wurden, sollten die Prinzipien der Inneren Führung sichern. Die Bundeswehr wurde von Anfang an fest in internationale Strukturen integriert. So wurde trotz heftiger Proteste gegen die Gründung der Bundeswehr eine Anbindung an die Gesellschaft begründet. Der Bundeswehr gelang es, sich Vertrauen bei der Bevölkerung zu erarbeiten.

Anders verlief die Gründung der NVA. Dort drängte die Sowjetunion auf die Aufstellung von Streitkräften in der DDR, um an der Aufgabe mitzuwirken, den Sozialismus zu sichern und durchzusetzen. Die NVA hatte von Anfang an einen ideologischen Auftrag, während die Bundeswehr den Grundwerten Freiheit und Demokratie verpflichtet war. Sowohl die innere Organisation wie auch die parlamentarische Anbindung waren nicht in der Form gestaltet wie in der Bundesrepublik. Dass die NVA bei der Bevölkerung wenig Vertrauen genoss, zeigte sich nach der Vereinigung. Dies machte den Anfang der Bundeswehr dort zunächst schwierig. Erst langsam begriff man, dass es sich um eine neue Armee handelte. Allerdings spürten die Offiziere, die von der Bundeswehr übernommen wurden, schnell, dass ein neuer Wind weht. Ein Leutnant, der beim ersten Besuch des damaligen Generalinspekteurs Dieter Wellershoff in den neuen Ländern nach seinen ersten Eindrücken befragt wurde, brachte es auf die Formel: "Wir dürfen unsere Rekruten nun wie Menschen behandeln."

So sehr die Bundeswehr auch bei Umfragen in der Beurteilung punkten konnte, so brüchig ist ihr Verhältnis zum Bürger dennoch immer geblieben. Die Bundeswehr gewann den Ruf, dass sie ihre Aufgabe professionell gut erledigte. Bei ihren Auslandseinsätzen seit 1992 hat sie bewiesen, dass dieser Ruf zu Recht besteht. Ungeachtet der zweifelhaften politischen Erfolge, die die Missionen hatten, an denen die Bundeswehr beteiligt war (Kambodscha, Somalia) oder ist (Balkan, Afghanistan, Georgien), hat sie den ihr gestellten militärischen Auftrag immer gut erledigt.

Die Ambivalenz dieses Verhältnisses zwischen Bürgern und Bundeswehr zeigt sich immer wieder, wenn es zu Diskussionen über Sicherheitspolitik kommt. Das war zu spüren, als 1968 die Notstandsgesetze beraten wurden, bei denen der Bundeswehr in eng begrenztem Umfang Aufgaben im Inneren übertragen worden sind. Als der Nachrüstungsteil des NATO-Doppelbeschlusses zur Umsetzung anstand, kam die Friedensbewegung zu den größten Demonstrationen zusammen, die es in der deutschen Geschichte gegeben hat. Später fanden Auseinandersetzungen um die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen unter dem Dach der UNO und am Kosovo-Krieg statt. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass das Wort von der "Militarisierung der Außenpolitik", das in die politische Diskussion eingeführt wurde, als die Bundeswehr mehr und mehr zum Instrument deutscher Außenpolitik wurde, zu einem recht gewichtigen Argument gegen diesen neuen Kurs in Deutschland werden konnte.

Die eigentlich antimilitaristische Grundhaltung der Bevölkerung, die schon zu ihrer Gründungszeit die Bundeswehr begleitete, hat sich im Kern bis heute erhalten. So konnte es auch schnell verfangen, als die Bundesregierung ihre Ablehnung des Irak-Krieges im Wahlkampf 2002 nutzte, um die für die Koalition negative Stimmung zu ihren Gunsten zu wenden. Sie kommt auch in der Zurückhaltung zum Ausdruck, welche die Abgeordneten des Bundestages zeigen, wenn sie einerseits der Tatsache nicht widersprechen, dass die Bundeswehr für ihre gegenwärtigen Aufgaben unterfinanziert ist, andererseits jedoch immer neue Einsätze, wie zuletzt den für die Sudan-Mission, beschließen.

Diese Bundeswehr hat eigentlich keine Lobby. Immer wieder musste sie mit Kürzungen ihres Haushalts leben. Schon der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) sprach 1983, kurz nach der Regierungsübernahme durch die Union, angesichts der damals gefassten Sparbeschlüsse vom "Ende der Fahnenstange", die erreicht worden sei. Diese seit 1950 vorhandene Grundstimmung ist ein Grund dafür, dass eine sachliche Diskussion über die Sicherheitspolitik - mit Ausnahme der Zeit der Wiederbewaffnung und des Vollzugs des NATO-Doppelbeschlusses - nicht aufkommen wollte. Hinzu kam, dass seit Gründung der Bundesrepublik und spätestens jedoch seitdem die SPD zu Beginn der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihren Frieden mit der Westbindung gemacht hatte, sich die großen Parteien um einen weitgehenden Grundkonsens in der Außenpolitik bemühten. In den neunziger Jahren wollten die Politiker die Bundeswehrsoldaten nicht mit einem politisch umstrittenen Mandat in die Einsätze schicken. Das sind sicherlich hehre Ziele, aber dort, wo sich die großen Parteien einig sind, wird eine Diskussion nicht aufkommen - und das wirkt sich auf die Gesellschaft aus.

Einige Politiker wollen sich mit dieser Situation nicht mehr abfinden. Der neue Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold robbe (SPD), meine kurz nach seiner Wahl im Deutschlandfunk: "Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir manchmal etwa mehr hätten in der bundesdeutschen Gesellschaft wie einen positiven Patriotismus." Dabei hehe es ihm nicht um einen "Hurra-Patriotismus", sondern um "eine stärkere Identifikation der Gesellschaft mit dem, was die Bundeswehr tut, was an Vorstellungen hinter diesen Maßnahmen steht und was letzten Endes im deutschen Interesse ist". Es bestätigt seine Analyse, dass diese Anregung bisher noch nicht breit aufgegriffen worden ist.

Weil diese Diskussion so nicht stattfindet, wurden die Risiken, die es für die Bundesrepublik immer gab und noch gibt, nicht so offen ausgesprochen, wie es nötig gewesen wäre. Politiker aller Parteien hatten eine Scheu, mit unbequemen Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu treten und deutlich zu machen, dass militärische Macht notwendig ist, um Freiheit und Wohlfahrt in diesem Staat zu sichern. Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat dies zu unterlaufen versucht, indem er eine Bundeswehrplanung aufstellte, die etwas teurer war, als es die bereitgestellten Mittel erlaubten. So wollte er den Druck auf die Koalition aufrechterhalten, dass weitere Kürzungen im Haushalt nicht mehr zulässig waren, wenn das Instrument Streitkräfte nicht stumpf werden sollte. Verteidigungsminister Peter Struck hat durch seine den Haushaltsplanungen gegenüber loyalen Planungsansätze diesen Druck weiter reduziert.

Auch die Wehrpflichtdebatte, die in Deutschland geführt wird, weist in Ansätzen Elemente dieser antimilitaristischen Grundhaltung auf. Für viele ist es nicht einsichtig, dass die jungen Männer zum Dienst in der Truppe verpflichtet werden sollen. Gerade die Wehrpflicht ist aber ein wichtiges Element, um die Verbindung zwischen der Gesellschaft und den Streitkräften zu erhalten. Staaten, die in den letzten Jahren die Wehrpflicht abgeschafft haben, mussten sehr schnell erkennen, dass die Gesellschaft sich von den Armeen dieser Länder abwendet, obwohl es dort einen Bruch in der Geschichte, den das Jahr 1945 für Deutschland markierte, nicht gab. Auf diesen Umstand hatte kürzlich die französische Verteidigungsministerin hingewiesen. Manch einer, der gegen die Wehrpflicht argumentiert, ist sich dieses Umstandes durchaus bewusst, und es ist für ihn ein wesentlicher Grund für seine Position.

So hat die Bundeswehr im Inneren das Prinzip vom Staatsbürger in Uniform verinnerlicht. Weil dies so ist, kann die Bundeswehr ihre Aufträge im Ausland so überzeugend ausführen. Die innere Offenheit ermöglicht es, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sich auf die Verhältnisse im Einsatzland einstellen können. Was im Inneren zum klaren Gestaltungsprinzip geworden ist, findet im Äußeren nur scheinbar eine Entsprechung. Denn die immer wieder in Umfragen geäußerte Zustimmung zur Institution Bundeswehr hält einer wirklichen Prüfung nicht stand.

Der Vorteil dieser antimilitaristischen Grundhaltung ist, dass die Einsatzschwelle für Streitkräfte in Deutschland recht hoch zu sein scheint. Die Bundesregierung muss im Parlament sehr genau begründen, warum sie die Bundeswehr in einen Kriseneinsatz mit all seinen Gefahren schickt. Aber auch das ist nur begrenzt ein Hinderungsgrund. Die Einsätze der Bundeswehr in Osttimor, im Kongo und jetzt im Sudan sind mit deutschen Interessen nur schwer zu begründen. Immer wieder wird Deutschland angefragt, wenn ein internationaler Einsatz ansteht. Es ist dann nicht leicht, immer wieder "Nein" zu sagen, wenn die Bundesregierung gleichzeitig internationale Organisationen stärken will.

50 Jahre nach der Gründung hat sich die Bundeswehr durch ihr Wirken für den Frieden in Deutschland und der Welt Respekt erworben, aber mehr auch nicht. Und so bleibt das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft zerbrechlich. Dies birgt Chancen bei Einsatzentscheidungen, verstellt aber den Blick dafür, dass die Bundeswehr zu einem Instrument deutscher Interessenwahrnehmung geworden ist. In diesem Spannungsverhältnis muss die Bundeswehr weiterleben. Denn im haushaltspolitischen Ernstfall gibt es in Deutschland immer andere Prioritäten als die Streitkräfte. Da der Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, lässt sich an diesem Punkt ablesen, wie ernst es der Bundesregierung mit der Unterstützung der Streitkräfte wirklich ist.

geb. 1953; Leiter der Abteilung Hintergrund im Deutschlandfunk. Raderberggürtel 40, 50968 Köln.
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