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Exosoziologie | Weltraum | bpb.de

Weltraum Editorial Geschichte und Zukunft der Raumfahrt aus deutscher Perspektive Roter Kosmos. Kulturgeschichte des Raumfahrtfiebers in der Sowjetunion Phantasie, Projekt, Produkt. Astrokultur und der Weltraum des 20. Jahrhunderts Wem gehört der Weltraum? Grundlagen des Weltraumrechts Wettrüsten im All? Stand und Perspektiven der Weltraumbewaffnung Exosoziologie. Szenarien für den Erstkontakt mit außerirdischer Intelligenz

Exosoziologie Szenarien für den Erstkontakt mit außerirdischer Intelligenz

Andreas Anton Michael Schetsche

/ 17 Minuten zu lesen

Ausgehend vom aktuellen Stand wissenschaftlicher Diskussionen zum Thema außerirdische Intelligenz werden in dem Beitrag mit futurologischen Methoden verschiedene Szenarien des Erstkontakts zwischen der Menschheit und einer außerirdischen Zivilisation untersucht.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts kennen wir Außerirdische aus der Science-Fiction. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist das Thema zunehmend auch für die Wissenschaft relevant geworden. Das hängt in erster Linie mit den weitreichenden Entdeckungen der Astrophysik und der neu entstandenen Astrobiologie zusammen: Heute wissen wir, dass unsere Galaxis nur so von Planeten wimmelt, und viele dieser sogenannten Exoplaneten umkreisen ihren Heimatstern in einer Entfernung, die sie aufgrund der Oberflächentemperatur nach unseren irdischen Maßstäben für die Entwicklung von Leben geeignet erscheinen lässt. Außerdem ist heute klar, dass irdisches Leben selbst die unwirtlichsten Zonen unseres Planeten besiedelt hat – einmal entstandenes Leben ist offensichtlich extrem robust und anpassungsfähig. Beide Befunde haben, zusammen mit verschiedenen theoretischen Überlegungen, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon überzeugt, dass einfaches, aber auch komplexes Leben an vielen Orten des Universums existieren könnte. Dies legt die Möglichkeit nahe, dass nicht nur auf der Erde intelligentes Leben entstanden ist, wir also nicht die einzige Zivilisation im Universum sind. Daran schließt wiederum unmittelbar die Frage an, ob wir eines Tages vielleicht in Kontakt mit einer außerirdischen Intelligenz treten werden.

An diesem Punkt des wissenschaftlichen Nachdenkens über Außerirdische endet die alleinige Zuständigkeit der Naturwissenschaften. Hier sind zusätzlich sozial- und kulturwissenschaftliche Disziplinen gefragt, namentlich diejenigen, die sich seit Langem mit der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Spezies und dem Gelingen oder auch Misslingen von Kontakten zwischen verschiedenen Kulturen beschäftigen.

Bereits vor Jahrzehnten dachten Pioniere wie der sowjetische Radioastronom Samuil Aronovich Kaplan und der US-amerikanische Soziologe Jan H. Mejer über die Rolle der Sozialwissenschaften bei der Erforschung außerirdischer Zivilisationen nach. Doch erst aufgrund des naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts kann die Exosoziologie, wie sie den Gegenstand ihrer Überlegungen damals nannten, wirklich gute Gründe dafür anführen, zeitliche und finanzielle Ressourcen für die Untersuchung dieser Frage aufzuwenden: Heute scheint es denkbar, manche meinen sogar wahrscheinlich, dass die Menschheit über kurz oder lang in Kontakt mit außerirdischen Zivilisationen kommen wird. Entsprechend ist es Aufgabe der sozialwissenschaftlichen Prognostik, Szenarien für einen solchen "Fall der Fälle" zu entwickeln, der in den nächsten Jahrzehnten nicht Realität werden muss, aber durchaus könnte.

Das methodische Rüstzeug dafür liefert die wissenschaftliche Zukunftsforschung, die Futurologie – ein sozialwissenschaftliches Programm, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Seither sind Methoden wie Computersimulation, Delphi-Befragung und Szenarioanalyse entstanden, um Aussagen über die künftige Entwicklung einer Gesellschaft oder auch der gesamten menschlichen Zivilisation treffen zu können. Auf diese Forschungstradition bezieht sich die Exosoziologie, wenn sie die Frage stellt, was sich für uns auf der Erde ändern würde, wenn wir das sichere Wissen erlangten, dass die Menschheit nicht allein im Universum ist. Da jener "Erstkontakt" nach allem, was wir heute gesichert wissen, zumindest in geschichtlicher Zeit noch nicht stattgefunden hat, ist dies zunächst eine hypothetische Frage. Im Rahmen der Zukunftsforschung wird sie als sogenanntes Wild-card-Ereignis untersucht. Solche Ereignisse zeichnen sich dadurch aus, dass die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts letztlich gering ist, sie im Fall des Falles aber massive Auswirkungen auf unser aller Leben haben dürften. Methodisch analysiert werden derartige Ereignisse meist in Form einer Szenarioanalyse, bei der verschiedene mögliche Zukünfte vergleichend untersucht werden.

Eine solche Szenarioanalyse nehmen wir im Folgenden für das Wild-card-Ereignis des Erstkontakts der Menschheit mit einer außerirdischen Zivilisation vor. Dabei unterscheiden wir drei Basisszenarien, die sich in der Art und Weise unterscheiden, wie dieser Kontakt zustande kommt.

Signalszenario

Das Signalszenario liegt bis heute den meisten SETI-Programmen zugrunde, mit denen Radioastronomen nach außerirdischen Zivilisationen suchen. Es geht davon aus, dass Radioteleskope Signale aus dem Weltall auffangen, die künstlichen Ursprungs sind. Aus den technischen Parametern der Sendung lässt sich die ungefähre Distanz des Senders erschließen und wahrscheinlich auch etwas über dessen technische Möglichkeiten in Erfahrung bringen. Falls das Signal so moduliert ist, dass auf eine inhaltliche Botschaft zu schließen ist, stellt sich die Frage, ob wir diese Nachricht entschlüsseln können. Es könnte sein oder ist sogar wahrscheinlich, dass wir den Inhalt der Sendung für lange Zeit nicht oder vielleicht sogar niemals verstehen. Dann wissen wir nicht mehr, als dass es vor längerer oder kürzerer Zeit – die Entfernung des Ursprungsortes des Signals von der Erde markiert aufgrund der feststehenden Lichtgeschwindigkeit immer auch eine entsprechende zeitliche Differenz – irgendwo in unserer Galaxis eine weitere technologische Zivilisation gegeben hat.

Eine größere Entfernung des Senders von der Erde würde das Ereignis dabei weit aus dem menschlichen Relevanzsystem herausrücken. Ein Signal aus beispielsweise 5.000 (Licht-)Jahren Entfernung würde primär die wissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Subsysteme der Erde tangieren, da es die vorherrschenden Annahmen über die Stellung der Menschheit im Kosmos erschüttern würde. Für das Leben der Menschen und ihr Alltagsbewusstsein wäre es jedoch eher irrelevant. Zunächst würde es sicherlich ein großes öffentliches Interesse und entsprechende Diskussionen in den Massenmedien hervorrufen. Nicht zuletzt wegen der Unmöglichkeit eines unmittelbaren Dialogs – jedes Signal bräuchte Jahrtausende, um sein Ziel zu erreichen – dürfte das allgemeine Interesse an dem Thema jedoch schnell wieder nachlassen. Es würden sicherlich verschiedene wissenschaftliche Programme aufgelegt, um ein Maximum an Informationen aus den empfangenen Signalen herauszuholen. In diesem Kontext wäre auch damit zu rechnen, dass die weitere Suche nach außerirdischen Lebensformen, über deren Existenz man nun Gewissheit hätte, zumindest mittelfristig einen erheblichen Auftrieb erfahren würde. Dies würde sich etwa in der öffentlichen Förderung entsprechender Forschungen niederschlagen.

Etwas anders sähe es aus, wenn das Signal aus der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft der Erde käme. Eine sozialpsychologische Entfernungsschwelle dürfte hier in dem Bereich liegen, der dem lebenszeitlichen Horizont unserer eigenen Spezies entspricht, also 50 oder maximal 100 (Licht-)Jahre. Innerhalb dieser Entfernung würden fremde Zivilisationen kognitiv wie emotional als "erreichbare Nachbarn" wahrgenommen. Die Folgen eines Signals nahen Ursprungs könnten einerseits in nationalen und internationalen Anstrengungen bestehen, einen Dialog oder gar Direktkontakt per Raumfahrt zu realisieren. Allerdings dürften auch die Befürchtungen hinsichtlich der Folgen des Kontakts in der irdischen Bevölkerung mit der Abnahme der Entfernung zunehmen. Ein Signal aus vergleichsweise geringer Entfernung würde der individuellen wie kollektiven, also politischen und ökonomischen, Zukunftsplanung ein schwerwiegendes Element der Unsicherheit hinzufügen.

Generell lautet unsere Einschätzung für dieses Szenario: Je weiter der Sender des empfangenen Signals entfernt ist und je länger die Entschlüsselungsversuche des gesendeten Inhalts andauern, desto rascher würde das öffentliche Interesse an diesem Ereignis erlahmen und desto geringer wären die mittel- und langfristigen kulturellen Auswirkungen auf der Erde. Davon ausgenommen wären lediglich jene wissenschaftlichen Disziplinen, die unmittelbar mit der Entschlüsselung möglicher Inhalte und der Suche nach weiteren Signalen beschäftigt sind. Technologische und ökonomische Auswirkungen dürfte ein Erstkontakt dieser Art nur haben, falls es tatsächlich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten gelingen sollte, die Inhalte des Signals linguistisch zu entschlüsseln. Wahrscheinlich ist, dass das Ereignis Entwicklungen im philosophischen und religiös-spirituellen Bereich anstoßen würde. Den größten Einfluss außerhalb der Wissenschaften dürfte das Ereignis jedoch im Bereich der künstlerischen und (medien)kulturellen Repräsentation haben: Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche neue Romane, Filme und Fernsehserien entstehen würden, deren Handlung ihren Ausgangspunkt im Empfang außerirdischer Signale nehmen. Der reale Alltag der Menschen dürfte sich hingegen kaum verändern.

Artefaktszenario

Das Artefaktszenario geht davon aus, dass wir eines Tages in unserem Sonnensystem oder sogar auf der Erde selbst auf die materiellen Hinterlassenschaften einer außerirdischen Zivilisation stoßen – etwa auf eine Raumsonde. Während die außerirdische Herkunft eines Artefakts sich bereits aus dem Fundort ableiten ließe, könnte sich die Frage nach der Natürlichkeit oder Künstlichkeit eines entsprechenden Objekts umso nachdrücklicher stellen, je weiter die technischen Fähigkeiten der Ursprungskultur über jene der irdischen hinausreichen. Vorstellbar sind Objekte einer solchen Fremdartigkeit, dass bei ihnen nicht nur jede heute bekannte Methode der technischen Untersuchung versagt, sondern bereits die Einordnung "künstlich" oder "natürlich" lange Zeit zweifelhaft bleiben könnte. Wir erleben dies aktuell bei "Oumuamua", einem im Oktober 2017 entdeckten interstellaren Himmelsobjekt, dem ersten dieser Art, das derzeit unser Sonnensystem durchquert. Oumuamua erfuhr bei seiner Annäherung an die Sonne eine bislang nicht abschließend erklärte Beschleunigung und weist darüber hinaus höchst eigentümliche Formeigenschaften auf, weshalb eine heftige wissenschaftliche Debatte darüber entbrannt ist, ob dieses Objekt möglicherweise künstlichen Ursprungs sein könnte.

Eine sichere Einordnung ist insbesondere dann schwierig, wenn das gefundene Objekt keine für uns Menschen erkennbaren Symbole aufweist. Und auch wenn sich fremdartige "Inschriften" finden, ist Skepsis hinsichtlich ihrer Entschlüsselung angebracht: Bereits bei menschlichen Kulturen stellt die Interpretation einer unbekannten Schrift die Wissenschaft vor eine beinahe unlösbare Aufgabe, solange es keine Referenzquellen gibt. Selbst die reiche symbolische Ausstattung eines gefundenen Artefakts würde keine Informationen über die Denkstrukturen oder Motive der außerirdischen "Verfasser" liefern. Deshalb werden sich die irdischen Konsequenzen primär aus der Tatsache des Fundes selbst ergeben.

Wie stark die kulturellen Auswirkungen einer solchen Entdeckung wären, hängt primär von zwei Faktoren ab: Zum einen würde eine mögliche Altersbestimmung ein gefundenes Objekt in den menschlichen Zeithorizont hinein- oder im Gegenteil aus ihm hinausrücken. Ein geschätztes Alter von 100 Jahren hätte hier eine völlig andere Bedeutung als eines von zehn Millionen Jahren. Im ersteren Fall wären wir mit unmittelbaren "zeitlichen Nachbarn" konfrontiert, die möglicherweise von der Existenz einer Zivilisation auf der Erde wüssten. Im letzteren hingegen würden sich alle derartigen Überlegungen von selbst erübrigen. Zum anderen würde das fremde Objekt zu Spekulationen über die Art seiner Funktion(en) und sicherlich auch über seine aktuelle Funktionsfähigkeit führen. Dies zöge eine Reihe von schwerwiegenden praktischen Fragen im Anschluss an den Fund nach sich: Soll das Objekt möglichst unberührt bleiben oder sollte es systematisch wissenschaftlich untersucht werden? Kann und soll es an einen anderen Ort transportiert, gegebenenfalls sogar aus dem Weltraum auf die Erde gebracht werden? Soll es in irgendeiner Weise manipuliert oder gar zerlegt werden, falls dies mit unseren irdischen Mitteln möglich ist? All dies sind Fragen, für die es keinerlei internationale Regelungen gibt.

Wenn wir etwa vom Fund eines oder mehrerer außerirdischer Artefakte auf einem nicht allzu erdfernen Asteroiden ausgehen, wären die Folgen der Entdeckung – wenn sie denn öffentlich würde – auf das Weltbild der Bevölkerung zumindest in westlichen Gesellschaften erheblich. Eine gegenüber dem Signalszenario stärkere kulturelle Brisanz ergäbe sich hierbei daraus, dass die "Es gibt uns"-Botschaft durch eine "Wir waren hier"-Botschaft wissenschaftlich und psychosozial dominiert würde. Mit einem solchen Fund wäre außerdem bewiesen, dass interstellare Entfernungen auch raumfahrttechnisch überbrückt werden können.

Der Fund eines extraterrestrischen Artefakts in unserem Sonnensystem würde nicht nur in der wissenschaftlichen Welt, sondern auch in der allgemeinen Öffentlichkeit auf großes Interesse stoßen. Eine unmittelbare praktische Konsequenz dürfte sein, dass Raumfahrtnationen und Raumfahrtkonzerne große Anstrengungen unternehmen würden, weitere außerirdische Artefakte im Sonnensystem zu entdecken. Die dabei eingesetzten Ressourcen würden die Erforschung des Sonnensystems generell revolutionieren: Wir gehen davon aus, dass von einem Fund dieser Art im Sonnensystem, unabhängig von allen konkreten Details, starke Impulse für die unbemannte, vielleicht sogar für die bemannte Raumfahrt ausgehen würden, sodass eine solche Entdeckung den Beginn einer intensiven Phase der wissenschaftlich-technischen Erforschung unseres Sonnensystems markieren könnte.

Die mittel- und langfristigen Folgen eines solchen Fundes in den diversen gesellschaftlichen Subsystemen hängen von verschiedenen Faktoren ab: Das öffentliche Interesse und die massenpsychologischen Konsequenzen werden in erster Linie vom Alter des Objekts und von seiner möglichen Funktionalität beeinflusst – je jünger und je funktionsfähiger das Objekt ist, desto mehr Interesse, aber auch kollektive Besorgnis dürfte der Fund auslösen. So stellte sich etwa die Frage: Werden die Fremden eines Tages in unser Sonnensystem zurückkehren? Auf ökonomischer Ebene hingegen wäre entscheidend, ob hier technologisch verwertbare Informationen gewonnen werden können. Wäre dies nicht der Fall, dürften ausschließlich raumfahrtbezogene Unternehmen von der öffentlichen Aufmerksamkeit und dem politischen Interesse an weiteren Artefakten profitieren. Politisch wiederum ist die Entdeckung umso brisanter, je unklarer die faktischen Besitzverhältnisse sind und je größer der potenzielle technologische Gewinn ist, der einer Auswertung des Artefakts beigemessen wird. Ferner dürfte die Tatsache eines früheren Besuchs außerirdischer Intelligenzen in unserem Sonnensystem die weltpolitische Agenda mittel- und langfristig stark beeinflussen. Denn die Möglichkeit der Rückkehr eines technologisch weit fortgeschrittenen außerirdischen Akteurs mit unbekannten Motiven ins Sonnensystem würde die bisherige Machtverteilung auf der Erde hinter neue Vorzeichen stellen. Im schlimmsten Fall könnte der neue Akteur aufgrund seiner überlegenen Technologie ein Machtmonopol beanspruchen, dem die irdischen Nationalstaaten nichts entgegenzusetzen hätten. Konstituierende Elemente des politischen Weltsystems der Erde wie die nationalstaatliche Souveränität stünden dann zur Disposition.

Begegnungsszenario

Im Begegnungsszenario erscheint im erdnahen Weltraum ein außerirdischer Raumflugkörper, von dem aufgrund seiner Flugmanöver oder anderer Aktionen anzunehmen ist, dass er von einer biologischen oder künstlichen Intelligenz gesteuert wird. Was dabei unter "erdnahem Weltraum" zu verstehen ist, dürfte einem deutlichen technischen und kulturellen Wandel unterworfen sein. Wir interpretieren dies als jenen Teil des Weltraums, der durch menschliche Raumsonden oder gar Raumschiffe erreicht werden kann oder zumindest in naher Zukunft erreicht werden könnte; zu Beginn des 21. Jahrhunderts dürften dies weite Teile unseres Sonnensystems sein. Wie weit das fremde Objekt sich der Erde nähert, hätte erhebliche Auswirkungen auf dessen Wahrnehmung und den Grad der psychosozialen wie kulturellen Implikationen auf der Erde: Je näher es der Erde käme, als desto bedrohlicher würde es wahrscheinlich wahrgenommen. Die Frage hingegen, ob es sich um einen Kontakt mit einer biologischen Lebensform oder den Abgesandten einer Maschinenzivilisation handelt, wäre nicht zuletzt deshalb weniger relevant, weil sie für längere Zeit ungeklärt bleiben dürfte.

Das Begegnungsszenario unterscheidet sich analytisch in einem zentralen Punkt von allen anderen Situationen des Erstkontakts: Hier haben wir es mit einer interaktiven und darüber hinaus höchst komplexen Situation zu tun, in der es neben den Menschen einen weiteren handelnden Akteur gibt – eine außerirdische Intelligenz, über die wir zunächst nichts wissen und deren Motive und Interessenlagen wir auch aus ihren äußerlich beobachtbaren Handlungen nicht ohne Weiteres zu erschließen vermögen. Aus diesem Grund sind auch keine Vorhersagen über das Handeln der Fremden möglich, auch nicht über die Reaktionen auf menschliche Aktivitäten angesichts der für uns neuen Situation. Wir können einfach nicht wissen, was bei einem solchen Zusammentreffen konkret geschehen würde. Dies bedeutet analytisch: Einer der beteiligten Akteure bleibt prognostisch notwendig eine unbekannte Größe.

Den zentralen Faktor für die Prognose der irdischen Folgen eines solchen Ereignisses stellen deshalb gerade nicht die Aktionen und Reaktionen der Fremden selbst dar, sondern deren Deutung durch uns Menschen. Dabei müssen wir im Auge behalten, dass wir entsprechende Kontaktszenarien bereits aus der Science-Fiction mehr oder weniger gut kennen. Der Erstkontakt als fiktionales Ereignis wurde kulturell schon vielfach durchgespielt und hat seine Spuren im kollektiven Denken hinterlassen – und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Positiv daran ist, dass die Menschen durch einen solchen Erstkontakt eben gerade nicht mit einer ganz und gar "unvorstellbaren" Situation konfrontiert sind. Als fatal könnte sich hingegen die Tendenz erweisen, aufgrund des Mangels an realitätsbezogenem Wissen die Deutungsmuster aus dem fiktionalen Kontext auf die wirklichen Geschehnisse zu übertragen – etwa in der Form, dass politische und militärische Entscheidungsträger das Erscheinen einer außerirdischen Raumsonde vorschnell als "Invasionsabsicht" deuten und militärische Abwehrmaßnahmen einleiten.

Soziologisch kann das Begegnungsszenario als radikale Form eines asymmetrischen Kulturkontakts beschrieben werden. Solche Kontakte kennen wir in verschiedenen Varianten aus der Menschheitsgeschichte: Situationen, in denen eine Kultur auf ihrem eigenen Territorium "Besuch" von Angehörigen einer völlig fremden menschlichen Zivilisation erhielt. Asymmetrische Kulturkontakte zeichnen sich dadurch aus, dass beim Zusammentreffen beide Seiten von einem erheblichen Machtgefälle zwischen den Beteiligten ausgehen. Diese Annahme resultierte in der Vergangenheit meist allein schon daraus, dass die eine Seite auf ihrem eigenen Territorium mit den Fremden konfrontiert wurde – situativ waren mithin die einen die aktiven "Entdecker", die anderen die passiven "Entdeckten". Für die "Entdecker" bewies die Entdeckung fern ihrer eigenen Heimat ihre eigene Überlegenheit, für die "Entdeckten" entsprechend die Tatsache, im eigenen Lebensraum mit Fremden konfrontiert zu werden, ihre Unterlegenheit. Unterschiede beim Stand der Reisetechnologie wurden historisch vielfach von allen Beteiligten als Zeichen allgemeiner Unter- beziehungsweise Überlegenheit interpretiert. Wie systematische Untersuchungen zeigen, bedrohen Begegnungen dieser Art die kulturelle Identität, oftmals auch die physische Existenz der so entdeckten Zivilisationen in erheblicher Weise. Wenn wir die Erfahrungen mit irdischen Kulturkontakten auf ein Begegnungsszenario übertragen, ist die Rollenzuweisung eindeutig: Wir Menschen wären die "Entdeckten", die Außerirdischen hingegen die "Entdecker". In jedem Fall hätten wir es, da die Menschheit heute weit davon entfernt zu sein scheint, fremde Sonnensysteme zu erforschen, mit einer für beide Seiten offensichtlichen Diskrepanz zwischen den technischen Möglichkeiten der beteiligten Zivilisationen zu tun – zuungunsten der Menschheit.

Verglichen mit den beiden anderen Szenarien, zeichnet sich dieser Fall durch drei Besonderheiten aus: Erstens dürften schwerwiegende kulturelle Folgen sehr schnell eintreten, zweitens beträfen sie in ähnlich massiver Weise gleich eine Reihe gesellschaftlicher Subsysteme und drittens bleibt der zentrale Akteur mit seinen Interaktionen prognostisch weitgehend eine Leerstelle. Das Auftauchen eines von einer außerirdischen Intelligenz gesteuerten Flugkörpers in der Nähe der Erde dürfte unmittelbar, nachdem diese Entdeckung öffentlich wird, zu schwerwiegenden massenpsychologischen, ökonomischen, religiösen und politischen Auswirkungen führen, von denen zwar nicht alle, aber doch viele eher negativer Natur sein dürften.

Sollten wir uns auf den Kontakt vorbereiten?

Die US-amerikanischen Astronomen Thomas Kuiper und Mark Morris hatten bereits 1977 in ihrem Beitrag zur SETI-Forschung auf die schwerwiegenden Folgen eines Kontakts mit Außerirdischen hingewiesen. Es ist nicht übertrieben, einen solchen Erstkontakt als eines der einschneidendsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte zu bezeichnen, zumal in wissenschaftlicher und philosophischer Hinsicht – einmal mehr seit dem Zeitalter der Aufklärung würde die Menschheit in ihrer Selbstwahrnehmung aus dem Mittelpunkt des (gedachten) Universums hinausrücken. Was den Einfluss auf das alltägliche Leben der Menschen angeht, muss diese These nach unserem Dafürhalten jedoch relativiert werden. Wir denken, dass sie in dieser starken Form ausschließlich für eine direkte Begegnung gilt. Denn nur in diesem Fall findet das sichere Wissen um die Existenz außerirdischer Intelligenz unmittelbar Eingang in unser alltägliches Denken und Handeln – und tangiert Politik, Ökonomie, Religion und so weiter gleichermaßen: Die politischen Machtverhältnisse auf der Erde würden sich angesichts eines neuen, externen, technologisch überlegenen und potenziell gefährlichen Akteurs verschieben, Unternehmen sähen sich möglicherweise mit der Wertlosigkeit ihrer jüngsten Technologien konfrontiert, und religiöse Vorstellungen einer herausgehobenen Bedeutung der Menschheit in einer göttlichen Schöpfungsordnung stünden radikal infrage.

Dennoch geben die Ergebnisse der Szenarioanalyse auch in den anderen untersuchten Fällen Anlass zur Sorge: Es sind Situationen vorstellbar, in denen vom Kontakt zu einer außerirdischen Intelligenz erhebliche Risiken für die Menschheit als Ganzes ausgehen. Bestenfalls handelt es sich bei jenem Kontakt um ein ökonomisches und ideologisches Störereignis, schlimmstenfalls kann es uns in einen großen Krieg oder, im Falle des Begegnungsszenarios, unter ungünstigen Umständen sogar zur Auslöschung der Menschheit durch eine technisch überlegene Intelligenz führen. Deshalb ist die Frage nur allzu berechtigt, ob und gegebenenfalls wie negativen Folgen vorgebeugt werden kann. Können bereits heute Maßnahmen getroffen werden, um die potenziell ungünstigen Auswirkungen eines Erstkontakts zu verringern und mögliche günstige Folgen wahrscheinlicher zu machen? Dies abzuschätzen und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, ist sicherlich eine der wichtigsten zukünftigen Aufgaben der Exosoziologie.

In der Katastrophenforschung wird die Bedeutung eines Ereignisses anhand von zwei Faktoren beurteilt: seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Ausmaß seiner negativen Konsequenzen. Wenn der Kontakt mit einer außerirdischen Intelligenz im schlimmsten Falle verheerende kulturelle Auswirkungen und eine militärische Eskalation im Konflikt mit den Außerirdischen zur Folge haben könnte, bei der eine Auslöschung der Menschheit droht, kann die Wahrscheinlichkeit für das Erstkontakt-Ereignis fast beliebig klein werden, ohne dass das Gesamtrisiko vernachlässigbar wird. Nicht für solche Fälle zu planen, wäre unverantwortlich. Die heute von Teilen der Wissenschaft, von der Öffentlichkeit und von nationalen wie internationalen politischen Institutionen an den Tag gelegte Ignoranz hinsichtlich dieser Frage funktioniert als Handlungsoption überhaupt nur, weil es keine offensichtlichen Indizien für die Existenz außerirdischer Intelligenzen gibt. Diese Strategie wird jedoch in dem Moment schlagartig prekär, wenn sich Indizien für intelligentes Leben außerhalb der Erde häufen oder gar das Erstkontakt-Ereignis unübersehbar eintritt. Auf Basis unserer Szenarioanalyse raten wir deshalb nachdrücklich zu einer systematischen Vorbereitung auf den Erstkontakt, die von fünf Leitsätzen ausgehen sollte:

Erstens ist die Suche nach außerirdischen Intelligenzen kulturell betrachtet High-risk-Forschung, deren Nutzen und Risiken offen diskutiert werden müssen.

Da es sich um ein gesamtgesellschaftliches globales Risiko handelt, darf diese Debatte zweitens nicht der Wissenschaftsgemeinde überlassen bleiben – namentlich nicht Disziplinen, die wie etwa die Radioastronomie mit dem Thema partikulare Interessen verbinden.

Drittens müssen Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger über diese Forschungen und ihre möglichen Konsequenzen zumindest so weit informiert werden, dass rationale Entscheidungen über rechtliche Reglementierungen und Grenzziehungen möglich sind.

Da bei allen denkbaren Erstkontaktszenarien von globalen Auswirkungen auszugehen ist, fällt das Problem viertens primär in die Zuständigkeit internationaler Institutionen. Rechtliche Regelungen und politische Maßnahmen sollten vorzugsweise auf UN-Ebene implementiert werden.

Zur Minimierung negativer Auswirkungen sollte der Erstkontakt in all seinen wahrscheinlichen Varianten fünftens Gegenstand der Sicherheitsforschung werden und in Plänen des Zivil- und Katastrophenschutzes als außergewöhnliches Störereignis Berücksichtigung finden.

Kein Mensch weiß heute mit Sicherheit zu sagen, ob auch außerhalb der Erde Leben entstanden ist – und erst recht nicht, ob sich in den Weiten des Weltalls andere intelligente Wesen entwickelt haben. Es gibt wissenschaftlich jedoch keinen Grund, diese Möglichkeit auszuschließen. Und angesichts der schier unfassbaren Größe des Universums scheint es sehr wahrscheinlich, dass neben der irdischen Zivilisation eine Vielzahl außerirdischer Zivilisationen existiert. Je mehr wir über das Universum wissen und je weiter wir durch eigene Forschungsaktivitäten in den Kosmos vordringen, desto wahrscheinlicher wird es auch, dass wir mit jenen Zivilisationen, ihren Signalen oder Hinterlassenschaften konfrontiert werden. Uns als Weltgesellschaft darauf vorzubereiten, scheint dringend geboten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Martin Engelbrecht, Von Aliens erzählen, in: ders./Michael Schetsche (Hrsg.), Von Menschen und Außerirdischen. Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft, Bielefeld 2008, S. 13–29; Matthias Hurst, Dialektik des Aliens. Darstellungen und Interpretationen von Außerirdischen in Film und Fernsehen, in: ebd., S. 31–53.

  2. Vgl. Samuil Aronovich Kaplan, Exosociology – the Search for Signals from Extraterrestrial Civilisations, in: ders. (Hrsg), Extraterrestrial Civilizations. Problems of Interstellar Communications, Jerusalem 1971, S. 1–12; Jan H. Mejer, Towards an Exo-Sociology: Constructs of the Alien, in: Free Inquiry in Creative Sociology 2/1983, S. 171–174.

  3. Vgl. Hans Georg Graf, Was ist eigentlich Zukunftsforschung?, in: Sozialwissenschaften und Berufspraxis 4/2003, S. 355–364.

  4. Vgl. Angela Steinmüller/Karlheinz Steinmüller, Wild Cards. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt, Hamburg 2004².

  5. Vgl. Michael Schetsche/Andreas Anton, Die Gesellschaft der Außerirdischen. Einführung in die Exosoziologie, Wiesbaden 2019, S. 118–123.

  6. Vgl. ebd., S. 137–187.

  7. SETI steht für Search for Extraterrestrial Intelligence beziehungsweise Suche nach extraterrestrischer Intelligenz.

  8. Vgl. Albert A. Harrison, After Contact. The Human Response to Extraterrestial Life, New York 1997.

  9. Vgl. Seth Shostak, Nachbarn im All. Auf der Suche nach Leben im Kosmos, München 1999, S. 232f.

  10. Vgl. Michael A. Michaud, Contact with Alien Civilizations. Our Hopes and Fears about Encountering Extraterrestrials, New York 2007, S. 135–140.

  11. Vgl. Shmuel Bialy/Abraham Loeb, Could Solar Radiation Pressure Explain ’Oumuamua’s Peculiar Acceleration?, 26.10.2018, Externer Link: https://arxiv.org/abs/1810.11490.

  12. Vgl. Michaud (Anm. 10), S. 211.

  13. Vgl. Alexander Wendt/Raymond Duvall, Sovereignty and the UFO, in: Political Theory 4/2008, S. 607–633.

  14. Vgl. Stephen Baxter/John Elliott, A SETI Metapolicy. New Directions towards Comprehensive Policies Concerning the Detection of Extraterrestrial Intelligence, in: Acta Astronautica 78/2012, S. 31–36.

  15. Vgl. Michael Schetsche et al., Der maximal Fremde. Überlegungen zu einer transhumanen Handlungstheorie, in: Berliner Journal für Soziologie 3/2009, S. 469–491.

  16. Vgl. Albert A. Harrison/Joel T. Johnson, Leben mit Außerirdischen, in: Tobias Daniel Wabbel (Hrsg.), S.E.T.I. Die Suche nach dem Außerirdischen, München 2002, S. 95–116.

  17. Vgl. Urs Bitterli, Alte Welt – neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontaktes vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, München 1986; Arnold Groh, Globalisierung und kulturelle Information, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Die Zukunft des Wissens. Workshop-Beiträge, XVIII. Deutscher Kongreß für Philosophie, Konstanz 1999, S. 1076–1084.

  18. Vgl. Michaud (Anm. 10), S. 232–247.

  19. Schetsche/Anton (Anm. 5), S. 158–178.

  20. Vgl. Thomas Kuiper/Mark Morris, Searching for Extraterrestrial Civilizations, in: Science 196/1977, S. 616–621.

  21. In der Zukunftsforschung werden solche Ereignisse Low-probability, High-impact-events genannt. Vgl. Kenzo Hiroki, Strategies for Managing Low-probability, High-impact Events, 1.9.2012, Externer Link: https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/16163.

Lizenz

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ist promovierter Soziologe und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau. E-Mail Link: anton@igpp.de

ist Forschungskoordinator am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau und lehrt als Außerplanmäßiger Professor Soziologie an der dortigen Albert-Ludwigs-Universität. E-Mail Link: schetsche@igpp.de