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Wer ist was in der deutsch-türkischen Nachbarschaft?

Ferdinand Sutterlüty

/ 19 Minuten zu lesen

In sozial benachteiligten Stadtvierteln sind türkische Bewohner Adressaten abwertender und ausgrenzender Klassifizierungen durch ihre deutschen Nachbarn. Umgekehrt werden die Deutschen als dissozial wahrgenommen und deren Assimilationserwartungen zurückgewiesen.

Einleitung

Soziale Ungleichheiten zwischen Bevölkerungsgruppen sind im alltäglichen Zusammenleben immer mit Bewertungen der jeweils anderen Gruppe verbunden. Dies gilt für Ungleichheiten, die auf Einkommen, Bildung und Beruf beruhen, ebenso wie für solche, die mit der Zugehörigkeit zu einer Generation, einem Geschlecht oder einer ethnischen Gruppe verknüpft sind. In der Sozialstruktur repräsentiert sich nicht nur eine Verteilungsordnung materieller Güter, sondern zugleich ein gesellschaftliches System wertender Kategorisierung. Die Sozialstruktur ist daher immer auch eine "symbolische Ordnung", in der sich die normativen Wahrnehmungskategorien verschiedener Bevölkerungsteile abbilden. Sie stellt "klassifikatorische Muster sozialer Ungleichheit" bereit, "die mit Zuschreibungen verbunden sind, die Achtung und Mißachtung signalisieren". Kämpfe um solche symbolischen Ordnungen waren Gegenstand der empirischen Studie "Negative Klassifikationen", die in den Jahren 2002 bis 2005 am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main durchgeführt wurde und aus der einige zentrale Ergebnisse vorstellt werden.



Die Untersuchung von "negativen" Klassifikationen lenkt die Aufmerksamkeit auf die diskriminierenden und damit auf jene Aspekte einer symbolischen Ordnung, die entscheidenden Einfluss auf die Integrationschancen der betroffenen Sozialgruppen haben. In diesen tief greifenden sozialen Konsequenzen abwertender Etikettierungen liegt die besondere Relevanz der Studie.

Sie wurde in zwei ehemaligen Arbeitervierteln durchgeführt, von denen das eine, Barren-Ost, in einer Stadt im Ruhrgebiet und das andere, Iderstadt-Süd, im baden-württembergischen Raisfurth liegt. Die beiden Stadtteile haben wie viele andere in Deutschland mit den sozialen Folgen der Deindustrialisierung zu kämpfen und weisen vergleichsweise hohe Arbeitslosenraten und Sozialhilfedichten auf. Hinsichtlich der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung unterscheiden sie sich allerdings stark voneinander, wie die folgende Tabelle zeigt (vgl. PDF-Version).

Bei der Datenerhebung stützte sich die ethnographisch angelegte Untersuchung neben Methoden der klassischen Feldforschung, insbesondere der teilnehmenden Beobachtung, auf Einzelinterviews und Gruppendiskussionen. Die Auswahl der einbezogenen Personen und Gruppen richtete sich darauf, Repräsentanten aus verschiedenen sozialen Schichten - vom mittelständischen Unternehmer bis zum Sozialhilfeempfänger - und unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit, verschiedenen Alters und Geschlechts zu berücksichtigen. Was die ethnische Zugehörigkeit betrifft, konzentrierte sie sich weitestgehend auf die deutsche und die türkische Bevölkerung. Letztere wird in beiden Untersuchungsgebieten besonders häufig stigmatisiert und stellt jeweils auch die weitaus größte Migrantengruppe dar; im Mai 2004 waren in Barren-Ost 47 Prozent, in Iderstadt-Süd 44 Prozent aller Nichtdeutschen türkische Staatsangehörige.

In Stadtteilen, in denen sozialstrukturell und ethnisch sich unterscheidende Bevölkerungsgruppen auf engem Raum als Nachbarn leben, stellt sich die gegenwärtig viel diskutierte Frage der sozialen Integration in besonders radikaler Weise, zumal bei sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen - im Unterschied zu meist hochmobilen privilegierten Schichten - die sozialräumliche Nachbarschaft der entscheidende Ort der Integration und der Bildung von Beziehungsnetzwerken ist. Vor diesem Hintergrund gilt es die weithin offenen Fragen zu beantworten, welche Bewohnergruppen sozial benachteiligter Stadtgebiete in besonderer Weise Adressaten negativer Klassifikationen sind, welchen materialen Inhalt diese haben und welche desintegrativen Wirkungen sie zeitigen.

Ethnizität als "master status"

In beiden Untersuchungsgebieten dominieren negative Klassifikationen, die sich an ethnische Merkmale heften. Die ethnische Zugehörigkeit bildet sowohl in Barren-Ost als auch in Iderstadt-Süd den "master status" von Personen: Deutschsein oder Nichtdeutsch- bzw. Türkischsein sind die bestimmenden Merkmale der wechselseitigen Wahrnehmung. Hinter ethnischen erscheinen andere Merkmale als sekundär oder, besser gesagt, nachgeordnet.

Die Ethnizität wirkt wie ein Filter für andere Klassifizierungen: Die Bewertung anderer Merkmale hängt von der ethnischen Zugehörigkeit des Merkmalsträgers ab. Innerhalb ethnisierender Zuschreibungen spielen andere Ungleichheitsdimensionen jedoch eine große Rolle. Bestimmte Statuspositionen erfahren erst dann eine negative Bewertung, wenn sie mit Migrantinnen und Migranten, insbesondere mit Türkinnen und Türken verbunden werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der angeblich so findige, alle Möglichkeiten ausreizende Umgang von türkischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern mit den sozialen Sicherungssystemen problematisiert wird.

Insgesamt fällt jedoch eine Häufung abwertender Zuschreibungen auf, die sich gegen türkische Aufsteiger richten. Türkische Geschäftsinhaber und Immobilienbesitzer, aber auch sich Gehör verschaffende Migrantenvertreter erregen in besonderer Weise den Argwohn ihrer deutschen Nachbarn und werden von diesen verschiedenster Vergehen gegen Moral, Anstand und Gesetz bezichtigt. Dies weist auf eine paradoxe Situation hin: Während die deutsche Bevölkerung mehr oder weniger unisono mehr Integrationsbereitschaft von ihren türkischen Nachbarn fordert, diffamiert sie gleichzeitig ausgerechnet jene, die bereits Integrationserfolge erringen konnten und denen es gelungen ist, aus dem Schatten der subalternen Marginalität ihrer als Gastarbeiter eingewanderten Vorväter herauszutreten.

Bevor dieser höchst erklärungsbedürftige Befund auf seine tieferen Ursachen hin untersucht wird, sollen nun die Inhalte negativer Klassifikationen gegen die "avancierenden Fremden" dargestellt werden, um im Anschluss daran auf das ebenso wenig schmeichelhafte Bild einzugehen, das diese von ihren deutschen Nachbarn zeichnen.

Laster der türkischen Ambition

Deutschen Bewohnerinnen und Bewohnern von Barren-Ost und Iderstadt-Süd sticht immer wieder die arbeitsame und verzichtbereite Lebensführung von türkischen Gewerbetreibenden ins Auge. Der türkische Familienbetrieb und Gemüseladen, in dem Jung und Alt von früh bis spät hart arbeitet, wird oft als das paradigmatische Beispiel für dieses erste Klassifikationsmuster genannt. Das Handeln in solchen Betrieben sei von einer familiären Disziplin und Sparsamkeit bestimmt, stellen deutsche Stadtteilbewohner verschiedentlich fest, und attestieren ihren türkischen Nachbarn damit eine "protestantische Ethik im türkischen Gewand". Diese Ethik begreifen die deutschen Betrachter als einen in der eigenen Geschichte verblassten Traditionsbestand, von dem nun besonders türkische Geschäftsleute geprägt seien und der ihnen einen unverdienten ökonomischen Vorteil verschaffe. In den einschlägigen Aussagen erscheint der unternehmerisch agierende Teil der türkischen Bevölkerung zugleich als rückständig und gefährliche Konkurrenz. Merkmale wie Arbeitsethos, Sparsamkeit, Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub oder Geschäftstüchtigkeit werden dabei nicht als prinzipiell negativ beurteilt. Die negative Wertung bezieht sich auf ein Übermaß an Fleiß und asketischer Disziplin.

Ein zweites, ebenfalls in beiden Untersuchungsgebieten anzutreffendes Klassifikationsmuster fußt auf einer Wahrnehmung, die bei erfolgreichen türkischen Migranten expansive Machtansprüche am Werk sieht. "Die wollen alles von uns übernehmen", heißt es dann etwa aus den Reihen der deutschen Bevölkerung. Vorwürfe dieser Art richten sich gegen Türken, die zuvor von Deutschen betriebene Geschäftslokale bewirtschaften oder ehemals in deutschem Besitz befindliche Immobilien erworben haben; sie können sich aber auch gegen den türkischen Fußballclub richten, der einen maroden deutschen Traditionsverein beerbt, oder die Moscheegemeinde, die mit einem Minarettbau eine selbstbewusste Präsenz im Stadtteil zeigt und eine kommunale Anerkennung ihrer Jugendarbeit einfordert. Hier kritisieren die deutschen Nachbarn nicht nur die "Übernahme" dessen, was sie als ihr angestammtes Terrain betrachten, sondern sie beschuldigen die erfolgreichen türkischen Geschäftsinhaber und aktiven Migrantenvereine zugleich, von einem raumgreifenden Expansionsdrang geleitet zu sein. Dieses Klassifikationsmuster schießt in seinem konkreten Gebrauch jedoch oft weit über das Ziel - seine primären Adressaten - hinaus. Es speist sich aus Ängsten der deutschen Bevölkerung, von den türkischen Migranten insgesamt überflügelt und deklassiert zu werden. Der "Übernahmewille der Türken" wird zwar negativ beurteilt, aber es scheint dabei nicht selten auch Bewunderung für ihre ökonomische Courage durch. Ein Zuviel davon ist es wiederum, das der verfemenden Nachrede anheim fällt und eine "Tugend der Eigengruppe" in ein "Laster der Fremdgruppe" konvertiert.

Das dritte Klassifikationsmuster schreibt bestimmten türkischen Personen und Gruppierungen ein "rationales Schmarotzertum" zu. Diese Zuschreibung tritt in Barren-Ost vor allem im Kontext der politischen Aktivitäten des sehr engagierten, türkisch dominierten Barrener Ausländerbeirats und der lokalen Moscheevereine auf, während sie in Iderstadt-Süd in Ermangelung vergleichbarer politischer Partizipationsversuche türkischer Gruppen kaum vorkommt. In Barren-Ost empörte sich die deutsche Bevölkerung etwa allenthalben über den Anspruch des Ausländerbeirats, in das örtliche Leitungsgremium des Stadtteilerneuerungsprogramms Soziale Stadt NRW aufgenommen, und über Vorschläge muslimischer Vereine, mit bestimmten Projekten an dessen finanziellen Segnungen beteiligt zu werden. Die Kritik an diesen in der lokalen Öffentlichkeit heftig diskutierten Bemühungen zielte darauf, dass die türkische Bevölkerung bisher keinerlei Interesse am Stadtteil gezeigt hätte und nun, da "etwas zu holen" sei, plötzlich "unverschämte Forderungen" stelle. Auch vom Ausländerbeirat initiierte und von türkischen Moscheevereinen in Barren-Ost öffentlichkeitswirksam durchgeführte Blutspende- oder Putzaktionen, die den Beitrag der türkischen Bevölkerung für die Allgemeinheit unter Beweis stellen sollten und als Integrationsstrategien zu verstehen sind, deuteten ihre deutschen Nachbarn bis hin zu den lokalen Entscheidungsträgern als bloß strategische Maßnahmen von "Schmarotzern", die es nicht verdient hätten, als vollwertige Mitglieder der lokalen Gesellschaft behandelt zu werden. Wer immer andere, wie es hier der Fall ist, als "Schmarotzer" oder "Parasiten" klassifiziert, verweist sie symbolisch auf einen Platz außerhalb der ehrenwerten Gesellschaft.

Das vierte Klassifikationsmuster versetzt erfolgreiche Türken in den Stand der Strafwürdigkeit. In beiden Untersuchungsgebieten werden türkischen Unternehmern und Immobilienbesitzern verschiedentlich "kriminelle Machenschaften" unterstellt. Sie seien durch illegale Geschäfte zu Geld gekommen, lautet ein in der deutschen Bevölkerung verbreitetes Pauschalurteil, das türkische Geschäftsleute inkriminiert und damit symbolisch als illegitime Mitstreiter aus dem ökonomischen Wettbewerb ausschließt. In Iderstadt-Süd ist die Kriminalisierung türkischer Geschäfte etwa im Umfeld einer Bürgerinitiative weit verbreitet, die Lärm, Schmutz und Kriminalität manchmal suggestiv, manchmal ganz offen mit der türkischen Bevölkerung in Verbindung bringt. Aktivisten der Bürgerinitiative bezeichnen türkische Geschäfte als "Treffpunkte für Hehler und Diebe" und verdächtigen Familienbetriebe, auf illegale Weise Mittel aus Töpfen der öffentlichen Wirtschaftsförderung einzustreichen, an die deutsche Gewerbetreibende niemals herankämen. Auch außerhalb der Bürgerinitiative ist in Iderstadt-Süd, wie auch in Barren-Ost, wiederholt von "halbseidenen" türkischen Geschäften, "Geldwäsche" und angeblichen "Drogengeldern" für Moscheebauten die Rede.

Deutsche Dissozialität

Sowohl in Barren-Ost als auch in Iderstadt-Süd sind die türkischen Stadtteilbewohner - insbesondere diejenigen unter ihnen, die sich in gehobene Positionen vorarbeiten konnten - um Gegenstigmatisierungen keineswegs verlegen. Ein Klassifikationsmuster sticht dabei besonders hervor. Es handelt sich um ein Bündel negativer Zuschreibungen, die Teile der deutschen Bevölkerung in der einen oder anderen Weise als dissozial, das heißt gesellschaftliche Normen nicht einhaltend, darstellen oder die "deutsche Mentalität" im Ganzen als eine dissoziale kritisieren. Derartige Klassifikationen türkischer Stadtteilbewohner apostrophieren die Lebensführung "der Deutschen" als Ausdruck einer unterlegenen, ja minderwertigen "Mentalität". Drei Ausprägungen solcher Zuschreibungen lassen sich identifizieren.

Die erste Ausprägung des Klassifikationsmusters findet sich vor allem bei den Angehörigen türkischer Mittelschichten und bei Geschäftsleuten, welche die prekäre ökonomische Lage vieler deutscher Stadtteilbewohner auf deren permanente Kneipengänge, eine konsumorientierte Lebensführung sowie auf ein unstetes Sexualverhalten zurückführen, das Familien zerstöre und ein auch finanziell ruinöses Durcheinander mit sich bringe. Die deutschen Unterschichten werden als niveaulos, ungebildet und trunksüchtig dargestellt und rücken damit in die Nähe des "Asozialen". Die zugeschriebene Dissozialität nimmt hier den Charakter der Verwahrlosung an. Eine zweite Ausprägung des Klassifikationsmusters zielt auf das mangelnde Arbeitsethos sowie auf die Bequemlichkeit und Verzichtunfähigkeit der deutschen Bevölkerung. Hier handelt es sich um ein normativ ins Gegenteil gewendetes Pendant zur "protestantischen Ethik im türkischen Gewand". Die zugeschriebene Dissozialität zielt hier auf eine vorgeblich typisch deutsche Verweichlichung oder Verwöhnung. Die dritte Ausprägung schließlich unterstellt den deutschen Nachbarn eine Mentalität, die von sozialer Kälte und einem possessiven Individualismus geprägt ist. Ganz besonders heben diese Zuschreibungen auf den familiären Bereich ab: Es heißt dann etwa, die deutschen Eltern seien egoistisch und übernähmen keine Verantwortung für ihre Kinder, die sie am liebsten nur "vor den Fernseher" setzten. Jugendliche in deutschen Familien, sagen türkische Leute weiter, würden ohne Rücksicht auf Verluste hohe Taschengelder von ihren Eltern einfordern; und die deutschen Nachbarn kümmerten sich nicht um die alten Familienmitglieder und überließen diese lieber dem Sozialamt. Die zugeschriebene Dissozialität bekommt hier die Bedeutung einer innerfamiliären Rücksichtslosigkeit.

Die beschriebene Wahrnehmung des sozialen Zusammenlebens unter Deutschen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die türkische Bevölkerung die oft weit reichenden, an sie adressierten Integrationsforderungen ablehnt. Während die deutschen Stadtteilbewohner von Barren-Ost und Iderstadt-Süd gerne den mangelnden Integrationswillen ihrer türkischen Nachbarn beanstanden, werfen diese ihren Kritikern vor, stets Assimilation zu meinen, wenn sie von Integration sprechen. Ebendieses Ansinnen, sich eine Kultur einzuverleiben, die in ihren Augen von sozialer Kälte und einem rücksichtslosen Individualismus geprägt ist, weisen die türkischen Stadtteilbewohner größtenteils weit von sich. Sie wollen nach ihrer eigenen Fasson am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. - Ungeachtet dessen bleibt die Frage zu stellen, weshalb sich negative Klassifikationen gerade auf jene türkischen Stadtteilbewohner kaprizieren, die bereits am materiellen Reichtum der Gesellschaft teilhaben und politisch zu partizipieren in der Lage und gewillt sind. Warum also sind gerade Aufsteiger türkischer Herkunft ein so virulentes Problem?

Ethnischer Verwandtschaftsglaube

Bei der Stigmatisierung des ökonomisch erfolgreichen und politisch aktiven Teils der türkischen Bevölkerung ist eine Vorstellung von entscheidender Bedeutung, die ethnische Zugehörigkeit als Verwandtschaftsverhältnis auffasst. Die deutschen Stadtteilbewohner agieren dabei auf der Grundlage der naturalistischen Vorstellung, sie seien mit anderen Mitgliedern ihrer ethnischen Gruppe "verwandt" und mit der türkischstämmigen Bevölkerung "nicht verwandt". Es handelt sich dabei um eine symbolische Tiefendimension sozialer Ungleichheit, das heißt um ein verborgenes, den Individuen gar nicht reflexiv verfügbares Wahrnehmungsmuster. Es beruht zum einen auf der Idee einer biologischen Blutsverwandtschaft und Abstammungsgemeinschaft unter den Angehörigen der ethnischen Eigengruppe. Zum anderen geht es dabei um die Vorstellung der Verwandtschaft im Sinne eines familialen Interaktions- und Solidarsystems, das weit über den Rahmen biologischer Gemeinsamkeitsvorstellungen hinausgeht. Dieses Solidarprinzip, das sich an einem idealisierten Modell familialer Interaktion orientiert, verschmilzt mit der Vorstellung einer konsanguinalen Gemeinsamkeit bzw. mit einer "geglaubten Blutsverwandtschaft".

Die Idee einer ethnischen Blutsverwandtschaft geht mit einer quasifamilialen Binnenmoral der Reziprozität einher und steht hinter negativen Klassifikationen gegen den avancierenden Teil der türkischen Bevölkerung. Das unausgesprochen wirksame Verwandtschaftsmodell der Ethnizität führt dazu, dass eine ethnisch neutrale Verteilung materieller Güter bekämpft wird. Erst muss die Solidarität, so die Logik dieses Modells, der eigenen, als Verwandtschaftsverband gedachten ethnischen Gruppe gelten, mit der "primordiale" Zugehörigkeitsgefühle verbunden werden, das heißt Gefühle einer unmittelbaren, als natürlich empfundenen Bindung an die Eigengruppe. Die gleichwertige Teilhabe und Partizipation von Migranten passt nicht in dieses partikularistische Bild. So empört sich etwa eine Vertreterin der größten Fraktion im Barrener Stadtrat auf einer Bürgerversammlung mit folgenden Worten über die "Forderungen" türkischer Vereine an das örtliche Programm Soziale Stadt NRW: "Die wollen unsere deutschen Gelder haben!" Diese auf der Versammlung lautstark beklatschte Äußerung besagt so viel wie: Das Geld muss in der Familie bleiben, für die nichtdeutschen Anderen sind wir nicht verantwortlich. Die ethnische Verwandtschaftsidee verhindert "zivile", das heißt auf gemeinsamen Interessen oder politischen Überzeugungen basierende Bindungen zwischen Deutschen und Türken. Die deutschen Stadtteilbewohner wollen nicht hinnehmen, dass die eigene, verwandtschaftlich definierte Hausmacht zugunsten von Fremden an Boden verliert. Nicht die Suche nach zivilen Gemeinsamkeiten, sondern ein ethnisch erweiterter Nepotismus beherrscht ihr Tun. Aufgrund der beschriebenen Verwandtschaftsvorstellungen ruft die erfolgreiche türkische Anwohnerschaft ein spezifisches Handlungsproblem des interethnischen Austausches auf den Plan, das die Suche nach kritisierbaren Verhaltensmerkmalen anleitet. Es bringt die beschriebenen negativen Klassifikationen gegen türkische Aufsteiger hervor. Die symbolische Tiefenstruktur des ethnischen Verwandtschaftsmodells ist ihr generatives Prinzip.

Negative Klassifikationen und Desintegration

Wenn man sich nun fragt, inwiefern negative Klassifikationen exkludierende Folgen haben, muss man zunächst zwischen symbolischem und sozialem Ausschluss unterscheiden. Klassifikationen als solche liegen auf der symbolischen, das heißt auf der Ebene von Deutungen und Bewertungen, während sozialer Ausschluss auf der Ebene von Handlungen und Handlungsfolgen angesiedelt ist. Auf dieser Ebene lassen sich negative Klassifikationen dann als desintegrativ bezeichnen, wenn sie die materiellen Aneignungschancen einer ethnischen Gruppe einschränken, wenn sie zum Ausschluss von der Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess führen und wenn sie der Grund dafür sind, dass sich Sozialkontakte auf Mitglieder der ethnischen Eigengruppe reduzieren. Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses von Desintegration muss man weiter fragen, welches Bild von Integration an das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen berechtigterweise herangetragen werden kann. Barren-Ost und Iderstadt-Süd stellen zwei aufschlussreiche Kontrastfälle dar.

In Barren-Ost besteht eine hohe Responsivität zwischen der deutschen und der türkischen Bevölkerung: Sie nehmen einander genau wahr und reagieren auf das Handeln des jeweils anderen. Die türkischen Migranten und ihre Organisationen vertreten ihre Interessen recht vehement und kämpfen um politische Partizipation und materielle Teilhabe. Insbesondere das Agieren des Ausländerbeirats und der türkisch-islamischen Vereine lässt sich als ein Anerkennungskampf mit dem normativen Anspruch beschreiben, dass kulturelle und religiöse Differenzen positiv gewürdigt werden. Sie kämpfen um die soziale Wertschätzung ihrer Lebensform und reagieren auf entsprechende Missachtungserfahrungen. Die deutsche Bevölkerung und die Funktionsträger im Stadtteil beziehen ihrerseits Stellung zu den türkischen Anliegen und Ansprüchen. Daher ist es wenig verwunderlich, dass in Barren-Ost Klassifikationskämpfe zwischen der türkischen und der deutschen Bevölkerung relativ offen ausgetragen werden. Beide Seiten adressieren die negativen Klassifikationen recht direkt aneinander: Es herrschen "public transcripts" - nicht nur in der Eigengruppe, sondern auch in der Öffentlichkeit artikulierte Klassifikationen - vor.

Für diese Konstellation ist der Modus der "konfliktvermittelten Integration" prädestiniert. Diese bietet die Chance, dass der Konflikt selbst als "Vergesellschaftungsform" fungiert, indem er "Wechselwirkungen" hervorbringt und dauerhafte Austauschbeziehungen zwischen den Konfliktparteien stiftet. Die vielfältigen, öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen der Moscheevereine und des Ausländerbeirats mit der deutschen Bevölkerung und ihren Entscheidungsträgern in Barren-Ost machen durchaus auf die potenzielle Integrationskraft von Klassifikationskämpfen aufmerksam. Dieser Fall zeigt vor allem fünf Dinge:

Erstens behalten die Kombattanten füreinander Relevanz und können sich nicht gleichgültig werden, solange sie miteinander im Konflikt stehen und um die Legitimität bestimmter Zuschreibungen oder um das rechte Verständnis von Integration streiten. Zweitens bieten solche Konflikte die Möglichkeit einer zumindest partiellen Korrektur der negativen Klassifikationen selbst. Drittens kann der moderierende Einfluss von universalistischen Normen nur dann eintreten und die Folgen negativer Klassifikationen mildern, wenn es zum Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen kommt. Nur dann hat die machtschwächere Gruppe die Chance, sich wirkungsvoll auf inklusive Normen zu beziehen, die über ethnischen Grenzziehungen stehen. Viertens jedoch bergen Anerkennungskämpfe, wie sie sich in Barren-Ost beobachten lassen, das Risiko, dass sich die Migranten nie genug anerkannt fühlen und überall Missachtung wittern. Klassifikationskämpfe können dann leicht zu "unteilbaren Konflikten" werden - zu solchen also, die Kompromissen nur schwer zugänglich sind und bei denen es schnell ums Ganze, nämlich um die vorbehaltlose Wertschätzung von Identitäten geht. Fünftens schließlich führt der Barrener Fall deutlich vor Augen, dass aktive Partizipationsversuche von Migranten auf Erfahrungen der Selbstwirksamkeit angewiesen sind, um nicht gleich wieder in Rückzugstendenzen zu münden.

In Iderstadt-Süd ist die Konstellation komplizierter und unübersichtlicher, aber man kann sagen, dass das Verhältnis zwischen der deutschen und der türkischen Bevölkerung insgesamt durch eine geringe Responsivität gekennzeichnet ist. Es gibt hier keine Migrantengruppen oder -vertreter, die auf konkrete Stigmatisierungen im Stadtteil antworten. So kam es zu keinen vernehmbaren Reaktionen auf die erwähnten Invektiven der Iderstädter Bürgerinitiative gegen die Migranten im Stadtteil von deren Seite. Das wäre in Barren-Ost völlig undenkbar. Auch die große Gruppe der Türkischstämmigen in Iderstadt-Süd artikuliert ihre Interessen im Stadtteil nicht; sie nimmt am lokalpolitischen Geschehen kaum Anteil. Gerade die Moscheegemeinden ziehen sich zurück und kämpfen nicht um die Anerkennung ihrer Lebensform. Hier werden Klassifikationskämpfe auf Distanz ausgetragen, Haltungen der Konfliktvermeidung bestimmen das Geschehen. In Iderstadt-Süd dominieren "hidden transcripts": Negative Klassifikationen zwischen den ethnischen Gruppen werden meist nur in der Binnenkommunikation der Eigengruppe artikuliert.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Iderstadt-Süd sei ein gelungenes Beispiel für den "Integrationsmodus urbaner Indifferenz". Nach diesem sehr modernen, großstädtischen Leitbild ist Integration kein kollektives Unterfangen von Gruppen, sondern ausschließlich eine Aufgabe von Individuen, deren Kontakt sich auf bestimmte Rollen beschränkt: Man begegnet sich als Kunde und Verkäufer im Geschäft, als Eltern in der Schule etc. Die Voraussetzung für diesen Integrationsmodus ist eine Respektierung von Fremdheit, weniger eine materiale Anerkennung von Differenz, das heißt von unterschiedlichen kulturellen Orientierungen und Lebensformen. Im Einzelnen gibt es diese Respektierung von Fremdheit in Iderstadt-Süd durchaus, und das entspricht auch dem Image als buntem und tolerantem Multikulti-Stadtteil. Die Vielzahl negativer Klassifikationen zwischen der türkischen und der deutschen Bevölkerung in Iderstadt-Süd weist indes auf alles andere als auf eine Respektierung von Fremdheit hin.

Weil hier die wechselseitigen Zuschreibungen hinter den Vorhängen der ethnischen Eigengruppen bleiben, fällt die konfliktvermittelte Korrektur negativer Klassifikationen aus. Die entwertenden Fremdbilder führen dazu, dass über das notwendige Maß hinausgehende Sozialkontakte sich auf die je eigene ethnische Gruppe beschränken. Die negativen Klassifikationen hintertreiben jenen toleranten Respekt vor der Fremdheit des anderen, der für den Integrationsmodus urbaner Indifferenz unabdingbar ist.

In beiden Stadtteilen, die für unterschiedliche Modi der Integration stehen, ist hinsichtlich der weiteren Entwicklung des interethnischen Zusammenlebens der Umstand höchst bedenklich, dass gerade jene türkischen Bewohnerinnen und Bewohner stigmatisiert werden, die als Vorreiter und Vorbilder geglückter Integration geeignet wären. Mehr noch, die ihnen zugeschriebenen Negativattribute werden oft auf "die Türken" insgesamt übertragen. Ob die gegen sie gerichteten negativen Klassifikationen nicht nur symbolisch, sondern auch sozial ausgrenzend wirken, hängt zum einen von ihrem Inhalt ab. So macht es einen entscheidenden Unterschied, ob sie zwischen der Eigengruppe und der klassifizierten Fremdgruppe nur "graduelle" Unterschiede markieren, wie etwa bei der Zuschreibung einer allzu ausgeprägten Arbeitsethik, oder ob sie die Klassifizierten in eine "kategorial" andere Klasse von Menschen rubrizieren, wie dies beispielsweise bei der Zuschreibung eines rationalen Schmarotzertums der Fall ist.

Zum anderen haben negative Klassifikationen in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen in ganz unterschiedlichem Maße desintegrierende Folgen. Im Bereich der Wirtschaft gelten die institutionalisierten Regeln der ökonomischen Rationalität, die den ausschließenden Wirkungen negativer Klassifikationen Grenzen setzen. In der Sphäre des Ökonomischen herrschen die ganz eigenen Gesetze von Märkten. Dem Prinzip nach zählen die Mechanismen von Angebot und Nachfrage hier mehr als die Ethnizität der Marktteilnehmer. Im politischen Bereich wiederum können Migranten, die sich im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten engagieren, nicht einfach ausgeschlossen werden, weil demokratische Werte und ihre Institutionalisierung eine solche Praxis eindämmen. Die normativen Regeln der Fairness, der Chancengleichheit und der Gerechtigkeit besitzen im politischen Raum eine auch durch Sanktionen geschützte Geltung. Soziale Lebenswelten hingegen kennen nur performative Regeln des wechselseitigen Umgangs, die informeller Natur sind und deren Verletzung kaum erwartbare Folgen nach sich zieht. Hier können die ausschließenden Wirkungen negativer Klassifikationen ungebremst zur Entfaltung kommen.

Die Normen der ökonomischen Rationalität sowie der politischen Partizipation hingegen setzen den Effekten symbolischer Ausgrenzung gewisse Schranken und wirken Prozessen des sozialen Ausschlusses entgegen - zumal bei erfolgreichen türkischen Migranten, die bereits Zugang zu den wichtigsten gesellschaftlichen Funktionsbereichen haben und Ressourcen der Gegenwehr besitzen. Schließlich kennt der demokratische Rechtsstaat auch kein Gesetz, welches die Aufstiegsorientierung von Zugewanderten und ihren Nachkommen unter Strafe stellt.

Oft jedoch werden die zivilen Regeln im sozialen Alltag von einem primordialen Verwandtschaftsglauben zu Fall gebracht. Unter seiner Ägide weiß der exklusiv sich als einheimisch verstehende Bevölkerungsteil bei seinen türkischen Nachbarn immer neue Verhaltensmerkmale zu beobachten, die diese für die vollwertige Zugehörigkeit disqualifizieren. Jenseits aller populären Integrationsrhetorik treibt dies Prozesse der ethnischen Separierung voran.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Sighard Neckel, Status und Scham. Zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit, Frankfurt/M.-New York 1991, S. 252f.; ders., Kampf um Zugehörigkeit. Die Macht der Klassifikation, in: Leviathan, 31 (2003) 2, S. 159-167; vgl. auch Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und symbolische Macht, in: ders., Rede und Antwort, Frankfurt/M. 1992, S. 135-154.

  2. Das Forscherteam bestand aus dem Projektleiter Sighard Neckel, Ina Walter und dem Verfasser. Die Untersuchung war Teil des interdisziplinären, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbundes "Desintegrationsprozesse - Stärkung von Integrationspotentialen einer modernen Gesellschaft".

  3. Die Ortsnamen wurden geändert.

  4. Die Bezeichnungen "deutsch" und "türkisch" stehen hier nicht für die Staatsangehörigkeit von Personen, sondern für ihre ethnische Fremd- und Selbstdefinition.

  5. Vgl. Heiner Keupp, Soziale Netzwerke. Eine Metapher des gesellschaftlichen Umbruchs?, in: ders./Bernd Röhrle (Hrsg.), Soziale Netzwerke, Frankfurt/M.-New York 1987, S. 11-53, bes. 39f.

  6. Vgl. Everett C. Hughes, Dilemmas and Contradictions of Status, in: ders., The Sociological Eye, Chicago 1971, S. 141-150.

  7. Vgl. Jörg Hüttermann, Der avancierende Fremde. Zur Genese von Unsicherheitserfahrungen und Konflikten in einem ethnisch polarisierten und sozialräumlich benachteiligten Stadtteil, in: Zeitschrift für Soziologie, 29 (2000) 4, S. 275-293.

  8. Vgl. Monika Wohlrab-Sahr, "Protestantische Ethik" im islamischen Gewand. Habitusreproduktion und religiöser Wandel, in: Ralf Bohnsack/Winfried Marotzki (Hrsg.), Biographieforschung und Kulturanalyse, Opladen 1998, S. 183-201.

  9. Vgl. Robert K. Merton, The Self-Fulfilling Prophecy, in: ders., Social Theory and Social Structure. Enlarged Edition, New York 1968, S. 475-490, hier 480ff.

  10. Vgl. Hans Georg Zilian/Johannes Moser, Der rationale Schmarotzer, in: Prokla, 19 (1989) 77, S. 33-54.

  11. Zum Folgenden vgl. die ausführliche Darstellung bei Ferdinand Sutterlüty, Blutsbande. Ethnische "Verwandtschaft" als Tiefendimension sozialer Ungleichheit, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 3 (2006) 1, S. 36-70.

  12. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980(5), S. 240.

  13. Zur Unterscheidung zwischen "primordialen" und "zivilen" Zugehörigkeitsgefühlen und Bindungen vgl. Clifford Geertz, The Integrative Revolution. Primordial Sentiments and Civil Politics in the New States, in: ders. (Hrsg.), Old Societies and New States, New York 1963, S. 105-157, bes. 109ff.

  14. Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt/M. 1992, S. 196ff.

  15. Vgl. James C. Scott, Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts, New Haven-London 1990, S. 4 ff.

  16. Vgl. Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe, Bd. 11, Frankfurt/M. 1992, S. 284ff.; ferner Helmut Dubiel, Gehegte Konflikte, in: Merkur, 49 (1995) 12, S. 1095-1106.

  17. Vgl. Albert O. Hirschman, Wieviel Gemeinsinn braucht die liberale Gesellschaft?, in: Leviathan, 22 (1994) 2, S. 293-304.

  18. Der große Unterschied zu Barren-Ost ist in erster Linie auf die quantitativen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zurückzuführen. In Barren-Ost, wo die Nichtdeutschen nur gut zehn Prozent, die türkischen Staatsangehörigen etwa fünf Prozent der Wohnbevölkerung stellen, ist die türkische Bevölkerung auf die Kooperation mit der Mehrheitsgesellschaft angewiesen, um ihren Anliegen und Bedürfnissen Geltung zu verschaffen. Ein Ausländeranteil wie in Iderstadt-Süd, der fast die Hälfte der Wohnbevölkerung ausmacht, lässt kaum eine Notwendigkeit entstehen, sich intensiv mit der deutschen Bevölkerung auseinander zu setzen. Diese Tendenz gilt insbesondere für die Türken, die rund ein Viertel aller Stadtteilbewohner ausmachen, und wird dadurch verstärkt, dass diese Bevölkerungsgruppe eine ethnisch bestimmte Infrastruktur im Stadtteil besitzt, die Züge einer Außenkontakte überflüssig machenden "institutional completeness" aufweist. Vgl. dazu Raymond Breton, Institutional Completeness of Ethnic Communities and the Personal Relations of Immigrants, in: American Journal of Sociology, 70 (1964) 2, S. 193-205.

  19. Vgl. J. Scott (Anm. 15), S. 2 ff.

  20. Vgl. Hartmut Häußermann/Walter Siebel, Die Stadt als Ort der Integration von Zuwanderern. Über den Umgang mit Differenz in der modernen Gesellschaft, in: Vorgänge, 43 (2004) 1, S. 9-19, hier 10ff.

  21. Dem steht allerdings der Ruf entgegen, die "Raisfurther Bronx" und ein mit vielen sozialen Problemen beladenes "Revolverviertel" zu sein.

  22. Zur Unterscheidung zwischen "graduellen" und "kategorialen" Klassifikationen vgl. Sighard Neckel/Ferdinand Sutterlüty, Negative Klassifikationen. Konflikte um die symbolische Ordnung sozialer Ungleichheit, in: Wilhelm Heitmeyer/Peter Imbusch (Hrsg.), Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, Wiesbaden 2005, S. 409-428, hier 414ff.; weiterhin Peter A. Berger, Ungleichheitssemantiken. Graduelle Unterschiede und kategoriale Exklusivitäten, in: Archives Européennes de Sociologie, 30 (1989) 1, S. 48-60.

  23. Zum Folgenden vgl. Ferdinand Sutterlüty/Sighard Neckel, Bashing the Migrant Climbers: Interethnic Classification Struggles in German City Neighborhoods, in: International Journal of Urban and Regional Research, 30 (2006) 4 (i.E.).

Dr. phil., geb. 1962; Wiss. Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der Justus- Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main, Senckenberganlage 26, 60325 Frankfurt/Main.
E-Mail: E-Mail Link: Sutterluety@em.uni-frankfurt.de