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Eine Geschichte des Wetterwissens | Wetter | bpb.de

Wetter Editorial Vom Wissen um das Nichtwissen. Die Meteorologie im Spannungsfeld zwischen Legenden und Naturwissenschaft Eine Geschichte des Wetterwissens Zum Stand der Technik in der Wettervorhersage Wetter im Wandel. Wie der Klimawandel unser Wetter der Zukunft beeinflusst Gesellschaftlicher Umgang mit Wetterextremen. Risiko, Management und Anpassung

Eine Geschichte des Wetterwissens

Linda Richter

/ 15 Minuten zu lesen

Die Dominanz der Physik in der Meteorologie ist nicht selbstverständlich, sondern Ergebnis eines historischen Prozesses. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts konkurrierten Wissensformen mit unterschiedlichen Vorstellungen von der Beobachtung und Prognose des Wetters miteinander.

Das Wetter und insbesondere der Blick auf das künftige Wetter beeinflussen auf vielerlei Weise, wie wir unseren Alltag verbringen. Für den Fall, dass es regnet, wird ein Schirm eingepackt. Ein warmer Tag lädt zum Eisessen und Sonnenbaden ein. Gibt es ein unverfänglicheres Thema als das Wetter, um mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen?

Diejenigen, die sich mit der Geschichte dessen beschäftigen, was wir über das Wetter wissen, betonen daher oft, dass es sich um einen besonders demokratischen Erkenntnisgegenstand handele. Prinzipiell, so das Argument, sei das Wetter allen Menschen zugänglich, weshalb alle etwas darüber wissen dürften und könnten. Zwar ist es zutreffend, dass das Wetter als Gegenstand der Meteorologie nicht im hermetisch abgeriegelten Labor untersucht wird, sondern überall unmittelbar erfahrbar ist. Ein großer Teil der gigantischen Maschinerie, durch die heutzutage Wissen über das Wetter produziert wird, ist für die meisten Menschen aber im Normalfall unsichtbar. Auf der Ebene des Wissens über meteorologische Phänomene selbst könnten viele wohl nur mit einem Schulterzucken auf die Frage antworten, wie eigentlich Regen entsteht.

Dies mag etwas mit der hochdifferenzierten Aufgabenteilung der Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts zu tun haben. Die heutige Meteorologie beschäftigt sich mit komplizierten dynamischen Prozessen in der Atmosphäre, analysiert diese mit einem überwiegend physikalischen Werkzeugkasten und berechnet mit computergestützten Verfahren Wettervorhersagen. Die dafür notwendige wissenschaftliche Ausbildung und technische Infrastruktur sind hohe Schwellen, die nicht ohne Weiteres von beliebigen Einzelpersonen überschritten werden können. Gleichzeitig hat "Wetter" unter anderem medizinische, agrarische, kulturelle und ökologische Dimensionen. Dass seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dennoch die Physik die wissenschaftliche Analyse des Wetters dominiert, ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, keine Selbstverständlichkeit, sondern Ergebnis eines historischen Prozesses. Zuvor konkurrierten – mit zunächst offenem Ergebnis – in einem deutlich heterogeneren Feld verschiedene Wissensformen miteinander, die sich unterschiedliche Vorstellungen von der Kausalität des Wetters, dessen Beobachtung und der Notwendigkeit seiner Vorhersage machten.

Wetterwissen zwischen Aristoteles und Alltagspraxis

Versuche, das Wetter zu verstehen, aufzuzeichnen und vorherzusagen, lassen sich fast beliebig weit zurückverfolgen. Sie finden sich in einer Vielzahl gelehrter Quellen aus mehreren antiken Kulturen: Mesopotamische Astronomen vermerkten auf Tontafeln neben den Positionen der Himmelskörper auch Wetterbeobachtungen und deuteten Himmelszeichen für ihre Könige. Ein chinesisches Traktat diskutierte den Einfluss vorherrschender Windrichtungen auf menschliche Gesundheit. Mit Hippokrates, Aristoteles und Theophrast verfassten einige der bekanntesten Gelehrten der klassischen Antike meteorologische Werke.

Die gelehrten Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit kreisten vorrangig um die Rückübersetzung und Kommentierung der griechisch-römischen Werke, allen voran der "Meteorologica" des Aristoteles, der sich darin der philosophischen Erklärung und Kausalität von Wetterphänomenen widmete. Ebenfalls seit der Antike wurde Wetter astrologisch vorhergesagt, also mit verschiedenen Planetenkonstellationen in Beziehung gesetzt. Diese sogenannte Astrometeorologie wurde zwar in der Zeit der Aufklärung zum Aberglauben erklärt, war aber über Jahrhunderte hinweg gelehrte Praxis. Vom Astronomen und Naturphilosophen Johannes Kepler etwa wird berichtet, dass er Anfang des 17. Jahrhunderts so davon überzeugt war, bestimmte Planetenkonstellationen mit Wetterveränderungen korrelieren zu können, dass er seine astronomischen Beobachtungen infrage stellte, wenn das Wetter konstant geblieben war.

Jenseits dieses gelehrten Höhenkamms ist für alle diese Epochen unklar, über welches Wetterwissen weniger privilegierte Menschen verfügten, um beispielsweise ihre tägliche Arbeit in der Landwirtschaft anzuleiten. "Bauernpraktiken", die seit dem Spätmittelalter eine gewisse Popularität genossen, lieferten Ratschläge und Prognosen auf der Grundlage astrologischer Vorstellungen. Sie wurden jedoch vermischt mit den "Bauernregeln". Diese konnten in Erfahrung gegründet sein, schrieben aber auch bestimmten Tagen besondere prognostische Kräfte zu und sortierten landwirtschaftliche Tätigkeiten in die Chronologie des Kirchenjahrs ein. Mit welchem Erfolg sie verwendet wurden, und welches Erfahrungswissen Bauern mündlich in die nächste Generation weitergaben, darüber kann in einer Geschichtsschreibung, die Schriftquellen begünstigt, nur spekuliert werden.

Schlägt man eines der Lexika auf, die in der Epoche der Aufklärung das vorhandene Wissen inventarisieren sollten, fällt auf, dass gelehrtes und alltägliches Wetterwissen getrennt voneinander behandelt wurden. In englisch-, deutsch- und französischsprachigen Enzyklopädien des mittleren 18. Jahrhunderts wird in den Einträgen zur "Meteorologie" fast ausschließlich die aristotelische Unterscheidung feuriger, luftiger oder wässriger Meteore referiert. Die jeweils landessprachlichen Einträge zu "weather", "Witterung" und "temps" hingegen bieten ein buntes Sammelsurium aus medizinischen Überlegungen, prognostischen Zeichen und vielem mehr. Bevor sich hundert Jahre später, ab etwa 1850, die Meteorologie als wissenschaftliche Disziplin zu formieren begann, sortierte sich das gesamte Wissensfeld neu. Aristotelische Deutungen verschwanden und die utilitaristischen Ansprüche der Aufklärer führten dazu, dass die Beziehung von gelehrtem und alltagspraktischem Wetterwissen neu verhandelt wurde.

Zeitgenössische Akteure

Eine geeignete Möglichkeit, die Entwicklungen der Meteorologie im Zeitraum von 1750 bis 1850 zu erfassen, ist es, sich ihr über die zeitgenössischen Vorstellungen dessen zu nähern, was das Wetter verursachte. Aus der kausalen Struktur, die ein beliebiger Akteur vertrat, lässt sich ableiten, wie dieser das Wetter beobachten und vorhersagen wollte. Auf Basis zahlreicher Aufsätze in zeitgenössischen Zeitschriften, längerer Abhandlungen und Archivakten lassen sich dabei für die deutschen Länder drei mehr oder weniger distinkte Wissensformen herausarbeiten:

Die Semiotiker gingen davon aus, dass alle natürlichen Ereignisse als Glieder einer unverrückbaren Kette miteinander verbunden waren. Dies barg den Vorteil, dass sich künftige Wetterveränderungen für sie schon in der Gegenwart ankündigten. Der Altdorfer Professor für Mathematik und Physik Michael Adelbulner (1702–1779) etwa wies die Vorstellung plötzlicher Wetterwechsel entschieden zurück – vielmehr vollzögen diese sich "nach und nach, und meistentheils unvermerkt". Waren die Menschen durch ihre Alltagsgeschäfte zu abgelenkt, um Veränderungen selbst zu spüren, konnten sie sich zunutze machen, dass andere Lebewesen und Gegenstände empfindlicher waren und deshalb als Wetterzeichen taugten. Der noch heute sprichwörtliche tiefe Flug der Schwalben, ein nächtlicher Hof um den Mond, ein starkes Schwanken des Barometers – all dies waren potenzielle Zeichen für kommenden Niederschlag. Neben der Medizin war, betonte Adelbulner, diese "Kunst das Wetter zu prognosticiren" eine "erlaubte Zeichendeuterey". Er sprach sie so vom Vorwurf der Wahrsagerei oder des astrologischen Aberglaubens frei. Der Vorteil der Semiotik des Wetters bestand darin, dass ihre Vertreter die eigentlichen Ursachen von Wetterphänomenen nicht kennen mussten. Solange zum Beispiel immer dann ein Sturm aufzog, nachdem sich eine bestimmte Wolkenart am Himmel gezeigt hatte, galt das Zeichenverhältnis von Wolken zu Sturm als etabliert.

Ganz anders verhielt es sich bei den Physikern des Wetters. Diese hatten das Ziel, die komplexen Kausalketten innerhalb der Atmosphäre zu entwirren, die zugrunde liegenden Naturgesetze zu finden und möglichst zu quantifizieren. Dass mit der Atmosphäre – im Gegensatz zu anderen Teilgebieten der Physik – aufgrund ihrer Größe und ihres komplizierten Aufbaus keine Experimente angestellt werden konnten, erwies sich dabei als großes Problem. Doch waren vor allem die Physiker des Wetters im 18. Jahrhundert noch zuversichtlich, dass sich irgendwann Gesetze offenbaren würden, wenn Wetterbeobachtungen mit Messinstrumenten nur lange genug fortgesetzt würden. Der französische Naturforscher und Geistliche Louis Cotte (1740–1815) etwa sah es als erwiesen an, dass es "nichts Gleichförmigeres als Naturvorgänge" gab. "Sofern man darin auf eine Wunderlichkeit zu stoßen glaubt", verkündete er, "dann nur, weil man sie noch nicht lange genug beobachtet hat".

Aus Sicht der Organiker standen die Vorgänge in der Luft in Wechselwirkung mit anderen Vorgängen in der Natur, die deshalb in jeder Untersuchung des Wetters ebenfalls mit berücksichtigt werden mussten. Alle Bereiche der Natur waren für sie zusammenhängende Teile eines gegliederten Ganzen. Aus einer Beobachtungsreihe, die das preußische Kultusministerium zwischen 1817 und 1820 unterhielt, stammt das Plädoyer des Apothekers und Chemikers Sigismund Friedrich Hermbstädt (1760–1833), in dem er sich für eine solche ganzheitliche Perspektive auf das Wetter einsetzte. Ziel der Reihe, so Hermbstädt 1816 in einem Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen, musste es sein, "eine Wissenschaft der Meteorologie auf (…) Erfahrung zu gründen" und "bestimmte Gesetze, über den Einfluß der Veränderungen im Dunstkreis, auf die herrschenden Krankheiten der Bewohner einer Provinz oder auf die lebenden Erzeugnisse der Pflanzenwelt" abzuleiten. Wie die anderen Organiker forderte er, parallel zu den meteorologischen auch botanische sowie human- und veterinärmedizinische Beobachtungen anzustellen. Sie hofften so, zum Beispiel das Auftreten bestimmter Krankheiten auf auffällige Wetterlagen zurückführen zu können.

Zeitgenössische Diskurse

Weil sich im mittleren und späten 19. Jahrhundert das mechanische Ursachenverständnis der Physiker des Wetters schließlich auf Kosten der anderen beiden Wissensformen als wissenschaftliche Meteorologie durchsetzte, überwog in der Geschichtsschreibung bislang der Fokus auf deren Vorform. In einer Zusammenstellung deutscher Quellen, die der preußische Meteorologe Gustav Hellmann (1854–1939) im Jahr 1883 veröffentlichte, räumte dieser zum Beispiel ein, medizinische Schriften nicht aufgenommen zu haben, weil sie "ziemlich arm" an eigener Forschung seien. So verständlich die Notwendigkeit des Bibliografen ist, eine Auswahl zu treffen, so problematisch ist ein alleiniger Fokus auf physikalische Texte. Denn ein auf diese Weise bereinigter Quellenkorpus legt eine inhärente Überlegenheit gegenüber konkurrierenden Wissensangeboten nahe. Aus ergänzenden semiotischen und organischen Quellen hingegen lässt sich herleiten, dass dieses Bild so nicht stimmt. An zeitgenössischen Kommentaren zur Beobachtung und Vorhersage des Wetters kann vielmehr gezeigt werden, dass die konkurrierenden Wissensangebote teils wegen der Schwäche der Physik erst notwendig wurden und sich unter Umständen sogar als überlegen herausstellten.

Wetterbeobachtung

Aus der kausalen Struktur der drei Wissensformen ergeben sich je unterschiedliche Rollen für empirisch erhobene Daten in der Wissensproduktion. Im Fall der Organik fällt auf, dass diese in der Zeit zwischen 1750 und 1850 in zwei verschiedenen Ausprägungen auftrat: Induktive Organiker wie Hermbstädt, der organische Wechselwirkungen beschreiben wollte, nahmen sich vor, allgemeine Erkenntnisse und Naturgesetze aus einer Vielzahl einzelner Beobachtungen ableiten. So waren in der Medizin statistische Untersuchungen, bei denen gehäufte Krankheitsfälle mit bestimmten Wetterphänomenen korreliert wurden, seit dem 17. Jahrhundert verbreitet, konnten aber kaum greifbare Ergebnisse vorweisen. Ab etwa 1800 engagierten sich daher einige sogenannte romantische Naturforscher und Ärzte für eine Organik des Wetters, die im Gegensatz zum induktiven Ansatz schon vorab formulierte Hypothesen prüfen sollte. Für den Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) zum Beispiel zeigte die Meteorologie vor allen anderen Disziplinen das Unvermögen mechanischer Erklärungen, den "Gang der Natur im Großen zu erforschen". Und dass die Physiker des Wetters nach dem Vorbild der Astronomen mehrmals täglich Messwerte meteorologischer Instrumente in endlosen Tabellen notierten, produzierte aus Sicht des Arztes Johann Christian Reil (1759–1813) einen "rohen, geistlosen" Berg "sich selbst nicht kennende[r] Empirie". Reil und andere setzten dem daher spekulative Hypothesen entgegen, die das "blinde Herumtappen" von Beobachtungen "zügeln" und ihnen eine Richtung geben sollten.

Bei der näheren Untersuchung einer organischen Beobachtungsreihe in Preußen, in deren Rahmen mit Reil und Hermbstädt sowohl Vertreter der spekulativen als auch der induktiven Ausprägung beratend tätig gewesen waren, zeigte sich jedoch schnell, dass die Organiker ihren selbst gesetzten Ansprüchen nicht gerecht wurden. Ein derartig umfassender Ansatz des Wetterwissens bedurfte eines gleichermaßen komplexen Beobachtungsapparats, an dessen Aufbau, Administration und Auswertung die Organiker scheiterten. Formierte sich insbesondere der spekulative Zweig als Gegenprogramm zur Physik des Wetters, blieben die Hypothesen oft zu vage und rätselhaft, als dass sie auf nachvollziehbare Weise hätten belegt oder widerlegt werden können.

Ein Konflikt, den vor allem Semiotiker und Physiker des Wetters austrugen, war die Frage, welchen Stellenwert Messinstrumente bei Wetterbeobachtungen haben sollten. Die Physiker favorisierten diese, weil sie eine Quantifizierung des Wetters und seiner verschiedenen Parameter verhießen. Insbesondere für koordinierte Beobachtungsreihen waren aber fehlende Vergleichbarkeit verschiedener Instrumente und teils starke Abweichungen in der Beobachtungspraxis große Probleme – von der Frage, wie genau aus Beobachtungsdaten Gesetze abzuleiten waren, einmal abgesehen. Parallel verwendete Temperaturskalen (üblicherweise nach Fahrenheit, Celsius oder Réaumur) ließen sich noch relativ leicht rechnerisch vereinheitlichen. Darüber hinaus unterschieden sich aber allein Thermometer noch durch die jeweilige Einteilung der Skalen, die Bauart des Instruments, den Durchmesser der Glasröhren sowie durch die Flüssigkeit, die darin enthalten war. Von wenigen Ausnahmen wie der Mannheimer Meteorologischen Gesellschaft (1780–1792) abgesehen, war es zwischen 1750 und 1850 nicht üblich, Beobachter mit identischen Instrumenten aus derselben Werkstatt auszustatten.

Am Gebrauch von Instrumenten kritisierten viele Semiotiker, dass diejenigen, die (wie beispielsweise Landwirte) für ihren Lebensunterhalt am meisten auf verlässliche Wettervorhersagen angewiesen waren, sich entweder gar keine oder jedenfalls keine hochwertigen Instrumente leisten konnten – man solle sich daher lieber auf die Zeichen der Natur verlassen. Eine verblüffende Menge an Autoren im deutschsprachigen Raum bejubelte daher um 1800 die umfassende Wettersemiotik des Franzosen Denis-Bernard Quatremère-D’Isjonval (1754–1830), die auf der Interpretation des Verhaltens von Hausspinnen basierte. Diese seien zwar womöglich nicht so präzise wie Instrumente, warb Quatremère-D’Isjonval selbst, dafür aber in jedem Haushalt vorhanden. Ein anonymer Autor pries die Spinne als "sichersten Wetterprophet[en]" und gab als Grund an, er habe "längst gewünscht, daß die besten Barometer, Thermometer, Hygrometer, Eudiometer, nicht im Besitz der Verzehrer, sondern der Erzeuger der Ernten" wären. Die Semiotik der Aufklärungszeit zeichnete sich also wesentlich durch ein egalitäres, aufklärerisches Anliegen aus. Es ist jedoch unklar, in welchem Maß sie tatsächlich Eingang in landwirtschaftliche Praxis fand, da semiotisches Wetterwissen von Bauern nicht schriftlich fixiert wurde.

Wettervorhersage

Die Semiotik des Wetters war die einzige Wissensform, deren Vertreter im gesamten Zeitraum zwischen 1750 und 1850 auf der Notwendigkeit bestanden, dass Wetterwissen praktischen Interessen zugutekommen musste. Eine prognostische Praxis war Semiotikern wichtiger als eine hochentwickelte Theorie. Ihre Konkurrenten attestierten auch bereitwillig, dass die Deutung von Wetterzeichen funktionierte. Der Schweizer Naturforscher und Alpinist Horace-Bénédict de Saussure (1740–1799) etwa klagte, dass es für Physiker des Wetters wie ihn "sehr demüthigend" war, "wenn sie sehen, daß oft ein Schiffer oder ein Landmann, der weder Werkzeuge noch Theorie hat, die Veränderungen des Wetters viele Tage voraus, mit bewundernswürdiger Genauigkeit angiebt, die der Naturforscher bey aller seiner Hülfe von Wissenschaft und Kunst nicht würde gemuthmaaßet haben". Doch waren diese Zeichen laut Saussure mehr ein vager Instinkt von rein lokaler Gültigkeit. Sie wurden wertlos, sobald die Zeichendeuter ihre angestammte Umgebung verließen – das universell gültige, erklärende Wissen blieb die Domäne der Physiker.

Organiker und Physiker des Wetters bestanden im 19. Jahrhundert hingegen darauf, erst dann prognostizieren zu können, wenn die Gesetzmäßigkeiten der Atmosphäre bis in ihre letzten kausalen Verwicklungen verstanden waren. Die Physik des Wetters durchlief dabei im Untersuchungszeitraum einen besonders auffälligen Wandel. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts strebten ihre Anhänger noch praktische Verwertbarkeit an. Sie träumten insbesondere davon, sich wiederholende Wetterperioden zu identifizieren, bis Statistiker diesen Traum um 1800 platzen ließen. Zusammen mit den politischen, sozialen und wissenschaftlichen Umbrüchen im Rahmen der Napoleonischen Kriege bot dies Gelegenheit für etwas, was ich als "solare Wende" in der Physik des Wetters bezeichne. Deren prominenteste Vertreter Alexander von Humboldt (1769–1859), Ludwig Friedrich Kämtz (1801–1867) und Heinrich Wilhelm Dove (1803–1879) reduzierten die Kausalität des Wetters auf die wärmenden Sonnenstrahlen und erteilten damit eine endgültige Absage an die Stellungen der Planeten und des Mondes als Ursachen für Veränderungen. Sie beschränkten den Großteil ihrer Arbeit fortan auf die Analyse mittlerer Werte in vergleichender globaler Perspektive. In den deutschen Ländern wurde die Physik des Wetters zwischen etwa 1800 und 1850 zu einem Vorläufer dessen, was in den 1880er Jahren zur sogenannten klassischen Klimatologie werden würde.

Damit ging eine Abkehr der Physiker von der Vorhersage einher. Kämtz, zunächst Physikprofessor in Halle, später in Dorpat, beharrte 1840 darauf, dass der Meteorologe "durchaus nichts als Geschichtsschreiber der Witterung" war, dessen einzige Aufgabe darin bestand, "die Gesetze der vergangenen Ereignisse aufzusuchen." Wie von Historikern keine Prognosen zur künftigen Entwicklung menschlicher Gesellschaften gefordert würden, so Kämtz, so wenig dürfe man derartige Ansprüche an die Meteorologen stellen. In ähnlicher Weise bestanden auch die spekulativen Organiker, die nach 1800 innerhalb dieser Wissensform dominierten, darauf, dass Praxis erst auf ein vollendetes theoretisches Verständnis folgen konnte und durfte: Werde die Wissenschaft nur mit "Seitenblick auf [ihre] Nutzanwendung" betrieben, so etwa Johann Christian Reil, drohe sie "einseitig" zu werden – sei die "Idee des Lebens der Atmosphäre und ihrer Wechselwirkung mit ihren Umgebungen vollkommen klar und objectiv geworden", würden sich Möglichkeiten zur Anwendung des Wissens dagegen von selbst ergeben.

Meteorologie als institutionalisierte Wissenschaft

Ab etwa 1850 richteten viele Länder Europas nach und nach Strukturen ein, durch die Wetterbeobachtungen ebenso wie ein großer Teil der wetter- und klimabezogenen Forschung in staatlichen Institutionen gebündelt wurden. Das Preußische Meteorologische Institut mit Sitz in Berlin wurde 1847 gegründet, und andere deutsche Länder wie Baden oder Bayern zogen nach. Die meisten Wetterwarten auf Landesebene veröffentlichten ab den 1870er und 1880er Jahren regionale Wettervorhersagen. Weil der Reichskanzler Otto von Bismarck jedoch fürchtete, dass staatlich sanktionierte Vorhersagen, die sich als falsch herausstellten, unangenehme politische Folgen haben könnten, lehnte er Vorhersagen auf nationaler Ebene ab. Nach der Reichsgründung 1871 erfolgte daher keine Zentralisierung – erst das NS-Regime schuf 1934 einen zentralen Reichswetterdienst.

Die Gründung des Preußischen Meteorologischen Instituts war wesentlich von Alexander von Humboldt vorangetrieben worden, der zunächst Wilhelm Mahlmann (1812–1848) erfolgreich als Institutssekretär vorschlug, auf den ab 1849 Heinrich Wilhelm Dove für mehrere Jahrzehnte folgte. Beide waren Physiker, die folglich das Institut im Stil dieser Wissensform nach der "solaren Wende" formten. Sie widmeten sich vor allem dem Aufbau eines Beobachtungsnetzes und der klimatologischen Beschreibung Preußens. Forschung, die sich nicht nur mit mittleren, sondern mit momentanen Zuständen der Atmosphäre befasste, ihre Veränderungen nach thermo- und hydrodynamischen Prinzipien interpretierte und so dem näherkommt, was wir heute unter Meteorologie verstehen, hielt erst seit den 1880er Jahren Einzug. Zurückzuführen war dies wesentlich auf Einflüsse aus den USA, Großbritannien und Frankreich. Sowohl auf politisch-institutioneller als auch auf wissenschaftlicher Ebene nahm die Meteorologie um die Jahrhundertmitte Abstand von Vorhersagen und entzog sich damit Ansprüchen auf praktische Verwertbarkeit.

Bedeutete dies, dass organisches und semiotisches Wetterwissen verschwanden? Die Antwort auf diese Frage unterstreicht, welche unterschiedlichen Entwicklungen eines Wissensbestandes möglich sind. Die Organik des Wetters wurde zunächst in medizinische Diskurse verlagert, bevor sie im 20. Jahrhundert als Medizin- oder Biometeorologie wieder zu einer Subdisziplin wissenschaftlicher Meteorologie wurde. Spätestens mit den gesellschaftlichen Debatten über den Klimawandel sind Wechselwirkungen zwischen den Ökosystemen der Erde wieder in alle Munde. Wetterzeichen hingegen besetzen seit dem 19. Jahrhundert eine relativ konstante Nische im populärwissenschaftlichen Buchmarkt. Es ist also kaum von einem Niedergang dieser Wissensformen zu sprechen, sehr wohl aber von einer Privilegierung der Physik. Der Blick in die zeitgenössischen Quellen zeigt, dass diese nicht durch eine naturgemäße Überlegenheit dieser Wissensform zu begründen ist. Stattdessen sind die praktischen und erkenntnistheoretischen Mühen ihrer Vertreter offenkundig geworden. Diese frühere Epoche lehrt uns jedoch auch, wie wandelbar dieses komplizierte Wissensfeld ist. Zwar scheut sich, wie schon Kämtz bemerkte, die Geschichtsschreibung vor Prognosen. Doch wer auch in Zukunft Wandel in der Meteorologie vorhersagt, bewegt sich wohl auf der sicheren Seite.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Vladimir Janković, Reading the Skies. A Cultural History of English Weather, 1650–1820, Chicago–London 2000, S. 142; Jan Golinski, British Weather and the Climate of Enlightenment, Chicago–London 2007, S. 67.

  2. Vgl. Paul N. Edwards, A Vast Machine. Computer Models, Climate Data, and the Politics of Global Warming, Cambridge–London 2019, S. 22.

  3. Vgl. Francesca Rochberg, The Heavenly Writing. Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture, Cambridge 2004, S. 148.

  4. Vgl. Paul Ulrich Unschuld, Huang Di nei jing su wen. Nature, Knowledge, Imagery in an Ancient Chinese Medical Text, Berkeley–Los Angeles–London 2003, S. 183–189.

  5. Vgl. Liba Taub, Ancient Meteorology, London–New York 2003.

  6. Vgl. Pieter L. Schoonheim, Aristotle’s Meteorology in the Arabico-Latin Tradition, Leiden 2000; Paul Lettinck, Aristotle’s Meteorology and Its Reception in the Arab World, Leiden 1999.

  7. Vgl. Daryn Lehoux, Astronomy, Weather and Calendars in the Ancient World. Parapegmata and Related Texts in Classical and Near Eastern Societies, Cambridge 2007.

  8. Vgl. Anne Lawrence-Mathers, Medieval Meteorology. Forecasting the Weather from Aristotle to the Almanac, Cambridge 2019.

  9. Vgl. Judith V. Field, Kepler’s Geometrical Cosmology, London–New York 2013, S. 129.

  10. Vgl. Gustav Hellmann, Meteorologische Volksbücher. Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie und zur Kulturgeschichte, Berlin 1895, S. 36–45.

  11. Vgl. Janković (Anm. 1), S. 31.

  12. Vgl. Golinski (Anm. 1), S. 213f.

  13. Michael Adelbulner, Kurze Beschreibung der Barometer und Thermometer auch andern zur Meteorologie gehörigen Instrumenten, Nürnberg 1768, S. 21.

  14. Ebd., S. 7.

  15. Louis Cotte, Traité de Métérologie, Paris 1774, S. 519 (eigene Übersetzung).

  16. Zit. nach Linda Richter, Semiotik, Physik, Organik. Eine Geschichte des Wissens vom Wetter (1750–1850), Frankfurt/M.–New York 2019, S. 358.

  17. Gustav Hellmann, Repertorium der deutschen Meteorologie, Leipzig 1883, S. xii.

  18. Vgl. Andrea Rusnock, Vital Accounts. Quantifying Health and Population in Eighteenth-Century England and France, Cambridge 2002, S. 109–119.

  19. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Von der Weltseele, Hamburg 1798, S. 135.

  20. Zit. nach Richter (Anm. 16), S. 452, S. 446.

  21. Vgl. Linda Richter, The Meteorology and Medicine of the Romantic Era in Context. Henrik Steffens’ Ideas on Medical Meteorology (1811) and Its Reception by the Prussian State, in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 2/2019, S. 145–163, hier S. 157f.

  22. Vgl. Johann Lorenz Böckmann, Wünsche und Aussichten zur Vervollkommnung der Witterungslehre, Wien 1779, S. 14.

  23. Vgl. David Cassidy, Meteorology in Mannheim. The Palatine Meteorological Society, 1780–1795, in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 1/1985, S. 8–25.

  24. Vgl. Philipp Ernst Lüders, Gespräche zwischen einem Prediger und einem Landmann, Flensburg 1763, S. 85.

  25. Vgl. Denis Bernard Quatremère-D’Isjonval, Araneologie oder Naturgeschichte der Spinnen, Frankfurt/M. 1798, S. 41f.

  26. Anonym, Die Spinne, der sicherste Wetterprophet, in: Neues Hannöverisches Magazin 79/1799, Sp. 1273–1276, hier: Sp. 1275.

  27. Vgl. Richter (Anm. 16), S. 157–164.

  28. Horace-Bénédict de Saussure, Versuch über die Hygrometrie, Leipzig 1784, S. 403.

  29. Vgl. Richter (Anm. 16), S. 203–232.

  30. Vgl. ebd., S. 242–267.

  31. Vgl. Matthias Heymann, Klimakonstruktionen. Von der klassischen Klimatologie zur Klimaforschung, in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 2/2009, S. 171–197, hier: S. 173–177.

  32. Ludwig Friedrich Kämtz, Vorlesungen über Meteorologie, Halle 1840, S. vii.

  33. Zit. nach Richter (Anm. 16), S. 446.

  34. Vgl. Klaus Wege, Die Entwicklung der meteorologischen Dienste in Deutschland, Offenbach 2002, S. 51–61.

  35. Vgl. Hans-Günther Körber, Die Geschichte des Preußischen Meteorologischen Instituts in Berlin, Offenbach 1997, S. 30.

  36. Vgl. Wege (Anm. 34), S. 62–101.

  37. Vgl. Körber (Anm. 35), S. 11–17.

  38. Vgl. Richter (Anm. 16), S. 274–282.

  39. Vgl. Peter Höppe, Aspects of Human Biometeorology in Past, Present and Future, in: International Journal of Biometeorology 1/1997, S. 19–23.

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ist promovierte Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Wissenschaftsgeschichte der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie forscht und publiziert schwerpunktmäßig zur Geschichte der Meteorologie und Klimatologie im 18. und 19. Jahrhundert. E-Mail Link: l.richter@em.uni-frankfurt.de