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Der Sechstagekrieg | Nahost | bpb.de

Nahost Editorial Die neue Lage in Nahost - Essay Konfliktdynamik im Nahen und Mittleren Osten Ein Fünfpunkte-Friedensplan für Nahost Eine internationale Friedenslösung für Nahost Außenwirtschaftliche Kooperation im Vorderen Orient Der Sechstagekrieg

Der Sechstagekrieg

Rolf Steininger

/ 16 Minuten zu lesen

Neue amerikanische und sowjetische Quellen zeigen, wie dramatisch die Entwicklung im Sechstagekrieg 1967 war. Die Sowjetunion drohte einzugreifen, während die USA ihre 6. Flotte ins östliche Mittelmeer beorderten.

Einleitung

Der Krieg begann am Morgen des 5. Juni 1967 mit einem Überraschungsangriff Israels gegen Ägypten und endete am 10. Juni mit einer vernichtenden Niederlage Ägyptens (bzw. der Vereinigten Arabischen Republik/VAR), Syriens und Jordaniens. Über Israels überwältigenden Sieg gibt es zahlreiche Erinnerungen und etliche Darstellungen. Wegen fehlender Quellen auf fast allen Seiten konnten wichtige Fragen bislang nicht beantwortet werden. Das hat sich nun mit Blick auf die USA und teilweise auch auf die Sowjetunion geändert. Im Jahre 2004 legte das Department of State in Washington den lang erwarteten Dokumentenband über den Sechstagekrieg vor, mit immerhin 542 Dokumenten. Über die sowjetische Position gibt eine geheime Rede Aufschluss, die der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, am 20. Juni 1967 vor dem Zentralkomitee seiner Partei hielt. Die deutsche Übersetzung - 65 Seiten - wurde im Parteiarchiv der SED aufbewahrt. Hoch interessant sind darüber hinaus die vertraulichen Berichte der österreichischen Botschafter in Israel und Ägypten, die über Stimmungslage und Entscheidungsprozesse in diesen Ländern informieren. Diese neu zugänglichen Dokumente zeigen, dass die Ereignisse damals um vieles dramatischer waren, als wir bislang gewusst haben.



Der Sechstagekrieg war im Kern die Fortsetzung des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948/49 und des Suezkrieges 1956. Das Ziel der arabischen Nachbarn war gleich geblieben: die Vernichtung des jüdischen Staates. Die Jahre seit dem Suezkrieg waren von Grenzzwischenfällen geprägt. Zur bis dahin schwersten Auseinandersetzung kam es am 7. April 1967, als die Israelis sechs syrische MIG-Kampfflugzeuge abschossen. Am 13. Mai warnte der Kreml die Regierungen in Damaskus und Kairo, Israel bereite für den 17. Mai einen Angriff gegen Syrien vor.

Bis heute ist unklar, was die Sowjets mit dieser nachweislich falschen Information beabsichtigten. Wollten sie Ägyptens Regierungschef Gamal Abdel Nasser dazu bringen, seinen Beistandspakt mit Syrien zu aktivieren? Wollten sie ihren Einfluss im Nahen Osten auf Kosten der USA - die in Vietnam engagiert waren - ausweiten, womöglich mit dem Ziel, Israel zu zerstören? Möglicherweise wusste der amerikanische Geheimdienst CIA mehr. Am 9. Juni hieß es dort: "Wir glauben nicht, dass die Sowjets die Nahostkrise geplant oder ausgelöst haben. Der Krieg zwischen Israelis und Arabern und insbesondere die Niederlage Ägyptens in jenem Krieg waren Entwicklungen, die die Sowjetunion nicht gewünscht hat, anfangs nicht vorhergesehen und später nicht verhindern konnte." Klar war demnach allerdings auch, "dass die Sowjets seit Mitte Mai aktiv an dieser Krise beteiligt waren", allerdings auf keinen Fall direkt in den Krieg hineingezogen werden und es vor allen Dingen nicht zu einer direkten Konfrontation mit den USA kommen lassen wollten.

Was von den Sowjets angestoßen worden war, erhielt in den folgenden Tagen durch Entscheidungen Nassers eine Dynamik, die in den Krieg führte. Am 14. Mai versetzte Nasser seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft, am 16. Mai stand die Armee seit sechs Uhr früh in höchster Bereitschaft. Gleichzeitig wurden in Ägypten Truppenbewegungen Richtung Suezkanal beobachtet. Am selben Tag forderte Nasser UNO-Generalsekretär U Thant auf, die seit 1957 auf der Sinai-Halbinsel und im Gazastreifen stationiertenUNO-Truppen (UNEF) abzuziehen.

Gut informierte Kollegen in Kairo berichteten dem österreichischen Botschafter Gordian Gudenus, dass "Nasser die Spannung den Arabern, den Großmächten, der UNO und - last not least - Israel gegenüber dramatisieren will, aber keinen ernsten Waffengang wünscht". Als U Thant auf Nassers Forderung einging und den Befehl zum Abzug der UNO-Truppen gab, ging Nasser einen Schritt weiter und verkündete am 22. Mai die Blockade der Meerenge von Tiran für israelische Schiffe sowie für Schiffe anderer Staaten, die militärische Fracht für Israel an Bord führten. Ägyptische Truppen wurden in den Sinai verlegt. Nasser hatte sich "besorgniserregend festgelegt", wie aus Kairo berichtet wurde.

Für Israel war die Blockade der Meerenge der casus belli. Das war seit 1957 bekannt. Es kam zu entsprechenden Reaktionen: demonstrative Kriegsvorbereitungen, Räumung von Zivilkrankenhäusern, Bereitmachung der Luftschutzräume und der unterirdischen Operationsräume. Am 28. Mai stellte Nasser auf einer Pressekonferenz klar, dass es bei der Krise "nicht um Fragen wie den Golf von Akaba und den Rückzug der UNEF, sondern um ein viel größeres Problem, nämlich die Aggression gegen das Volk von Palästina und die dauernden Bedrohungen gegen das arabische Volk" gehe. Und dann wiederholte er, dass die Gründung des Staates Israel "die erste Aggression gegen die Araber" gewesen sei. Was wollte Nasser wirklich? Wollte er die Krise dazu nutzen, eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Israel zu erreichen, ging es ihm um Prestigegewinn in der arabischen Welt? Bei Abwägung aller verfügbaren Informationen auch seiner Kollegen in Kairo meinte der österreichische Botschafter: "Es gilt weiterhin, dass man die letzten Ziele Nassers nicht kennt und auch, dass ihm beim Spiel mit Zündhölzern ein Fehlgriff unterlaufen könnte."

"Israel wird nicht allein sein ..."

Für Israel ging es nur vordergründig um die freie Durchfahrt im Golf von Akaba, tatsächlich aber um die Beseitigung der fortdauernden Bedrohung seiner Existenz. Man war in die Defensive geraten und würde einen Sieg Nassers ohne Krieg nicht zulassen. Mit Nachdruck versuchte Israel Washington klarzumachen, dass ein Angriff der arabischen Staaten unmittelbar bevorstand und man Sicherheitsgarantien erwarte. Die israelischen Militärs drängten auf einen Präventivschlag. Sie waren davon überzeugt, dass die arabischen Streitkräfte "Seifenblasen" waren: "Einmal hineinstechen und sie werden zerplatzen", wie der Befehlshaber der mittleren Front, General Uzi Narkiss, meinte.

Die Amerikaner befanden sich in einer schwierigen Situation. Sie schätzten die von den Israelis beschworene Gefahr weniger dramatisch ein. Vieles sprach gegen einen ägyptischen Angriff: Wesentliche Teile der ägyptischen Truppen, vielleicht die besten, standen im Jemen, die wirtschaftliche Situation, auch die Vorratslage, war schlechter denn je, die Hilfe anderer arabischer Staaten ungewiss, die Kampfkraft der Truppe insgesamt nicht überzeugend. Sie hatte zwar von den Sowjets modernstes Kriegsgerät erhalten, konnte es aber kaum effizient bedienen. Washington hatte zudem kein Interesse an einer Niederlage Ägyptens, das sich dann womöglich noch enger an die Sowjetunion anlehnen würde.

Die Analysen der USA gingen davon aus, dass Israel militärisch überlegen war. US-Präsident Lyndon B. Johnson machte dies dem israelischen Außenminister Abba Eban am 26. Mai in Washington sehr deutlich, als er betonte, dass nach amerikanischer Auffassung ein Angriff auf Israel nicht bevorstand; sollte Ägypten doch angreifen, werde es von Israel "vernichtend geschlagen". Zweimal betonte er dann das, was später in Israel zum geflügelten Wort wurde, aber dort nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen wurde, da es wenig konkret war: "Israel wird nicht allein sein, es sei denn, es handelt allein." Am selben Tag meldeten die amerikanischen Militärattachés aus Tel Aviv, dass sich "die Entscheidung in Richtung Präventivschlag bewegt". Das galt es zu verhindern.

Eine entsprechende Nachricht Johnsons wurde Ministerpräsident Levi Eshkol am 29. Mai um sechs Uhr vom amerikanischen Botschafter überreicht. Diese sorgte mit dafür, dass das Kabinett zu keiner Entscheidung kam: Neun Minister waren für einen israelischen Angriff, neun dagegen. Eshkol erläuterte die Lage im Rundfunk und machte dabei einen so schwachen Eindruck, dass der Ruf nach dem "starken Mann" immer lauter ertönte. Schließlich wurde am 1. Juni eine "Regierung der nationalen Einheit" gebildet, in der der "einäugige Kriegsgott" und "Held" des Suezkrieges von 1956, Moshe Dajan, Verteidigungsminister und Menachem Begin Minister ohne Geschäftsbereich wurden. In der Bevölkerung war man sich nun sicher: Das Militär würde die Sache in die Hand nehmen. In Israel war man mehr und mehr davon überzeugt, nicht länger warten zu können, während die Araber "Blut gerochen" hätten. Israel müsse entweder bald zuschlagen, oder, wie es in einer Analyse der CIA vom 3. Juni hieß, eine hundertprozentige Sicherheitszusage bekommen. Dazu aber war Washington nicht bereit.

Am 4. Juni beschloss das israelische Kabinett einstimmig, am nächsten Tag loszuschlagen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der Bericht des Chefs des Geheimdienstes Mossad, Meir Amit, der sich vom 31. Mai bis 2. Juni inkognito in Washington aufgehalten und mit ranghohen Vertretern der CIA und des Pentagon, nicht allerdings des State Department, das nach wie vor für Verhandlungen eintrat, gesprochen hatte. Entscheidend war das Gespräch mit Verteidigungsminister Robert McNamara. Amit hat auf einer Konferenz 1992 berichtet, das Gespräch habe 40 Minuten gedauert, und er habe McNamara mitgeteilt, dass er seiner Regierung empfehlen werde, loszuschlagen. Soweit stimmen beide Seiten überein. Über die Reaktion McNamaras gehen die Meinungen auseinander. Laut Amits Bericht für das israelische Kabinett habe McNamara gesagt: "Ich habe Sie genau verstanden; dies war sehr hilfreich." Während des Gespräches habe Johnson zweimal angerufen und grundsätzlich zugestimmt. Amit verließ Washington jedenfalls in der Überzeugung, dass sowohl Johnson als auch McNamara nicht eindeutig Nein zum Losschlagen gesagt hatten, eine Schlussfolgerung, die McNamara später zurückgewiesen hat. Liest man nun das im FRUS-Band wiedergegebene Protokoll, könnte McNamara Recht haben.

"Der kritischste Augenblick für die VAR"

In den folgenden Tagen spitzte sich die Lage zu. Die israelische Armee stieß in Richtung Suezkanal vor, der am 8. Juni 1967 erreicht wurde, am nächsten Tag war der gesamte Sinai in israelischer Hand. Erst als es zu spät war, erkannte die ägyptische Führung das ganze Ausmaß der Katastrophe.

Wir wissen seit kurzem, welche Dramatik damals im Kreml und im Weißen Haus herrschte. Plötzlich und für die Sowjetunion völlig überraschend wandte sich der ägyptische Verteidigungsminister am 6. Juni um 18 Uhr mit einer Eilbotschaft Nassers an die sowjetische Führung: "Die Lage ist sehr gefährlich und kritisch, und sie kann nicht länger als bis heute Nacht so bleiben." Sechs Stunden später erklärte er dem sowjetischen Botschafter im Auftrag Nassers erneut, die Lage sei so ernst, dass es "notwendig ist, die Feuereinstellung bis fünf Uhr früh zu erreichen". Breschnew meinte später, dass "das der kritischste Augenblick für die VAR im Verlauf der Kampfhandlungen war". Sein Bericht machte die verheerende Lage deutlich: "Als wir diese alarmierende, die Dramatik der Situation an der ägyptisch-israelischen Front widerspiegelnde Meldung aus Kairo erhielten, hielten wir, die Mitglieder des Politbüros, um ein Uhr nachts eine Sitzung ab. Wir überlegten mögliche Varianten, wie den eine Niederlage erleidenden Streitkräften der VAR geholfen werden könnte. Es konnte gar keine Rede davon sein, in den verbleibenden wenigen Stunden irgendwie nennenswerte Mengen technischer Kampfmittel, Panzer, Flugzeuge dorthin zu befördern, um die im Grunde zusammenbrechende ägyptische Front zu stärken, den Vormarsch der israelischen Truppen auf den Suezkanal aufzuhalten und so die Hauptstadt und andere Städte der VAR aus der Luft zu decken. Dabei musste in Rechnung gestellt werden, dass der ägyptischen Militärführung die Leitung der Truppen faktisch aus den Händen geglitten war. Diese befanden sich in einem Zustand des Chaos und der Fassungslosigkeit, viele Flugplätze, auf denen unsere Flugzeuge hätten landen können, waren zerstört. In dieser Situation war es das einzig Richtige, alle politischen und diplomatischen Mittel einzusetzen, um zu versuchen, die VAR dem Schlag zu entziehen."

Ähnlich katastrophal war die Lage der jordanischen Armee, obwohl die Kämpfe in Jordanien und besonders um Ost-Jerusalem die verlustreichsten der israelischen Armee waren, die keine schweren Waffen einsetzte, um die Stadt nicht zu zerstören. Am 6. Juni teilte König Hussein dem sowjetischen Botschafter mit: "Das ist der schwerste Tag in meinem Leben. Nur die unverzügliche Feuereinstellung kann Jordanien retten." In der Nacht zum 7. Juni wiederholte auch Nasser die dringende Bitte, den Vormarsch der israelischen Truppen aufzuhalten und bis fünf Uhr morgens eine Feuereinstellung zu erreichen.

Sowjetische Initiativen im UNO-Sicherheitsrat - Feuereinstellung und Rückzug auf die Grenzen - scheiterten zunächst, nicht zuletzt wegen der chaotischen Situation in Kairo, wo die Regierung eine Entscheidung zur Feuereinstellung hinausschob: Nasser wollte die Niederlage nicht eingestehen. Sowjetische Drohungen an Israel, bei einer Fortsetzung der Kampfhandlungen die Beziehungen zu überprüfen und andere Maßnahmen zu erwägen, erwiesen sich als wirkungslos. In Ost-Jerusalem wurde um jede Straße und jedes Haus gekämpft. Am 7. Juni erreichten israelische Truppen die Klagemauer, wo Verteidigungsminister Dajan erklärte: "Wir haben das geteilte Jerusalem, die gespaltene Hauptstadt Israels, von neuem vereint; wir sind zu unseren heiligen Stätten zurückgekehrt, um uns nie wieder von ihnen zu trennen."

Am 9. Juni zog Israel seine Streitkräfte im Norden zusammen und besetzte den Golan. Am Abend kündigte Nasser seinen Rücktritt an. Dies wollte die Sowjetunion unter keinen Umständen zulassen. Das Politbüro der KPdSU sicherte ihm sofortige politische und moralische Unterstützung zu: "Sie genießen größte Autorität in der arabischen Welt. Ihnen glauben die arabischen Völker, vertrauen Ihre Freunde, und nur auf dem Posten des Präsidenten verbleibend können und müssen Sie alles tun, um die Errungenschaften der Revolution zu bewahren und diese zu Ende zu führen. Die arabische Welt und alle fortschrittlichen Kräfte in der Welt werden Ihren Rücktritt von der Führung des Landes in diesem verantwortungsvollen Augenblick nicht verstehen und nicht billigen."

Nasser blieb im Amt, in Moskau atmete man auf. Breschnew sagte vor dem ZK: "Unser Handeln in der für die VAR kritischen Situation war darauf gerichtet, den Aggressor aufzuhalten, solange die arabischen Staaten noch einen bedeutenden Teil ihrer Streitkräfte bewahrt hatten, die Eroberung Kairos und Damaskus' durch die israelischen Truppen nicht zuzulassen und vor allem den Sturz des fortschrittlichen Regimes in der VAR zu verhindern, was - davon sind wir überzeugt - eine Kettenreaktion auch in anderen arabischen Staaten zur Folge gehabt hätte."

Moskaus Drohung

Inzwischen setzte die israelische Armee im Norden ihren Siegeszug fort. Die syrische Grenze wurde überschritten. Am 10. Juni gegen Mittag fiel Kuneitra, der Weg nach Damaskus war frei. In dieser dramatischen Situation, um 11.30 Uhr, erhielt der Kreml vom syrischen Außenminister eine Mitteilung, in der es hieß, israelische Panzer, unterstützt von starken Luftstreitkräften, stießen auf Damaskus vor. Die Regierung Syriens bat die Sowjetunion verzweifelt, "beliebige mögliche Schritte zu unternehmen, und zwar in den nächsten zwei - drei Stunden, da es sonst zu spät sein` würde". Breschnew vor dem ZK: "Das war der zweite kritische Punkt in der Nahostkrise." Moskau brach die diplomatischen Beziehungen mit Israel ab und warnte, dass die Sowjetunion, falls man nicht unverzüglich die Kampfhandlungen einstelle, "gemeinsam mit den anderen friedliebenden Staaten gegenüber Israel Sanktionen mit allen sich daraus ergebenden Folgen durchführen wird".

Gleichzeitig mit dem Ultimatum übermittelte Premierminister Alexej Kossygin eine Botschaft an US-Präsident Johnson, in der er beklagte, dass Israel die Beschlüsse des Weltsicherheitsrats ignoriere. Es habe sich ein sehr verantwortungsvoller Augenblick ergeben, "der uns, falls die Kriegshandlungen nicht in den allernächsten Stunden eingestellt werden, zu selbstständigen Entscheidungen zwingt. Wir sind dazu bereit." Das war eine klare Drohung, dass der Kreml auf Seiten der arabischen Staaten eingreifen werde - auch auf das Risiko eines militärischen Konfliktes mit den USA, denn "diese Handlungen", so hieß es weiter in der Note an Johnson, "können einen Zusammenstoß zwischen uns bewirken und zu einer großen Katastrophe führen. Offensichtlich gibt es in der Welt Kräfte, für die das vorteilhaft wäre. Wir schlagen Ihnen vor, von Israel zu fordern, dass es in den allernächsten Stunden die Kriegshandlungen bedingungslos einstellt. Wir werden unsererseits dasselbe tun. Wir schlagen vor, Israel zu warnen, dass im Falle der Nichterfüllung dieser Forderung die notwendigen Aktionen, einschließlich militärischer Aktionen, eingeleitet werden."

Gleichzeitig wurde dem im Mittelmeer befindlichen Verband sowjetischer Kriegsschiffe einschließlich eines Raketenkreuzers der Befehl erteilt, in Begleitung einiger U-Boote Kurs auf die Küste Syriens zu nehmen. Der Krieg drohte weiter zu eskalieren. Wie schon in den Tagen zuvor benutzte der Kreml erneut die Fernschreibverbindung nach Washington, jenen "Heißen Draht", der nach der Kubakrise 1962 eingerichtet worden war. Das Fernschreiben kam, nachdem versichert worden war, dass Johnson neben dem Fernschreiber stand. Nachdem die Übersetzung vorlag, überprüfte man zunächst den russischen Text, ob dort tatsächlich "einschließlich militärischer Aktionen" stand. McNamara schlug vor, der 6. US-Flotte den Befehl zu geben, Kurs auf das östliche Mittelmeer zu nehmen. Johnson stimmte zu. Im Rückblick meinte CIA-Direktor Richard Helms, er habe noch nie an einer Sitzung teilgenommen, in der so leise gesprochen worden sei; es habe eine äußerst angespannte Atmosphäre geherrscht.

Das sowjetische Fernschreiben war um 8.48 Uhr Ortszeit im Weißen Haus eingegangen. Um 9.39 Uhr teilte Johnson Kossygin mit, dass Außenminister Dean Rusk eine dringende Botschaft an Israel übermittelt habe, wonach die USA es als sehr wichtig betrachteten, dass Israel durch Taten vor Ort demonstriere, dass die Befehle zur Feuereinstellung in Kraft getreten seien. Israel habe versichert, dass es dazu bereit sei. Breschnew am 20. Juni vor dem ZK: "Man kann mit Fug und Recht feststellen, Genossen, dass unsere Warnungen an die Adresse der USA sowie Israels ihre Wirkung nicht verfehlt haben." Im verlassenen Kuneitra hatten die Israelis ihren Vormarsch gestoppt und am 10.Juni um 18.30 Uhr das Feuer eingestellt.

Ausblick

Kurt Waldheim, Österreichs Vertreter bei den Vereinten Nationen und später zehn Jahre lang deren Generalsekretär, meinte in einer Analyse des israelischen Sieges: "Israel hat sich durch seinen Sieg über die arabischen Staaten militärische Sicherheit auf lange Sicht geschaffen. Von einer politischen Lösung seiner Existenzfrage dürfte es jedoch weiter entfernt sein denn je." Das war keine schlechte Voraussage.

Österreichs Vertreter in Tel Aviv, Friedrich Bauer, kam zwar zu der Schlussfolgerung, dass aus israelischer Sicht die Vorteile des Sieges eindeutig die Nachteile überwogen ("Prestigegewinn in aller Welt, fast hegemonialer Prestigezuwachs im Nahen Osten"; "Bindung Israel-USA enger denn je"), gab aber Folgendes zu bedenken: "Trotz zur Schau getragener Selbstsicherheit, verbunden mit Durchhaltepathos, die manchmal in fast unerträgliche Überheblichkeit mündet, erheben sich in der israelischen Bevölkerung manche Zweifel. DieHoffnungen auf Direktverhandlungen mit den arabischen Nachbarn werden immer geringer, auch die Hoffnung auf eine andere Friedenslösung wird schwächer. Man bereitet sich innerlich bereits auf die vierte Runde vor." Die Häufung von Agenturmeldungen, wonach Israel an der Entwicklung einer Atombombe arbeite, "bringt neue unterschwellige Ängste". Abschließend meinte er mit Blick auf die Araber: "Der durch Demütigung genährte Hass lässt jede politische Lösung in die Ferne rücken." Auch das war keine schlechte Vorhersage.

Während die Sowjetunion Ägypten und Syrien massiv aufrüstete, verkündete die Arabische Liga im September in Khartum ein dreifaches Nein: nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel, nein zum Frieden mit Israel. Während der UNO-Sicherheitsrat im November mit der Resolution 242 Israel vergebens zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufforderte, begann Israel mit einer offensiven Siedlungspolitik in diesen Gebieten. Palästinensische Extremisten reagierten mit Terroranschlägen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Moshe Dajan, Die Geschichte meines Lebens, München 1976; Abba Eban, Personal Witness. Israel Through My Eyes, New York 1992; ders., An Autobiography, New York 1977; Yitzhak Rabin, The Rabin Memoirs, London 1979; Chaim Herzog, The Arab-Israel Wars, New York 1982; Frank Brenchley, Britain, the Six-Day War and its Aftermath, London 2005.

  2. Vgl. Richard B. Parker, The Politics of Miscalculation in the Middle East, Bloomington 1993; ders. (ed.), The Six-Day War: A Retrospective, Gainesville 1996; Haim Gordon (ed.), Looking Back at the June 1967 War, Westport 1999; Helmut Mejcher, Sinai, 5. Juni 1967. Krisenherd Naher und Mittlerer Osten, München 1998, S. 132-149; Jeremy Bowen, Six Days: How the 1967 War Shaped the Middle East, Eastbourne 2003. Vgl. auch die Beiträge auf der Website des Cold War International History Project (www.wilsoncenter. org/index.cfm?fuseaction = topics.home & topic_ id = 1409, 28.3. 2007) sowie in The Middle East Review of International Affairs. Vgl. auch Michael B. Oren, Six Days of War. June 1967 and the Making of the Modern Middle East, Oxford 2002, der erstmals amerikanische und auch einige israelische Quellen benutzen konnte. Kritisch zu Oren: Roland Popp, Stumbling Decidedly into the Six-Day War, in: Middle East Journal, 60 (2006), S. 281 - 309.

  3. Foreign Relations of the United States (FRUS), 1964-1968, Vol. XIX, Arab-Israeli Crisis and War, 1967, Washington, D.C. 2004.

  4. Vgl. die Rede des Gen. L. I. Breshnew auf dem Juniplenum (1967) des ZK der KPdSU "Über die Politik der Sowjetunion im Zusammenhang mit der Aggression Israels im Nahen Osten". Vertraulich. 20.6. 1967, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), DY30/IV2/1/362. Vgl. auch Stefan Meinung, Breshnews Geheimrede zum Juni-Krieg 1967, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, 13 (2004), S. 110-118.

  5. Vgl. Rolf Steininger (Hrsg.), Berichte aus Israel, 13 Bde., München 2004.

  6. Vgl. L. Breshnew (Anm. 4), S. 12.

  7. Current Soviet Attitudes and Intentions in the Middle East, Memorandum Acting Chairman CIA's Board of National Estimates an CIA-Direktor Richard Helms, 9.6. 1967, FRUS (Anm. 3), Doc. 240. Anderer Ansicht im Sinne einer aggressiven sowjetischen Politik sind Isabella Ginor/Gideon Remez, Foxbats Over Dimona: The Soviets' Nuclear Gamble in the Six-Day War, New Haven, July 2007. Demnach ging es den Sowjets darum, die israelische Atomanlage Dimona zu zerstören; geplant war eine großangelegte Operation: Landung an der Küste Israels, Einsatz strategischer Bomber.

  8. Gordian Gudenus (Kairo) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 19.5. 1967: Mittelostkrise, in: Berichte aus Israel (Anm. 5), Bd. 9, 1966-1968, Dok. 46.

  9. Gordian Gudenus (Kairo) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 22.5. 1967: Besuch U Thants in Kairo, in: ebd., Dok. 47. Vgl. auch Moshe Schemesh, Arab Politics, Palestinian Nationalism and the Six Day War: The Crystallization of Arab Strategy and Nasir's Descent to War, 1957-1967, Eastbourne 2007.

  10. Gordian Gudenus (Kairo) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 29.5. 1967: Pressekonferenz Präsident Nassers, in: Berichte aus Israel (Anm. 5), Bd. 9, 1966-1968, Dok. 50.

  11. Ebd.

  12. Zit. nach M. B. Oren (Anm. 2), S. 133.

  13. "Israel will not be alone unless it decides to go it alone". Memorandum of Conversation, 26.5. 1967, in: FRUS (Anm. 3), Doc. 77.

  14. Ebd., Doc. 70.

  15. Ebd., Doc. 86. Laut M. B. Oren (Anm. 2), S. 123, hatte Johnson geschrieben: "Presumptive action by Israel would make it impossible for the friends of Israel to stand at your side." Dies sei entscheidend für das 9 : 9-Ergebnis gewesen. Nach Veröffentlichung des FRUS-Bandes kann man das überprüfen: Johnson hatte genau diesen Satz aus dem Entwurf gestrichen; FRUS (Anm. 3), S. 163.

  16. Vgl. Walther Peinsipp (Tel Aviv) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 9.6. 1967: Vor einer Neuordnung des Nahen Ostens?, in: Berichte aus Israel (Anm. 5), Bd. 9, 1966-1968, Dok. 58.

  17. Intelligence Memorandum CIA, 3.6. 1967, in: FRUS (Anm. 3), Doc. 143, und Draft Briefing by CIA-Director Richard Helms, 14.6. 1967, in: ebd., Doc. 297.

  18. Vgl. M. B. Oren (Anm. 2), S. 146f.; R. B. Parker (Anm. 2), S. 139f.

  19. Vgl. M. B. Oren (Anm. 2), S. 147.

  20. Memorandum for the Record, in: FRUS (Anm. 3), Doc. 124.

  21. Vgl. L. Breshnew (Anm. 4), S. 20.

  22. Ebd.

  23. Ebd.

  24. Ebd., S. 21.

  25. M. Dayan (Anm. 1), S. 260.

  26. L. Breshnew (Anm. 4), S. 29f.

  27. Ebd., S. 22.

  28. Ebd., S. 27.

  29. Ebd.

  30. Ebd., S. 28. Die englische, wortgleiche Übersetzung dieser Botschaft jetzt in: FRUS (Anm. 3), Doc. 243.

  31. Syrien, "der Augapfel der Russen", so Botschafter Llewellyn Thompson in Washington im Rückblick, in: ebd., Doc. 245.

  32. Vgl. Memorandum for the Record, in: ebd., Doc. 244.

  33. Ebd., Doc. 246.

  34. L. Breshnew (Anm. 4), S. 28.

  35. Eines der bis heute bestgehüteten Geheimnisse - wenn es denn eines ist - betrifft die Ereignisse rund um das CIA-Spionageschiff USS Liberty, das sich in internationalen Gewässern vor der Sinai-Küste aufhielt. Am 8. Juni wurde es von der israelischen Luftwaffe und der Marine angegriffen und schwer beschädigt; 34 Besatzungsmitglieder wurden getötet, 172 zum Teil schwer verletzt. Israel sprach von einem "tragischen Irrtum", die Johnson-Regierung akzeptierte diese Version. Die Identität des Schiffes war Israel bekannt. Es gibt zahlreiche Spekulationen über das Motiv des Angriffs, dadie Liberty den gesamten Funkverkehr im Nahen Osten überwachen konnte.

  36. Kurt Waldheim (New York) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 10.6. 1967: Der israelische Sieg und seine Konsequenzen, in: Berichte aus Israel (Anm. 5), Bd. 9, 1966-1968, Dok. 59.

  37. Friedrich Bauer (Tel Aviv) an Außenminister Lujo Toncic'-Sorinj (Wien), 25.7. 1967: Bestandsaufnahme und Stimmungsbericht, in: ebd., Dok. 74.

  38. Vgl. Rolf Steininger, Der Nahostkonflikt, Frankfurt/M. 20074, S. 47 und S. 107.

Dr. phil., geb. 1942; Senior Fellow des Eisenhower Center for American Studies der University of New Orleans/USA und Jean-Monnet-Professor; O. Professor, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Innrain 52, 6020 Innsbruck/Österreich. www.rolfsteininger.at
E-Mail: E-Mail Link: rolf.steininger@uibk.ac.at