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Lady Di - Die moderne Madonna

Ulrich Steuten Hermann Strasser Hermann Ulrich Steuten / Strasser

/ 15 Minuten zu lesen

Mit jedem ihrer mariengleichen Züge wurde Lady Di zur Projektionsfläche vielfältiger Identifikationsbedürfnisse. Das alles wäre ohne den Antrieb von Vermarktungsinteressen und die Überzeichnung durch die Medien nicht möglich gewesen.

Einleitung

In der Nacht zum 31. August 1997 kam die britische Prinzessin Diana Frances Mountbatten-Windsor, geborene Spencer, bei einem tragischen Autounfall in Paris ums Leben. Ihr Tod löste weltweit eine Welle der Trauer und Anteilnahme aus, wie es sie äußerst selten gegeben hat. Nach Schätzungen verfolgten mehr als zwei Milliarden Menschen die Trauerfeierlichkeiten im Fernsehen oder Rundfunk, über eine Million Menschen versammelten sich in den Straßen entlang des Trauerzugs zu Londons Westminster Abbey. Und in den folgenden Jahren ist ein Prozess der Glorifizierung von "Lady Di", wie die Prinzessin von Wales schon zu Lebzeiten im Volksmund genannt wurde, in Gang gekommen.





Allenfalls die Ermordung John F. Kennedys dürfte in den vergangenen Jahrzehnten ein vergleichbares Echo der Bestürzung und des Mitgefühls ausgelöst haben. Ähnlich wie bei Kennedy sind die Spekulationen über die Hintergründe ihres Todes bis heute nicht abgerissen. Verschwörungstheorien oder Gerüchte über die Beteiligung ausländischer Mächte oder des britischen Geheimdienstes machen in den Gazetten die Runde. Erst vor kurzem kam es zu einer höchstrichterlichen Entscheidung, dass kein Beweis vorliege, "dass Prinz Philip den Mord der Prinzessin von Wales angeordnet hat". Doch anders als nach dem gewaltsamen Tod des amerikanischen Präsidenten ist auch elf Jahre nach Prinzessin Dianas Tod immer noch eine starke emotionale Anteilnahme breiter Bevölkerungsschichten wahrzunehmen.

Die authentischen Bekundungen von Trauer und Wertschätzung, die der Toten weltweit entgegengebracht und seit Jahren von mehreren Seiten instrumentalisiert werden, sind unübersehbar. Das Leben und Sterben der Prinzessin von Wales ist offensichtlich geeignet, einer populären Mythenbildung in der modernen Gesellschaft Substanz zu verleihen. Vor allem bietet es die Möglichkeit, einen modernen Kult zu etablieren, der sich im Zuge politischer Opportunitäten und kommerzieller Interessen steuern und nutzen lässt. Doch was macht Lady Di zu einer derart idealen Kultfigur?

Kulte

Soziologisch betrachtet, besteht ein Kult aus einem Objekt der Verehrung und einer verehrenden Gemeinschaft. Das verehrte Objekt kann ein göttliches Wesen, eine weltliche Person (ein Star), eine Organisation (Fußballvereine wie Boca Juniors oder Real Madrid), ein Naturphänomen (ein heiliger Berg) - oder auch der eigene Körper sein. Die Anhängerschaft ist - anders als beim religiösen Kult in Verbindung mit einer Kirche - meist recht lose strukturiert und oft wenig beständig. Kultgemeinschaften bestehen aus Gruppen oder Individuen, die auf Grund persönlicher Erfahrungen eine ähnliche Gesinnung teilen. Bildet ein Gott das Zentrum des Kultes, so umgibt ihn eine ihn "vergötternde" Gemeinde. In modernen Gesellschaften sind es in der Regel charismatische Personen wie Politiker, Künstler oder Sportler, also irdische Götter, um die sich ein Kult bildet.

Bereits Ende der 1940er Jahre thematisierte Karl Jaspers solche Arten der Vergötterung. Neben dem Nihilismus und der Dämonologie befasste er sich in seinen Betrachtungen der Erscheinungsformen des philosophischen Unglaubens mit der "Menschenvergötterung": "Es ist ein universales Phänomen, daß Menschen einen einzelnen Menschen schwärmerisch verehren, ihn zum Übermenschen steigern, in ihm das Ideal des Menschseins verwirklicht sehen. Sie sind geneigt (...) von ihm Wunder zu erwarten". Diese Vergötterung, so Jaspers, wirke auf den "als heilig Angeschauten" zurück. Er werde von seinen Anhängern so bedrängt, dass er sich gezwungen fühle, sich so zu verhalten, wie diese es von ihm erwarten.

Untersuchungen moderner Psychologen weisen heute eine Wirkung auch in der umgekehrten Richtung nach: Parasoziale Beziehungen, wie sie in der Bewunderung und Glorifizierung von "Berühmtheiten", so genannten celebrities, zum Ausdruck kommen, können für Menschen mit niedriger Selbsteinschätzung positive Effekte im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung haben. Unbedroht von Zurückweisungen, wie sie in realen sozialen Beziehungen möglich und an der Tagesordnung sind, kann ihnen die "Menschenvergötterung" dazu verhelfen, Selbstzweifel abzubauen und ihrem Selbst-Ideal näher zu kommen.

Den Erwartungen ihrer Millionen Verehrer entsprach die Princess of Wales - und zwar in jeder Weise, wie noch zu zeigen sein wird. Ihr Kristallisationskern war allerdings kein eng verstricktes Kollektiv, sondern eine neuzeitliche Fangemeinde von global prayers, keineswegs nur "low self-esteemed individuals", sondern allesamt unersättliche "Verbraucher von Mythen", wie der Zeichendeuter Roland Barthes sie einmal beschrieb.

Die Gejagte und ihre Jäger

Einen Diana-Kult kannten bereits die alten Griechen und Römer. Die römische Diana, die, der griechischen Artemis gleich, als Mutter-, Tier- und Jagdgöttin verehrt wurde, hatte ihre bedeutendste Kultstätte am Berge Tifata bei Capua. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen, dass die Göttin beim Bade vom übermütigen Aktaion beobachtet worden sei und sie ihn deshalb in einen Hirsch verwandelt und seine eigenen Hunde auf ihn gehetzt habe.

Lady Diana war zwar keine Göttin der Jagd, aber auch sie wurde beobachtet, von sensationsgierigen Fotografen, die ihr auf Schritt und Tritt, und am letzten Tag ihres Lebens in höllischem Tempo per Auto folgten. Als Princess of Wales war Diana niemals vor den Objektiven der Paparazzi sicher, von den Agenten der yellow press wurde sie bis in ihre Intimsphäre verfolgt. Während Griechen und Römer der Göttin Diana Opfer brachten, wurde Lady Di selbst zum Opfer einer Jagd - ein tragischer Umstand, der jedoch für die gesellschaftliche Konstruktion einer Kultfigur nicht unerheblich ist, wie die Beispiele von Che Guevara und Martin Luther King, Sissi und Grace Kelly, Elvis Presley und John Lennon zeigen. So verweist man auch gerne auf das Laszive oder das Tragisch-Komische, wenn es um die Frage geht, was eine Diva zur Diva mache.

Bereits kurz nach ihrem Tod wurden zu ihren Ehren die ersten Kultstätten errichtet. Im Londoner Harrods, einem der größten Kaufhäuser der Welt, wurde ein frei zugänglicher Altar aufgebaut, an dem Einheimische wie Touristen aus aller Welt Blumen und andere Opfergaben niederlegen konnten. Ein Jahr später entstand um ihre Grabstätte in Althorp, dem Familiensitz der Spencers, eine komplette Tempelanlage einschließlich eines Museums mit florierendem Devotionalienhandel. Am Eingang des Pariser Tunnels, in dem sie starb, wurden die über Jahre wahllos dargebrachten Huldigungs- und Erinnerungsbekundungen schließlich durch ein Denkmal, der so genannten "Flame of Liberty", ersetzt. Als sicherlich nicht letzten Akt offizieller Ehrerbietung weihte Königin Elisabeth II. 2004 im Londoner Hyde Park einen Diana-Gedächtnisbrunnen ein.

Abgesehen von diesen klassisch-konventionellen Formen der Verehrung ist das Leben von "England's Rose" unter anderem in Liedern ("Candle in the Wind"), Büchern, Verfilmungen, einem Musical ("Diana", 2002 in Görlitz uraufgeführt) und einem Ballett ("Diana the Princess") aufgehoben. Faktisch wirksamer sind die unzähligen Trauerbekundungen, Briefe, Danksagungen und Bitten, die der Verstorbenen von Millionen Verehrern auf der ganzen Welt bis heute entgegengebracht werden. Noch fünf Jahre nach ihrem Tod wählten Diana-Fans ihr Idol im Rahmen einer BBC-Umfrage zur drittwichtigsten Figur der britischen Geschichte. Zum zehnten Jahrestag ihres Unfalltodes fand in London ein pompöser Gedenkgottesdienst statt. Wochen zuvor, am 1. Juli 2007, hatten Dianas Söhne, die Prinzen William und Harry, im neuen Londoner Wembley-Stadion bereits "mit einem rauschenden Pop-Konzert (...) das Leben unserer Mutter" gefeiert.

Längst hat der Kommerz von diesem Kult Besitz ergriffen, und ein Princess of Wales Memorial Fund versorgt die Verehrer mit einer ausufernden Produktpalette. Der Devotionalienhandel umfasst neben Briefmarken und Münzen auch Tonträger, Kaffeetassen, Teller, Löffel, T-Shirts, Teddybären und Duftkerzen mit Bildnis oder Namen der Prinzessin. Versuche, mit Dianas Namen Margarine zu vermarkten, sie als Superheldin in einem Comic zu platzieren sowie das Computerspiel "Diana Tunnel-Rennen" lösten Empörung aus und wurden zum Teil juristisch unterbunden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Briten den Diana-Gedenkmarathon von 2007 als "Geldmaschine" bezeichneten.

Am ehesten lässt sich die Vermarktung von Diana als Idol noch mit Elvis Presley vergleichen, dessen 30. Wiederkehr seines Todestages inzwischen in Memphis zu einem achttägigen Event angeschwollen ist. Die Aktivitäten reichen von einem Elvis Gospel Breakfast über eine Bären-Schnitzeljagd in Elvis' Graceland Mansion bis zu Karaoke, Kunstwettbewerben und Veranstaltungen im Elvis Presley Car Museum. Überdies werden jedes Jahr rund 600 000 Menschen durch Graceland - seit 2006 als National Historic Landmark ausgewiesen - geschleust. Kaum geeignet für einen Vergleich ist dagegen die selbst ernannte Madonna (Louise Veronica Ciccione), die Herrscherin des Pop, die als "am härtesten arbeitende Frau im internationalen Showgeschäft" gilt. Mit ihrem Hang zur selbstquälerischen Darstellungslust erfindet sie sich als ein Kind der Zeit immer neu, scheinbar alterslos. Sie schaffte es, im wahrsten Sinne des Wortes, den amerikanischen Traum von der Tellerwäscherin zur Millionärin in wenigen Jahren zu verwirklichen. Ähnlich wie Lady Di wird sie bereits zu Lebzeiten zur Legende, die von außerordentlichen Leistungen in einem individualisierten Leben kündet - in einer aufmerksamkeitsorientierten Welt Zeichen einer Art von Erlösung, die für viele Fans zur Nachahmung bestimmt sind.

Jenseits aller Spielarten des "Kultmarketings" erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung, insbesondere der Formen alltäglicher Ehrbezeugungen, dass die Idolisierung der "Königin der Herzen" auffallend der einer christlichen Heiligen ähnelt.

Lady Di - Die moderne Madonna?

Im Grunde genommen hätte eine andere Persönlichkeit der 1990er Jahre größere Chancen haben müssen. Angesichts ihrer Verdienste um die Armen Indiens wäre Mutter Teresa, die Ordensfrau aus Kalkutta, sicherlich prädestiniert gewesen, an erster Stelle der aktuellen Heiligenanwärter zu rangieren. In ihrem langen Leben - sie starb 87-jährig zwei Wochen nach Prinzessin Diana - stand sie bis kurz vor ihrem natürlichen Tod "an der Front des Elends", nämlich in den Slums von Kalkutta, und kümmerte sich um die Ärmsten der Armen. Obwohl ihr soziales Engagement das des "kümmerlich entwickelten, verwöhnten Upper-Class-Girls" sicherlich um ein Vielfaches übertroffen haben dürfte, fand ihr Tod, verglichen mit dem Dianas, eine sehr viel geringere und bei weitem nicht so nachhaltige Beachtung.

Wie ist zu erklären, dass der Tod der vom britischen Königshaus verstoßenen Prinzessin die Menschen stärker bewegte als das Lebensende der Friedensnobelpreisträgerin aus Indien? Was macht die Faszination dieser Frau aus, "die der Menschheit weder ein politisches Programm noch eine Kurzgeschichte, weder ein Lied noch ein annehmbares Gemälde (...), ja nicht einmal einen einzigen mehr oder weniger bemerkenswerten Gedanken geschenkt hat"? Immerhin galt Mutter Teresa als "das gute Gewissen des 20. Jahrhunderts", und schon sechs Jahre nach ihrem Tod verkündete Papst Johannes Paul II. die Aufnahme Mutter Teresas in den Reigen der Seligen und Heiligen des Himmels.

Anders als Mutter Teresa, stellte Lady Diana Spencer gleich in mehrfacher Weise und für verschiedene Zielgruppen eine ideale Identifikationsfigur dar. Für die einen war sie die junge, attraktive, fotogene und emanzipierte Frau, für viele andere verkörperte sie das Leitbild der Ehefrau und Mutter mit all den alltäglichen Nöten und Sorgen, die mit diesen Rollen verbunden sind; für wieder andere war sie die uneigennützige Wohltäterin und für nicht wenige sicher auch eine Art Jeanne d' Arc, eine Vorkämpferin gegen die Verkrustungen des britischen Adels. Wenngleich einige dieser Zuschreibungen auf den ersten Blick widersprüchlich sein mögen, so erscheint hinter der persönlichen Gestaltung und medialen Positionierung die Princess of Wales als eine moderne Heilige.

So spiegelt sich in ihrem Erscheinungsbild auch der Wandel der britischen Gesellschaft, in der in den 1980er Jahren der Starkult den Klassenkult hinter sich ließ. Viele Konservative auf der Insel sehen vor allem in Diana den Grund für das Entstehen einer celebrity culture, auch wenn Jacqueline Kennedy und Grace Kelly, ja Hollywood schlechthin, und sogar die junge Elisabeth II. im eigenen Land frühe Beispiele für den kommenden Starkult waren. Nur Lady Di stand nicht so sehr "da oben"; sie befand sich vielmehr "auf Augenhöhe", wie auch der Höhepunkt des Zerwürfnisses mit dem Hause Windsor zu beweisen schien, als ihr der Titel "Königliche Hoheit" aberkannt wurde und sie ihn gegen die Hoheit des Menschlichen eintauschte.

Die attraktive Schönheit

Keine Frau, so wurde oft behauptet, sei so häufig fotografiert worden wie Lady Diana. Wenngleich es für Mitglieder aller Adelsgeschlechter der Welt sicherlich nicht außergewöhnlich ist, begehrtes Ziel von Fotografen zu sein, so liegt im Fall der Princess of Wales doch eine Besonderheit vor.

Spätestens seit der Bekanntgabe ihrer Vermählung mit Prinz Charles bis zu ihrem Tod galt sie als eine der besonders attraktiven Erscheinungen innerhalb der adeligen Welt. Sowohl ihre anfängliche Schüchternheit und Verlegenheit im Umgang mit der medialen Öffentlichkeit wie später ihre selbstbewusste Inszenierung ihrer Person stellten offensichtlich einen hohen fotografischen Anreiz dar. Die aufwändig arrangierte Hochzeit machte die gerade 18-jährige Kindergärtnerin 1981 in den Augen Vieler zu einer wunderschönen Märchenprinzessin. Doch hätten sich damals nur wenige an den Ausspruch des Malers Mario Cavaradossi "Diese Weiber machen der Madonna Konkurrenz" in Giacomo Puccinis Oper "Tosca" oder daran erinnert, wie sein Gegenspieler, der Polizeichef Scarpio, die Sängerin Tosca mit "Tosca, du lässt mich Gott vergessen" anhimmelt.

Wahrscheinlich war es gerade diese Kombination aus mediengerechter Designerkunst und dem Charme der Unbeholfenheit von Lady Di, die sie auch für jene, die für ihre Lebensorientierung ikonenhafter religiöser Leitbilder bedürfen, zu einer attraktiven Gestalt machten. Moderne Heiligengeschichten müssen "massenmedienfähig und darum auch immer Bilder sein", urteilt der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Michael Nüchtern, denn die Glorifizierung Dianas zeige exemplarisch, wie "Massen und Medien eine Person in einen überirdischen Zustand erheben" könnten.

Die Ehefrau und Mutter

Hätte sich die Princess of Wales als Gattin und Mutter so verhalten, wie dies in der Welt des Hochadels üblich ist, wäre sie wahrscheinlich nicht zu jener Identifikationsfigur geworden, zu der sie letztlich aufstieg. Die Besonderheit ihres Verhaltens lag darin, in der Öffentlichkeit mehr als nur ansatzweise bewusst königliche Distanziertheit und Steifheit aufzuheben.

Wenn sie wie andere Mütter mit ihren Kindern spielte, mit ihnen zu McDonald's ging oder am Wettlauf mit anderen Kindergartenmüttern teilnahm und dies medienwirksam zur Schau stellte, dann war sie eine Frau des Volkes, "eine von uns", scheinbar allen Normalsterblichen gleich. Wenn sie unter ihrem lieblosen und treulosen Ehemann litt und dies auch öffentlich zeigte, dann ging es ihr - so mochte man glauben - nicht anders als Tausenden hintergangenen und betrogenen Frauen im Königreich und anderswo.

Mehr noch, sie erschien Vielen als eine Frau auf der Suche nach ihrem Leben. Denn als dritte Tochter des Viscount Johnnie Althorp, des 8. Earl Spencer, und seiner zwölf Jahre jüngeren Frau Frances entpuppte sich Diana Frances Spencer als ein Kind zum falschen Zeitpunkt mit dem falschen Geschlecht, in der sich eine Katastrophe an die andere reihte, wie einer ihrer Biografen unlängst ihren Lebenslauf charakterisierte. Vielleicht kommt in solchen Lebensläufen, die vom Scheitern bedroht sind, der Tod einer Erlösung gleich, indem er, wie im Falle Dianas, das irdische Idol in eine ruhmreiche Legende verwandelt.

Nach Dianas Scheidung von Prinz Charles kam eine weitere Komponente hinzu: Auch als geschiedene Frau, als "alleinerziehende" Mutter und als vom königlichen Hof Verstoßene war ihr die Faszination der Massen gewiss, weil sie öffentlich ihre Trauer und Verletztheit zeigte und eben nicht hinter der Maske adeliger Etikette verbarg. Auch in dieser Rolle nahm Diana madonnenhafte Züge an. Sie offenbarte dem Volk das Leiden einer unschuldigen Mutter, bewahrte trotz aller Demütigungen Würde und verzieh ihren Peinigern.

Die Wohltäterin

Die Rolle eines Wohltäters lässt sich in verschiedener Weise ausfüllen. Man kann, wie es der amerikanische Medienmogul Ted Turner getan hat, den Vereinten Nationen demonstrativ eine Milliarde Dollar überlassen. Man kann - dies hat neben Anderen Mutter Teresa getan - systematisch ein verzweigtes Netzwerk karitativer Zentren aufbauen. Lady Diana ist in keiner dieser Formen philanthropischen Handelns hervorgetreten.

Sicherlich hat auch sie Stiftungen und Fonds ins Leben gerufen, denn sie war Präsidentin oder Schirmherrin von über hundert Wohltätigkeitsvereinen, doch ist ihr weltweites bürgerschaftliches Wirken den "kleinen Leuten" eher in einer anderen Weise im Gedächtnis geblieben. Marita Haibach hat diese "neue Dimension im wohltätigen Engagement" treffend beschrieben: "Sie zeigte echte Nähe, ehrliche Gefühle (...). Diana setzte sich auf das Bett von Todkranken, (...) während sich die anderen königlichen Besucher höchstens auf den Stuhl wagten, der neben dem Bett stand." Wiederum sind es die menschlichen Züge der Prinzessin, die Abkehr vom distanzierenden Protokoll, Authentizität und Aufrichtigkeit ihrer Gefühle, die eine Identifikation mit ihr so wünschenswert machen. "Wer auch immer in Not ist, kann auf mich zählen", so steht es auf ihrem Schrein in Althorp.

Die Rebellin

Diana galt als unbequem - und war es, gemessen an den Ansprüchen der englischen Königsfamilie, wohl auch. Sie tat sich schwer mit der steifen Etikette am Hofe, besonders unter den wachsamen Augen von Queen Elisabeth. Das unnachgiebige höfische Zeremoniell mit seinen Empfängen und Besuchen, kurz der weltfremden aristokratisch-distinguierten Lebensführung, entsprach wenig ihrem Naturell. Diana litt unter den Spannungen zwischen ihren Neigungen und der Pflicht, die persönlichen Präferenzen auf dem Altar der Monarchie und deren moralischen Maßstäben opfern zu müssen.

Ihre Rebellion bestand darin, die Entzauberung der britischen Monarchie und speziell der Windsor-Familie eingeleitet zu haben. Tat sie dies anfänglich noch in harmloser Form, etwa indem sie in einer unprätentiösen Weise ihre Nähe zum gemeinen Volk zeigte und Momente ihres Privatlebens preisgab, so wurde sie im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einer Art unbeauftragter Spionin des Volkes im Hause der Windsors. Zuletzt offenbarte sie das "in her own words", indem sie ihrem Biografen Andrew Morton eine öffentliche Beichte ablegte. "Sie entsakralisierte die Institution des Königshauses, indem sie die königliche Familie als mehr oder minder durchschnittlich neurotische Kleinfamilie erscheinen ließ", wie es Rebekka Habermas auf den Punkt brachte.

Die heilige Diana

Auch die heilige Maria ist keine tote Heilige. Maria ist in der modernen Gesellschaft unter allen Heiligen im katholischen Christentum und, wenngleich in etwas geringerem Maß, im Islam eine begehrte, verehrte und vielfach angerufene Heilige und Schutzpatronin, deren Nähe und Beistand gesucht wird.

Konkret zeigte sich dies in der jüngeren Vergangenheit in vielfacher Weise, so während des Streiks der Danziger Werftarbeiter in den 1980er Jahren, als diese zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau pilgerten und Marienbilder auf dem bestreikten Werksgelände aufhängten. Vielleicht noch deutlicher zeigte sich dies im Sommer 1999 in der aufflackernden Marienverehrung im saarländischen Marpingen, die zu einem kurzzeitigen, allerdings von der katholischen Hierarchie gestoppten Pilgertourismus führten. Ungebrochen erweist sich die Marienverehrung in der Moderne als Ausdruck von Volksfrömmigkeit in Kapellen, Wegkreuzen, Votivtafeln, Gebeten, Fürbitten und Wallfahrten. Zentrale Bezugspunkte sind dabei die der Gottesmutter Maria immer wieder zugeschriebenen charakteristischen Eigenschaften: ihre Barmherzigkeit, ihr Verständnis für das menschliche Leid und allzu menschliche Schwächen, ihre Parteinahme für die Benachteiligten dieser Welt.

Die Parallelen zwischen Lady Diana und der heiligen Maria sind augenfällig. Als "People's Princess" erbarmte sie sich im Stil einer advocata der "Unberührbaren" unserer Zeit. Von Landminen Verkrüppelten und Obdachlosen schenkte sie ihr Mitgefühl, indem sie ostentativ deren - auch körperliche - Nähe suchte. Aidskranken wurde sie zur Fürsprecherin - ohne moralische Verurteilung und gottväterlich mahnende Worte. Ihr eigenes Leid als betrogene und vom Königshaus verstoßene Ehefrau ertrug sie dem Anschein nach tapfer und ohne falsche Beschönigung. Mit der Inszenierung ihrer offen und öffentlich eingestandenen und mit Würde ertragenen Erniedrigung wie auch mit dem Eingeständnis ihrer Depressionen, Magersucht und Suizidgefährdung repräsentierte sie, gleichsam als eine moderne mater dolorosa, das unverdiente Schicksal aller Schwachen und Kranken im Volk.

In jedem dieser mariengleichen Züge wurde sie - freilich unterstützt, überzeichnet und vorangetrieben von Massenmedien und Kommerz - zur Projektionsfläche vielfältiger, auch ambivalenter Identifikationsbedürfnisse. Massenmediale Modellierung wie auch die drängenden Erwartungshaltungen ihrer Verehrer formten sie zu einer der herausragenden säkularen Heiligen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, posthum zu einer Ikone, die passgenau mit den unspezifischen religiösen Orientierungen einer modernen Gesellschaft korrespondiert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Welt vom 2. April 2008.

  2. Vgl. Anthony Giddens, Soziologie, Graz-Wien 1995, S. 498.

  3. Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, Frankfurt/M. 1958, S. 113.

  4. Jaye Derrick et al., Parasocial relationships and self-discrepancies: Faux relationships have benefits for low self-esteem individuals, in: Personal Relationships, 15 (2008) 2, S. 261 - 280.

  5. Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt/M. 1974, S. 113.

  6. Vgl. Michael Nüchtern, Die (un)heimliche Sehnsucht nach Religiösem, Stuttgart 1998, S. 16ff.

  7. Frankfurter Rundschau vom 15. Dezember 2006; Ulrich Steuten/Hermann Strasser, Die heilige Diana, in: Die Welt vom 25. August 2007.

  8. Peter E. Müller, Material Girl, in: Die Welt vom 16. August 2008, S. 32.

  9. Vgl. Werner Stark, The Social Bond: An Investigation into the Bases of Law-abidingness. Bd. 4: Ethos and Religion, New York 1983, S. 49ff.

  10. Vgl. Norbert Bolz/David Bosshard, Kultmarketing. Die neuen Götter des Marktes, Düsseldorf 1995.

  11. Der Spiegel, Jahreschronik 1997, S. 235.

  12. Leon de Winter, Lady Madonna, in: ebd., S. 196.

  13. In seiner Jahreschronik 1997 widmet Der Spiegel der verunglückten Prinzessin 13 Seiten (inkl. 13 Fotos); für Mutter Teresa gibt es gerade zehn Zeilen auf zwei Seiten (inkl. zwei Fotos). In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen in der Woche nach Dianas Tod knapp 80 Beiträge über die britische Prinzessin.

  14. Vgl. L. de Winter (Anm. 12), S. 196.

  15. Thomas Kielinger, Nach Diana, in: Die Welt vom 31. August 2007, S. 10.

  16. Tatsächlich inspirierte der Tod von Diana den Schriftsteller Robert Menasse zu einem Märchenbuch über ihr Leben. Vgl. Robert Menasse et al., Die letzte Märchenprinzessin. Moderne Mythen, reale Märchen, Frankfurt/M. 1997.

  17. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 26. August 1998.

  18. Vgl. Helmut-Maria Glogger, Diana. Eine Frau sucht ihr Leben, München 2007.

  19. Vgl. L. de Winter (Anm. 10), S. 200. Zur Mutterrolle vgl. auch Mechthild Jansen, Der feministische Diskurs: Diana und die Emanzipation, in: Sabine Berghahn/Sigrid Koch-Baumgarten (Hrsg.), Mythos Diana - von der Princess of Wales zur Queen of Hearts, Gießen 1999, S. 193ff.

  20. Marita Haibach, Die drei Gesichter der Philanthropie, in: Frankfurter Rundschau vom 11. April 1998, S. 20.

  21. Allerdings räumt eine neue Biografie von Tina Brown (Diana - Die Biografie. München 2007) mit dem Mythos der "Königin der Herzen" auf und präsentiert sie keineswegs als Unschuldslamm. Sie entlarvt sie als hintertrieben und berechnend, auch wenn sie, wie die Biografin meint, trotz ihrer Hinterhältigkeit immer noch besser gewesen sei als alle um sie herum.

  22. Rebekka Habermas, The People's Princess. Heiligenverehrung und Marienkult, in: S. Berghahn/S. Koch-Baumgarten (Anm. 19), S. 112.

Dr. phil., geb. 1957; Dipl.-Pädagoge in der Erwachsenenbildung und Lehrbeauftragter für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen.
E-Mail: E-Mail Link: ulrich.steuten@uni-due.de

Dr. rer. oec., PhD, geb. 1941; em. Professor für Soziologie, Leiter der Forschungsgruppe Sozialkapital an der Universität Duisburg-Essen.
E-Mail: E-Mail Link: hermann.strasser@uni-due.de