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Der IWF auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? | Internationale Finanzpolitik | bpb.de

Internationale Finanzpolitik Editorial Stabilität des internationalen Finanzsystems Der IWF auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? Weltweite Ansteckung: berechtigte Sorge oder grundlose Panik? Leistungsbilanzdefizit der USA Das chinesische Wechselkurssystem Finanzmärkte als Entwicklungshemmnis

Der IWF auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

Heribert Dieter

/ 15 Minuten zu lesen

Der IWF befindet sich in der schwersten Krise seit seiner Gründung. Die Finanzkrise schwächt den Fonds weiter. Ein weiteres Problem betrifft den großen Einfluss der alten Industrieländer.

Einleitung

Um den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Anders als zu Zeiten der Asienkrise in den Jahren 1997 und 1998 oder des Zusammenbruchs der argentinischen Wirtschaft im Jahr 2002 muss der Fonds gegenwärtig keine schweren Turbulenzen bewältigen. Die letzte größere Krise eines Entwicklungs- oder Schwellenlandes liegt bereits sechs Jahre zurück. Die Debatte über die künftige Arbeit des Fonds beschäftigte sich seitdem mit wenig kontroversen Themen wie etwa der Verbesserung der Finanzmarktaufsicht. Problematische Fragen wurden vernachlässigt: Weder bei der Krisenvorsorge noch beim wesentlich bedeutenderen Krisenmanagement hat der IWF bislang überzeugende neue Konzepte vorgestellt. Die aktuelle Finanzkrise in den USA verschärft nun den Druck auf den Fonds. Zwar ist der IWF nicht unmittelbar in die Bewältigung der Krise eingebunden. Aber in den USA steht das Modell der Organisation nationaler Finanzmärkte, das der IWF über Jahrzehnte hinweg als modellhaft gepriesen hat, auf dem Prüfstand.



Der IWF und sein seit dem 1. November 2007 amtierender neuer geschäftsführender Direktor Dominique Strauss-Kahn stehen also unter Druck. Im Jahr 2007 wurde indes vor allem über die Frage diskutiert, wer der Nachfolger des bisherigen geschäftsführenden Direktors, Rodrigo Rato, werden sollte. Eine nennenswerte Debatte über die Politik des IWF war hingegen nicht zu verzeichnen. Dabei gibt es viele Gründe, die Zukunft des Internationalen Währungsfonds zu diskutieren. Der wichtigste ist: Dem Fonds laufen die Kunden weg. Zwei wichtige, in den 1990er Jahren noch stark vom IWF beeinflusste Regionen, Ostasien und Lateinamerika, haben sich inzwischen von ihm abgewendet. Da eine tief greifende Reform des Fonds, zum Beispiel eine deutliche Stärkung der Stimmrechte der Entwicklungs- und Schwellenländer oder eine grundsätzliche Änderung der Kreditvergabe, nicht erfolgt, entwickeln beide Regionen - auf sehr unterschiedliche Art und Weise - Methoden, um sich vom IWF zu emanzipieren.

Die Abwendung vieler Länder vom IWF hat sich bereits in dessen Bilanzen niedergeschlagen. Die Summe ausstehender Kredite ist von rund 98 Mrd. US-Dollar im Jahr 2003 auf nur noch etwa 18 Mrd. US-Dollar im März 2007 drastisch gefallen. Diese Entwicklung führt nicht nur zu einem Bedeutungsverlust des IWF, sondern bereitet ihm handfeste Finanzierungsprobleme. Der Fonds bestreitet die Kosten für seinen Geschäftsbetrieb nicht etwa aus Beiträgen der Anteilseigner, sondern vorwiegend aus dem Zinsüberschuss, den er erwirtschaftet. Die Kreditnehmer des IWF finanzieren also den Apparat, und die dafür erforderlichen Mittel sind mit rund einer Mrd. US-Dollar pro Jahr nicht unerheblich. Falls es keine Veränderung bei den Neukrediten geben sollte, wird sich der IWF entweder verschulden, die Ausgaben senken oder von den Anteilseignern Zuschüsse zu den Verwaltungskosten verlangen müssen.

Betrachtet man die Zukunft des Fonds, fallen vor allem zwei ungelöste Probleme ins Auge: Erstens ist eine Reform der Stimmrechtsverteilung überfällig. Bislang ist der Fonds durch eine Asymmetrie gekennzeichnet: Die OECD-Länder, vor allem die USA, prägen die Politik des IWF, während die Auswirkungen dieser Politik vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer treffen. Zweitens war der IWF bislang nicht in der Lage, ein Konzept zur Bewältigung möglicher künftiger Finanzkrisen zu entwickeln, das die Regierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern überzeugt. Der IWF muss daher, wenn er zentrale Bedeutung für die internationale Finanzarchitektur behalten will, seine Kreditvergabepolitik ändern. Versäumen der Fonds und die seine Politik prägenden Regierungen die Einleitung umfassender Reformen, wird sich der Trend zur Herausbildung alternativer Regulierungs- und Sicherungssysteme fortsetzen. Ohne eine globale Institution, die glaubwürdig respektiert und demokratisch angemessen legitimiert ist, werden Entwicklungs- und Schwellenländer den bereits begonnen Prozess der Emanzipation vom IWF fortsetzen.

Die Abkehr Ostasiens vom IWF

In Ostasien wird der Trend zur Emanzipation vom IWF besonders deutlich. Die Volkswirtschaften der Region haben in den vergangenen zehn Jahren gigantische Währungsreserven akkumuliert. China einschließlich Hongkong verfügte Ende des Jahres 2006 über Devisenreserven von rund 1 100 Mrd. US-Dollar, die im Jahr 2007 auf über 1 300 Mrd. angewachsen sind. Südkorea hat seine Reserven seit 1998 auf über 240 Mrd. US-Dollar mehr als verzehnfacht. Und die Inselrepublik Singapur verfügt zurzeit mit knapp 140 Mrd. US- Dollar über höhere Währungsreserven als China im Jahr 1997.

Dank dieser Währungsreserven, die sich in der Region heute bereits auf mehr als 3 000 Mrd. US-Dollar summieren, werden die meisten Volkswirtschaften Ostasiens künftig in der Lage sein, spekulative Attacken auf die eigene Währung oder einen dramatischen Abfluss von ausländischem Kapital mit großer Aussicht auf Erfolg abzuwehren. Den IWF benötigen sie dazu nicht mehr. Zum Vergleich: In der Asienkrise wurden den ostasiatischen Ländern Thailand, Indonesien und Südkorea vom IWF, der Weltbank und bilateralen Gebern Kredite von insgesamt 110 Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Ganz offenkundig ist die in Asien zu beobachtende Anhäufung von Währungsreserven eine Reaktion auf das vom IWF angewandte Krisenmanagement. Staaten akkumulieren trotz der damit verbundenen hohen Kosten Reserven, um im Falle einer Finanzkrise liquide bleiben zu können. In vielen Ländern ist der Fonds kein gern gesehener Berater mehr. Selbst mehr als zehn Jahre nach Ausbruch der Krise in Asien sind die damaligen Wunden nicht völlig verheilt. Ein Problem ist dabei, dass aus den Erfahrungen der Asienkrisen vom IWF keine Lehren gezogen wurden.

Vordringlich bleibt ein effizienteres Krisenmanagement, und gerade zu diesem Punkt liefert der IWF keine Antworten. In der Folge der Asienkrise hatte er zunächst einige neue Kreditinstrumente geschaffen, etwa die Contingent Credit Lines (CCL), die jedoch inzwischen mangels Nachfrage schon wieder abgeschafft worden sind. Die Gründe für das mangelnde Interesse an den CCL liegen auf der Hand: IWF-Mitgliedsländer hätten sich einem Prüfprogramm unterziehen müssen, um in einer eventuell eintretenden Finanzkrise auf Kredite aus dem CCL-Programm zurückgreifen zu können. Damit waren zwei Probleme verbunden: Erstens hätte schon die Anmeldung eines Landes zum CCL-Programm den Argwohn der Akteure auf den internationalen Finanzmärkten hervorrufen können. Die präventive Maßnahme CCL hätte also ungewollt zu einer Krise führen können. Zweitens hätte die Vorab-Registrierung den Zugang zu Krediten nicht garantiert. Im Endeffekt hätten sich Regierungen also nicht darauf verlassen können, dass der IWF in einer Krise rasch und großzügig Mittel bereitstellt. Entwicklungs- und Schwellenländer haben ein solch ungenügendes Angebot verständlicherweise nicht in Anspruch genommen.

Entwicklungs- und Schwellenländer sind in den 1980er und 1990er Jahren immer wieder mit Finanzkrisen konfrontiert gewesen, und vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen erwarten diese Länder, dass der Fonds ein transparentes und bindendes Angebot zur Bereitstellung finanzieller Mittel in einer Kreditkrise macht, aber hierzu gibt es keine neuen Angebote. Im IWF wird zwar über ein neues Instrument, die Reserve Augmentation Line (RAL), diskutiert. Diese Kreditlinie soll schnell bereitgestellt werden und nur an minimale Konditionalität gebunden sein. Eine Implementierung dieses neuen Instruments ist aber noch nicht absehbar. Nicht zuletzt deshalb hält der Aufbau der immensen Währungsreserven an.

Die Staaten Ostasiens beschränken sich aber nicht auf die unilaterale Akkumulation von Devisenreserven. Zugleich arbeiten sie im Rahmen der so genannten Chiang-Mai-Initiative seit dem Jahr 2000 an der Entwicklung eines regionalen Liquiditätsfonds. Zunächst sahen die Vereinbarungen im Rahmen der Chiang-Mai-Initiative bilaterale Swaps, d.h. den Tausch von Landeswährung gegen andere Devisen, vor. Im Jahr 2007 erreichte das Gesamtvolumen dieser Vereinbarungen ein Niveau von 83 Mrd. US-Dollar. Zwar ist dies relativ wenig in Relation zu den Devisenreserven der beteiligten Länder. Bei der Bewertung des Kooperationsprozesses in der Region ist jedoch zu bedenken, dass es im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Allgemeinen und der finanzpolitischen im Besonderen bis vor wenigen Jahren überhaupt keine nennenswerte Kooperation gab. Damit hat Ostasien begonnen, ein neues internationales Regime zur Stabilisierung der Währungs- und Finanzbeziehungen zu schaffen. Zwar sind die Länder der Region noch nicht bereit, leistungsfähige regionale Institutionen aufzubauen, aber der Wunsch nach Emanzipation von der schwach legitimierten Macht des IWFs ist deutlich erkennbar.

Lateinamerika und der IWF

Auf ganz andere Weise hat Lateinamerika das Gewicht des IWF reduziert. Dort hatte der Fonds seit den 1980er Jahren ein ungewöhnlich hohes Maß an Einfluss auf die Wirtschaftspolitiken jener Länder ausgeübt, die im Zuge der Schuldenkrise auf den IWF und dessen Politikempfehlungen angewiesen waren. Ihnen gegenüber hatte der Fonds eine wirtschaftpolitische Linie durchgesetzt, die makroökonomische Stabilität in erster Linie mit Preisstabilität gleichsetzte, die Privatisierung von Staatsunternehmen förderte und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs erzwang.

In Lateinamerika waren einige der Musterschüler des IWF zu finden, und diese wurden besonders enttäuscht. Argentinien etwa setzte nach 1991 sämtliche Empfehlungen des Fonds um - vom Wechselkursregime über die umfassende Privatisierung von Staatsunternehmen bis zur unilateralen Senkung der Außenzölle. Noch 1999 lobte der IWF die Wirtschaftspolitik des Landes in den höchsten Tönen. Zwei Jahre später brach das Kartenhaus zusammen, und Argentinien erlebte eine sehr schwere Wirtschaftskrise. Viele Lateinamerikaner haben daraus den Schluss gezogen, dass sie Risiken ausgesetzt waren, ohne dass entsprechende Erfolgschancen bestanden hätten.

Auf eindrückliche Weise wurde der anhaltende Groll über den IWF im argentinischen Wahlkampf des Jahres 2007 deutlich. In einem Wahlwerbespot von Christina Fernandez, der heutigen Präsidentin des Landes, werden spielende Kinder gefragt, was der IWF sei. Die Kinder geben unterschiedliche Antworten, die freilich alle falsch sind. Die Botschaft von Frau Fernandez: Sie werde dafür sorgen, dass diese Kinder nie lernen, was der Internationale Währungsfonds ist. Selbst Dominique Strauss-Kahn räumte bei einer Argentinienreise im September 2007 die Fehler des IWF ein. Er stellte fest, dass viele Menschen in Argentinien glaubten, der IWF sei der Teufel, und diese Menschen hätten dafür gute Gründe.

In welcher Weise distanzieren sich die Länder Lateinamerikas nun vom Fonds? Der IWF ist für sie in mehrfacher Hinsicht unbedeutender geworden. Erstens haben die wichtigen Schuldner des Fonds, Argentinien und Brasilien, ihre Verbindlichkeiten vorzeitig getilgt. Am 13. Dezember 2005 kündigte Brasiliens Finanzminister an, die Restschulden von 15,5 Mrd. US-Dollar vorzeitig zurückzuzahlen, zwei Tage später erklärte Argentiniens damaliger Präsident Kirchner, auch sein Land werde die Forderungen des IWF in Höhe von 9,8 Mrd. US-Dollar noch im Jahr 2005 tilgen. Damit haben sich beide Staaten relativ unabhängig von den Auflagen des IWF gemacht.

Zweitens haben lateinamerikanische Länder ebenfalls damit begonnen, einen regionalen Gläubiger der letzten Instanz zu entwickeln. Der Fondo Latinamericano de Reservas (FLAR) wird wesentlich von der venezolanischen Regierung gefördert. Wie in Ostasien sind die Bedingungen der Kreditvergabe im Krisenfall vergleichsweise unklar, aber hier wie dort sind die Anstrengungen, sich vom IWF zu emanzipieren, deutlich erkennbar.

Noch bedeutender ist indes, dass das Beispiel Argentinien zeigt, wie viel vorteilhafter sich eine nationale Ökonomie ohne den Einfluss des IWF zu entwickeln vermag. Seit dem Crash des Jahres 2002 ist die Wirtschaft des Landes spektakulär gewachsen, mit Wachstumsraten von ca. neun Prozent pro Jahr. Selbst im Jahr 2007 werden noch immer beachtliche 8,3 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsproduktes erreicht werden. Die Exporte stiegen seit der Krise drastisch an, und Argentiniens Währungsreserven beliefen sich im Oktober 2007 auf immerhin 43 Mrd. US-Dollar. Überraschend ist, dass die Integration der argentinischen Wirtschaft in den Weltmarkt nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit dem IWF stark zunahm. Während der Warenhandel im Jahr 2000 nur 18,1 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachte, hatte sich dieser Wert im Jahr 2006 mit 37,7 Prozent mehr als verdoppelt. Im Jahr 2007 wird Argentinien sowohl in der Leistungsbilanz, in der Transaktionen mit dem Ausland erfasst werden, als auch im Staatshaushalt Überschüsse erwirtschaften.

Damit hat das zweitgrößte Land Lateinamerikas die Krise zwar noch nicht vollständig überwunden, aber die in Argentinien herrschende Einschätzung ist eindeutig: Die Empfehlungen des IWF führten das Land in eine schwere Krise. Ohne den Fonds können sich Wachstumskräfte besser entfalten. Die positiven Erfahrungen Argentiniens werden auch in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern zur Kenntnis genommen.

Der ungelöste Nord-Süd-Konflikt im IWF

Die Finanzkrisen in Asien und Lateinamerika und das Versagen des Krisenmanagements des IWF haben zur Folge, dass das Verhältnis zwischen den Regierungen aus diesen Regionen und dem IWF stark von Feindseligkeit und Misstrauen geprägt ist. Überspitzt formuliert: Viele Entwicklungs- und Schwellenländer haben das Vertrauen in die Politik der Industrieländer verloren. Insbesondere in Asien hat die Erfahrung, vom IWF und den USA in der Krise nur halbherzig unterstützt worden zu sein, ein anhaltendes Trauma verursacht. In Südkorea etwa gilt die Asienkrise als der zweite Fall "nationaler Schande". Als der erste wird die Kolonisierung durch Japan im Jahr 1910 angesehen.

Der Währungsfonds leidet zudem unter einem erheblichen Legitimationsdefizit, das sich deutlich in einem Nord-Süd-Konflikt niederschlägt. Innerhalb der Organisation haben die großen Anteilseigner, vor allem die USA, Vormachtstellung. Seit den 1970er Jahren hat kein OECD-Land den Fonds in Anspruch nehmen müssen, sieht man von den Neumitgliedern Mexiko (1994/95) und Südkorea (1997) einmal ab.

Die für den IWF ins Auge zu fassenden Reformen betreffen besonders zwei Bereiche: Zunächst geht es darum, den Entwicklungs- und Schwellenländern größere Mitspracherechte einzuräumen. Dies wird nur auf Kosten europäischer Länder möglich sein. Europa ist heute im Fonds deutlich überrepräsentiert. Insgesamt verfügen die Länder der Europäischen Union über 31,4 Prozent der Stimmrechte, die USA über weitere 17,1 Prozent. Die asiatischen Länder dagegen sind nicht angemessen vertreten. Zwar hat Japan einen eigenen Sitz und 6,1 Prozent der Stimmrechte, aber China beispielsweise besitzt weniger Stimmrechte als etwa Italien. Indonesien, ein Land mit mehr als 200 Millionen Einwohnern und wichtiger Kreditnehmer des IWF in der Asienkrise, hat weniger Stimmrechte als Schweden.

Die Länder der Europäischen Union verfügen nicht nur über fast ein Drittel der Stimmrechte, sondern stellen auch sieben der insgesamt 24 Exekutivdirektoren des IWF. Europa könnte durch eine Reduzierung der Einlagen beim IWF auf einen erheblichen Teil seiner Stimmrechte verzichten, sich auf einen gemeinsamen EU-Exekutivdirektor einigen und damit die Möglichkeit eröffnen, die Unterrepräsentation Asiens zu korrigieren. Damit ließe sich auch deutlich machen, dass Europa in der internationalen Finanzpolitik mit einer Stimme spricht - so wie dies in der Handelspolitik schon seit Jahren der Fall ist.

In der Diskussion sind Vorschläge, im Fonds bei der Entscheidungsfindung so genannte doppelte Mehrheiten einzuführen. Beispielsweise könnten sowohl eine Mehrheit der Stimmrechtsanteile, die nach ökonomischen Kriterien festgelegt werden, als auch die Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedsländer die Bedingung für die Implementierung eines Beschlusses sein. Gegen die Ausweitung der Stimmrechte von Entwicklungs- und Schwellenländern gibt es aber erhebliche Vorbehalte. In Deutschland hat insbesondere die Bundesbank eine Reduzierung der deutschen und europäischen Quoten abgelehnt. Bundesbankpräsident Axel Weber konstatierte gar eine zu geringe Quote für Deutschland und riet von einer voreiligen Reduzierung der Stimmrechte Europas ab.

Andere warnten davor, den wichtigsten Kunden des Fonds, den Entwicklungs- und Schwellenländern, eine stärkere Mitsprache bei der Formulierung der Politik des IWF einzuräumen. Kreditvergabepolitiken könnten nicht von den Schuldnern bestimmt werden, da dies zu einem Missbrauch der Kreditlinien führen würde. Dieses Argument kann aber aus drei Gründen nicht überzeugen. Erstens ist der IWF keine Geschäftsbank, sondern eine von Mitgliedsländern getragene internationale Organisation, bei der rein geschäftspolitische Erwägungen keinen zentralen Stellenwert haben können. Wichtiger ist aber das zweite Argument. Dem Missbrauch der Kreditlinien des Fonds kann durch entsprechende Ausgestaltung der Vergabepolitik leicht vorgebeugt werden. Seit den Überlegungen des britischen Ökonomen Walter Bagehot im 19. Jahrhundert ist ein akzeptierter Grundsatz, dass Liquidität in einer Krise nur zu über dem Marktniveau liegenden Zinssätzen und gegen ausreichende Sicherheiten bereitgestellt werden soll. Drittens ist bislang ein Missbrauch des Fonds durch die Kreditnehmer nicht aufgefallen, sondern vielmehr haben die Industrieländer in Finanzkrisen unangemessene Auflagen für Entwicklungsländer durchgesetzt.

Entzauberung des amerikanischen Modells

Für den IWF stellt die Finanzkrise des Jahres 2007 in den Vereinigten Staaten ein erhebliches Problem dar. Über sehr lange Zeit wurde das amerikanische Finanzsystem Entwicklungs- und Schwellenländern als Modell gepriesen. Amerika verfügte, so die vom IWF vertretene Einschätzung, über ein überlegenes Finanzsystem. Im Jahr 2005 führte der IWF die mit allen Mitgliedsstaaten regelmäßig durchgeführten Konsultationen durch. Dabei wurde auch der Finanzsektor überprüft und als krisenfest bewertet. Der IWF betonte, die Verbriefung der Kreditrisiken habe zu einer Senkung der Risiken für den amerikanischen Finanzsektor geführt.

Die Währungs- und Finanzkrise in den USA führt nun aber zur Entzauberung des amerikanischen Wirtschaftsmodells - insbesondere des Finanzsektors. Nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt wird die Organisation des amerikanischen Finanzmarktes als fragwürdig empfunden. Ein Vertreter des Verbandes deutscher Bausparkassen stellte klar, dass "eine lasche Kreditvergabepraxis und Finanzierungen ohne Eigenkapital, die außerdem vom Staat durch steuerliche Subventionen begünstigt werden, kein Vorbild sind". Der Präsident der Sparkassenorganisation, Heinrich Haasis, meinte am Rande der Herbsttagung 2007 von IWF und Weltbank in Washington: "Auf Dauer werden auch die Amerikaner nicht Banken in der ganzen Welt für ihre Kurzfristorientierung und unzureichenden Standards über Forderungsausfälle und Inflationsgefahren bezahlen lassen können". Es ist bemerkenswert, dass die einst als so effizient klassifizierte Wall Street von einem deutschen Sparkassendirektor eine Standpauke hinsichtlich unzureichender Standards bekommt.

Aber auch in Schwellenländern gärt es gewaltig. Der brasilianische Finanzminister Guido Mantenga äußerte bei der Herbsttagung des Jahres 2007 heftige Kritik an den USA. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass das Land, das als Referenz für ein hoch entwickeltes Finanzsystem, eine effiziente Finanzaufsicht und erstklassiges Risikomanagement diente, heute die Stabilität der Weltwirtschaft gefährde.

Die Bedeutung der amerikanischen Finanzkrise für die Glaubwürdigkeit des vom IWF lange propagierten Modells, das angelsächsisch geprägte Finanzmärkte als besonders empfehlenswert ansah, ist kaum zu überschätzen. Die Verbriefung von Krediten, das heißt die Bündelung in Wertpapieren, sollte in Verbindung mit der verstärkten Nutzung von derivativen Finanzprodukten zu einer besseren Bewertbarkeit der Kreditrisiken führen. Gleichzeitig war vorgesehen, diese dadurch aus dem Bankensystem herauszunehmen. Die Risiken sollten von denjenigen Akteuren auf Finanzmärkten übernommen werden, die dazu am besten in der Lage seien. Die erhoffte Stabilisierung der Finanzmärkte ist aber nicht eingetreten. Stattdessen lasteten die Risiken auf den Schultern von Gläubigern, die gar nicht wussten, welche Risiken sie übernommen hatten. Die Finanzmärkte wurden durch die Verbriefung von Krediten intransparenter und damit krisenanfälliger. Der amerikanische Ökonom Paul Krugman stellte fest, dass die Finanzinnovationen der vergangenen Jahre nicht zu einer breiteren Verteilung von Risiken, sondern vor allem zur Verbreitung von Konfusion geführt hätten. Investoren - von deutschen Landesbanken bis hin zum Investitionsfonds staatlicher Schulen in Florida - ließen sich zu risikoreichen Geldanlagen verleiten, bei denen die Anleger zwar die Renditechancen, nicht aber die Risiken verstanden. Die Krise in den USA hat zudem gezeigt, dass die Kredit gebenden Banken wenig Sorgfalt walten ließen, vor allem deshalb, weil sie nicht das Ausfallrisiko trugen.

Der IWF hat seit langem die Umstellung der Finanzmärkte vom klassischen Modell, in dem Banken als Kreditgeber fungierten, zu einem auf Verbriefung setzenden Modell auch für Entwicklungs- und Schwellenländer gefordert. Die nun offensichtlich werdenden Schwächen des angelsächsischen Finanzmarktmodells sind eine weitere Herausforderung für den IWF, ohne dass dieser sich bislang positioniert hätte.

Schlussbemerkungen

Der IWF ist für die Regulierung der Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. In der außenpolitischen Debatte hat diese Institution in den vergangenen Jahren aber keine führende Rolle mehr gespielt. Andere wirtschaftspolitische Themen standen im Vordergrund. Beispielsweise wurde in Deutschland im Jahr 2007 intensiv über das Thema von Direktinvestitionen so genannter Staatsfonds gesprochen. Diese Diskussion zeigt, dass die Annahme, den Herausforderungen der Globalisierung könnte man ausschließlich auf der betriebswirtschaftlichen Ebene begegnen, blauäugig ist. Die Vernachlässigung der globalen Ordnungs- und Strukturpolitik in der europäischen Außenpolitik der jüngsten Vergangenheit war ein Fehler. Ein zukunftsfähiges Europa muss diesen Themen, insbesondere der internationalen Finanzpolitik, deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen. Die Annahme, eine Institution wie der IWF und dessen Politik habe keine Auswirkungen auf die Wirtschaft in Europa, hat sich spätestens seit dem Entstehen großer staatlicher Investitionsfonds in Ostasien als falsch erwiesen. Es geht bei der Weiterentwicklung der Institution IWF nicht nur um Fragen der Gerechtigkeit und Fairness für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch um die Zukunft der Globalisierung.

Soll der IWF auch in Zukunft eine wichtige Institution bleiben, bedarf es umfassender Reformen sowohl in Hinblick auf die Kreditvergabepolitik als auch hinsichtlich der Vertretung der Interessen von Entwicklungs- und Schwellenländern. Kosmetische Korrekturen, etwa eine leichte Anhebung der Stimmrechte asiatischer Länder ohne eine grundlegende Revision der Kreditvergabepolitik, werden den Bedeutungsverlust des IWF nicht aufhalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Barry Eichengreen, A Blueprint for IMF Reform: More than just a lender, in: International Finance, 10 (2007) 2, S. 155.

  2. Vgl. ebd., S. 158.

  3. Vgl. ebd., S. 161.

  4. Vgl. Richard Lapper/Jude Webber, No tears for the IMF as a feisty Argentina awaits its next Evita, in: Financial Times vom 26. 10. 2007, S. 9.

  5. Vgl. ebd., S. 9.

  6. Daten der Weltbank, http://devdata.worldbank.org/external/
    CPProfile.asp?PTYPE=CP&CCODE=ARG (31. 12. 2007).

  7. Vgl. Peter Chowla, Double majority decision making at the IMF, in: The Bretton Woods Project, At Issue, (Oktober 2007), http://www.brettonwoodspro ject.org/doc/wbimfgov/implementingDM.pdf (31. 12. 2007).

  8. Vgl. Handelsblatt vom 26. 8. 2006, S. 1, http://www.handelsblatt.com/News/Politik/
    International/_pv/doc_page/1/_p/200051/
    _t/ft/_b/1127161/
    default. aspx/bundesbankpraesident-weber-mahnt-haerte-im-iwf-an.html (31. 12. 2007).

  9. Vgl. B. Eichengreen, (Anm. 1), S. 168.

  10. Article IV Consultation with the United States 2005, IMF Country Report 05/257. Der IWF hat - anders als eine Reihe von Beobachtern - in der Kombination von stark ansteigenden Immobilienpreisen und der Verbriefung von Kreditrisiken kein Problem gesehen.

  11. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 10. 8. 2007, S. 41.

  12. FAZ vom 22. 10. 2007, S. 21.

  13. Vgl. International Herald Tribune vom 21. 10. 2007.

  14. Bei Kreditrisiken können durch Derivative Produkte einzelne Tranchen mit unterschiedlichen Risikoklassen und entsprechend unterschiedlichen Renditen versehen werden.

  15. Vgl. Martin Wolf, Why the credit squeeze is a turning point for the world, in: Financial Times vom 12. 12. 2007, S. 13.

  16. Vgl. Paul Krugman, The making of a mess, in: International Herald Tribune vom 4. 12. 2007, S. 9.

  17. Vgl. Günter Franke/Jan Pieter Krahnen, Finanzmarktkrise: Ursachen und Lehren, in: FAZ vom 24. 11. 2007, S. 13.

Dr. rer. pol., Privatdozent; Forschungsgruppe Globale Fragen, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, und Fellow an der University of Warwick, Großbritannien. SWP, Ludwigkirchplatz 3 - 4, 10719 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: Heribert.Dieter@swp.berlin.org