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Westliche Wertegemeinschaft? Zur Sprengkraft religiöser Werte | Westliche Wertegemeinschaft? | bpb.de

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Westliche Wertegemeinschaft? Zur Sprengkraft religiöser Werte

Josef Braml

/ 16 Minuten zu lesen

Werte sind nicht der Kitt, der die transatlantische Gemeinschaft zusammenhält. (Religiöse) Werteunterschiede sind vielmehr Ursache divergierender Interessens-Wahrnehmungen dies- und jenseits des Atlantiks und von Meinungsunterschieden.

Einleitung

Kulturelle Faktoren und Ideologien prägen die Risikowahrnehmung. Religiös motivierte Weltbilder bestimmen die Bedrohungswahrnehmung und damit auch die Haltung zur entscheidungsrelevanten Frage, welche Mittel zur Abwehr gegen die wahrgenommene Bedrohung erforderlich sind. Während die harten Fakten geopolitischer Veränderungen seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes von Wissenschaft und Politik häufig thematisiert und als Erklärung für die Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen herangezogen wurden, kamen weiche Faktoren, namentlich kulturelle Entfremdungen, bislang kaum zur Sprache.



In feierlichen Ansprachen wird häufig die "Transatlantische Wertegemeinschaft" bemüht: Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gebe es zwar mehr unterschiedliche Interessen, doch könne man sich auf "gemeinsame Werte" berufen, die das Fundament der Verständigung bilden. Der folgende Beitrag dagegen soll exemplarisch verdeutlichen, dass Werte nicht der Kitt transatlantischen Zusammenhalts sind. Vielmehr sind (religiöse) Werteunterschiede die Ursache divergierender Interessens-Wahrnehmungen dies- und jenseits des Atlantiks und für Meinungsunterschiede, insbesondere bei der Terrorismusbekämpfung und der Konfliktlösung im Nahen und Mittleren Osten.

Die Natur terroristischer Bedrohung

Die Bush-Administration hat - unter anderem auch mit Waffengewalt - bislang vergeblich versucht, die "Herzen und Köpfe" (hearts and minds) in der muslimischen Welt zurückzugewinnen, um dem vermeintlich religiös motivierten Terrorismus ein Ende zu bereiten. Doch die Erklärung der Terrorismusursachen mit religiösen Faktoren beruht nicht auf Tatsachen, sie entbehrt jeder empirischen Grundlage. So hinterfragte sechs Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die renommierte Gallup-Organisation einige Grundannahmen, auf denen die amerikanische Anti-Terror-Politik basiert. Das Ergebnis der Analysen von Umfragewerten in muslimischen Ländern verdeutlichte, dass der wahre Unterschied zwischen jenen, die terroristische Akte dulden, und solchen, die sie verurteilen, nicht religiös, sondern politisch begründet ist. So haben politisch Radikalisierte am häufigsten "Okkupation und US-Dominanz" als Beweggründe ihrer radikalen Gesinnungen und Handlungen angegeben.

Auch die gängige Annahme, dass Muslime "Modernität" und "westliche Werte" ablehnen, erwies sich in der Umfrage als falsch. Im Gegenteil: Die Bürger von Saudi-Arabien bis Marokko, von Indonesien bis Pakistan bewundern westliche Technologie und demokratische Werte wie Pressefreiheit und verantwortliche Regierungsführung. Politisch Radikalisierte sprechen sich sogar noch deutlicher für diese Werte aus als die moderate Mehrheit in diesen Ländern. Die Umfrageanalysen widerlegen somit geistige Grundannahmen, die auf dem so genannten "US-Marktplatz der Ideen" verbreitet und politischen Entscheidungsträgern als Bedrohungsanalysen zugrunde gelegt werden.

Neben der direkten Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern versuchen die Experten amerikanischer Think-Tanks auch über ihre veröffentlichten Meinungen und Expertisen zu wirken, um das geistige Klima ihrer Gesellschaft zu prägen. Indem sie im Zusammenspiel mit den Medien die Agenda bestimmen, Bedrohungen thematisieren und nicht selten auch das "Wesen" dieser Bedrohungen postulieren, gewinnen sie Einfluss auf die Wahrnehmungen und die Weltbilder der Bevölkerung und Regierenden.

Im Zuge der allgemeinen Verunsicherung nach den Anschlägen des 11. September 2001 erhielt das Orientierungswissen von "Experten" umso mehr Deutungskraft. Laut Winand Gellner führt vor allem die Suche nach Möglichkeiten, die tatsächlichen oder eingebildeten Gefahren zu verringern, zu hoher Glaubwürdigkeit und Abhängigkeit von Expertenurteilen und scheinbar verlässlichen Antworten, "die sich je nach Präsentation der Daten oder normativen Vorannahmen der Experten unterscheiden und die ihrerseits wiederum die Einstellungen zu den wahrgenommenen Risiken und Gefahren beeinflussen."

Zwei konkurrierende Interpretationsmuster

In den USA konkurrieren ein kontextualistisches und ein essentialistisches Interpretationsmuster um die Diskurshoheit: Aus kontextualistischer Perspektive wird der weit verbreitete Antiamerikanismus und tiefe Hass in Teilen der muslimischen Welt als Reaktion auf spezifische außenpolitische Entscheidungen und Handlungen der USA interpretiert. Selbst Francis Fukuyama, der bis zu seiner Distanzierung den neokonservativen Vordenkern zugerechnet werden konnte, sieht den "Krieg gegen den Terrorismus" als "klassischen Krieg zur Aufstandsbekämpfung" (aclassic counter-insurgency war). Diese Einschätzung entspricht empirischen Befunden, wonach beinahe alle Terroranschläge im beobachteten Zeitraum von 1980 bis 2003 auf ein strategisches Ziel schließen lassen, nämlich moderne Demokratien zu zwingen, ihr Militär von Gebieten abzuziehen, welche diese Terroristen als ihr Heimatland betrachten. Zwar würden religiöse Motive von terroristischen Organisationen häufig zur Rekrutierung benutzt, jedoch sei islamistischer Fundamentalismus nicht die Wurzel allen Übels. Vielmehr sind nach dieser Einschätzung der Waffengang im Irak und die amerikanische Militärpräsenz - also die Versuche der Bush-Administration, dem Terrorismus vor Ort mit militärischen Mitteln zu begegnen - Teil des Problems. Diese Maßnahmen seien demnach auch schlecht geeignet, um den Mittleren und Nahen Osten zu befrieden oder die Region zu demokratisieren.

Im Gegensatz zu den Kontextualisten sehen die Essentialisten eine totalitäre Bedrohung existentieller Natur, die es mit allen Mitteln auszurotten gelte. Im Februar 2004 erläuterte zum Beispiel der neokonservative Kolumnist Charles Krauthammer die Wahrhaftigkeit seiner Anfang der 1990er Jahre aufgestellten These: Gott sei Dank habe Amerika das historische Zeitfenster, den "unipolaren Moment" nach dem Niedergang der Sowjetunion, genutzt und seine Machtstellung gefestigt, um nunmehr gewappnet zu sein. Der Visionär Krauthammer sieht sich von der Geschichte bestätigt, denn das Böse habe einmal mehr seine Fratze in Form der "existentiellen Bedrohung" durch den arabisch-islamistischen Totalitarismus gezeigt: "Am 11. September 2001 standen wir wieder einmal im Angesichte von Armageddon, aber dieses Mal weicht der Feind nicht zurück. Dieses Mal kennt der Feind keine Vernunft. Wäre dies der einzige Unterschied zwischen heute und gestern, dann wäre unsere Lage hoffnungslos. Aber es gibt einen zweiten Unterschied: die Einzigartigkeit unserer Macht, konkurrenzlos, nicht nur heute, sondern für immer." Mit dieser Anspielung auf den existentiellen Entscheidungskampf sollten sich auch evangelikale Christen - der Kern der Wählerbasis der Bush-Administration - angesprochen und berufen fühlen, die Sicherheit Amerikas weltweit, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln zu gewährleisten.

Die Christliche Rechte - Teil außenpolitischer Machtstrukturen

Das politische Erstarken konservativer evangelikaler und fundamentalistisch-religiöser Bewegungen seit Beginn der 1980er Jahre ist eine der bedeutsamsten kulturellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten und bildet die Grundlage für neuartige (außen-) politische Machtstrukturen. Dabei spielt die so genannte Christliche Rechte eine zentrale Rolle als Wählerpotential und Wahlkampfhilfe der Republikaner im Kongress und als Basis der Bush-Administration im Weißen Haus. Der wachsende politische Einfluss der Christlichen Rechten, ja die zunehmend "christlich rechte" Legitimation der Amtsführung der Bush-Administration hat zur transatlantischen Entfremdung beigetragen. Dissonanzen zeigten sich nicht nur bei weniger prominenten Themen wie der internationalen Aids-Bekämpfung und der Entwicklungshilfe, sondern vor allem im Hinblick auf den Waffengang im Irak und den Nahostkonflikt.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 benötigte Oberbefehlshaber George W. Bush keine große Überzeugungskraft, um den Kongress, die amerikanische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft von der Notwendigkeit des Waffengangs in Afghanistan zu überzeugen. Im Vorfeld des Präventivkrieges gegen den Irak war die Lage jedoch grundlegend anders: Präventives Handeln ist weitaus schwieriger zu legitimieren als die Reaktion auf einen erfolgten oder unmittelbar bevorstehenden Angriff. Die Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Tyrannenregimes oder von Terroristen ausgeht, sowie die Gewissheit, als auserwähltes Land das Richtige zu tun und die Vorhersehung Gottes zu vollstrecken, waren die zwei zentralen Gründe, die Bush öffentlichkeitswirksam bemühte, um Krieg zu führen.

Bushs Legitimation des Irakkrieges

Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung hierzulande und der Meinung der großen Mehrheit der Demokraten in den USA ist für Präsident Bush und seine Parteigänger der Waffengang im Irak nur eine weitere Schlacht im langwierigen "Globalen Krieg gegen den Terrorismus" (Global War on Terror, GWOT). Dennoch blieben vor der Intervention Zweifel, ob Amerika dem Kurs seines Obersten Befehlshabers geschlossen folgen würde. Die Amerikaner standen nicht einmütig hinter ihrem Präsidenten, sie waren in der Irakfrage geteilter Meinung: 84 Prozent der Republikaner unterstützten den Krieg; nur 37 Prozent der Demokraten jedoch waren bereit, dem Kurs Bushs zu folgen. Angesichts der mangelnden parteiübergreifenden Unterstützung war Bush umso mehr auf den Rückhalt seiner christlich rechten Basis angewiesen. Es hing also sehr viel davon ab, wie er seine Anhänger auf den Waffengang gegen den irakischen Diktator einstimmte. Bush assoziierte schließlich nicht nur die Lage im Irak mit der existentiellen Bedrohung Amerikas durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen, sondern machte seinen Landsleuten auch die historische Mission Amerikas deutlich: "Wir gehen mit Zuversicht voran, weil dieser Ruf der Geschichte das richtige Land erreicht hat. (...) Die Amerikaner sind ein freies Volk, das weiß, dass die Freiheit das Richtige für jeden Menschen und die Zukunft jeder Nation ist. Die Freiheit, die wir schätzen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sie ist das Geschenk Gottes an die Menschheit. Wir Amerikaner glauben an uns, aber nicht nur an uns. Wir geben nicht vor, alle Wege der Vorsehung zu kennen, aber wir vertrauen in sie, setzen unser Vertrauen in den liebenden Gott, der hinter allem Leben und der gesamten Geschichte steht. Möge Er uns jetzt leiten. Und möge Er weiterhin die Vereinigten Staaten von Amerika segnen." Nach dieser kriegsvorbereitenden Rede zur Lage der Nation vom 28. Januar 2003 wurde dem Präsidenten eine merklich größere Zustimmung für seine Politik von weißen, wiedergeborenen (born-again) Protestanten zuteil als vom Rest der Bevölkerung (Abbildung).

Mitte Februar 2003 befürworteten 59 Prozent der Bevölkerung den Krieg, darunter 70 Prozent derjenigen, die sich als "Mitglieder der religiösen Rechten" identifizierten. Neben der parteipolitischen Unterstützung spielten also auch religiöse Motive eine Rolle: 62 Prozent der Amerikaner, denen Religion "sehr wichtig" ist, unterstützten den Krieg, und 49 Prozent derjenigen, denen Religion "nicht sehr wichtig" ist.

Mit seiner wegweisenden Rede zur Lage der Nation wollte der Oberste Befehlshaber seine Anhänger auf den Waffengang vorbereiten. Seine Wortwahl hat viele europäische Beobachter irritiert, vielen seiner Landsleute gab sie dagegen Zuversicht. George W. Bush ist nicht der erste Präsident, der religiöse Rhetorik bemüht, um seine Politik zu legitimieren und Unterstützung zu mobilisieren. Gerade in Krisenzeiten - Amerika sieht sich seit dem 11. September 2001 im Krieg - fand das Bemühen um eine religiöse Sinngebung immer wieder Eingang in "historische" Reden amerikanischer Präsidenten. Der amtierende Präsident hat sich (unterstützt durch seinen damaligen Chef-Redenschreiber Michael Gerson) den evangelikalen Christen darüber hinaus durch die Wahl seiner Sprache regelmäßig als einer der ihren zu erkennen gegeben.

Kampf der Kulturen?

Präsident Bush evozierte mit rhetorischen Mitteln jenen Teufel, den der neokonservative Vordenker Samuel Huntington bereits nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes mit kräftigen Pinselstrichen an die Wand gemalt hatte: "Der Kampf der Kulturen wird die Weltpolitik dominieren. Zivilisatorische Grenzlinien werden die Gefechtslinien der Zukunft sein." Diesem Szenario wurde nach dem 11. September 2001 umso mehr Aufmerksamkeit zuteil, hatten doch islamistische Fanatiker die Führungsmacht der "westlichen Zivilisation" angegriffen. Während jenseits des Atlantiks der amerikanische Präsident mit einem "Kreuzzug" reagierte - eine rhetorische Entgleisung, die Bush später zurücknahm, aber nicht mehr aus der (muslimischen) Welt schaffen konnte -, wurden in Europa und vor allem in Deutschland Stimmen laut, die den kulturellen Gegensatz zu vermeiden suchen, damit die Huntington'sche These nicht zu einer "self-fulfilling prophecy" wird.

Die Gefahr, dass es so kommen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Wahrnehmungen der Wirklichkeit haben reale Auswirkungen, ganz egal, wie richtig oder falsch sie sind. "Westliche" Beobachter, welche die terroristische Bedrohung fälschlicherweise als "total" oder "totalitär" begreifen, könnten dazu beitragen, dass ihre Perzeption wirksam und damit Wirklichkeit wird. Der "Westen" sollte ein derartiges Freund-Feind-Schema vermeiden, weil es terroristischen Gruppen hilft, Identität und Zusammengehörigkeit zu etablieren - elementare ideelle Ressourcen, die nicht minder wichtig sind als materielle. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten hat der Irakkrieg den Prozess beschleunigt, im Laufe dessen sich Al Qaida von einer Organisation zu einer Ideologie entwickelt. Eine Ideologie ist umso identitätsstiftender, je besser sie sich auf ein klar umrissenes Feindbild beziehen kann. In diesem Sinne bildet auch das von christlich Rechten und Neokonservativen in der amerikanischen Debatte in Stellung gebrachte Konzept der "jüdisch-christlichen Schicksalsgemeinschaft" eine ideale Projektionsfläche, die es Fanatikern um Al Qaida erleichtert, logistischen und personellen Nachschub für ihren Glaubenskrieg zu gewinnen.

Die "jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft" und der Nahostkonflikt

Bushs Kriegsrhetorik ist aber auch identitätsstiftend im Innern und rückt das "von Gott beinahe auserwählte" (almost chosen) Amerika (so schon Abraham Lincoln) in die unmittelbare Nähe des auserwählten Volkes Israel. Wenn Präsident Bush mit "moralischer Klarheit" gegen Terroristen vorgeht, sehen ihn seine politischen Verbündeten auch fest an der Seite Israels - ein Kernanliegen der christlich Rechten wie der "Israel-Lobby". Vor der Zäsur "9/11" wurde allzu deutliche Parteinahme für Israel vielerorts, selbst im eigenen Lager, kritisch kommentiert und zwischen dem nationalen Interesse Amerikas und jenem Israels differenziert. Nach den traumatischen Anschlägen vom 11. September 2001 betonen mehr Amerikaner die "jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft" und suchen gemeinsam Sicherheit im Kampf gegen den Terrorismus: "Die Kriegsschauplätze sind unterschiedlich, aber die Schlachten - Amerikas gegen Al Qaida, Israels gegen Hamas - sind ein und dasselbe. (...) Ebenso wie das Problem mit Al Qaida erfordert das unmittelbare Problem mit Hamas Militäraktionen." Seit den Terroranschlägen fühlen sich Amerikaner denselben Feindseligkeiten ausgesetzt und ebenso verwundbar wie die Israelis in ihrem Heimatland.

Besonders für evangelikale Christen ist das Wohlergehen Israels eine Frage der nationalen Sicherheit Amerikas: "Amerika wird keine freie Nation bleiben, wenn wir Israels Freiheit nicht verteidigen." Mit diesem Satz brachte Jerry Falwell, einer der Gründerväter der politischen Christlichen Rechten in den USA, den Kerngehalt der "jüdisch-christlichen Schicksalsgemeinschaft" schon Anfang der 1980er Jahre zum Ausdruck. Zwanzig Jahre später sprach der Republikanische Abgeordnete Tom DeLay, bekennender evangelikaler Christ aus Texas und damaliger Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, erneut von dem "Schicksal, das Amerika und Israel teilen". Für Elliott Abrams bleibt es wichtig, dass Juden verstehen lernen, "dass künftig konservative Christen Israels Lobby sein müssen, weil es dafür nicht genug Juden geben wird". Abrams ist als Sonderberater des Präsidenten und als Senior Director for Democracy, Human Rights, and International Operations im Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council, NSC) für Nahostfragen zuständig. Vor seinem Eintritt in die Bush-Administration leitete er das Center for Ethics and Public Policy (CEPP). Das CEPP ist ein religiöser Think-Tank, der sich der Aufgabe widmet, Juden und konservative Christen miteinander zu versöhnen. Abrams gehört zum harten Kern neokonservativer Kritiker des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses und gilt als einer der prominentesten Gegner der Zwei-Staaten-Lösung, die vom "Quartett" - bestehend aus den USA, der EU, der Russischen Föderation und den Vereinten Nationen - in Form einer "Wegskizze" (Road Map) vorgezeichnet wurde.

Bei ihrem Einsatz für die nationale Sicherheit der USA und Israels können neokonservative Strategen wie Abrams nicht nur mit der finanziellen und logistischen Hilfe des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und anderen Pro-Israel-Interessengruppen rechnen, sondern sich auch auf die finanzielle und organisatorische Basisarbeit der Christlichen Rechten in der Legislative und auf der Graswurzelebene stützen. Neokonservative waren ursprünglich nur ein elitäres Netzwerk von überwiegend jüdischen, aber auch einigen katholischen Experten und Publizisten in Think-Tanks und ihnen nahestehenden Zeitschriften. Neokonservative Vordenker, die früher nicht selten als "Häuptlinge ohne Indianer" geschmäht wurden, wissen nunmehr um ihre erweiterte Machtbasis im Kongress und in der amerikanischen Gesellschaft. Die Pro-Israel-Lobby hat eine Infrastruktur entwickelt, die in punkto Organisations- und Finanzstruktur in Washington ihresgleichen sucht. "Ihre erfolgreiche politische Arbeit mit dem ausschließlichen Ziel der Unterstützung Israels erstreckt sich von den Gewerkschaften auf der Linken bis hin zu den evangelikalen Christen auf der Rechten und im Grunde genommen jedem dazwischen", resümierte Lee Hamilton, ehemaliger Abgeordneter und langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Abgeordnetenhaus. Aus der Sicht eines Kongressabgeordneten oder Senators gibt es laut Lee Hamilton nur geringen politischen Gegendruck seitens der Palästinenser oder arabischer Lobbyisten: "Damit geht man kein politisches Risiko ein, Israel zu unterstützen." Nach Einschätzung von Hamilton, der heute das Woodrow Wilson Center leitet, ist Israel in politischer Hinsicht "absolut unangreifbar".

Im politischen System der "checks and balances", der konkurrierenden, sich gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die politische Machtbalance zwischen Kongress und Exekutive. Das politische Interesse christlich Rechter am Heiligen Land bedeutet, dass "die Pro-Israel-Lobby in den letzten zehn Jahren deutlich stärker geworden ist". In Verbindung mit der gewichtigen Lobby Israels sorgt das politische Gewicht der Christlichen Rechten dafür, dass der Handlungsspielraum der Exekutive enger wird: "Eine US-Administration, die eine harte Haltung gegenüber Israel einnehmen wollte, weiß, dass sie vom Kongress umgehend kritisiert und vielleicht auch ausgehebelt wird."

Fazit und Ausblick: Ein Teufelskreis?

Präsident Bush wird die Geister, die er rief, nicht mehr los: Christlich Rechte, die zentral für den Machterhalt der Republikaner im Weißen Haus und mitentscheidend bei den Kongresswahlen geworden sind, engagieren sich zusehends außenpolitisch und beziehen dabei Stellung für ein militärisch übermächtiges Amerika und den uneingeschränkten Schutz Israels. Der Teufelskreis ist vorgezeichnet: "Sollte Bush seinen gegenwärtigen Kurs im Nahen und Mittleren Osten (auch im Sinne konservativer Evangelikaler) fortfahren - zum Beispiel mit einem präventiven Militärschlag gegen Iran, oder die Israelis dazu ermuntern - würde er die Region weiter entzünden und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der islamistische Terrorismus auf Westeuropa und die Vereinigten Staaten zurückschlägt. Bush und die Republikaner könnten dann wiederum argumentieren, dass angesichts der Ausbreitung des Terrorismus ihr Machterhalt umso notweniger ist" - so die politischen Beobachter John Judis und Ruy Teixeira, nach deren Einschätzung ein derartiges Szenario die im Entstehen begriffene politische Dominanz der Demokraten weiterhin verhindern würde, nachdem der 11. September eine "entstehende Demokratische Mehrheit" zwar unterbrochen, aber nicht aufgehalten habe.

Präsident Bush hatte zuletzt im Oktober 2007 davor gewarnt, dass ein atomar bewaffneter Iran einen "Dritten Weltkrieg" auslösen könnte. Selbst nachdem die amerikanischen Sicherheitsdienste mittlerweile auch öffentlich darlegten, dass Teheran bereits 2003 seine Pläne zur nuklearen Bewaffnung aufgegeben habe, gab der US-Präsident keine Entwarnung. Neokonservative wie Norman Podhoretz, politischer Berater des führenden Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Rudolph "Rudy" Giuliani, schwören Amerika gar auf den "Vierten Weltkrieg" gegen den "Islamofaschismus" ein und machen damit auch der politischen Linken in den USA eine Kampfansage (Stichwort: full-scale war).

Themen nationaler Sicherheit im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus spielen für die Republikaner in der Tat eine zentrale Rolle, weil sie die Kohäsion einer heterogenen Wählerschaft fördern und die Grundlage dauerhafter republikanischer Mehrheiten bilden können. Für die Strategen, die eine umfassende republikanische Wählerkoalition zustande bringen wollen, war und bleibt es eine besondere Herausforderung, die Christliche Rechte zu integrieren, ohne dabei andere Wähler zu verlieren. Doch die religiös-moralische Zweckehe christlich Rechter mit den Republikanern polarisiert die USA im Innern und führt zu Divergenzen in den transatlantischen Beziehungen: bei grundsätzlichen Abwägungen zwischen dem Einsatz militärischer Gewalt und jenem diplomatischer Mittel, aber auch bei konkreten Politikvorstellungen zur Regelung von Konflikten, vor allem im Mittleren und Nahen Osten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Robert Dahl, Democracy and Its Critics, New Haven-London 1989, S. 75; Stanley Rothman/Robert Lichter, Elite Ideology and Risk Perception in Nuclear Energy Policy, in: American Political Science Review, 81 (1987) 2, S. 383 - 404; Mary Douglas/Aaron Wildavsky, Risk and Culture, Berkeley 1982.

  2. Vgl. Dalia Mogahed, Framing the War on Terror, Gallup News Service, Washington, D. C. 11. 9. 2007.

  3. Vgl. Josef Braml, Think Tanks versus "Denkfabriken"? U.S. and German Policy Research Institutes' Coping with and Influencing Their Environments; Strategien, Management und Organisation politikorientierter Forschungsinstitute (deutsche Zusammenfassung), Baden-Baden 2004.

  4. Winand Gellner, Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit: Think Tanks in den USA und in Deutschland, Opladen 1995, S. 12.

  5. Vgl. Francis Fukuyama, After Neoconservatism, in: New York Times vom 19. 2. 2006; ders., The Paradox of International Action, in: The American Interest, 1 (2006) 3, S. 7 - 18.

  6. Ders., The Neoconservative Moment, in: The National Interest vom 1. 6. 2004.

  7. Vgl. Robert Pape, Dying to Win: The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York 2005.

  8. Vgl. Charles Krauthammer, The Unipolar Moment, in: Foreign Affairs, 70 (1991) 1, S. 23 - 33.

  9. Charles Krauthammer, Democratic Realism: An American Foreign Policy for a Unipolar World, Washington, D. C. 2004, S. 19.

  10. Bei der Präsidentschaftswahl 2004 bildeten weiße evangelikale Christen mit mehr als 40 Prozent der Gesamtstimmen George W. Bushs einmal mehr die Grundlage seines Wahlsieges.

  11. Die Republikaner sind eher als die Demokraten geneigt, mit militärischen Mitteln vorzugehen - vor allem der harte Kern der evangelikalen Christen. Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt setzen sie mehr auf militärische Stärke als auf Diplomatie, um Frieden zu gewährleisten.

  12. Vgl. Josef Braml, Die religiöse Rechte in den USA: Basis der Bush-Administration? (SWP-Studie S 35), Berlin 2004.

  13. Zur öffentlichen Meinung im Vorfeld des Irakkrieges vgl. auch Josef Braml, Amerika vor dem Krieg: Welchen Rückhalt genießt die Bush-Administration in der eigenen Bevölkerung? (SWP-Aktuell 8/2003), Berlin 2003.

  14. Vgl. Gallup-Umfrage vom 17. bis 19. 2. 2003; Frank Newport, Support for War Modestly Higher among More Religious Americans. Those Who Identify with the Religious Right Most Likely to Favor Military Action, Gallup News Service, Washington, D. C. 27. 2. 2003.

  15. George W. Bush, Bericht zur Lage der Nation, 28. 1. 2003; Übersetzung der amerikanischen Botschaft in Berlin, USINFO-B-DE.

  16. Gallup-Umfrage vom 17. bis 19. 2. 2003.

  17. Vgl. Detlef Junker, Power and Mission. Was Amerika antreibt, Freiburg im Breisgau 2003.

  18. Michael Gerson wird vom Präsidenten hochachtungsvoll "Der Schriftgelehrte" genannt. Seine Bibelfestigkeit erwarb der gelernte Theologe u.a. am Wheaton College.

  19. Vgl. Joan Didion, Mr. Bush & the Divine, in: New York Review of Books, 50 (6. 11. 2003) 17.

  20. Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations, in: Foreign Affairs, 72 (Sommer 1993) 3, S. 22ff.

  21. Vgl. Dana Allin/Steven Simon, The Moral Psychology of US Support for Israel, in: Survival, 45 (Herbst 2003) 3, S. 123-144.

  22. Jonathan Rauch, Social Studies - Like It or Not, Israel's War With Hamas Is America's, Too, in: National Journal, 3. 4. 2004 (Übs. J. B.).

  23. Ed Dobson/Jerry Falwell/Ed Hindson (eds.), The Fundamentalist Phenomenon. The Resurgence of Conservative Christianity, Garden City 1981, S. 215 (Übs. J. B.).

  24. Howard Fineman/Tamara Lipper, A Very Mixed Marriage, in: Newsweek vom 2. 6. 2003 (Übs. J. B.).

  25. Michael Dobbs, Back in Political Forefront. Iran-Contra Figure Plays Key Role on Mideast, in: Washington Post vom 27. 5. 2003, S. A01 (Übs. J. B.).

  26. So zum Beispiel Kevin Phillips, Neoconservatives: Chiefs without Indians, in: Washington Post vom 26. 8. 1979.

  27. Im US-Kontext haben John Mearsheimer und Stephen Walt (The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy, New York 2007) versucht, Infrastruktur und Einflussnahme der "Israel-Lobby" zu belegen; ausführlicher und differenzierter dazu Christian Bala, Konservatismus, Judaismus, Zionismus: "Kulturkrieg" in der US-Diaspora, Baden-Baden 2006.

  28. Lee Hamilton zit., in: James Kitfield, The Ties That Bind, and Constrain, in: National Journal vom 20. 4. 2002.

  29. Ebd.

  30. So Norman Ornstein vom American Enterprise Institute (AEI), einer der renommiertesten Kenner des politischen Systems der Vereinigten Staaten. Zit. in: ebd.

  31. Ebd.

  32. John B. Judis/Ruy Teixeira, Movement Interruptus, in: The American Prospect Online, 20. 12. 2004, http://www.prospect.org/web/page.ww?section=root&name = ViewPrint &articleId = 8955 (9. 12. 2007).

  33. John B. Judis/Ruy Teixeira, The Emerging Democratic Majority, New York 2002.

  34. Vgl. Agence France-Press (AFP), Bar Iran from Nuclear Arms to Avoid World War III, says Bush, 18. 10. 2007.

  35. Vgl. National Intelligence Council (NIC), National Intelligence Estimate, Iran: Nuclear Intentions and Capabilities, Washington, D. C., November 2007.

  36. Vgl. Norman Podhoretz, World War IV. The Long Struggle Against Islamofascism, New York 2007.

Dr. phil., geb. 1968; seit Oktober 2006 wiss. Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Rauchstr. 18, 10787 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: braml@dgap.org