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Frauenrechte in Iran

Parinas Parhisi

/ 15 Minuten zu lesen

Das Bild über Frauenrechte in Iran ist oft durch die Schleierpflicht geprägt. Dies wird der Komplexität des Themas nicht gerecht, da einerseits die Bandbreite der Diskriminierung ausgeblendet, andererseits Frauen – entgegen der gesellschaftlichen Realität – auf einen Opferstatus reduziert werden.

Einleitung

Iran gilt bei den Diskussionen um Frauenrechte im Islam als das Musterland einer islamischen Rechtsordnung, in der Frauendiskriminierung Programm ist. Nicht Wenige assoziieren mit Iran unwillkürlich und als Erstes Bilder von Frauen im schwarzen Ganzkörperumhang (Tschador). Doch Frauenrechte in Iran nur darauf zu reduzieren, wird der Komplexität des Themas nicht gerecht. Einerseits wird so die Bandbreite der Diskriminierungen von Frauen ausgeblendet, andererseits werden Frauen, die als unmündige Kopftuchträgerinnen betrachtet werden, zugleich auf einen Opferstatus reduziert.


Eine auf die Kopftuchpflicht fokussierte Sichtweise blendet zudem die seit Jahren stattfindende Entwicklung aus, welche die gesellschaftliche Realität immer mehr von der Verfassung und Verfassungswirklichkeit entfernt hat. Sichtbarer Ausdruck der inneriranischen Debatten sind die Proteste anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009, als die Welt Zeuge wurde, wie die iranischen Männer und Frauen um Bürgerrechte und Demokratie rangen. Vor diesem Hintergrund ist in diesem Beitrag eine Darstellung des Ist-Zustandes unter Berücksichtigung der inneriranischen Debatten intendiert. Die starren Normen werden den zeitgenössischen zwölferschiitischen Denkern gegenüber gestellt, um so nach immanenten Reformmöglichkeiten zu fragen.

Stellung in der Verfassung: Präambel

In dem barocken Konglomerat der Präambel zur iranischen Verfassung wird Frauen ein Abschnitt gewidmet, dessen Vorgaben für die Stellung der Frau in der Verfassung richtungsweisend sind, auch wenn der Präambel keine Bindungswirkung zukommt. Nach dem Selbstverständnis der Verfassung wird der Frau dadurch, dass ihr mehr Verantwortung zugebilligt wird, auch eine größere Wertschätzung und höhere Würde zuteil. Damit verankert der Verfassungsgeber die Rolle der Frau allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit dem hohen Stellenwert der Familie - und nur in diesem Kontext werden Frauenrechte gewährleistet. Für sich genommen ist dieser Wert fraglos fundamental und nicht zwangsläufig negativ für die Frau. Doch geht mit der Hervorhebung der Familie als elementare Einheit der iranischen Gesellschaft zunächst das historische Novum einher, dass die Verfassung davon ausgeht, dass sich die Gesinnung der Eheleute in Bezug auf islamische Vorstellungen deckt. Dies birgt insbesondere in menschenrechtlicher Hinsicht zahlreiche Diskriminierungen in sich, wenn es auch nach dem Selbstverständnis der Verfassung des islamischen Staates konsequent sein mag. Neben der Betonung der Familie als fundamentale Einheit der Gesellschaft, wird der Frau, der die Aufgabe der Mutterschaft immanent ist, auch eine gesellschaftliche Rolle als "Mitkämpferin des Mannes im aktiven Leben" zugewiesen. Darin kommen die modernen Komponenten der Verfassung zum Ausdruck, die jedoch im Gesamtkontext wenig ins Gewicht fallen.

Artikel 3, Ziffer 9 und 14

Der Staat verpflichtet sich in Art. 3 der Verfassung, alles dafür zu tun, um die darin definierten weitreichenden Ziele zu erreichen. In Bezug auf Frauen sind Ziff. 9 und Ziff. 14 dieser Norm relevant. Aus der allgemeinen Formulierung von Ziff. 9, wonach sich der Staat "zur Beseitigung ungerechter Diskriminierung, zur Herstellung eines gerechten Zugangs zu sämtlichen materiellen und geistigen Gebieten für alle verpflichtet", kann jedoch wenig über die tatsächliche Gleichheit der Geschlechter abgeleitet werden. Auch bei Ziff. 14 ist der Sinngehalt der Norm keinesfalls eindeutig festgelegt.

Versteht man die Gleichheit vor dem Gesetz als nicht notwendig identisch mit der Gleichheit von Mann und Frau, wovon in der iranischen Verfassung auszugehen ist, so muss konstatiert werden, dass Art. 3 Ziff. 14 die Basis für die Existenz diskriminierender Normen in der gesamten Rechtsordnung darstellt. Da keine Gleichheit von Mann und Frau in den einfachgesetzlichen Normen (Zivil- und Strafrecht) existiert, kann das Postulat des Art. 3 Ziff. 14 nur dahingehend verstanden werden, dass Frauen und Männer in der Geltendmachung ihrer Rechte gleich sind, aber eben nicht im tatsächlichen Gehalt der Normen. Der Blick in die einfachgesetzlichen Normen zeigt, dass grundlegende verfassungsrechtliche Garantien in Bezug auf die Frauen mittelbar umgangen werden können oder aber einer orthodoxen Auslegung unterliegen. Dies gewinnt vor dem Hintergrund der in Ziff. 14 verankerten "Judikativen Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz" an Bedeutung. Denn die Judikative kann nur insoweit um die Herstellung der Gerechtigkeit bemüht sein, wie diese Männern und Frauen von Gesetzes wegen zuteil wird.

Bedenkt man die zahlreichen Ungleichheiten in sämtlichen Normen des Zivil- und Strafrechts, so ist die Gleichheit von Mann und Frau zwar als Verfassungsauftrag (Art. 3 Ziff. 14) explizit verankert, aber zugleich unter den Vorbehalt der "islamisch-adäquaten Gleichwertigkeit" der Rechte gestellt, die zudem unterschiedlich ausgelegt werden. Wird dabei einer traditionellen Lesart gefolgt, so wird durch die Verfassung den benachteiligenden Rechtsvorschriften Geltung verschafft.

Artikel 21

Die besondere staatliche Fürsorge für (vor allem sozial schwache) Frauen nimmt eine wichtige Stellung in der Verfassung ein. So ist Art. 21 als "Exklusiv-Grundrecht" allein den Frauen gewidmet. Scheint diese Norm zunächst grundsätzlich frei von Diskriminierungen, so zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die darin gewährleisteten Rechte nur im Rahmen der verfassungsrechtlich befürworteten Einheit der Familie, also auf der Basis der Stellung der Frau als Mutter und Ehefrau, verbürgt sind. Die Formulierungen im Art. 21 sind weitgehend allgemein und konturlos, was jedoch bisweilen als dynamische Basis dafür gesehen wird, die erforderlichen Reformen in sämtlichen Bereichen zu realisieren. Die Grundsätze im Art. 21 sind gemäß dem Selbstverständnis und den selbstdefinierten Zielen des islamischen Staates bzw. als dessen Fundamente zu verstehen, wie etwa der Schutz von Müttern und die Bekämpfung und Beseitigung der Armut, welche die Ideale der Islamischen Revolution widerspiegeln. Doch die Verwirklichung dieser Grundsätze stellt den Staat angesichts ökonomischer und wirtschaftlicher Probleme vor große Herausforderungen. Die Existenz besonderer Gerichte zum Schutz der Familie (Art. 21 Abs. 3) kann zwar bestätigt werden. Ihnen kann aber für eine hermeneutische Interpretation der Frauenrechte faktisch kaum etwas abgewonnen werden. Die buchstabengetreue Scharia-Sicht geht dort selbstredend wie in der übrigen Gerichtsbarkeit in der Regel zulasten der Frauen.

Art. 21 Abs. 5, der eine Privilegierung "würdiger Mütter" zum Gegenstand hat, stellt eine Diskriminierung des überwiegenden Teils der Frauen dar. Denn demzufolge wird die Vormundschaft des Kindes, die grundsätzlich beim Kindsvater bzw. seinen Ahnen liegt, nur ausnahmsweise jenen Müttern übertragen, die sich als würdig im Sinne des Islam erwiesen haben (etwa Kriegswitwen); und auch nur dann, wenn keine männlichen Vormundpersonen mehr existieren.

Festzuhalten ist: Art. 21 weckt auf den ersten Blick mehr Hoffnungen, als durch ihn realisiert werden (könnten). Das "Exklusiv-Grundrecht" gewährleistet Frauenrechte nur im Rahmen des tradierten Verfassungsbildes, welches auf die Rolle als Mutter und Ehefrau aufbaut. Der Artikel ist kein Garant für gleiche Rechte von Mann und Frau und liefert somit wenig Input für Frauenrechte im Sinne moderner Menschenrechte.

Stellung in den einfachgesetzlichen Normen

Der Ausgangspunkt für die Gesetzgebung ist das Prinzip der "Gleichwertigkeit", wonach Frauen und Männern nicht gleiche, sondern adäquate Rechte zugesichert werden. Ausgewählte Bereiche sollen den Charakter und die Inhalte der Normen näher vorstellen.

Ehe

Nach dem klassischen Verständnis des islamischen Rechts wird die Ehe als ein Tauschvertrag mit festen Bedingungen und einheitlicher Rechtswirksamkeit definiert. Seine Hauptbestandteile sind das Angebot seitens der Frau bzw. ihres Vormundes und die Annahme durch den Mann, bestätigt durch die Zahlung der Morgengabe (mehriye). Diese korrespondiert hinsichtlich des ökonomischen Wertes mit der durch den Brautvater bereitzustellenden Aussteuer (djahaziye). Paragraf 1043 des Iranischen Zivilgesetzbuches (IZGB) bestimmt des Weiteren, dass "die Erlaubnis zur Heirat von jungfräulichen ehefähigen Frauen beim Vater bzw. Vorfahren väterlicherseits liegt". In Ausnahmefällen kann die Frau die entsprechende Erlaubnis auch von einem Zivilgericht einholen. Die selbst unter Geistlichen umstrittene Norm wird angesichts der sozio-kulturellen Entwicklungen, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Zahl der Akademikerinnen zunehmend als unzeitgemäß angesehen. Für die Eheschließung mit einem ausländischen Mann benötigt eine iranische Frau zudem die Zustimmung des Staates.

Die Ehe einer iranischen muslimischen Frau mit einem Nichtmuslim ist nicht gestattet. Der umgekehrte Fall ist dagegen zulässig, sofern die Gattin einer monotheistischen Religion angehört. Die Familienführung obliegt dem Ehemann, was als eine gesellschaftliche Verpflichtung, weniger als ein Verfügungsrecht des Mannes über die Frau verstanden wird. Der Ehemann muss von diesem Recht zum Wohle der Familie und deren Stabilität Gebrauch machen, andernfalls erfüllt er den Missbrauchstatbestand nach Art. 40 der iranischen Verfassung. Ihm kommt außerdem das Recht zu, den Wohnort der Frau zu bestimmen, wenn nichts anderes im Ehevertrag vereinbart wurde.

Von diesem "Führungsrecht" des Mannes sind Normen abgeleitet, wonach die Frau zum Verlassen des Hauses sowie bei einer Auslandsreise seine Erlaubnis benötigt. Die Ehe selbst ist von dem Gedanken der Komplementarität der Rechte geprägt. Diese beinhaltet zum einen die Unterhaltspflicht des Mannes, und zwar unabhängig von Vermögen oder Berufstätigkeit der Frau, zum anderen ihre allseitige sexuelle Verfügbarkeit. So hat die Frau Anspruch auf eine angemessene Unterhaltszahlung durch den Ehemann und dieser das Recht, jederzeit Beischlaf von seiner Ehefrau zu fordern, es sei denn, es liegen Hinderungsgründe (Menstruation) vor. Die Gleichheit der Geschlechter wird also in der Gewährleistung der als absolut definierten und sich ergänzenden Rechte garantiert. Angesichts der Anforderungen des modernen Lebens und insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Bildungsgrads der iranischen Frauen wird jedoch über die bestehenden Normen intensiv debattiert.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die zivilrechtlichen Normen ein System der Familie festschreiben, das zwar nach traditioneller Sicht kohärent sein mag. Dieses Normgefüge begründet jedoch zahlreiche Diskriminierungen, etwa wenn die Frau einer nichttraditionellen Lebensweise folgen möchte. Dann kommt das religiöse Familiensystem ins Wanken.

Eigentum- und Erbrecht

Nach iranischem Recht gibt es kein gemeinsames Eigentum der Eheleute. So bestimmt § 1118 IZGB kurz und bündig, dass "die Frau über ihr Vermögen frei verfügen kann". Dieses Recht bleibt insbesondere vom "Führungsrecht" des Mannes unberührt. Die zugesicherte finanzielle Unabhängigkeit steht jedoch im eklatanten Widerspruch zur Unmündigkeit der Frau, die in zahlreichen Gesetzen zum Ausdruck kommt. Anders formuliert: Mit der finanziellen Unabhängigkeit der Frau könnte für Gleichberechtigung argumentiert werden.

Das iranische Erbrecht unterscheidet zwischen der Position als Tochter und als Ehefrau. Der Nachlass der Eltern wird wie folgt geteilt: Sind mehrere Erben desselben Geschlechtes vorhanden, so wird der Nachlass zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt. Eine Ungleichbehandlung findet erst dann statt, wenn es Kinder unterschiedlichen Geschlechts gibt. In dieser Konstellation erbt die Tochter halb so viel wie der Sohn. Die religionsrechtliche Begründung dafür basiert auf der der Frau zustehenden Aussteuer. Dies soll für den Sohn dadurch kompensiert werden, dass ihm die hälftigen Erbanteile zukommen, zumal er nach islamischem Recht zur Versorgung der eigenen Familie und gegebenenfalls der Eltern verpflichtet ist. Dagegen könnte vorgebracht werden, dass dieses Ausgleichssystem keine Ausnahme vorsieht: Wenn die Tochter nicht heiratet, oder aber keine Aussteuer erhält, erfährt sie dennoch keine erbrechtlichen Korrekturen. Zudem ist nicht gewährleistet, dass die beiden Komponenten, nämlich Aussteuer und Erbe, in einem strikten Ausgleichsverhältnis zueinander stehen, die zumindest grobe Ungerechtigkeiten vermeiden.

In einer kinderlosen Ehe kommt im Falle des Todes des Ehegatten seiner Frau ein Viertel des Vermögens zu, während der Ehemann im umgekehrten Fall die Hälfte des Vermögens erhält. Begründet wird dies damit, dass die Söhne die Pflicht zur Versorgung der Eltern haben. In der traditionellen Gesellschaft dürfte jedoch auch der Umstand eine große Rolle spielen, dass so verhindert werden soll, dass das Eigentum des Mannes etwa durch eine Wiederheirat der Witwe in fremde Hände fällt.

Dem Erb- und Familienrecht liegen tradierte Vorstellungen zugrunde, die evaluiert werden müssen, da der Trend, zumindest in den urbanen Zentren, zu einer partnerschaftlichen Geschlechterbeziehung geht. Aufgrund des dem Koran immanenten Bedeutungswandels wird allgemein für islamische Staaten dafür plädiert, den sozialreformerischen Geist des Korans für die Moderne zur Geltung zu bringen. Analog dazu wird im Sinne hermeneutischer Interpretation gleiches Erbrecht für Mann und Frau auch in Iran gefordert, weil die generelle Sinnrichtung des Korans darin erblickt wird, dass der Islam bei seiner Entstehung den Frauen das Erbrecht in einer Epoche zugesichert hatte, in der Frauen keinerlei Rechte hatten. So weist zum Beispiel der Rechtsgelehrte Hassan Yusefi Eschkevari auf die Ungerechtigkeiten der frauendiskriminierenden Normen etwa im Erbrecht hin. Er fordert hier Korrekturen, obwohl er die für das Erbrecht angeführten islamischen Beweise als stichhaltiger ansieht, als für andere Bereiche.

Scheidung

Im IZGB sind drei Möglichkeiten für eine Scheidung vorgesehen: Auf Antrag des Ehemannes (Grundsatz), aufgrund eines gerichtlichen Antrages durch die Ehefrau (Ausnahmetatbestand) sowie einvernehmlich. Während das Gericht bei der Scheidung im Grundfall keine materiellen Prüfungen vornimmt und sich das Verfahren auf die Abwicklung der finanziellen Aspekte beschränkt, wird dem Scheidungsbegehren der Frauen nur dann stattgegeben, wenn die Hindernisse für die Fortführung der Ehe gerichtlich überprüft wurden. Dem Antrag auf Scheidung durch die Frau kann ausnahmensweise stattgegeben werden, wenn eine der in § 1119ff. IZGB genannten Voraussetzungen vorliegen, welche in ehevertraglichen Vereinbarungen festzulegen sind. Zu diesen Tatbeständen, die das Scheidungsrecht der Frau auslösen, gehören etwa eine Zweitfrau, anhaltend missbräuchliches Verhalten (darunter werden massive Beleidigungen und Züchtigung der Frau verstanden) sowie die Abwesenheit des Mannes. Das Scheidungsbegehren durch die Frau ist weiterhin im Falle der Weigerung des Unterhaltes durch den Mann (§ 1129) und bei einer unzumutbaren Härte (§ 1130) zulässig, wobei die Beweislast bei der Frau liegt. Die Scheidung zu erreichen wird Frauen noch dadurch erschwert, dass sie in der Regel mit streng traditionsorientierten Richtern konfrontiert sind.

Kopftuchpflicht

Das Kopftuch ist das bekannteste Symbol der Islamischen Republik Iran. Iranische Frauenrechtlerinnen betrachten dieses jedoch differenzierter, als es auf den ersten Blick möglich erscheint. In den Anfangsjahren der Islamischen Republik hatten viele Frauen das Kopftuch als Zeichen der Freiheit und Befreiung vom Schah-Regime freiwillig getragen, bis das Kopftuchgebot trotz aller Beteuerungen Ajatollah Chomeinis gesetzlich doch in Kraft trat. Iranische Frauenrechtlerinnen konstatieren dennoch, dass das staatlich geforderte Kopftuch eine Partizipation im öffentlichen Raum erleichtert habe. So hätten religiöse Familienoberhäupter ihren Töchtern ein Hochschulstudium erlaubt, da die Sittlichkeit quasi staatlich gewährleistet war. Fakt ist, dass 63 Prozent der Studierenden an iranischen Hochschulen Frauen sind, weshalb jüngst eine Männerquote eingeführt wurde. Gleichwohl spricht sich heute selbst das religiöse Lager überwiegend gegen einen Kopftuchzwang für Frauen aus.

Während also außerhalb Irans das fragwürdige Gebot als Zeichen der Unterdrückung und Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau mit modernen menschenrechtlichen Argumenten angegriffen wird, berufen sich iranische Frauenrechtlerinnen mit teilweise starken religiösen Verwurzelungen auf das islamische Recht. Und sogar auch Teile der Geistlichkeit lehnen jeglichen Glaubenszwang unter Berufung auf den Koran (Sure 2:256) als unvereinbar mit dem Islam ab. Denn die Suren, aus denen eine Schleierpflicht abgeleitet wird, legen nur fest, dass Frauen ihr Haupthaar durch eine (jedoch nicht näher definierte) Kopfbedeckung vor den Blicken der Männer zu schützen haben. Die Verschleierung gehört jedenfalls nicht zu den religiösen Hauptpflichten, welche die Gläubigen zu erfüllen haben. Diese Argumente lassen die in § 638 des "Gesetzes zum Islamischen Strafrecht" kodifizierte "Kopfbedeckungspflicht" sehr fragwürdig erscheinen.

Inneriranische Debatten und Frauenrechte

Die Kritik der "religiösen Aufklärer" wird in Iran seit gut zwei Jahrzehnten geäußert. Sie basiert auf religiösen Argumenten und fordert letztlich die Akzeptanz der globalen Menschenrechte, sogar auch entgegen offenkundiger Vorgaben und Inhalte des islamischen Rechts. Zahlreiche religiöse Denker argumentieren im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Anpassung islamischer Rechte an die Herausforderungen von Zeit und Raum mit der Dynamik der Scharia. Das Bemühen der Denker zielt darauf, die Normen und Gesetze des Islam, den sie als einen wesentlichen Identitätsfaktor betrachten, mit der Moderne zu versöhnen. Auch Frauenrechte werden in diesem Kontext debattiert und nach Reformmöglichkeiten gefragt.

"Religiöse Aufklärer"

Besonders hervorzuheben ist der hermeneutische Ansatz von Mohammad Modschtahed Schabestari. Er tritt für ein ideologiekritisches Verständnis der Religion ein und versteht Menschenrechte und Demokratie als Produkte der menschlichen Vernunft. Nach Schabestaris Auffassung steht das moderne Menschenrechtsverständnis nicht im Widerspruch zu der dem Koran immanenten göttlichen Wahrheit. Das Wissen von Gott und seinen Geboten ist für Schabestari immer menschliches Wissen und als solches niemals absolut und veränderlich. Dieser Ansatz kann für neue Lösungen im Bereich der Frauenrechte fruchtbar gemacht werden.

Spannend für die Frauenfrage ist weiterhin Mohsen Kadivar, der sich im Kreis der Diskursakteure als einziger explizit und ausführlich mit Frauenrechten im Islam befasst und dafür die Menschenrechte als Maßstab heranzieht. Im Zentrum seiner Betrachtungen steht die Frage, ob das islamische Recht, genauer gesagt, ob die traditionelle Lesart des Islam mit der Demokratie und den Menschenrechten vereinbar ist. Die Historisierung des islamischen Rechts ist nach Kadivar der Schlüssel zu Demokratie, Menschen- und Frauenrechten. Demnach sind die islamischen Lehren im Kontext der Geschichte und damit als wandelbar zu betrachten. Kadivar rät dazu, sich mit der sinngemäßen Bedeutung religiöser Fakten differenziert auseinanderzusetzen und diese nicht unreflektiert für vermeintlich richtige traditionelle Auslegungen dienstbar zu machen.

Frauen im Diskurs

Zwar können die Frauen - wie einst im früheren Europa - keine eigene Theorienschöpfung vorweisen. Mit zunehmender Bildung haben sich Frauen aber intensiv der Aufgabe gestellt, die im inneriranischen Diskurs gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Neuinterpretation religiöser Normen in zivilgesellschaftlichen Foren, insbesondere in Frauenzeitschriften, zu rezipieren. Die Magazine sind signifikant für die Arbeit der Frauen - fungieren diese doch ungeachtet ihrer religiösen oder säkularen Ausrichtung als Herausgeberinnen, verfassen Fachartikel oder veranstalten Diskussionsforen. So versuchen Männer wie Frauen in der Zeitschrift Zanan, eine neue Definition des Islam und des Feminismus zu entwickeln, um die Möglichkeit eines genuin islamischen Feminismus auszuloten. Frauenrechtlerinnen greifen auf die hermeneutischen Lösungsvorschläge zurück und machen diese für Frauenrechte dienstbar. Sie sind ein wichtiger "Motor" für die sich in der Entwicklung befindende feministische Rechtswissenschaft, die nur über ein substanzielles Überdenken der Rechtswissenschaft insgesamt ermöglicht wird. Es geht bei der kritischen Betrachtung der Normen um die Frage Gerechtigkeit, die gerade im schiitischen Islam eines der fünf Glaubensprinzipien darstellt.

Fazit und Ausblick

Im Kontext der Frauenfrage sind zwei Aspekte zu beachten. Erstens geht die Instrumentalisierung der religiösen Identifikation vermehrt zulasten der Frauen. Zweitens erschöpft sich die Identität der Iraner nicht nur in der religiösen Ausprägung. Die Entwicklung der Frauenrechte hängt signifikant mit dem Ausjustieren der Identitätsfrage zwischen islamischer Religion und persischer Kultur zusammen. Insgesamt zeichnen sich in Iran im Hinblick auf die Perspektiven der geschlechterpolitischen Dynamik widersprüchliche und sozial unterschiedliche akzentuierte Tendenzen ab. Will man diese verstehen, so ist eine Auseinandersetzung mit Aspekten aus der Innenperspektive des Landes unumgänglich, wozu die Religion, aber auch die persische Kultur gehört.

Die Entscheidung über das Projekt "islamischer Staat" bzw. die künftige Staatsbildung in Iran ist längst nicht gefallen. Doch kann konstatiert werden, dass ein zeitgemäßes Verständnis des Islam in islamisch geprägten Staaten gleichsam als Junktim zwischen Tradition und Moderne fungieren könnte. Gelingt dies nicht und die Religion wird staatlich instrumentalisiert, können Frauenrechte weiterhin mit religiösen oder tribalen Begründungen vorenthalten werden. Nichtsdestotrotz hat die iranische Geschichte gezeigt, dass sich die rechtliche Stellung der Frau gewandelt hat - dies wird sich fortsetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag gibt ausschließlich Ansichten der Autorin wieder, die nicht notwendigerweise jenen des hessischen Ministeriums entsprechen. Vgl. dazu Parinas Parhisi, Frauenrechte in der iranischen Verfassung, i.E.; Dies., Frauenrechte im Iran: Hindernisse und Perspektiven - Eine völkerrechtliche Betrachtung am Maßstab der Menschenrechte, in: Dies./Stefan Kadelbach (Hrsg.), Die Freiheit der Religion im europäischen Verfassungsrecht, Baden-Baden 2007, S. 39 - 85.

  2. Nach Art. 3, Ziff. 9 der Verfassung verpflichtet sich die Islamische Republik Iran zur "Aufhebung aller ungerechtfertigten Benachteiligungen und die Schaffung gerechten Zugangs zu sämtlichen materiellen und geistigen Gebieten für alle" sowie nach Ziff. 14 zur "Sicherung allseitiger Rechte aller, Männer und Frauen, Schaffung sicherer und gerechter Justiz für alle sowie allgemeiner Gleichheit vor dem Gesetz".

  3. Art. 21: "Die Regierung ist verpflichtet, die Rechte der Frau unter Berücksichtigung islamischer Maßstäbe zu gewährleisten und folgende Maßnahmen durchzuführen: 1) Die Schaffung geeigneter Grundlagen für die Entwicklung der Persönlichkeit der Frau und der Wiederherstellung ihrer materiellen und immateriellen Rechte; 2) Mutterschutz insbesondere während der Schwangerschaft und Kinderpflege sowie Schutz alleinstehender Kinder; 3) Bildung zuständiger Gerichte zum Schutz der Existenz und des Fortbestandes der Familie; 4) Schaffung besonderer Versicherungen für Witwen, ältere und alleinstehende Frauen und 5) Übertragung der Vormundschaft im Interesse der Kinder an würdige Mütter, sofern kein gesetzlicher Vormund vorhanden ist."

  4. Einen vorzüglichen Überblick gibt Ziba Mir-Hosseini, Neue Überlegungen zum Geschlechterverhältnis im Islam. Perspektiven der Gerechtigkeit und Gleichheit für Frauen, in: Mechthild Rumpf/Ute Gerhard/Mechthild M. Jansen (Hrsg.), Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion, Bielefeld 2003, S. 53 - 81.

  5. Vgl. §§ 1078ff. IZGB.

  6. Vgl. § 1043, 2. Abs. IZGB.

  7. Vgl. § 1060 IZGB.

  8. Vgl. § 1105 IZGB.

  9. Vgl. Nasser Katuzian, Grundlagen des Rechts (koliyat-e hoghogh: nazariyey-e omumi), Teheran 1998, S. 676.

  10. Vgl. § 1114 IZGB.

  11. Vgl. Z. Mir-Hosseini (Anm. 4), S. 57ff.

  12. Vgl. § 907, Abs. 2 IZGB.

  13. Vgl. ebd., Abs. 3 IZGB.

  14. Vgl. Mohsen Kadivar, Islam und Menschenrechte (hagh-ol nass. eslam wa hoghoghe bashar), Teheran 2008, S. 301f.

  15. Vgl. § 913 IZGB.

  16. Vgl. Lise J. Abid, Die Debatte um Gender und Menschenrechte im Islam, in: M. Rumpf/U. Gerhard/M. Jansen (Anm. 4), S. 155ff.

  17. Vgl. Niaz Shah, Women's Human Rights in the Koran: An Interpretive Approach, in: Human Rights Quarterly, 28 (2006) 4, S. 868 - 903.

  18. Vgl. Sure 24:31 und Sure 33:59.

  19. Siehe dazu Adel Theodor Khoury, in: Ders./Peter Heine/Janbernd Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft: Probleme im Alltag-Hintergründe-Antworten, Gütersloh 2000, S. 70ff.

  20. Vgl. Katajun Amirpur, Unterwegs zu einem anderen Islam, Freiburg 2009.

  21. Vgl. Mohammad Mojtahed Schabestari, Hermeneutische Überlegungen zur islamischen Theologie und Rechtswissenschaft, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion, 47 (2000) 2, S. 227 - 237.

  22. Vgl. Mohsen Kadivar, Vom historischen Islam zum spirituellen Islam (az eslam-e tarikhi be eslam-e manawi), in: Abdolkarim Soroush/Mohammad Modjtahed Shabestari/Mostafa Malekian/Ders. (Hrsg.), Tradition und Säkularismus (sonnat wa sekularism), Teheran 2002, S. 405 - 431.

  23. Lesenswert: Liselotte J. Abid, Journalistinnen und Gesellschaftspolitik im Iran - drei Beispiele aus einem breiten Spektrum, in: Barbara Pusch (Hrsg.), Die neue muslimische Frau, Würzburg 2001, S. 233 - 249.

  24. Vgl. Ziba Mir-Hosseini, Islam and Gender, The Religious Debate in Contemporary Iran, New Jersey 1999, S. 276.

  25. Vgl. Luise Halper, Law and Women's Agency in Post-Revolutionary Iran, in: Harvard Journal of Law & Gender, 28 (2005), S. 133ff.

Dr. iur; Lehrbeauftragte an der Goethe-Universität Frankfurt/M., Referentin im hessischen Ministerium für Justiz, Integration und Europa.
E-Mail: E-Mail Link: parinas.parhisi@hmdj.hessen.de