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Kinder der Revolution - Die iranische Blogosphäre | Iran | bpb.de

Iran Editorial Iran als außenpolitischer Akteur Machtstrukturen in Iran Scheitern des Chomeinismus Frauenrechte in Iran Verliert die Islamische Republik die Jugend? Kinder der Revolution - Die iranische Blogosphäre

Kinder der Revolution - Die iranische Blogosphäre

Nasrin Alavi

/ 16 Minuten zu lesen

Während der Proteste nach der Präsidentschaftswahl in Iran im Sommer 2009 wurden Posts bei Twitter und in Blogs zu unverzichtbaren Informationsquellen des Widerstands. Die iranische Blogosphäre gibt ein unverfälschtes Bild der Gespräche und Unterhaltungen der aufstrebenden, gebildeten Jugend.

Einleitung

Während der Proteste nach der Präsidentschaftswahl in Iran im Sommer 2009 wurden Posts bei Twitter und in Blogs zu unverzichtbaren Informationsquellen des Widerstands. Die iranische Blogosphäre gibt ein unverfälschtes Bild der Gespräche und Unterhaltungen der aufstrebenden, gebildeten Jugend.



Wir beobachten hier ein Phänomen ähnlich der jungen Islamisten, die in den frühen 1970er Jahren an der Teheraner Universität ihren eigenen uniformistischen Stil erfanden, woraus sich der revolutionäre Hedschab entwickelte, der sich seitdem von Kairo bis London ausgebreitet hat: Dieses neue Auftreten der jungen revolutionären Studentinnen in ihren schlichten farbigen Mänteln, Laufschuhen, mit praktischen und einfachen Kopftüchern, die die Stirn bedecken und im Genick verknotet werden, war erfrischend jugendlich. Sie waren so anders, als die Frauen in ihren traditionellen schwerfälligen schwarzen Tschadors, aber eben auch anders als die Frauen in ihren ebenso schwerfälligen Plateauschuhen und ihren Miniröcken. Ihr Erscheinungsbild war etwas völlig neues und wurde bald von jungen muslimischen Frauen in der ganzen Welt übernommen.

Die junge iranische Generation hat ihre eigene Subkultur, ihr eigenes schwer einzuordnendes Weltbild, das sich in ihrer Musik und ihren Slangs ausdrückt. So manche iranischen Eltern versuchen, nicht allzu beunruhigt und altmodisch zu wirken, wenn sie hören, wie die eigenen Söhne ihre Freunde "Haddschi" rufen. Denn für ihre Generation bedeutet der Begriff "Haddschi" oder "Haddsch" die islamische Ehrenbezeichnung für eine Person fortgeschrittenen Alters, die die Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hat. Und es ist für sie unvorstellbar, diesen Begriff beispielsweise mit einem Mann zu assoziieren, der Piercings und lange Haare trägt.

Für Untergrund-Rapper wie die Hichkas scheint nichts tabu zu sein, weder extreme Sozialunterschiede, Liebe, Partnersuche, Sex oder Drogen. Es gibt kein Thema, das nicht angesprochen werden darf, um den aus der Mitte der Gesellschaft kommenden Protest dieser Generation in Worte zu fassen. In einem ihrer beliebtesten Hits "Bunch of Soldiers" singen sie von ihrer Dankbarkeit für die "Opferbereitschaft der Shahids" (Märtyrer) des Iran-Irak Krieges (1980 bis 1988), die dafür starben, eine Invasion zu verhindern. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass sie nun "genug durch das Feuer gegangen sind" und Frieden suchen.

Der Konflikt zwischen Globalisierung und Tradition hat in Persien einen Schmelztiegel ganz eigenständiger Art entstehen lassen. Denn die Hichkas fühlen sich gleichermaßen im Rap wie im schiitischen Glauben Irans zu Hause und haben keine Probleme, beides zu kombinieren. Diese junge Generation hat lange Zeit versucht, der anhaltenden Flut der Popsongs aus der iranischen Diaspora von Los Angeles zu entkommen, und orientiert sich eher an Untergrund-Musikern, die einen Bezug zu ihrer eigenen, sich ständig wandelnden Realität haben. Untergrund-Sänger wie Benyamin, der "Reformhymnen" über schiitische Ikonen im Trance-Techno-Stil produziert, werden von vielen der älteren säkularen Gebildeten Irans, wie auch von den konservativen Geistlichen, verabscheut. Ebenso Stars wie Amir Tataloo, der vom "Blut der Märtyrer" sang, um damit den Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi zu unterstützen, den Mann, den Millionen Iraner für den eigentlichen Gewinner der im Juni 2009 abgehaltenen Wahl halten. Das herrschende System zögerte nicht, diese Musiker als "vom Westen inspirierte Clowns" und die auf die umstrittenen Wahlen folgenden Massenproteste als "vom Westen gelenkt" zu bezeichnen.

Mussawi beschrieb die junge Generation Irans als ein "Wunder der Islamischen Revolution", die sich selbst durch die "Grüne Bewegung" - Grün ist die Symbolfarbe seiner Wahlkampagne -, ins Rampenlicht gerückt habe. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Bereitschaft, diese Generation wahrzunehmen - was keine Schwierigkeit sein sollte, sind doch zwei von drei Bürgern jünger als 30 Jahre. Sie war es, die während der Sommermonate mit ihren Beiträgen bei Twitter und ihren Blogs weltweit als Stimme des Widerstands einer Nation auf sich aufmerksam machte. Der hashtag iranelection dominierte den Mikroblogging-Dienst Twitter und löste eine weltweite Solidaritätskampagne aus.

Wir sind der Iran

Ich habe ein Buch über die Anfangsjahre der lebendigen iranischen Blogosphäre mit dem Titel "Wir sind der Iran" verfasst; in jener Zeit wurzelt die E-Community, die zum sogenannten "Aufstand der Generation Twitter" führte. Es wird sich noch zeigen, ob die iranischen Blogs eher ein Platz sind für diejenigen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und sich Luft verschaffen wollen oder doch eine Art moderner "Gutenberg'scher Druckerpresse", die uns in die Zeiten der Demokratie führt.

Die Zeitzeugen der Iranischen Revolution des Jahres 1979 bilden mittlerweile eine Minderheit und die Alphabetisierungsrate für die Generation der unter Dreißigjährigen liegt auch in ländlichen Gebieten deutlich über 90 Prozent. Seit 2005 sind mehr als 65 Prozent der Studienanfänger an den Universitäten Frauen. Diese Generation war und ist die Babyboom-Generation der Nachkriegsjahre (d.h. des Iran-Irak-Krieges von 1980 - 88), die die Zukunft ihres Landes bestimmen wird.

Es handelte sich allerdings nicht, wie viele meinten, um eine "Twitter Revolution", sondern vielmehr um ein "mächtiges Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu erregen" und ins Rampenlicht zu gelangen, wie es Ethan Zuckerman ausdrückte. Der Mikroblogger "persiankiwi" konnte mit mehr als 35 000 Folgeeinträgen ohne Zweifel die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen und wurde von der Huffington Post als "einer der glaubwürdigsten und produktivsten Iraner auf Twitter" gepriesen. Die meisten Leser konnten seinen friedlichen Kampf für demokratische Rechte nachvollziehen, allerdings haben viele von ihnen möglicherweise übersehen, dass seine Einträge mit Koranversen versehen waren. Paradoxerweise haben diejenigen, die sich zum Kampf gegen einen islamischen Staat entschlossen haben, den islamischen Kampfruf "Allahu akbar" ("Gott ist groß") gewählt: Er wird nachts von den Dächern gerufen und ist auf jeder Straßenkundgebung zu hören. Es handelt sich um eine neue Generation, die der tyrannischen Gewalttätigkeit demokratische Gewaltlosigkeit entgegensetzt und die zur großen Verärgerung religiöser wie auch weltlicher Respektspersonen die Menschen, die in Folge der Proteste umkommen, als islamische Märtyrer bezeichnet.

Gewaltlose Shahids (Märtyrer)

Die verhängnisvolle Erschießung der "Shahid" Neda Soltan (26), wie sie seither oftmals genannt wird, wurde mit einer Handykamera gefilmt, ins Netz gestellt und viele Millionen Mal angesehen. Die Behörden allerdings hinderten nicht nur Nedas Familie daran, sie nach islamischem Brauch zu bestatten, sondern beschuldigten "CIA Agenten" der Tat. Ein spöttischer iranischer Online-Kommentar dazu: "Es ist nicht nur so, dass die CIA Neda umgebracht hat, nein, sie schafft es auch, sämtliche Menschenansammlungen vor Nedas Haus zu unterbinden und es allen Moscheen in Teheran zu untersagen, ihr ein Begräbnis auszurichten. Erstaunlich, zu was diese CIA alles fähig ist."

Neda wurde sogar vom US-amerikanischen Senator John McCain gepriesen, der ihrem Kampf für "die grundlegenden Menschenrechte" seine Ehrerbietung erwies. Die computererfahrenen iranischen Jugendlichen allerdings, denen Senator McCain gnädigerweise dafür applaudierte, dass sie die Informationen über Neda im Netz verbreitet hatten, erfahren auch sonst, was alles in der Welt passiert. Viele von ihnen kennen McCain für seine Aufrufe zu einem Militärschlag gegen Iran, und einige erinnern sich sogar an seinen berühmten Youtube-Hit, in dem er einen berühmten Song der Beach Boys mit "Bomb Iran" uminterpretierte. Auf seine Rede reagierten sie mit Online-Kommentaren im Sinne von: Wenn er könnte, hätte er "den Iran angegriffen und im Namen der Demokratie Hunderte von Nedas ausgelöscht".

Die iranischen Blogger sind für ihre eigenen Politiker naturgemäß in doppelter Weise unangenehm. Als Präsident Mahmoud Ahmadinedschad am 23. September 2009 kurz vor einer Rede an die Vereinten Nationen von einem CBS-Moderator zu den Verhaftungen, den Folterungen und insbesondere zum Tod Nedas befragt wurde, antwortete er, dass ihm die Sache "sehr leid" tue. Daraufhin zeigte er allerdings das Foto einer ägyptischen Frau - Marwa al-Sharbini -, die im Juli 2009 in einem deutschen Gerichtssaal von einem Mann ermordet worden war, gegen den sie aussagte, weil er sie wegen ihres Kopftuchs beschimpft hatte. Er argumentierte, dass der Westen Marwas Geschichte keine Beachtung geschenkt habe, um gleichzeitig Neda zu einer Märtyrerin zu machen. Die konservative Presselandschaft Irans zollte der Antwort Ahmadinedschads großen Beifall, da ihrer Ansicht nach so die westliche Heuchelei offenbar wurde. Aber viele der iranischen Blogger machten es ihm nicht so einfach. Moeeni, ein junger Techniker und Anhänger Mussawis, der während der vergangenen fünf Jahre gebloggt hat, schrieb:

"Marwa al-Sharbini ist ein anderer Name für Neda Agha-Soltan, aber Deutschland ist nicht ein anderer Name für den Iran. Der Mörder von Marwa bekam nicht die Möglichkeit zu entkommen; die deutsche Regierung erklärte ihre Ermordung nicht zu einem Filmtrick, die deutsche Regierung machte ihre Sympathie für die Familie Marwas deutlich. Die deutsche Regierung versuchte nicht mit allen Mitteln, die Schuld im Ausland zu finden. Die deutsche Regierung zeigte sich beschämt und als Angela Merkel zu Marwa befragt wurde, zog sie kein Foto von Neda heraus, um sich selbstzufrieden als etwas Besseres zu fühlen."

Zur großen Verärgerung von Hardlinern wie dem jungen Geistlichen und Parlamentsmitglied Hamid Rassai ("rasaee.ir") versucht die Opposition die heiligen Symbole des Staates und sogar einige der "Großen Märtyrer", wie die Helden des Iran-Irak-Krieges, z.B. Mohammad-Ali Dschahanara, für sich zu vereinnahmen. Der 26 Jahre alte Dschahanara kommandierte die einfachen Bürger der Stadt Khorramshahr, die im Grenzgebiet als Puffer diente. Sie kämpften 45 Tage lang gegen die Irakische Invasionsarmee, bevor die Stadt vom Feind eingenommen wurde. Ein geläufiger Tweet in der Zeit nach den Wahlen 2009 lautete: "Sag Dschahanara, dass die Baathisten in Teheran sind, und sie schießen auf unsere Mädchen."

Technikbegeisterte Mullahs

Der Blogger Mohsen Bayat (bayatzanjani.blogfa.com) ist der Sohn des Großajatollah Bayat Zandschani, der zu den regimekritischen Geistlichen gezählt wird. Der Blog von Mohsen handelt größtenteils von seinem Alltagsleben, darin nennt er aber auch ohne Bedenken die Namen berühmter Persönlichkeiten, die er kennt. Er registriert das Kommen und Gehen im Haushalt des Ajatollah innerhalb des iranischen "Vatikans", der heiligen Stadt Qom. Beim Lesen seines Blogs wird klar, dass der angeblich "regierungsfeindliche" Geistliche weit davon entfernt ist, innerhalb des schiitischen Klerus isoliert zu sein, und dass er sogar mit den ranghöchsten irakischen Geistlichen, wie dem Großajatollah Ali al-Sistani, dessen iranischer Vertreter Bestandteil dieses engen persönlichen Zirkels ist, intensiven Kontakt pflegt. Es scheint fast so, als ob in diesem Kreis das klerikale Regime eher in der Minderheit ist.

Entgegen der landläufigen, irrigen Annahme, dass die schiitische Geistlichkeit einig sei, haben die annähernd ein Dutzend Großajatollahs weltweit ihre eigenen Unterstützergruppen und vertreten sehr unterschiedliche Positionen. Dies führt manchmal dazu, dass religiöse Edikte oder Fatwas herausgegeben werden, die sich widersprechen. Nur ein kleiner Teil der Großajatollahs steht dem iranischen Staat wirklich nahe. Viele geistliche Führer haben sich angesichts der Gewalttätigkeit der Regierung nach den Wahlen offen entsetzt gezeigt. Eine deutliche Mehrheit von ihnen hat es bemerkenswerterweise versäumt, entsprechend dem üblichen Protokoll eine offizielle Anerkennung des verkündeten Wahlsiegs der Regierung zu verschicken.

Bei Balatarin.com handelt es sich um eine neue soziale Nachrichten-Website, die eine der meistbesuchten iranischen Online-Quellen zum Informationsaustausch ist. Der Blog, der dazu aufrief, regimekritische Geistliche zu unterstützen, war am 27. September unter den meistgelesenen 10 Themen auf dieser Site zu finden: Der Blogger "faryadbezan" schrieb:

"Geht alle auf die Websites der ehrwürdigen Großajatollahs und dankt ihnen dafür, dass sie auf der Seite des Volkes stehen. Eine Flut von Nachrichten der grünen Volksbewegung wird sie dazu bringen, resoluter zu sein: Externer Link: saanei.org, Externer Link: www.dastgheib.ir, Externer Link: bayatzanjani.net, Externer Link: www.esra.ir

Allerdings sehen viele Berichterstatter die blinde Begeisterung für die Geistlichen und für Mussawi, der von ihnen aufgrund seiner revolutionären Vergangenheit als nicht glaubwürdig angesehen wird, mit Sorge.

"Dieselbe Dummheit"

Ende des Jahres 1978 war die Begeisterung für den Revolutionsführer Ajatollah Chomeini derart groß, dass von vielen Iranern berichtet wurde, sie hätten seine Gesichtszüge im Mond erkannt. Der Schreiber "DarkNight" nennt religiöse Intellektuelle "Betrüger" und kommentiert die wachsende religiöse Leidenschaft im Netz damit, dass "30 Jahre lang Chomeini im Mond und 30 Jahre später gute Geistliche im Internet gesucht werden! Dieselbe Dummheit - andere Zeit, anderer Ort".

Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Machthaber des Mittleren Ostens mit der Jugend ihres Landes nicht übereinstimmen, der Iran bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Tahkim Vahdat (Office to Foster Unity), Irans größte Reform-Studentenvereinigung, wurde in der Anfangszeit der Revolution von Chomeini gegründet und drängte liberale und linksgerichtete Studentengruppen aus den Universitäten. Aber bald wurde die Organisation zu einer der kritischsten Stimmen gegen das Regime und führte den landesweiten Studentenprotest im Juli 1999 an. Sie wurde kurz darauf verboten. Bis heute, eine Generation nach der Revolution, hat noch keine islamische Studentengruppe der Hardliner-Fraktion einen iranischen Campus beherrschen können, wenn sie sich freien Wahlen ausgesetzt hat. In diesem Herbst nährte Ajatollah Chamenei, geistliches Oberhaupt in Iran, Befürchtungen, dass neue Säuberungsaktionen in den "unislamischen" Fakultäten stattfinden werden, indem er erklärte, dass die "Sozialwissenschaften", auf der Grundlage einer "Philosophie des Materialismus" Zweifel und Unglauben förderten. Omid Husseiny, ein unverbesserlicher Anhänger Ahmadinedschads, schreibt in seinem bekannten Blog Ahestan (ahestan.wordpress.com) mit direktem Bezug auf über hundert Oppositionelle, die Schauprozesse über sich ergehen lassen mussten, dass "man nicht gleichzeitig ein Anhänger (Karl) Poppers sein und ein Revolutionär bleiben kann".

Madreseyema.blogfa.com ist ein Gruppenblog am "Madreseh Alee Shahid Motahari", einem angesehenen Seminar mit langer Geschichte in Qom. Daneshtalab, der dort studiert, um ein schiitischer Geistlicher zu werden, schreibt in einem Post, dem er den Titel "Klagelied für ein ungeborenes Kind: die iranische Universität" gegeben hat, dass die höheren akademischen Institutionen des Landes "sich aufgebäumt und dem Iran ein widerspenstiges Kind auf den Schoß gesetzt haben". 30 Jahre nach der Revolution hat der Staat mit seinem eigenen demographischen "Erfolg" zu kämpfen und scheint keine Vorstellung zu haben, wie er mit einer der jüngsten und am besten ausgebildeten Bevölkerungen der Region umgehen soll; insbesondere mit einer durchsetzungsfähigen Generation gut ausgebildeter Frauen, die für sich eine bis dato verbotene Domänen erobert.

Virtuell unverschleiert

Die Islamische Revolution hatte zutiefst widersprüchliche Auswirkungen auf die Frauen: Einerseits bot sie ihnen neue Möglichkeiten, andererseits errichtete die Revolution ein extrem repressives Kontrollsystem für das Leben der Frauen. Vor der Islamischen Revolution entschied sich eine Mehrheit der Frauen, in der Öffentlichkeit auf die eine oder andere Art verhüllt zu erscheinen. Die Bedingung, sich islamisch zu verhüllen, mag für manche Frauen, insbesondere aus traditionellen Familien, den Weg zu einer Ausbildung eröffnet haben, da sie dank der Verschleierung keine drastische kulturelle Veränderung durchmachen mussten, um Teil der Erwerbsbevölkerung zu werden. Im Jahr 1975 betrug die Analphabetenrate unter Frauen in ländlichen Gebieten 90 Prozent, in Städten über 45 Prozent. Inzwischen ist bei den Mädchen im Alter von 15 bis 24 Jahren die Alphabetisierungsrate landesweit auf 97 Prozent angestiegen, während die weiblichen Studenten an den staatlichen Universitäten zahlreicher sind als ihre männlichen Kommilitonen. Nikki R. Keddie beobachtete schon vor zehn Jahren: "Mehr als sonst irgendwo in der islamischen Welt, nehmen iranische Frauen ihren Platz in der Öffentlichkeit ein. Auch als Ehefrauen und Mütter gehen sie ihrer Arbeit nach, sie wählen, fahren Auto, kaufen ein und sind beruflich als Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Führungskräfte in Firmen und als Parlamentsabgeordnete tätig." Der Blogger "Opium" wiederum erklärt: "In der Islamischen Republik ist es ein Verbrechen, ein Mann, und eine Sünde, eine Frau zu sein."

Auch wenn Frauen diskriminiert werden, ist die Erklärung hierfür sicherlich nicht in westlichen Medienklischees zu finden, nach denen mutige, heroische Frauen von einer Karikatur eines brutalen muslimischen Mannes unterdrückt werden. Derartige Stereotype tragen nur dazu bei, dass selbst kultivierte Leser in ihrem fest gefügten Weltbild verharren, und gleichzeitig von ihrer persönlichen Achtung gegenüber Frauen überzeugt sind. Manchmal erhält man beim Lesen der persönlichen Online-Kommentare von Iranern einen kurzen Einblick in das Leben hinter diesen plumpen Stereotypen:

"Für meine Frau zu unserem 16. Hochzeitstag. Wir haben gekämpft und überlebt. Wir wurden gedemütigt, aber wir haben unsere Würde nicht verloren. Erinnerst du dich noch an die Zeit, als wir gerade erst verheiratet waren? Wir hatten dieses Zimmer im Süden Teherans gemietet und mussten die Toilette mit dem Vermieter teilen. Es gab kein Badezimmer und wir mussten in ein öffentliches Bad gehen. Erinnerst du dich an den Tag, als wir unser gesamtes Geld nahmen und in ein Nobelrestaurant im vornehmen Teil der Stadt gingen? Wir hatten ein wunderbares Abendessen und gaben den Rest unseres Geldes dem Ober als Trinkgeld. Für das Taxi hatten wir kein Geld mehr übrig. Also liefen wir zu Fuß den Weg durch die ganze Stadt nach Hause. Damals hatten wir viel Kraft.

Inmitten der Bomben und des Krieges. In diesem Klima des Todes bauten wir uns ein neues Leben auf. Und der Abend, als unsere Tochter geboren wurde. Mit zwei Kindern und deiner Arbeit gingst du trotzdem noch in die Universität und warst die Beste in deinem Kurs. Erinnerst du dich, als wir Kriegsrationen getrockneter Milch bekamen - und um zu beweisen, dass du keine Milch hattest, musstest du der "Schwester" des (Revolutions-)Komitees jede Woche deine Brüste zeigen. Aber wir wollten das nicht. Wir werden Überstunden machen und Trockenmilch auf dem freien Markt kaufen. Aber deine Brüste werden wir niemandem zeigen!

Ich sage all diese Dinge, damit du weißt, ich habe sie nicht vergessen. Unsere gemeinsamen Sorgen, unsere Erfahrungen und unsere Liebe können nie zerstört werden. Denn wir fangen gerade erst an. Mit mehr Kraft als jemals zuvor. Wir werden vorwärts gehen, um eine Welt zu ändern, die nicht gerecht war zu unseren Kindern. Wir werden aus ihr eine bessere Welt für unsere Enkelkinder machen."

"Sie haben Gott verboten"

Es ist dieser Wunsch nach Veränderung, der die Menschen dazu bringt, noch fünf Monate nach den Wahlen - trotz der Strafprozesse, Massenverhaftungen und Todesfälle - auf die Straße zu gehen. Die Regierung hat sogar eine Reihe jährlich stattfindender bedeutender schiitischer Veranstaltungen abgesagt, da sie befürchtet, diese könnten in Protestkundgebungen umschlagen. Ein führender iranischer Satiriker schreibt als Kommentar: "Sie haben Gott verboten."

Aber anscheinend gibt es in der Islamischen Republik wichtigere Dinge als Gott, denn Veranstaltungen, die für Irans Selbstverständnis als Feind des Westens von zentraler Bedeutung sind, werden nicht abgesagt. Am 20. September 2009 berichtete die Agence France-Presse (AFP): "Zehntausende Anhänger von iranischen Oppositionsführern haben Proteste während des jährlichen pro-palästinensischen Al-Quds-Tag organisiert. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen einigen Demonstranten, Hardlinern und Sicherheitskräften."

Blogger boten aus erster Hand Informationen über ihre Eindrücke von diesem Tag an. Bamdad ist ein junger Vater zweier Grundschulkinder mit politisch stark linken Überzeugungen und bloggt seit dem Jahr 2001. Er beschreibt, wie er von "wie Roboter aussehenden" Sicherheitskräften auf Fahrrädern durch die Gassen von Zentral-Teheran gejagt wurde, und fügt hinzu: "Wir waren am Ende unserer Kräfte, als wir eine Frauenstimme durch eine Sprechanlage hörten: ,Ich habe die Tür aufgemacht, ihr könnt hereinkommen. Wir waren zu fünft und gingen hinein. Eine Dame in einem Tschador begrüßte uns mit einem Krug Wasser und einem Glas. (...) Die grüne Bewegung ist (nach wie vor) eine Angelegenheit der Mittelklasse und sie wird sich erst dann richtig entwickeln, wenn auch die unterprivilegierten Menschen mitmachen."

Da Mussawi aus den Massenmedien verbannt wurde, spielt bei ihm inzwischen auch der Reiz des Verbotenen eine Rolle, und seit den Protesten werden seine Äußerungen mittlerweile von zahllosen Bloggern gepostet, analysiert und diskutiert. Ein Eintrag von Ende September lautet: "Gewalt ist keine Lösung, sie ist wie ein Pferd, das den Reiter abwirft", und er fügte hinzu: "Die Bedeutung des diesjährigen Quds-Tag liegt im Folgenden: An diesem Tag wurde deutlich, dass das von den Menschen neu gewählte Leben nicht vorübergehend und flüchtig ist."

Die meisten konservativen Blogger ignorierten diese Einträge entweder oder sie kommentierten sie mit Ausdrücken wie: "Sie sind die schmerzerfüllten, hoffnungslosen Verlierer" oder auch "Sie sind eine Handvoll betrunkener Hooligans". "Lady Plum" begann ihren Blog vor etwa sechs Jahren. Die zahlreichen Leser ihres Blogs nahmen an ihren Gedankengängen während der Schwangerschaft und ihrer Zeit als junge Mutter Anteil. Im Allgemeinen kümmert sie sich nicht um Politik. Nach den Protesten am Quds-Tag allerdings schrieb sie unter dem Titel "Bekenntnisse eines politischen Hooligans":

"Der Gedanke an unsere Gesellschaft hinterlässt einen bitteren Geschmack, den man nicht leicht wieder losbekommt. Wir haben die Demokratie nicht verdient, sie haben uns nach unserem Äußeren in zwei Lager gespalten. Die einen strenggläubig gekleidet, die anderen westlich, die einen wie die Intellektuellen des Arbeiterviertels, die anderen wie Almosenempfänger (...). Aber die Einigkeit von uns allen hat diese Unterschiede zunichte gemacht. Dieses magische grüne Armband hat Wunder in unserer Kultur, unseren Gefühlen und unseren Herzen bewirkt. (...) Hier stehen wir, wie wir wirklich sind."

Für viele Iraner ist dies mehr als nur eine vorübergehende Auseinandersetzung wegen eines Wahlergebnisses. Während der Konstitutionellen Revolution im Jahre 1906 wurde in Iran die Hoffnung auf Demokratie zerschlagen und mit der Hilfe fremder Mächte ein autoritäres Regime eingesetzt. 1953 wurde die demokratisch gewählte Regierung von Premierminister Mohammed Mossadegh durch einen Putsch gestürzt, der von den USA und Großbritannien gebilligt wurde. Viele sind der Ansicht, dass die Gegenwart derzeit von der Vergangenheit eingeholt wird und in den damaligen Vorkommnissen der Ursprung der aktuellen Probleme zu suchen ist. Während der jüngeren Geschichte haben sich verschiedene Generationen bemüht, in diesem Land eine politische Wende herbeizuführen. Die absolutistischen Monarchen des Iran wurden während der vergangenen 150 Jahre vom Volk entweder vertrieben oder dazu gezwungen zu fliehen und im Exil zu sterben, mit Ausnahme von Muzaffar ad-Din Schah (von 1896 bis 1907 Schah von Persien), der pro-demokratische Aktivisten gewähren ließ und der Schaffung eines Parlaments und der Abhaltung von Wahlen zustimmte.

Mit den Reaktionen auf das Wahlergebnis, den brutalen Razzien und Massenverhaftungen, hat das herrschende System nunmehr offen gezeigt, dass es totalitäre Ambitionen hat. "Sie", um das Wort zu benutzen, mit dem die Iraner allgemein die Mächtigen bezeichnen, werden heute als diejenigen angesehen, die sich selber ihr eigenes Grab schaufeln. "Sie" sind es, die aus dieser Auseinandersetzung einen Kampf bis zum Ende gemacht haben. Blogger "Opium" schreibt: "Was auch immer diese Wahl gewesen sein mag, sie hat uns groß und euch klein gemacht."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzung aus dem Englischen: Gritta Leveques, Luxemburg. Aus Sicherheitsgründen werden die Namen einiger im Artikel genannter Blogger anonymisiert wiedergegeben.

    Vgl. www.youtube.com/watch?v=QU1NNAH6b_g&feature=related (11.11. 2009).

  2. Vgl. www.youtube.com/watch?v=7msXv8Mu79Q &feature=related (11.11. 2009).

  3. Ethan Zuckerman vom Berkman Center for Internet and Society im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema "Social Network or Sanction? Web 2.0 Technology, Trade Sanctions, and Democratic Participation" am 11.9. 2009.

  4. Nico Pitney, Iran Uprising Live-Blogging vom 27.6. 2009, in: www.huffingtonpost.com/2009/06/27/iran- uprising-live-bloggi_n_221809.html (11.11. 2009).

  5. Nikki R Keddie, Iran: Understanding the Enigma, in: Middle East Review of International Affairs, 2 (1998) 3.

Autorin des Buches "We are Iran. The Persian Blogs, Brooklyn 2005."