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Kriegsbeginn 1939: Anfang vom Ende des Deutschen Reichs

Rolf-Dieter Müller

/ 16 Minuten zu lesen

Vor 70 Jahren zeigte sich Hitlers Bereitschaft, Grenzen und Traditionen des Bismarck-Reiches zu sprengen. Im Verlauf "seines" Weltanschauungskrieges zerstörte er das Reich und das alte Europa.

Einleitung

Dass der ehemalige Gefreite des "Großen Krieges" sein Regierungsprogramm am 2. Februar 1933 zuerst in einer geheimen Ansprache vor der Reichswehrführung erläuterte, war bezeichnend. Vieles blieb dabei undeutlich, aber wenn Adolf Hitler bereits hier von der Sicherung von "Lebensraum" sprach, dann kündigte sich ein dramatischer Kurswechsel an. Nach dem Ende der ersten deutschen Republik entwickelte sich die deutsche Politik zielstrebig auf die Auslösung eines neuen europäischen Krieges hin. Hitlers Machtantritt bedeutete, dass die von den konservativen Machteliten bislang angestrebte Revision der Ergebnisse des Weltkriegs nur eine Zwischenstufe bilden würde, um den Kampf um eine Weltmachtposition Deutschlands wiederaufnehmen zu können. Erst in der Weltherrschaft der "arischen Rasse" und der Beseitigung der "jüdisch-bolschewistischen" Gefahr sollte sich Hitlers Lebensraum-Programm vollenden: durch die Bildung eines "Großgermanischen Reiches deutscher Nation".



Aus dem Blickwinkel von 1933 mochten das noch irrlichternde Visionen sein. Weil Hitler der militärischen Führung aber die "Wehrhaftmachung" der Nation versprach und der Armee zusicherte, dass sie der einzige "Waffenträger" des Reiches bleiben werde, wurde die Reichswehr neben der NSDAP zur mächtigsten Stütze des Regimes und konnte ihre bis dahin geheimen Aufrüstungspläne nun zügig umsetzen. Trotz des deutschen Auszugs aus dem Völkerbund brachte man Hitler im Ausland ein gewisses Vertrauen entgegen, weil er sich als "Bollwerk gegen den Bolschewismus" propagandistisch in Szene zu setzen verstand. Der Abbruch der geheimen Kontakte seiner Militärs mit Moskau war unausweichlich.

Sogar eine überraschende Annäherung an Polen wurde nun möglich. In Europa kam die 1919 in Versailles konstruierte Nachkriegsordnung schneller als erwartet in Bewegung und erwies sich bald als hohle Fassade. Für ihre Aufrechterhaltung war selbst die bisherige Hegemonialmacht Frankreich nicht bereit, größere militärische Risiken einzugehen. Doch der wichtigste Impuls zur Zerstörung des internationalen Systems ging von Deutschland aus. Zusammen mit Italien und Japan nutzte das "Dritte Reich" die erneute Einschränkung des globalen Engagements der USA als Folge der Weltwirtschaftskrise, um eine Neuverteilung der wichtigsten Rohstoffzentren und Absatzgebiete zu erreichen und auf diese Weise eigene, autarke "Großräume" zu schaffen. Die britische Regierung hielt einige Korrekturen des Versailler Vertrags für berechtigt. Sie folgte nur widerwillig dem von Deutschland ausgelösten Wettrüsten, was ihrer Bevölkerung nicht einfach zu vermitteln war. Zudem war Frankreich durch die Volksfrontregierung tief gespalten und außenpolitisch kaum handlungsfähig.

Zu den Turbulenzen des Spanischen Bürgerkrieges kam 1937 Japans neuer Krieg in China. Auch hier griffen die Westmächte nicht ein. Hitler beschleunigte nun seinen auf Krieg zielenden Kurs. Der "Anschluss" Österreichs gelang ihm 1938 ebenso wie die "Zerschlagung" der Tschechoslowakei durch eine Mischung aus Gewaltandrohung, innerer Zersetzung und geschickten diplomatischen Schachzügen. Im Falle der Tschechoslowakei war er bereits zum "Schlagen" entschlossen, als ihn der italienische Diktator Benito Mussolini zur Übereinkunft mit den Westmächten drängte, die im Münchener Abkommen zunächst zur Abtretung des Sudetenlandes an das Reich führte. "Frieden für unsere Zeit" glaubte der britische Premierminister Neville Chamberlain mit Hitlers Unterschrift erreicht zu haben. Doch dieser erpresste im März 1939 die Unterwerfung der sog. Rest-Tschechei, ermutigte die Slowakei, sich als Satellitenstaat mit dem Reich zu verbünden, und hatte zunächst auch die Hoffnung, Polen auf seine Seite zu ziehen, indem er sich mit einigen Grenzkorrekturen zufrieden geben wollte und Warschau an der tschechischen Beute beteiligte.

Mit der Garantieerklärung für Polen und der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gab Großbritannien schließlich im März 1939 ein deutliches Signal, dass von nun an jede weitere deutsche Aggression in einen neuen großen Krieg führen würde. Der polnische Widerstand verstärkte Hitlers Entschlossenheit zur kriegerischen Unterwerfung des Landes. Er war davon überzeugt, dass die Westmächte letztlich vor dem Krieg zurückschrecken würden. Deren Anstrengungen, die Sowjetunion für eine Militärallianz zur Eindämmung Deutschlands zu gewinnen, scheiterten an Stalins Forderungen, die faktisch auf eine sowjetische Einflussnahme im Baltikum sowie in Polen hinausliefen. Hitler erkannte seine Chance, die sich bildende Front seiner Gegner zu spalten. Dafür war er bereit, seinem Todfeind Stalin, der gerade in der Mongolei eine japanische Expeditionsarmee geschlagen hatte, Ostmitteleuropa zu überlassen.

Das "weltpolitische Dreieck Berlin-Rom-Tokio", das der deutsche Diktator seit Ende 1937 anstrebte, reduzierte sich am 22. Mai 1939 auf den sog. Stahlpakt mit Italien, was zunächst militärisch ohne Bedeutung blieb, weil Mussolini erst ab 1942 mit der Kriegsbereitschaft seines Landes rechnete. Durch den überraschenden Abschluss eines Nichtangriffsvertrages mit der UdSSR am 23. August 1939 sorgte Hitler dafür, dass im Kriegsfall nicht wieder eine Zweifrontensituation entstand, was er in seiner programmatischen Schrift "Mein Kampf" als den größten Fehler des Kaiserreichs bezeichnet hatte. Damit überzeugte er die zögernde Generalität, die zwar ein Vorgehen gegen Polen befürwortete, aber Deutschland für noch nicht ausreichend gerüstet hielt, um einen Weltkrieg wagen zu können.

Zwei Tage nach dem spektakulären Hitler-Stalin-Pakt schlossen Großbritannien und Frankreich einen Beistandspakt mit Polen. Ihre demonstrative Entschlossenheit beeindruckte Hitler für einen Moment, so dass er den Angriffsbefehl zurückzog und durch hektische diplomatische Aktivitäten Großbritannien zur Zurückhaltung drängen wollte. Polen ließ sich nicht auf direkte Verhandlungen ein, mit denen es sich gegenüber seinen Verbündeten isoliert hätte. So erteilte Hitler erneut den Angriffsbefehl, jetzt zum 1. September 1939, in der Erwartung, dass sich Risikobereitschaft und Nervenstärke wieder einmal auszahlen würden. Doch Paris und London stellten am 3. September ultimativ die Forderung nach einem deutschen Rückzug und erklärten nach Fristablauf dem Deutschen Reich den Krieg. Hitler zeigte sich entschlossen, den Krieg unter allen Umständen weiterzuführen, auch um den Preis eines möglichen neuen Weltkriegs.

Vom europäischen zum globalen Krieg

Mit der Inszenierung immer neuer außenpolitischer Konflikte hatte Hitler die Friedenssehnsucht der europäischen Großmächte und Nachbarn strapaziert und sich Erfolge verschafft, die in seinem eigenen Volk, das auf die Erhaltung des Friedens hoffte, die Zuversicht förderten, der "Führer" werde auch dieses Mal die Krise meistern. Als diese Hoffnung am 3. September 1939 scheiterte, entstand alles andere als Kriegsbegeisterung. Hitler musste freilich nicht nur die deutsche Bevölkerung durch eine geschickte Propaganda und Täuschungsmanöver an den Krieg gewöhnen, sondern auch seine Generalität davon überzeugen, dass er die Risiken zu beherrschen vermochte. In mehreren internen Ansprachen legte er sein Kalkül dar; die Behauptung, man habe einen Rüstungsvorsprung erreicht, der nun genutzt werden müsse, überzeugte nicht jeden. Tatsächlich hätte ein entschlossener Gegenschlag der Westmächte mit gleichzeitiger Kriegserklärung der USA Hitlers Position ins Wanken bringen können. Zum Staatsstreich kam es nur deshalb nicht, weil Hitler sich dazu bewegen ließ, den Angriffsbefehl gegen Frankreich 29-Mal zu verschieben.

Der Generalstab hatte - anders als 1914 - keinen ausgearbeiteten Operationsplan in seinen Schubladen. Das deutsche Heer bezog hinter dem seit 1937 eiligst errichteten "Westwall" Stellung und lieferte sich mit den Franzosen, die ihre Maginotlinie bezogen hatten, in einem "Sitzkrieg" lediglich Scharmützel. So herrschten im Westen noch Wochen nach Kriegsbeginn fast friedensähnliche Verhältnisse. Die geplante totale Mobilmachung wurde im Reich bereits Mitte Oktober 1939 abgebrochen, um die Bevölkerung nicht weiter zu beunruhigen.

Im Rückblick zeigt sich, dass angesichts der personellen und materiellen Unterlegenheit Deutschlands gegenüber der künftigen Anti-Hitler-Koalition bereits am 3. September 1939 das Ende des Deutsche Reiches eingeläutet wurde. Dafür sprechen der maßlose Expansionsdrang, der die alten Grenzen des Kaiserreichs bereits überschritten hatte, und das wahnwitzige Kriegszielprogramm des Diktators, vor allem aber der veränderte Charakter des Krieges, der bereits in Polen mit einer völkerrechtswidrigen Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik erkennbar wurde.

Wenn es nach dem 3. September 1939 überhaupt zu einer zumindest zeitweilig offenen Entscheidungssituation des Zweiten Weltkriegs gekommen ist, dann lag dies in einer militärisch-operativen Entwicklung begründet, die niemanden mehr überrascht hat als die Wehrmacht und Hitler selbst. Großbritannien rechnete mit einem langen Blockadekrieg, im Vertrauen darauf, wie im Ersten Weltkrieg zusammen mit der französischen Armee den zu erwartenden deutschen Ansturm aufhalten zu können. Auch wenn die USA vorerst neutral blieben, sicherte Präsident Franklin D. Roosevelt insgeheim Unterstützung zu und machte sein Land zum "Arsenal der Demokratie". Im Sommer 1941 würde man zum Angriff gegen Deutschland ausreichend gerüstet sein.

Als sein Verbündeter Stalin die Initiative ergriff und Finnland überfiel, geriet Hitler in die politische Defensive und musste die pro-deutsch gesinnte finnische Armee im Stich lassen. Dafür dachten die Westmächte daran, einen Schlag gegen die Ölquellen des Kaukasus zu führen, um eine wichtige "Tankstelle" der Wehrmacht zu schließen. Gleichzeitig bereitete man sich darauf vor, die für Deutschland lebenswichtige Zufuhr schwedischer Eisenerze über den norwegischen Hafen Narvik zu blockieren. Ein schlecht vorbereiteter, übereilter deutscher Angriff im Westen hätte den Verlauf des Zweiten Weltkriegs ebenso in eine andere Richtung lenken können wie ein Erfolg dieser alliierten Gegenzüge. Nicht zuletzt bewirkte der Zufall, dass die von Johann Georg Elser am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller gezündete Bombe ihr Ziel verfehlte und Hitler den Krieg fortsetzen konnte. Welchen Kurs sein designierter Nachfolger Hermann Göring eingeschlagen hätte, bleibt offen.

Ein für die Alliierten zweites "Wunder an der Marne" verhinderte General Erich von Manstein, der im Herbst 1939 einen Feldzugsplan entwickelt hatte, mit dem die Wehrmacht - anders als 1914 - den Sieg im Westen erkämpfte und den "Blitzkrieg" zu einem Erfolgsrezept werden ließ, das die deutschen Soldaten später bis vor die Tore Moskaus führen sollte. Als am 10. Mai 1940 der Angriff begann, konnten die Deutschen ihren Operationsplan umsetzen, weil die zahlenmäßig überlegene französische Luftwaffe ihre Kräfte in Erwartung einer längeren Auseinandersetzung zurückhielt. Dagegen warf Göring alle Geschwader in die Schlacht, sicherte die Luftüberlegenheit im Kampfraum und bombte den deutschen Angriffskräften den Weg frei. Der unkonventionellen Führung von zusammengefassten Panzerverbänden durch General Heinz Guderian kam ebenfalls große Bedeutung zu. Auf französischer Seite hatte Oberst Charles de Gaulle mit ähnlichen Vorstellungen zum Panzerkrieg keine ausreichende Unterstützung gefunden. Seine Vorgesetzten blieben in Vorstellungen des Ersten Weltkriegs verfangen und erwiesen sich angesichts der beschleunigten Führungsentscheidungen eines schnellen Bewegungskriegs als überfordert. Dennoch blieb der deutsche Feldzug im Westen ein hoch riskantes Unternehmen, dessen Erfolg bis zur letzten Minute fragwürdig war.

Mit Blitzfeldzügen, die zur Besetzung Dänemarks und zur Unterwerfung Norwegens führten, zahlte sich Hitlers Bereitschaft zum höchsten Risiko ebenfalls aus, obwohl die Marine vor Narvik erhebliche Verluste erlitt. Als sich bei Dünkirchen die Chance bot, das britische Expeditionskorps gefangen zu nehmen, fehlte ihm die Entschlossenheit, Großbritannien eine Niederlage beizubringen. Es hätte das siegreiche Ende des europäischen Krieges bedeuten können. Auf der Gegenseite war mit dem neuen Premierminister Winston Churchill ein robuster Gegner ins Spiel gekommen. Diesem gelang es, die Kräfte Großbritanniens bis zur Erschöpfung zu mobilisieren. Fast ein Jahr lang leisteten die Briten, auf sich allein gestellt, den Deutschen erbitterten Widerstand. Trotz einzelner Vorstöße 1941/42 in Nordafrika sowie im U-Bootkrieg gelang es der Wehrmacht nicht, die britische Umklammerung zu zerbrechen und deren überseeische Basen zu zerstören.

Was deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg in vier Jahren nicht gelungen war, wurde im Juni 1940 innerhalb von vier Wochen erreicht: eine Siegesparade in Paris. Nichts wäre Hitler in diesem Augenblick lieber gewesen, als sich seinem "Programm" gemäß mit Großbritannien über die Aufteilung der Welt zu verständigen und sich dann nach Osten wenden zu können. Doch Churchill war nicht Stalin: Der sowjetische Diktator zögerte nicht, seinen versprochenen Anteil an der Beute in Ostmitteleuropa einzutreiben, was ihm zugleich den Vorteil verschaffte, sein strategisches Vorfeld zu erweitern. Solange die Wehrmacht am Kanal gebunden war, würde Hitler keinen Zweifrontenkrieg wagen, wie Stalin in Kenntnis von "Mein Kampf" annehmen konnte. Den Verlockungen des "Führers", der die UdSSR gegen Großbritannien in Stellung zu bringen versuchte, widerstand er weitsichtig.

Das zweite Kriegsjahr stand im Zeichen gegenseitigen Belauerns. Inzwischen hatte Hitler längst die Weichen für seinen eigentlichen Krieg, die Eroberung von "Lebensraum im Osten" gestellt. Aufgrund erster Überlegungen der Heeresführung zur Sicherung der Ostgrenze ordnete Hitler am 31. Juli 1940 an, dass die Wehrmacht bereit sein solle, ab 1. Mai 1941 jederzeit einen größeren Feldzug zur Eroberung des europäischen Teils Russlands, der Ukraine und des Kaukasus führen zu können. Damit würde das Großdeutsche Reich zur unangreifbaren Weltmacht werden. Dann könnten auch die rassenideologischen "Neuordnungs-" und Siedlungspläne umgesetzt werden, für die das besetzte Polen bereits zum Experimentierfeld geworden war.

Im Rückblick ist es erstaunlich, wie gering man in Berlin das militärische Risiko des Unternehmens einschätzte. Die deutsche Rüstung war nach dem Frankreich-Feldzug gebremst worden, um die Bevölkerung an den Früchten des Sieges teilhaben zu lassen. In den ersten zwei Jahren des Krieges stagnierte die Rüstungsproduktion. Mit dem Zustrom aus der laufenden Rüstungsproduktion und dem erbeuteten Kriegsmaterial wurde eine Operationsarmee bereitgestellt, die nicht stärker war als die Heeresgruppen, mit denen man Frankreich besiegt hatte. Dabei verfügte Stalin über das größte Militärpotential der Welt, das sich nach der Beseitigung der alten Führungselite rasch personell regenerierte und die Kriegserfahrungen des deutschen Verbündeten zu adaptieren versuchte.

Dennoch waren sich Hitler und sein Generalstab darin einig, dass der Überfall auf die UdSSR ein "Sandkastenspiel" sein würde. Die deutschen Panzerkorps würden die Masse der sowjetischen Armee einkesseln, vernichten und so schnell nach Osten vorstoßen, dass sich keine neue durchgehende Front mehr bilden konnte. Den Rest würden Vorstöße in Richtung Kaukasus und Ural erledigen, um dann eine Militärgrenze ostwärts von Moskau vorzuschieben, die sich mit geringen Kräften halten ließ. Die Masse des Ostheeres würde nach wenigen Wochen in die Heimat zurückkehren, um die Waffen zu schmieden, mit denen man die angelsächsischen Mächte im globalen Maßstab angreifen könnte.

Der Plan war ebenso kühn wie vermessen. Um den Zusammenbruch des Sowjetregimes zu beschleunigen, sollte jeglicher Anschein von Widerstand in der Bevölkerung mit brutalsten Methoden unterdrückt, die kommunistische Führungselite liquidiert und die jüdische Bevölkerung ermordet werden. Der Feldzug sollte als rücksichtsloser Vernichtungs- und Ausbeutungskrieg geführt werden, was eine weitere Radikalisierung der bisherigen Kriegführung bedeutete und von der militärischen Führung trotz einiger Bedenken schließlich mitgetragen wurde.

Kriegswende

So vollzog sich im Mai/Juni 1941 der Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Hitlers Armeen marschierten unter größter Geheimhaltung auf, und Stalin ließ trotz vielfältiger Warnungen seines Geheimdienstes bis zur letzten Minute kriegswichtige Lieferungen über die deutsche Grenze rollen. Umso größer war sein Schock, als ihm bewusst wurde, dass die am Morgen des 22. Juni gemeldeten deutschen Kriegshandlungen der Beginn eines Überfalls waren. In den ersten Wochen zeigte sich die Rote Armee nicht in der Lage, die deutschen Armeen zu stoppen. Beide Seiten erlitten in Kesselschlachten schwere Verluste. Stalin, dem wider Erwarten die Mobilisierung der Kräfte seines Riesenreiches gelang, konnte immer neue Divisionen zusammenstellen, während das deutsche Ostheer aus der Substanz lebte, weil Hitler Reserven für die Feldzüge gegen die angelsächsischen Mächte zurückhielt.

So überschritt die Wehrmacht bereits im August 1941 den Kulminationspunkt ihres Angriffs, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen. Zur gleichen Zeit radikalisierte die SS den Völkermord an den europäischen Juden, was in der antisemitischen Wahnwelt des Diktators auch als Drohgebärde gegen Roosevelt galt. Mit der am 14. August verkündeten Atlantik-Charta über die britisch-amerikanischen Nachkriegsziele zeichnete sich ab, dass Washington die Expansion der faschistischen Mächte nicht länger hinnehmen wollte. Deshalb verband sich die deutsche Kriegserklärung am 11. Dezember 1941 an die USA mit der Entscheidung zur systematischen Ermordung der europäischen Juden, die am 20. Januar 1942 während der Wannseekonferenz detailliert besprochen wurde.

Nach zwei Jahren Krieg in Europa hatte der Zweite Weltkrieg globale Ausdehnung erreicht. Roosevelt hatte nach seiner Wiederwahl (1940) eine deutliche Eindämmungspolitik gegenüber dem aggressiven Japan betrieben und zusammen mit Großbritannien - nach dem deutschen Überfall - auch die UdSSR mit Wirtschafts- und Rüstungslieferungen unterstützt. Noch immer gab es eine starke isolationistische Grundströmung in der Bevölkerung, die sich gegen eine Einmischung in den europäischen und den asiatischen Krieg wehrte. Roosevelt setzte das rohstoffarme Japan unter den Druck von Wirtschaftssanktionen. Tokio entschied sich für den Angriff, um die Ressourcen Südostasiens zu erobern und durch eine weiträumige Verteidigungszone im Pazifik gegen die USA abzusichern. Mit dem Luftangriff auf den Heimathafen der amerikanischen Pazifikflotte in Pearl Harbor auf Hawaii am 7. Dezember 1941 sollten günstige militärische Voraussetzungen geschaffen werden. Dieser heimtückische Schlag veränderte die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung grundlegend, weshalb bis heute spekuliert wird, dass Roosevelt vom Anmarsch der japanischen Flotte gewusst und die Verluste von Pearl Harbor riskiert haben könnte.

Dass sich Hitler mit seiner Kriegserklärung dem japanischen Angriff anschloss, obwohl zur gleichen Zeit die Ostfront unter den Druck der sowjetischen Gegenoffensive bei Moskau geriet, markierte seinen Willen, den Krieg unter allen Umständen bis zum "Endsieg" fortzusetzen. So entschied er sich für eine strategische Defensive und setzte 1942/43 auf die Verteidigung der "Festung Europa". Um das kurze Zeitfenster vor einem Eingreifen der USA auf den Kontinent auszunutzen, wollte er mit einer zweiten Sommeroffensive im Osten endlich die reichen Ölquellen im Kaukasus in die Hand bekommen, damit die Kriegswirtschaft der UdSSR lahm legen und deren wichtigen Versorgungsstrang über den Iran für angelsächsische Hilfslieferungen kappen. Das angeschlagene deutsche Ostheer konnte mit Hilfe einer neuen Rüstungspolitik, zu deren Verantwortlichen Albert Speer ernannt wurde, wieder soweit ausgestattet werden, dass die Heeresgruppe Süd erneut zum Angriff anzutreten vermochte.

Doch der Vormarsch in den Kaukasus wurde durch Hitlers fatale Entscheidung geschwächt, die Heeresgruppe aufzuspalten und mit größeren mobilen Kräften Stalingrad anzugreifen. Aus dem Prestigeduell der beiden Diktatoren entwickelte sich am Jahresende 1942/43 die bis dahin größte Katastrophe der deutschen Militärgeschichte, der Untergang einer kompletten Armee auf dem Schlachtfeld. Hitler hatte, um Kräfte für den gleichzeitigen Angriff auf Baku und Stalingrad freizumachen, die Flanke am Don mit weniger kampfkräftigen Armeen der Verbündeten besetzt. Stalins Gegenoffensive am 19. November gefährdete mit der Vernichtung der 6. Armee die gesamte deutsche Südfront. Nur mit Mühe gelang es, im Frühjahr 1943 die Front vorübergehend zu stabilisieren, obwohl starke Kräfte bereitgestellt werden mussten, um auch der Landung von US-Streitkräften in Algerien zu begegnen, die zusammen mit den von El Alamein vorrückenden Briten die deutsch-italienische Heeresgruppe unter der Führung von General Erwin Rommel im Brückenkopf Tunis einschlossen. In Berlin hatte Propagandaminister Joseph Goebbels mit einer demagogischen Rede am 18. Februar 1943 das deutsche Volk zum "Totalen Krieg" aufgerufen. Hitlers Durchhaltestrategie setzte im Westen auf eine Ausweitung des U-Bootkrieges, den Bau des Atlantikwalls und die Vorbereitung des Einsatzes von modernen Flugkörpern ("Wunderwaffen"), im Osten auf einen Abnutzungskrieg.

Das "Unternehmen Zitadelle" war Anfang Juli 1943 ein Frontalangriff auf den stark befestigten Frontbogen von Kursk, mit dem deutsche Verbände gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner antraten. Nach Anfangserfolgen brach Hitler den Angriff ab, weil die Alliierten inzwischen auf Sizilien gelandet waren und Kräfte zu ihrer Abwehr verlagert werden mussten. Daraufhin trat die Rote Armee zu Großoffensiven an, die für die Deutschen zum Verlust der Ukraine führten, deren Ausbeutung nach Hitlers Willen das wirtschaftliche Rückgrat der Ostfront bilden sollte. Die Alliierten hatten sich nach unerwarteten Verzögerungen in Nordafrika dazu entschlossen, die Invasion auf dem Kontinent um ein Jahr zu verschieben. Bei der Konferenz von Casablanca entschieden sie sich im Januar 1943 dafür, einerseits durch die Ausweitung des strategischen Bombenkrieges das noch immer wachsende deutsche Rüstungspotential zu schwächen und durch Angriffe auf Großstädte die deutsche Kriegsmoral zu zerstören, andererseits im Pazifik offensiv zu werden, um eine Entscheidung gegen Japan zu erzwingen.

Im Rüstungswettlauf lagen die Briten und Amerikaner schon weit vor den Deutschen und den Japanern. Auch die Sowjetunion hatte den Rückschlag von 1941 überwunden und produzierte mittlerweile mehr Panzer als das "Dritte Reich". Stalin profitierte nicht nur von den Hilfslieferungen seiner Verbündeten, sondern auch von der bequemen strategischen Lage, nur an einer Front seine Kräfte einsetzen zu müssen, denn Japan hielt an der Neutralitätspolitik gegenüber der UdSSR fest, um seine schwache Position auf dem chinesischen Festland nicht zu riskieren.

Mit "Operation Overlord" starteten die Alliierten am 6. Juni 1944 das größte Landungsunternehmen der Weltgeschichte, ein bis zur letzten Minute höchst riskanter Einsatz. Es gelang ihnen, die zwischen Nordkap und spanischer Grenze verteilte deutsche Abwehr zu überlisten und überraschend in der Normandie einen Brückenkopf zu bilden, den sie dank ihrer Luftüberlegenheit schrittweise ausweiteten. Die Befreiung Frankreichs warf für die Alliierten keine großen Schwierigkeiten auf, doch zögerten sie im Herbst 1944, den Vorstoß ins Reich zu wagen. Der Oberkommandierende General Dwight D. Eisenhower wollte kein Risiko eingehen, weil in den USA die Wiederwahl Roosevelts anstand und das "Dritte Reich" nicht so geschwächt erschien wie das Kaiserreich im Herbst 1918.

Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, mit dem die Militäropposition einen Ausweg aus dem Krieg versuchte, war gescheitert, und die Nazis organisierten eine letzte verzweifelte Mobilmachung. Am 16. Dezember 1944 gelang den Deutschen ein Überraschungsangriff in den Ardennen. Ähnlich wie 1940 durchbrachen sie die unvorbereiteten Verteidigungslinien des Gegners, konnten aber dieses Mal den Durchbruch nicht in die Tiefe ausweiten. Es fehlte der Wehrmacht nicht nur die Luftherrschaft über dem Gefechtsfeld, sondern auch ausreichend Treibstoff.

Der Schlussakt wurde Mitte Januar 1945 von der Roten Armee eröffnet, die in kürzester Zeit von der Weichsel bis zur Oder vorstieß und eine Fluchtwelle unter der ostdeutschen Bevölkerung auslöste. Durch die nachfolgenden Vertreibungen wurden historische Siedlungsgebiete der Polen und Deutschen in Ostmitteleuropa nachhaltig zerstört und Grenzen verändert. Als die Westalliierten Anfang März den Rhein überschritten, war Hitlers Kriegführung am Ende. Der Selbstmord des Diktators löste die letzten Bande innerhalb der Wehrmacht, deren Führung am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation akzeptierte. Die Kämpfe im Pazifik dauerten noch bis August; zur gleichen Zeit besiegelte die Konferenz in Potsdam das Ende des Deutschen Reiches. Der Überfall auf Polen vor 70 Jahren, im Sommer 1939, hatte den Anfang vom Ende markiert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag beruht auf Rolf-Dieter Müller, Militärgeschichte (UTB), Köln u.a. 2009.

  2. Vgl. Rainer F. Schmidt, Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933 - 1939, Stuttgart 2002.

  3. Vgl. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. 10 Bde., Stuttgart 1979/München 2008.

  4. Vgl. Rolf-Dieter Müller, Der letzte deutsche Krieg 1939 - 1945, Stuttgart 2005.

  5. Vgl. Ian Kershaw, Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2008.

  6. Vgl. Karl-Heinz Frieser, Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, München 1995.

  7. Vgl. z.B. Robert B. Stinnett, Pearl Harbor. Wie die amerikanische Regierung den Angriff provozierte und 2476 ihrer Bürger sterben ließ, Frankfurt/M. 2003.

Dr. phil. habil., geb. 1948; Honorarprofessor für Militärgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin; Leiter des Forschungsbereichs "Zeitalter der Weltkriege" im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr, Postfach 601122, 14411 Potsdam.
E-Mail: E-Mail Link: rolfdietermueller@bundeswehr.org