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Europäische Öffentlichkeit - Entwicklung transnationaler Medienkommunikation

Barbara Pfetsch Annett Heft Annett Barbara Pfetsch / Heft

/ 14 Minuten zu lesen

Die EU ist mit ablehnenden Verfassungsreferenden und dem Vorwurf des Demokratiedefizits konfrontiert. Entscheidend für die Legitimierung der EU ist eine öffentliche Kommunikation, welche die europäische Politik transparent macht.

Einleitung

In einer Zeit, in der die Europäische Integration durch ablehnende Verfassungsreferenden, Akzeptanzprobleme auf Seiten der Bevölkerung und eine turbulente wirtschaftliche Entwicklung auf eine harte Probe gestellt wird, ist politische Unterstützung eine wichtige Ressource für die Europäische Union (EU). Die politische Gemeinschaft der Europäer ist auf die sozialen Funktionen der gesellschaftlichen Integration und Identitätsbildung angewiesen.




Öffentlichkeit ist hier eine wichtige Bedingung, denn in öffentlicher Kommunikation werden die Wirklichkeitskonstruktionen, Regeln und Normen ausgehandelt, auf denen der Verständigungsprozess einer Gesellschaft beruht. Europäische Öffentlichkeit ist daher eng mit dem Prozess der Herausbildung einer kollektiven Identität der EU-Bürger verbunden. Sie ist aber auch für den Politikprozess der EU eine kritische Bedingung.

Demokratie und Öffentlichkeit

Die Europäische Integration hat mit ihrer Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen auf die EU dazu geführt, dass die europäische Politik mit weit reichenden Veränderungen im Leben der Bürger verbunden ist. Dennoch ist die EU für viele der rund 375 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger aus 27 Ländern eine schwer fassbare, abstrakte Institution, über die sie keine direkte Kontrolle haben. Angesichts des "Demokratiedefizits" ist öffentliche Kommunikation, welche die europäische Politik für die Bürger transparent macht, eine entscheidende Voraussetzung für die Legitimierung der EU. Europäische Öffentlichkeit kann man als einen Kommunikationsraum begreifen, in dem europäische Akteure Resonanz für ihre Politik erwarten und die Meinungen der Bevölkerung erfahren können. Die Frage nach Entstehung und Entwicklungsstand Europäischer Öffentlichkeit ist damit eine Kernfrage der europäischen Demokratie.

Europäische Öffentlichkeit ist aber nicht nur eine demokratietheoretisch wünschenswerte Kategorie, sondern ein virulenter Gegenstand der empirischen Politikforschung. Denn wie kommen Kommunikationsprozesse, welche die Grenzen der Nationalstaaten überwinden und die Bürgerinnen und Bürger Europas miteinander verbinden, realistisch zustande und wie nachhaltig sind sie? Wann sprechen wir von einer Europäischen Öffentlichkeit und unter welchen Bedingungen entwickelt sie sich? Wie viel öffentliche Kommunikation über Europa gibt es schon und wie gleichen oder unterscheiden sich die europäischen Debatten über die gemeinsamen Entscheidungen in Brüssel in den verschiedenen Mitgliedsländern? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags. Wir diskutieren zunächst die Konzepte und die Befunde der empirischen Forschung über die Formen, den Umfang und die Qualität von grenzüberschreitender Kommunikation in Europa. Dann richten wir den Blick insbesondere auf die Massenmedien, die einerseits als Infrastruktur der Herausbildung einer transnationalen europäischen Kommunikation gelten. Sie können andererseits als Befürworter oder Gegner des europäischen Projekts auftreten und damit die Unterstützung der EU entscheidend beeinflussen.

Konzepte Europäischer Öffentlichkeit(en)

Während das Ziel einer Europäischen Öffentlichkeit in Deutschland weitgehend unumstritten ist, unterscheiden sich die Vorstellungen darüber, wie es zu solchen Prozessen der grenzüberschreitenden Kommunikation kommt. Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn Europa ist auf der Ebene der Bürgerinnen und Bürger und des Publikums eine sprachlich, kulturell und politisch heterogene Gemeinschaft. Bei der Suche nach einer europäischen Öffentlichkeit denkt man vor allem an massenmedial hergestellte Öffentlichkeit, denn nur die Medien bieten eine stabile Infrastruktur, um die Informationen und Meinungen zu einer Vielzahl an Themen kontinuierlich an ein Massenpublikum zu vermitteln. Wie also kann man sich eine Europäisierung der massenmedialen Kommunikation über die kulturellen, sprachlichen und politischen Grenzen hinweg vorstellen und ab welchem Punkt können wir wirklich von Europäisierung sprechen? In der Forschung werden zwei Grundmodelle der europäischen Kommunikation unterschieden: a) das Modell der Zunahme von transnationalen, paneuropäischen Medien; b) das Modell einer zunehmenden Europäisierung der Debatten und Bezugnahmen in nationalen Medien. Im ersten Modell wird dann von einer transnationalen europäischen Öffentlichkeit gesprochen, wenn ein gemeinsamer Kommunikationsraum entsteht, der durch europäische Medien hergestellt wird. Dieses Modell erscheint sehr voraussetzungsvoll und auf absehbare Zeit wenig realistisch, da Sprachbarrieren und kulturelle Identitäten wie auch die Medienpolitik und die Institutionenstruktur der EU die Entwicklung einer breiten gesamteuropäischen Medieninfrastruktur behindern. Realistischer erscheint indessen, dass eine Europäisierung von den Massenmedien in den einzelnen EU-Ländern ausgeht. Zu diesem Prozess der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten gibt es zwei Sichtweisen: Nach Klaus Eder und Cathleen Kantner entsteht Europäische Öffentlichkeit durch die Synchronisierung europapolitischer Debatten. Wenn also die gleichen europäischen Themen unter gleichen Relevanzgesichtspunkten gleichzeitig in unterschiedlichen Ländern debattiert werden, dann kommt es zur Europäisierung von Öffentlichkeit. Ein Beispiel für dieses Modell sind die in den Massenmedien mehrerer europäischer Länder gleichzeitig geführten Debatten über Lebensmittelsicherheit infolge des BSE-Skandals. Eder und Kantner gehen in ihrem Modell eher von punktuellen, themenspezifischen europäischen Teilöffentlichkeiten aus statt von generalisierter Massenkommunikation.

Andere Autoren sehen den Prozess der Europäisierung dann gegeben, wenn die Zahl der europäischen Politikthemen und -akteure in den nationalen Medien wächst und diese Medien zunehmend aufeinander Bezug nehmen oder sich vernetzen. Hier wird der Blick auf die Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für europäische Themen in den Medien der EU-Mitgliedstaaten sowie auf deren gegenseitige Bezugnahmen gelenkt, die sich in vertikalen und horizontalen Formen kommunikativer Vernetzung äußern. Wenn sich also deutsche Politiker im Fernsehen zur EU-Finanzpolitik äußern oder deutsche Journalisten Politiker aus anderen Ländern interviewen, wären das Beispiele derartiger transnationaler Vernetzungen. Jenseits dieser analytischen Unterscheidung steht fest, dass es bei der Entwicklung einer Europäischen Öffentlichkeit um mehrdimensionale Prozesse geht. In der alltäglichen Medienberichterstattung überlagern und ergänzen sich dabei verschiedene Formen und Richtungen der europäisierten Kommunikation.

Der Beitrag der nationalen Medien

Es liegt auf der Hand, dass die Massenmedien eine Schlüsselrolle im Prozess der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten spielen. Lange wurden die Medien vor allem als Informationsvermittler gesehen, die auf Basis von journalistischen Selektionskriterien und professionellen Normen Informationen über relevante Politikprozesse bereitstellen. Genau diese Medienlogik wurde dann auch für ein fehlendes Interesse an europäischen Themen und Akteuren verantwortlich gemacht, so dass die nationalen Medien in erster Linie als Hindernisse der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten betrachtet wurden. Jürgen Gerhards hat beispielsweise argumentiert, dass die Logik der Nachrichtenwerte und das Bemühen, möglichst große nationale Publika mit personalisierter, konflikthaltiger Berichterstattung anzusprechen, nicht mit der Berichterstattung von und über Europa vereinbar seien.

In neueren Studien zur Europäisierung werden Medien nicht mehr nur auf eine Vermittlerrolle verpflichtet, sondern als eigenständige Akteure in Europäisierungsprozessen gesehen. Sie sind zum einen in der Lage, Themen in öffentlichen Debatten Relevanz zu geben und bestimmte - zum Beispiel europaskeptische oder europafreundliche - Interpretationsrahmen zu stärken. Zum anderen können vor allem die Qualitätsmedien die Debatten für europäische Akteure und transnationale Perspektiven öffnen und somit dazu beitragen, dass rein nationale Perspektiven der Berichterstattung überwunden werden. Schließlich können sich Medien als "Agenten" Europäischer Öffentlichkeit erweisen, indem sie in ihren Kommentaren als Unterstützer des Europäischen Integrationsprojekts auftreten. Inwiefern und unter welchen Bedingungen Medien eine solche aktive Rolle einnehmen, werden wir im nächsten Abschnitt diskutieren.

Politische Integration und das Ausmaß der Europäisierung von Öffentlichkeit

In Bezug auf die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die Europäisierung in den Massenmedien der EU-Mitgliedsländer stattfindet, gibt es eine ganze Reihe empirischer Studien. Da sich die Untersuchungsdesigns, Indikatoren und Operationalisierungen aber stark unterscheiden, muss man die manchmal disparaten Befunde mit Vorsicht interpretieren. Aus verschiedenen Fallstudien wissen wir, dass die Medien europäischen Themen besonders dann zu Prominenz verhelfen, wenn über Skandale oder Konflikte berichtet wird oder wenn politische Events wie beispielsweise Gipfeltreffenstattfinden. Der EU-Korruptionsskandal oder die Verfassungsdebatte sind Beispiele für kurzfristig stark erhöhte Aufmerksamkeiten, die teilweise mit länderübergreifend ähnlichen Debatten, teilweise aber auch mit großen Unterschieden in den nationalen Diskursen einhergehen.

Jenseits von einzelnen Themenkarrieren hat sich die Forschung vor allem dafür interessiert, wie sich der Anteil der Berichterstattung über europäische Themen über die Zeit und im Vergleich zum Umfang der nationalen Politikberichterstattung entwickelt. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine Zunahme europäischer Themen und Akteure ein klarer Indikator für die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit sei, war der Befund älterer Arbeiten meist Grund für pessimistische Schlussfolgerungen. Eine Sekundäranalyse von Jürgen Gerhards ergab ein eher niedriges Niveau an Europäisierung, da der Anteil europäischer Themen in der Qualitätspresse zwischen den 1960er und den 1990er Jahren bei nur durchschnittlich sieben Prozent lag. Jüngere Studien dagegen zeigen, dass sich die gestiegene Relevanz der EU seit Beginn der 1990er Jahre auch in einer immer stärkeren Sichtbarkeit der EU-Institutionen und EU-Politiken widerspiegelt.

Die ersten Studien über die Europäisierung von Öffentlichkeit haben auch zu einer Differenzierung der bislang eher pauschalen Erwartungen geführt. Wenn man davon ausgeht, dass öffentliche politische Diskurse auch den Entscheidungsprogrammen von Institutionen folgen, dann ist die Hypothese einer gleichförmigen, allgemeinen und politikunabhängigen Europäisierung von Öffentlichkeit nicht sinnvoll. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse der EU in den einzelnen Politikfeldern erscheint es vielmehr plausibel, starke Europäisierungen vor allem bei Debatten über Themen in integrierten Politikbereichen zu erwarten. Verschiedene Studien zeigen für die Währungspolitik und die Agrarpolitik, bei denen politische Kompetenzen fast vollständig auf die EU verlagert wurden, auch einen hohen Grad an (vor allem vertikaler) Europäisierung der Debatten. Im Gegensatz dazu finden sich in der Medienkommunikation über Themen der nationalen Politik - wie der Renten- und der Bildungspolitik - kaum europäische Referenzen. Dies ist ein wichtiger Befund, weil er zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit der Europäisierung von Öffentlichkeit in dem Maße steigt, wie politische Entscheidungsbefugnisse von der nationalen Politikebene auf die EU-Ebene übertragen werden.

Das Ausmaß der transnationalen Kommunikation in Europa variiert nicht nur danach, ob Politikfelder hohe oder niedrige EU-Kompetenzen aufweisen. Daneben können wir auch zeigen, dass der Blick und die kommunikativen Bezugnahmen auf Europa in verschiedenen Mitgliedsländern unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Im Vergleich von sieben EU-Ländern erweist sich die massenmediale Öffentlichkeit in Großbritannien als am stärksten in nationalen Diskursen verhaftet. Im Vergleich dazu weisen die Debatten in Deutschland, Frankreich oder Spanien im Umfang ähnliche, deutlich höhere Europäisierungsgrade auf. Die Transnationalisierung von Kommunikation wird vor allem von den Qualitätszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern getragen, die häufiger den Blick über den (nationalen) Rand hinaus richten. Die Regional- und Boulevardmedien hingegen widmen sich stärker dem Nationalstaat mit seinen Themen und Akteuren.

Zur Struktur und Qualität europäischer Debatten

Seit den ersten Versuchen, die Europäisierung nationaler Medienöffentlichkeit anhand von quantitativen Kennzahlen zu beschreiben, hat sich die Forschung beachtlich weiterentwickelt. Inzwischen interessiert nicht mehr so sehr das Ausmaß europäischer Öffentlichkeit, sondern die innere Struktur und Qualität der transnationalen Kommunikation in Europa. Welche Faktoren erklären also die Art und Weise, wie europäische Debatten in der massenmedialen Öffentlichkeit verlaufen und wie die Medien dabei agieren?

Im Gegensatz zu früheren Forschungen belegen neuere Untersuchungen, dass die Medien als Motoren europäischer Öffentlichkeit fungieren. So haben die deutschen Zeitungen das Thema Europäische Integration häufiger auf die Tagesordnung gesetzt als andere Akteure. Wir können auch zeigen, dass die Medien häufiger Referenzen zu Europäischen Institutionen in nationale Debatten einbringen und auch deutlich häufiger europäische Mitgliedsländer berücksichtigen. Allerdings gilt dies nicht für alle Medien in gleichem Maße. So profiliert sich die "Bild" stets dadurch, dass sie politische Debatten auf nationale Aspekte reduziert und europäische Facetten unter den Tisch fallen lässt.

Auch der Vorwurf, Medien würden aufgrund der Nachrichtenlogik hauptsächlich negative Aspekte und Konflikte zwischen nationalen und europäischen Interessen herausstellen, hat sich als nicht gerechtfertigt erwiesen. In ihren Kommentaren über Europäische Integration schlagen die deutschen Printmedien deutlich stärker pro-europäische Töne an als die politischen Parteien und die zivilgesellschaftlichen Akteure. Überhaupt scheinen die Sprecher der Zivilgesellschaft mitnichten von der Europäisierung der deutschen Medienöffentlichkeit zu profitieren. So hat sich die Hoffnung, dass die Akteure der Zivilgesellschaft im Zuge der Europäisierung stärker zur Geltung kommen, als nicht gerechtfertigt erwiesen. Die nationalen Regierungen sind hier im Vergleich zu anderen Akteuren die eindeutigen Nutznießer der Europäisierung.

Bei komparativen Forschungen zur Europäisierung in verschiedenen Ländern wird deutlich, dass Europäisierung keineswegs ein Prozess ist, der überall gleich verläuft. Dazu tragen die unterschiedlichen politischen Kulturen sowie die Journalisten und die Positionierung von Medienorganisationen bei. Vergleicht man die Haltungen gegenüber der Europäischen Integration in den Kommentaren der Qualitätspresse in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, der Schweiz und Großbritannien, so nahmen die Journalisten mehrheitlich eine positive Haltung ein. Im Unterschied zu der eindeutig europafreundlichen Kommentierung in Frankreich und Italien brachten die britischen Medien in fast jedem zweiten Editorial eine negative Einstellung gegenüber der Europäischen Integration zum Ausdruck.

Nationale politische Kontexte der einzelnen EU-Mitgliedsländer erweisen sich nicht nur als wichtiger Einflussfaktor auf die Haltungen der Journalisten oder die Relevanz, die sie europäischen Themen beimessen. Es liegt auf der Hand, dass die gemeinsame Politik in Brüssel in den Medien der Mitgliedsländer vor dem Hintergrund der nationalen politischen Kultur und der eigenen inneren Konfliktlinien und Interessenskonstellationen interpretiert wird. Umso bemerkenswerter sind Situationen, in denen sich die Debatten über europäische Themen angleichen. Eine Analyse der Kommentare zur Europäischen Integration zeigt, dass die Presse der kontinentaleuropäischen Länder gemeinschaftlich zwei grundlegende Konfliktlinien diskutiert. Im Mittelpunkt steht zum einen die Frage, wie die Beziehungen zwischen den Nationalstaaten und der EU gestaltet werden sollten, zum anderen, welche Ziele das Integrationsprojekt überhaupt verfolgen sollte. Bemerkenswert ist, dass die Presse in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden hier die gleichen Positionen vertritt. In Großbritannien, wo nicht alle Integrationsschritte mitvollzogen wurden, ignorieren die Zeitungen diese Grundsatzfragen weitgehend. Sie diskutieren die Europäische Integration mit Blick auf die Vorzüge und Nachteile in der Währungs- und der Außenpolitik der EU.

An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Massenmedien dazu tendieren, die Argumentationsfiguren und Positionen ihrer nationalen Regierungen zu übernehmen. So findet man in der öffentlichen Kommunikation über europäische Politik das Muster, dass nationale Regierungen an den Verhandlungstischen in Brüssel Maßnahmen zustimmen, die sie zu Hause nicht mehr so enthusiastisch vertreten. In dieser Situation ist die öffentliche massenmediale Debatte über europäische Politik von Verantwortungszuweisungen geprägt. Jürgen Gerhards et al. zeigen, dass die nationalen Regierungen die Schuld für vermeintliche Misserfolge mehrheitlich der Europäischen Kommission und den Regierungen der anderen EU-Länder zuweisen. Für Erfolge der europäischen Politik wollen sie dagegen selbst verantwortlich sein. Dieses Muster prägt auch die öffentlich zur Schau gestellten Beziehungen zwischen der EU-Kommission und den nationalen Regierungen. Denn auch die Europäische Kommission beherrscht die Rhetorik, für Misserfolge die nationalen Regierungen verantwortlich zu machen. Wenn man davon ausgeht, dass diese Muster der öffentlichen Auseinandersetzung über Europa auch das Image, die Kompetenzzuschreibung und die Legitimität der EU in den Augen der Bürger beeinflusst, dann stimmt dies nachdenklich. Empirische Studien deuten darauf hin, dass es vor allem positive Nachrichten über Europa sind, die zu einer Stärkung europäischer Identität beitragen können.

Ausblick

Wie sieht also Europäische Öffentlichkeit heute, kurz vor der siebten Europawahl als eine der wenigen direkten Wahlmöglichkeiten für die Europäischen Bürger, aus? Zunächst gilt nach wie vor, dass Europäische Öffentlichkeit vor dem Hintergrund des "Demokratiedefizits" der EU und der Kommunikationsbedürfnisse der europäischen Bürgerinnen und Bürger mehr denn je erforderlich ist. Die hier diskutierten Forschungsergebnisse zeigen ein vielgestaltiges Bild dieser Öffentlichkeit und machen noch einmal deutlich, dass allgemeine Annahmen und Aussagen zu den Leistungen "der" Medien für "die" Europäische Öffentlichkeit dem komplexen Beziehungsgeflecht transnationaler Kommunikation im Kommunikationsraum Europa noch weniger angemessen sind als schon für nationale Öffentlichkeiten. Wir wissen, dass Europa zu bestimmten Zeitpunkten, in verschiedenen thematischen Kontexten und mit jeweils recht unterschiedlichen nationalen Rahmungen für die Bürgerinnen und Bürger Europas sichtbar wird und können diese Unterschiede in Ansätzen auch erklären. Künftig wird es darauf ankommen, weitere Faktoren herauszuarbeiten, welche die verschiedenen Formen und Grade der Europäisierung und die Synchronisation europäischer Debatten erklären. Dann erst wird es möglich sein, die Qualitäten und Dynamiken Europäischer Öffentlichkeit zu prognostizieren. Die empirische Forschung hat auch im Hinblick auf die demokratische Qualität noch viele Fragen zu klären. Denn über die Wirkungen der europäischen Debatten in den Massenmedien auf die Bürgerinnen und Bürger, deren Wissen und Einstellungen zum Projekt Europa und der europäischen Gemeinschaft, liegen bisher kaum gesicherte Befunde vor.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Graf Kielmannsegg, Integration und Demokratie, in: Markus Jachtenfuchs/Beate Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, Opladen 1996, S. 47-72.

  2. Vgl. Ruud Koopmans/Jessica Erbe, Towards a European Public Sphere? Vertical and Horizontal Dimensions of Europeanised Political Communication, Discussion Paper SP IV 2003-403, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin 2003.

  3. Vgl. Jürgen Gerhards/Friedhelm Neidhardt, Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellung und Ansätze, in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Politische Kommunikation. Grundlagen, Prozesse, Strukturen, Wien 1993, S. 52-88.

  4. Vgl. Jürgen Gerhards, Westeuropäische Integration und die Schwierigkeit der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit, in: Zeitschrift für Soziologie, 22 (1993) 2, S. 96-110; Friedhelm Neidhardt/Ruud Koopmans/Barbara Pfetsch, Konstitutionsbedingungen politischer Öffentlichkeit. Der Fall Europa, in:Hans-Dieter Klingemann/Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie. Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung, WZB-Jahrbuch 2000, Berlin 2000, S. 263-294.

  5. Vgl. P. G. Kielmannsegg (Anm. 1); Dieter Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, München 1995.

  6. Vgl. J. Gerhards (Anm. 4).

  7. Vgl. Klaus Eder/Cathleen Kantner, Transnationale Resonanzstrukturen in Europa. Eine Kritik der Rede vom Öffentlichkeitsdefizit, in: Maurizio Bach (Hrsg.), Die Europäisierung nationaler Gesellschaften, Sonderheft 40 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 2000, S. 306-331.

  8. Vgl. Hans-Jörg Trenz, Zur Konstitution politischer Öffentlichkeit in Europa. Zivilgesellschaftliche Subpolitik oder schaupolitische Inszenierung?, Baden-Baden 2002.

  9. Vgl. F. Neidhardt/R. Koopmans/B. Pfetsch (Anm. 4).

  10. Vgl. R. Koopmans/J. Erbe (Anm. 2).

  11. Vgl. Barbara Pfetsch, Agents of Transnational Debate across Europe. The Press in Emerging European Public Sphere, in: Javnost - The public, (2008) 15, S. 21 - 40.

  12. Vgl. J. Gerhards (Anm. 4).

  13. Vgl. Benjamin Page, The Mass Media as Political Actors, in: Political Science and Politics, 29 (1996) 1, S. 20 - 25; Barbara Pfetsch/Silke Adam, Die Akteursperspektive in der politischen Kommunikationsforschung, in: dies. (Hrsg.), Massenmedien als politische Akteure. Konzepte und Analysen, Wiesbaden 2008, S. 9 - 26.

  14. Vgl. Ruud Koopmans/Barbara Pfetsch, Obstacles or motors of Europeanization? German media and the transnationalization of public debate, in: Communications, 31 (2006) 2, S. 115 - 138; Barbara Pfetsch/Silke Adam/Barbara Eschner, The contribution of the press to Europeanization of public debates, in: Journalism, 9 (2008) 4, S. 465 - 492; B. Pfetsch (Anm. 11).

  15. Vgl. Hans-Jörg Trenz, Korruption und politischer Skandal in der EU. Auf dem Weg zu einer europäischen politischen Öffentlichkeit?, in: M. Bach (Hrsg.), Anm. 7, S. 332-359; Silke Adam, Symbolische Netzwerke in Europa. Der Einfluss der nationalen Ebene auf europäische Öffentlichkeit. Deutschland und Frankreich im Vergleich, Köln 2007.

  16. Vgl. Jürgen Gerhards, Europäisierung von Ökonomie und Politik und die Trägheit der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit, in: M. Bach (Hrsg.), Anm. 7, S. 277-305.

  17. Vgl. ebd., S. 294f.

  18. Vgl. Michael Brüggemann/Stefanie Sifft/Katharina Kleinen-von Königslöw/Bernhard Peters/Andreas Wimmel, Segmentierte Europäisierung - Trends und Muster der Transnationalisierung von Öffentlichkeiten in Europa, in: Wolfgang R. Langenbucher/Michael Latzer (Hrsg.), Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel, Wiesbaden 2006, S. 214-231; Hans-Jörg Trenz, "Banaler Europäismus". Eine latente Kategorie der Europäisierung politischer Kommunikation, in: ebd., S. 192 - 212; Hartmut Wessler/Bernhard Peters/Michael Brüggemann/Katharina Kleinen-von Königslöw/Stefanie Sifft, Transnationalization of Public Spheres, Houndmills 2008.

  19. Vgl. B. Pfetsch (Anm. 11).

  20. Vgl. Ruud Koopmans/Barbara Pfetsch, Towards a Europeanised Public Sphere? Comparing Political Actors and the Media in Germany, ARENA Working Paper, 23/2003; R. Koopmans/J. Erbe (Anm. 2); Ruud Koopmans, Integrated Report: Cross-National, Cross-Issue, Cross-Time, April 2004, in: http://europub.wzb. eu/Data/reports/WP2/D2 - 4 %20WP2 %20Integrated %20Report.pdf (22.4. 2009).

  21. Vgl. R. Koopmans (Anm. 20).

  22. Vgl. Jochen Peter/Claes H. de Vreese, In Search of Europe. A Cross-National Comparative Study of the European Union in National Television News, in: The Harvard International Journal of Press/Politics, 9 (2004) 3, S. 3 - 24; Regina Vetters, Vor Ort in Europa. Ein Vergleich der EU-Berichterstattung deutscher Qualitäts- und Regionalzeitungen, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, (2007) 3, S. 355 - 371.

  23. Vgl. R. Koopmans/B. Pfetsch (Anm. 14), S. 123.

  24. Vgl. ebd., S. 124f.

  25. Vgl. ebd., S. 128f.

  26. Vgl. Ruud Koopmans, Who inhabits the European public sphere? Winners and losers, supporters and opponents in Europeanised political debates, in: European Journal of Political Research, (2007) 46, S. 183-210; S. Adam (Anm. 15).

  27. Vgl. B. Pfetsch (Anm. 11).

  28. Vgl. B. Pfetsch/S. Adam/B. Eschner (Anm. 14), S. 468.

  29. Vgl. Silke Adam/Barbara Pfetsch, Europa als Konflikt in nationalen Öffentlichkeiten - Zur Politisierung von Integration vs. Abgrenzung in der Integrationsdebatte, in: Barbara Pfetsch/Frank Marcinkowski, Politik in der Mediendemokratie, PVS-Sonderheft, Wiesbaden 2009, S. 559-584.

  30. Vgl. Jürgen Gerhards/Anke Offerhaus/Jochen Roose, Wer ist verantwortlich? Die Europäische Union, ihre Nationalstaaten und die massenmediale Attribution von Verantwortung für Erfolge und Misserfolge, in: ebd., S. 529-558.

  31. Vgl. Michael Bruter, Citizens of Europe? The Emergence of a Mass European Identity, Houndmills 2005.

Dr. phil.; Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, Arbeitsstelle Kommunikationstheorie und Medien- wirkungsforschung, Garystr. 55, 14195 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: pfetsch@zedat.fu-berlin.de

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin, Arbeitsstelle Kommunikationstheorie und Medienwirkungsforschung (s. o.).
E-Mail: E-Mail Link: annett.heft@fu-berlin.de