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"Islamic Finance" und die Finanzmarktkrise

Sebastian Sons

/ 15 Minuten zu lesen

Die Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise sind auch in den Ländern der "islamischen Welt" spürbar. Das Islamic Banking versucht, moralisch-religiöse Werte des Islams mit pragmatischer Ökonomie zu vereinbaren.

Einleitung

In Zeiten der globalen Finanzkrise müssen auch muslimisch geprägte Gesellschaften versuchen, Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme zu finden.


Dabei gerät ein islamisch legitimiertes Finanzsystem, das sogenannte Islamic Finance, verstärkt in den Fokus der Problem- und Lösungsanalyse - nicht nur für die "islamische Welt", sondern auch für konventionelle Wirtschaftssysteme weltweit.

Die Finanzkrise in der "islamischen Welt"

Einerseits leiden große Teile der "islamischen Welt" unter ähnlich schweren Konsequenzen der aktuellen Finanzmarktkrise wie viele westliche Industrienationen. Andererseits sind in manchen Ländern, zum Beispiel in Iran, aufgrund der mangelnden Vernetzung mit dem globalen Finanzsystem negative Auswirkungen kaum oder sogar überhaupt nicht zu spüren. Es ist also unmöglich, eine pauschale Zustandsbeschreibung für die "islamische Welt" zu liefern. Dazu sind die "islamischen Welten" bezüglich sozialer, geographischer, politischer, kultureller und ökonomischer Aspekte zu heterogen.

In den vergangenen Jahren prosperierten vor allem die Länder Nordafrikas und des Mittleren Ostens (MENA-Region). Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs ab 2002 jährlich um 5,7 Prozent im Durchschnitt, was vor allem an den Öl- und Gasressourcen vieler MENA-Länder und dem hohen Energiepreis bis zum Sommer 2008 sowie diversen Modernisierungsreformen lag; immerhin 66 Prozent der weltweiten Gas- und Ölvorkommen lagern in dieser Region. Die Finanzkrise schwächte diese Konjunkturphase deutlich ab: So wird das Wirtschaftswachstum 2009 voraussichtlich auf 3,9 Prozent absinken. Auch die Boomregion der Golfstaaten leidet unter der Krise: Die Staatsfonds in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Saudi-Arabien, Oman, Kuwait, Katar und Bahrain mussten erhebliche Verluste bei ihren internationalen Aktieninvestitionen hinnehmen. So verloren die Aktien auf den einheimischen Märkten seit Beginn 2009 fast 50 Prozent an Wert, das Wachstum dürfte in diesem Jahr von 6,5 Prozent (zwischen 2003 und 2008) auf 2 Prozent absinken. Die Golfstaaten verfügen über ein geschätztes Auslandsvermögen von umgerechnet 1,5 Billionen US-Dollar, das zu 60 Prozent in der US-Währung gehalten wird, womit sie direkt von der Krise betroffen sind.

Auch indirekt wirken sich die gestiegenen Finanzierungskosten negativ aus: Die Golfstaaten sind bei Projektfinanzierungen auf internationale Banken angewiesen, die externen Schulden des Privatsektors haben sich zwischen 2000 und 2008 nahezu verdoppelt. Dabei mutet es fast wie eine Ironie der wirtschaftlichen Globalisierung an, dass Staaten wie Dubai, die ihre Wirtschaft eng mit den internationalen Finanz- und Immobilienmärkten verknüpft haben, nun gravierender unter den Auswirkungen der globalen Krise leiden als ihre ölexportierenden Nachbarn. Während diese zwar langfristig die Endlichkeit der fossilen Ressourcen durch Diversifizierungs- und Reformmaßnahmen auffangen müssen, profitieren sie kurzfristig sogar von ihrer Öl- oder Gasabhängigkeit: Diese "bewahrte" sie quasi vor drängenden Wirtschaftsreformen und der umfassenden Vernetzung mit den internationalen Finanzmärkten. Durch die hohen Öleinnahmen konnten sie zudem Kapitalpolster bilden.

Der Abschwung betrifft auch die pakistanischen und indischen Gastarbeiter in den Golfstaaten: Viele müssen zurück in ihre Heimat, weil die Bauaufträge ausbleiben. So arbeiteten insgesamt 1,67 Millionen Pakistanis in den VAE, die allein 2006 von ihrem Lohn 2,06 Milliarden US-Dollar nach Pakistan überwiesen - ein Wert, der sich 2009 dramatisch reduzieren könnte. Bisher stellten diese Transaktionen eine wesentliche Einnahmequelle für das finanziell schwer angeschlagene Pakistan dar. Ein deutlicher Rückgang könnte demnach neben finanziellen Einbußen zu sozialen Unruhen und politischem Protest im destabilisierten Pakistan führen. Iran hingegen profitiert gar von seiner internationalen Isolation der vergangenen Jahre: Durch die weitgehende Marginalisierung des Landes auf dem Weltmarkt sind die direkten Konsequenzen der Finanzkrise dort kaum zu spüren.

Während einige Länder kaum direkt von der Krise betroffen sind, werden die indirekten Konsequenzen arme wie auch wohlhabende Regionen treffen: Wirtschaftlich schwache muslimische Länder wie Marokko, Jemen oder Pakistan leiden vor allem unter dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Sie sind abhängig von Lebensmittelimporten, und den hohen staatlichen Subventionskosten stehen keine entsprechenden Einnahmen gegenüber. Die Folgen sind letztlich mehr Armut und Hunger. Doch auch ölexportierende Länder sind von den hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen und reduzieren den inländischen kostenintensiven Agraranbau drastisch. Stattdessen werden vermehrt im Ausland erworbene Ackerflächen, zum Beispiel in Pakistan, Sudan oder Äthiopien, für die Nahrungsmittelproduktion der eigenen Bevölkerung genutzt, was als vermeintliche Lösung für die Zukunft gesehen wird. Projekte dieser Art verfolgen unter anderem die VAE, die derzeit bereits 85 Prozent ihres Lebensmittelbedarfs importieren müssen. Diese Initiativen werden von Kritikern als neokoloniale Maßnahmen bezeichnet, die arme Länder ihrer einzigen Ressourcen berauben, Monokulturen schaffen, traditionelle Agrarstrukturen und soziale Netzwerke zerstören sowie unterernährte Gesellschaften noch weniger an den knappen eigenen Ressourcen partizipieren lassen würden.

Hinzu kommt ein Anstieg der Inflation in den meisten Ländern der MENA-Region, der auch auf die hohen Lebensmittelpreise und die teilweise feste Bindung an den US-Dollar zurückzuführen ist. Ziehen die Energiepreise wieder an, zum Beispiel im Falle einer Verringerung der Ölförderquoten in Kombination mit sinkenden Kapazitäten auf Grund von rückläufigen Investitionen, so ist die makroökonomische Stabilität dieser Länder in Gefahr. Auch die Wettbewerbsfähigkeit beim Export sowie die Lage der einkommensschwachen Gesellschaftsschichten wären bedroht.

Es kann also festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Finanzkrise vor allem mittelbar arme wie auch wohlhabende Länder betreffen werden. Auch wenn vermutlich aufgrund der Ölressourcen die Tragweite der Krise nicht zwangsläufig ähnlich dramatische Ausmaße annehmen wird wie in den westlichen Industriestaaten, so werden insbesondere die ärmeren Regionen unter dem Preisanstieg für Lebensmittel und langfristig wieder steigenden Energiepreisen zu leiden haben. Weiterhin sind die politischen und sozialen Auswirkungen bisher nur zu erahnen: Zunehmender Wasser- und Nahrungsmittelmangel, Armut, Korruption, bad governance und religiös-traditionelle, soziale und politische Missstände könnten in Verbindung mit der globalen Finanzkrise in vielen "islamischen Welten" zusätzliche Konfliktherde schaffen und die Region weiter destabilisieren. Nach diesem Überblick über die Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise auf die "islamische Welt" soll im Folgenden nun ein islamisch legitimiertes Finanzsystem, das sogenannte Islamic Finance, vorgestellt und diskutiert werden.

"Islamic Banking"

Erste Anfänge des islamischen Finanzwesens entwickelten sich in den 1960er Jahren. Seit Mitte der 1990er Jahre erfuhr es einen enormen Aufschwung. Der Versuch, ein Wirtschafts- und Finanzsystem auf der Basis des Islams einzuführen und somit die moralisch-religiöse Dimension stärker in den Fokus der Ökonomie zu rücken, fasziniert viele Muslime und interessiert auch die Experten konventioneller Wirtschaftssysteme.

Dabei besteht jedoch keine Einigkeit in der Bewertung: Auf der einen Seite preisen Experten Islamic Finance als Chance für mehr Moral in der globalen Wirtschaft und betonen es als positives Gegengewicht zum "Ellbogenkapitalismus" der westlichen Industrienationen. Auf der anderen Seite geben Kritiker zu bedenken, dass die Moralität des islamischen Finanzwesens mittlerweile zugunsten der notwendigen Praktikabilität aufgegeben wurde, wenn es sie denn überhaupt je gegeben habe. Islamic Banking sei nichts anderes als eine Spielart des konventionellen Finanzsystems unter einem religiös-moralischen Deckmantel.

Islamische Grundlagen

Das islamische Rechtssystem ist eng an die Quellen und die darauf beruhenden Wertvorstellungen des Islams gebunden, zu denen zuerst einmal der Koran und die sunna (allgemein: Verhaltensnorm, Brauch) gehören. Der Koran als direktes Wort Gottes (kalam Allah) wurde nach islamischem Glauben dem Propheten Muhammad offenbart und ist die nicht zur Disposition stehende Leitlinie des Lebens aller Muslime. Die sunna besteht aus den überlieferten Traditionen und Aussprüchen Muhammads (hadithe) und hat sich bereits im 8. und 9. Jahrhundert als anerkannte islamische Rechts- und Verhaltensquelle etabliert. Koran und sunna stellen keine juristischen Gesetzeswerke dar, sondern sie sind mehr als das: Sie bieten moralische, alltägliche, theoretische und praktische Normen und Richtlinien und prägen somit das Leben aller Muslime. Aus Koran und sunna entwickelte sich die scharia (arab. "gebahnter Weg"), die heutzutage gern als "islamisches Recht" bezeichnet wird. Diese Übersetzung greift aber zu kurz, dient die scharia doch in enger Anlehnung an die islamischen Quellen eher als göttliche, moralische Instanz, als unwandelbare Rechts- und Werteordnung, die umfassende Normen des gesellschaftlichen (Zusammen-) Lebens bietet und durch die verschiedenen Rechtsschulen (madhab, Pl. madha'ib) ausgebildet wurde. Juristenrecht (fiqh) im eigentlichen Sinne ist eine eigenständige Rechtswissenschaft, die revidierbar ist.

Ökonomische Vorschriften finden sich in diesem Kanon nur bedingt. So lag die Hauptabsicht islamischer Finanz-, Rechts- und Religionsgelehrter darin, ein islamisches Finanzsystem zu schaffen, das sich an Koran und sunna orientiert. "Das bedeutet, dass im Islam materielles Streben nicht unabhängig von spirituellem Streben betrachtet wird." So soll den moralischen Werten des Islams Rechnung getragen werden: Gerechtigkeit, partnerschaftliche Kollektivität und Solidarität, um dadurch sozio-ethische Verantwortlichkeiten zum Wohle der Gemeinschaft zu erfüllen.

Die islamisch geprägten Gesellschaften wurden vom 19. Jahrhundert an von westlichen Einflüssen dominiert, die zunehmend negativ rezipiert wurden: Kolonialismus und der Einfluss "westlicher" Ideologien wie Nationalismus oder Sozialismus hatten die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens im 20. Jahrhundert durchdrungen und beeinflusst. Davon wollte man sich lösen. Die wahrgenommene wirtschaftliche, politische und kulturelle Rückständigkeit der "islamischen Welt" gegenüber des "Westens" führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Religion, die "wiederentdeckt" wurde, um die Identitätskrise der islamischen Gesellschaften zu überwinden. Dieser "Islamisierungsprozess" konzentrierte sich auch auf ein islamisches Finanzwesen, das sich somit in klarer Konkurrenz zum konventionellen Finanzwesen entwickelte.

Dabei befürwortet der Islam eindeutig ökonomische Aktivität und das Streben nach Profit, lehnt aber egoistisch-individualistischen Reichtum ab. Stattdessen müsse man dem Wohle der muslimischen Gemeinschaft (umma) dienen. Allah sei der Besitzer aller Dinge, der Mensch nur dessen "Treuhänder" auf Erden, der den Wohlstand in Gottes Namen verwalte. Reichtum an sich ist demnach kein moralischer Wert, solange er nicht zum Wohle Schwächerer eingesetzt wird. Ziel des islamischen Finanzsystems ist der Theorie nach also nicht die eigene Bereicherung, sondern die gerechte Verteilung der Ressourcen; es beruht auf Partnerschaft, nicht auf Konkurrenz.

Verbote

Wesentliches Merkmal der islamischen Finanzordnung ist das Verbot von Zins (riba), da es in einer fairen Wirtschaft keine Gewinner und Verlierer geben dürfe. Allerdings: Das Verbot von riba war und ist in der islamischen Lehre keineswegs unumstritten. Es findet sich in mehreren Suren des Korans, doch bleibt die Trennung zwischen reinem Zins auf der einen und Wucher auf der anderen Seite vage. Dies führt dazu, dass islamische Religions- und Rechtsgelehrte darüber streiten, ob Zins generell oder nur Wucher verboten sei. Es herrscht weitgehende Einigkeit bei den muslimischen Gelehrten, dass riba als Wucher in jedem Fall nicht scharia-konform sei, weil sie die Kreditnehmer ausbeute. Dabei bezogen sich diese Gelehrten auf die Finanzpraxis in der vorislamischen "heidnischen" Zeit (jahiliyya) auf der arabischen Halbinsel, bei der Wucherzins eine alltägliche Normalität darstellte. Allerdings blieb bis Mitte des 20. Jahrhunderts die riba-Diskussion nicht viel mehr als eine theologische Scheindebatte, da ein islamisches Finanzsystem in der Praxis noch nicht existierte.

Ebenso verboten sind Spekulation (gharar) und Glücksspiel (maysir). Dabei bezieht sich gharar auf jegliches mit unkalkulierbarem Risiko behaftetes Geschäft, das einen unsicheren Preis beinhaltet. Maysir besteht dann, wenn der Ausgang eines Geschäfts nicht vorher kalkuliert werden kann und demnach willkürlich ist. Dabei ist nicht nur das Glücksspiel als selbstständiger Vorgang, sondern auch jegliche Beteiligung an Geschäften, die sich mit Glücksspiel beschäftigen, verboten.

Entwicklung

Entwickelte sich Islamic Finance zu Beginn als reines Nischengeschäft, ist es mittlerweile zu einem globalen "Megatrend" geworden. Erste Versuche, ein islamisches Finanzsystem zu institutionalisieren, begannen in den 1960er Jahren in Ägypten und Malaysia. 1975 wurde als erste islamische Bank die Islamische Entwicklungsbank im saudischen Dschidda gegründet. Später unternahmen Pakistan, Sudan und Iran Versuche, ein vollends akzeptiertes staatliches, islamisches Wirtschaftssystem zu etablieren. Es blieb jedoch weitgehend beim Versuch. Während sich zu Beginn die Verbreitung von Islamic Banking auf muslimische Länder beschränkte, integrierten in den 1990er Jahren auch konventionelle Banken sogenannte "islamische Fenster" in ihr Portfolio, vor allem in den USA und Großbritannien.

Mittlerweile gibt es 300 islamische Finanzinstitute in 51 Ländern, so dass im vergangenen Jahrhundert Islamic Banking im Durchschnitt um 10 bis 15 Prozent pro Jahr anwuchs. 2001 betrug der weltweite Umfang der islamisch gehandelten Wertpapiere etwa 500 Millionen US-Dollar, 2007 bereits 60 Milliarden Dollar, während das Volumen von islamischen Versicherungen zwischen 2003 und 2005 von 2,8 Milliarden auf 4,3 Milliarden Dollar anstieg.

Methoden

Um islamisch-theologische Regeln mit den alltäglichen Notwendigkeiten in einer vom konventionellen System dominierten Wirtschaft kombinieren zu können, wurden sogenannte scharia-Boards installiert, in der Gelehrte und Experten die Kompatibilität mit der scharia gewährleisten sollen. Dabei haben sich verschiedene Techniken und Instrumente herausgebildet, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

"Musharaka" und "Mudaraba"

Finanztransaktionen sind dann zulässig, wenn der Kapitalgeber sich an Verlust und Risiko des mitfinanzierten Unternehmens beteiligt und somit ein anteiliges Risiko trägt (profit-and-loss-sharing). Bei dieser Methode wird im Vorfeld zwischen Kapitalgeber und -nehmer ein bestimmter Prozentsatz ausgehandelt, mit dem der Kapitalgeber am Gewinn beteiligt wird. Es handelt sich somit nicht um eine Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern zwischen Partnern, die gleichermaßen ein Interesse daran haben, dass das Geschäft erfolgreich verläuft, da beide Partner von den Gewinnen profitieren. Wenn beide Partner Kapital bereitstellen und Einflussmöglichkeiten besitzen, wird dies als musharaka bezeichnet, was vom arabischen Verb für "teilen" abgeleitet wird. Viele Experten bezeichnen diese Technik auch als "Joint Venture". Dabei besitzen beide Partner gleiche Verantwortlichkeiten sowie Rechte und können jederzeit in die Umsetzung des Geschäfts inhaltlich eingreifen. Verluste werden anteilig berechnet, Gewinne nach einem vorher festgelegten Schlüssel verteilt. Bringt nur ein Partner Kapital auf und überlässt seinem Partner die Expertise, Implementierung und Umsetzung des Projekts, nennt man dies mudaraba, was oft als "stille Beteiligung" definiert wird. Hierbei trägt bei Verlusten nur der Kapitalgeber die finanziellen Lasten. Darin besteht ein großes Risiko für Banken, da der Unternehmer im Vorfeld keine Garantien geben muss.

Für die Bank bedeutet dies, dass sie sich intensiv mit jeder Art von mudaraba- und musharaka-Geschäften auseinandersetzen muss, da sie ebenso wie der Kapitalnehmer an Erfolg wie Misserfolg partizipiert. Dies bedeutet, dass die Bank in diversen Investitionsbereichen über ausreichendes Wissen verfügen muss, um mögliche Gewinn- wie Verlustpotenziale realistisch einschätzen zu können, damit sie im Vorfeld entscheiden kann, ob sich die Investition lohnt. Da dies ist für die Banken oft ein großes Risiko darstellt, finanzieren islamisch geführte Banken hauptsächlich Projekte von Unternehmen, auf die sie Einfluss nehmen können, um das Risiko der musharaka-Verträge zu minimieren.

"Murabaha" und "Ijara"

Als eine Alternative sieht die islamische Finanztheorie das System der Bereitstellung von Sachgütern (murabaha) oder deren Verleihung (ijara) vor. Dabei ist murabaha, das auch mit "Handelsfinanzierung" frei übersetzt werden kann, das meist genutzte Finanzierungsgeschäft beim Islamic Banking, wobei die Angaben zwischen 70 und 80 Prozent schwanken. Die Bank fungiert dabei als Zwischenfinanzierer. Demnach sind drei Parteien am murabaha-Geschäft beteiligt: Der Käufer, der Verkäufer und die Bank als Zwischenhändler. So beauftragt der Käufer die Bank, eine bestimmte Ware zu erwerben. Die Bank kauft dem Verkäufer das Produkt ab, zahlt diesem den Verkaufspreis und verkauft das Produkt inklusive eines Gewinnzuschlags an den ursprünglichen Käufer weiter. Dabei wird die Bank für eine "juristische Sekunde" zum Eigentümer des Produkts, um scharia-konform zu handeln, da sonst kein echter Verkauf und damit ein Bruch des Zinsverbots bestünde. Damit übernimmt die Bank ein gewisses Risiko, was dem profit-and-loss-sharing entspricht.

Bei ijara wird zwar de facto verliehen, doch die islamische Definition bezeichnet ein Leihgeschäft auch als Kaufvertrag. Dabei wird allerdings keine Ware, sondern das entsprechende Nutzungsrecht verkauft. Juristisch gesehen ist der Leiher während der Leihdauer nur Besitzer, keineswegs aber Eigentümer. So muss die Bank das Produkt erst auf dem Markt erwerben, um Eigentümer zu werden; erst danach kann sie es verleihen. Als Gegenleistung werden Leihgebühren (ujrat) an die Bank gezahlt.

Zinslose Wertpapiere: "Sukuk"

Bei dem Instrument der zinslosen Wertpapiere (sukuk) wird den beteiligten Aktionären keine feste Verzinsung garantiert, sondern sie profitieren anteilig an den Gewinnen des Unternehmens, müssen aber im Gegenzug auch die Verluste mittragen. Es wird versucht, feste Erträge zu garantieren, um auf diese Weise riba islamisch zu umgehen. Bei dieser Praxis fasst ein Unternehmen Objekte, die ihm gehören, zu einer Einheit zusammen. Danach werden die Ansprüche auf die Erträge dieser Objekte (wie z.B. Mieteinnahmen) verbrieft, woraufhin diese Ansprüche als standardisierte Wertpapiere am Kapitalmarkt angeboten werden. Dabei kann sich die Standardisierung in der Laufzeit oder dem Anteil am Vermögen unterscheiden.

"Wenngleich jeder Schritt für sich betrachtet nach islamischem Recht zulässig ist, (...) entsteht durch die Kombination der Elemente eine Konstruktion, die sich (...) kaum noch von klassischen Umgehungsgeschäften unterscheidet." Ende 2007 umfassten die weltweiten sukuk-Emissionen einen Wert von umgerechnet 97,3 Milliarden US-Dollar.

Fazit

Trotz des enormen Zuwachses in den vergangenen Jahren ist derzeit noch nicht absehbar, ob sich Islamic Banking tatsächlich zu einer echten Alternative entwickeln kann. Die gegenwärtige Krise zeigt zwar, dass das konventionelle Finanzsystem stark unter Druck steht und allgemein der Wunsch besteht, die Banken wieder zu größerer moralischer Integrität zu verpflichten, wofür sich das (theoretisch) zinsfreie islamische System anbieten könnte. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass mit zunehmender ökonomischer Leistungsfähigkeit der religiös-moralische Impetus des Islamic Banking reduziert werden könnte, was seinen ethischen Charakter unterminieren würde.

Kritiker bemängeln, dass das Islamic Banking in der Realität schon längst Methoden entwickelt habe, die nur formal die scharia-Bedingungen erfüllen. So würden geschäftliche Risiken längst nicht von der Bank aufgefangen, wie in der Theorie gefordert. Weiterhin würden auch nicht zwangsläufig garantierte Summen an den Investor rückbezahlt, so dass es keine Minimierung des Risikos gebe. "Islamische Banken weichen hinsichtlich ihrer Geschäftsergebnisse nicht signifikant von konventionellen Banken ab; sie sind systematisch weder besser noch schlechter."

Demnach stellt Islamic Banking kein Allheilmittel in Zeiten der versagenden konventionellen Techniken dar; es bietet allerdings eine interessante theoretische Alternative, die in der Praxis vor der Herausforderung steht, religiösen Hintergrund und alltägliche Notwendigkeit zu vereinbaren - insbesondere in Zeiten der Krise, die auch die diversen "islamischen Welten" trifft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Anm. d. Redaktion: MENA steht für Middle East and North Africa. Zu den MENA-Ländern gehören: Ägypten, Algerien, Bahrain, Dschibuti, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Libyen, Malta, Marokko, Oman, die palästinensischen Autonomiegebiete (Gazastreifen und Westjordanland), Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien sowie die Vereinigten Arabischen Emirate.

  2. Vgl. The World Bank, Global Economic Prospects 2009. Middle East and North Africa Regional Outlook, in: www.web.worldbank.org (20. 3. 2009).

  3. Vgl. Eckart Woertz, Golf-Kooperationsrat: Mit Ölpolster in die Krise, in: Hanns Günther Hilpert/Stormy Mildner (Hrsg.), Globale Ordnungspolitik am Scheideweg. Eine Analyse der aktuellen Finanzmarktkrise, SWP-Studie 4/2009, S. 52 - 56.

  4. Vgl. Élena-S. Eilmes, "Islamisches Finanzsystem keine ernsthafte Initiative", in: www.qantara.de (15. 2. 2009). Die Schulden Dubaier Firmen betragen mittlerweile mehr als 100 Prozent des BIP.

  5. Vgl. Faryal Leghari, Pakistan-Gulf Ties: The Strategic Aspects of a Critical Relationship, in: Orient, (2009) 1, S. 43.

  6. So stiegen die staatlichen Subventionen für Energie in Ägypten zwischen dem Fiskaljahr 2007 und dem Fiskaljahr 2008 von 5,5auf 6,9 Prozent des BIP.

  7. Vgl. Martin Böll, Arabische Halbinsel noch nie so abhängig von Agrarimporten. Abhilfe durch Kauf ausländischer Farmen und High-Tech-Anbau, in: www.gtai.de (30. 10. 2008).

  8. Vgl. Diederik van Schaik, Islamic Banking, in: The Arab Bank Review, 3 (2001) 1; Mohamed Ariff, Islamic Banking, in: Asian-Pacific Economic Literature, 2 (1988) 2; Sibylle Pohly-Bergstresser, "Islamische Ökonomik" als Gegenmodell, in: www.qantara.de (18. 3. 2009).

  9. Vgl. Volker Nienhaus, Islamic Finance. From Opposition to Opportunity, in: Orient, (2008) 3, S. 25 - 33.

  10. Zur besseren Lesbarkeit wird hier auf die wissenschaftliche Transkription arabischer Begriffe verzichtet.

  11. Vgl. Michael Cook, Der Koran. Eine kurze Einführung, Stuttgart 2002.

  12. Vgl. Bernard G. Weiss, The Spirit of Islamic Law, Athens-London 1998.

  13. Michael Gassner/Philipp Wackerbeck, Islamic Finance. Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen, Köln 2007, S. 21.

  14. Vgl. Daniel K. Bergmann, Islamic Banking. Ein Studienhandbuch, Norderstedt 2008.

  15. Vgl. Charles Tripp, Islam and the Moral Economy. The Challenge of Capitalism, Cambridge 2006.

  16. Vgl. M. Umer Chapra, Why has Islam prohibited interest? Rationale behind the prohibition of interest, in: Abdulkader Thomas (ed.), Interest in Islamic Economics. Understanding riba, London 2006; Paul Rivlin, The Development of Islamic Banking, in: Orient, (2008) 3, S. 4 - 11; Rodney Wilson, Development and Spread of Islamic Banking, in: Orient, (2008) 3, S. 12 - 24; Johannes Reissner, Zinsverbot und Armensteuer, in: Maria Haarmann, Der Islam. Ein historisches Lesebuch, München 1995, S. 114 - 117.

  17. Der wichtigste Verweis auf riba findet sich im Koran 2:275: "Die, welche riba verehren, sollen nicht anders dastehen als einer, der den Satan erfasst und niedergeschlagen hat. Dies, weil sie sagen: Kauf ist das gleiche wie riba nehmen. Allah hat den Kauf erlaubt, aber riba nehmen verboten." Weitere Verweise finden sich im Koran 2:276, 2:278 - 279, 3:130, 4:161, 30:39.

  18. Vgl. Florian Amereller, Hintergründe des "Islamic Banking", Berlin 1995, S. 44f.

  19. Vgl. Sh. Yusuf Talal DeLorenzo, Introduction to understanding riba, in: A. Thomas (Anm. 16).

  20. Diese moralischen Kriterien dominieren nicht nur die Wirtschaft, sondern das gesamte muslimische Leben. So werden erlaubte Handlungen als halal, unerlaubte als haram bezeichnet. Letzteres betrifft zum Beispiel den Konsum von Alkohol, Schweinefleisch und Tabak, Prostitution, Pornografie oder die Waffennutzung.

  21. Vgl. Kilian Bälz, Islamic Finance on the Rise: Recent Developments in Europe and the Middle East, in: Orient, (2008) 3, S. 41 - 47.

  22. Vgl. Abdelkader Chachi, Origin and Development of Commercial and Islamic Banking Operations, in: Islamic Economy, 18 (2005) 2, S. 3 - 25.

  23. Vgl. Volker Nienhaus, Islamische Ökonomik in der Praxis: Zinslose Finanzwirtschaft, in: Werner Ende/Udo Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart, München 20055, S. 163 - 198.

  24. Vgl. Paul Rivlin, The Development of Islamic Banking, in: Orient, (2008) 3, S. 4 - 11.

  25. Vgl. V. Nienhaus (Anm. 23), S. 167ff.

  26. R. Wilson (Anm. 16), S. 21

  27. Vgl. V. Nienhaus (Anm. 23), S. 176.

Geb. 1981; Islamwissenschaft-ler, wissenschaftlicher Abteilungsleiter am Deutschen Orient-Institut (DOI), Jägerstraße 63 D,10117 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: doi@deutsches-orient-institut.de