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Die Intellektuelle: gestern, heute, morgen

Barbara Vinken

/ 16 Minuten zu lesen

Erst wenn die Moderne von einer Zeit abgelöst ist, die ohne gender anxiety auskommt, werden Artikel über feministische Intellektuelle überflüssig.

Einleitung

Natürlich haben Frauen und Männer durch gleiche Intelligenz gleichen Zugang zum Reich des Intellekts. Die Gedanken sind frei, nicht nur von der Macht unabhängig, sondern auch von der Geschlechtszugehörigkeit. Die Universitäten stehen uns offen, kein Mensch würde Frauen mehr auf Grund ihres Geschlechtes aus den heiligen Hallen von Oxbridge verweisen. Die Pforten der Bibliotheken schließen sich nicht mehr vor uns, wie es Virginia Woolf noch vor achtzig Jahren in "A Room of One's Own" schilderte: "Ladies are only admitted to the library if accompanied by a Fellow of the College or furnished with a letter of introduction."

Auf Grund aller möglichen, jetzt überwundenen Vorurteilsstrukturen mag es für Frauen nicht leicht oder gar fast unmöglich gewesen sein, Zugang zu Bildung zu gewinnen. Heute ist im Reich des Geistes in der westlichen Welt völlige Gleichheit erreicht - denkt man, glaubt man, meint man. Wäre das anders, würde man etwa die intellektuellen Leistungen eines Kollegen anders bewerten als die einer Kollegin, müsste man dringend um eine Sondersitzung bei seinem Analytiker bitten, fand einer meiner Kollegen. Überhaupt kein Thema mehr, überholt. Einfach unterkomplex, die Genderkarte zu ziehen. Alles gähnt.

Nun belegt indes allein schon dieser Aufsatz, dass die Dinge so einfach nicht liegen. Ex negativo macht er klar, dass die Norm der Intellektuelle ist, dessen Geschlecht oder für den der Faktor Geschlecht im Universalen, sprich Menschlich-Männlichen, nicht thematisiert werden muss. Und dass feministische - heißt das: weibliche? - Intellektuelle ein Sonderfall, eine Abweichung, eine Ausnahme von der Regel sind. Kompliziert. Natürlich gibt es weibliche Intellektuelle, die keine Feministinnen waren: Simone Weil, Hannah Arendt fallen einem sofort ein. Natürlich gibt es Männer, die feministische Intellektuelle sind: John Stuart Mill oder Jacques Derrida etwa. Beiden ist gemeinsam, dass sie, pointiert oder nolens volens, die implizite Norm des Universalen, das sich im Männlichen manifestiert, in Frage stellen. Hat sich damit die Wirklichkeit verändert, oder ist sie seit einem Jahrhundert dabei sich zu verändern, ohne dass sich viel - Entscheidendes - änderte?

Nehmen wir den aktuellen Katalog "Wissenschaft" des Suhrkamp Verlages (Sommer 2010) zur Hand. Europas Geistesgrößen blicken einen an: Pierre Bourdieu, Luc Boltanski, Niklas Luhmann, Hans Blumenberg, Ernst Bloch, Michel de Certeau. Alles Männer, die meisten tot - das ist das Suhrkamp-Klassiker-Problem. Aber selbst die lebenden Autoren sind bis auf zwei Ausnahmen männlichen Geschlechts. Hin und wieder hat eine Frau etwas mit herausgegeben, vorzugsweise ein männliches Genie, oder war als Hilfskraft eines zukünftigen männlichen Genies an der Herausgabe beteiligt. Eines der angekündigten Bücher, immerhin, hat eine Autorin: eine empirische Studie zur Wasserpolitik, also genau besehen auch keine Autorin im emphatischen, auktorialen Sinne. Ich weiß nicht, ob diese für dieses Halbjahr mal wieder so gut wie ausschließliche Männlichkeit irgendjemandem auffällt. Alle finden das vermutlich ganz normal, im grünen Bereich der gelegentlichen Schwankungen. So auch eine Tagungsbesprechung in einer führenden deutschen Tageszeitung: Von den Frauen, die einen Vortrag gehalten haben, wird gerade mal eine erwähnt - und zwar, obwohl Inhaberin eines Lehrstuhls in Berlin, als Schülerin eines der anwesenden Professoren, der, ungefähr gleich alt, nicht nur nie ihr Lehrer, sondern selbst nie in die Nähe eines derartigen Lehrstuhls gekommen war. Bin ich, mit dem Schreiben dieses Artikels befasst, ganz gegen meine Routine auf einmal wieder zu dünnhäutig?

Keine De-facto-Gleichheit

Tatsache ist, dass trotz juristischer Gleichheit - gleichem Zugang zu Bildungseinrichtungen - von einer De-facto-Gleichheit der Geschlechter nicht die Rede sein kann. Die Gründe sind heutzutage wesentlich schwerer auszumachen als etwa zu Zeiten von Virginia Woolf oder aber zu Zeiten von Simone de Beauvoir in den 1940er Jahren. Denn de iure ist die Gleichheit der Geschlechter erreicht, so dass, wer auf fortbestehende, faktische Ungleichheiten aufmerksam macht, bestenfalls Ungeduld beweist, schlimmstenfalls Paranoia; und als Nervensäge auffällt. Das Verleugnen dieses Faktums gehört zum guten Ton. Überdruss zeigt sich, wenn man jene schwedische Studie erwähnt, die zeigt, wie bei der Auswahl von Forschungsprojekten Frauen diskriminiert werden. Die besten Gutachten sind die von Professorinnen über ihre Studenten, die schlechtesten die von Professoren über ihre Studentinnen. Keiner ist amüsiert, wenn man das als ein retardierendes Moment erwähnt. Vielleicht sind ja alle mit der Lage der Dinge ganz zufrieden. Einstweilen.

Gehen wir also noch einmal den Weg, den so viele Intellektuelle - Männer wie Frauen - beschritten haben, und fragen, warum diese Ungleichheit bleibt und offenbar nur wenige nervt. Warum die Lufthoheit im Geistigen de facto weiter bei den Männern liegt. Im Moment gibt es dafür, soweit ich sehe, vier Erklärungsaspekte.

Erstens: die Geschlechterdifferenz.

Der Umstand, dass es Männer und Frauen gibt, wird in sich für nicht hinreichend anerkannt. So wie man ja auch bei Intellektuellen nicht nach schwarzen oder blonden Haaren, grünen oder blauen Augen fragt, sei auch die Differenz der Geschlechter in diesem hoch individuellen Bereich, in dem einzig Originalität zählt, nicht einschlägig. Es sei reiner Zufall, dass es überwiegend Männer sind, oder eine sozial bedingte Präferenz, wie es so viele gibt.

Zweitens: die Geschichte.

Man argumentiert historisch, nach dem Modell des Auszugs aus Ägypten: Die Emanzipation ist so jung, der Weg so weit. Es sei kein Wunder, dass wir noch nicht zu völliger, praktizierter Gleichheit gelangt sind, wohin wir aber auf dem besten Weg und mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs seien. Fortschritte seien, zugegebenermaßen, unübersehbar. Eines Tages werde es auch bei den Intellektuellen dazu kommen.

Drittens: die Natur.

Man argumentiert essentialistisch. Das letzte, krude biologistische Argument in dieser Kette lieferte der Ökonom Larry Summers, als er im Jahr 2005 als Präsident der Harvard University, ob des sehr viel geringeren Anteils von Professorinnen in den Naturwissenschaften befragt, meinte, die Gehirnstruktur der Frauen sei einfach anders, und sie seien deshalb für diese Art Forschungen nicht prädestiniert. Er musste daraufhin allerdings sein Amt niederlegen.

Viertens: die Psyche.

Auch das ist ein essentialistisches Argument, allerdings subtiler. Qua Natur seien Frauen zur nötigen Sublimation nicht fähig. Sie brauchten Konkretes, meinte Flaubert, einen Geliebten oder ein Kind. Nur um eines Anderen, Singulären willen könnten sie von sich absehen. Die Frau könne keine Sache um der Sache willen betreiben. An sich könne ihr daher die reine Wissenschaft, wie jedes andere Ideal, nichts bedeuten.

Das vierte Argument sitzt am tiefsten, denn es trifft den Kern der Intellektualität - den Begriff, den wir von ihr haben. Ist das der Grund: der Begriff, den wir uns machen von Frauen und über den unsere Praxis deshalb unausgesprochen nicht hinauskommt? Immanuel Kant, kein unwichtiger Zeuge, sagte in seiner "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", die in seinem, dem 18. Jahrhundert übliche Polemik gegen gebildete Frauen bekräftigend: "Was die gelehrten Frauen betrifft: so brauchen sie ihre Bücher etwa so wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, daß sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich stillsteht oder nicht nach der Sonne gestellt ist." Bei gelehrten Frauen ist Bildung kein Zweck an sich, sondern ein für andere zur Schau getragenes Beiwerk, ein Accessoire, das schmückt und die Anziehungskraft in den Augen der Welt erhöht - Mode, würden wir sagen, und das trifft in der Tat einen Punkt der aktuellen Wissenschaftskritik insgesamt und folglich der möglichen Sprengkraft des weiblichen Geschlechts im Wissensbetrieb, den volatilen Medien im Verhältnis zum männlichen Kern der Akademie.

Geschlechternormen und Angst

Achten wir auf die Begriffe, die wir uns von der Gleichheit der Geschlechter machen, fällt als erstes ins Gewicht, dass Mann- oder Frausein durch das Verhältnis zum anderen Geschlecht bestimmt ist. Kein Mensch zu sein, ist nicht mit Angst besetzt, die man in Bezug auf seine Selbstwahrnehmung haben könnte. Man mag allenfalls Angst davor haben, das Menschsein von anderen bestritten zu finden und von anderen oder den Umständen zum Tier gemacht zu werden. Man ist und bleibt, wenn sich nicht andere unmenschlich verhalten, selbstverständlich ein Mensch.

Nicht wirklich Frau oder nicht ganz Mann zu sein, ist dagegen eine Angst, die man im Verhältnis zu sich selbst erfährt. Beides, Mann- wie Frausein, ist offensichtlich, wie Judith Butler am eindrucksvollsten gezeigt hat, nichts Angeborenes, sondern eine Norm, die immer wieder verkörpert werden muss. Sich wie Nina Hagen "unbeschreiblich weiblich" zu fühlen, ist ein Glücksgefühl, ein Mannweib zu sein dagegen, ist nicht erstrebenswert. Das Nichterfüllen der Geschlechternormen ist angstbesetzt; man büßt an erotischer Anziehungskraft ein. Deswegen tut man wie frau alles, um Frau oder Mann zu sein. Die Frau wählt einen Frauen- und der Mann einen Männerberuf. Intellektuelle, früher als "Blaustrumpf" abgestempelt, gelten nicht unbedingt als Inbegriff von Weiblichkeit. Während Männer als Denker eher anziehender werden, gelten Philosophinnen als ein bisschen komisch.

Wie tief solche Vorstellungen sitzen, stellte ich mit Schrecken fest, als Studentinnen kürzlich fanden, als Professorin könne man von Glück sagen, wenn man einen Mann abbekommen hat; an ein Kind, gar an Geliebte, mag man schon gar nicht mehr denken. Frauen, die so über weibliche Intellektuelle denken, glauben, sie müssten den Preis ihrer "Weiblichkeit" dafür bezahlen, Intellektuelle zu sein. Umfragen unter Studierenden zeigen, dass die Karriereorientiertheit weit hinter Partnerschaft, Familie und Freundschaft rangiert. Diese Ergebnisse verdanken sich nicht etwa einer neuen Einstellung der männlichen Studenten zum Beruf; sie verdanken sich dem massiven, mittlerweile bei über fünfzig Prozent liegenden Anteil weiblicher Studenten, die, family first, selbstredend als wirkliche Frauen bereit wären, für Mann und Kinder alles hintan zu stellen, und die, wie gehabt, nicht einen Beruf suchen, den sie um seiner selbst willen wollen, sondern einen, der es erlaubt, Mann und Kinder mit der Berufstätigkeit zu vereinbaren.

Die Moderne war nach der Reformation der letzte Schub, in dem, oft in Anlehnung an eine in diesem Prozess eigenartig verformte Antike, die Figur des Denkers - des Philosophen, des Theologen, des Genies, des Intellektuellen - rein männlich codiert wurde. Im Mittelalter, im Barock waren Philosophinnen - nennen wir sie jetzt einmal aushilfsweise so - kein großes Problem, man denke nur an Héloise, Katharina von Siena oder Theresa von Avila. Es ist bezeichnend, dass Simone de Beauvoir kein modernes Vorbild findet, sondern in den Barock zurückgehen muss: Theresa von Avila nennt sie als einzige Frau, der es gelungen sei, ihr Frau- zum Menschsein zu transzendieren. Denn der moderne Autor, der moderne Denker konstituiert sich durch eine Ursurpation theologischer Motive, die den Mann als Schöpfer gottgleich machen. Er wird nicht mehr erfüllt oder ergriffen, er steht in sich selbst. Die empfangende, hörende, sich einem Andern öffnende Seite des Genies, die den Dichter im platonischen furor poeticus ergriff, wird ganz auf die - jetzt als hysterisch pathologisierte - Frau projiziert.

Diderot spricht den Frauen deshalb mehr Zeug zum Genie zu als den Männern. Aber dieses Genie fasst er physiologisch. Von ihrem Geschlecht her fremdbestimmt, eignet sich die Frau besser als Gefäß für den furor poeticus, in dem nicht sie selbst, sondern ein Anderes spricht: kein Gott mehr, sondern ihr Geschlecht. Das wirkliche, nicht pathologische, selbstredend männliche Genie hingegen ist in sich selbst gegründet. Als Subjekt ist es selbstbestimmt, selbstbeherrscht, selbstbewusst. Bloß eines nicht: weiblich empfänglich. Der Mangel an Konzeption fällt dem im Aktivismus des Begreifens begriffenen Mann selbst nicht mehr auf; samt der Fähigkeit des Empfangens fehlt ihm die andere, sagen wir: bessere Hälfte des Begriffs seiner selbst. Und das nun schon seit Längerem.

So ist der Bereich des Geistes vielleicht das Feld, auf dem seit der Moderne - das macht die Moderne in ihrem Kern aus - am Horizont des Mannseins eine nur halb gewusste Gefährdung auftaucht. Nervös wird dieser Bereich gegen weibliches Eindringen geschützt. Umgekehrt treffen die eindringenden Frauen besondere Vorkehrungen, die sie unausgesetzt ihrer Weiblichkeit versichern. Denn "Mannweiber" nicht so sehr, aber "Blaustrümpfe" und krasser: "Hysterikerinnen", kurz: auf die eine oder andere Weise unbefriedigte Frauen dringen dem Klischee zufolge auf dieses Terrain vor. Frauen, denen, weil sie nicht geliebt werden oder nicht zu befriedigen sind, in schlechter Kompensation nichts übrig bleibt als die Neugierde - sei sie nun Neugierde auf das Feld des Mannes, sei sie, schlimmer, die den Männern eben erst als Gottesprädikat errungene Neugierde auf das große Andere -; keinesfalls dagegen glückliche Geliebte und liebende Mütter. Umgekehrt betonen viele der schreibenden Frauen immer wieder, ihr Talent sei nichts als ein schierer, authentisch-natürlicher Ausdruck der Weiblichkeit, so dass es ihnen nicht um eine Art Mannwerdung, sondern um die Behauptung der Weiblichkeit von Frauen für Frauen gehe. Folglich auch nicht um das allgemeiner Menschliche, sondern um das spezifischer Weibliche. Wenn die wenigen großen weiblichen Intellektuellen wie etwa Madame de Staël den Status der großen, den Männern ebenbürtigen Schriftstellerin einfordern, lassen sie den Männern eine Hintertür offen: Die Philosophie soll ihnen, den großen Männern, vorbehalten bleiben. Sonst aber sind sie, die großen Frauen, unter den Großen vorzugsweise die einzigen: la prima e unica donna. Oder, bescheidener, sie gehören zu den ganz wenigen, den Ausnahmefrauen.

Die schreibende Frau

Wie angstbesetzt das Überschreiten von Geschlechtsgrenzen ist, lässt sich an der Figur der Schriftstellerin beispielhaft illustrieren. Denn an ihr, der schreibenden Frau, hat sich auf beiden Seiten, der Männer und der Frauen, die tief sitzende gender anxiety historisch am eindrücklichsten herauskristallisiert. Die Schriftstellerin tut, was nur Männer dürfen: sich einen Namen machen. Sie überschreitet die Sphäre der Privatheit, in der sie dem Namen des Mannes untersteht, zur Öffentlichkeit eines nicht begrenzten Publikums. Durch das Übertreten der Geschlechtsgrenze droht ihr der Weiblichkeitsverlust auf dem Fuße; umgehend wird sie als Mannweib und Hure zugleich - nicht als eines von beiden, sondern als beides auf einmal - diffamiert. Ihr Schreiben manifestiert die Doppelbedrohung in beide Richtungen, es bestreitet im alten babylonischen Gewande die Errungenschaft moderner männlicher Selbstbestimmung, ja beschwört die Rückkehr einer in ihren Quellen ungeklärten Aufklärung.

Friedrich Schillers (wessen sonst) Gedicht "Die berühmte Frau" (1789) behandelt den Topos der Schriftstellerin zu Hochzeiten der Abwehr allen weiblichen Intellekts zugunsten der einzigen Rolle der Frau, die ihr angemessen sei, der Rolle der Ehefrau und Mutter. Der Titel deutet an, was das Gedicht - als Gegenstück zur "Würde der Frauen" (1796) - aussagt: Würde und Ruhm schließen sich aus. Die Würde macht die Frau zur Frau, Lesebuchschlager für Generationen der Mütter und Großmütter. Schillers "berühmte Frau" hat alles, was vom Ideal abweicht. Sie und die Situation, in die sie ihre Familie gebracht hat, werden vom Ehemann fingiert zum schönen Zwecke eines Trostbriefs an einen Freund, dessen Frau einen Geliebten hat. Der betrogene Freund solle sein Schicksal preisen, meint der Ehemann der berühmten Frau, denn immerhin betrügt seine Frau ihn nur mit einem; sie hängt an ihrem Status als Ehefrau, trägt seinen Namen, kurz: bleibt ganz Frau.

Dagegen hat der Ehemann der Berühmten die Hölle zu gewärtigen: "Mein Weib gehört dem ganzen menschlichen Geschlechte", klagt der vor der Welt insgesamt Betrogene: "Hier darf ihr - wird dein Hausfreund so viel wagen? - der dümmste Fat, der ärmste Wicht, wie sehr er sie bewundre, sagen; und darfs vor meinem Angesicht!" Dies nicht nur mit dem gekränkten Besitzerstolz: "Daß diesen Brillant von einer Frau ein solcher Pavian davongetragen." Denn, nicht genug: Indem sie sich einen Namen gemacht hat, bringt sie ihn um den seinen; ihn kennt "man nur als Ninons Mann". Als "Zwitter zwischen Mann und Weib, gleich ungeschickt zum Herrschen und zum Lieben", vereint sie einen "starken Geist" und einen "zarten Leib" und gibt so ein groteskes Zerrbild von Weiblichkeit ab, ohne an das männliche Geschlecht herankommen zu können. "Um kümmerlich dem stärkern nachzukriechen", sei sie "dem schöneren Geschlecht entflohn", lautet Schillers platonisch bewährte Diagnose auf schlechte Mimesis, aus zweiter Hand. Kann der aufgeklärte Mann den überholten Gott ersetzen, so die Frau den Mann nur schlecht. Der Gott, der in ihr einmal gesprochen haben mochte, war das klägliche Echo ihrer Unterworfenheit.

Schiller steht mit seinem Verdikt nicht allein. Er folgt Jean-Jacques Rousseau, der den Frauen das Genie qua Geschlecht absprach; Ausnahmen wie die ferne griechische Sappho, sublimer Mythos weiblicher Leidenschaft, bestätigen nur die Regel. Schriftstellerinnen schmücken sich mit fremden Federn, ihr Talent gehe meistens auf das Konto eines für sie schreibenden Liebhabers. Schöngeistige Frauen - und gewiss Intellektuelle - waren für ihn ein Unding im Zeitalter fortgeschrittener Aufklärung. So schreibt Rousseau in "Emil oder Über die Erziehung" (1762): "Mir wäre ein einfaches und grobschlächtig erzogenes Mädchen hundertmal lieber als ein Blaustrumpf und Schöngeist, der in meinem Haus einen literarischen Gerichtshof einrichtet und sich zur Präsidentin macht. Ein Schöngeist ist eine Geißel für ihren Ehemann, ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Diener, für alle Welt. Von der Höhe ihres Genies aus verachtet sie alle ihre fraulichen Pflichten. Gäbe es nur vernünftige Männer auf dieser Welt, bliebe "eine gebildete Jungfer ihr ganzes Leben lang Jungfer". Letzten Monat in New York fasste ein junger Mann in fortgeschrittenem Flirtzustand diesen Komplex in einem Satz zusammen: "I am so glad you are not a feminist", sagte er zu seiner Begleitung ...

Was Schiller und Rousseau so pointiert artikulierten, zeugt nicht nur von hochgradiger männlicher Bedrohtheit, es bezeugt einen verleugneten Stand intellektueller Emanzipation, deren Namen nicht mehr völlig vergessen sind - wir drucken alle diese Bettinas und Carolines und Claras auf Briefmarken, nennen unsere Kinder und Straßen nach ihnen. Sie bezeugen den Stand der Dinge, mit dem wir es heute immer noch zu tun haben. Die Öffnung, Aufbrechung, des intimen Raums der Familie durch berufsbezogenen Ehrgeiz und Eitelkeit hat die schreibende Frau der "besten Frau", die sie nicht sein kann und beim besten Willen nicht mehr sein können soll, abgewonnen: als Frau, von der man spricht, statt, wie Rousseau es - schon damals absurd - wollte, als eine "richtige Familienmutter in ihrem Heim nicht weniger eingeschlossen als eine Nonne in ihrem Kloster zu leben".

Rousseau ist bis heute zentral, nicht weil seine Tiraden nicht überholt wären, wie sie es zu seiner Zeit auch schon waren, sondern weil die in ihnen aufgerufenen Phantasmen heute noch so symptomatisch sind, wie sie es damals waren. So lebt in der Diffamierung der erfolgreichen Schriftstellerin als unvollkommene Autorin, unliebenswürdige Ehefrau, lieblose Mutter (nicht zu reden von Geschlechtszwitter und Hure) nicht allein die Konkurrenzangst des Schriftstellers fort; in der Konkurrenzangst verbirgt sich die Angst des Mannes um die männliche Konstitution der Autorschaft. Dass diese Angst heutzutage nicht mehr so krude formuliert und aggressiv zutage tritt, heißt nicht, dass sie durch die Gleichberechtigung beruhigt wäre. Im Gegenteil hat die De-jure-Gleichstellung die phantasmatische Artikulation der misogynen Struktur tiefer gelegt oder verschoben. Dafür bestehen die Frauen mehr als eh und je darauf, nur Frau und nichts als Frau zu sein.

Wie wenig das Problem an Virulenz verloren hat, lässt sich an einem Rezeptionsschicksal zeigen. In einem italienischen Comic für kleine Mädchen, verfasst von einer Frau, ersteht die berüchtigte französische Autorin George Sand (1804-1876) als Rollenvorbild neu: Ihr Name wird zum Inbegriff der liebenden Mutter. Als entschiedene Vertreterin der family first values erscheint ihr Genie ausschließlich im Dienst der Ihren. Große Frauen, so lernt die kleine Leserin fürs Zeitalter der Gleichberechtigung, sind auch große Mütter und Geliebte, und darin, schließt sich die kleine Autorin des kleinen Mediums an, nicht anders als du und ich. Dies anhand des offenkundig ungeeignetsten Beispiels einer Frau, die als Inbegriff der Emanzipation als libertines Zwitterwesen in Männerkleidung, die Zigarre in der Hand, ihrem männlichen Pseudonym frönte und den Ruf einer zu Lebzeiten und inzwischen wieder meistgelesenen Autorin genoss. Die Uminterpretation im Zeitalter der gelungenen Gleichstellung ist gnadenlos vollkommen: George Sand ist keine skandalumwitterte Erfolgs-Schriftstellerin, Transvestitin, Frau mit öffentlichen Affären, erst recht keine leidenschaftliche Schreiberin mehr, die Dinge bewegen möchte, sondern tätig allein aus Sorge um ihr Kind: Sie braucht Geld, die kleine Tochter aufzuziehen, und sie braucht es, weil sie mit dem falschen Mann verheiratet worden ist. Denn dieser adelige, dekadente Ehemann, der drob auch trunk- und spielsüchtig ist, verschleudert ihr Vermögen. Autorschaft hat im Fall der großen Frau nichts mit Berufung zu tun; Sand dient keinem literarischen Ideal. Das Tragen von Männerkleidern hatte rein praktische Gründe: Sie sind wärmer und billiger. In dem Männerzirkel, zu dem sie als einzige Frau zugelassen war, bewährt sie sich als hilfsbereiter Kamerad, in ihren Liebesaffären weist ihr die Comicautorin, ohne mit der Wimper zu zucken, die Rolle als frommer Samariter und aufopfernde Frau zu. Ihr öffentliches Leben, so sieht es aus, diente nichts als den beruhigten privaten Anforderungen, im Comic dem zeitgemäß re-domestizierten Frau- und Muttersein.

Das in Jürgen Habermas' Öffentlichkeitsbuch in den frühen 1960er Jahren diagnostizierte Phänomen der Re-Feudalisierung impliziert - es sieht aus, als sei das paradox und nicht, was es ist: folgerichtig - eine Re-Domestizierung der Frau, die es als solche im Ancien Régime nicht gab.

Nach der Moderne

Trotz allen Fortschrittsbewusstseins sind weibliche Intellektuelle, wie sich am Modell der schreibenden Frau herauskristallisiert, angstbesetzt, und zwar mit wachsender Gleichstellung bei Männern und Frauen gleichermaßen. Deshalb ist das Publikum so beruhigt wie begeistert, wenn eine Autorin ganz Frau geblieben ist und ihr Schreiben die natürlichste Sache der Welt. Dass die heute beliebtere und marktgängigere Variante der Frau weniger die der Ehefrau und Mutter ist, sondern einen lustvollen Körper schreibt, ändert am Schema nichts.

Im Gegenteil prägt die älteste aller Figuren weiblichen Schreibens, die der Pornografie, ebenso hypokrit wie hartnäckig die öffentliche Rezeption weiblicher Autorinnen, zuletzt in der nicht anders als grotesk zu nennenden Diskussion von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" oder Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill". Wenn Frauen schreiben, können sie in den Augen der Leser nichts anderes, als ihre Natur schreiben: früher ihre Tugend und Entsagung, manchmal, gewagter, ihre Liebe, heute ihre Lust, ihren Sex, sich selbst. Da kann da Schwarz auf Weiß stehen, was will; umstandslos wird es auf den Körper der Autorinnen projiziert. Die sogenannte Frauenliteratur, zu der diese beiden Bücher selbstverständlich nicht gehören, ist die institutionalisierte Sparte, in der die Angst, nicht ganz Frau zu sein, beruhigt und das Begehren befriedigt wird, besonders Frau zu sein. Aber das ist nur die eine Seite, denn sie ist auch der Ort, an dem die Angst des Mannes in der Angst der Frau ihre tiefgründige Beruhigung erfährt.

Der Intellektuelle ist nicht bloß dem grammatischen Geschlecht nach männlich. Und es ist kein Zufall, der dem diesjährigen Suhrkamp-Katalog als Sitz einer "Bibliothek der Moderne" gegen seine zweifelsfrei besten Absichten unterlaufen ist wie dem Kindermund einer guten Familie. Erst wenn die Moderne hinter uns liegt und von einer Zeit abgelöst ist, die ohne gender anxiety auskommt und es nicht mehr nötig hat, ihre Männlichkeit zu behaupten, werden Artikel über feministische Intellektuelle überflüssig, wird aus de iure de facto geworden sein.

Dr. phil., Ph.D., geb. 1960; Professorin am Institut für Romanische Philologie der Universität München, Ludwigstraße 25, 80539 München. E-Mail Link: barbara.vinken@romanistik.uni-muenchen.de