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Reformkommunikation - eine aussichtslose Schlacht?

Katja Marie Fels

/ 12 Minuten zu lesen

Der Ausdruck, eine Politik sei "nicht vermittelbar", ist verfrühte Kapitulation. Wer strategisch kommuniziert, kann die öffentliche Meinung gewinnen.

Einleitung

Ausgerechnet Medienkanzler Gerhard Schröder erlitt mit der Agenda 2010 ein riesiges Vermittlungsdesaster. Auch die aktuelle schwarzgelbe Regierung schafft es nicht, in der Öffentlichkeit Unterstützung für ihre Reformvorhaben zu gewinnen. Steuerreform? Sozial ungerecht. Gesundheitsreform? Ein kranker Kompromiss. Gerade in Zeiten globalisierter Wirtschaftsräume und klammer Kassen bieten Reformen des Gesundheits-, Steuer- und Sozialwesens für Politiker kein dankbares Gewinner-Thema. Meist sind diese mit Einschnitten für einzelne Bevölkerungsgruppen verbunden, die Auswirkungen komplex und für viele Menschen nur schwer nachvollziehbar.

Reformen erfolgreich kommunizieren - von vornherein eine aussichtslose Schlacht? Nein, sagen Stephanie Delhees und ihre Co-Autoren, die in einer vergleichenden Studie die Reformkommunikation westeuropäischer Staaten untersucht haben. Es gibt Mittel und Wege, Reformvorhaben nicht in einem Kommunikationsdesaster Schiffbruch erleiden zu lassen. Wagt man den Blick über Europas Grenzen hinaus, zeigen Beispiele in den USA, China und Australien, wie viel Überzeugungskraft gute Reformkommunikation entwickeln kann.

Doch warum läuft so oft so Vieles schief? Trotz Problembewusstseins und Reformbereitschaft bei großen Bevölkerungsteilen sehen sich Regierungen meist mehr mit offenem Widerstand als mit unterstützenden Stimmen konfrontiert. Dass die Bürgerinnen und Bürger nur so lange zu Reformen bereit sind, wie es nicht an das eigene Portemonnaie geht, mag als erste Erklärung herhalten. Doch so einfach ist es nicht. Umfragen zeigen, dass auch persönliche Einschnitte akzeptiert würden, wenn die Belastungen gleichmäßig verteilt sind und die Gesamtrichtung der Reform stimmt. Und trotzdem dominieren in den meisten Fällen Negativmeinungen die öffentliche Debatte. Mit weit reichenden Folgen: "Uncertainty and the fear of unanticipated consequences have always been formidable barriers to reform", beobachtete der Politikwissenschaftler Jack L. Walker bereits 1969.

Unsicherheit erzeugt widersprüchliches Verhalten

Eine Erklärung für dieses Phänomen liefert die Prospect-Theorie: Der entscheidende Faktor, der das unterschiedliche Diskussionsverhalten von potenziellen "Reformgewinnern" und potenziellen "Reformverlierern" bestimmt, ist Unsicherheit. Mehrere Experimente haben gezeigt, dass Situationen mit unsicherem Ausgang bei unterschiedlichen Frames gegensätzliche Gefühle bei Menschen auslösen. Geht es um den potenziellen Zugewinn von Geld, verringert sich die Neigung, risikoreiche Entscheidungen zu treffen. Spielen die Versuchspersonen hingegen um einen potenziellen Verlust, neigen sie zu risikoreichem Verhalten. In einer von Unsicherheit über die Folgen einer politischen Reform geprägten Diskussion werden also immer die Stimmen am lautesten zu hören sein, die einen Verlust durch das Reformvorhaben vermuten. Reformbefürworter auf der anderen Seite brauchen belastbares Wissen über die Auswirkungen des geplanten Vorhabens, bevor sie sich in die Debatte einmischen.

Debattiert wird sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Parlament, auf Parteiveranstaltungen und in Kabinettssitzungen. Nicht nur die Wähler gilt es zu überzeugen, politische Entscheider benötigen auch Unterstützung durch die eigene Parteibasis, den Koalitionspartner und - in einem föderativen System wie in Deutschland - in vielen Fällen auch durch die führenden Landespolitiker. Damit potenzielle Vetospieler wie Abgeordnete der Koalitionspartei oder der Bundesrat für eigene Projekte gewonnen werden, verläuft ein erfolgversprechender Weg über die direkte Ansprache der Bürger. Immer häufiger werden Themen daher öffentlich besetzt anstatt hinter verschlossenen Türen verhandelt zu werden.

Warum? Der Grund ist so simpel wie bestechend: Eine Unterstützung durch die öffentliche Meinung ist das stärkste Argument, das ein Politiker auf seiner Seite haben kann. Ein solches Vorgehen trägt zudem dem normativen Postulat Rechnung, dass politisches Handeln in der Demokratie zustimmungsabhängig und somit begründungsbedürftig ist. So hat das Bundesverfassungsgericht 1977 in einem wegweisenden Urteil die Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen nicht nur als verfassungsrechtlich zulässig, sondern in Grenzen auch als notwendig eingestuft. Unter diesem Blickwinkel liegt es also nicht nur im eigenen Interesse einer Regierung, kommunikativ um Unterstützung für Reformen zu werben. Es ist ihre ureigene Aufgabe in einer parlamentarischen Demokratie.

Doch gibt es eine weit verbreitete Fehlannahme. Nicht die reine Vermittlung bereits getroffener Entscheidungen ist mit Regierungskommunikation gemeint. Erfolgreich kommuniziert nur derjenige, der Information nicht als nachgelagerte Aufgabe versteht. Transparenz, schon während der Lösungsfindung, sowie die Förderung des Gefühls beim Bürger, er könne auf den Prozess Einfluss nehmen, sind zwei wichtige Faktoren erfolgreicher Reformkommunikation. "Einer Regierung, die Reformpolitik und Kommunikation klug miteinander verbindet, kann es gelingen, weitgehend die öffentliche Meinung zu bestimmen." Oder anders herum betrachtet: Ohne eine begleitende Vermittlung muss jedes noch so gelungene Reformprojekt an fehlender Akzeptanz scheitern. Ganz gleich wie man zur Notwendigkeit des Stuttgarter Bahnhofsumbaus steht: "Stuttgart 21" liefert ein Paradebeispiel dafür, was geschieht, wenn die kommunikative Dimension eines Veränderungsprozesses zu lange vernachlässigt wird.

Glaubwürdige Zeugen gesucht

Dabei wäre es falsch anzunehmen, Kommunikation sei eine leichte Aufgabe. Reformen haben Auswirkungen auf die Zukunft von Menschen. Sie schüren Ängste und Unsicherheit. Beides sind keine guten Voraussetzungen für die Einwerbung von Unterstützung. Um den Bürgern ihre Skepsis und Sorgen zu nehmen, benötigt eine Regierung glaubwürdige Fürsprecher für ihr Reformvorhaben. Politiker selbst, Wissenschaftler oder Verbandsvertreter können diese Rolle nicht übernehmen. Ihnen wird aufgrund ihrer Position eine bestimmte Grundeinstellung zugeschrieben. Außerdem erscheinen sie vielen Bürgern als "zu weit weg" von der eigenen Situation. Wirklich glaubwürdige Zeugen sind am besten die Betroffenen selbst. Ein vielversprechender Weg, sie bereits vor Einführung einer Reform in die öffentliche Debatte einzubringen, führt über Pilotprojekte.

Bereits der frühere US-Präsident Bill Clinton hat mit seinem Welfare-to-Work-Reformen gezeigt, welch themensetzende Macht der Einsatz von Pilotprojekten haben kann. Im Vorfeld seiner angestrebten Sozialstaatsreform ermunterte er in den 1990er Jahren die regierenden Gouverneure, in ihren Bundesstaaten Pilotprojekte, so genannte social experiments und demonstration studies, durchzuführen. Auf diesem Weg entwickelte sich eine vorher nicht gesellschaftlich zu vertretende Idee zur einzig offensichtlichen Lösung für die Wohlfahrtsstaatsproblematik: eine zeitliche Begrenzung für den Bezug von Sozialleistungen. Die Analyse der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Robin Rogers-Dillon zeichnet diese Entwicklung nach. Sie arbeitet heraus, dass die Schlagkraft der von Clinton initiierten Pilotprojekte zwei Hauptgründe hatte. Zum einem wurden für die Einführung der Politik notwendige neue Strukturen aufgebaut, welche gleichzeitig jene institutionellen Gründe schwächten, die dem Projekt entgegengestanden hätten. Zum anderen beschaffte die zeitlich begrenzte Anwendung der favorisierten Politikidee eine starke Legitimation, weil sie zeigte, dass diese funktionierte.

Selbst in der Volksrepublik China ist die Implementierung neuer Politikideen durch Pilotprojekte auf lokaler Ebene gängige Praxis. Zeigt ein Pilotprojekt Erfolg, wird es an anderer Stelle erneut eingeführt. So kann nach und nach vor Ort Unterstützung für den Wandel erzeugt werden. Der nächste Schritt ist die Ausdehnung lokaler Projekte, bevor am Ende die Reform durch eine Neuerung von Regeln und Gesetzen landesweit umgesetzt wird. Die Orte für die Pilotprojekte sind dabei sorgfältig ausgewählt. Sie sollen später als Argumente für die Wirksamkeit der Reform angeführt werden. Zudem bieten sie interessierten Politikern anderer Landeskreise die Möglichkeit, bei einem Ortsbesuch die erfolgreiche Anwendung der Reformidee bereits "live" zu beobachten.

Zusammengefasst weisen Pilotprojekte für einen Reformprozess drei unschlagbare Vorteile auf: Sie visualisieren die Folgen der geplanten Reformpolitik; sie ermöglichen einen Realitätstest von vorher theoretischen Ideen; und sie erzeugen Betroffene, die in der öffentlichen Debatte als glaubwürdige Fürsprecher für die Reform auftreten können. Zudem sollten selbst Gegner der neuen Politik einem Pilotprojekt nur schwer etwas entgegensetzen können. Wer will sich schon eine Blockadehaltung vorwerfen lassen, weil er sich bereits gegen das bloße Ausprobieren von neuen Ideen stellt?

Diesen strategischen Wert von Pilotprojekten bei der Einführung kontroverser Reformvorhaben haben australische Politiker erkannt. Ein Beispiel: Im Jahr 2007 schockierte eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie über den Zusammenhang von Alkoholabhängigkeit und sexuellem Missbrauch in Aborigine-Gemeinden die australische Bevölkerung. Daraufhin beschloss Mal Brough, Minister für die Belange der Ureinwohner, eine Pilotmaßnahme für das Nördliche Territorium (NT): die Northern Territory Emergency-Intervention. Nicht nur wurden die Alkoholgesetze verschärft, Pornographie verboten und die Präsenz der Polizei vor Ort verstärkt, auch fand eine kleine Revolution im Bereich der Sozialleistungen ihren Eingang durch ein Pilotprojekt. Vorerst auf ein Jahr begrenzt sollten Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und einer kindergeldähnlichen Leistung nur die Hälfte ihrer Bezüge in bar ausgezahlt bekommen. Die andere Hälfte wurde auf einer Art Zahlkarte im lokalen Laden hinterlegt und durfte ausschließlich für Lebensmittel, Miete und Strom ausgegeben werden.

Aufschrei in der Öffentlichkeit

Nach Bekanntwerden der Maßnahme ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit. Als "rassistisch", "neo-paternalistisch" und "stigmatisierend" wurde die Pilotmaßnahme beschimpft. Doch Brough ließ sich nicht beirren. Immer wieder verteidigte er seine Politik und zitierte Aborigine-Frauen, die den Vorstoß begrüßten, da sie nun endlich genug Geld hätten, um ihre Kinder mit Essen zu versorgen. Zuvor sei ihnen dieses meist von männlichen Verwandten für den Konsum von Alkohol abgenommen worden. Doch die Kritiker ließen sich nicht beruhigen und dominierten - wie von der Prospect-Theorie vorausgesagt - die Medienberichterstattung. Einige Wochen nach Einführung der neuen Regelung lud der Minister einen Tross von Journalisten ein, ihn in eine Aborigine-Gemeinde zu begleiten. Dort sollten sie mit den Betroffenen sprechen und einen eigenen Eindruck gewinnen. Der Erfolg war durchschlagend. "Welfare quarantine wins support", "Community women back NT-intervention" und "Support for federal intervention" lauteten nun die Schlagzeilen in den australischen Zeitungen.

Der Wind hatte sich gedreht. Der Journalist Simon Kearney, der als Korrespondent der einzigen nationalen Zeitung The Australian mehrere Monate das Nördliche Territorium bereist hatte, stellte fest, dass die Berichte über positive Reaktionen der Betroffenen einen Umschwung in der öffentlichen Meinung herbeigeführt hatten. Dieser ging so weit, dass nach dem Regierungswechsel Ende 2007 Broughs Nachfolgerin Jenny Macklin, früher wie ihre gesamte Labor-Partei eine erklärte Gegnerin der Reform, das Pilotvorhaben verlängerte. Aktuell denkt die Labor-Regierung sogar öffentlich darüber nach, eine ähnliche Reform auf nationaler Ebene einzuführen.

Was war geschehen? Die Stellungnahmen der Betroffenen hatten den Tenor der öffentlichen Debatte gedreht. Das sollte nicht verwundern. Ein immer wiederkehrender Ratschlag von Kommunikationsexperten im Bereich der politischen Kommunikation lautet: Personalisierung. Denn nichts ist so überzeugend wie ein direktes Zitat. Dieses im Bereich der Exemplar-Forschung untersuchte Phänomen ist seit Jahren bekannt. Die Kurzversion lautet: In Bezug auf die öffentliche Meinung zu einem Sachverhalt wirken direkte Zitate von Betroffenen um ein Vielfaches stärker als andere Argumente. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass dargestellte O-Töne von "Zeugen" die Meinung von Medienrezipienten deutlicher prägen als Statistiken, einordnende Überblicke oder Aussagen von offiziellen Stellen. Trotz gegenläufiger Kontextinformationen reflektiert die Einschätzung der Rezipienten über die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung nahezu linear das Verhältnis der Direktzitate.

Berichtet etwa ein Fernsehbeitrag darüber, dass nach Umfragen die Mehrheit der Deutschen magentafarbene Telefonzellen den früheren gelben vorzieht, zeigt aber im Anschluss drei O-Töne von Passanten, welche sich gegen die neue Farbe aussprechen, dann wird die Mehrheit der Zuschauer, nach der vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung befragt, für eine Ablehnung der magentafarbenen Zellen votieren. Dieser Effekt tritt bei allen Mediengattungen auf, unabhängig davon, wie gut die Argumente der zitierten Personen waren und ob sich die Zuschauer mit ihnen identifizieren konnten. Und nicht nur das: Mit mehreren Wochen Abstand kann die Auswirkung der Zitate noch gemessen werden, selbst in zentralen Bereichen politischer Meinungsbildung wie etwa der Einstellung zum Klimawandel.

Irrationales Verhalten mit Konsequenzen

Dabei ist den meisten Medienkonsumenten durchaus bewusst, dass die Zitate nicht aufgrund ihrer Repräsentativität ausgesucht werden, sondern anhand ihrer dramatischen oder unterhaltenden Qualitäten. Das auf den ersten Blick irrationale Verhalten, die eigene Meinung dennoch von den Zitaten beeinflussen zu lassen, lässt sich mit kognitiven Modellen erklären. Sie gehen zurück auf die Entdeckung systematischer menschlicher Fehler durch Heuristiken von Daniel Kahnemann und Amos Tversky. In einer Reihe von Experimenten stellten die beiden Psychologen fest, dass sich Versuchspersonen, konfrontiert mit der schwierigen Aufgabe, die Häufigkeit eines Ereignisses zu bewerten, einer begrenzten Anzahl "kognitiver Abkürzungen" bedienen. Unter der Verfügbarkeitsheuristik wird die Häufigkeit eines Ereignisses durch die Schnelle und Einfachheit bewertet, mit der ähnliche Situationen oder Assoziationen als Erinnerungen auftauchen. Bei der Repräsentativitätsheuristik entscheidet ein Mensch über die Wahrscheinlichkeit des in Frage stehenden Ereignisses anhand der Ähnlichkeit, die dieses mit der dazu gehörigen Ausgangsgruppe hat. Sollen Versuchspersonen beispielsweise einschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein präsentierter Mann einem bestimmten Beruf nachgeht, vergleichen sie die Eigenschaften des Mannes mit Stereotypen, die sie über diesen Job kennen. Je mehr er davon aufweist, für desto wahrscheinlicher halten die Versuchspersonen seine Beschäftigung in dem in Frage stehenden Metier.

Beide Heuristiken liefern gute Hilfsmittel für die tägliche Entscheidungsfindung in unsicheren Situationen. Doch sind sie auch die Grundlage für systematische Fehleinschätzungen, insbesondere im Bereich des Medienkonsums. Weil O-Töne von Betroffenen lebhaft und lebensnah sind, können sie viel schneller erinnert und mit einem Ereignis verknüpft werden als statistische Informationen. Auf Grundlage der Verfügbarkeitsheuristik lässt sich daher erklären, warum direkte Zitate einen stärkeren Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Die Abbildung der Bevölkerungsrealität, welche durch die Auswahl der O-Ton-Geber suggeriert wird, verleitet Medienrezipienten unter der Repräsentativitätsheuristik zudem dazu, Schlussfolgerungen über die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung zu ziehen. Kein Wunder also, dass die Personalisierung von Sachverhalten bei Kommunikationsexperten hoch im Kurs steht.

Medien als Schnittstelle

Um eine Reform "an den Mann" und "an die Frau" zu bringen, müssen die Massenmedien mit im Boot sein. Ihnen kommt in der Politik eine wichtige Agenda Setting-Funktion zu: Die Berichterstattung bestimmt darüber, welche Themen von der Bevölkerung und anderen politischen Akteuren als wichtig eingestuft werden. Die Regierungskommunikation in allen westlichen Demokratien steht daher vor ähnlichen Herausforderungen: Sie muss im Wettbewerb um Aufmerksamkeit bestehen und dafür sorgen, dass die relevanten Botschaften überhaupt wahrgenommen werden; sie muss komplexe Sachverhalte so reduzieren, dass ihre Vorhaben auch von politisch durchschnittlich interessierten Bürgern verstanden werden; und sie ist auf die Vermittlungsleistung der Massenmedien angewiesen.

In diesem Zusammenhang spielt Politikern eine hilfreiche Parallelität in die Hände: Auch Massenmedien wollen ihre Geschichten verkaufen. Personalisierung ist daher ein geläufiges Instrument in der Berichterstattung. Im Bereich des Politikjournalismus richtet sich diese häufig auf die Person von Spitzenpolitikern. In Hintergrundberichten kommen jedoch auch Betroffene zu Wort. An ihren Beispielen werden Auswirkungen von Politikvorhaben dargestellt. Das Problem: Die meisten Reformen wirken zeitversetzt. Berichten Medien durch Zitate von Betroffenen über positive Erfahrungen, ist es für die "Väter" und "Mütter" der Reform meist zu spät. Sie sind entweder aufgrund eines Regierungswechsels nicht mehr im Amt oder hadern möglicherweise noch immer mit dem Makel, den der Aufschrei bei der Einführung zurückgelassen hat. Mit Interviews von Pilot-Teilnehmern hätten sie den Positiveffekt der Berichterstattung bereits viel früher für sich nutzen können.

Betroffene mit in den Veränderungsprozess einbeziehen und als glaubwürdige Zeugen in die Debatte einführen, ist somit der Schlüssel zum Erfolg. Diese Schlussfolgerung unterstützen auch Stephanie Deelhees und ihre Kollegen mit einer ihrer zentralen Handlungsempfehlungen. Als entscheidend für die erfolgreiche Kommunikation von unpopulären Maßnahmen bezeichnen die Politikwissenschaftler den Dialog mit betroffenen Interessensgruppen. Diese könnten als Multiplikatoren und "Frühwarnsystem" bei Umsetzungs- und Kommunikationsschwierigkeiten der angestrebten Reform dienen, so die Forscher. Ein Pilotprojekt bindet diese Gruppen bereits vor der eigentlichen Einführung einer Reform ein. Die Teilnehmer können Rückmeldungen zu den neuen Maßnahmen geben und so dazu beitragen, dass diese noch effektiver und an den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen ausgerichtet werden. Zeigen sich die Gesamtauswirkungen positiv, können die Teilnehmer später als glaubwürdige Fürsprecher in der öffentlichen Diskussion auftreten. Dabei ist anhand der Umfrageergebnisse davon auszugehen, dass selbst im Falle einer Reform, welche persönliche Einschnitte fordert, eine positive Gesamteinschätzung betroffener Personen erreicht werden kann. Treten die gewünschten Effekte der Reform hingegen nicht ein, ist ein erneutes Überdenken des Politikvorhabens ohnehin angebracht.

Bleibt die Frage: Warum kommen Pilotprojekte dann nicht im großen Rahmen zum Einsatz? Die Antwort lautet: Sie kosten Zeit und Geld. Angesichts des zunehmenden Reformdrucks westlicher Wohlfahrtsstaaten und der Vielzahl notwendiger, aber kontroverser Reformprojekte, die Politiker parlamentarischer Demokratien bislang weitgehend scheuen, sollte jedoch darüber nachgedacht werden, ob sich diese Investition nicht lohnt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Stephanie Delhees et al., Wohlfahrtsstaatliche Reformkommunikation, Baden-Baden 2008.

  2. Vgl. Bertelsmann Stiftung, Politische Reformkommunikation. Veränderungsprozesse überzeugend vermitteln. Diskussionspapier zum Expertendialog, Berlin 2006, S. 5.

  3. Jack L. Walker, The Diffusion of Innovations among the American States, in: American Political Science Review, 63 (1969) 3, S. 890.

  4. Vgl. Christina Holtz-Bacha, Professionalisation of Politics in Germany, in: Ralp Negrine et al. (eds.), The Professionalisation of Political Communication, Bristol 2007, S. 75.

  5. Der Begriff "öffentliche Meinung" kann in drei Bereiche unterteilt werden: die durch Umfragen erhobene Meinung der Bevölkerung, die in den Medien veröffentlichte Meinung sowie die in der öffentlichen Debatte dominierende Meinung. Da sich die drei Bereiche zum Teil überschneiden, versteht dieser Artikel unter öffentlicher Meinung jene, die sich in der öffentlichen Kommunikation als "herrschende Meinung" durchsetzt, so dass davon abweichende Meinungen mit Widerständen rechnen müssen; vgl. Winfried Schulz, Politische Kommunikation, Wiesbaden 2008, S. 119.

  6. Vgl. BVerfG, Urteil vom 2.3.1977, Az. 2 BvE 1/76, Abschnitt C, Absatz III.

  7. Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Integrierte Politik- und Medienplanung, in: Volker J. Kreyher (Hrsg.), Handbuch Politisches Marketing, Baden-Baden 2004, S. 398.

  8. Vgl. Robin Rogers-Dillon, The Welfare Experiments. Politics and Policy Evaluation, Stanford 2004.

  9. Vgl. Joan Kaufmann/Zhang Erli/Xie Zhemming, Quality of Care in China: Scaling up a Pilot Project into a National Reform Program, in: Studies in Family Planning, 37 (2006) 1, S. 17-28.

  10. Vgl. ausführlich zu dieser Fallstudie Katja M. Ebbecke, Politics, Pilot Testing and the Power of Argument, Universitätsbibliothek Dortmund 2008.

  11. Vgl. Gregor Daschmann/Hans-Bernd Brosius, Can a Single Incident Create an Issue? Exemplars in German Television Magazine Shows, in: Journalism and Mass Communication Quarterly, 76 (1999) 1, S. 35-51.

  12. Vgl. Amos Tversky/Daniel Kahnemann, Availability: A Heuristic of Judging Frequency and Probability, in: Cognitive Psychology, 5 (1973) 2, S. 207-232.

  13. Vgl. Frank Brettschneider, Regierungskommunikation in Großbritannien und den USA, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Reformen kommunizieren. Herausforderungen an die Politik, Gütersloh 2007, S. 36.

  14. Vgl. S. Delhees et al. (Anm. 1), S. 203.

Grad. Dipl. Economic Policy (ANU/Australian National University, Canberra), geb. 1983; Politikwissenschaftlerin und Diplom-Journalistin; wissenschaftliche Referentin bei der Studienstiftung des deutschen Volkes, Ahrstraße 41, 53175 Bonn. E-Mail Link: fels@studienstiftung.de