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Economic Governance in der Eurozone | Europa | bpb.de

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Economic Governance in der Eurozone

Daniela Schwarzer

/ 15 Minuten zu lesen

Seit die Finanzkrise auf Europa übergriff, sind zahlreiche Reformen verabschiedet worden, um die Economic Governance zu stärken. Der Weg aus der Verschuldungskrise aber ist auch nach dem Beschluss zu einem "Fiskalpakt" noch nicht gewiesen.

Einleitung

Seit die 2007 ausgebrochene Finanzkrise auch auf Europa übergriff, haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Eurozone Reformen auf den Weg gebracht, welche die Überwachung und Koordinierung nationaler Haushalts- und Wirtschaftspolitiken sowie die Finanzmarktaufsicht verändert haben. Darüber hinaus wurde die politische Zusammenarbeit in der Eurozone durch die Einführung von regelmäßigen Eurozonen-Gipfeln und die Schaffung eines administrativen Unterbaus vertieft. Noch immer sind die Reformen nicht abgeschlossen: Beim Europäischen Rat am 8. und 9. Dezember 2011 wurde vereinbart, die Eurozone 2012 mit einem sogenannten Fiskalpakt auszustatten, dem sich außer Großbritannien bis zu neun Mitgliedstaaten der Europäischen Union anschließen wollen. Doch auch darüber hinaus besteht weiterer Handlungsbedarf, denn der Weg aus der Verschuldungskrise ist noch nicht gewiesen und die Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung sind noch nicht ausreichend. Einige Beobachter und Akteure schätzen den Reformbedarf als so weitreichend ein, dass sie die Gründung einer politischen Union fordern.

Architektur der Eurozone

Seit ihrer Gründung ist die Europäische Währungsunion asymmetrisch konstruiert: Der vergemeinschafteten Geldpolitik der unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB) wurde keine "Wirtschaftsregierung" und keine "haushaltspolitische Autorität" gegenüber gestellt. Auf einen Souveränitätstransfer in diesen für die Nationalstaaten so sensiblen Bereichen wurde verzichtet. Stattdessen wurde lediglich eine von Regeln geleitete Koordinierung der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken vereinbart, obwohl hinlänglich bekannt war, wie groß die gegenseitigen Abhängigkeiten sind und wie leicht "Ansteckungseffekte" durch unkoordiniertes Handeln und unverantwortliche Politik auftreten können.

Dies war insbesondere deshalb problematisch, da die Finanzmärkte über ein Jahrzehnt alle Länder der Eurozone mit einer Art "Zinsbonus" belohnten: Auch Staaten wie Griechenland, Italien und Spanien konnten sich zu geringen Zinsen Geld leihen, obwohl ihr Schuldenstand beziehungsweise die geringe Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften problematisch waren. Die Sanktionierung unverantwortlicher Politik durch die Märkte funktionierte über Jahre nicht - obwohl in den Vertrag von Maastricht ein Haftungsausschluss für die Verschuldung anderer Mitgliedstaaten aufgenommen worden war. Damit sollte verdeutlicht werden, dass es die Möglichkeit zum Staatsbankrott einzelner Mitgliedstaaten im Euroraum gibt, um die Eigenverantwortlichkeit der Regierungen zu unterstreichen und den Marktteilnehmern Anreize für vorsichtiges Investitionsverhalten zu geben.

Nachdem die Strukturen und Prozesse der politischen Zusammenarbeit in der Währungsunion auch während des Verfassungskonvents 2002/2003 ergebnislos behandelt wurden, sind seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise verschiedene Reformen verabschiedet und weitere auf den Weg gebracht worden.

Europäisches Finanzaufsichtssystem

Eine unzureichende Finanzmarktregulierung und -aufsicht auf europäischer Ebene wurde als eine der Ursachen identifiziert, warum die EU so stark von der Finanzkrise erschüttert wurde. Die bestehenden nationalen Aufsichtsstrukturen hatten weder Instabilitäten in den Märkten identifiziert, noch waren sie geeignet, mit zumindest teilweise grenzüberschreitend integrierten Finanzmarktakteuren umzugehen. Der Eurozonen-Gipfel vom Oktober 2008 initiierte daher ein Gesetzgebungsverfahren, um europäische Finanzmarktaufsichtsstrukturen zu schaffen.

Anfang 2011 nahm das Europäische Finanzaufsichtssystem seine Arbeit auf. Die Europäische Bankenaufsicht, die Europäische Aufsicht für das Versicherungswesen und die Europäische Wertpapieraufsicht haben seither die Aufgabe, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsehern zu verbessern und ein einheitliches Handeln der nationalen Behörden im Finanzbinnenmarkt sicherzustellen. Direkte Durchgriffsrechte haben sie indes nicht. Hinzu kommt der bei der EZB angesiedelte Europäische Ausschuss für Systemrisiken. Seine Aufgabe ist, die Stabilität des gesamten Finanzsystems zu überwachen, frühzeitig auf Risiken hinzuweisen und Maßnahmen zu ihrer Beseitigung zu empfehlen. Der wichtigste Beitrag ist dabei die stärkere Verzahnung der nationalen Aufsichtsstrukturen. Kritiker hinterfragen allerdings, ob dies ausreicht, um ein einheitliches Regelwerk für den europäischen Finanzsektor und konsistente Aufsichtsstrukturen zu schaffen, und weisen insbesondere auf die mangelnden Durchgriffsrechte der europäischen Behörden in den nationalen Kontexten hin.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass für alle vier Behörden der neuen Finanzaufsicht eine regelmäßige Überprüfung durch die Europäische Kommission vorgesehen ist. Alle drei Jahre soll sie einen Bericht über deren Tätigkeiten und die festgelegten Verfahren veröffentlichen. Jährlich wird überdies überprüft, ob die Europäische Finanzaufsicht direkte Aufsichtsbefugnisse über Finanzinstitute oder Infrastrukturen mit europaweiter Bedeutung haben sollte. Durch diese vom Europäischen Parlament in die Gesetzestexte eingebrachten Überprüfungsklauseln ist eine Weiterentwicklung des Aufsichtssystems grundsätzlich angelegt. Stärkere Aufsichts- und Durchgriffsrechte dürften jedoch weiterhin auf nationalen Widerstand stoßen, insbesondere, wenn sie potenziell haushaltspolitische Auswirkungen haben.

Van-Rompuy-Task-Force und Gesetzgebungsverfahren

Die Schaffung der neuen Finanzaufsicht war nur der erste Schritt. Unter dem Eindruck der sich ausbreitenden Schuldenkrise beschloss der Europäische Rat am 25./26. März 2010, eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Europäischen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy einzurichten. Die 27 Finanzminister sollten zusammen mit Vertretern der Europäischen Kommission und der EZB einen Konsens über den Reformbedarf der Eurozone erarbeiten.

Am 21. Oktober 2010 legte die Van-Rompuy-Task-Force Empfehlungen in vier Feldern vor: erstens die Stärkung der haushaltspolitischen Überwachung, zweitens die Einführung eines neuen Mechanismus zur wirtschaftspolitischen Überwachung, drittens die (zu dem Zeitpunkt bereits vollzogene) Einführung des "Europäischen Semesters" sowie viertens die Einrichtung eines Europäischen Krisenmechanismus zum Umgang mit Verschuldungskrisen.

Die Europäische Kommission, die unter Druck geraten war, ihr gesetzgeberisches Initiativrecht zu verteidigen, legte in einer Art Wettlauf mit der Task-Force am 27. September 2010 ein Paket mit sechs Gesetzesvorschlägen vor. Das sogenannte Six-Pack befasste sich mit den ersten drei von der Task-Force identifizierten Themenfeldern. Die fünf Verordnungen und eine Richtlinie wurden im September 2011 beschlossen und traten am 13. Dezember 2011 in Kraft.

Schärfere Kontrollen in der Haushaltspolitik

Drei der Gesetze verschärfen den Stabilitäts- und Wachstumspakt, ein weiteres soll die Transparenz der mitgliedstaatlichen Haushaltsdaten verbessern und somit deren Manipulation verhindern. Beim Stabilitätspakt, dem wichtigsten Regelwerk zur Überwachung und Koordinierung der nationalen Haushaltspolitiken, wird die Drei-Prozent-Defizitobergrenze durch das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ersetzt. Das strukturelle Defizit soll 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen. Darüber hinaus wird ein kontrollierter Abbau des Schuldenstandes auf 60 Prozent des BIP vorgeschrieben. Auch die Gesamtschuldenrückführung wird einem neuen abgestuften Sanktionsverfahren unterliegen, in dem Beschlüsse auch gegen eine Mehrheit der Euroländer auf Vorschlag der Europäischen Kommission gefällt werden sollen. Die nationalen Haushaltsregeln müssen Mindeststandards hinsichtlich ihrer Transparenz und Verlässlichkeit erfüllen. Ein direkter Eingriff in die haushaltspolitische Souveränität ist indes weiterhin nicht vorgesehen.

Am 8. und 9. Dezember 2011, bevor das Six-Pack überhaupt in Kraft trat, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zudem einen sogenannten Fiskalpakt. Alle anderen Regierungen außer Großbritannien wollen sich zunächst (vorbehaltlich parlamentarischer Ratifizierung in den Mitgliedstaaten) der Übereinkunft anschließen. Länder, die sich in einem Verfahren zur Vermeidung übermäßiger Defizite befinden, sollen demnach einen strukturellen Anpassungsplan vorlegen müssen, dessen Einhaltung von Kommission und Rat begutachtet wird. Schuldenbremsen sollen in allen Mitgliedstaaten eingeführt werden; der Europäische Gerichtshof soll die Umsetzung überprüfen. Die Mitgliedstaaten sollen überdies künftig im EU-Rahmen über geplante Anleiheausgaben berichten. Da Großbritannien verhinderte, dass die Maßnahmen im EU-Vertrag verankert wurden, soll der Pakt bis Frühjahr 2012 im Rahmen eines zwischenstaatlichen Vertrags vereinbart werden.

Koordinierung nationaler Wirtschaftspolitiken

Die Krise hat besonders deutlich gemacht, dass auch die wirtschaftspolitische Überwachung gestärkt werden muss. Mit dem Six-Pack wurde auch ein neues Verfahren zur Vermeidung gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte eingeführt. Nun werden die Leistungsbilanzen überwacht, da diese die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften spiegeln und ein Indikator für die Auslandsverschuldung sind. Kumulierte negative Leistungsbilanzsalden ziehen eine übermäßig hohe öffentliche beziehungsweise private Verschuldung nach sich, die dann nur durch Abwertung, Insolvenzen, Inflation oder ähnliches abgebaut werden kann.

Das neue Überwachungsverfahren soll makroökonomische Fehlentwicklungen frühzeitig identifizieren und sieht vor, dass Empfehlungen an die jeweiligen Mitgliedstaaten zur Korrektur gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte gerichtet werden. So hätte etwa die Blasenbildung im spanischen Immobiliensektor und im irischen Bankensektor frühzeitig entdeckt und abgeschwächt werden können, um zu verhindern, dass Stützungsmaßnahmen für die Privatwirtschaft eine derartige haushaltspolitische Schieflage herbeiführen.

Nach dem neuen Verfahren wird bei übermäßigen Ungleichgewichten die Nicht-Befolgung der Empfehlungen sanktioniert. Die Überwachung erfolgt auf Grundlage eines sogenannten Score Boards, das eine Reihe von Indikatoren abbildet, die als Hauptquellen makroökonomischer Ungleichgewichte gelten.

Die Diskussion um den Abbau von Ungleichgewichten und die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit ist derzeit vor allem auf die Defizitländer mit geringer Wettbewerbsfähigkeit fokussiert. Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Verschuldung und Leistungsbilanzen ist das in der Tat sehr wichtig. Allerdings werden immer stärkere Zweifel daran formuliert, dass die derzeitig verfolgte, asymmetrische Strategie funktionieren kann. Das Negativszenario ist, dass alle Länder mit defizitärer außenwirtschaftlicher Situation gleichzeitig - etwa durch eine Absenkung des Reallohns - real abwerten. Dies wäre nicht nur innenpolitisch eine schwierige Entwicklung, sondern kann auch zu einem Wirtschaftseinbruch und damit einem Anstieg der Verschuldungs- und Defizitquoten führen.

Euro-Plus-Pakt

Parallel zum Six-Pack-Gesetzgebungsverfahren vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 24. März 2011 den sogenannten Euro-Plus-Pakt. Nachdem einige Nicht-Euro-Staaten dieses Vorhaben massiv kritisiert hatten, weil sie eine weitere Entkopplung der Eurozone vom Rest der EU fürchteten, wurde es für alle EU-Staaten geöffnet. Alle Mitgliedstaaten außer Großbritannien, Schweden, der Tschechischen Republik und Ungarn schlossen sich an.

Der Euro-Plus-Pakt soll die Mechanismen zur haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordinierung ergänzen, indem sich die Staats- und Regierungschefs jährlich auf nationale Zielvorgaben verständigen und deren Umsetzung gemeinsam überwachen. Die Ziele, die er anstrebt, sind breit gefasst: Neben der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation soll auch die Steuerpolitik, die Stabilisierung des Finanzsektors und die Restrukturierung der Sozialsysteme koordiniert und evaluiert werden. Der Euro-Plus-Pakt baut auf den Prioritäten der Wachstumsstrategie Europa 2020 auf (Beschäftigung, Innovation, Klima, Energie, Bildung und soziale Inklusion). Die Umsetzung der Ziele erfolgt durch die Mitgliedstaaten und darf den Status quo und die Weiterentwicklung des Binnenmarktes nicht beeinträchtigen. Mit dem Pakt für den Euro verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs überdies, sich bei größeren Reformen, die Auswirkungen auf die Partner in der Eurozone und der EU haben dürften, abzustimmen.

Der Pakt ist weder EU-Recht, noch ist er ein völkerrechtliches Abkommen. Es gibt folglich keine Umsetzung in nationales Recht, keine direkte Beteiligung nationaler Parlamente und keine Beschwerdemöglichkeit gegenüber nationalen Gerichten. Ob diese weiche Form der Politikkoordination mittelfristig zur nationalen Umsetzung der Zielvorgaben führt, ist fraglich.

Europäische Semester

Im ersten Halbjahr 2011 wurde erstmals das "Europäische Semester" als Instrument vorbeugender Überwachung angewendet, um die wirtschafts- und haushaltspolitische Koordinierung zu intensivieren. Die nationalen Regierungen sollen so stärker in die Verantwortung genommen werden, um drohende Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die Grundzüge der Wirtschaftspolitik von vornherein zu verhindern und den Zielen der Europa 2020-Strategie näher zu kommen. Die nationale Haushaltsplanung soll zeitlich besser mit den Koordinierungsprozessen in Brüssel abgestimmt werden.

Auftakt zum jeweiligen "Europäischen Semester" ist der Jahreswachstumsbericht, der erstmals am 19. Januar 2011 von der Kommission vorgestellt wurde. Der Bericht analysiert die wirtschaftliche Ausgangslage für die gesamte EU. Daraufhin berät der Europäische Rat im März über die prioritären Maßnahmen für die EU. Pläne für die nationalen Haushalte werden der Kommission bis April von den Regierungen vorgelegt. Auf dieser Grundlage erarbeitet die Kommission bis Juni für jedes einzelne Land Empfehlungen, die anschließend vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister und dem Europäischen Rat verabschiedet werden. Die nationalen Parlamente sollen diese idealerweise in ihre Haushaltsberatungen einfließen lassen, ohne dass die Haushaltshoheit der Parlamente in Frage gestellt wird.

Schaffung eines permanenten Krisenmanagementmechanismus

Im Zuge der sich Anfang 2010 zuspitzenden Verschuldungskrise wurde erkannt, dass auch Eurozonen-Staaten in die Situation einer temporären Zahlungsunfähigkeit kommen oder gar Solvenzprobleme aufweisen können - mit als desaströs eingeschätzten Folgen für die Eurozone insgesamt. Die EU-Verträge sahen bislang nach Artikel 143 AEUV nur für Nicht-Eurozonen-Staaten die Möglichkeit vor, eine kurzfristige Finanzierung über sogenannte Zahlungsbilanzkredite zu bekommen.

Mit den bilateralen Ad-Hoc-Hilfsmaßnahmen für Griechenland im April 2010 und der Schaffung des Rettungsschirms im Mai 2010 wurden indes befristete Kreditvergabemöglichkeiten für Eurozonen-Mitglieder geschaffen. Diese werden nun leicht verändert und ergänzt durch einen Rechtsrahmen zur Gläubigerbeteiligung im Falle von Umschuldungsnotwendigkeiten in einen permanenten Mechanismus, den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM), überführt. Eine Änderung des EU-Vertrags ist bereits beschlossen, wenn auch noch nicht ratifiziert, um Hilfskredite an Eurozonen-Staaten in Einklang mit der no-bail-out-Klausel zu bringen.

Als wichtigste Komponente des Rettungsschirms wurde im Mai 2010 die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) eingerichtet, die zunächst bis 2013 Kredite an unter Druck geratene Mitgliedstaaten vergeben sollte. Im Gegenzug dazu stimmen die kreditnehmenden Staaten einem umfangreichen Reform- und Konsolidierungsprogramm zu, das von einer Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, der bislang an allen Hilfsprogrammen für Griechenland, Portugal und Irland beteiligt ist, überprüft wird. Kredite der EFSF erlauben es hoch verschuldeten Ländern, sich für einige Zeit nicht an den Märkten refinanzieren zu müssen, wenn sie in die Gefahr geraten, angesichts hoher Risikoaufschläge kein Kapital mehr aufnehmen zu können. Dank der Garantien der Euro-Staaten kann die EFSF Anleihen ausgeben, um mit dem eingenommenen Geld Notkredite an Euro-Länder zu finanzieren.

Angesichts der um sich greifenden Verschuldungskrise wurden bereits mehrmals Maßnahmen zur Aufstockung des Kreditvolumens der EFSF beschlossen. Zunächst hatte sie bei einem Garantievolumen von 440 Milliarden Euro ein Kreditvolumen von rund 250 Milliarden Euro. Am 21. Juli 2011 wurde der Garantierahmen auf 780 Milliarden Euro aufgestockt. Mit dieser höheren Bürgschaft sollen auch die Bestnote bei der Kreditwürdigkeit von EFSF-Schuldpapieren und damit möglichst niedrige Zinsen gesichert werden.

Um die Hilfen für hochverschuldete Länder weiter verstärken zu können, einigte sich der Eurozonen-Gipfel am 26. Oktober 2011 auf die Einführung von sogenannten Kredithebeln. Dies soll weitere Geldgeber - etwa Staatsfonds aus Asien oder den arabischen Staaten - für den Fonds gewinnen. Diese privaten Anleger würden Staatsanleihen von hochverschuldeten Staaten kaufen, wobei die EFSF garantiert, einen Teil des Verlustes zu ersetzen, falls ein Land das geliehene Geld nicht zurückzahlt. Ein weiteres Hebelinstrument, das laut Beschluss des Euro-Gipfels vom 21. Juli 2011 genutzt werden soll, ist ein neuer Co-Investment-Fonds (CIF), an dem sich private Investoren beteiligen sollen. Er ist als Untergesellschaft des EFSF geplant und soll Staatsanleihen der Krisenländer kaufen.

Neben dem Kreditvolumen wurde auch das Instrumentarium der EFSF weiter entwickelt. Am 21. Juli 2011 wurde der Zinssatz für Hilfskredite von 4,5 Prozent auf 3,5 Prozent gesenkt. Das entspricht in etwa dem Satz, zu dem sich der Rettungsfonds das Geld selbst leihen muss. Außerdem bekommen die Länder mehr Zeit, um das Geld zurückzuzahlen. Die EFSF hat zudem die Möglichkeit bekommen, den Bankensektor eines Landes indirekt durch besondere Kredite an die betroffene Regierung zu stützen und kleinere Kreditpakete vorbeugend zu gewähren. Zudem soll der Fonds Staatsanleihen angeschlagener Länder auf dem Sekundärmarkt aufkaufen können, sofern die EZB feststellt, dass das Land in einer Notlage ist und die Stabilität der Eurozone gefährdet.

Parallel zur Anwendung und Weiterentwicklung der zeitlich begrenzten EFSF wurde der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) verhandelt, der deren Aufgaben künftig übernehmen soll. Bereits im Sommer 2011 wurde eine Einigung über den ESM-Vertrag zwischen den Regierungen hergestellt - doch dieser wurde mit den Änderungsbeschlüssen zur EFSF obsolet, da die neuen Instrumente und das erhöhte Kreditvolumen für den künftigen Mechanismus Geltung haben sollten. Statt ratifiziert zu werden, wurde daher der ESM-Vertrag einer Überarbeitung unterzogen.

Beim Europäischen Rat am 8. und 9. Dezember 2011 wurden weitere Beschlüsse zu den Hilfsmechanismen gefällt. Zunächst einmal soll die Hebelung der EFSF vorangetrieben werden, die sich bislang nur schleppend vollzieht. Der ESM soll bis Juli 2012 und damit früher als geplant in Kraft treten, sobald er von den Ländern ratifiziert wurde, die 90 Prozent des Kapitals repräsentieren. Im Mai 2012 soll die Obergrenze des Kreditvergabevolumens von 500 Milliarden Euro überprüft werden. Mit den Beschlüssen vom 8./9. Dezember 2011 wird von früheren Plänen zur privaten Gläubigerbeteiligung Abstand genommen, fortan orientieren sich die Collective Action Clauses (Umschuldungsklauseln) an den Statuten des Internationalen Währungsfonds. Überdies soll die EFSF schneller entscheidungsfähig sein: Vorbehaltlich der Zustimmung nationaler Parlamente soll das Einstimmigkeitsprinzip durch eine qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent ersetzt werden, sofern die Europäische Kommission und die EZB feststellen, dass eine dringliche Situation eine rasche Entscheidung erfordert.

Bereits in der frühen Phase der Verschuldungskrise wurde von einigen Beobachtern und Beteiligten ein Rettungsmechanismus gefordert, der so groß und umfassend gestaltet sein müsse, dass er eine "sich selbst erfüllende Finanzkrise" bremsen könne, indem er aus Sicht der Marktteilnehmer auch den schlimmsten anzunehmenden Fall abdecken könnte - und dessen Eintreten durch geänderte Markterwartungen allein aufgrund der Existenz eines solchen Rettungsmechanismus unwahrscheinlicher macht.

Da die EFSF aber bislang trotz ihres gesteigerten Kreditvergabevolumens und erweiterten Instrumentariums nicht in der Lage war, die Krise einzudämmen, ist die EZB zum wichtigsten und kurzfristig handlungsfähigsten Krisenmanager avanciert, etwa indem sie die Liquiditätsbereitstellung für den Bankensektor massiv verstärkt hat und in großen Volumina an den Sekundärmärkten Staatsanleihen der hochverschuldeten Mitgliedstaaten aufkauft.

Um langfristig ihre Unabhängigkeit und die Erreichung ihrer geldpolitischen Ziele sicherzustellen, sind die oben dargestellten Reformbemühungen im Bereich Haushalt, Wirtschaft und Finanzmärkte mit davon getrieben, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die EZB wieder auf ihr Kerngeschäft, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, konzentrieren kann. Nicht nur bei der Entwicklung des Krisenmechanismus, auch bei der Governance-Reform geht es überdies darum, das Vertrauen langfristig orientierter Anleger zurückzugewinnen, die im Zuge der Verschuldungskrise begonnen haben, Kapital aus vielen Eurozonen-Staaten abzuziehen. Krisenmanagement und Governance-Reform sind daher heute zwei eng verknüpfte Prozesse.

Härterer Euro-Kern in der EU-27

Die bisherigen Änderungen an den Strukturen und an der Funktionsweise der Economic Governance-Mechanismen in der EU haben vor allem die Eurozone betroffen. Die Schaffung der Rettungsmechanismen im Zuge der Verschuldungskrise, die Bereitschaft, im Bereich der Haushalts- und Wirtschaftspolitik enger zusammen zu arbeiten, und die stärkere Institutionalisierung durch die Eurozonen-Gipfel haben die Integration in der Währungsunion deutlich voranschreiten lassen.

Diese Maßnahmen stellen allerdings auch in ihrer Gesamtheit keinen Quantensprung an Integration dar, sondern sind eine schrittweise Weiterentwicklung bestehender Instrumente, teilweise auf Sekundärrechtsebene, teilweise in Form zwischenstaatlicher Vereinbarungen. Bislang hat die Krise weder weitreichende Kompetenztransfers noch eine substanzielle Stärkung der supranationalen Ebene hervorgebracht. Im Gegenteil: Kritiker sehen in der Aufwertung des Europäischen Rats und der Verabschiedung von Pakten und Verträgen außerhalb des Gemeinschaftsrahmens die Gefahr, den supranationalen Gemeinschaftsrahmen zu schwächen.

Je weiter die Diskussion um die künftigen Regierungsstrukturen der Eurozone voranschreitet, desto intensiver dreht sie sich um die Balance zwischen nationaler Souveränität und dem Stellenwert der supranationalen Ebene. Dabei stehen Befürworter der Gemeinschaftsmethode, die sich eine starke Rolle für die Europäische Kommission und das Europäische Parlament wünschen, denjenigen gegenüber, die aufgrund nationaler Souveränitäts- und Legitimationsbedenken eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf Regierungsebene bevorzugen.

Was die Substanz der Reformen anbelangt, ist umstritten, ob die Maßnahmen ausreichen, um dreierlei zu leisten: erstens die Eurozone mittelfristig auf einen Pfad von Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit zu führen, zweitens Krisen künftig unwahrscheinlicher und die Eurozone weniger anfällig für externe Schocks zu machen und drittens das Vertrauen in die Eurozone insbesondere aus Sicht langfristig orientierter Anleger wieder zu stärken. Da die bislang beschlossenen Maßnahmen hierfür nicht ausreichen dürften, wird sich die Verschuldungskrise voraussichtlich weiterentwickeln. In diesem Fall sind auch die am 8./9. Dezember 2011 vereinbarte Verabschiedung eines zwischenstaatlichen Vertrags und das vorgezogenen Inkrafttreten des ESM nur Zwischenschritte in der Reform der Eurozone.

Ohnehin sind weitere Entwicklungen im Gange. So hat die Europäische Kommission am 23. November 2011 zwei Gesetzesinitiativen vorgelegt, welche die haushalts- und wirtschaftspolitische Kontrolle weiter verschärfen sollen. Sie hat überdies ein Grünbuch zur Einführung von Eurobonds vorgelegt und damit die Diskussion um Potenziale, Gefahren und Voraussetzungen einer Finanzierungsunion gefördert. Im Bereich der Finanzaufsichtsstrukturen steht die erste größere Überprüfung neben der jährlichen Funktionsanalyse turnusmäßig Anfang 2014 an. Obgleich jeder substanziellere Integrationsschritt nationale Souveränitätsgrenzen berührt, könnten sich die Mitgliedstaaten unter dem Druck der Krise auf weiterreichende Integrationsschritte verständigen, die in Form einer Änderung des EU-Vertrags oder eines neuen Eurozonen-Vertrags (möglicherweise unter Beteiligung interessierter EU-Staaten, die noch nicht Mitglied in der Eurozone sind) vollzogen werden.

In diesem Zuge sollten auch grundlegende Fragen der Legitimität des sich entwickelnden Entscheidungssystems in der Eurozone aufgeworfen werden. Bislang dominiert der Ansatz, nationale Haushalts- und Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene zu regeln und technokratisch zu überwachen. Dies dürfte Konflikte mit nationalen Parlamenten provozieren, sobald diese gezwungen werden, demokratisch legitimierte Entscheidungen zu revidieren.

Insgesamt ist durch die Krise deutlich geworden, dass die Mitgliedstaaten durch den Entzug wesentlicher Instrumente der makroökonomischen Politik im Zuge der Währungsintegration verwundbarer geworden sind, ohne dass auf europäischer Ebene entsprechende Handlungsfähigkeit hergestellt wurde. Dies wirft Legitimations- und Demokratiedefizite auf, die durch die aktuellen Reformen nicht bearbeitet werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die sogenannte no-bail-out-Klausel in Art. 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

  2. Einen guten Überblick bietet: Bundesministerium der Finanzen, Die Reform der europäischen Finanzaufsichsstrukturen. Die Errichtung eines Europäischen Finanzaufsichtssystems, in: Monatsbericht digital, Dezember 2010, online: www.bundesfinanzministerium.de/
    nn_118570/DE/BMF__Startseite/
    Publikationen/Monatsbericht__
    des__BMF/2010/12/inhalt/Monatsbericht-Dezember-2010,templateId=raw,
    property=publicationFile.pdf (15.12.2011), S. 37ff.

  3. Häufig wird der englische Begriff European Systemic Risk Board (ESRB) verwendet.

  4. Vgl. Strengthening economic governance in the EU. Report of the Task Force to the European Council, 21 October 2010, online: www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/
    docs/pressdata/en/ec/117236.pdf (15.12.2011).

  5. Ein Überblick über den aktuellen Stand der Abstimmungsmechanismen findet sich online: http://ec.europa.eu/economy_finance/
    economic_governance/index_en.htm (15.12.2011).

  6. European Commission: EU Economic governance "Six-Pack" enters into force, MEMO/11/898, 12 December 2011, online: http://europa.eu/rapid/pressReleases
    Action.do?reference=MEMO/11/898 (15.12.20119).

  7. Dabei gilt die Regel, dass ein Land, das ein Schulden/BIP-Verhältnis von mehr als 60 Prozent aufweist, seine Schulden um ein Zwanzigstel des Prozentsatzes pro Jahr verringert, um den es den Grenzwert (60 Prozent) übersteigt.

  8. Eine qualifizierte Mehrheit muss sich gegen den nächsten Schritt im Verfahren aussprechen, um diesen zu verhindern.

  9. Vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Eurowährungsgebiets vom 11. März 2011, online: www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/
    docs/pressdata/de/ec/119824.pdf (15.12.2011).

  10. European Commission, Annual Growth Survey 2012, Brüssel, 23.11.2011, online: http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/
    ags2012_en.pdf (15.12.2011).

  11. Gesetzentwurf KOM(2011) 82: http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/documents/pdf/
    regulation_1_de.pdf (15.12.2011); Gesetzentwurf KOM(2011) 819: http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/documents/pdf/
    regulation_2_de.pdf (15.12.2011).

  12. Vgl. Fritz W. Scharpf, Monetary Union, Fiscal Crisis and the Preemption of Democracy, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, 9 (2011) 2, S. 163-198.

Dr. rer. pol., geb. 1973; Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin. E-Mail Link: daniela.schwarzer@swp-berlin.org