Die Piratenpartei als neue Akteurin im Parteiensystem
Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 schaffte die Piratenpartei erstmals den Sprung in ein deutsches Parlament. Ist ihr Aufstieg nachhaltig oder nur ein Übergangsphänomen?Einleitung
Mit dem Wahlerfolg vom 18. September 2011 und dem Einzug von 15 Abgeordneten in das Berliner Abgeordnetenhaus hat sich die fünf Jahre alte Piratenpartei in der deutschen Parteienlandschaft etabliert - zu dieser Einschätzung neigen die meisten Beobachter angesichts eines Stimmenanteils von 8,9 Prozent. Ein massiver Mitgliederanstieg bis Ende 2011 sowie vergleichsweise solide Werte oberhalb der Fünfprozenthürde in den Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute scheinen diesen Eindruck auch bundesweit zu bestätigen. Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive ist jedoch eine differenzierte Perspektive notwendig,[1] schließlich folgten auf die ersten Achtungserfolge bei den Europa- und Bundestagswahlen 2009 mehrere erfolglose Auftritte bei Landtagswahlen, wirkt das programmatische Profil der Partei noch unscharf, und es fehlt ein über die engen Grenzen von Mitgliedschaft und netzpolitischer Szene hinaus bekanntes Personal. Zugleich ist unumstritten, dass durch die Piratenpartei eine experimentelle Zone eröffnet worden ist, in der viele Routinen politischer Organisations- und Kommunikationstätigkeit radikal auf die Probe gestellt werden. Darüber hinaus scheinen die Piraten als eine neue Form der "Anti-Parteien-Partei" wahrgenommen zu werden, Vergleiche mit den "frühen Grünen" sind alles andere als selten. Und schließlich ziehen die "Politik-Nerds" offenbar eine junge Klientel an und motivieren als politikverdrossen geltende Alterskohorten nicht nur zum Urnengang, sondern sogar zur aktiven Mitarbeit innerhalb eines verstaubten Organisationsmodells namens "Partei.Vor diesem Hintergrund entstehen zahlreiche Fragen: Ist der Aufstieg der Piraten nachhaltig oder nur ein Übergangsphänomen? Was sind die Gründe für die hohe Popularität und den elektoralen Erfolg? Wie kann digitale politische Kommunikation in analoge Parteistrukturen überführt werden? Und schließlich: Wie passen die Piraten in das deutsche Parteiengefüge, und gibt es Folgen für das politische System?
Dieser Artikel skizziert die Entwicklung der Piratenpartei seit Frühjahr 2009, die sich in vier Phasen gliedern lässt. Dabei werden die Nutzung unterschiedlichster Formen von Online-Kommunikation sowie die gezielte Verzahnung digitaler sozialer Netzwerke mit den Parteistrukturen als Modernisierungsimpulse für die etablierten Akteure beleuchtet. Vor allem die innerparteilichen Diskussionen um die programmatische Positionierung und das Selbstverständnis der Partei spiegeln hier den Spagat zwischen basisdemokratischem Anspruch und pragmatischer Organisationspolitik wider.[2]